Huang Po Der Geist Des Zen
Huang Po Der Geist Des Zen
Huang Po Der Geist Des Zen
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Unterweisungen und Dialogen, aufgezeichnet von P'ei-hsiu während seines Aufenthaltes in der
Stadt Chün-chou
Die Wan-ling-Aufzeichnungen der Lehren des Zenmeisters Huang po - Eine Sammlung von
Dialogen, Unterweisungen und Anekdoten, aufgezeichnet von P'ei-hsiu, während er Präfekt von
Wan-ling war
Inhaltsverzeichnis
Der große Zen-Meister Hsi-yün lebte unter dem Geier-Gipfel des Berges Huang-po im Bezirk Kao. Er war
der dritte in direkter Abstammungslinie von Hui-neng, dem Sechsten Patriarchen, und der Schüler eines
Mitbruders von Huai-hai (Jap.: Hyakujo Ekai). Da er nur die intuitive Methode des Höchsten Fahrzeuges
hochschätzte, die nicht mit Worten zu übertragen ist, lehrte er nichts anderes als die Lehre vom Einen
Geist. Es gab für ihn keine andere Unterweisung, da Geist und Substanz in gleicher Weise leer sind und
die Kette von Ursache und Wirkung ohne Bewegung ist. Der Geist gleicht der Sonne, die durch den
Himmel wandert und ihr herrliches Licht aussendet, ohne von Staub befleckt zu werden. Für diejenigen,
die das Wesen der Wirklichkeit innerlich erfahren haben, ist nichts alt oder neu. Begriffe wie Seichtheit
oder Tiefe sind für sie bedeutungslos. Wer von dieser Wirklichkeit spricht, versucht sie nicht zu erklären,
errichtet keine Sekte, macht keine Türen noch Fenster auf. Sie ist das, was du vor der Nase hast. Sobald
du über sie nachzudenken beginnst, verfällst du dem Irrtum. Nur wenn du dies verstanden hast, wirst du
deine Einheit mit dem ursprünglichen Buddha-Wesen erfahren. Deshalb waren die Worte des Meisters
einfach, sein Denken unmittelbar, sein Lebensweg edel, seine Gewohnheiten denen anderer so unähnlich.
Aus allen Himmelsrichtungen kamen die Schüler zu ihm und sahen zu ihm auf wie zum Gipfel eines hohen
Berges. Durch die Begegnung mit ihm erwachten sie zur Wirklichkeit. Mehr als tausend Schüler waren
stets zur gleichen Zeit um ihn versammelt.
Im zweiten Jahr des Hui-ch'ang (834 n. Chr.) begrüßte ich ihn, da ich Präfekt von Chung-lin war, als er
von seinem Berg in diese Stadt herabkam. Wir wohnten zusammen im Lung-hsing-Kloster. Tag und Nacht
befragte ich ihn über den Weg. Noch einmal hatte ich im zweiten Jahr des T'ai-chung (849 n. Chr.), als ich
Präfekt von Wan-ling war, Gelegenheit, ihn feierlich zu begrüßen. Diesmal blieben wir in aller Stille im
Kloster K'ai-yuan, in dem ich mich wieder Tag und Nacht unter seiner Leitung schulte. Nachdem ich ihn
verlassen hatte, schrieb ich auf, was ich gelernt hatte. Wenn ich auch nur etwa ein Fünftel davon
niederschreiben konnte, so halte ich dies doch für eine unmittelbare Weitergabe der Lehre. Zuerst war ich
unsicher, ob ich das Geschriebene veröffentlichen sollte. Doch da ich fürchtete, diese lebendigen und
tiefgründigen Lehren könnten kommenden Generationen verloren gehen, tat ich es. Ich gab das
Manuskript den Mönchen T'ai-chou und Fa-chien mit der Bitte, bei der Rückkehr in das Kuang-t'ang-
Kloster auf dem alten Berg die älteren Mönche zu fragen, wie weit es mit dem übereinstimmte, was sie
selbst häufig genug gehört hatten.
Geschrieben am achten Tag des zehnten Mondes des elften Jahres von T'ai-chung (858 n. Chr.) der T'ang-
Dynastie
Inhaltsverzeichnis
1. Alle Buddhas und alle Lebewesen sind nichts als der Eine Geist, neben dem nichts anderes existiert.
Dieser Geist, der ohne Anfang ist, ist ungeboren und unzerstörbar. Er ist weder grün noch gelb, hat weder
Form noch Erscheinung. Er gehört nicht zu der Kategorie von Dingen, die existieren oder nicht existieren.
Auch kann man nicht mit Ausdrücken wie alt oder neu von ihm denken. Er ist weder lang noch kurz,
weder groß noch klein, denn er überschreitet alle Grenzen, Maße, Namen, Zeichen und Vergleiche. Du
siehst ihn stets vor dir, doch sobald du über ihn nachdenkst, verfällst du dem Irrtum. Er gleicht der
unbegrenzten Leere, die weder zu ergründen noch zu bemessen ist.
Der Eine Geist allein ist Buddha, und es gibt keinen Unterschied zwischen Buddha und den Lebewesen,
nur dass diese an Formen festhalten und im Außen die Buddhaschaft suchen. Durch eben dieses Suchen
aber verlieren sie sie. Denn sie benutzen Buddha, um Buddha zu suchen, und benutzen den Geist, um den
Geist zu erfassen. Selbst wenn sie ein Äon lang ihr Äußerstes leisten würden, sie könnten die
Buddhaschaft doch nicht erreichen. Sie wissen nicht, dass ihnen in dem Augenblick, in dem sie das
begriffliche Denken aufgeben und ihre Unruhe vergessen, Buddha erscheinen wird; denn dieser Geist ist
Buddha, und Buddha ist alle Lebewesen. Er ist nicht kleiner, wenn er sich in gewöhnlichen Dingen, noch
größer, wenn er sich als Buddha manifestiert.
2. Da du im Grunde in jeder Hinsicht vollkommen bist, solltest du nicht versuchen, diese Vollkommenheit
noch durch das Üben der sechs Paramitas und von unzähligen ähnlichen Übungen sowie das Sammeln von
Verdiensten unzählig wie die Sandkörner des Ganges zu ergänzen. Wenn Gelegenheit für Übungen
vorhanden ist, führe diese aus; wenn die Gelegenheit vorüber ist, gib Ruhe. Wenn du nicht vollkommen
überzeugt bist, dass der Geist Buddha ist, sondern noch an Formen, Übungen und verdienstvollen Taten
hängst, ist deine Art zu denken falsch und völlig unvereinbar mit dem Weg.
Der Geist ist Buddha. Es gibt keine anderen Buddhas oder irgendeinen anderen Geist. Er ist strahlend und
fleckenlos wie die Leere und hat überhaupt keine Form noch Erscheinung. Den Geist für begriffliches
Denken zu benutzen, bedeutet die Substanz lassen und sich an Formen binden. Der Ewig-Seiende-Buddha
hat keine Gestalt und ist kein Gegenstand der Bindung. Die Übung der sechs Paramitas und Myriaden
ähnlicher Übungen, die dazu führen sollen, ein Buddha zu werden, bedeutet ein stufenweises
Voranschreiten. Der Ewig-Seiende-Buddha aber ist kein Buddha der Stufen. Erwachst du bloß zum Einen
Geist, so gibt es nichts anderes mehr zu verwirklichen. Dies ist der wirkliche Buddha. Der Buddha und
alle lebenden Wesen sind der Eine Geist und nichts anderes.
3. Der Geist gleicht der Leere, in der es keine Verwirrung und kein Böses gibt, wenn die Sonne sie
durchkreist und die vier Himmelsrichtungen erhellt. Denn wenn die Sonne aufsteigt und die ganze Welt
erleuchtet, nimmt die Leere nicht an Glanz zu, und wenn sie niedergeht, wird die Leere nicht dunkler. Die
Erscheinungen von Licht und Dunkel wechseln ab, das Wesen der Leere aber bleibt unverändert. Das
gleiche gilt für den Geist des Buddha und der Lebewesen. Wenn du Buddha für eine reine, strahlende
oder erleuchtete Erscheinung hältst, die Lebewesen aber für üble, dunkle und todgeweihte Gestalten, so
werden dich diese Vorstellungen, die deinem Haften an Formen entstammen, von der höchsten Erkenntnis
fernhalten, auch dann noch, wenn du so viele Äonen durchschritten hast, wie es Sandkörner am Ganges
gibt.
Es existiert nur der Eine Geist und kein Teilchen von irgendetwas anderem, an das man sich klammern
könnte. Denn dieser Geist ist Buddha. Wenn ihr Schüler auf dem Weg nicht zu dieser Geistsubstanz
erwacht, werdet ihr den Geist mit begrifflichem Denken überlagern, den Buddha außerhalb von euch
selbst suchen und gebunden bleiben an Formen, fromme Übungen und anderes, was schädlich und
keineswegs der Weg zur höchsten Erkenntnis ist.
4. Alle Opfer, die den Buddhas des Weltalls gebracht würden, glichen nicht dem Opfer, das jenem
gebracht wird, der dem Weg folgt und das begriffliche Denken aufgegeben hat. Warum? Weil dieser
keinerlei Begriffe mehr formt. Die Substanz des Absoluten gleicht im Innern Holz oder Stein, da sie
nämlich unbewegt ist. Äußerlich gleicht sie der Leere, da sie ohne Grenzen und Hemmungen ist. Sie ist
weder objektiv noch subjektiv, hat keinen bestimmten Ort, ist ohne Form und kann nicht verschwinden.
Wen es zu Ihr hinzieht, der wagt nicht, in sie einzugehen, da er Angst hat, in die Leere hinabgeschleudert
zu werden, ohne sich an etwas klammern zu können oder vorm Fallen bewahrt zu werden. So starren sie
auf den Abgrund und ziehen sich zurück. Dies bezieht sich auf alle, die solches Ziel durch Überlegung zu
erreichen suchen. Es sind dies die Vielen, während nur wenige die intuitive Erkenntnis des Weges
erlangen.
