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Gesammelte Radiogeschichten für Kinder: 28 spannende Geschichten und Anekdoten für Kinder und Erwachsene
Gesammelte Radiogeschichten für Kinder: 28 spannende Geschichten und Anekdoten für Kinder und Erwachsene
Gesammelte Radiogeschichten für Kinder: 28 spannende Geschichten und Anekdoten für Kinder und Erwachsene
eBook275 Seiten4 Stunden

Gesammelte Radiogeschichten für Kinder: 28 spannende Geschichten und Anekdoten für Kinder und Erwachsene

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Über dieses E-Book

In 'Gesammelte Radiogeschichten für Kinder' präsentiert Walter Benjamin eine einzigartige Sammlung von Geschichten, die speziell für Kinder im Radio konzipiert wurden. Der literarische Stil des Buches zeugt von Benjamins einfühlsamer und fantasievoller Erzählweise, die Kinder und Erwachsene gleichermaßen fesselt. Die Geschichten kombinieren kindliche Themen mit einer tiefgründigen moralischen Ebene, die typisch für Benjamins Werke ist, und bieten somit eine unterhaltsame und lehrreiche Leseerfahrung. Das Buch zeigt Benjamins Vielseitigkeit als Schriftsteller und seine Fähigkeit, auch junge Leser zu begeistern. Walter Benjamin, ein bekannter deutscher Philosoph, Literaturkritiker und Übersetzer, war inspiriert von der aufkommenden Popularität des Radios und entschied sich, eine Reihe von Geschichten zu verfassen, die speziell für diese Medienform geeignet waren. Seine Erfahrung als Pädagoge und sein Einfühlungsvermögen für die kindliche Psyche spiegeln sich in jeder Geschichte wider, die er sorgfältig ausgewählt und bearbeitet hat. 'Gesammelte Radiogeschichten für Kinder' ist eine einzigartige und faszinierende Sammlung, die sowohl Kinder als auch Erwachsene mit ihren lehrreichen und unterhaltsamen Geschichten begeistern wird.
SpracheDeutsch
HerausgeberMusaicum Books
Erscheinungsdatum17. Aug. 2017
ISBN9788027207480
Gesammelte Radiogeschichten für Kinder: 28 spannende Geschichten und Anekdoten für Kinder und Erwachsene
Autor

Ann K. Boulis

WALTER BENJAMIN (1892–1940) was a German-Jewish Marxist literary critic, essayist, translator, and philosopher. He was at times associated with the Frankfurt School of critical theory and was also greatly inspired by the Marxism of Bertolt Brecht and Jewish mysticism as presented by Gershom Scholem.

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    Buchvorschau

    Gesammelte Radiogeschichten für Kinder - Ann K. Boulis

    Berliner Dialekt

    Inhaltsverzeichnis

    [1929]

    Also ich will heute mit euch über die Berliner Schnauze sprechen; die sogenannte große Schnauze ist doch das erste, was allen einfällt, wenn man vom Berliner redet. Der Berliner, sagen die Leute in Deutschland, na ja, das ist eben der Mann, bei dem alles zu Hause anders und besser und schlauer gemacht wird wie bei uns. Wenn man’s ihm nämlich glaubt. Deswegen haben sie auch den Berliner nicht gern, wenigstens tun sie so. In Wirklichkeit ist es doch sehr schön, wenn man eine Hauptstadt hat, auf die man ein bißchen schimpfen kann.

