Lachendes Asien!
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Buchvorschau
Lachendes Asien! - Artur Hermann Landsberger
Saga
Erstes Kapitel
Ehemals kam einem, wenn man in Berlin nach einem guten Frühstück auf die kalte Straße trat, der Gedanke: »wie schön muß es jetzt in Nizza sein!« — und am Abend desselben Tages schlief man dann statt zu Hause im Süd-Expreß, der einen ohne Paß und Zollschwierigkeiten nach dem Süden brachte.
Heute beginnt man im März zu kalkulieren, ob man es ermöglichen wird, im August nach dem Schwarzwald zu fahren, gibt bereits im Juni »unüberwindlicher Schwierigkeiten wegen« die Reise auf und — ärgert sich zu Hause weiter.
Ein guter Freund, der durchaus kein Materialist ist und dem ich erzählte, daß ich als Gast des Lloyd Triestino nach China und Japan fahre, erwiderte, statt von Chinas Göttern und Japans Kunst zu schwärmen: »Sie Glücklicher! auf ein Jahr dem Wohnungsamt und Finanzamt entrückt zu sein!«
Diese unfreie Einstellung ist eine bitterernste Angelegenheit. Sie nimmt den Schwung, ohne den der Mensch des Lebens und der Arbeit nicht froh werden und daher nicht vorwärtskommen kann.
Als die Einladung des Lloyd Triestino kam, rüstete ich gerade nach Massa bei Carrara, um dem Mißvergnügen dieses Winters ein künstliches Ende zu bereiten. Die Umstellung fiel nicht schwer. Wenigstens die innerliche. Man hatte von Japan geträumt. Jahrzehntelang. Als der Krieg kam — nicht erst, als man ihn verlor — begrub man die Hoffnung, daß dieser Traum je Wirklichkeit würde. Rom erschien wieder als Grenze des Erreichbaren. Und nun sollte das Unzulängliche doch Ereignis werden! Halleluja!
Hinsichtlich der äußeren Einstellung gab es zweierlei zu bedenken: Ausrüstung und Begleitung. — Mein Freund, ein alter Afrikaner, in glücklicheren Zeiten Bezirksamtmann in Duala, schleifte mich zu einem Spezialisten, der, glücklich, endlich wieder einen Tropenreisenden einzukleiden, von Kopf bis zu den Zehen meine Maße nahm. Qualvolle Anproben folgten und eine Woche später stand ich vor einem Berg von weißen Anzügen. — »Was ist das?« fragte ich angesichts zweier operettenhaft wirkender Kleidungsstücke und erfuhr, daß es ein weißer Frack und ein weißer Smoking waren. Meine Absicht, einen schwarzen Frack mitzunehmen, begegnete mitleidigem Lächeln, und der Spezialist meinte: »Dann können Sie auch gleich den Fisch mit dem Messer essen!« —
Die zweite Einstellung: die Begleitung. Auf meine Anfrage bei der Generaldirektion des Lloyd in Triest, ob ich für eine »angesichts der langen Reise zweckdienlich erscheinende Begleitung« auf Fahrtermäßigung rechnen könne, bekam ich die etwas undeutliche Antwort: »Falls die Ihnen zweckdienlich erscheinende Begleitung Ihre Gattin ist, die Hälfte; andernfalls —!!!«
Da mir selbst für eine Reise nach China und Japan die Ehe als zu hoher Preis erschien, so entschied ich mich für »andernfalls«.
»Andernfalls« singt heute zum einundsechzigsten Male die Hauptpartie in einer Fallschen Operette. Die Premiere hatte ich über mich ergehen lassen. Ihr Gesang, Tanz und Spiel hatten durchaus auf dem Niveau gestanden, das sich für eine erste Berliner Soubrette gehört. Dementsprechend war auch der Applaus und der Berg von Blumen gewesen, der nach dem zweiten Akt »Andernfalls« für Stunden glauben ließ, eine Künstlerin von Gottes Gnaden zu sein. Jedenfalls sagte sie, als wir später bei Austern und einer Flasche sehr altem Château Olivier dry saßen, mit noch erhitzten Wangen und einem Blick, den ich noch deutlich vor mir sehe:
»Wenn du mich jetzt nicht zur Oper bringst, betrüge ich dich mit einem Konfektionär.«
Mit dieser Drohung glaubte sie, alles bei mir erreichen zu können. Ich erwiderte trocken:
»Gut! Es paßt in mein Programm.«
»Was?« fragte sie erregt. »Der Konfektionär oder die Oper?«
»Beides.«
»Artur!« schrie sie und sprang auf.