5. Manjushri verkörpert das grundlegende Gesetz, Samantabhadra die Tätigkeit. Ersteres bedeutet das
Gesetz der wirklichen und unbegrenzten Leere, letzteres die unerschöpflichen Tätigkeiten jenseits der
Sphäre der Formen. Avalokiteshvara repräsentiert grenzenloses Erbarmen; Mahasthama grenzenlose
Weisheit; Vimalakirti den fleckenlosen Namen. Fleckenlos bezieht sich auf das Wahre-Wesen der Dinge,
während Name Form bedeutet. Die Form aber ist in Wirklichkeit eins mit dem Wahren-Wesen. Daher die
Verbindung "fleckenloser Name". Alle Eigenschaften, die von den großen Bodhisattvas verkörpert
werden, wohnen dem Menschen inne und sind nicht von dem Einen Geist zu trennen. Erwache zu ihm,
und sie sind da. Ihr Schüler des Weges, die ihr nicht m eurem eigenen Bewusstsein zu diesem Geist
erwacht und die ihr an äußeren Erscheinungen hängt oder etwas Objektives außerhalb eures eigenen
Geistes sucht, ihr alle habt dem Weg den Rücken gekehrt.
Sandkörner des Ganges! Von diesen sagte Buddha: "Würden alle Buddhas und Bodhisattvas zusammen
mit Indra und allen Göttern über ihn schreiten, der Sand würde sich nicht freuen. Wenn Ochsen, Schafe,
Reptilien und Insekten auf ihn treten, der Sand empfindet keinen Ärger. Er sehnt sich nicht nach Schmuck
und Wohlgerüchen und hat auch kein Verlangen nach dem Gestank von Urin und Mist."
6. Dieser Geist ist nicht an begriffliches Denken gebunden und völlig frei von jeder Form. So
unterscheiden sich Buddhas und Lebewesen in keiner Weise. Könntet ihr euch nur frei machen von
begrifflichem Denken, dann hättet ihr alles erreicht. Aber wenn ihr Schüler auf dem Weg euch nicht
blitzartig von dem begrifflichen Denken löst, werdet ihr niemals Vollkommenheit erlangen, auch wenn ihr
von Äon zu Äon danach strebt. Verstrickt in die verdienstvollen Übungen der drei Fahrzeuge werdet ihr
niemals imstande sein, Erleuchtung zu erlangen.
Die innere Erfahrung des Einen Geistes kann aber nach einer kürzeren oder längeren Periode eintreten. Es
gibt solche, die nach dem Vernehmen dieser Lehre in einem Augenblick sich vom begrifflichen Denken
befreien, andere, nachdem sie den Zehn Glaubensformeln, den Zehn Stufen, den Zehn Tätigkeiten und
den Zehn Verdienstbringenden Gaben gefolgt sind. Andere erlangen Befreiung, nachdem sie die Zehn
Stufen einer Bodhisattva-Entwicklung durchschritten haben. Aber ob sie das begriffliche Denken auf
einem längeren oder kürzeren Weg überschreiten, das Ergebnis ist ein Zustand des Seins. Es gibt keine
fromme Übung oder Handlung, die zu innerer Erfahrung führt. Dass es nichts gibt, was zu erreichen wäre,
ist keine leere Rede. Es ist die Wahrheit. Auch wird die Vollendung die gleiche sein, ob du dein Ziel in
einem einzigen blitzartigen Gedanken oder nach Durchschreiten der Zehn Stufen der Bodhisattva-
Entwicklung erreichst. Da dieser Zustand des Seins keine Grade kennt, bedeutet die andere Methode nur
Äonen unnötiger Leiden und Mühen.
7. Das Ansammeln von Gutem wie von Schlechtem hat beides mit dem Haften an der Form zu tun. Wer
Schlechtes tut, weil er der Form verhaftet ist, muss unnötigerweise die verschiedensten Inkarnationen
durchlaufen. Doch jene, die an der Form haftend Gutes tun, laden sich ebenso nutzlose Mühen und
Entsagungen auf. In beiden Fällen ist es besser, plötzliche Selbstverwirklichung zu erlangen und den
grundlegenden Dharma zu erfassen. Dieser Dharma ist der Geist; jenseits von ihm besteht kein Dharma.
Dieser Geist ist der Dharma; jenseits von diesem besteht kein Geist. Geist an sich ist kein Geist, ebenso
wenig ist er Nicht-Geist. Die Aussage, der Geist sei Nicht-Geist, setzt etwas Existierendes voraus. Mögen
wir in schweigendem Begreifen verharren - weiter nichts. Fort mit allem Denken und Erklären! Dann ist
der Weg der Worte abgeschnitten, die Bewegungen des Geistes sind ausgeschaltet. Dieser Geist ist die
reine Buddha-Quelle, die allen Menschen innewohnt. Alle sich bewegenden Wesen, die vom Leben
durchpulst sind, alle Buddhas und Bodhisattvas bestehen aus dieser einen Substanz und unterscheiden sich
nicht voneinander. Verschiedenheiten entstehen nur durch falsches Denken und bewirken vielfältiges
Karma.
8. Unser ursprüngliches Buddha-Wesen ist, vom Standpunkt der höchsten Wahrheit, ohne das geringste
Teilchen von Gegenständlichkeit. Es ist leer, allgegenwärtig, still und rein. Es ist herrliche und
geheimnisvoll friedvolle Freude - nichts anderes. Dringe tief in es ein, indem du selbst dazu erwachst. Das,
was du in jedem Augenblick vor dir hast, ist dieses Buddha-Wesen in all seiner Vollkommenheit - es gibt
nichts außer ihm. Auch wenn du alle Stufen der Bodhisattva-Entwicklung, eine nach der anderen, zur
Buddhaschaft hin durchschreitest - wenn du endlich in einem einzigen Augenblick die vollkommene
Verwirklichung erreichst, wirst du nur das Buddha-Wesen erfahren, das alle Zeit bei dir war. Auf allen
vorangegangenen Stufen wirst du ihm nichts hinzugefügt haben.
Die Äonen des Wirkens und Ansammelns werden dir dann wie unwirkliche Traumhandlungen erscheinen.
Darum sagt der Tathagata: "Durch die vollkommene unübertroffene Erleuchtung habe ich wahrlich nichts
dazu gewonnen." Wäre irgendetwas zu erreichen gewesen, hätte Dipamkara Buddha nicht die
prophetischen Worte über meine Buddhaschaft gesprochen. Auch solches sprach er: "Dieser Dharma ist
völlig ohne jede Unterscheidung, weder hoch noch niedrig. Sein Name ist Bodhi." Er ist reiner Geist, die
Quelle von allem. Mag er als ein Lebewesen oder als Buddha, in der Gestalt von Flüssen und Bergen, als
Teil der formhaften Welt oder als Formloses erscheinen oder auch als etwas das gesamte Universum
Durchdringendes - er ist vollkommen unterschiedslos. Denn es gibt kein Selbst und kein Anderes.
9. Dieser reine Geist, die Quelle von allem, scheint für immer und auf alle mit dem Glanz seiner eigenen
Vollendung. Aber die Menschen in der Welt werden dessen nicht gewahr, da sie nur das für Geist halten,
was sieht, hört fühlt und weiß. Durch eigenes Sehen, Hören, Fühlen und Wissen geblendet, erkennen sie
nicht die geistige Herrlichkeit der Quellsubstanz. Doch würden sie endlich alles begriffliche Denken in
einem Augenblick abwerfen, dann würde sich diese Quellsubstanz manifestieren, wie die Sonne, die in der
Leere aufsteigt und das ganze Weltall ohne Hindernis oder Schranken erleuchtet. Wenn ihr Schüler des
Weges durch. Sehen, Hören, Fühlen und Erkennen Fortschritte zu erreichen sucht, dann werdet ihr, wenn
euch die Wahrnehmungen genommen werden, vom Weg zum Geist abgeschnitten, und ihr werdet
nirgends Eintritt finden.
Ihr müsst nur gewahr werden, dass der Wahre-Geist, auch wenn er sich in diesen Wahrnehmungen
ausdrückt, weder Teil von ihnen noch von ihnen getrennt ist. Ihr dürft aus diesen Wahrnehmungen keine
Schlüsse ziehen noch begriffliche Gedanken entstehen lassen. Aber ebenso wenig solltet ihr den Einen
Geist außerhalb dieser Wahrnehmungen suchen oder sie auf eurer Suche nach dem Dharma aufgeben.
Behaltet sie nicht, gebt sie auch nicht auf, wohnt nicht in ihnen und haftet nicht an ihnen. Über, unter und
um euch ist alles augenblicklich aus dem Geist geschaffenes Sein; nichts ist außerhalb des Buddha-
Geistes.
10. Wenn die Menschen der Welt hören, dass Buddha die Lehre vom Geist übermittelt hat, dann nehmen
sie an, es gäbe etwas, das jenseits des Geistes erlangt oder erfahren werden kann. So benutzen sie den
Geist, um den Dharma zu suchen, unwissend, dass der Geist und das Ziel ihrer Suche eins sind. Der Geist
kann nicht benutzt werden, um etwas vom Geist zu suchen. Auch wenn Millionen Äonen so vergingen,
der Tag des Erfolges würde nicht aufdämmern. Eine solche Methode ist nicht zu vergleichen mit dem
plötzlichen Fortwerfen aller begrifflichen Gedanken, das der grundlegende Dharma ist. Stellt euch einen
Krieger vor, der vergessen hat, dass er seine Perle auf der Stirn trägt, und sie überall sucht. Er könnte die
ganze Welt durcheilen und würde sie doch nicht finden. Würde aber jemand, der Bescheid wüsste, seinen
Irrtum aufklären, würde er sogleich erfassen, dass die Perle die ganze Zeit dort war.
Ebenso werdet ihr Schüler des Weges, wenn ihr euren wirklichen Geist nicht als Buddha erkennt, diesen
überall suchen, euch auf verschiedenste Handlungen und Übungen einlassen und durch solche stufenweise
Praktiken das Ziel zu erreichen suchen. Aber selbst nach Äonen eifrigster Suche werdet ihr nicht imstande
sein, den Weg zu finden. Diese Methoden lassen sich nicht vergleichen mit dem plötzlichen Ausmerzen
aller begrifflichen Gedanken, im sicheren Wissen, dass es überhaupt nichts gibt, was absolute Existenz
besitzt, nichts, an das man sich klammern kann, nichts, dem man vertrauen, nichts, in dem man verweilen
kann, nichts, was Subjekt oder Objekt ist. Nur indem ihr verhindert, dass begriffliches Denken entsteht,
werdet ihr Bodhi erfahren. Dann werdet ihr auch Buddha erfahren, der immer in eurem eigenen Geist
existierte. Alle Äonen eifrigen Suchens werden sich als ebenso lange Zeit nutzloser Anstrengungen
erweisen. Es wird sein wie bei dem Krieger, der seine Perle fand: Er entdeckt nur, was er all die Zeit auf
seiner Stirn trug, und dieses Entdecken hat nichts zu tun mit seinen Anstrengungen, die Perle anderswo zu
finden. Darum sprach Buddha: "Ich habe durch die vollkommene unübertreffbare Erleuchtung wahrlich
nichts dazu gewonnen." Nur in der Befürchtung, dass die Menschen dieses nicht glauben würden, berief er
sich auf das mit den fünf Arten der Schau Wahrzunehmende und mit den fünf Arten der Rede
Auszusprechende. Dieser Satz ist aber keineswegs leeres Gerede, sondern drückt die höchste Wahrheit
aus.