    Aber stimmt das nun überhaupt mit der Berliner Schnauze? Es stimmt und stimmt auch nicht. Jeder von euch kennt natürlich eine Menge Geschichten, wo diese Schnauze so weit aufgerissen wird, daß das Brandenburger Tor darin Platz hätte. Und nachher erzähle ich euch noch ein paar, die ihr vielleicht sogar nicht kennt. Aber wenn man’s sich dann näher überlegt, stimmt doch auch manches mit der großen Schnauze wieder nicht. Zum Beispiel, ganz einfach: andere Stämme und Landschaften machen viel Wesens von ihrer besonderen Sprache; Dialekt, so nennt man doch die Sprache, die in den einzelnen Städten oder Gegenden gesprochen wird. Also sie machen viel Wesens davon und sind stolz darauf und lieben ihre Dichter, die wie Reuter Mecklenburger Platt, wie Hebel Alemannisch, wie Gotthelf Schweizerdeutsch geschrieben haben. Und damit haben sie auch recht. Die Berliner sind aber, grade was ihr Berlinern angeht, immer sehr bescheiden gewesen. Sie haben sich eigentlich mehr wegen ihrer Sprache geschämt, wenigstens vor den feinen Leuten und vor den Fremden. Unter sich haben sie natürlich desto mehr Spaß dran gehabt. Sie haben sich auch über das Berlinern lustig gemacht, genauso wie über alles andere. Davon gibt es viele hübsche Geschichten, zum Beispiel: sitzt da ein Mann mit seiner Frau bei Tisch und sagt: »Wat, heute jibts schon wieder Bohnen, ick eßte sie doch erst jestern.« Da verbessert ihn aber seine Frau und sagt: »Man sacht nich, ick eßte, man sacht ick aß«, und da antwortet ihr der Mann: »Det mußt du vielleicht von dir sagen, ick brauch det von mir nich zu sagen.« Oder die bekannte Geschichte von dem Vater, der mit dem Sohn auf der Landpartie ist: »Wie heeßt der Schmetterling, Vater«, da sagt der Vater: »Heeßen heeßt et nich, heißen heeßt et.«

    Und man mußte den Berlinern erst Mut machen, zu ihrer Sprache sich auch nach außen zu bekennen. Früher hatten sie das eigentlich nicht nötig. Vor hundert Jahren gab es schon Schriftsteller, die haben Berliner Typen aufgestellt, die dann in ganz Deutschland berühmt wurden. Die bekanntesten davon sind: der Schusterjunge, das Marktweib, der Budiker, der Straßenhändler, vor allem der berühmte Eckensteher Nante. Und dann habt ihr vielleicht einmal, wenn ihr alte Jahrgänge von einem Witzblatt in der Hand gehabt habt, die beiden berühmten Berliner gesehen, von denen der eine ganz dick ist und klein und der andere ganz lang und schmal; die redeten über Politik, und mal hießen sie Kielmeier und Strobelweber und Plümecke und Bohnhammel, mal Meck und Scherbel und zum Schluß einfach Müller und Schulze; und sie haben die schönsten berlinischen Sachen zusammengequatscht. Jede Woche stand etwas Neues davon in der Zeitung. Dann kam aber 1870 und die Reichsgründung, und die Berliner wollten auf einmal sehr hoch hinaus und sehr vornehm werden. Da mußten ihnen erst ein paar große Männer, vor denen sie ja immer Respekt haben, die Courage zu ihrem eigenen Dialekt wiedergeben. Zwei von denen sind komischerweise Maler und keine Dichter. Und es gibt eine Menge wunderschöne Geschichten von ihnen. Der eine, den kennen die meisten von euch aber nicht, ist der berühmte alte Max Liebermann, der noch lebt und wegen seiner schrecklichen Schnauze gefürchtet ist. Dem hat es nun aber einmal ein anderer Maler, Bondi heißt er, vor ein paar Jahren mächtig gegeben. Da saßen die beiden im Café einander gegenüber und unterhielten sich nett, und auf einmal sagt Liebermann zu dem Bondi: »Wissense Bondi, Sie sind ja ’n janz netter Kerl, wenn Se bloß nich so eklije Hände hätten.« Der Bondi sieht den Professor Liebermann an und sagt: »Herr Professor, da habense ja recht, aber sehnse, die Hände, die kann ick denn eben in meine Tasche stecken, aber wie machen Sie det mit Ihrn Kopp?« Und der andere große Berliner, von dem kennen viele von euch den Namen, der ist vor kurzem gestorben und heißt Heinrich Zille. Wenn der eine besonders schöne Geschichte hörte oder beobachtete, dann ließ er sie nicht einfach so dummweg drucken, sondern zeichnete ein famoses Bild dazu. Und diese Geschichten mit den Bildern hat man jetzt nach seinem Tode gesammelt, ihr könnt sie euch schenken lassen, und viele werdet ihr auch schon kennen. Oder kennt ihr etwa die nicht: ein Vater sitzt mit seinen drei Jungs bei Tisch. Es gibt Nudelsuppe. Da sagt der eine: »Oskar, seh mal, wie Vater die Nudeln um die Schnauze bammeln!« Da sagt der Älteste, der heißt Albert: »Justav, wie kannste denn zu Vater seine Fresse Schnauze sagen!« »Na«, sagt Gustav, »wennt sich der Ochse jefallen läßt!« Nun wird es aber dem Vater zu bunt, er springt auf und sucht nach dem Rohrstock. Und die drei Jungens, Gustav, Albert und Oskar, kriechen unter die Bettstelle. Der Vater versucht, sie herauszukriegen, aber das glückt ihm nicht, und schließlich sagt er zu dem Jüngsten: »Du komm man vor, Oskar, du hast ja nischt jesagt, dir tu ick ja nischt.« Da hört man die Stimme von Oskar unterm Bett: »Dir Aas kenn ick!« Nachher erzähl ich euch noch ein paar Geschichten von frechen Jöhren.

