Über dieses E-Book
So geht es der 49-jährigen Radiomoderatorin Maike, als sie von heute auf morgen ihren Job verliert. Mit dem Wunsch nach mehr im Leben und dem fünfzigsten Geburtstag vor Augen beschließt sie, ihr Leben umzukrempeln. Eine Nachricht von ihrer alten Liebe bringt ihre Pläne ins Rollen und sie begibt sich nach Wrightfield, einer malerischen Kleinstadt an der Küste Englands, wo sie einst Paul begegnete.
Mittellos, alleine, ohne Job und Bleibe, startet Maike die Suche zu sich selbst und nach ihrer großen Liebe. Ein Selbstfindungsroman mit Herz.
Daniela Recht
Daniela Recht kommt aus München und »Spätaufbruch« ist ihr Debütroman. Die Handlung spielt in der fiktiven Stadt Wrightfield an der Küste Englands. Nach fünf Jahren Aufenthalt in Irland lebt die Autorin heute mit ihrer Familie in Südengland.
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Rezensionen für Spätaufbruch
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Spätaufbruch - Daniela Recht
1
München, 7. Oktober 2022
Nicht einmal die Aussicht auf die Schnupperstunde hebt meine Laune. Normalerweise das Highlight nach getaner Arbeit.
Wie gewöhnlich fährt um diese Zeit kaum ein Auto auf der Straße und normalerweise genieße ich diese Stille. Doch heute macht sie mich hibbelig und ich trommele mit den Fingern meiner rechten Hand auf das Lenkrad.
Mach schon, werd endlich Grün. Ich greife nach dem Softeis, das ich mir vom Mc Drive geholt habe, und schlecke trotzig wie ein Kind daran. Das kann er mir nicht vermiesen. Als die Ampel umschaltet, stelle ich es hastig wieder in den Getränkehalter. Säße mein neuer Chef in diesem Augenblick neben mir, würde ich ihm das Eis mitsamt der Schokosoße ins Gesicht schmieren. Dabei bin ich sonst ein wirklich friedliebender Mensch.
Ganz nebenbei hat er mir heute das Aus meiner Sendung mitgeteilt! Einfach so. Jahrelang habe ich mir für diesen Sender die Nächte um die Ohren geschlagen, bin tagein, tagaus, oft auch samstags und sonntags vor Mitternacht dort eingetrudelt und habe meistens pünktlich um zwölf Uhr den Aufnahmeknopf gedrückt. Das ist der Dank dafür.
Am liebsten würde ich schreien, so wütend bin ich. Stattdessen schalte ich mechanisch das Radio an. Was könnte ich auch sonst in diesem Moment machen, mitten in der Nacht, fast mutterseelenallein auf der Straße.
»Liebe Nachteulen«, höre ich die bekannte Stimme, »wie immer begrüße ich euch ganz herzlich zu unserer Schnupperstunde der Philosophie! Ich bin Lukas und das ist mein Kollege Alex …«
»Moin da draußen.«
»Wir beide sind Moderatoren vom NDR und wollen heute ein bisschen über das Alter quatschen …«
Auch das noch! Jetzt erinnern mich die beiden Männer auch noch daran, dass ich nicht nur mein Leben vergeigt habe, sondern auch steinalt bin. Die haben doch gar keine Ahnung. Als ob dieser Tag nicht schon schlimm genug wäre! In zwei Monaten werde ich fünfzig, ich könnte heulen! Mit ein bisschen Glück bekomme ich vielleicht noch eine Radiosendung um zwei Uhr morgens ab und unterhalte mich dann mit meinen Gästinnen, wie wir heute in der Medienbranche zu sagen pflegen, über die Menopause. Statt Primetime: Ich und die Ü-50. Rosige Aussichten!