11. Ihr Schüler des Weges solltet gewiss sein, dass die Vier Elemente, die den Körper aufbauen, nicht das
"Selbst" bilden, und dass das "Selbst" keine Wesenheit ist - woraus sich ableiten lässt, dass der Körper
weder ein Selbst noch eine Wesenheit ist. Die Fünf Bewusstseinsfaktoren, die das menschliche
Bewusstsein aufbauen, stellen ebenfalls kein Selbst oder eine Wesenheit dar. Daraus lässt sich folgern,
dass das (so genannte individuelle) Bewusstsein weder ein Selbst noch eine Wesenheit ist. Die Sechs
Sinne, die zusammen mit den sechs Arten der Wahrnehmung und den sechs Arten der
Wahrnehmungsobjekte die Welt der sinnlichen Wahrnehmung darstellen, muss man ebenso verstehen.
Diese achtzehn Aspekte der Sinneswelt sind einzeln und zusammengenommen leer. Es gibt nur die Geist-
Quelle von grenzenloser Ausdehnung und absoluter Reinheit.
12. So gibt es sinnenhaftes und weises Essen. Wenn der Körper, der aus den vier Elementen besteht, an
Hunger leidet und ihr ihm ohne Gier Nahrung verschafft, dann ist dies weises Essen. Wenn ihr euch aber
gierig an Reinheit und Wohlgeschmack ergötzt, dann lasst ihr die Unterscheidungen zu, die aus falschem
Denken erwachsen. Nur Befriedigung des Geschmackssinnes zu suchen, ohne zu wissen, wann man genug
hat, heißt sinnenhaftes Essen.
13. Shravakas erlangen Erleuchtung durch Hören des Dharma. Darum die Bezeichnung Shravakas. Sie
verstehen nicht ihren eigenen Geist, erlauben aber, dass Begriffe aufsteigen, wenn sie der Lehre zuhören.
Ob sie nun von der Existenz von Bodhi und Nirvana durch übernatürliche Kräfte, durch Glück oder durch
Predigten erfahren, sie werden Buddhaschaft nur nach drei Äonen endloser Dauer erreichen. Dies alles
gehört zum Weg der Shravakas; darum heißen sie Shravaka-Buddhas. Plötzlich aber der Tatsache gewahr
zu werden, dass euer eigener Geist
Buddha ist und nichts zu erreichen, keine, einzige Handlung zu vollbringen ist, das ist der höchste Weg.
Dies heißt wirklich einem Buddha gleich sein. Es steht nur zu befürchten, dass ihr Schüler auf dem Weg
durch Aufkommen eines einzigen Gedankens eine Schranke zwischen euch und dem Weg errichtet. Von
Gedanken-Augenblick zu Gedanken-Augenblick - keine Form! Von Gedanken-Augenblick zu Gedanken -
keine Tätigkeit! Das ist Buddha-Sein!
Wenn ihr Schüler des Weges Buddha werden wollt, braucht ihr keinerlei Lehre zu studieren; ihr müsst nur
lernen, wie ihr es vermeidet, nach etwas zu suchen und euch an irgendetwas zu klammern. Wo nichts
gesucht wird, ist der ungeborene Geist gegenwärtig. Wo keinerlei Anhaften besteht, ist der unzerstörbare
Geist vorhanden. Was weder geboren ist noch zerstört wird, ist Buddha. Die 84000 Methoden, die den
84000 Formen der Täuschung entgegenwirken sollen, sind nur Redewendungen, die die Menschen zum
Tor zur Befreiung hinziehen sollen. In Wirklichkeit hat keine von ihnen wahren Bestand. Alles
aufzugeben, ist Dharma. Wer dies begreift, ist ein Buddha. Das Aufgeben aller Täuschungen aber lässt
keinen Dharma zurück, auf den man sich stützen kann.
14. Wenn ihr Schüler des Weges dieses große Geheimnis erkennen wollt, dann vermeidet es, an
irgendetwas jenseits des Geistes festzuhalten. Sagt man, der wirkliche Dharmakaya des Buddha ähnele der
Leere, so ist dies nur ein anderer Ausdruck für die Feststellung, dass der Dharmakaya die Leere und dass
die Leere der Dharmakaya ist. Oft wird behauptet, der Dharmakaya sei in der Leere und die Leere
enthalte den Dharmakaya, wo doch beide ein und dasselbe sind. Beschreibt ihr aber die Leere als etwas
Existierendes, dann ist sie nicht der Dharmakaya, und beschreibt ihr den Dharmakaya als etwas, das
existiert, dann ist er nicht die Leere. Lasst ihr dagegen von jedem objektiven Begriff der Leere ab, dann
ist sie der Dharmakaya; und wenn ihr jeden objektiven Begriff des Dharmakaya abtut - dann eben ist er
die Leere. Sie unterscheiden sich nicht voneinander. Ebenso gibt es keinen Unterschied zwischen
Lebewesen und Buddhas, zwischen Samsara und Nirvana, oder zwischen Täuschung und Bodhi. Wenn
alle diese Formen aufgegeben sind, dann ist Buddha da.
Gewöhnliche Menschen blicken auf ihre Umgebung, während Schüler des Weges auf das Bewusstsein
blicken. Der wahre Dharma aber ist, dass man beides vergisst. Ersteres ist leicht genug, das zweite aber
sehr schwer. Die Menschen haben Angst, ihr Bewusstsein aufzugeben, denn sie fürchten, haltlos in die
Leere zu fallen. Sie wissen nicht, dass die Leere nicht wirklich leer ist, sondern der Bereich des wirklichen
Dharma. Dieses geistig erleuchtende Wahre-Wesen ist anfanglos und zeitlos wie die Leere, weder Geburt
noch Zerstörung unterworfen, es existiert nicht, ist aber ebenso wenig nichtexistent; es ist nicht unrein
noch rein, nicht geschwätzig noch schweigend, weder alt noch jung. Es nimmt keinen Raum ein und hat
weder Innen noch Außen, weder Gestalt noch Erscheinung, weder Farbe noch Klang. Man kann es nicht
sehen noch suchen, nicht mit Weisheit oder Erkenntnis verstehen, nicht mit Worten erklären, nicht
materiell erfassen oder durch verdienstvolle Handlungen erreichen. Alle Buddhas und Bodhisattvas,
gemeinsam mit allen sich bewegenden, vom Leben durchpulsten Dingen, haben Anteil an diesem großen
Nirvana-Wesen, das Geist ist. Geist aber ist Buddha, und Buddha ist Dharma. Jeder Gedanke außerhalb
dieser Wahrheit ist vollkommen falsch. Du kannst nicht den Geist benutzen, um den Geist zu suchen,
nicht Buddha benutzen, um Buddha zu suchen, nicht den Dharma benutzen, um den Dharma zu suchen.
So solltet ihr Schüler des Weges sofort das begriffliche Denken abtun. Schweigendes Verständnis sei alles!
Jeder Denkvorgang muss zu Irrtum führen Es besteht nichts - und nur das ist die rechte Anschauung - als
die Vermittlung des Geistes durch den Geist. Seid sorgfältig bemüht, nicht nach außen auf die materielle
Umwelt zu blicken. Diese mit dem Geist zu verwechseln, hieße einen Dieb für den eigenen Sohn halten.
15. Enthaltsamkeit, Gelassenheit und Weisheit existieren nur im Gegensatz zu Begierde, Zorn und
Unwissenheit. Wie könnte es ohne Täuschung Erleuchtung geben. Darum sprach Bodhidharma: "Buddha
verkündet alle Dharmas, um jede Spur begrifflichen Denkens auszumerzen. Enthielte ich mich
vollkommen des begrifflichen Denkens, was wäre dann der Nutzen aller Dharmas?" Heftet euch an nichts
jenseits des reinen Buddha-Wesens, der ursprünglichen Quelle aller Dinge. Nehmt an, ihr solltet die Leere
mit zahllosen Juwelen schmücken; woran könntet ihr diese festmachen? Das Buddha-Wesen gleicht der
Leere. Wenn ihr sie auch mit unschätzbarem Verdienst und Weisheit schmücktet, wo könnten diese sich.
festsetzen? Sie würden nur das ursprüngliche Buddha-Wesen verbergen und unsichtbar machen.
Die so genannte Lehre vom "Ursprung im Bewusstsein" (der bestimmte andere Schulen folgen) setzt
voraus, dass alle Dinge im Bewusstsein geformt werden und sich durch Berührung mit der äußeren
Umwelt manifestieren, dass ihre Manifestation aber aufhört, wenn diese Umgebung nicht vorhanden ist.
Es ist aber falsch, eine Umwelt gesondert vom reinen unveränderlichen Wesen aller Dinge anzunehmen.
Der so genannte "Spiegel der Sammlung und Weisheit" (eine weitere Mahayana-Lehre) verlangt den
Einsatz von Sehen, Hören, Fühlen und Erkennen, die zu einander ablösenden Stufen der Ruhe und
Bewegung führen. Diese aber schließen Vorstellungen ein, die auf Objekten der Umwelt beruhen; es sind
dies bloße Notbehelfe, die einer der niedrigen Kategorien der "Wurzeln des Gutseins" zugehören. Diese
Kategorien befähigen die Menschen nur zum Verständnis dessen, was ihnen gesagt wird. Wollt ihr selbst
Erleuchtung erfahren, dann ergeht euch nicht in solchen Vorstellungen. Es sind dies alles Dharmas der
Umwelt. Sie betreffen Dinge, die sind, und Dinge, die nicht sind. Sie sind auf Existenz und Nichtexistenz
gegründet. Wenn ihr die Begriffe von Existenz und Nichtexistenz auf jedem Gebiet vollkommen
vermeidet, werdet ihr den Dharma wahrnehmen.
