Jugend ohne Gott
Von Ödön von Horváth
4/5
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Über dieses E-Book
Der junge Lehrer steht dem NS-Regime kritisch ablehnend gegenüber und ist zunächst fassungslos über die unmoralische Haltung seiner Schüler und deren Äußerungen, die bereits durch die NS-Propaganda beeinflusst sind. Dennoch verhält er sich systemkonform, auch um den neuen Arbeitsplatz nicht zu gefährden. Als die Klasse in einem Zeltlager die Osterferien verbringt, nehmen die Ereignisse Fahrt auf. Ein Fotoapparat verschwindet, eine Affäre fliegt auf und ein Mord geschieht. Dann kommt es zum Prozess, und die Sache mit Gott kommt auch noch zur Sprache.
Ödön von Horváth
Edmund (Ödön) Josef von Horváth wurde geboren am 9. Dezember 1901 in Susak, Österreich-Ungarn und verstarb am 1. Juni 1938 in Paris. Horvath war ein in deutscher Sprache schreibender Schriftsteller ungarischer Staatsbürgerschaft.
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Rezensionen für Jugend ohne Gott
119 Bewertungen3 Rezensionen
- Bewertung: 1 von 5 Sternen1/5I may love my Austrian passports for this but I utterly failed to connect with this book. Bechdel: Pass (borderline).
- Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5I had never heard of Horvath before this year, and now this is the second book I've read by him? I'm totally blaming Neversink Library.
So yes, this is another selection from Neversink LIbrary at Melville House Books. I tell you, their website is dangerous. Six of the books I've read this year were published by them, five of which I bought (one was from the library), and I have at least one more on my shelves and at least two on back-order. (I'm afraid if I check on the back-orders, I'll end up buying five more books, so it's best just to wait.)
Okay, so I loved this one. Much more accessible than The Eternal Philistine, this is a dark, dark story, even without the seedy satire. Youth WIthout God reads more like classic morality tales from Kafka and Camus. It is all the more impressive for its depiction of the heartlessness of the rising Nazi state when one is reminded that it was written before either Germany's annexation of Austria or its invasion of Poland. It's a place where the cruelty of schoolchildren isn't corrected, but encouraged as long as it is in the direction of the scapegoats of the state. Opinions contrary to official propaganda are suppressed and erased. Individual morality and conscience disappear. So where is there room for God?
It would be easy to read this story as simplistic and shallow, because it is so accessible. But there is a lot going on here just under the surface. Mediations on culpability, conviction and man's capacity for evil. A rewarding, but disturbing read. - Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Falls squarely into the "should have cut the first 50 pages" basket. The first few chapters contain some fine polemic ("someone should invent a weapon that nullifies other weapons"), but the book really gets going once our narrator stops looking outward, and starts looking at himself. Despite the fascism, the anomy, the picture of disgusting youth (still relevant), the murder, and the turpitude of the narrator, this is ultimately a kind of farcical comedy: the narrator confesses to his wrongdoing, and that confession itself leads, after some time, to a kind of justice. As befits a man who fled the Nazis to Paris but was killed by a falling tree limb in 1939, the justice is bloody and discomforting, but justice nonetheless. The narrator himself enters a life of penitence, which will make very many contemporary readers very uncomfortable, and not in the silly "art must make us uncomfortable" way--instead, in the "life makes me rather too uncomfortable" way.
Buchvorschau
Jugend ohne Gott - Ödön von Horváth
Inhaltsverzeichnis
Kapitelüberschrift:
Die Neger
Es regnet
Die reichen Plebejer
Das Brot
Die Pest
Das Zeitalter der Fische
der Tormann
Der totale Krieg
Die marschierende Venus
Unkraut
Der verschollene Flieger
Geh heim!