    Aber ihr müßt nicht etwa denken, das Berlinische wäre eine Witzesammlung. Es ist eben eine ganz richtige und wundervolle Sprache. Man hat sogar eine richtige Grammatik dieser Sprache geschrieben. Hans Meyer, Direktor der alten Berliner Schule vom Grauen Kloster, hat sie verfaßt, und sie heißt »Der richtige Berliner in Wörtern und Redensarten«. Man kann auf Berlinisch so fein, so witzig, so zart, so klug sprechen wie nur in irgendeiner Sprache sonst. Nur muß man natürlich wissen, wo und wann. Das Berlinische ist eine Sprache, die aus der Arbeit kommt. Sie entsteht nicht bei dem Schriftsteller und bei dem Gelehrten sondern in der Mannschaftsstube und am Skattisch, auf dem Omnibus und im Leihhaus, im Sportpalast und in der Fabrik. Das Berlinisch ist eine Sprache von Leuten, die keine Zeit haben, die sich oft mit einer ganz kurzen Andeutung, einem Blick, einem halben Wort verständigen müssen. Das können nicht Leute, die sich gelegentlich dann und wann in Gesellschaft treffen, sondern nur welche, die sich regelmäßig, tagtäglich, unter ganz bestimmten unveränderten Bedingungen sehen. Unter solchen Leuten entstehen immer besondere Sprachen, und ihr selber habt in der Klasse das beste Beispiel dafür. Es gibt ja eine besondere Schülersprache. So gibt es auch besondere Ausdrücke unter den Arbeitern, unter den Sportsleuten, unter den Soldaten, unter den Dieben usw. usw. Und alle diese Sprachen steuern zum Berlinischen etwas bei, weil eben in Berlin all diese Menschen in den verschiedensten Berufen und Verhältnissen in großen Massen und in einem ungeheuren Tempo zusammenleben. Das Berlinische ist heute einer der schönsten und genauesten Ausdrücke von diesem rasenden Lebenstempo. – Natürlich ist es das nicht immer gewesen. Jetzt lese ich euch eine Berliner Geschichte aus einer Zeit vor, wo Berlin noch nicht die Vier-Millionen-Stadt war, sondern eine Stadt von ein paar hunderttausend Einwohnern.

    »Bürstenbinder (trägt seine Bürsten und Besen, ist aber so betrunken, daß er seine Handelsartikel vergessen hat): Neunoogen! Neunoogen! Immer ran, wer Jeld hat!

    Erster Schusterjunge: Hör’n Se, Herr Schrubber, wer von die Neunoogen en Paar ißt, der bekehrt sich. ( Er verläßt den Betrunkenen und schreit, indem er auf der Straße hin und her rennt:) Herrjees, nanu is et noch hübscher! Keen Mensch darf nich mehr aus’t Fenster roochen!