16. Am ersten Tag des neunten Mondes sprach der Meister zu mir: Von der Zeit an, wo der Große Meister
Bodhidharma in China ankam, sprach er nur vom Einen Geist und übermittelte nur den Einen Dharma. Er
benutzte Buddha, um Buddha zu übertragen, und sprach niemals von einem anderen Buddha. Er benutzte
den Dharma, um den Dharma zu übermitteln, und sprach niemals von einem anderen Dharma. Dieser
Dharma war der Dharma ohne Worte; und dieser Buddha war der ungreifbare Buddha, denn diese beiden
sind in Wahrheit jener Eine Geist, der die Quelle aller Dinge ist. Dies ist die einzige Wahrheit, alles andere
ist falsch. Prajna ist Weisheit. Weisheit ist die formlose ursprüngliche Geist-Quelle. Im allgemeinen
suchen Menschen nicht den Weg, sondern geben sich nur ihren sechs Sinnen hin, die sie in die sechs
Daseinsbereiche zurückführen. Ein Schüler des Weges, der sich nur einen einzigen Samsara-Gedanken
erlaubt, fällt in die Hände der Teufel. Erlaubt er sich nur einen einzigen Gedanken, der zu
unterscheidender Wahrnehmung führt, verfällt er der Ketzerei. Der Gedanke, dass es etwas Geborenes
gibt, und der Versuch, dieses auszuschalten, bedeutet unter die Shravakas fallen. Nimmt man an, dass
Dinge nicht geboren sind, aber zerstört werden können, gehört man zu den Pratyekas. Nichts wird
geboren, nichts wird zerstört. Fort mit eurem Dualismus, mit euren Vorlieben und Abneigungen. Jedes
einzelne Ding ist eben der Eine Geist. Hast du dies erkannt, hast du das Gefährt der Buddhas bestiegen.
17. Gewöhnlich sind die Menschen dem begrifflichen Denken verfallen, das auf den Erscheinungen der
Umwelt beruht. Daher stammen ihre Begierden und ihr Hass. Um die Erscheinungen, die euch umgeben,
loszuwerden, müsst ihr dem begrifflichen Denken ein Ende setzen. Hört dieses auf, so sind die
Erscheinungen der Umwelt leer. Sind diese leer, hört das Denken auf. Wenn ihr jedoch versucht, die
Umwelt auszuschalten, bevor ihr das begriffliche Denken aufgegeben habt, werdet ihr keinen Erfolg
haben; ihr werdet vielmehr ihre Macht stärken, euch abzulenken. Wenn also alle Dinge nichts sind als
Geist, ungreifbarer Geist, was hofft ihr dann zu erreichen? Die Schüler der Prajna glauben, dass es
überhaupt nichts Greifbares gibt. Darum hören sie auf, an die Drei Fahrzeuge zu denken. Es gibt nur die
eine Wirklichkeit, die nicht zu verwirklichen und nicht zu erlangen ist. Hochmütig, wer von sich sagt, er
sei fähig, etwas zu verwirklichen oder etwas zu erlangen. Die Menschen, die mit ihren Ärmeln wedelten
und die Versammlung verließen, wie es im Lotus-Sutra heißt, waren solche Hochmütigen. Darum sagt
Buddha: "Ich habe durch die Erleuchtung wahrlich nichts dazu gewonnen." Es gibt eben nur ein
geheimnisvolles schweigendes Verstehen und nichts anderes.
18. Könnte der gewöhnliche Mensch, wenn er im Sterben liegt, nur die fünf Elemente des -Bewusstseins
als leer erkennen und ganz erfassen, dass die vier physischen Elemente nicht ein "Ich" bilden, dass der
wahre Geist ohne Form ist und weder kommt noch geht, und dass sein Wesen weder mit der Geburt
beginnt noch mit dem Tod vergeht, sondern ganzheitlich und unbeweglich in seinen Tiefen ist, und dass
der Geist eins ist mit den Erscheinungen der Umwelt, dann würde er blitzartig Erleuchtung erlangen. Er
würde nicht mehr in die Dreifache Welt verstrickt sein. Er würde die Welt übersteigen und nicht mehr die
geringste Neigung zur Wiedergeburt besitzen. Würde er den herrlichen Anblick aller Buddhas
wahrnehmen, die, von den prächtigsten Manifestationen umgeben, zu seiner Begrüßung erschienen, so
würde er doch nicht den Wunsch haben, sich ihnen zu nahen. Würde er alle Arten schrecklicher Gestalten
um sich gewahren, so würde er doch keinen Schrecken empfinden. Er würde einfach er selbst sein, ohne
jeden begrifflichen Gedanken und eins mit dem Absoluten. Er hätte den Zustand des unbedingten Seins
erlangt. Dies ist das grundlegende Prinzip.
19. Am achten Tag des zehnten Mondes sprach der Meister zu mir: Die so genannte Stadt der Täuschung
enthält die Zwei Fahrzeuge, die zehn Stufen einer Bodhisattva-Entwicklung und die zwei Formen der
vollkommenen Erleuchtung. All dies sind machtvolle Lehren, um das Interesse der Menschen zu
erwecken; sie gehören aber dennoch zur Stadt der Täuschung. Der so genannte Ort der Kostbaren Dinge
ist der Wahre-Geist, das ursprüngliche Buddha-Wesen, der Schatz unseres eigenen Wahren-Wesens.
Diese Kostbarkeiten können nicht bemessen oder angesammelt werden. Wo kann es aber eine Stadt der
Täuschung geben, wenn es weder Buddha noch Lebewesen, weder Subjekt noch Objekt gibt? Wenn
solches für die Stadt der Täuschungen gilt, magst du noch nach dem Ort der Kostbaren Dinge Fragen.
Doch seine Lage ist nicht anzugeben. Wäre dies möglich, dann läge dieser Ort im Raum und wäre nicht
der wirkliche Ort der Kostbaren Dinge. Alles was wir sagen können, ist, dass er ganz nahe ist. Man kann
ihn nicht genau angeben, aber wenn du wortlos seine Substanz begreifst, dann ist er da.
20. Icchantikas heißen jene, die einen unvollkommenen Glauben besitzen. Alle Wesen innerhalb der sechs
Daseinsbereiche, einschließlich der Schüler des Mahayana und des Hinayana, werden, wenn sie nicht an
ihre potentielle Buddhaschaft glauben, Icchantikas mit abgeschnittenen Wurzeln des Gutseins genannt.
Bodhisattvas, die stark an den Buddha-Dharma glauben, ohne die Teilung in Mahayana und Hinayana
anzuerkennen, die aber nicht das Eine Wesen, das allen Buddhas und allen Lebewesen gemeinsam ist,
erfahren haben, sind Icchantikas mit Wurzeln des Gutseins. Jene, die hauptsächlich dadurch erleuchtet
wurden, dass sie die gesprochene Lehre hörten, werden Shravakas (Hörer) genannt. Die durch die
Erkenntnis des Karma-Gesetzes Erleuchteten heißen Pra-tyeka-Buddhas. Wer Buddha wird, jedoch nicht
aus eigener geistiger Erleuchtung, wird Hörer-Buddha genannt. Die meisten Schüler des Weges sind durch
den Dharma erleuchtet, der in Worten gelehrt wird, nicht durch den Dharma des Geistes. Selbst nach
vielen aufeinander folgenden Äonen der Bemühung werden sie nicht eins mit dem ursprünglichen
Buddha-Wesen. Denn diejenigen, die nicht aus dem eigenen Geist heraus erleuchtet sind, sondern durch
Hören des mit Worten gelehrten Dharma, vernachlässigen den Geist und messen dafür der Lehre
Bedeutung zu. So schreiten sie nur Stufe für Stufe voran und sind ihres ursprünglichen Geistes nicht
gewahr. Hast du aber das schweigende Begreifen des Geistes erfahren, brauchst du nach keinem Dharma
mehr zu suchen. Dann ist der Geist Dharma.
21. Oft hindern die Erscheinungen der Umwelt die Menschen, den Geist wahrzunehmen, hindern
persönliche Ereignisse, die zugrunde liegenden Prinzipien zu erkennen. Darum versuchen sie, den
Erscheinungen, die sie umgeben, zu entrinnen, um ihren Geist zu befrieden, oder Ereignisse zu
verdunkeln, um die Prinzipien zu erfassen. Sie begreifen nicht, dass dies nur eine Verdunkelung der
Erscheinungen durch den Geist, der Ereignisse durch die Prinzipien ist. Lass einfach deinen Geist leer
werden, dann entleeren sich die Erscheinungen der Umwelt von selbst. Lass die Prinzipien ruhen, und die
Ereignisse werden sich von alleine beruhigen. Verwende nicht den Geist in diesem verkehrten Sinn.
Viele haben Angst, ihren Geist leer zu machen. Sie fürchten, in die Leere zu fallen, und wissen nicht, dass
ihr eigener Geist die Leere ist. Der Unwissende enthält sich der Erscheinungen, aber nicht der Gedanken;
der Weise enthält sich der Gedanken, nicht aber der Erscheinungen.
22. Der Geist des Bodhisattva gleicht der Leere, denn er lässt von allem ab und sucht nicht einmal
Verdienst zu sammeln. Es gibt drei Arten des Ablassens: Wenn alles Innere wie Äußere, Körperliche wie
Geistige aufgegeben wird, wenn, wie in der Leere, keine Bindungen zurückbleiben, wenn alle Handlung
allein von Ort und Umständen diktiert wird, wenn Subjekt und Objekt vergessen sind - das ist die höchste
Form des Ablassens. Die mittlere Form des Ablassens ist das Beschreiten des Weges durch Vollbringen
tugendhafter Handlungen, ohne Verdienst zu erwarten und auf Belohnung zu hoffen. Die niedrigste Form
des Ablassens leisten jene, die tugendhafte Handlungen in der Hoffnung auf Belohnung vollbringen, aber
dennoch durch Vernehmen des Dharma von der Leere wissen und deshalb nicht anhaften. Das erste
Ablassen gleicht einer leuchtenden Fackel, die vorangehalten wird und den Weg nicht verfehlen lässt; das
zweite gleicht der Fackel, die zur Seite gehalten wird, so dass es manchmal hell und manchmal dunkel ist;
das. dritte gleicht jener Fackel, die nach hinten gehalten wird, so dass Fallgruben auf dem Weg nach vorn
nicht sichtbar sind.