Ich reichte ihr die Einladung des Lloyd Triestino.
»Ja — hast du denn den Leuten nicht geschrieben, daß ich ...«
»Welches Interesse hätten sie, zu erfahren, daß ich mit einer Operettendiva ...«
»Ich pfeif’ auf die Operette!« unterbrach sie. Aber ich fuhr unbeirrt fort:
»... die jetzt zur Oper will ...«
»Ich pfeif’ auf die Oper!« brüllte Andernfalls, und, gerührt von soviel Liebe, lenkte ich ein und sagte:
»Du würdest also wirklich, nur um mit mir ...«
Abermals unterbrach sie mich und rief:
»Für Indien opfre ich alles!«
Ernüchtert zog ich die Hand, mit der ich sie eben zu mir ziehen wollte, zurück und sagte:
»Was weißt du denn von Indien?«
Verächtlich sah sie mich an und zählte auf:
»Indische Schals! Indische Seide! Perlen! Smaragde! Rubine! Halbedelsteine! Weiße Elefanten! Maharadschahs! Bonsels ...«
»Was ist denn das?« fragte ich.
»Ich weiß nicht. Aber jedenfalls auch etwas, was mit Indien zusammenhängt. Und da ich mir schon längst in den Kopf gesetzt habe, alles das endlich einmal mit eignen Augen zu sehen, so fahre ich mit! — Ueberhaupt« — und jetzt trat sie nahe an mich heran und legte ihre Hände auf meine Schulter: »wo wir uns doch so lieb haben!«
Sie umschlang mich, und ein paar Minuten später baten wir ihren Direktor telephonisch, doch an unserer intimen Siegesfeier teilzunehmen. Nach der dritten Flasche Olivier eröffnete ich ihm, daß ich in wichtigen Staatsgeschäften nach Japan müsse, ohne »Andernfalls« aber außerstande sei, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Daß das Interesse des Vaterlandes also von ihr die Selbstentäußerung verlange, auf ihre allabendlichen Triumphe zu verzichten und mich zu begleiten — und von ihm, als strammen Republikaner, das Opfer, sie freizugeben und für einen Ersatz zu sorgen.
Ein schwacher Widerstand wurde gebrochen, und so wurde die Premierenfeier zugleich das Abschiedsessen, zu dem wir immer neue Freunde aus ihren Stammlokalen herbeiriefen.
Als ich Andernfalls gegen Morgen nach Hause fuhr, lag sie im Halbschlaf und träumte von Indien:
»Berge so hoch wie in der Schweiz,« phantasierte sie. »Von unten bis oben besetzt mit Edelsteinen. Maharadschahs mit Augen, die schimmern wie Smaragde, reiten auf weißen Elefanten zum Gipfel, auf dem die Nautschgirls, nur in weiße Seidenschals gehüllt, tanzen.«
»Und wo bleibt Bonsels?« fragte ich.
»Der träumt,« hauchte Andernfalls und schlief ein. — Aber am nächsten Tage!
Am nächsten Tage begann Andernfalls »sich für die Reise vorzubereiten«. — So nannte sie’s. Und ich war arglos genug und dachte, sie würde die kurze Zeit nutzen, sich in der englischen Sprache zu vervollkommnen.
»Zu wem gehst du?« fragte ich.
Andernfalls zog einen Zettel aus der Tasche, auf dem die Namen von fünf Modesalons, vier Wäschemagazinen, drei Strumpf- und Handschuhläden, zwei Maßschustern, einer Korsettiere und drei Parfümerien standen.
»Dein Scheckbuch, bitte!« sagte sie.
»Aber Kind,« erwiderte ich, »alles das kaufst du in Asien doch für die Hälfte.«
»Soll ich bis dahin nackend gehen?«
»Gehst du hier nackend?« fragte ich.
»Du bist stillos!« schalt sie. »Berlin ist nicht Italien. Italien nicht Afrika. Afrika nicht Asien. Und auf dem Schiff läuft man auch nicht wie auf dem Kurfürstendamm herum.«
Wo hatte Andernfalls sich in so kurzer Zeit orientiert? Sie, die nicht wußte, ob Moskau nördlich oder südlich von Berlin lag und noch vor ein paar Monaten zu einem Operettengastspiel nach Amsterdam auf dem nächsten Wege über Paris fahren wollte, kannte plötzlich den Seeweg nach Indien!