    Mehrere Leute: Wat meenst du’n damit? Ist des wahr? Darf man nich mehr aus’t Fenster roochen? Det wär’ denn doch zu arch?

    Erster Schusterjunge ( fortrennend): Nee! Man muß aus de Pfeife rochen!– Etsch, etsch!

    Eckensteher Brisich (vor dem Museum): Det Haus freut mir, det Haus macht mir Spaß.

    Eckensteher Lange: Wie so macht dir det Haus Spaß? –

    Brisich (ein wenig turkelnd): Wie so es mir Spaß macht? Na, wegen die Adlersch da oben druf!

    Lange: Na, wie so machen dir denn die Adlersch Spaß? –

    Brisich: Weil des königliche Adlersch sind und doch Ecke stehen müssen! Denk’ dir, wenn ick son’n königlicher Adler wäre un da oben uf’t Museum Ecke stehen müßte als Verzierung! Det wüßt’ ick woll: wenn mir durschterte, verziert’ ick ’ne Weile nich, sondern zöge meine Pulle raus, jenösse Eenen, und schrie runter uf de Leute: ›Nehmen Se det jefälligst des Museum nich übel! Ein königlicher Adler erholt sich!‹«

    Alle Sprachen ändern sich schnell, aber die Sprache einer Großstadt ändert sich noch viel schneller als die Sprache in ländlichen Gegenden. Nun hört euch einmal im Vergleich zu dieser kleinen Geschichte die Sprache eines Ausrufers von heute an. Der Mann, der sie aufgeschrieben hat, heißt Döblin und hat euch an einem der letzten Sonnabende von Berlin erzählt. Natürlich wird er sie nicht genau so gehört haben, wie er sie aufgeschrieben hat. Er hat sich eben oft auf den Alexanderplatz hingestellt und den Leuten zugehört, die ihr Zeug da verkaufen, und dann hat er das Beste zusammengeschrieben.

    »Warum aber im Westen der feine Mann Schleifen trägt und der Prolet trägt keine? Herrschaften, treten Sie nur näher, Frollein, Sie auch, mit dem Herrn Gemahl, Jugendlichen ist der Eintritt erlaubt, für Jugendliche kostet es hier nicht mehr. Warum trägt der Prolet keine Schleifen? Weil er sie nicht binden kann. Da muß er sich einen Schlipshalter zu kaufen, und wenn er ihn gekauft hat, ist er schlecht und er kann den Schlips nicht mit binden. Das ist Betrug, das verbittert das Volk, das stößt Deutschland noch tiefer ins Elend, als es schon drin sitzt. Warum zum Beispiel hat man diese großen Schlipshalter nicht getragen? Weil man sich keine Müllschippen um den Hals binden will. Das will weder Mann noch Frau, das will nicht mal der Säugling, wenn der antworten könnte. Man soll darüber nicht lachen, Herrschaften, lachen Sie nicht, wir wissen nicht, was in dem lieben kleinen Kindergehirn vorgeht. Ach Gottchen, das liebe Köpfchen, son kleines Köpfchen und die Härchen, nicht, ist schön, aber Alimente zahlen, da gibts nichts zu lachen, das treibt in Not. Kaufen Sie sich solchen Schlips bei Tietz oder Wertheim, oder, wenn Sie bei Juden nicht kaufen wollen, woanders. Ich bin ein arischer Mann. Die großen Warenhäuser haben keinen Grund, sich von mir Reklame machen zu lassen, die können auch ohne mir bestehen. Kaufen Sie sich solchen Schlips, wie ich hier habe, und dann denken Sie daran, wie Sie ihn morgens binden sollen. Herrschaften, wer hat heutzutage Zeit, sich morgens einen Schlips zu binden, und gönnt sich nicht lieber die Minute mehr Schlaf. Wir brauchen alle viel Schlaf, weil wir viel arbeiten müssen und wenig verdienen. Ein solcher Schlipshalter erleichtert Ihnen den Schlaf. Er macht den Apotheken Konkurrenz, denn wer solchen Schlipshalter kauft, wie ich hier habe, braucht kein Schlafgift und keinen Schlummerpunsch und nichts. Er schläft ungewiegt wie das Kind an der Mutterbrust, weil er weiß: es gibt morgens kein Gedränge; was er braucht, liegt auf der Kommode fix und fertig und braucht bloß in den Kragen geschoben zu werden. Sie geben Ihr Geld für viel Dreck aus. Da haben Sie voriges Jahr die Ganofim gesehn im Krokodil, vorne gab es heiße Bockwurst, hinten hat Jolly gelegen im Glaskasten und hat sich den Sauerkohl um den Mund wachsen lassen. Das hat jeder von Ihnen gesehn, – treten Sie nur dichter zusammen, damit daß ich meine Stimme schonen kann, ich hab meine Stimme nicht versichert, mir fehlt noch die erste Anzahlung – wie Jolly im Glaskasten lag, das haben Sie gesehn. Wie sie ihm aber Schokolade zugesteckt haben, das haben Sie nicht gesehn. Hier kaufen Sie ehrliche Ware, es ist nicht Zelluloid, es ist Gummi gewalzt, ein Stück zwanzich Pfennig, drei Stück fuffzich.«

