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Altaische Sprachen

hypothetische Sprachfamilie
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Die altaischen Sprachen, manchmal auch Altaisprachen oder kurz Altaisch genannt, sind eine in Eurasien weit verbreitete Gruppe von etwa 60 Sprachen mit rund 160 Mio. Sprechern (annähernd 185 Mio. inklusive Zweitsprechern).

Die Sprachfamilien der Welt und das Altaische in Olivgrün

Diese Sprachgruppe wurde und wird von manchen Forschern als genetische Spracheinheit (Sprachfamilie) betrachtet. Es setzt sich allerdings in der Fachliteratur zunehmend die Auffassung durch, dass die altaischen Sprachen lediglich einen arealen Sprachbund aus drei genetisch klar definierten Sprachfamilien bilden: den turkischen, mongolischen und tungusischen Sprachen. Die zweifellos vorhandenen Gemeinsamkeiten dieser drei Sprachfamilien in der typologischen Struktur, aber auch im lexikalischen Bestand würden sich dann aus einem langfristigen sprachlichen Kontakt der Sprecherethnien erklären.

Manche Forscher rechnen auch das Koreanische und Japanische zu den altaischen Sprachen im weiteren Sinne, das man auch Makro-Altaisch nennt.

Informationen zu den einzelnen Teilgruppen des Altaischen entnehme man folgenden Artikeln:


Die altaischen Sprachen und ihre Verbreitung

Die Gruppe der altaischen Sprachen (im engeren Sinne) – insgesamt etwa 60 Sprachen mit 160 Millionen Sprechern – besteht aus drei klar definierten Sprachfamilien sehr unterschiedlicher Größe:

Die Turksprachen werden in einem breiten – teilweise von anderen Sprachgruppen unterbrochenen – Streifen gesprochen, der von Südosteuropa über die Türkei, Aserbaidschan, Iran, die zentralasiatischen Staaten Turkmenistan, Usbekistan, Kasachstan, Kirgisien und Westchina nach Sibirien reicht. Die mongolischen Sprachen sind hauptsächlich im östlich angrenzenden Gebiet – im russischen Burjatien, der Mongolei und der chinesischen Inneren Mongolei – verbreitet, das Tungusische schließt sich in versprengten kleinen Gruppen weiter nordöstlich in Nordchina und Ostsibirien an.

Turkisch und Mongolisch sind jeweils Familien eng verwandter Sprachen, so dass eine Binnengliederung schwierig ist. Das Tungusische weist eine größere Variationsbreite auf, ohne dass die genetische Zusammengehörigkeit zweifelhaft wäre. Wesentlich problematischer ist – wie nachfolgend ausführlich dargestellt wird – die Frage der genetische Einheit der drei Gruppen als altaische Sprachfamilie.

Die größten altaischen Sprachen

Die wichtigsten Turkprachen sind

Außer dem Tatarischen, Uighurischen und Kaschkai sind die genannten Sprachen die Nationalsprachen ihrer jeweiligen Staaten, die bis auf die Türkei erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstanden sind.

Die einzige mongolische Sprache mit mehr als einer Millionen Sprechern ist

das gleichzeitig die Nationalsprache der Mongolei ist und – nach Sprecherzahl – bereits 80 % aller mongolischen Sprachen ausmacht. Gößere mongolische Sprachen sind noch das Burjatische (400.000), Oiratische (350.000) und das Santa (250.000). (Siehe Artikel Mongolische Sprachen.)

Die tungusische Familie weist nur noch 'kleine' Sprachen auf, die fast alle stark gefährdet sind, allerdings hatte das heute nahezu ausgestorbene Mandschu einst eine weite Verbreitung in Nordostchina - der Mandschurei - und war aus dynastischen Gründen eine der Staatssprachen des kaiserlichen China. (Siehe Artikel Tungusische Sprachen.)