Der Wahrheit die Ehre! Bei einem Vergleich meiner Reisevorbereitungen mit denen von Andernfalls, der nach Verlauf von vierzehn Tagen erfolgte, schnitt ich, war ich ehrlich gegen mich selbst, miserabel ab.
Die Modenschau, verbunden mit dem endgültigen Abschiedssouper, die Andernfalls in engstem Kreise bei sich veranstaltete, war so einzigartig und verblüffend, daß Selbstvorwürfe und letzte Reue über meinen Entschluß, sie mitzunehmen, schwanden. Wieviel Geschmack, Takt, Phantasie, Sinn für Farben, Empfindsamkeit und Instinkt für Milieus, die sie doch nur ahnte, kam hier ans Licht! Wieviel Schöpferisches war hier geleistet! — Ich hingegen hatte die Zeit damit verbracht, aus unzähligen Werken den Weg zu Chinas Göttern und Japans Kunst zu finden, sowie mir im Verkehr mit Chinesen und Japanern die notwendigen Verbindungen nach Asien zu schaffen.
Etwa ein Dutzend Visa benötigten wir. Als Grund meiner Reise gab ich an: Studienzwecke. »Und die Dame?« fragten eifrige Konsulatsbeamte. »Begleitet mich!« gab ich zur Antwort, die meist genügte. Nur der österreichische Beamte, obschon es nur ein Transitvisum für die Eisenbahnfahrt von ein paar Stunden war, schürfte weiter: »Zu welchem Zweck?« — Andernfalls zeigte ihren photographischen Apparat, und als er weiter fragte: »Was ist das?« erwiderte sie: »Eine Schreibmaschine; und wenn es Sie beruhigt, setze ich mir auch noch eine Brille auf.« Daraufhin fragte er nichts mehr.
Am Vorabend unserer Abreise kam Andernfalls plötzlich auf den Gedanken, ihre Dreizimmer-Wohnung für die Dauer ihrer Abwesenheit zu vermieten. Es war als Ueberraschung für mich gedacht.
»Denn«, sagte sie, »gern tue ich es nicht. Aber da du doch soviel Anschaffungen für die Reise machen mußtest, so wollte ich dich ein wenig entlasten.«
»Kind,« beruhigte ich sie und wies auf ihren Berg von Koffern, »damit holen wir noch nicht die Kosten für die Fracht bis Triest heraus.«
»Siehst du!« rief sie freudig, »das habe ich mir auch gesagt. Und da die Emmy doch für mich in der Operette einspringt ...«
»Zu so einer Rolle wäre sie sonst nie gekommen.«
»Gewiß! aber mein Gewissen beruhigt es doch, daß ...« — sie zögerte.
»Nun?« sagte ich, und sie fuhr fort:
»Sieh mal, wenn eine einspränge, die mehr kann als ich.«
»Darum also das Gefühl der Dankbarkeit.«
»Es hätte meine Reisefreude zum mindesten nicht erhöht.«
»Sie wird also bei dir wohnen?«
»Ja! — Besser, man weiß, wen man bei sich hat, und zahlt die paar Mark Miete weiter.«
»Das also ist deine Ueberraschung?«
»Du hast doch selbst eben gesagt, es käme noch nicht einmal die Fracht für die Koffer dabei heraus.«
»Gewiß! das habe ich gesagt. Nur hätte man dann am Ende besser getan, die Wohnung abzuschließen ...«
»Du machst es einem wirklich schwer. Will man dir schon mal eine Freude machen ...«
»Du hast recht, ich bin undankbar. Hast du sonst noch irgendeinen Wunsch?«
»In einem Fenster in der Budapesterstraße steht ein Hut — ich glaube, wenn du den siehst ...«
Ich sah nach der Uhr und sagte:
»Schade! Fünf vor sieben. Vor einer Viertelstunde können wir nicht da sein.«
Andernfalls setzte ihr allerliebstes Lächeln auf:
»Ich habe, kurz ehe du kamst, telephoniert,« sagte sie verschmitzt. »Sie schließen nicht — es sei denn, ich telephoniere ab.«
»Wie konntest du wissen, daß ich ...?«
»Aber!« sagte sie zärtlich. »Ich wußte doch, wenn ich dir die Geschichte von der Wohnung erzähle, daß ich die Absicht hatte, dir zuliebe ...«
Als wir den Modesalon betraten, kam uns die Inhaberin des Salons mit je einem Hut in der Hand entgegen:
»Gut, daß Sie da sind!« rief sie erregt. »Sie glauben gar nicht, was für Mühe ich hatte, die beiden Hüte für Sie aufzubewahren. Ein halbes Dutzend Damen, darunter zwei Ihrer Kolleginnen, wollten sie mir förmlich aus dem Fenster reißen.«
»Hörst du?« wandte sich Andernfalls an mich.