    Hieran könnt ihr auch gleich sehen, wie nützlich die Berliner Schnauze sein kann, und wie jemand mit ihr Geld verdient, wenn er für seinen Krawattenbinder soviel Betrieb machen kann, als ob er ein ganzes Warenhaus leitet.

    So eine Sprache erneuert sich jeden Augenblick. Alle Ereignisse, große und kleine, lassen ihren Abdruck darin zurück. Krieg und Inflation ebensogut wie ein Zeppelinbesuch oder der Einzug von Amanullah oder der eiserne Justav. Es gibt sogar richtige berlinische Sprachmoden. Manche von euch erinnern sich vielleicht noch an das berühmte »Bei mir«. Zum Beispiel: wenn einer angequatscht wird von einem, mit dem er nicht reden will, sagte er: »Bei mir Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche«. Das heißt eben: Türme. Und »türme« heißt ja auf Deutsch bekanntlich: »Mach, daß du fortkommst!« Oder ein kleiner Junge, dem man eine Bestellung aufgibt; und man fragt ihn: »Wirst du’s auch ordentlich besorgen?« Da sagt er: »Bei mir Schiefertafel«. (Auf mir könn’ Sie rechnen.)

    An vielen von diesen Geschichten werdet ihr schon gemerkt haben, die große Schnauze ist nicht das einzig Merkwürdige an den Berlinern. Man kann zum Beispiel sehr unverschämt und dennoch sehr ungeschickt sein. Der Berliner, jedenfalls der beßre, verbindet aber seine Unverschämtheit immer mit sehr viel Schlagfertigkeit und Geist und Witz. Er läßt sich, wie man sagt, »nich for dumm verkaufen«. Da gibt es zum Beispiel diese schöne Geschichte von dem Herrn, der große Eile hat, sitzt in der Pferdedroschke, es geht ihm zu langsam: »Mein Gott, Kutscher, können Sie denn wirklich nicht schneller vorwärts kommen?« »Det schon, aber ick kann doch det Ferd nich jut alleene lassen.« Aber der richtige Berliner Witz geht gar nicht nur auf Kosten anderer Leute, sondern ebensogern auf Kosten des Witzbolds selbst. Das macht ihn so liebenswürdig und frei: Er macht auch vor dem eignen Dialekt nicht halt, es gibt viele hübsche Geschichten, welche das zeigen, z. B. kommt da ein Mann schon ein bißchen besoffen in die Kneipe und fragt: »Kricht man hier Rum?« »Ne«, sagt der Budiker, »hier setzt man sich.«