Linguistische Merkmale der altaischen Sprachen

Typologisch weisen die drei Hauptgruppen der altaischen Sprachen (Koreanisch, Japanisch und Ainu sollen hier nicht betrachtet werden) große Gemeinsamkeiten auf. Einige wichtige Charakteristika sind:

  • Einfache Phoneminventare, einfache Silbenstruktur (meist KV), kaum Konsonantencluster.
  • Vokalharmonie, die auf verschiedenen Vokaloppositionen beruhen kann: vorne-hinten, gerundet-ungerundet, hoch-tief. Beispiele aus dem Türkischen:
    • (1) elma.lar "Äpfel", aber ders.ler "Lektionen"
    • (2) ev.de "im Haus", aber orman.da "im Wald"
    • (3) isci.lik "Kunstfertigkeit"
    • (4) pazar.lık "Geschäftstüchtigkeit"
    • (5) coğun.luk "Mehrheit"
    • (6) ölümsüz.lük "Unsterblichkeit"
In (1) und (2) gleicht sich der Vokal des Pluralsuffixes /-ler/ oder /-lar/ und des Lokativsuffixes /-de/ oder /-da/ dem Stammvokal in der Artikulationsstelle (hinten-vorn) an.
Zu (3-6): Das Suffix /-lik/ "-keit" besitzt vier Varianten, die sich sowohl der Artikulationsstelle des Stammvokals (hinten-vorn) als auch seiner Rundung anpassen.
  • Die Vokalharmonie ist in nahezu allen altaischen Spachen erhalten, teilweise allerdings nur in den gesprochenen Varianten, während sie nicht mehr im Schriftbild deutlich wird (z.B. im Usbekischen).
  • Eine durchgehend agglutinative Wortbildung und Flexion, und zwar nahezu ausschließlich durch Suffixe. Dies kann - wie das folgende selbsterklärende Beispiel aus dem Kasachischen zeigt - zu sehr langen und komplexen Bildungen führen (allerdings werden im Normalfall selten mehr als drei bis vier Suffixe verwendet). Jedes Morphem hat eine spezifische Bedeutung und grammatische Funktion und ist - abgesehen von den Erfordernissen der Vokalharmonie - unveränderlich. Ein Beispiel aus dem Kasachischen (einer Turksprache):
    • jaz schreiben
    • jaz.u das Schreiben
    • jaz.u.šı der Schreiber
    • jaz.u.šı.lar die Schreiber
    • jaz.u.šı.lar.ım meine Schreiber
    • jaz.u.šı.lar.ım.ız unsere Schreiber
    • jaz.u.šı.lar.ım.ız.da zu unseren Schreibern gehörig
    • jaz.u.šı.lar.ım.ız.da.γı das zu unseren Schreibern gehörende
    • jaz.u.šı.lar.ım.ız.da.γı.lar die zu unseren Schreibern gehörenden (Dinge)
    • jaz.u.šı.lar.ım.ız.da.γı.lar.dan von den zu unseren Schreibern gehörenden Dingen
  • Die agglutinative Flexion der Nomina und vor allem der Verben ist sehr komplex, aber auch äußerst regelmäßig. Adjektive werden dagegen kaum gebeugt, sie zeigen auch keine Konkordanz mit ihrem Bestimmungswort, dem sie vorausgehen. (Quantifizierer werden meist nachgestellt.)
  • Es gibt keine Artikel. Ersatz für den unbestimmten Artikel ist oft das Zahlwort "eins".
  • Das Verbum steht am Satzende, die normale Satzfolge ist SOV (Subjekt-Objekt-Verb).
  • Lexikalische Kategorien sind variabel. Z.B. kann das mongolische Wort dumda sowohl Nomen ("Mitte"), als auch Adjektiv ("zentral"), Adverb und Postposition ("in der Mitte von...") sein.
  • Die altaischen Sprachen unterscheiden sich von den umgebenden ostasiatischen Sprachen durch zwei wesentliche Eigenschaften: es gibt keine besonderen honorifizierende Formen (wie z.B. im Japanischen sehr stark vertreten) und keine nennenswerte Ausprägung einer spezifischen Frauensprache.

Weitere Charakteristika und Beispiele sind innerhalb der Beschreibungen der einzelnen Sprachfamilien zu finden. Es ist klar, das alle hier beschriebenen Merkmale rein typologischer Natur sind und somit nicht zur Begründung der genetischen Einheit der altaischen Sprachen herangezogen werden können. Außerdem finden sich etliche Merkmale gleichermaßen in den uralischen und verschiedenen paläosibirischen Sprachen.

