Location via proxy:   [ UP ]  
[Report a bug]   [Manage cookies]                

Wetzrille

durch menschliche Einwirkung entstandene Kerbe in Steinen
(Weitergeleitet von Wetzspur)

Eine Wetzrille, auch Wetzmarke, Schleifrille oder Teufelskralle, (englisch grooved marking; französisch polissoir; schwedisch Slipskåror der Sliprännor) ist eine durch menschliche Aktivität entstandene Einkerbung in Steinen.

Vorkommen

Bearbeiten

Man findet die Einkerbungen an erratischen Blöcken und Menhiren, Felswänden und kleineren Steinen, später auch an profanen und sakralen Gebäuden (ägyptischen Tempeln). Auch mittelalterliche Gebäude, Steinkreuze und Wegsteine weisen derartige Spuren auf. Über 3600 Wetzrillen wurden auf Gotland gefunden. Es handelt sich um einzelne oder parallel verlaufende Rillen, die in drei Formen auftreten:

  • Kahn
  • Löffel
  • Schnitt

Daneben gibt es auch runde und schalenartige, näpfchenförmige und konkave Einkerbungen. Steine ausschließlich mit Näpfchen werden Schalensteine genannt.

Schleifrillen finden sich auch oft an den Einfassungen von Brunnen und Zisternen als früherer Zeit. Besonders ausgeprägt an Einfassungen aus vergleichsweise weichem Gestein, wie z. B. Sandstein. Sie entstanden durch Seile an den Eimern zum Schöpfen des Wassers durch Umlenkung an der Einfassung.

Steinzeit

Bearbeiten

Vereinzelt treten die Rillen auf vorgeschichtlichen Denkmälern (Menhiren) auf. Die kahn- und löffelförmigen entstanden möglicherweise durch das Schleifen von Steinäxten. Bisher gibt es jedoch keine Belege dafür, dass Steinzeitmenschen die Rillen erzeugt haben. Bisweilen treten sie vergesellschaftet mit so genannten Näpfchen auf, etwa vier bis sechs cm großen, flachen, kreisartigen Gebilden.

Eisenzeit

Bearbeiten
 
Wetzrillen (franz. Polissoir) von Buno-Bonnevaux Frankreich

Wenige Zentimeter große, meist hutförmige Steine mit einer glatten Fläche, die gelegentlich mit umlaufenden, eingeschliffenen Rillen versehen sind, kommen vereinzelt als Grabbeigaben auf eisenzeitlichen Urnenfriedhöfen in Niedersachsen und Westfalen vor. Häufiger sind sie an Hase und Hunte in Niedersachsen. Sie wurden zunächst als Glatt- oder Schleifsteine gedeutet. Neuerdings hält man sie, mit Blick die auf die monumentalen Rillensteine, die sich im nördlichen Niedersachsen und in Ostfriesland finden, eine kultische Bedeutung für möglich. Über ihre Zeitstellung lässt sich sagen, dass sie in Westfalen mehrfach mit Rasiermessern der Eisenzeit vergesellschaftet gefunden worden sind.

Ägypten

Bearbeiten

In Ägypten gibt es derartige Rillen z. B. an den Tempeln in Edfu, Luxor, Karnak und Assuan. Die Übereinstimmung der Typen und Formen und ihre Lage (sie sind fast ausschließlich senkrecht angeordnet) in Bezug auf die Gebäude sind in Ägypten, Deutschland und Österreich vergleichbar. Die Gemeinsamkeiten zwischen europäischen und ägyptischen Schleifrillen lassen vermuten, dass die Anbringung auf die gleiche oder eine ähnliche Intention zurückzuführen ist.

 
Wetzrillen in der Propsteikirche Brilon

Mittelalter

Bearbeiten

Die jüngeren Rillen findet man im europäischen Bereich an mittelalterlichen Friedhofsmauern, Kirchen, (Old Lady Kirk auf Sanday) Kreuzen oder Rechtsaltertümern (Gerichtsgebäude, Grenzstein, Pranger) zumeist im Außenbereich und in Bodennähe.