    Also nun die versprochenen Geschichten von Kindern. Drei Jungen kommen in eine Drogerie. Einer verlangt »forn Jroschen Lakritze«. Der Verkäufer schleppt eine lange Leiter heran, steigt auf die oberste Stufe, füllt die Tüte und klettert wieder herunter. Als der Kleine bezahlt hat, sagt der zweite: »Ick mechte ooch forn Jroschen Lakritze!« Nun wird der Verkäufer schon ärgerlich und fragt schon, bevor er von neuem die Leiter raufklettert, den dritten: »Willste ooch forn Jroschen Lakritze?« »Nee«, sagt der. Nun klettert der Verkäufer wieder rauf, kommt wieder mit der vollen Tüte runter. Und nun wendet er sich zum dritten: »Und wat willst du, Kleener?« Da sagt der: »Ick möchte forn Sechser Lakritze.« – Oder: der Herr, der einen Jungen auf der Straße trifft: »Was, du rauchst schon, na warte, das sag ich deinem Lehrer.« »Wat denn, du oller Dussel, ick jeh ja noch jar nich zur Schule.« – Oder: da ist ein Junge in der Quinta, der kann es sich nicht abgewöhnen, »Du« zum Lehrer zu sagen. Der Lehrer heißt Ackermann. Er hört sich das eine Weile mit an, schließlich wird er wütend und sagt: »Du schreibst mir zu morgen hundertmal in dein Heft: ›Ich soll zu meinem Lehrer nicht Du sagen.‹« Am andern Tag kommt der Junge, gibt dem Lehrer das Heft ab, wirklich, hundertmal hat er aufgeschrieben: »Ich soll zu meinem Lehrer nicht Du sagen«, fast das halbe Heft voll. Der Lehrer zählt nach, es stimmt. »Wat«, sagt der Kleine, der neben ihm steht, »wat, Ackermann, da staunste!«

    Ein andermal, wenn ihr wollt, kommt noch mehr Berlinisch. Aber ihr habt gar nicht nötig, darauf zu warten. Wer von euch die Augen und Ohren aufmacht, wenn er durch Berlin geht, kann viel mehr schöne Geschichten zusammenbringen, als er heute im Radio gehört hat.

    Straßenhandel und Markt in Alt- und in Neuberlin

    Inhaltsverzeichnis

    [1929/30]

    Kennt ihr das Märchen vom Goldnen Topf, erinnert ihr euch an das seltsame Äpfelweib, dem der Student Anselmus da am Anfang begegnet? Oder kennt ihr Hauffs Märchen »Zwerg Nase«, das mit einem Markt beginnt, auf dem die Hexe mit spinnedürren Fingern die Waren betastet, um das Beste für sich nach Hause zu nehmen? Ist es euch nicht selbst schon, wenn ihr mit der Mutter den Markt betratet, spannend und festlich vorgekommen? Denn noch im einfachsten Wochenmarkt steckt etwas vom Zauber der orientalischen Märkte, der Bazare von Samarkand. Oder habt ihr den neuen Film gesehn, wo einer den Markt am Wittenbergplatz aufgenommen hat, und es ist spannender geworden als mancher Detektivfilm? Eins aber geht in den Film natürlich nicht hinein, und auch Bücher handeln davon nur selten: das Marktgespräch nämlich, das eigentliche Verhandeln und Handeln, all dies Hin und Her um Ware und Geld, das auf seine Weise ebenso saftvoll und üppig ist wie das Bild, das der Markt für die Augen bietet. Ganz besonders gilt das für den Berliner Markt. Vor mehreren Monaten sprach ich euch hier vom Dialekt von Berlin. Der Markt und der Straßenhandel überhaupt ist nun eine der Stellen, an denen sich das Berlinische am besten erlauschen, in seiner Entwicklung, Bewegung erfassen läßt. Vom alten und neuen Berliner Straßenhandel will ich euch heute erzählen.