Die Struktur der altaischen Sprachfamilien

Nach den aktuellen Forschungsergebnissen ergeben sich für die drei Sprachfamilien, die die Gruppe der altaischen Sprachen bilden, folgende Klassifikationen (zu Sprecherzahlen, Dialekten und anderen Details siehe den unten angegebenen Weblink zur Klassifikation):

Die turkischen Sprachen

Die mongolischen Sprachen

Die tungusischen Sprachen

Koreanisch und Japanisch-Ryukyu

Da auch das Koreanische und Japanische von manchen Forschern zum Altaischen gerechnet wird, folgt hier die Struktur der kleinen Sprachfamilie Japanisch-Ryukyu (126 Mio Sprecher). Das Koreanische ist eine Einzelsprache mit 78 Mio. Sprechern ohne nähere Verwandte.

  • KOREANISCH
    • Koreanisch (Dialekte: Hamkyeng, Phyengan, Zentral, Chwungcheng, Kyengsang, Cenla, Ceycwu)


Einige Forscher gehen von einer einzigen Sprache Japanisch aus; die Ryukyu-Sprachen stellen dann nur aberrante Dialekte des Japanischen dar.

Die Geschichte der Klassifikation der altaischen Sprachen

Die Klassifikation der altaischen Sprachen besitzt eine lange und wechselvolle Geschichte. Das Erstaunliche dabei ist, dass das 19. Jhdt. einen eher breiten Ansatz - viele Sprachgruppen wurden dem 'Altaischen' zugeordnet -, während sich im 20. Jhdt. dieser Ansatz zusehends verengte, um dann mit den eurasischen Makrofamilien (Nostratisch, Eurasiatisch, Makro-Altaisch) wieder ins andere Extrem zu fallen.

Strahlenberg, Rask und Schott

Nachdem bereits im 17. Jhdt. einige Grammatiken altaischer Sprachen erschienen, legte P.J. von Strahlenberg 1730 eine erste Klassifikation des "Tatarischen" vor, das außer den heute altaisch genannten Sprachgruppen Turkisch, Mongolisch und Tungusisch auch das Uralische und Kaukasische umfasste. Das Mandschu gliederte er fälschlich dem mongolischen und nicht dem tungusischen Zweig an.

Strahlenberg 1730

  • TATARISCH
    • Finno-Ugrisch
    • Samojedisch
    • Turkisch
    • Mongolisch-Mandschu
    • Tungusisch
    • Kaukasisch

Dieser Ansatz wurde im 19. Jhdt. teilweise noch erweitert, aber auch schon in die heute von der Mehrheit der Forscher vertretene Richtung verengt. Eine sehr breiter Ansatz stammt von R. Rask 1834, dessen 'skythische' Familie schon sehr an die nostratischen oder eurasiatischen Hypothesen der letzten Jahre erinnert. Immerhin wird das Mandschu korrekt zum Tungusischen gestellt und die Einheit des Finnisch-Ugrischen und Samojedischen als Uralisch erkannt.

Rask 1834

  • SKYTHISCH
    • Turkisch
    • Mongolisch
    • Tungusisch
    • Uralisch
    • Eskimo
    • Tschuktschisch
    • Kaukasisch
    • Baskisch

Dennoch war der Ansatz von Rask ein Extremfall, der allerdings noch von M. Müller 1855 übertroffen wurde, indem dieser auch noch Thai, Tibetisch, Drawidisch und Malaisch hinzupackt und damit sogar alle heutigen Nostratiker und Eurasiatiker übertrumpft.

Einen Gegensatz zu Rask stellt die Klassifikation von W. Schott 1849 dar, indem er das 'Altaische' auf die heute altaisch und uralisch genannten Gruppen reduziert. Seine Bedeutung liegt auch darin, die strengen Ansprüche der jungen Indogermanistik teilweise auf die altaischen Sprachen übertragen zu haben. Dies bedeutete vor allem die Erkenntnis, dass bloße typologische Gemeinsamkeiten nicht zur Begründung genetischer Verwandtschaft von Sprachen herangezogen werden dürfen, sondern dass man sich dabei auf lexikalisches und morphologisches Material stützen muss, um letztlich tragbare Lautgesetze zu gewinnen. Das Kaukasische wird ebenso wie die anderen exotischen Gruppen Rasks als Bestandteil der altaische Familie aufgegeben. Übrig bleiben die heute altaisch und uralisch genannten Sprachgruppen, die Schott 'tschudisch' bzw. 'tatarisch' nennt. Damit erreicht Schott einen Standpunkt, der bis in die Mitte des 20. Jhdt. weithin akzeptiert wurde ('ural-altaische Sprachfamilie').