»Aber da es eine Ueberraschung für den Herrn Doktor sein sollte ...«
»Ich muß dir sagen, die ist gelungen,« erwiderte ich.
Andernfalls probierte auf.
»Es ist ein Pech für dich, daß mir jeder Hut steht,« sagte sie. »Aber entscheide selbst.«
Ich entschied mich für den, den sie grade auf dem Kopf hatte.
»Aber!« widersprach die Dame des Salons. »Sie werden doch nicht wollen, daß eine Kollegin ...«
»Fräulein Andernfalls wird sich nach unserer Rückkehr der Oper zuwenden,« parierte ich.
»Da werden Herr Doktor künftighin soviel für Toiletten sparen, daß Sie diesen Hut noch auf das Konto Operette buchen können.«
»Gib schon nach!« vermittelte Andernfalls. »Denk doch, was das Auto kostet, wenn wir uns so lange hier aufhalten.«
»Immer aufs Sparen bedacht!« sagte die Dame des Salons, während Andernfalls mir eine Huttüte in den Arm schob und mit der andern hastig in das Auto eilte.
Am Abend des nächsten Tages standen wir an dem Fenster unseres Schlafwagens und erwiderten die Grüße guter Freunde und Freundinnen, die teils gern, teils weniger gern auf einige Monate von uns Abschied nahmen. Und als der Vorsteher endlich das Zeichen zur Abfahrt gab — es wird auch von klugen Leuten nie dümmeres Zeug gesprochen als während der letzten Minuten vor Abfahrt eines Zuges — atmete ich auf und sagte:
»Gott sei Dank!«
»Es ist nicht einer darunter, der uns diese Reise gönnt,« erwiderte Andernfalls.
Als gleich darauf der Zug sich in Bewegung setzte, waren wir innerlich schon ganz von denen da draußen abgerückt. Mechanisch winkten wir noch Abschied, bis der Zug aus der Halle war. Dann aber, als Berlin hinter uns lag, ergriff uns das Gefühl, auf Monate losgelöst von allen Pflichten und Gebundenheiten, frei, ganz frei zu sein, so stark, daß wir uns schluchzend in die Arme fielen, um gleich darauf laut aufzulachen wie die Kinder.
Am nächsten Morgen: München, in dem ich, der ewige Student seit 1896, jährlich ein paar Wochen der Erinnerung lebte; ohne den sachlichen Ernst des Nordens schon mit leisem Anflug südlicher Fröhlichkeit — München, diesmal ohne Wärme, sachlich, stur. Die Studenten, einst beschwingt von Bacchus, ganz den süßen Mädeln hingegeben, diesmal erdenschwer, wichtig, feierlich, das Hakenkreuz im Knopfloch. — Detlev! Otto Erich! Otto Julius! wohl euch, daß ihr dies München nicht erlebtet!! Arme, süße Mädel! bedauernswerter Bacchus!
In aller Frühe südwärts. Ueber Salzburg und das verschneite Gastein nach Triest. Sonne! liebe Sonne! Lachende Menschen! Zwei glückliche Tage! Mascagni dirigiert in der Opera Verdi. Tausend Herzen schwingen mit. Man spricht italienisch und der Italiener antwortet auf deutsch und lächelt freundlich. Man wird von einem alten Freund bewirtet. Bei Grancevola — wie lange hat man sie entbehrt! — und Lacrimae Christi spricht man von allem — nur vom Kriege nicht. Der Polizeikommissar prüft die Pässe. Nach Japan. Sein Interesse erwacht. Die Unterhaltung ist im Gange. Er geleitet uns hinaus, drückt uns die Hand und gibt gute Wünsche für die Reise mit. Der Polizeikommissar! Halleluja!