23. Der Geist der Bodhisattvas gleicht der Leere, und er lässt von allem ab. Wenn Gedanken an die
Vergangenheit nicht festgehalten werden, bedeutet dies ablassen von der Vergangenheit. Wenn Gedanken
an die Gegenwart nicht festgehalten werden, ist dies ablassen von der Gegenwart. Werden Gedanken an
die Zukunft nicht festgehalten werden, bedeutet das ablassen von der Zukunft. Dies ist das völlige
Ablassen von der Dreifachen Zeit. Seit jener Zeit, da der Tathagata dem Kashyapa den Dharma
anvertraute, bis heute, wurde der Geist durch den Geist übertragen; es war immer der gleiche Geist. Die
Übertragung der Leere kann nicht durch Worte geschehen. Eine Übermittlung durch Worte kann nicht der
Dharma sein. Geist wird durch Geist übertragen, und zwischen ihnen besteht kein Unterschied.
Übermittlung und Empfang der Übertragung sind eine schwer verständliche Art der geheimnisvollen
Verständigung, so dass tatsächlich nur wenige sie empfangen konnten. In Wahrheit ist es so: Geist ist nicht
Geist und die Übermittlung nicht wirklich Übermittlung.
24. Ein Buddha hat drei Körper. Dharmakaya heißt der Dharma der allgegenwärtigen Leere des wahren
aus sich selbst existierenden Wesens aller Dinge. Sambhogakaya ist der Dharma der allen Dingen
zugrunde liegenden Reinheit. Nirmanakaya bezeichnet die Dharmas der sechs Übungen, die zu Nirvana
führen, und aller anderen solchen Wege. Der Dharma des Dharmakaya kann nicht durch Wort, Schrift
oder durch Hören gefunden werden. Es gibt nichts, das gesagt oder bewiesen werden könnte. Es gibt nur
die allgegenwärtige Leere des wirklichen, aus sich selbst existierenden Wesens aller Dinge, nichts anderes.
Sagt man, dass es keinen Dharma gibt, der mit Worten erklärt werden kann, so heißt dies den Dharma zu
predigen. Sambhogakaya und Nirmanakaya entsprechen Erscheinungen, die bestimmten Umständen
angemessen sind. Gesprochene Dharmas, die durch die Sinne vermittelt den Gegebenheiten entsprechen
und in allen möglichen Verkleidungen auftreten, sind nicht der wirkliche Dharma. Darum heißt es, dass
Sambhogakaya oder Nirmanakaya nicht der wirkliche Buddha oder Lehrer des Dharma sind.
25. Der Ausdruck Einheit bezieht sich auf eine einheitliche geistige Herrlichkeit, die sich in sechs
harmonisch gemischte "Elemente" teilt. Die einheitliche geistige Herrlichkeit ist der Eine Geist, während
die sechs harmonisch gemischten "Elemente" die sechs Sinnesorgane sind. Die einzelnen Sinnesorgane
werden jeweils mit Wahrnehmungsobjekten eins, die sie in die Irre führen - die Augen mit der Form, das
Ohr mit dem Klang, die Nase mit dem Geruch, die Zunge mit dem Geschmack, der Körper mit der
Berührung, der Verstand mit Wesenheiten. Zwischen diesen Organen und ihren Gegenständen entstehen
die sechs Sinneswahrnehmungen. So gibt es zusammengenommen achtzehn Sinnesbereiche. Begreifst du,
dass diese achtzehn Bereiche keine objektive Existenz besitzen, dann verbindest du die sechs harmonisch
gemischten "Elemente" zu einer einzigen geistigen Herrlichkeit, die der Eine Geist ist. Alle Schüler des
Weges wissen dieses, können aber nicht ablassen, sich Begriffe über "die einheitliche geistige
Herrlichkeit" und über die "sechs harmonisch gemischten Elemente" zu machen. So hängen sie an
Wesenheiten und erreichen das schweigende Verständnis des ursprünglichen Geistes nicht.
26. Als sich der Tathagata in dieser Welt manifestierte, wollte er ein einziges Fahrzeug der Wahrheit
predigen. Aber die Menschen hätten ihm nicht geglaubt, hätten ihn verhöhnt und wären in das Meer der
Leiden (Samsara) versunken. Andererseits wäre Schweigen Selbstsucht gewesen und er hätte nicht die
Erkenntnis des geheimnisvollen Weges zum Segen der Lebewesen verbreiten können. So griff er zum
Notbehelf - der Lehre von den drei Fahrzeugen. Da diese Fahrzeuge relativ größer und kleiner sind,
mussten unvermeidlich oberflächlichere und tiefere Lehren entstehen. Keine davon aber ist der
ursprüngliche Dharma. Darum heißt es, dass es nur den Weg des Einen Fahrzeuges gibt. Gäbe es mehr,
wäre dies nicht die Wirklichkeit. Außerdem gibt es absolut keine Möglichkeit, den Dharma des Einen
Geistes zu beschreiben. Darum rief der Tathagata den Kashyapa zu sich und ließ ihn niedersitzen auf dem
Sitz, von dem das Gesetz verkündet wird. Hier vertraute er ihm unter vier Augen den wortlosen Dharma
des Einen Geistes an. Dieser unverzweigte Dharma sollte gesondert geübt werden; dann sollten die, die
wortlose Erleuchtung erlangten, den Zustand der Buddhaschaft erreichen.
27. Frage: Welches ist der Weg und wie muss man ihm folgen?
Antwort: Was für ein Ding glaubst du ist der Weg, dass du ihm folgen möchtest?
Frage: Welche Anweisungen haben die Meister allerorten für die Dhyana-Übung und das Studium der
Dharma-Lehre gegeben?
Antwort: Worte, die die Stumpfsinnigen anziehen sollen, sind nicht vertrauenswürdig.
Frage: Wären diese Lehren für die Stumpfsinnigen gemeint, dann sagt mir, welcher Dharma den wirklich
geistig Begabten gelehrt wurde?
Antwort: Wenn es wirklich geistig Begabte gibt, wo fänden sie Menschen, denen sie folgen könnten?
Suchen sie im eigenen Inneren, dann finden sie nichts Greifbares. Wie viel weniger finden sie anderswo
einen Dharma, der ihrer Aufmerksamkeit wert wäre? Suche nicht nach dem, was Prediger den Dharma
nennen, denn was für ein Dharma könnte das schon sein.
Frage: Wenn es sich so verhält, sollten wir dann überhaupt etwas suchen?
Antwort: Wenn du dies zugibst, würdest du dir eine Menge geistiger Anstrengungen sparen.
Frage: Auf diese Weise aber würde alles ausgeschaltet. Es kann doch nicht einfach nichts geben?
Antwort: Wer nennt es Nichts? Wer ist dieser Bursche? Aber du wolltest nach etwas suchen.
Frage: Wenn kein Suchen notwendig ist, warum behauptet Ihr dann zugleich, dass nicht alles
ausgeschaltet ist?
Antwort: Nichts suchen heißt gelassen bleiben. Wer hat dir gesagt, du sollest alles ausschalten? Blicke auf
die Leere vor deinen Augen. Wie kannst du sie hervorrufen oder ausschalten?
Frage: Wenn ich diesen Dharma erreichen würde, gliche er der Leere?
Antwort: Tag und Nacht habe ich dir erklärt, dass die Leere beides ist: Einheit und Vielfalt. Ich habe dir
dies als vorübergehendes Hilfsmittel gesagt, aber du machst Begriffe daraus.
Frage: Meint Ihr damit, dass wir keine Begriffe bilden sollten, wie dies die Menschen gewöhnlich tun?
Antwort: Ich habe es dir nicht verboten, aber Begriffe sind mit den Sinnen verbunden. Und wenn Gefühle
eintreten, ist die Weisheit ausgeschlossen.
Frage: Dann sollten wir alle Gefühle in Bezug auf den Dharma vermeiden?
Antwort: Wenn keine Gefühle entstehen, wer kann dann behaupten, du habest recht?
Frage: Warum sprecht Ihr, als irrte ich mich in allen Fragen, die ich Euer Ehrwürden stelle?
Antwort: Du bist ein Mensch, der nicht versteht, was man ihm sagt. Was soll all dieses Gerede von
Irrtümern.
28. Frage: Bisher habt Ihr alles widerlegt, was gesagt wurde, aber nichts getan, um den wahren Dharma
aufzuzeigen.
Antwort: Im wahren Dharma gibt es keine Verwirrung, du aber rufst solche durch deine Fragen hervor.
Was für einen "wahren Dharma" kannst du suchen wollen?
Frage: Da meine Fragen zu Verwirrung führen, was würden Euer Ehrwürden mir raten?
Antwort: Betrachte die Dinge so, wie sie sind, und höre nicht auf andere Menschen. Es gibt solche, die
wie wilde Hunde alles anbellen, was sich bewegt, die selbst bellen, wenn der Wind durch Gras und Blätter
streift.
29. Niemals hat unsere Zen-Lehre, seit sie zuerst übermittelt wurde, gesagt, dass die Menschen nach
Gelehrtheit streben oder sich Vorstellungen machen sollten. "Den Weg erforschen" ist nur eine Redensart.
Es ist ein Mittel, um auf frühen Entwicklungsstufen das Interesse der Menschen zu wecken. Tatsächlich
ist der Weg nichts, das erlernt werden kann. Lernen führt zum Festhalten an Begriffen und dies ist ein
völliges Missverständnis des Weges. Überdies ist der Weg nicht etwas, das gesonderte Existenz besitzt. Er
heißt der Mahajana-Geist, der Geist, der nicht im Inneren, im Außen oder in der Mitte zu finden ist. In
Wahrheit hat er nirgends einen Ort. Der erste Schritt ist, sich der auf Wissen gegründeten Begriffe zu
enthalten. Dies ist nötig, weil du, selbst wenn du dem Weg der empirischen Methode bis zum äußersten
Ende folgen würdest, auch dort noch immer nicht imstande wärest, den Geist aufzufinden. Der Weg ist
geistige Wahrheit, ursprünglich ohne Namen und Bezeichnung. Nur weil die Menschen in ihrer
Unwissenheit auf empirische Weise nach ihm suchten, erschien Buddha und lehrte sie, diese Methode der
Annäherung aufzugeben. In der Befürchtung, dass niemand dies verstehen würde, wurde die Bezeichnung
"Weg" gewählt. Diese aber darf euch nicht zu der gedanklichen Vorstellung eines Weges führen. So heißt
es: "Wenn der Fisch gefangen ist, kümmert uns die Reuse nicht mehr." Wenn Körper und Geist
Unmittelbarkeit erreicht haben, ist der Weg gefunden und der Geist erfasst. Shramana wird genannt, wer
zur ursprünglichen Quelle aller Dinge vorgedrungen ist. Die Frucht der Shramana-Stufe wird erlangt,
indem man allen Ängsten ein Ende macht; sie wird nicht durch Bücherwissen erlangt.