Schott 1849

  • ALTAISCH
    • Tschudisch
      • Finno-Ugrisch
      • Samojedisch
    • Tartarisch
      • Turkisch
      • Mongolisch
    • Tungusisch

Aufgabe der genetischen Einheit des Altaischen

Im Folgenden ergeben sich zwei Tendenzen - Verengung und Erweiterung der altaischen Sprachgruppe.

Die zunächst von fast allen Forschern auf Grund typologischer Gemeinsamkeiten vertretene uralisch-altaische Einheit wird zunehmend aufgegeben und findet heute fast keine wissenschaftlichen Anhänger mehr, wenn sie auch in der populären Literatur noch weit verbreitet ist.

In der Folge wird auch die genetische Einheit Turkisch-Mongolisch-Tungusisch in Frage gestellt oder sogar aufgegeben und diese drei Familien als genetisch separate Gruppen aufgefasst (G. Clauson 1956, G. Doerfer 1963). Die unbestreitbaren Gemeinsamkeiten dieser drei Sprachfamilien werden von Clauson und Doerfer ausschließlich typologisch oder als Folge von - teilweise sehr frühen - Sprachkontakten und Entlehnungen interpretiert (dagegen äußerst dezidiert R.A. Miller 1991).

Erweiterung zum Makro-Altaischen

Von anderen Forschern werden hingegen dem eigentlichen Altaischen (Turkisch-Mongolisch- Tungusisch) sogar noch weitere Einzelsprachen hinzugefügt, nämlich

  • Koreanisch 78 Mio Sprecher
  • Japanisch 126 Mio Sprecher (4 Sprachen mit den Ryukyu-Sprachen)
  • Ainu (fast ausgestorben, gesprochen auf Hokkaido und Sachalin)

So entstehen verschiedene Formen des Makro-Altaischen, die unterschiedlich klassifiziert werden. Ramstedt 1957 betrachtet - zusätzlich zum Turkischen, Mongolischen, Tungusischem, dessen genetische Einheit er als erwiesen ansieht - das Koreanische als einen vierten unabhängigen Zweig der altaischen Familie.

Ramstedt 1957

  • ALTAISCH
    • Turkisch
    • Mongolisch
    • Tungusisch
    • Koreanisch

Poppe 1965 geht von einer Zweiteilung in eine eigentliche altaische Gruppe einerseits und dem Koreanischen als gleichrangigem Zweig andererseits aus. Im eigentlichen Altaischen stellt er das Mongolisch-Tungusische als eine enger verwandte Gruppe den Turksprachen gegenüber (die er - wie viele anderer - in das eigentliche Turkische und das Tschuwaschische aufspaltet).

Poppe 1965

  • ALTAISCH
    • Altaisch i.e.S.
      • Turkisch-Tschuwaschisch
      • Mongolisch-Tungusisch
    • Koreanisch

Miller 1971 nimmt das Japanische hinzu, Street 1962 und Patrie 1982 auch noch das Ainu. Während Street und Patrie die eigentliche altaische Gruppe gegen eine Einheit Koreanisch-Japanisch-Ainu setzen, sieht Miller eine westliche Gruppe (Turkisch-Tschuwaschisch) und eine östliche aus Mongolisch, Tungusisch, Koreanisch und Japanisch (wobei er das Tungusische enger zum Koreanisch-Japanischen stellt).

Street 1962/ Patrie 1982

  • NORDASIATISCH
    • Altaisch
      • Tungusisch-Mongolisch
      • Turkisch-Tschuwaschisch
    • Koreanisch-Japanisch-Ainu
      • Koranisch-Japanisch
        • Koreanisch
        • Japanisch-Ryukyu
      • Ainu

Miller 1971

  • ALTAISCH
    • West-Altaisch
      • Tschuwaschisch
      • Turkisch
    • Ost-Altaisch
      • Mongolisch
      • Tunguso-Koreanisch-Japanisch
        • Tungusisch
        • Koreanisch-Japanisch
          • Koreanisch
          • Japanisch-Ryukyu

Das Altaische im Rahmen des Nostratischen und Eurasiatischen

Diese makro-altaischen Tendenzen finden ihre extreme Ausprägung in der nostratischen und eurasiatischen Hypothese, die das Altaische insgesamt oder einige seiner Komponenten nur noch als Zweige der nostratischen bzw. eurasiatischen Makrofamilie ansieht. Hier als Beispiel die eurasiatische Makrofamilie Greenbergs und die Position der altaischen Sprachen innerhalb dieser Makrofamilie (makro-altaische Sprachen in Fettdruck):