Am Spätnachmittag steigen wir auf das Schiff. Zwecks Besichtigung. Man will doch sehen, wie man die nächsten Wochen über untergebracht ist. Andernfalls erwartete ein Hotel. So wie sie es von den Prospekten der großen Schifffahrtslinien her kannte. Salondampfer, die von Hamburg und Bremen nach New York fahren. Eine große Halle, Schwimmbassin, Lift und was ihre Bühnenphantasie sonst hinzudichtete. Was sie fand, war ein Sechstausend-Tons-Dampfer, auf dem die Ladung eine sehr viel wichtigere Rolle spielt als der Passagier. Ihre Kabine, als Unterstellraum für ihre Koffer, wenn auch zu klein, so doch diskutabel. Als Schlaf- und Wohnraum eine Angelegenheit, über die sie so herzlich lachte, daß der Obersteward, um sie zu beruhigen, meinte:
»Ich werde mein Möglichstes tun, daß die gnädige Frau allein in der Kabine bleiben.«
Da warf sich Andernfalls mir an den Hals und rief, während ihr vor Lachen dicke Tränen über die Wangen liefen:
»Halt mich. Ich kann nicht mehr! — Wenn ich gewußt hätte, daß man auf einer Reise nach Asien so viel lacht.«
»Wärst du dann zu Haus geblieben?« fragte ich.
»Aber nein!« widersprach sie lebhaft. »Wenn die Portionen bei den Mahlzeiten dementsprechend sind, komme ich wie eine Lilie nach Hause.«
Und als sie sich ein wenig beruhigt hatte, fragte sie noch immer lachend den Maestro:
»Sagen Sie, wieviel Passagiere kann man in so eine Kiste verpacken, ohne daß sie ersticken?«
»Das kommt auf die Temperatur an, die wir in den Tropen haben,« erwiderte der. »Gnädige Frau können Hitze gut vertragen?«
»Was nennen Sie Hitze?«
»Etwa 35—40 Grad.«
»In der Sonne natürlich?«
»In der Nacht.«
»Wie denn ...? — Ja, womit messen Sie?«
»Nach Celsius.«
»Allmächtiger!«
»Ziehst du es nicht doch vor, in Europa zu bleiben?« fragte ich.
»Wo wir in Deutschland seit Jahren um den Sommer betrogen werden? Und ich Wäsche und Kleider habe, in denen man überhaupt nicht spürt, daß man etwas anhat.«
Andernfalls tastete die Wände vergebens nach einem Schrank ab, in dem sie wenigstens die empfindlichsten Kleider unterzubringen gedachte, sie suchte für Schuhe und Wäsche vergebens nach einer Kommode, stellte fest, daß die Tür der Kabine zu schmal war, um den Schrankkoffer, der bei diesen Versuchen immer wieder von oben nach unten gekehrt wurde, hineinzuschaffen, und fragte schließlich den Maestro, ob es nicht möglich sei, bis zur Abfahrt am nächsten Abend noch bauliche Veränderungen auf dem Schiffe vorzunehmen.
Der erste Offizier und der Commissario des Schiffes wurden hinzugezogen. Im Speisezimmer fanden gleich darauf Verhandlungen statt. Ein ausgezeichneter Chianti und Andernfalls’ gute Laune erzeugten bald eine Fröhlichkeit, in der Offizier, Commissario und Maestro wetteiferten, ihre Kabinen für Andernfalls’ Reisebedarf zur Verfügung zu stellen.
Andernfalls akzeptierte sie sämtlich. Sie verteilte auch gleich die Rollen. Der erste Offizier wurde im Nebenamt Kleiderverweser, der Commissario hatte für die Unterbringung der Hüte und Wäsche, der Maestro für die tausendundein »petit riens« zu sorgen. Sie erhielten genaue Instruktionen, um während der Fahrt der Stewardesse die richtigen Gegenstände auszuhändigen.
Meinen Einwand: »Wenn jeder weibliche Passagier soviel Umstände machte«, ergänzte Andernfalls:
»So würde man sehr bald bessere Schiffe bauen,« während der Hut- und Wäscheverweser, der von nun ab nur noch im Nebenamte Commissario war, meinte: »Ich wünschte, wir hätten öfter Passagiere, für die wir so gern wie in diesem Falle ein kleines Opfer bringen.« — Und während der Maestro und die Stewardesse bis tief in die Nacht hinein Andernfalls’ Sachen unterbrachten, feierten wir mit dem Offizier und dem Commissario in der Stadt den Abschied von Europa.
Vierundzwanzig Stunden später sticht das Schiff in See. An Bord außer uns ein Auslandsdeutscher aus China und ein junger Russe, der in Chemnitz mit einem Deutschen assoziiert ist und nun nach Ceylon und Bombay fährt, um — hört zu! — in Chemnitz fabrizierte seidene Schals an indische Handelshäuser zu verkaufen! Andernfalls ist entsetzt. Der indische Seidenschal, dem sie mit derselben Ungeduld entgegenzitterte wie ich der Bodhisattva, ist entthront.