    Die Marktweiber waren schon im alten Berlin etwas ganz Besonderes. Sie hatten eben, als einzige unter allen Händlerinnen, Erlaubnis, ihre Ware auf dem Wochenmarkt auszubieten, und werden meist Bauernfrauen gewesen sein, die Erzeugnisse aus der eigenen Wirtschaft feilboten. Ganz anders die sogenannten Hökerfrauen. Sie durften keine besseren Waren führen und mußten obendrein als Entgelt für ihre Handelserlaubnis im Monat vier Pfund Wolle fürs Lagerhaus spinnen. Da ihnen auch das Einkaufen außerordentlich beschränkt war – sie durften nicht von den Bauern aufkaufen, sondern nur an Markttagen zu später Stunde die Reste an sich bringen – so machten die Hökerinnen elende Geschäfte und schlugen sich mit ihrer Familie notdürftig durch. Das war schon im 18. Jahrhundert so. Und wollte damals eine Frau aus niederem Stand zum Familienunterhalt beitragen, wie so viele Soldatenweiber, so blieb ihr manchmal gar nichts weiter übrig, als Hökerin zu werden. Für eine regelrechte Marktfrau gab es denn auch keine größere Beleidigung, als wenn man sie »Hökerin« nannte. Glassbrenner hat in einer von seinen besten Szenen so eine Marktfrau und ihre weltberühmte Berliner Schnauze geschildert und was ihr alles einfällt, um einem Kunden, der sie grad eben »Hökerin« geschimpft hat, heimzuleuchten. »Hökerin?« wiederholt sie, steht auf und stemmt den Arm in die Seite: »Hörn Se mal, Sie olle Bulldogge, nu blaffen Se mal nen Ogenblick vor ne andre Tiere oder ick tret Ihnen uffn Fuß, det Se acht Tage lang winseln sollen.« – Der Herr sagt: »Nein, das ist doch merkwürdig, was diese Hökerinnen schimpfen können.« – Hökerin: »Schimpfen? – Son dämlicher Lulatsch wie er is, dem kann man ja gar nich schimpfen, der is ja schon allens doppelt und dreifach jewesen, wat man Niederträchtjes von ihm sagen kann. Son Schatten von Mannsperson will Leute zum besten haben. Er ausjehungerter Federfuchser, er will die Leute hier schikanieren? Die Leute will er hier schikanieren? Soll er sich doch lieber an nen Jaljen hängen, damit kein anständijer Mensch mehr an ihm ein Verbrechen bejeht. Soll er sich doch lieber zusammenknautschen und zum Lumpenmann jehn und sich forn viertel Pfund Lumpen verkoofen. Nehm er sich doch Kiessand und scheuer sich reene, damit nuscht mehr von ihm übrig bleibt. Häng er sich an nen Mond, damit die Lüderjahns früh zu Hause jehn! Und nehm er sich ja in acht, det er die Kurrendejungens nicht zu nah kommt, sonst singen die: Jott bewahre mir in Jnaden.« – Es war ein richtiger Sport geworden, die Marktweiber zum Schimpfen zu reizen. Man sieht ja hier, daß es sich lohnte. Richtig von Herzen und mit Ausdauer schimpfen können, ist eben ein großes Talent. Das kann nicht jeder, der es gern möchte. Dazu gehört nicht nur viel Grobheit und eine gesunde Lunge, sondern ein großer Wortschatz und nicht zuletzt Geist. Daß man den Budenbesitzerinnen und Marktweibern von Berlin den gern zuspricht, davon zeugt manche hübsche Geschichte. Zum Beispiel diese, in der erzählt wird, wie eine Obstverkäuferin auf dem Totenbett liegt, und das Sterben wird ihr sehr schwer. Ihr Mann steht daneben, weiß nicht recht, was er sagen soll, und versucht, sie zu trösten: »Gräme dir nich darüber, det du sterben mußt; det find sich allens, det wird allens schon jehn! Seh mal, eenmal müssen wir ja alle in unserm Leben sterben!« – »Schafskopp«, lispelt die arme Frau, »det is es ja eben! Wenn man zehnmal oder zwölfmal sterben müßte, denn würd ick mir aus det eine Mal jar nischt machen.« Das große Berliner Schlagwort »Bange machen gilt nicht« ist auch für diesen Typus der Wahlspruch gewesen. Besonders läßt sich der Berliner bekanntlich von Bildung nicht imponieren. Oder wenn er es tut,

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