Greenberg 2000

  • EURASIATISCH
    • Etruskisch †
    • Indogermanisch
    • Uralisch-Jukagirisch
      • Uralisch
        • Finno-Ugrisch
        • Samojedisch
      • Jukagirisch
    • Altaisch
      • Turkisch
      • Mongolisch
      • Tungusisch
    • Koreanisch-Japanisch-Ainu
      • Koreanisch
      • Japanisch-Ryukyu
      • Ainu
    • Giljakisch (Nivchisch)
    • Tschuktscho-Kamtschadalisch
      • Tschuktschisch
      • Kamtschadalisch
    • Eskimo-Aleutisch
      • Eskimo
        • Sirenik
        • Yupik (Yuit)
        • Inuit (Inupiaq)
      • Aleutisch

Innerhalb der nostratischen Hypothesen nehmen die altaischen Sprachen eine ähnliche Position wie im Eurasiatischen ein (siehe Artikel Nostratisch). Da die eurasiatische und nostratische Makrofamilie nur einen hypothetischen Charakter besitzen und bisher nur sehr geringe Akzeptanz in der Fachwelt gefunden haben, ist es klar, dass auch die Frage der Einordnung der altaischen Sprachen in diese hypothetischen Strukturen hypothetischer Natur ist und nur unter diesem Vorbehalt gemacht werden kann.

Altaisch - genetische Einheit oder nicht?

Etliche Forscher gehen auch heute - trotz bestehender Zweifel - aufgrund von lexikalischen, morphologischen, syntaktischen und phonetischen Gemeinsamkeiten von der genetischen Einheit des Turkischen, Mongolischen und Tungusischen als altaischer Sprachfamilie aus, also von der Existenz einer gemeinsamen Protosprache für alle drei Gruppen. Die Hinzunahme des Koreanischen findet zwar auch bei einigen Unterstützung, kann aber noch nicht mit demselben Sicherheitsgrad festgestellt werden. Deutlich schwächer ist die Zustimmung zum Japanischen als Mitglied der altaischen Familie, und erst recht zum Ainu, obwohl einzelne Arbeiten durchaus interessante Ansätze enthalten.

Es sollte aber nicht übersehen werden, dass eine nach wie vor wachsende Gruppe von Forschern die Einheit des Turkisch-Mongolisch-Tungusischen für unbewiesen, unbeweisbar oder gar definitiv für falsch hält. Zwei Szenarien sind denkbar:

  • Es gab wirklich eine gemeinsame altaische Protosprache, die in den zentralasiatischen Steppen im Bereich des Altai-Gebirges gesprochen wurde. Bereits dort fand - vor vielleicht 4000-3000 Jahren - die Aufspaltung in eine westliche turkische, zentrale mongolische und östliche tungusische Gruppe statt.
  • Konvergenz durch Kontakt und Austausch: Die turkischen, mongolischen und tungusischen Gruppen - und eventuell auch das Koreanische und Japanische - entwickelten sich aus verschiedenen Protosprachen in relativ enger geographischer Nachscharschaft, so dass über einen längeren ungestörten Zeitraum sowohl Wortmaterial wechselseitig entlehnt wurde, sich aber auch Gemeinsamkeiten in der Phonologie und Morphologie entwickeln konnten (vgl. die Thesen von Dixon 1997 über Konvergenz von Sprachen in langen Phasen ungestörten 'Gleichgewichts'). Aus dem zentralasiatischen Gebiet breiteten sich die altaischen Gruppen in vielen Wanderungswellen bis in ihre heutigen Wohnsitze aus.

Turkisch-mongolisch-tungusische Wortgleichungen

Es gibt in der Tat keine überwältigende Fülle überzeugender Wortgleichungen, die Komponenten aus allen fünf potentiellen Zweigen des Altaischen enthalten, viel zahlreicher sind zweiseitige turkisch-mongolische, mongolisch-tungusische, koreanisch-tungusische oder koreanisch-japanische Parallelen. Dennoch lassen sich durch den Vergleich der rekonstruierten Protoformen aus dem Bereich der Körperteile einige interessante turkisch-mongolisch-tungusische Parallelen finden. (Nach S. Starostin, Altaic Etymological Dictionary. Schreibweise vereinfacht).