30. Wenn ihr eure Gedanken jetzt darauf richtet, den Geist zu suchen, indem ihr den Lehren anderer
zuhört, und ihr dieses Ziel allein durch Lernen zu erreichen hofft, wann werdet ihr dann jemals Erfolg
haben? Einige unter den Alten hatten einen scharfen Verstand. Kaum hatten sie die Lehre gehört, beeilten
sie sich auch schon, alle Gelehrtheit abzutun. So wurden sie "die Weisen" genannt, "die durch Aufgeben
des Lernens zum Verweilen im Unmittelbaren gelangten". In unseren Tagen wollen die Menschen sich nur
mit Wissen und Schlussfolgerungen voll stopfen und suchen überall nach Buchwissen. Dies nennen sie
"Dharma-Praxis". Sie wissen nicht, dass so viel Wissen und Schlussfolgerungen genau den
entgegengesetzten Erfolg haben und nur Hindernisse aufrichten. Wenn du nur Wissensmengen anhäufst,
gleichst du einem Kind, das durch zuviel Essen von Süßigkeiten Verdauungsstörungen bekommt. Alle, die
den Weg entsprechend den Drei Fahrzeugen studieren, gleichen solchen Kindern. Man könnte sie
Menschen nennen, die unter Verdauungsstörungen leiden. Werden so genanntes Wissen und
Schlussfolgerungen nicht verdaut, dann werden sie zu Giften, denn sie gehören nur zur Ebene des
Samsara. Im Absoluten gibt es nichts dergleichen. Darum heißt es: "In der Waffenkammer meines Herrn
gibt es kein Schwert der Soheit." Alle Begriffe, die du in der Vergangenheit gebildet hast, müssen abgetan
und durch die Leere ersetzt werden. Wo der Dualismus aufhört, dort ist die Leere, die der Schoß der
Tathagatas ist.
Der Ausdruck "Schoß der Tathagatas" besagt, dass dort nicht eine Haaresbreite von irgendetwas
existieren kann. Darum hat sich der Dharmaraja (der Buddha), der jeden Gedanken einer objektiven
Existenz niederriss, in dieser Welt manifestiert und gesagt: "Als ich bei Dipamkara Buddha war, gab es
auch nicht das kleinste Teilchen von irgendetwas, das ich hätte erreichen können." Diese Worte sollen
dein auf Sinneswahrnehmungen aufgebautes Wissen und deine Schlussfolgerungen entleeren. Nur wer
jede Spur von empirischem Wissen abtut und aufhört, sich auf irgendetwas zu verlassen, kann ein
vollkommen befriedeter Mensch werden. Die kanonischen Schriften der Drei Fahrzeuge sind Hilfsmittel
für vorübergehende Anforderungen. Sie wurden gelehrt, um solchen Anforderungen gerecht zu werden,
und sind deshalb von vergänglichem Wert und voll Unterscheidungen. Würde man dieses begreifen, dann
bestünden keine Zweifel mehr darüber. Vor allem ist es wesentlich, nicht eine besondere, für eine
bestimmte Gelegenheit passende Lehre zu wählen und diese, weil sie im Kanon aufgezeichnet ist, als
unveränderlichen Lehrsatz aufzufassen. Und warum? Weil es in Wahrheit keinen unveränderlichen
Dharma gibt, den der Tathagata hätte predigen können. Anhänger unserer Schule würden dies bestimmt
niemals behaupten. Wir wissen bloß, wie alle gedankliche Aktivität beruhigt und auf diese Weise die
Gelassenheit erreicht werden kann. Wir beginnen gewiss nicht mit dem Nachdenken über die Dinge, um
dann in Verwirrung zu enden.
31. Frage: Nach allem, was Ihr eben gesagt habt, ist der Geist Buddha; aber es ist nicht klar, welcher Geist
gemeint ist mit diesem "Geist, der Buddha ist".
Frage: Aber ist Buddha der gewöhnliche Geist oder der erleuchtete Geist?
Antwort: Wo in aller Welt bewahrst du deinen "gewöhnlichen" und deinen "erleuchteten Geist" auf?
Frage: In der Lehre der Drei Fahrzeuge heißt es, dass es beide gibt. Warum leugnen dies Euer Ehrwürden?
Antwort: In der Lehre der Drei Fahrzeuge wird deutlich erklärt, dass der gewöhnliche wie der erleuchtete
Geist Täuschung sind. Du verstehst dies nicht. Alles Haften am Gedanken von der Existenz der Dinge ist
ein Verwechseln des Nichtvorhandenen mit der Wahrheit. Wie sollten solche Begriffe nicht Täuschung
sein? Da sie dies sind, verbergen sie dir den Geist. Würdest du dich nur von Begriffen wie "gewöhnlich"
und "erleuchtet" frei machen, dann würdest du sehen, dass es keinen anderen Buddha als jenen in deinem
eigenen Geist gibt. Als Bodhidharma aus dem Westen kam, wies er nur darauf hin, dass die Substanz, aus
der alle Menschen gebildet sind, Buddha ist. Du aber missverstehst dies noch immer. Du haftest an
Begriffen wie "gewöhnlich" und "erleuchtet", indem du deine Gedanken nach außen richtest, wo sie wie
Pferde herumspringen. Dies alles führt zur Verdunklung deines Geistes. Darum sage ich dir, dass der Geist
Buddha ist. Sobald Gedanken oder Gefühle aufsteigen, verfällst du dem Dualismus. Anfanglose Zeit und
der gegenwärtige Augenblick sind das gleiche. Es gibt nicht dieses oder jenes. Diese Wahrheit verstehen,
nennt man die vollkommene und unübertreffliche Erleuchtung.
Frage: Auf welche Lehre (Dharma-Grundregel) gründen Euer Ehrwürden dieses Wort?
Antwort: Warum eine Lehre suchen? Sobald du eine Lehre hast, verfällst du dem dualistischen Denken.
Frage: Gerade eben sagtet Ihr, dass anfanglose Vergangenheit und Gegenwart das gleiche seien. Was
meint Ihr damit?
Antwort: Nur wegen deines Suchens unterscheidest du zwischen beiden. Würdest du damit aufhören, wie
könnte es dann noch eine Unterscheidung geben?
Frage: Wenn es keine Unterschiede gibt, warum habt Ihr dann gesonderte Bezeichnungen gebraucht?
Antwort: Hättest du nicht die Worte "gewöhnlich" und "erleuchtet" gebraucht, wer hätte sich dann um
solche Dinge gekümmert! Ebenso wie diese Kategorien keine wirkliche Existenz besitzen, ist der Geist
nicht wirklich "Geist". Da aber beide, der Geist wie diese Kategorien, in Wirklichkeit Täuschung sind, wo
kannst du dann irgendetwas zu finden hoffen?
32. Frage: Täuschung kann uns den eigenen Geist verbergen, aber bisher habt Ihr uns nicht gelehrt, wie
wir die Täuschung loswerden können.
Antwort: Entstehen wie Beseitigen der Täuschung sind beides Täuschungen. Diese wurzeln nicht in der
Wirklichkeit, sondern bestehen nur durch dein dualistisches Denken. Wenn du nur aufhörtest,
entgegengesetzten Begriffen wie "gewöhnlich" und "erleuchtet" anzuhängen, würde die Täuschung von
allein aufhören. Wolltest du sie dann noch - wo auch immer - zerstören, würdest du entdecken, dass auch
nicht eine Haaresbreite von irgendetwas zurückgeblieben ist, das du erfassen kannst. Dies ist Bedeutung
von: "Ich will mit beiden Händen loslassen. Dann werde ich gewiss Buddha in meinem Geist entdecken."
Frage: Wenn es nichts gibt, was ich fassen kann, wie ist dann der Dharma übermittelt worden?
Frage: Wenn der Geist zur Übermittlung benutzt werden kann, warum sagt Ihr dann, dass auch der Geist
nicht existiert?
Antwort: Kein Dharma - welcher Art auch - empfangen, heißt geistige Übertragung. Das Begreifen dieses
Geistes braucht keinen Geist und keinen Dharma.
Frage: Wenn es keinen Geist und keinen Dharma gibt, was bedeutet dann Übertragung?
Antwort: Du hörst, dass Menschen von Geist-Übertragung sprechen und meinst, die sprächen von etwas,
das man erhalten kann. Bodhidharma aber sprach:
33. Frage: Sicher ist die Leere, die sich vor unseren Augen ausbreitet, objektiv. Weist Ihr nicht auf etwas
Gegenständliches hin und seht darin den Geist?
Antwort: Welche Art Geist könnte ich dir in einer objektiven Umwelt aufzeigen? Auch wenn du ihn sehen
könntest, wäre er nur der in einem objektiven Bereich widergespiegelte Geist. Du glichest einem Mann,
der sein Gesicht m einem Spiegel betrachtet. Wenn du auch deine Züge genau, darin erkennen kannst, so
betrachtest du doch eine bloße Widerspiegelung. Was hat dies mit dem Anliegen zu tun, das dich zu mir
führte?
Frage: Wenn wir nicht mit Hilfe von Widerspiegelungen sehen, wann können wir dann überhaupt sehen?
Antwort: Solange du dich mit "mit Hilfe von" beschäftigst, wirst du immer von etwas Falschem abhängen.
Wann wirst du jemals verstehen? Anstatt auf die zu hören, die dir sagen, du solltest beide Hände weit
aufmachen, wie jemand, der nichts zu verlieren hat, vergeudest du deine Kraft, indem du mit allen
möglichen Dingen prahlst.
Frage: Bedeuten denen, die das Verständnis besitzen, auch die Widerspiegelungen nichts?
Antwort: Wenn feste Dinge nicht existieren, wie viel weniger können uns dann Widerspiegelungen
nutzen? Laufe nicht brabbelnd herum wie ein Schlafwandler mit offenen Augen.
Während er in die Versammlungshalle trat, sagte Seine Ehrwürden: "Der Besitz vieler Arten von
Kenntnissen lässt sich nicht mit dem Aufgeben der Suche nach irgendetwas vergleichen. Das ist das Beste
aller Dinge. Es gibt nicht verschiedene Arten von Geist, und es gibt keine Lehre, die in Worte gefasst
werden kann. Da nichts weiter zu sagen ist, ist die Versammlung geschlossen."
