Gardini
»Zwischen der Erkenntnis und der Macht besteht nicht nur der Zusammenhang des Lakaientums, sondern auch einer der Wahrheit. Viele Erkenntnisse sind außer Proportion mit der Kräfteverteilung nichtig, mögen sie auch formal zutreffen. Wenn der ausgewanderte Arzt sagt: ›Für mich ist Adolf Hitler ein pathologischer Fall‹, so mag ihm der klinische Befund am Ende seine Aussage bestätigen, aber deren Mißverhältnis zu dem objektiven Unheil, das im Namen des Paranoikers über die Welt geht, macht die Diagnose lächerlich, in der bloß der Diagnostiker sich aufplustert. Vielleicht ist Hitler ›an sich‹ ein pathologischer Fall, ganz gewiß aber nicht ›für ihn‹. Die Eitelkeit und Armseligkeit vieler Kundgaben der Emigration gegen den Faschismus hängt damit zusammen. Die in Formen der freien, distanzierten, desinteressierten Beurteilung Denkenden waren unfähig, in jene Formen die Erfahrung der Gewalt mit aufzunehmen, welche real solches Denken außer Kraft setzt. Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.«
— Theodor W. Adorno: Minima Moralia, Nr. 34.