»Ein Kumpel von mir würde gern nach einer echt harten Zeit einen kompletten Neuanfang wagen. In Australien. Jetzt ist es aber seit ein paar Jahren etwas komplizierter, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, wenn man älter als fünfundvierzig ist. Er ist achtundvierzig. Er hat mir erzählt, es gebe zwar immer noch Optionen für ihn auszuwandern. Lange Rede, kurzer Sinn: In seinem Alter ist es viel schwieriger als mit zwanzig oder dreißig, und mittlerweile bereut er, dass er das nicht früher gemacht hat. Das Gespräch hat mich nachdenklich gestimmt. Denn es stimmt schon. Mit dreißig kann man locker einen ganz neuen Weg einschlagen. Anfang vierzig geht’s auch noch. Aber ab Mitte vierzig, Anfang fünfzig ist das hart. Dein Leben ist dann mehr oder wenig das, was du bis dahin daraus gemacht hast. Ein gewaltiger Gedanke, oder, Alex?«
Idiot. Halt einfach den Schnabel.
»Das ist wahr. Wir beide sind immerhin über fünfzig.« Aber mit ‘ner Sendung!
»Ich habe Glück. Ich mag mein Leben, so wie es ist. Doch ich stelle mir vor, dass nicht jeder das behaupten kann. Viele stecken in einem langweiligen Job oder einer lieblosen Partnerschaft fest und versuchen, ihrem Leben eine Wende zu geben. Aber nochmal, irgendwann ist es zu spät dafür. Irgendwann musst du das Leben leben, das du hast und es gibt kein Zurück.«
Wumms. Das sitzt. Lukas spricht genau das aus, was mir immer bewusst war. Aber es so deutlich zu hören, schmerzt. Mir bleiben nur wenige Wochen bis zu meinem Geburtstag. Wenn ich nicht als unglückliche Schachtel enden will, muss ich jetzt etwas ändern.
Genug von diesem Gespräch. Ich schalte das Radio ab und blicke konzentriert auf die Straße. Meine Gedanken kreisen umher. Ich fahre die Auffahrt hinauf, sehe das Licht im Wohnzimmer brennen, das Torsten wahrscheinlich wieder einmal vergessen hat auszumachen, und parke das Auto. Ich steige aus und mit hängendem Kopf bewege ich mich zur Tür. Normalerweise suche ich bei ihm Trost, wenn es mir nicht gut geht. Aber was soll ich ihm erzählen? Dass ich mich alt und nutzlos fühle? Dass ich nichts aus meinem Leben gemacht habe?
Torsten würde mich in den Arm nehmen, mir versichern, dass alles gut gehen würde, und scherzhaft sagen, dass ich von nun an nur seine Muse zu sein und mir keine Sorgen zu machen bräuchte. Ich sperre die Tür auf und tapse hinein. Ich seufze erleichtert auf, als ich feststelle, dass er bereits schläft.
2
München - Berlin, 9. Oktober 2022
Mit Brummschädel sitze ich im Zug und schaue aus dem Fenster. Der Münchner Hauptbahnhof ist nicht gerade ein Lichtblick. Der Himmel ist trüb, leichter Regen fällt. Eine Mutter winkt ihren Teenage-Kindern zu, die gerade eingestiegen sind. Ich trage eine Sonnenbrille, die den Rest meines Gesichts nur noch erahnen lässt, und weiß, wie albern das im Oktober aussieht. Es ist mir egal, alles ist mir egal.
Wenn Susi mich nicht fünfmal angerufen und darauf bestanden hätte, dass ich zu ihrer Geburtstagsfeier komme, läge ich noch im Bett. Aber es ist ihr Fünfzigster. Sie hat sogar damit gedroht, bei meinem Ausbleiben die Party abzublasen.
»Ohne meine beste Freundin geht das nicht!«, hat sie ins Telefon gebrüllt. Es ist nicht so, dass in München viel auf mich wartet. Doch: Das Timing könnte nicht schlechter sein. Alle auf der Party mit Job, Mann, Frau und Kindern werden mich fragen: Und, was machst du so?
Ich mochte diese Frage noch nie, aber im Augenblick ist sie ein klarer Beweis für mein klägliches Scheitern im Leben. Offiziell habe ich noch eine Woche lang eine Arbeit, aber ich gehe nicht mehr dorthin. Wie ferngesteuert habe ich meine paar Habseligkeiten im Studio eingepackt und mich klammheimlich aus dem Staub gemacht. Ciao. Adios. Ohne Abschiedsfeier.
