Die Melody Bar in Toronto ist in warmes Licht getaucht. Rund 100 Besucher sitzen dicht gedrängt an kleinen Tischen, tuscheln und füllen Zettel aus. Die Moderatoren tragen Wollpullis und funkelnde Filz-Rentiergeweihe, nach und nach lesen sie ihre Quizfragen vor, die die Teams eifrig versuchen zu beantworten. Kurz vor der Pause kündigen die Hosts in der Bar des Gladstone Hotels einen Überraschungsgast an: Plötzlich ertönt Mariah Careys Klassiker „All I Want for Christmas is You“ und eine Dragqueen wirbelt durch den Raum. Die Gäste bejubeln ihren Lip Sync und den gekonnten Outfit-Wechsel ins goldglitzernde Kleid. Es ist Mitte Dezember 2019, und dies mein erster Abend in Kanada.
Einige Wochen zuvor erlebte ich auf der Frankfurter Buchmesse bereits eine andere Queen: Margaret Atwood. Die feministische Schriftstellerin, die in Bestsellern wie „Der Report der Magd“ eine dystopische Gesellschaft aus weiblicher Sicht erzählt, gilt als eine der bedeutendsten Stimmen unserer Zeit.
An jenem Sonntag im Oktober saß die zierliche Frau mit den grauen Locken auf der Bühne im norwegischen Pavillon kurz vor der GastRollen-Übergabe, die den offiziellen Startschuss von einem Ehrengast zum nächsten markiert. Im Gespräch mit dem norwegischen Schriftsteller Erlend Loe blitzte immer wieder ihr Humor auf. Die beiden lieferten sich ein Battle, welches Land denn nun gefährlicher, wilder oder einsamer sei. Atwood: „Wie viele Bärenarten habt ihr?“ – Loe: „Zwei.“ Atwood: „Wir haben drei“, und hakte nach: „Habt ihr Tornados?“ – Loe: „Nicht wirklich.“ Auch