Über dieses E-Book
Hubert vom Venn
Hubert vom Venn war noch minderjährig, als er bei einer Tageszeitung die Ausbildung zum Journalisten begann. Er arbeitete sieben Jahre als Redakteur, ehe er über den Job eines Radio-Gagschreibers Kabarettist und später auch Theaterleiter und Hörfunk-Chefredakteur wurde. Der Autor hat bisher 25 Romane, Krimis und Kurzgeschichten-Sammlungen über die Eifel geschrieben. Hubert vom Venn ist seit 2010 Gewerkschaftsvorsitzender des »Bezirksverein Aachener Presse« im »Deutschen Journalisten Verband«.
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Buchvorschau
Mein Jahr in der Eifel - Hubert vom Venn
© 2001
eBook-Ausgabe 2011
RHEIN-MOSEL-VERLAG
Brandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel
Tel. 06542/5151, Fax 06542/61158
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 978-3-89801-793-0
Umschlagaquarell: Alfred Holler
Mit freundlicher Genehmigung der Kunstsammlung der
Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens
Hubert vom Venn
Mein Jahr in der Eifel
Rhein-Mosel-Verlag
– Für Ena und Katharina –
Roetgen/La Grande Motte
im Sommer 2001
EINFÜHRUNG
Der Rhein hatte seine Schuldigkeit getan.
Unsere Tochter Katharina war aus dem Haus, hatte – obwohl sie Psychologin ist – einen Banker namens Sascha geheiratet und meine Frau und mich mit Sandra und Caroline zu Großeltern gemacht. Lebens-, Rentenversicherungen und Sparverträge hatten darüber hinaus ihren Job getan.
Was sollten wir da noch in Düsseldorf?
Mein Frau erwischte mich mit einem überraschend geschossenen »Ein Haus in der Provence kaufen« auf dem falschen Fuß – einfach so in den Tag hinein gesprochen. Der Grund für ihren Entschluss lag auf der Nachttisch-Kommode: Irgend ein Engländer hatte taschenbuchgenau die pastisgeschwängerten Vorteile des Lebens in Frankreichs Süden geschildert: Essen, Trinken, unzuverlässige Handwerker.
Da halfen auch meine Vorurteile gegen englische Autoren nicht. Ich rief meiner Frau die Aussteigerbibel ›Leben auf dem Lande‹ in Erinnerung – eine bunte Schwarte, die in den siebziger Jahren in keiner Wohngemeinschaft fehlen durfte. Das Buch war, wie einige Aufs-Land-Übersiedler schnell feststellten, allerdings nur für ein Landleben unter der Leselampe geeignet.
Das Kapitel ›So halte ich eine Kuh auf 32 Quadratmetern‹ hatte damals dafür gesorgt, dass die Kuh unserer Freunde fast in der eigenen Jauche ertrunken wäre. Auch die übrigen Tipps waren meist nur für Papiertiger, pardon: Papierlandwirte nützlich.
Meine Frau ging darüber hinweg. Ich nicht:
»Denk an die Hitze, in jedem Warenhaus kann man keine fünf Sekunden stehen, weil immer einer ›Pardon‹ sagt und einen zur Seite schiebt. Und dann liegen überall in der schönsten Natur ›Vittel‹-Flaschen rum, und ein Duft von Melone-im-Mülleimer begleitet einen dauernd.«
Ich glaube, ich habe gegen die Wand geredet.
Wenig später hatte meine Frau – ich kann das ja nicht – mit einem Internet-Routenplaner den Weg via Eifel und Saarland in die Provence gesucht und gefunden: Düsseldorf – Aix-en-Provence.
Und ich? Ich hatte einfach keine Termine mehr, die ich vorschieben konnte, zumal die Koffer zwei Stunden später gepackt waren.
»Lass uns doch direkt auf die Autobahn gehen und nicht durch diese Eifel schleichen.«
Meine Frau winkte ab. Eine Freundin in Prüm, »seit Jahren nicht gesehen, viele gemeinsame Erinnerungen«, wollte sie kurz ansteuern:
»Wenn wir sowieso schon in der Nähe sind.«
Wieder halfen meine Einwände nicht:
»Bei Prüm und Provence kann man nicht unbedingt von Nähe sprechen. Nach Prüm können wir doch später auch mal so fahren.«
»Du bist einfach nicht flexibel!«
Wir sollten Prüm nie erreichen.
Der Grund lag kurz hinter Monschau. Der Routenplaner hatte bei seiner Planung Düsseldorf, Prüm, Montelimar und Aix-en-Provence kurz hinter Monschau eine Abkürzung über Belgien ausgemacht.