Ein Mann im Anzug, Ende fünfzig, kommt mit einem Aktenkoffer ins Abteil. Alle fünf Plätze sind frei, er setzt sich gegenüber von mir. Gut, dass er meinen Gesichtsausdruck nicht sieht. Er nickt mir zu, zieht seinen Mantel und Hut aus und legt beides mitsamt Koffer neben sich. Dann ertönt ein Warnsignal, es rumpelt. Die Türen schließen sich und der Zug setzt sich in Bewegung. Zuerst langsam, dann nimmt er an Geschwindigkeit zu.
Ich sitze im Zug nie lange still. Quetsche mich meistens im engen Flur an anderen Passagieren vorbei, um im Speisewagen eine Kleinigkeit zu essen und mit anderen Reisenden zu quatschen. Doch heute lässt mich meine Frohnatur im Stich und ich hänge meinen Gedanken nach, die mir nur trübe Bilder bescheren. Die Zahl fünfzig dabei im Kopf. Was kann ich in wenigen Wochen ändern?
»I am sorry to bother you. Do you speak English?« Mein Gegenüber schaut mich hilfesuchend an. Ich nicke. »Could you help me with this email, please? Meine Deutsch is schrecklich.« Er lacht nervös. Er zeigt mir einen Text auf seinem Laptop und bittet mich, ihn ins Englische zu übersetzen. In ein paar Worten erkläre ich ihm den Inhalt und seine Augen leuchten auf. Er bedankt sich bei mir.
»My company is working with German clients you know but ich verstehe keine Wort.« Er lacht wieder. Dieses Mal ist es ein erleichtertes Lachen. Ich frage ihn, woher er kommt.
»Wrightfield. It’s a small town near London.«
»I lived there for a year!« Meine Stimme überschlägt sich und ich erzähle ihm von meinem Erasmusjahr.
»Deine Englisch is wunderbar.« Er sagt tatsächlich das deutsche Wort wunderbar und ein Lächeln stiehlt sich auf meinem Mund.
Darren, wie er sich mir vorstellt, lädt mich als Dank für meine Übersetzungshilfe in den Speisewagen ein. Er bestellt einen schwarzen Kaffee und spendiert mir ein kontinentales Frühstück, Milchkaffee und Croissant. Mampfend lausche ich seinem Akzent. Wie gerne ich diese Sprache höre und mich auf Englisch unterhalte. Ich habe das ganz vergessen. Meine Kopfschmerzen verfliegen.
Der Engländer erzählt lustige Anekdoten von seinen Reisen quer durch Deutschland und wie er sich meistens aufgrund von Sprachmissverständnissen blamiert. Mir gefällt seine Selbstironie und ich denke an meine Zeit in Wrightfield zurück. Wie freundlich diese Begegnungen waren. Wie glücklich ich damals dort war.
Kurz vor Leipzig - wir sind wieder im Zugabteil - steht er auf, drückt mir ganz Old School seine Visitenkarte in die Hand, falls ich mich doch einmal in der Nähe von London aufhalten sollte. Wir schütteln uns die Hand und er zückt seinen Hut, bevor er aus dem Zug steigt. »Hat mich sehr gefreut, Maike.« Er winkt mir zu und macht kehrt.
Zurück bleibe ich mit meinen Gedanken. Wie lange ist meine Reise nach England her? Ich blicke aus dem Fenster, sehe Kelly vor mir mit ihren roten Locken, den kleinen Patrick mit der Zahnlücke, den pummeligen Ross, der immer eine Zigarette in der Hand hielt und Paul - meinen Paul. Es war Herbst so wie jetzt. Was er wohl heute macht? Wieso habe ich nicht mehr an ihn gedacht?
3
Wrightfield, 15. Oktober 1992
Kelly und ich hasten durch den Korridor der Universität. Kellys Absätze klacken laut. Der Flur zieht sich und wir laufen an einem Raum nach dem anderen vorbei. Dann bleibt sie abrupt stehen und deutet mit einem Handzeichen, dass wir in diese Tür rein müssen. Alle sitzen bereits und starren uns an. Kelly setzt sich und ich nehme neben meiner neuen Freundin Platz. Mr Lewis begrüßt uns und kommentiert prompt unser Zuspätkommen. Ob wir, wo wir herkämen, machen könnten, was wir wollten. Zum Glück geht er nicht weiter darauf ein.