Erklärungen

Bearbeiten

Funktion und Geschichte der Wetzrillen sind bisher wissenschaftlich nicht abschließend geklärt. Das Phänomen ist für die Zeitspanne von der Steinzeit bis ins 19. Jahrhundert überliefert.

Zahlreiche Erklärungen zur Entstehung der Rillen und Näpfchen wurden bisher vorgebracht, etwa abergläubische Vorstellungen, das Wetzen und Schärfen von Waffen und Werkzeugen, oder die Gewinnung von Steinpulver zu abergläubischen oder volksmedizinischen Zwecken.[1]

Es gibt aber auch eine profane Erklärung: Im Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert vor der Einführung der Zündhölzer wurde mit Feuerstahl Feuer gemacht. Am Sandstein der Kirchen schlug man damit Funken, die zusammen mit Zunder entflammt wurden. So entzündeten die Kirchgänger ihre Laternen für den Heimweg.

 
Wetzrillen am Freiburger Münster
 
Wetzrillen an der Kirche St. Michael in Weidenberg (Oberfranken)
 
Wetzrillen an einem mittelalterlichen Sühnekreuz

Beispiele

Bearbeiten
  • Gotland (Schweden)
    • Sliprännor für eine auf Gotland vorkommende Form
    • Bro (Gotland) an einer Quelle
    • Bunge (Gotland), Museum
    • Hajdeby (Gotland) auf Aufschluss
    • Norrlanda Fornstuga (Gotland), Museum
    • Stenkyrka (Gotland) auf Monolithen
    • Visne (Gotland) am Bachufer
  • Orkney
    • die „Devil’s Clawmarks“, an der Old Lady Kirk auf Sanday
  • Tschechien
    • romanische Außenpfeiler der Pfarrkirche St. Jakob in Přelouč in Ostböhmen – der dortige Wetzrillenbestand ist sehr umfangreich, außerdem dort sehr umfangreiche Felder von näpfchenförmigen Einkerbungen.

Siehe auch

Bearbeiten

Literatur

Bearbeiten
  • Joachim Jünemann: Rillen und Näpfchen auf sakralen Denkmalen. In: Beiträge zur Geschichte der Pharmazie, 29. Jg., 1977, Nr. 4, S. 24–31
  • Joachim Jünemann: Nachlese zu Rillen und Näpfchen auf sakralen Denkmalen. In: Beiträge zur Geschichte der Pharmazie, Bd. 31, 1980, Nr. 7, S. 49–54
  • Hans Cappel: „Wetzrillen“ und andere rätselhafte Spuren unter besonderer Berücksichtigung saarpfälzischer Betreffe. In: Saarpfalz. Blätter für Geschichte und Volkskunde. Nr. 3, 2007, ISSN 0930-1011, S. 40–50.
  • Karl Kohlstock: Wetzzeichen an Kirchen, Grabsteinen, Kreuzen und Profanbauten in Thüringen. In: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde. Bd. 38, 1932/33, ZDB-ID 200434-3, S. 269–277 (online).
  • Udo Liessem: Zur Frage der Wetzrillen an Sakral- und Profanbauten. In: Pfälzer Heimat. Jg. 29, Heft 2, 1978, ISSN 0031-6679, S. 67–69.
  • Willi Wegewitz: Der Rillenstein vom Forsthaus Hollenbeck Kreis Stade. In: Stader Jahrbuch 1982 (= Stader Archiv, NF 72). ISSN 0930-8946, S. 7–23.
  • Rudolf Wilms: Wetzrillen an Kirchen der Zweibrücker Umgebung. In: Pfälzer Heimat. Jg. 28, Heft 3, 1977, S. 81–86.
Bearbeiten
Commons: Wetzrillen an mittelalterlichen Kirchenportalen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Horst Schnur: Steinmehl als Heilmittel : Versuch einer Annäherung an Volksglauben und Volksmedizin im Odenwald , es-Verlag, Michelstadt 2017