Der Weg führte über Kalterherberg, ein Ort, den ich damals durch Rekord-Minustemperaturen aus dem Wetterbericht kannte. An einem Junimorgen hatte Kachelmann stolz von Bodenfrost im Morgengrauen berichtet.
Meine Frau verliebte sich in das Grauen – genauer: in eine belgienumzingelte Enklave. Uns traf nämlich der Nationalschlag, als wir hinter der Grenze belgische Schilder ausmachten, dann aber bei einem Blick in eine Seitenstraße das dottergelbe deutsche Ortsschild ›Monschau – Stadtteil Leyhof‹ sahen. Diese Grenzverwirrung wollte meine Frau sich ansehen.
In Leyhof waren die Menschen offensichtlich international gestimmt – auf jeden Fall verkündete das Schild vor einem Fachwerk-Bauernhof ›A vendre – Zu verkaufen‹. Auskunft über das Gemäuer versprach das Schild in einem belgischen Lebensmittelgeschäft, gleich um die Ecke.
Johanna war das Geschäft!
Sie war Chefin, Verkäuferin, Lagerbeauftragte und örtliche Anlaufstelle für Informationssuchende aus beiden Ländern, wo die Grenze verrückt spielte. Als Belgierin las sie die lokale belgische und eine lokale deutsche Zeitung – ihr Informationsvorsprung war dadurch immens.
Sie schloss ihren Laden einfach ab: ›Bin gleich wieder zurück‹ verkündete eine Pappe einsprachig.
Meine Frau und ich verliebten uns gleichzeitig in ein Eifeler Bauernhaus, das Johanna uns mit maklerfreiem Unterton anpries. Bis auf ein paar Schönheitsoperationen war das Haus bezugsfertig, uns drohten also nur wenige Handwerker.
Johanna, die wir noch lieben lernen sollten, machte uns schnell klar, dass sie mit dem Haus »nix zu tun« habe. Sie hatte nur vom Besitzer, einem Zahnarzt aus Köln, der nach nur einem Jahr eifelmüde geworden war, die Schlüssel bekommen:
»Die Eifel war nix für den, aber sonst ist er ganz nett.«
Die Provence und die Freundin in Prüm mussten warten. Sie warten übrigens heute noch.
Nach einem Telefonat mit dem eifelmüden Zahnarzt aus Köln rückte dieser schon zwei Stunden später im Zweisitzer an. Wir wurden uns schnell preis- und notariatseinig, und vier Wochen später gehörte uns kein Haus im sonnigen Süden, sondern ein Eifelhaus im Ortsteil eines Dorfs, das das Kalte schon im Namen führt.
Nachdem wir Düsseldorf aufgelöst hatten, zogen wir Anfang Dezember in Leyhof ein.
Von Johanna wussten wir, dass wir keine Chance hatten, wenigstens was unsere historische Einordnung ins Dorfleben betraf. Natürlich, erklärte sie mir, sei es möglich, dass ich »da drüben in Deutschland«, zu dem unsere Insel in Belgien immerhin gehört, Bürgermeister oder Abgeordneter werden könnte. Ja, man würde mich vielleicht sogar auch Schützenkönig werden lassen – trotzdem würde ich auch nach vierzig Jahren noch »ne Frömme«, ein Fremder, sein.
Meine Frau druckte kleine Zettel und steckte sie in einem Radius von zwei Kilometern in belgische und deutsche Briefkästen.
Viele kamen, häuften Geschenke zum Einzug an, erklärten uns frank und frei, dass die Zeiten sich geändert, man sich an die Neubürger schon lange gewöhnt habe und betonten, dass wir die ersten seien, die sich direkt ›vorgestellt‹ hätten.
Das klang nach einem Punktsieg, das ließ auf Zukunft hoffen. Von der Provence sprach keiner – besser: meine Frau – mehr. Als ich die Bücher einräumte, bemerkte ich, ohne es lauthals rauszuschreien, dass die Bücher dieses Engländers offensichtlich in der Kiste gewesen sind, die wir beim Wegzug dem Düsseldorfer Kindergarten für den nächsten Flohmarkt geschenkt hatten.
Es war Winter, es war Nebel, es war kalt, es war Eifel – schlimmer hätte es nicht kommen können. Doch meine Frau und ich lieben es.
JANUAR
Den ersten Silvesterabend, so hatte ich es mir erträumt, wollte ich mit meiner Frau alleine vor dem offenen Kamin oder auf der Ofenbank des Kachelofens verbringen. Immerhin konnten wir uns zum ersten Male im Leben an solchen Einrichtungen erfreuen.