Er sieht aus wie Mr Bean. Ich flüstere Kelly das zu und sie kichert. Der Dozent blickt mich an. Ich sollte jetzt lieber die Klappe halten, ermahne ich mich selbst. Doch ich bin so aufgeregt. Mein erstes Seminar in England! Stolz nehme ich den Stift zur Hand und notiere mir alles, was auf dem Diaprojektor steht. Es geht um irgendwelche neuen Forschungsansätze in der Theaterwissenschaft. Nie davon gehört. Mein Blick schweift durch den Raum. Der Hörsaal ist kleiner als in Berlin und moderner. Auch gehen die Plätze nicht stufenartig nach oben, sondern sind auf demselben Level angeordnet. Ich schreibe immer wieder ein paar Wörter, schaue auf und beobachte die anderen mit einem Dauergrinsen auf meinem Gesicht.
Die fünfundvierzig Minuten vergehen wie im Fluge. Mr Lewis schaltet den Projektor aus und weist uns am Ende darauf hin, dass wir die Theatergruppe besuchen sollten. »Das ist eine ausgezeichnete Gelegenheit für euch, Praxis zum doch sehr theoretischen Studiengang zu erhalten.« Er schaut in die Runde und fügt hinzu: »Und es macht Spaß.«
Kelly verzieht das Gesicht. Ich hingegen kritzele die Zahlen drei vier fünf auf mein Blatt. In diesem Raum trifft sich die Theatergruppe heute Nachmittag. Nach meinem Stundenplan habe ich Englisch als Nächstes - eine Veranstaltung nur für Erasmus-Studierende.
»Den sollte ich auch besuchen«, witzelt Kelly und versucht, den englischen Akzent von Mr Lewis zu imitieren. Ihr Australisch kommt durch. Wir lachen. Sie klingt einfach zu komisch. Dann gibt sie mir ein Küsschen auf die Wange und stakst davon. Ihre kurzen roten Locken hüpfen dabei hin und her, während der lange grüne Mantel sanft in der Bewegung mitschwingt.
Ich verlasse das Universitätsgebäude und überquere die Straße. Die Sprachenschule liegt gegenüber. Victorian English Institute steht vorne in goldenen, fetten Buchstaben auf dem Schild. Dort findet der Unterricht statt. Ich öffne die massive Tür und erblicke einen großen schlanken Typen an der Rezeption. Gerade als ich mich in dem beeindruckenden viktorianischen Gebäude umsehe, höre ich seine Stimme. Sie ist auffallend freundlich und weich und ich mag seinen Londoner Akzent.
»Ich bin Paul. Woher kommst du?«, fragt er.
»Aus Berlin.«
»Ein Berliner Mädchen, so, so«, sagt Paul und lächelt.
»Wunderbar.« Er spricht das Wort auf Deutsch aus. Wie er es sagt, klingt es niedlich.
Die wenigen Sommersprossen auf seinem schmalen Gesicht gefallen mir. Er führt mich zu den anderen in einen Raum mit zwei großen Fenstern und einer hohen Decke, die mit kunstvollen Stuckverzierungen geschmückt ist. Alle starren mich von ihren Holztischen und Stühlen aus an. Wieder einmal bin ich die Letzte. Ich hebe meine Hand zur Begrüßung und setze mich flink auf den einzigen freien Platz neben der Tür. Paul zwinkert mir zu, bevor er das Zimmer verlässt. Ich mag ihn sofort. Mit Susi habe ich mich oft darüber unterhalten, dass es nur Sekunden braucht, um zu entscheiden, ob man jemanden mag oder nicht. Die Englischlehrerin mag ich nicht. Nachdem sie fragt, wer ich bin und woher ich komme, sagt sie trocken: »Ich dachte, dass alle Deutschen pünktlich seien.« Die anderen lachen.