Auf der Suche nach den Idealen der Menschheit
Der römische Hauptmann
Der Dreck
Z und N
Adam und Eva
Verurteilt
Der Mann im Mond
Der vorletzte Tag
Der letzte Tag
Die Mitarbeiter
Mordprozess Z oder N
Schleier
In der Wohnung
Der Kompass
Das Kästchen
Vertrieben aus dem Paradies
Der Fisch
Er beißt nicht an
Fahnen
Einer von Fünf
Der Club greift ein
Zwei Briefe
Herbst
Besuch
Die Endstation
Der Köder
Im Netz
Der N
Das Gespenst
Das Reh
Die anderen Augen
Über den Wassern
Zeittafel
Die Neger
25. März.
Auf meinem Tische stehen Blumen. Lieblich. Ein Geschenk meiner braven Hausfrau, denn heute ist mein Geburtstag.
Aber ich brauche den Tisch und rücke die Blumen beiseite und auch den Brief meiner alten Eltern. Meine Mutter schrieb: »Zu Deinem vierunddreißigsten Geburtstage wünsche ich Dir, mein liebes Kind, das Allerbeste. Gott, der Allmächtige, gebe Dir Gesundheit, Glück und Zufriedenheit!« Und mein Vater schrieb: »Zu Deinem vierunddreißigsten Geburtstage, mein lieber Sohn, wünsche ich Dir alles Gute. Gott, der Allmächtige, gebe Dir Glück, Zufriedenheit und Gesundheit!«
Glück kann man immer brauchen, denke ich mir, und gesund bist du auch, gottlob! Ich klopfe auf Holz. Aber zufrieden? Nein, zufrieden bin ich eigentlich nicht. Doch das ist ja schließlich niemand. Ich setze mich an den Tisch, entkorke eine rote Tinte, mach mir dabei die Finger tintig und ärgere mich darüber. Man sollt endlich mal eine Tinte erfinden, mit der man sich unmöglich tintig machen kann!
Nein, zufrieden bin ich wahrlich nicht.
Denk nicht so dumm, herrsch ich mich an. Du hast doch eine sichere Stellung mit Pensionsberechtigung, und das ist in der heutigen Zeit, wo niemand weiß, ob sich morgen die Erde noch drehen wird, allerhand! Wie viele würden sich sämtliche Finger ablecken, wenn sie an deiner Stelle wären?! Wie gering ist doch der Prozentsatz der Lehramtskandidaten, die wirklich Lehrer werden können! Danke Gott, daß du zum Lehrkörper eines Städtischen Gymnasiums gehörst und daß du also ohne große wirtschaftliche Sorgen alt und blöd werden darfst! Du kannst doch auch hundert Jahre alt werden, vielleicht wirst du sogar mal der älteste Einwohner des Vaterlandes! Dann kommst du an deinem Geburtstag in die Illustrierte, und darunter wird stehen: »Er ist noch bei regem Geiste.« Und das alles mit Pension! Bedenk und versündig dich nicht!
Ich versündige mich nicht und beginne zu arbeiten. Sechsundzwanzig blaue Hefte liegen neben mir, sechsundzwanzig Buben, so um das vierzehnte Jahr herum, hatten gestern in der Geographiestunde einen Aufsatz zu schreiben, ich unterrichte nämlich Geschichte und Geographie.
Draußen scheint noch die Sonne, fein muß es sein im Park! Doch Beruf ist Pflicht, ich korrigiere die Hefte und schreibe in mein Büchlein hinein, wer etwas taugt oder nicht.
Das von der Aufsichtsbehörde vorgeschriebene Thema der Aufsätze lautet: »Warum müssen wir Kolonien haben?« Ja, warum? Nun, lasset uns hören!