Der nächste Morgen Venedig! In Sonne getaucht. Wir halten einen Tag. Auf dem Markusplatz — in den Augen der südlichen Friedrichstadt Berlins »eine bessere Filmangelegenheit« — wimmelt’s von den vom Publikum heilig gehaltenen Tauben und den weniger heiligen Täubchen, die, auf der Hochzeitsreise, noch girren und nicht ahnen lassen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.
Zweites Kapitel
In Brindisi, das im Regen hingeklatscht wie ein großer Klecks dalag, füllte sich am übernächsten Tag das Schiff. Ein italienischer Hauptmann, der nach Massaua in Afrika versetzt ist — Neugier, die an Bord neben der Langeweile Triumphe feiert, sucht die Ursache zu ergründen —, sieben junge Nonnen aus Neapel, ein Franziskanerpater mit schwarzem Vollbart, ein belgischer Priester und Arzt, der schon fünfzehn Jahre als Missionar in China wirkt und Chinesisch wie seine Muttersprache spricht, ein Engländer und ein Amerikaner, die wir ebenfalls für Missionare halten, und außerdem ein paar indifferente Menschen, an denen einem höchstens auffällt, daß sie auffallen möchten. Sie sind auf ein falsches Schiff, in falsche Gesellschaft geraten. Was können sie hier erleben? Die Nonnen beten und lernen Chinesisch. Sie sind dabei lustig und überhören sich gegenseitig. Sie singen — nicht nur geistliche Lieder —, aber an Toiletten, auf die es den Indifferenten ankommt — ach, du lieber Gott — bieten sie nichts. Man hat ja wohl den Wunsch, diese feinen schmalen Gesichter auch einmal in anderer Umrahmung zu sehen. Aber zu Himmel und Meer paßt diese schlichte Natürlichkeit doch wohl besser als die raffinierten Dekolletées, mit denen die Indifferenten sich überbieten. Das empfindet auch Andernfalls. Obschon der erste Offizier ihr versichert, daß ihre Kleider nach Mitternacht Tänze in seiner Kabine aufführen und ihm unruhige Nächte bereiten — ich glaube das —, hält doch Scheu vor der Wucht, mit der Himmel und Meer sich ihr erschließen, und natürlicher Takt gegenüber den Schwestern sie zurück, sich zu putzen. Ja, ich stelle mit Vergnügen fest: die Dekolletees gehen ihr auf die Nerven. Begreiflich. Sie sprechen jetzt nicht nur über Mode und Margueritte, den sie »mondäner« als Maupassant finden (man sieht, auch das weibliche Gehirn der Sieger hat unter dem Kriege gelitten), sie machen — Allmächtiger! — auch in Politik und schwärmen — diese indifferenten Dekolletées aus New York, Chicago, Philadelphia, Budapest, Rom und Paris — für Lenin! — »Ein Mann endlich!« phantasieren sie. »Alle unsere Politiker sind ja nur Puppen.« — Und die perlenübersäte Amerikanerin fügt hinzu: »Und vor allem ein Herz für die Armen! Sehen Sie nur, wie entsetzlich!« — Während sie das sagt, beäugt sie durch die goldene Lorgnette ungeniert die armseligen Passagiere im Zwischendeck. Zusammengepfercht wie das Vieh Männer, Frauen, Kinder, die ohne ein Zelt über dem Kopf im Freien nächtigen. Ein unterhaltsames Schauspiel während des Desserts. Sie löst behutsam, um sich die gepflegten Finger nicht zu beschmutzen, von einer schweren blauen Traube Beere um Beere. Angestoßene oder nicht ganz reife wirft sie denen da unten zu und lacht hellauf, wenn Männer, Frauen und Kinder die Arme strecken, danach greifen, stürzen und sich wie ein zusammengeballtes Knäuel am Boden winden. Der Herr Gemahl, die schwarze Sumatra zwischen den Goldzähnen, überbietet die Gattin und wirft italienisches Kupfer. — Andernfalls steht abseits; mit geröteten Wangen; empört über diese Amerikaner, deren Beispiel Landsleute aus Chicago und Philadelphia folgen. Ich trete an Andernfalls heran und nehme ihre Hand.
»Pack!« sagt sie, und ich habe Mühe, sie zurückzuhalten.
Schon an diesem