Ich hätte dann die Dramen des vergangenen Jahre noch einmal Revue passieren lassen: Umzug, Nebenkiefernhöhlenentzündung, Marmeladenbrot auf die falsche Seite gefallen und Schwiegermutter bei bester Gesundheit.
Doch schon auf den Wetterbericht konnte ich mich nicht verlassen. Den blauen, niederschlagsfreien Sonnentag in der Eifel habe ich in Form von acht Zentimeter Neuschnee mit einem Handfeger vom Wagen gekehrt. Als meine Frau mich mit »Du hast ja schöne rote Wangen« nach dreißig Jahren Ehe immer noch erröten ließ, wollte ich schnell ablenken und schimpfte nicht gerade mit einer intellektuellen Bemerkung über das Wetter:
»Ich glaube, dass die Wetterbeobachter in Paris waren, den Himmel nicht sahen, weil sie in einer bestreikten Metro festsaßen, dann endlich rauskamen und logen: Metro-logen deshalb.«
Meine Frau schaute, als hätte sie in einen faulen Apfel gebissen. Dabei sprach sie ein paar verhängnisvolle Sätze:
»Es haben sich eben ein paar Freunde aus Düsseldorf angesagt!«
Ich schwieg, da ich mich nicht auch im neuen Haus Misanthrop schimpfen lassen wollte
Der ›Sportjahresrückblick‹ im Fernsehen war nicht drin, weil der angekündigte Besuch von Menschen, die ich gerne hinter mir lassen wollte, genauso viel Stress wie in Düsseldorf machte. Als mich in der Badewanne der Karpfen mit seinen rehbraunen Augen anguckte, brachte ich es nicht übers Herz, ihm eins mit dem Nudelholz überzuziehen. Essen könnte ich so ein Tier sowieso nicht. Immerhin hatten wir uns, als ich die Werbezeitung eines belgischen Verlages auf dem Klo las, richtig angefreundet. Ich holte also heimlich den Putzeimer und brachte den Karpfen runter zur Rur.
Meine Frau regte sich zwar furchtbar über die Fischstäbchen auf, die ich noch schnell bei Johanna gekauft hatte. Aber ich fand, dass diese gute Tat in Sachen himmlischen Sünden-Nachlass mindestens bis Karsamstag reichen müsste. Ostern wollte ich nämlich die Kaninchen laufen lassen, die meine Frau bis dahin mit Sicherheit anschaffen würde.
Zuletzt bereitete ich das Bleigießen vor. Ich sage zwar immer »Nur ein Klumpen Schrott!«, aber meine Frau erkennt immer die seltsamsten Dinge:
»Das geht mir jetzt aber nahe. Da ist tatsächlich Uranus mit Venusbeschattung.«
Ich gucke dann immer blöde und denke:
»Nur ein Haufen Schrott«.
In unserem letztes Düsseldorf-Jahr hatte Katharina meinen Wagen zu Schrott gefahren – es scheint also doch was dran zu sein …
Als aus Richtung Düsseldorf noch nicht die drohenden Geräusche nahender Kreativ-Direktoren, Boulevard-Journalisten, Lehrer nebst ihren wahlweise männlichen oder weiblichen Partnern zu hören waren, stöhnte ich in unsere Eifeler Ruhe:
»Weißt du, was ich mir einmal zu Silvester wünsche: ›Dinner for one‹ – nur so.«
Meine Frau schüttelte den Kopf:
»Das kann du doch heute x-mal im Fernsehen haben?«
Von wegen! Acht Düsseldorfer, drei fremde Kinder, Katharina und dieser Sascha mit Sandra und Caroline, (m)eine Schwiegermutter, meine Frau und ich fielen mir zu unserem ersten Silvester in der Eifel auf die Nerven.
Kurzum: Es handelte sich um ein Dinner for 18 …
Fast hätte im Vorfeld der Silvesterplanung meine höfliche Frage »Muss deine Mutter unbedingt auch noch kommen?« zu einem ersten Streit im neuen Haus geführt.
Meine Frau wollte nämlich, dass wir sogar zu Silvester wieder das Geschenke-Füllhorn öffneten.
»Was schenken wir eigentlich meiner Mutter zu Neujahr?«, rief diese Mutter Theresa der Geschenkartikel, als ich gerade in unserer Sickergrube achtzehn Flaschen Waldbeer-, Kirsch-, Stachelbeer- und Blumenkohl-Aufgesetzten entsorgte, die die Verwandtschaft (meist von ihrer Seite) mir geschenkt hatte.