Antwort: Was soll man mit einem Parasiten wie dieser anfangen? Wirklichkeit ist vollkommene Reinheit.
Warum eine Diskussion auf falschen Begriffen aufbauen? Vollkommen ohne Begriffe sein, das ist die
Weisheit des Nichthaftens. Bleibe jeden Tag, im Gehen oder Stehen, im Sitzen oder Liegen und in allen
deinen Reden, losgelöst von allen Dingen im Bereich der Erscheinungen. Ob du redest oder nur mit den
Augen blinzelst, tue dies mit völliger Ungebundenheit. Wir nähern uns dem Ende der dritten Periode von
fünfhundert Jahren seit den Tagen Buddhas, und die meisten Schüler des Zen hängen noch an aller Art
von Klängen und Formen. Warum eifern sie mir nicht nach, indem sie jeden Gedanken gehen lassen, als
wäre er nichts, oder als wäre er ein Stück faules Holz, ein Stein oder die kalte Asche eines ausgegangenen
Feuers? Oder warum geben sie nicht die schlichte Antwort, die gerade die Umstände verlangen? Wenn du
nicht so handelst, dann wirst du am Ende deiner Tage von Yama gepeinigt werden.
Du musst dich freimachen von den Lehren der Existenz und Nichtexistenz. Denn der Geist ist wie die
Sonne, die für immer in der Leere unmittelbar und absichtslos scheint. Dies lässt sich nicht ohne
Anstrengung erreichen, aber wenn du den Punkt erreicht hast, wo du an überhaupt nichts mehr haftest,
dann wirst du handeln wie die Buddhas. Dein Handeln wird dem folgenden Ausspruch entsprechen:
"Entwickle ein Bewusstsein, das an gar nichts hängt." Dies ist dein reiner Dharmakaya, die vollkommene
höchste Erleuchtung. Wenn du dies nicht verstehst, dann magst du durch Lernen noch so tiefes Wissen
erlangen, die mühsamsten Anstrengungen unternehmen und die strengste Enthaltsamkeit üben: Du wirst
doch deinen eigenen Geist nicht erkennen. Alle deine Anstrengungen werden falsch geleitet sein und du
wirst dich mit Sicherheit der Anhängerschaft Maras zugesellen. Welchen Vorteil kannst du durch solche
Übungen gewinnen?
So sagte Chih-kung einmal: "Buddha ist in Wahrheit die Schöpfung deines eigenen Geistes. Wie kannst du
ihn dann in den Schriften suchen?" Wenn du auch Vorstellungen wie die "Drei Grade der
Bodhisattvaschaft", die "Vier Grade der Heiligkeit" und die "Zehn Stufen der Bodhisattva-Entwicklung
auf dem Weg zur Erleuchtung" studierst, bis dein Kopf damit voll gestopft ist, wirst du doch nur zwischen
"gewöhnlich" und "erleuchtet" hin- und herpendeln. Nicht sehen, dass alle Methoden, diesem Weg zu
folgen, vergänglich sind, ist der Dharma des Samsara.
Weil du nicht solch ein Mensch bist, beharrst du auf einem eingehenden Studium der Methoden, die seit
altersher ausgearbeitet wurden, um Erkenntnis auf der Ebene des begrifflichen Denkens zu erlangen. Von
Chih-kung stammt auch der Ausspruch: "Wenn du nicht einem vortrefflichen Lehrer begegnest, wirst du
die Mahayana-Arznei vergebens geschluckt haben."
35. Würdest du alle deine Zeit - im Gehen, Stehen, Sitzen oder Liegen - dazu verwenden, zu lernen, wie
du die begriffebildenden Tätigkeiten deines eigenen Geistes zum Stillstand bringen kannst, dann würdest
du mit Sicherheit am Ende das Ziel erlangen. Da deine Kraft nicht ausreicht, bist du vielleicht nicht fähig,
Samsara mit einem einzigen Sprung zu überspringen, nach fünf oder zehn Jahren aber hast du einen guten
Anfang gemacht und wirst imstande sein, mühelos weitere Fortschritte zu machen. Da du nicht solch ein
Mensch bist, fühlst du dich verpflichtet, deinen Geist zum "Studium des Dhyana" und zum "Studium des
Weges" zu verwenden. Was aber hat dieses alles mit Buddhismus zu tun? Darum heißt es, dass alles, was
der Tathagata lehrte, nur die Verwandlung des Menschen bewirken sollte - so wie man einem Kind
vormacht, gelbe Blätter seien wirkliches Gold, damit es nicht mehr weint. Das darf aber keineswegs als
höchste Wahrheit angesehen werden. Hältst du es dafür, bist du kein Mitglied unserer Schule. Was könnte
dies auch für deine ursprüngliche Substanz bedeuten? Darum sagt das Sutra: "Was höchste vollkommene
Weisheit genannt wird, beinhaltet, dass wirklich nicht das geringste vorhanden ist, das erlangt werden
kann."
Wenn du dies zu verstehen vermagst, wirst du erkennen, dass der Weg der Buddhas und der Weg der
Teufel gleichermaßen weit vom Ziel entfernt sind. Das ursprüngliche, reine, strahlende Weltall ist weder
viereckig noch rund, weder groß noch klein. Es ist ohne solche Unterscheidungen wie lang und kurz, ist
jenseits von Bindung und Bewegung, von Unwissenheit und Erleuchtung. Du musst ganz klar sehen, dass
es wirklich gar nichts gibt - keine Menschen, keine Buddhas. Die großen kosmischen Systeme, zahllos wie
der Sand, sie alle sind nur wie Luftblasen. Alle Weisheit und alle Heiligkeit sind nur wie ein Blitzstrahl. Sie
alle haben nicht die Wirklichkeit des Geistes. Der Dharmakaya, von altersher bis zum heutigen Tag, und
die Buddhas und Patriarchen sind alle Eins. Wie kann ihm auch nur ein einziges Haar von irgendetwas
fehlen? Selbst wenn du dies verstehst, bedarf es noch mühevoller Anstrengungen. Du kannst dein Leben
lang nicht sicher sein, ob du lange genug lebst, um noch einen weiteren Atemzug zu tun.
36. Frage: Der Sechste Patriarch war ohne Bildung. Wie kam es, dass er das Gewand erhielt, das ihn zu
diesem Amt erhöhte? Der Ältere Shen-hsiu (ein Rivale) stand fünfhundert anderen Mönchen vor und war
als lehrender Mönch imstande, zweiunddreißig Bände der Sutras zu erklären. Warum bekam er nicht
dieses Gewand?
Antwort: Weil er noch in begriffliches Denken - in einen Dharma der Bewegung - verstrickt war. Ihm galt
als Wirklichkeit: Du wirst erreichen, was du übst. Deshalb übermittelte der Fünfte Patriarch den Geist an
Hui-neng. In jenem Augenblick erlangte dieser das wortlose Begreifen und empfing im Schweigen den
tiefsten Gedanken des Tathagata. Darum wurde ihm der Dharma übermittelt. Du verstehst nicht, dass die
grundlegende Lehre des Dharma darin besteht, dass es keine Dharmas gibt, dass diese Lehre des Nicht-
Dharma in sich selbst jedoch ein Dharma ist. Jetzt aber, nachdem die Lehre des Nicht-Dharma übertragen
worden ist, wie kann die Lehre des Dharma ein Dharma sein? Wer die Bedeutung dieses Ausspruches
versteht, verdient, ein Mönch genannt zu werden, jemand, der die "Dharma-Praxis" beherrscht.
Wenn du das nicht glauben willst, musst du die folgende Geschichte erklären: Der Ältere Wei-ming
kletterte auf den Gipfel des Ta-Yü-Berges, um den Sechsten Patriarchen zu besuchen; dieser fragte ihn,
warum er gekommen sei. Um des Gewandes oder um des Dharma willen? Der Altere Wei-ming
antwortete, er sei nicht des Gewandes, sondern nur des Dharma wegen gekommen. Darauf sprach der
Sechste Patriarch: "Vielleicht magst du deine Gedanken einen Augenblick sammeln und nicht in Begriffen
von Gut und Böse denken." Wei-ming tat, wie ihm geheißen, und der Sechste Patriarch fuhr fort: "Eben in
dem Augenblick, in dem du nicht an Gutes und nicht an Böses denkst, kehre zu dem zurück, was du warst,
ehe dein Vater und deine Mutter geboren wurden." Bei diesen Worten gelangte Wei-ming zu einem
plötzlichen schweigenden Begreifen. Er verneigte sich bis zur Erde und sprach: "Ich bin wie ein Mensch,
der Wasser trinkt und in sich selbst erfährt, dass es kalt ist. Dreißig Jahre habe ich bei dem Fünften
Patriarchen und seinen Schülern gelebt, aber erst heute bin ich fähig, die Fehler meines früheren Denkens
zu verbannen." Der Sechste Patriarch antwortete: "Genau das.
Nun verstehst du endlich, warum der Erste Patriarch, als er aus Indien kam, unmittelbar auf den Geist der
Menschen deutete, durch den sie ihr Wahres-Wesen erfassen und zu Buddhas werden konnten, und
warum er niemals etwas anderes sagte. Wissen wir nicht, dass Kashyapa, als er von Ananda gefragt
wurde, was der von aller Welt Verehrte mit dem goldenen Gewand zusammen übermittelt habe, ausrief:
"Ananda!" Und als Ananda ehrfurchtsvoll antwortete: "Ja?", fuhr er fort: "Wirf die Fahnenstange am
Eingang des Klosters zu Boden." Dies war das Zeichen, das der Erste (indische) Patriarch ihm gab.
Dreißig Jahre lang hatte der weise Ananda dem Buddha persönlich gedient. Da er aber zu sehr auf das
Ansammeln von Erkenntnissen bedacht war, tadelte ihn der Buddha: "Wenn du auch Tausende von Tagen
Erkenntnis suchst, so wird dir dies weniger nützen, als wenn du einen Tag lang den Weg richtig erforschst.
Erkennst du ihn nicht, wirst du nicht imstande sein, auch nur einen einzigen Tropfen Wasser zu
verdauen."
Inhaltsverzeichnis
1. Einst fragte ich den Meister: Wie viele der vier- bis fünfhundert Menschen, die auf diesem Berg
versammelt sind, haben die Lehre von Euer Ehrwürden ganz verstanden?