»Gut, dass ich hier bin, um ein paar Klischees aus dem Weg zu räumen.« Erneut wird gelacht. Ich ziehe meine Mundwinkel nach oben und gebe mein bestes Lächeln. Durch die Hornbrille sieht sie mich mit einem prüfenden Blick an und sagt: »Keck bist du - das muss man dir lassen.«
Sie fordert uns auf, unsere Bücher hervorzuholen, und wir beginnen mit der ersten Lektion. Zu ihrem Bedauern weiß ich jede Antwort, wenn sie mich fragt, und gebe ihr auch keinen weiteren Grund, mich vor den anderen bloßzustellen. Aber wie meine Mutter mir immer eingebläut hat: Der erste Eindruck zählt. Mrs Taylor scheint davon überzeugt zu sein, dass ich ihrer nicht würdig bin. Wahrscheinlich hat sie mich jetzt das ganze Semester über auf dem Kieker. Na, toll.
Nach dem Unterricht steht Paul mit vier Typen, die lustigerweise alle Adidas-Shirts tragen, in der Ecke. Er muss etwas Komisches erzählt haben, denn sie lachen sich schlapp. Als er mich entdeckt, grinst er mich an. Ich grinse zurück. Er entschuldigt sich bei den anderen und schlendert in meine Richtung. Die eine Hand in der Tasche kommt er lässig auf mich zu, fährt sich mit der anderen durch sein braunes Haar. Mir wird ganz warm auf einmal.
»Heute Abend gibt es ein Kennenlern-Treffen für die Erasmus-Leute. Du kommst, oder?«
4
Berlin, 9. Oktober 2022
Laute Musik dröhnt aus dem Haus. Susi und ich fallen uns am Hauseingang in die Arme. Als sie mich drückt, bleibt mir fast die Luft weg. Ich schmiege mich an sie und rieche ihr Parfüm, Vanille, das ist neu. Ihre Haare duften nach einem Blumenfeld im Sommer. Sie trägt ein rotes Kleid und mehr Make-up als sonst. Sie sieht hübsch und gar nicht wie fünfzig aus. Ihr Mann Christian winkt uns vom Flur aus zu und beißt in ein Häppchen. Susi hält mich an der Hand und führt mich wie ein Kleinkind zu den anderen Gästen. Die meisten kenne ich aus unserer Schulzeit. Thomas habe ich schon seit zehn Jahren nicht mehr gesehen und Sabine das letzte Mal bei der Abifeier. Mann, ist das lange her.
Susi entschuldigt sich bei mir und verschwindet. Am Büffet nehme ich mir ein Lachsröllchen und trete dabei beinahe auf einen Luftballon. Christian hat fünfzig Luftballons aufgeblasen und Susi hat sie alle, wie sie mir während meiner Zugfahrt auf WhatsApp schrieb, gezählt.
Sabine entdeckt mich und eilt zu mir. Wir machen ein bisschen Smalltalk. Schneller als erwartet kommt die von mir gefürchtete Frage: »Was machst du so?« Panik überkommt mich. »Susi braucht bestimmt Hilfe mit der Pizza.« Ich verschwinde. Sabine schaut mir noch kurz nach, dann stellt sie sich neben Matthias, der ahnungslos in seinen Burger beißt. Sie hat immer noch diesen neugierigen Blick wie früher, als würde sie auf die neuesten Klatschgeschichten warten.
Auf dem Weg zur Küche treffe ich Schlauberger Holger. Er klopft mir auf die Schulter. »Na, wie ist München? Bestimmt vermisst du Berlin.«
»Bayern ist eigentlich gar nicht so schlecht.« Ich lächle gezwungen und zeige auf Susi. »Ich muss dem Geburtstagskind bisschen zur Hand gehen.«
Die nächsten zwei Stunden spielen sich mehr oder weniger nach diesem Schema ab. Dieselben Fragen immer wieder: Bist du verheiratet? Hast du Kinder? Was arbeitest du? Du hast doch in der Theater-AG gespielt. Hast du wirklich die Schauspielschule absolviert? Ich habe das von