»Deiner Mutter zu Neujahr, deiner Mutter zu Neujahr«, polterte ich gleich los:
»Das sind noch rund drei Tage. Wer weiß, ob die dann überhaupt noch lebt!«
Eine Stunde hat meine Frau nicht mit mir gesprochen. Ich habe dann in der Küche zu einem großen Vortrag über die Geschenk-Unsitten angehoben, der von meiner Frau mehrmals mit einem Fingertocken an die Stirn gestört wurde.
»Sei doch mal ehrlich! Das ganze Geschenktheater wird doch gewaltig übertrieben. Früher gab es Geschenke zu Weihnachten, ein paar Süßigkeiten zu Nikolaus und Ostern, einen Weckmann zu St. Martin – Geburtstag, Namenstag und Feierabend. Und wenn man das frühe Glück einer evangelischen Geburt hatte, noch nicht einmal etwas zum Namenstag. Und heute? Schon zu St. Martin müssen die ersten Gänse ihr junges, polnisches Leben lassen, zu Nikolaus und Ostern nehmen die Geschenke schon Heiligabend-Charakter an und Weihnachten selbst fährt man mit einem Tieflader voller Verpacktem vor. Doch damit nicht genug! Kein Mensch wusste vor dreißig Jahren, dass man sich zu so ’was wie Hochzeitstag auch noch beschenken muss, und ahnte vor zwanzig Jahren auch nicht, dass es einen Valentinstag gibt. Bis heute ist mir nicht klar, was ein Münchener Komiker mit dem Verliebtsein zu tun hat … Neu in der Reihe der Tage, zu denen man anderen Leuten sein Geld hinterher schmeißen muss, ist seit diesem Jahr der Halloween-Tag, an dem Nachbarn und – !!!natürlich!!! – Verwandte einem die Kellerbar leersaufen. Den ›Heute-kommt-der-Primeur-Tag‹ feiern wir ja schon seit einigen Jahren. Demnächst – da bin ich mir ganz sicher – wird bei uns das Geschenkbedürfnis auch zu Pfingsten (Schokoladen-Ochsen), Sommer- und Winterzeit-Beginn (Uhren der Firma Quatsch), Himmelfahrt (Modelle der Raumstation MIR) und Totensonntag (kleine Plastiksärge mit dem Aufdruck ›Ein langes Leben wünscht …‹) von pfiffigen Trend-Erfindern angeboten. Und dann erst einmal die Heim(be)leuchtungen an den Häusern! Diese bleiben ab sofort das ganze Jahr hängen und können nahtlos für Weihnachten, Silvester, Karneval, Ostern, Pfingsten, Grillfeste, Herbstbeginn und dann wieder Weihnachten vielseitig und energielutschend eingesetzt werden. Aber, was rede ich hier, wo ich doch in den nächsten Tagen jede Minute zur Vorbereitung der Silvesterfeier brauche.«
Ich glaube, es handelte sich um eine der längsten Rede meines Lebens, doch statt tosend Beifall zu spenden, sagte meine Frau nur:
»Manchmal hast du sie nicht alle!«
Ganz wütend habe ich darauf in das Marzipanschweinchen mit dem Schornsteinfeger gebissen, dass meine Schwiegermutter mir schon Weihnachten geschickt hatte. Der Geschmack hätte mich fast umgebracht – Richtung altes Nierenfett und frittierte Seife.
Da sah ich in der Schnauze des Schweins einen Zettel:
»Ein Frohes Jahr 1957«.
Bis zum Silvestertag grummelte ich mich so durch, dann nahte der Tag der vielen Besuche. Vorsorglich hatten wir in den umliegenden Gasthäusern einige Zimmer angemietet, da unser Haus lediglich über ein Gästezimmer verfügte. Und das hatte natürlich meine Schwiegermutter für sich angemeldet.
Und dann kamen sie!!!
Wenn Menschen aus Düsseldorf kommen, sind darunter natürlich auch immer ein paar Werber, die sich Art-Direktoren nennen. Den alten Witz, dass dies ›so eine Art Direktor‹ bedeute, bringen diese Menschen bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit an.
Unser Freund Dieter Schmelzer war von dieser Sorte. Er arbeitete bei ›Heidkopf und Springer‹ und mußte sich dort den ganzen Tag mit Katzenpisse beschäftigen. Sein berufliches Feld war nämlich eine Firma, die Katzenstreu herstellt. Ohne je einer Katze im privaten Bereich begegnet zu sein, hatte Dieter eine Katzen-Allergie bekommen. Er traf als erster bei uns ein – diesmal in Begleitung einer unbekannten Schönen, die sich Angie nannte. Wir erfuhren