Der erste Schüler beginnt mit einem B: er heißt Bauer, mit dem Vornamen Franz. In dieser Klasse gibt's keinen, der mit A beginnt, dafür haben wir aber gleich fünf mit B. Eine Seltenheit, so viele B's bei insgesamt sechsundzwanzig Schülern! Aber zwei B's sind Zwillinge, daher das Ungewöhnliche. Automatisch überfliege ich die Namensliste in meinem Büchlein und stelle fest, daß B nur von S fast erreicht wird – stimmt, vier beginnen mit S, drei mit M, je zwei mit E, G, L und R, je einer mit F, H, N, T, W, Z, während keiner der Buben mit A, C, D, I, O, P, Q, U, V, X, Y beginnt. Nun, Franz Bauer, warum brauchen wir Kolonien? »Wir brauchen die Kolonien«, schreibt er, »weil wir zahlreiche Rohstoffe benötigen, denn ohne Rohstoffe könnten wir unsere hochstehende Industrie nicht ihrem innersten Wesen und Werte nach beschäftigen, was zur unleidlichen Folge hätte, daß der heimische Arbeitsmann wieder arbeitslos werden würde.« Sehr richtig, lieber Bauer! »Es dreht sich zwar nicht um die Arbeiter« – sondern, Bauer? –, »es dreht sich vielmehr um das Volksganze, denn auch der Arbeiter gehört letzten Endes zum Volk.«
Das ist ohne Zweifel letzten Endes eine großartige Entdeckung, geht es mir durch den Sinn, und plötzlich fällt es mir wieder auf, wie häufig in unserer Zeit uralte Weisheiten als erstmalig formulierte Schlagworte serviert werden. Oder war das immer schon so? Ich weiß es nicht.
Jetzt weiß ich nur, daß ich wieder mal sechsundzwanzig Aufsätze durchlesen muß, Aufsätze, die mit schiefen Voraussetzungen falsche Schlußfolgerungen ziehen. Wie schön wärs, wenn sich »schief« und »falsch« aufheben würden, aber sie tuns nicht. Sie wandeln Arm in Arm daher und singen hohle Phrasen. Ich werde mich hüten, als städtischer Beamter, an diesem lieblichen Gesange auch nur die leiseste Kritik zu üben! Wenns auch weh tut, was vermag der einzelne gegen alle? Er kann sich nur heimlich ärgern. Und ich will mich nicht mehr ärgern! Korrigier rasch, du willst noch ins Kino! Was schreibt denn da der N? »Alle Neger sind hinterlistig, feig und faul.« – Zu dumm! Also das streich ich durch! Und ich will schon mit roter Tinte an den Rand schreiben:
»Sinnlose Verallgemeinerung!« – da stocke ich. Aufgepaßt, habe ich denn diesen Satz über die Neger in letzter Zeit nicht schon mal gehört? Wo denn nur? Richtig: er tönte aus dem Lautsprecher im Restaurant und verdarb mir fast den Appetit.
Ich lasse den Satz also stehen, denn was einer im Radio redet, darf kein Lehrer im Schulheft streichen. Und während ich weiterlese, höre ich immer das Radio: es lispelt, es heult, es bellt, es girrt, es droht – und die Zeitungen drucken es nach, und die Kindlein, sie schreiben es ab.
Nun hab ich den Buchstaben T verlassen, und schon kommt Z. Wo bleibt W? Habe ich das Heft verlegt? Nein, der W war ja gestern krank – er hatte sich am Sonntag im Stadion eine Lungenentzündung geholt, stimmt, der Vater hats mir ja schriftlich korrekt mitgeteilt. Armer W! Warum gehst du auch ins Stadion, wenns eisig in Strömen regnet?
Diese Frage könntest du eigentlich auch an dich selbst stellen, fällt es mir ein, denn du warst ja am Sonntag ebenfalls im Stadion und harrtest treu bis zum Schlußpfiff aus, obwohl der Fußball, den die beiden Mannschaften boten, keineswegs hochklassig war. Ja, das Spiel war sogar ausgesprochen langweilig – also: warum bliebst du? Und mit dir dreißigtausend zahlende Zuschauer?
Warum?