Turkische, mongolische und tungusische Proto-Formen (Körperteile)

Bedeutung Proto-
Turkisch
Proto-
Mongolisch
Proto-
Tungusisch
Brust *gokur *koko'u *kukun
Schulter *jagyr *dajira *daga
Schlüsselbein *egin *egem *emuge
Eingeweide *kurg-sak *kurkag *xurke
Hand/ Arm *kary *gar .
Handgelenk *bilek *begelej *bilen
Kopf *tum *tom *tum-nu
Zunge/ lecken *so:r *soru *sori
Knie *topyk *tojig *topug

Makro-altaische Etymologien

Die nächste Zusammenstellung erweitert das Spektrum auf einen größeren Ausschnitt des Grundwortschatzes. Zusätzlich zu den turkischen, mongolischen und tungusischen Formen werden auch koreanische und japanische herangegezogen. Allerdings beziehen sich die Etymologien nicht mehr nur auf Einzelbegriffe, sondern auf teilweise recht weite Bedeutungsfelder. Die Darstellung umfasst für jeden Begriff bzw. jedes Bedeutungsfeld in der ersten Zeile die rekonstruierten Protoformen der fünf Protosprachen (beim Koreanischen und Japanischen die ältesten belegten Formen), außerdem die hypothetische altaische Protoform. In einer zweiten Zeile wird dann ein konkretes Beispiel aus einer Einzelsprache angeführt: Türkisch für die turkische Familie, Chalcha für die mongolische Familie, eine tungusische Einzelsprache (Mandschu oder Ewenki) und neuere Formen des Koreanischen und Japanischen.

Da an den Etymologien dieser Tabelle vieles sehr interpretierbar ist (z.B. die Rekonstruktion der Protoformen, die Breite des Bedeutungsfeldes) kann man sie trotz der Fülle an Daten nicht unmittelbar als einen Beweis der genetischen Einheit der makro-altaischen Sprachgruppe bzw. des altaischen i.e.S. betrachten. Viele Parallelen könnten auch auf Sprachkontakte und Entlehnungen zurückzuführen sein. Auf der anderen Seite zeigt dieses Material - das man um ein Vielfaches erweitern könnte -, dass eine genetische Einheit - wenigsten des Altaischen im engeren Sinne - auch nicht einfach von der Hand zu weisen ist.