Wenn der Rechtsaußen den linken Half überspielt und zentert, wenn der Mittelstürmer den Ball in den leeren Raum vorlegt und der Tormann sich wirft, wenn der Halblinke seine Verteidigung entlastet und ein Flügelspiel forciert, wenn der Verteidiger auf der Torlinie rettet, wenn einer unfair rempelt oder eine ritterliche Geste macht, wenn der Schiedsrichter gut ist oder schwach, parteiisch oder parteilos, dann existiert für den Zuschauer nichts auf der Welt außer dem Fußball, ob die Sonne scheint, obs regnet oder schneit. Dann hat er alles vergessen.
Was »alles«?
Ich muß lächeln: die Neger, wahrscheinlich –
Es regnet
Als ich am nächsten Morgen in das Gymnasium kam und die Treppe zum Lehrerzimmer emporstieg, hörte ich auf dem zweiten Stock einen wüsten Lärm. Ich eilte empor und sah, daß fünf Jungen, und zwar E, G, R, H, T, einen verprügelten, nämlich den F.
»Was fällt euch denn ein?« schrie ich sie an. »Wenn ihr schon glaubt, noch raufen zu müssen wie die Volksschüler, dann rauft doch gefälligst einer gegen einen, aber fünf gegen einen, also das ist eine Feigheit!«
Sie sahen mich verständnislos an, auch der F, über den die fünf hergefallen waren. Sein Kragen war zerrissen.
»Was hat er euch denn getan?« fragte ich weiter, doch die Helden wollten nicht recht heraus mit der Sprache und auch der Verprügelte nicht. Erst allmählich brachte ich es heraus, daß der F den fünfen nichts angetan hatte, sondern im Gegenteil: die fünf hatten ihm seine Buttersemmel gestohlen, nicht, um sie zu essen, sondern nur, damit er keine hat. Sie haben die Semmel durch das Fenster auf den Hof geschmissen.
Ich schaue hinab. Dort liegt sie auf dem grauen Stein. Es regnet noch immer, und die Semmel leuchtet hell herauf.
Und ich denke: vielleicht haben die fünf keine Semmeln, und es ärgert sie, daß der F eine hatte. Doch nein, sie hatten alle ihre Semmeln, und der G sogar zwei. Und ich frage nochmals: »Warum habt ihr das also getan?« Sie wissen es selber nicht. Sie stehen vor mir und grinsen verlegen. Ja, der Mensch dürfte wohl böse sein, und das steht auch schon in der Bibel. Als es aufhörte zu regnen und die Wasser der Sündflut wieder wichen, sagte Gott: »Ich will hinfort nicht mehr die Erde strafen um der Menschen willen, denn das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.«
Hat Gott sein Versprechen gehalten? Ich weiß es noch nicht. Aber ich frage nun nicht mehr, warum sie die Semmel auf den Hof geworfen haben. Ich erkundige mich nur, ob sie es noch nie gehört hätten, daß sich seit Urzeiten her, seit tausend und tausend Jahren, seit dem Beginn der menschlichen Gesittung, immer stärker und stärker ein ungeschriebenes Gesetz herausgebildet hat, ein männliches Gesetz:
Wenn ihr schon rauft, dann raufe nur einer gegen einen! Bleibet immer ritterlich! Und ich wende mich wieder an die fünf und frage: »Schämt ihr euch denn nicht?«
Sie schämen sich nicht. Ich rede eine andere Sprache. Sie sehen mich groß an, nur der Verprügelte lächelt. Er lacht mich aus.
»Schließt das Fenster«, sage ich, »sonst regnets noch herein!« Sie schließen es.
Was wird das für eine Generation? Eine harte oder nur eine rohe? Ich sage kein Wort mehr und gehe ins Lehrerzimmer. Auf der Treppe bleibe ich stehen und lausche: ob sie wohl wieder raufen? Nein, es ist still. Sie wundern sich.
Die reichen Plebejer
Von 10-11 hatte ich Geographie. In dieser Stunde mußte ich die gestern korrigierte Schulaufgabe betreffs der kolonialen Frage drannehmen. Wie bereits erwähnt, hatte man gegen