Bedeutungsfeld Proto-
Turkisch
Proto-
Mongolisch
Proto-
Tungusisch
Alt-
Koreanisch
Alt-
Japanisch
Proto-
Altaisch
. Türkisch Chalcha Tungus.
Einzelspr.
Koreanisch Japanisch .
Brust, Herz, saugen *gökür *kökön *kukun *kokai *kəkərə **koke
. göğüs χöχ oχo kogäŋi kokoro .
Rippe, Brust *bokana *bogoni *boka . *baki **boka
. boqono bogino boqšon . waki .
Schulter, Widerrist *jagır *dajira *daga . . **dagV
. jağrı dajr daγana . . .
Schlüsselbein *egin *egem *emuge . . **egemV
. eğin egem emuge . . .
Eingeweide, Bauch *kurg-sak *kurkag *χurke *kurəi . **kurgo
. kursak χurχag χuike kurgi . .
Armbeuge; Bein; Flügel; Flosse *kajnat *kai *kene . *kanai **kena
. kanat χa'a kenete . kane .
Hand, Arm *karı *gar . . *kata (?) **gara
. kar-uža gar . . kata ? .
Handgelenk; Handschuh *bilek *begelej *bilen . . **bili
. bilek belij bilen . . .
Kopf; Hut; Chef *tum *tom *tumŋu . *tum ? **tumu
. tomšuk tumlaj tuŋun . tsumuri ? .
Kehle *boguŕ *bagalžur *bukse . *pukum **boku
. boğaz bagalžur buχe . fukum ? .
Zunge, Sprache *kele *kele *χilŋü . . **kiali
. kelam χele ileŋu . . .
Knie; Fußenkel *topık *tojig *topVg . *tu(m)pu **topu
. topuk tojg tobga . tumpu .
Rinde, Haut; Blatt *kapuk *kawda *χabda *kaph- *kapa **kapa
. kabuk χudas χabdata kaphar kawa .
Blut; Gesundheit; schön; rot *sag *sajin *segu *sa'o- . **segu
. sağ sajn seŋi sanap . .
Sehne; Ader *siŋir . *sire *siur . **siŋrir
. sinir . sirge siwi . .
Traum *dül *tölge *tolkin . . **tulke
. düš tölög tolgin . . .
(alte) Frau *eme *eme *emV *amh *mia ? **eme
. eme em emi(le) am me(-su) ? .
Vogelart *torgaj *turagu *turaki *tark *təri **toro
. turgaj turaγu turaki tark (M) tori .
Laus; Nisse *sirke *sirke *sire . *siramu **siajri
. sirke širχ sirikte . sirami .
Staub; Schnee; Rauch *buruk *burgi *bureki . . *boru
. buruq-su burgi buraki . . .
Regen; Schnee; Nebel . *siγurga *sig . *sigure **sig-ur
. . šurga sigan . shigure .
Sommer; Frühling *jaj *nažir . *nač . **nažV
. jaj-la nažir . nač . .
Sand, Staub, Wüste *kum *kumaki *küme . . **kiume
. kum χumag kumi . . .
Erde, Staub; Teer *toŕ *tor *tur *tırı . **tore
. toz tortog tur tırı . .
Stein *dial *čilaγu *žola torh . **tioli
. taš čulu žolo tol . .
Netz, Netzwerk *tor *towr *turku *tarachi *turi **tobru
. tor tor tur-ku tar-äki tsuri .
saure Milch, Ajran *ajran *ajirag *ajara . . **ajira
. ajran ajrag ajara . . .
Salz; bitter *duŕ *dabusu *žujar *čjer *tsura **čiober
. tuz davs žušu čel tsura .
vollenden; genug *büt *möči *mute *mota *muta **muti
. büt (AT) möčis mute- modu muta ? .
beißen, nagen *gemür *kemeli *kemki . *kam **kema
. gemir χimle kemki . kam .
erreichen; betreten *gir *kür *χür . . **kiure
. gir-iš χüre χuru . . .
flechten, weben *ör *ör . *or *ər **ore
. ör- örmög . ol or .
fett (sein) *semir *semži *semesi . . **seme
. semiz semš semsu . . .
lang; spät *uŕun *urtu *χür *ora . **iuŕo
. uzun urt irekte ? orä . .
schwach, krank; Diener-Krieger *alp *alban *alba *arpha *apar **alpa
. alp alba alba aphı aware .
eins; gesamt *bir *büri . *piri . **biuri
. bir büri . pir-oso . .
wer *kem,ka *ken,ka *χia *ka *ka **ka(j)
. kim χen ai, ja -ka -ka .
ich; wir *be- *bi,min *bi,mün . *ba **bi
. ben bi bi . wa .

Vereinfachte phonetische Darstellung der Proto-Formen und einzelsprachlichen Beispiele. Die einzelsprachlichen Beispiele sind für das Turkische in der Regel aus dem Türkischen und für das Mongolische aus dem Chalcha genommen. Die tungusischen Beispiele stammen meist aus dem Manchu oder Evenki.

Quelle: S. Starostin, A.V. Dybo, O.A. Mudrak, Altaische Etymologie, Internet-Datenbank 2005

Morphologische Parallelen

Auch morphologische Übereinstimmungen sind durchaus vorhanden, z.B. ein Agentiv-Suffix /-či/ im Turkischen, dem Mongolisches /-če/ entspricht. Allerdings ist genau dieses Suffix auch vom turkischen Usbekischen in das iranische Tadschikische entlehnt worden (Comrie in Bright 1992), was zeigt, dass auch morphologische Gemeinsamkeiten keinen absoluten Beweis einer genetischen Einheit darstellen (von typologischen Ähnlichkeiten gar nicht zu reden).

Im System der Pronomina gibt es gute Übereinstimmungen in den drei Zweigen des Altaischen, aber gerade diese Formen teilen die altaischen Sprachen auch mit dem Indogermanischen, Uralischen und anderen Gruppen, und können somit z.B. in Greenberg 2000 als Stützung der eurasiatischen Makrofamilie dienen:

Personal-Pronomina in den altaischen und einigen anderen Sprachen

Sprache ich du wir ihr
Turkisch ben sen biz siz
Mongolisch bi či bid ta
Manchu bi si be suwe
Finnisch mina sina me te
Jukagirisch met tet mit tit
Lateinisch (Akk) me te -mus -te

Das durchgehende Muster ist ein Labial in der 1. Person und ein Dental in der 2. Person. (Die lateinischen Pluralformen sind Verbalendungen.)

Altaische Lautgesetze

Ein besonders deutlicher Hinweis oder sogar Nachweis der genetischen Einheit ist die Existenz von Lautgesetzen, die die Sprachfamilien miteinander verbinden. Poppe 1960 geht z.B. von folgenden Serien für das Turkische und Mongolische aus:

Proto-Altaisch Turkisch Tschuwasch Mittel-Mongol. Mongolisch Sonst
/*p-/ > /Ø-/   /h-/ /Ø-/ Monguor /f-/
/*-r-/ > /-z-/ /-r-/   /-r-/  

In Worten:

  • Proto-altaisches anlautendes /p/ verschwindet im Proto-Turkischen und wird im Proto-Mongolischen zu /h/, im modernen Mongolischen verschwindet es ebenso. (Nur im Monguor wird es zu /f/.)
  • Proto-altaisches innervokalisches /r/ wird Proto-turkisch zu /z/, allerdings im aberranten turkischen Tschuwaschischen und im Mongolischen bleibt /r/ erhalten.

In dem turkisch-mongolischen Wort für lang greifen diese Lautgesetze ineinander und bilden eine überzeugende etymologische Relation:

  • Mittel-Mongol. hurtu, Mongol. urtu, Monguor fudur;
  • Alt-Turkisch uzun, Tschuwaschisch vorom

Poppe 1973 antwortet ironisch denen (z.B. Doerfer), die auch eine solche Gleichung lediglich für ein Resultat von Entlehnungen vom Turkischen ins Mongolische halten (nach R.A. Miller 1991): "Die Wurzel ist also mong. ur- = turk. uz-, wo /r/ und /z/ regelrechte Entsprechungen sind. Wenn dies eine Entlehnung aus den Turksprachen ist, so müssen die Mongolen "nur" die Wurzel uz- entlehnt haben, /z/ in /r/ 'verwandelt' ... und außerdem ein prothetisches /*p-/ angesetzt haben (vgl. Monguor fudur), was gewiss ganz absurd ist."

Fazit

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die makro-altaischen Sprachen eine genetische Einheit bilden. Die Wahrscheinscheinlichkeit einer Einheit des Altaischen im engeren Sinne - also Turkisch-Mongolisch-Tungusisch - ist deutlich höher als die Wahrscheinlichkeit der makro-altaischen Variante. Es kann aber letztlich auch nicht ausgeschlossen werden, dass alle gezeigten Parallelen auf Kontaktphänomene und Entlehnungen zurückgehen. Klar ist aber auch, dass nach dem heutigen Kenntnisstand eine Aussage der Art "es gibt mit Sicherheit keine genetische Einheit der altaischen Sprachen" nicht belegbar ist. Vielleicht führen künftige Forschungsresultate zu eindeutigeren Ergebnissen. Auch die Behandlung des (Makro-) Altaischen im Rahmen der Makrofamilien Eurasiatisch und Nostratisch könnte mehr Klarheit in dieses Problem bringen.

Altaistik

Altaistik ist als Oberbegriff der Wissenschaftsdisziplinen, die sich mit den entsprechenden Sprachen, Völkern, Geschichte(n) und Kulturen beschäftigen, bis heute in der wissenschaftlichen Welt in Gebrauch. Ein Grund dafür ist die Tradition und die Struktur von Lehr- und Forschungseinrichtungen. Darüber hinaus sind jenseits der in Frage gestellten sprachgenetischen Verwandtschaft viele andere historische und kulturelle Gemeinsamkeiten zu betrachten. Auch die Erforschung des zumindest existierenden altaischen Sprachbundes, der die turkischen, mongolischen und tungusischen Sprachen umfasst, vielleicht auch das Koreanische und Japanische, macht eine Altaistik auch in Zukunft als Fach und Forschungsgebiet sinnvoll und wertvoll. Sie könnte auch – zusammen mit der Uralistik und Indogermanistik – den Kern einer Forschungsrichtung darstellen, die sich mit der aktuellen Thematik der eurasischen Makrofamilien (Eurasiatisch und Nostratisch) befasst.