Der Meister antwortete: Ihre Zahl ist nicht zu kennen. Warum nicht? Weil ich durch das Erwecken des
Geistes lehre. Wie kann dieses durch Worte vermittelt werden? Worte haben nur dann eine gewisse
Wirkung, wenn sie in die ungelehrten Ohren von Kindern fallen.
Antwort: Geist ist der Buddha. Der Weg ist das Aufhören des begrifflichen Denkens. Wenn du nicht mehr
Begriffe und Gedanken aufkommen lässt, wie Existenz und Nichtexistenz, lang und kurz, Selbst und
Anderes, aktiv und passiv und ähnliches, dann wirst du finden, dass dein Geist im Grunde Buddha, dass
Buddha im Grunde Geist ist, und dass der Geist der Leere ähnlich ist. Darum steht geschrieben, dass "der
wahre Dharmakaya" der Leere ähnelt.
Suche nichts außer diesem, damit deine Suche nicht in Leiden endet. Wenn du auch die sechs Paramitas
so viele Äonen lang übst, wie es Sandkörner am Ganges gibt, und noch andere Arten von Tätigkeit zur
Erlangung der Erleuchtung hinzufügst, so wirst du das Ziel doch nicht erreichen! Warum nicht? Weil dies
Karma bewirkende Tätigkeiten sind und du, wenn das gute Karma, das sie schaffen, erschöpft ist,
wiedergeboren wirst in der vergänglichen Welt. Darum steht auch geschrieben: "Der Samboghakaya ist
nicht ein wirklicher Buddha, noch ein wirklicher Lehrer des Dharma". Nur wenn du das Wesen deines
eigenen Geistes kennen lernst, in dem es kein Selbst und kein Anderes gibt, wirst du tatsächlich ein
Buddha sein.
3. Frage: Auch wenn es stimmt, dass der Erleuchtete, der das Anhalten des begrifflichen Denkens erreicht
hat, Buddha ist - würde nicht der Unwissende, der mit dem begrifflichen Denken aufhört, sich im Nichts
verlieren?
Antwort: Es gibt keine Erleuchteten und keine Unwissenden, und es gibt kein Nichts. Wem auch im
Grunde die Dinge ohne objektive Existenz sind, so darfst du doch nicht denken, sie seien nichtexistent,
und wenn sie auch nicht nichtexistent sind, darfst du sie nicht als existierend denken. "Existenz" und
"Nichtexistenz" sind empirische Begriffe und nichts anderes als Illusionen. Darum steht geschrieben:
"Was immer die Sinne auffassen, einschließlich gedanklicher Begriffe bis hin zu den Lebewesen, gleicht
einer Illusion." Der Gründer unserer Schule predigte seinen Schülern nichts anderes als vollkommene
Abstraktion, die zum Ausschalten der Sinneswahrnehmung führt. In dieser vollkommenen Abstraktion
entfaltet sich der Weg des Buddha, während aus der Unterscheidung zwischen diesem und jenem ein Heer
von Dämonen aufsteht.
4. Frage: Wenn Geist und Buddha im Grunde eins sind, sollen wir dann fortfahren mit der Übung der
sechs Paramitas und mit den anderen traditionellen Vorschriften zur Erlangung der Erleuchtung?
Antwort: Erleuchtung kommt aus dem Geist, gleichgültig, ob du die sechs Paramitas und anderes übst.
Alle solche Übungen sind nur Notbehelfe zum Umgang mit "konkreten" Angelegenheiten im täglichen
Leben. Selbst die Erleuchtung, das Absolute, die Wirklichkeit, plötzliche Verwirklichung, der
Dharmakaya und alles andere bis zu den Zehn Stufen der Entwicklung, den Vier Belohnungen eines
tugendhaften und weisen Lebens sowie dem Zustand der Heiligkeit und Weisheit sind - jedes einzelne -
nichts als Begriffe, um uns durch Samsara hindurch zu helfen. Sie haben nichts zu tun mit dem wirklichen
Buddha-Geist. Da der Geist Buddha ist, ist der ideale Weg der Vollendung das Entfalten dieses Buddha-
Geistes. Vermeide nur begriffliches Denken, das zu Werden und Vergehen führt, zu dem Elend in der
Welt der Sinne und zu vielem anderen. Dann brauchst du keine Wege zur Erleuchtung und ähnliches
mehr. Darum steht geschrieben:
In der ganzen Reihe der Patriarchen von Gautama Buddha bis zu Bodhidharma, lehrte keiner etwas
anderes, als den Einen Geist, auch das Einzige Fahrzeug zur Befreiung genannt. Darum wirst du, wenn du
auch das ganze Weltall durchsuchst, niemals ein anderes Fahrzeug finden. Diese Lehre hat nirgends
Zweige noch Blätter, ihre einzige Eigenschaft ist die ewige Wahrheit. Deshalb ist es eine Lehre, die
schwer anzunehmen ist. Als Bodhidharma nach China kam und die Königreiche von Liang und Wei
erreichte, erlangte nur der ehrwürdige Meister Ko schweigende Einsicht in den eigenen Geist. Sobald ihm
dies erklärt wurde, verstand er, dass dieser Geist Buddha ist und der persönliche Geist und Körper nichts
sind. Diese Lehre heißt der Große Weg. Das Wahre-Wesen des Großen Weges ist das Leersein von
Gegensätzen. Bodhidharma glaubte fest daran, dass er in diesem Leben eins war mit der wirklichen
"Substanz" des Weltalls. Geist und diese Substanz sind nicht im Geringsten voneinander verschieden.
Diese "Substanz" ist Geist; beide sind unmöglich zu trennen. Um dieser Offenbarung willen erhielt er den
Titel: Patriarch unserer Schule. Darum steht geschrieben: "Der Augenblick, in dem die Einheit von Geist
und Substanz, die die Wirklichkeit ist, erfahren wird, spottet tatsächlich jeder Beschreibung."
Antwort: In Wirklichkeit gibt es keine Lebewesen, die der Tathagata befreien könnte. Wenn sogar das
Selbst keine objektive Existenz hat, wie viel weniger hat sie das Andere. Deshalb existieren weder Buddha
noch Lebewesen objektiv.
6. Frage: Und doch wird berichtet, dass "wer die zweiunddreißig charakteristischen Merkmale eines
Buddha besitzt, die lebenden Wesen zu befreien vermag". Wie könnt Ihr dies leugnen?
Antwort: Alles, was, irgendein Merkmal besitzt, ist Täuschung. Nur wenn du erkennst, dass alle Zeichen
Nicht-Zeichen sind, kannst du den Tathagata erkennen. "Buddha" und "Lebewesen" sind beide deine
eigenen irrtümlichen Vorstellungen. Weil du nicht deinen wirklichen Geist kennst, täuschst du dich durch
solche objektiven Begriffe. Machst du dir eine Vorstellung von Buddha, dann wird dir dieser zum
Hindernis. Machst du dir eine Vorstellung von lebenden Wesen, dann werden dir diese zum Hindernis.
Aller solchen dualistischen Begriffe wie "unwissend" und "erleuchtet, "rein" und "unrein" sind
Hindernisse. Weil euer Geist durch sie gehemmt wird, muss das Rad des Gesetzes in Bewegung gebracht
werden. Ebenso wie Affen ihre Zeit damit verbringen, unaufhörlich Dinge fortzuwerfen und wieder
aufzuheben, so ist es mit euch und eurem Lernen. Alles, wessen ihr bedürft, ist das Aufgeben eures
"Lernens", eures "unwissend" und "erleuchtet", "rein" und "unrein", "groß" und "klein", eurer "Bindung"
und eurer "Tätigkeit". Solche Dinge sind bloße Hilfsmittel, reine Ausschmückungen innerhalb des Einen
Geistes. Ich höre, dass du die Sutras der zwölf Untergliederungen der Drei Fahrzeuge studiert hast. Sie alle
sind rein empirische Vorstellungen. Du musst sie unbedingt aufgeben.
Verwirf alles, was du erworben hast, als wäre es nur ein Bett, das für dich während einer Krankheit
aufgeschlagen wurde. Nur wenn du alle Wahrnehmungen aufgegeben hast, weil nichts Objektives mehr
wahrzunehmen ist und keine Erscheinungen mehr dir im Wege stehen, nur wenn du dich von der ganzen
Skala dualistischer Begriffe befreit hast, wie es jene Kategorien von "unwissend" und "erleuchtet" sind,
wirst du endlich den Namen "Übersinnlicher Buddha" erlangen. Darum steht geschrieben: "Deine
Niederwerfungen sind umsonst. Vertraue nicht solchen Zeremonien. Lass ab von solch falschem
Glauben." Da der Geist keine Teilung in gesonderte Wesenheiten kennt, müssen gleicherweise auch die
Erscheinungen ohne Unterschiede sein. Da der Geist jenseits aller Tätigkeit ist, muss dies auch für die
Erscheinungen gelten. Jede bestehende Erscheinung ist eine Schöpfung des Denkens. Ich brauche nur
meinen Geist leer zu machen, um zu sehen, dass alle leer sind. Das gleiche gilt für alle Gegenstände der
Sinneswahrnehmung, welcher der tausend Kategorien sie auch angehören mögen. Die gesamte Leere, die
sich nach allen Seiten hin erstreckt, ist von gleicher Substanz wie der Geist. Und da der Geist im Grunde
ohne Unterscheidung ist, muss dies auch für alles andere zutreffen. Verschiedene Wesenheiten erscheinen
dir nur, weil deine Wahrnehmungen verschieden sind - so wie es heißt, dass die Kostbarkeiten, die die
Devas genießen, verschiedenfarbig sind, entsprechend ihrem persönlichen Verdienst.
Anuttara-samyak-sambodhi ist eine Bezeichnung für die Erfahrung, dass die Buddhas des ganzen Weltalls
tatsächlich nicht das kleinste wahrnehmbare Merkmal besitzen. Es gibt eben nur den Einen Geist. In
Wirklichkeit gibt es keine Vielfalt an Formen, keinen himmlischen Glanz und keinen ruhmreichen Sieg
(über Samsara), auch keine Unterwerfung unter den Sieger. Wenn aber niemals ein ruhmreicher Sieg
gewonnen wurde, kann es auch keine tatsächliche Wesenheit wie einen Buddha geben. Und da niemals
eine Unterwerfung stattfand, kann es keine solchen tatsächlichen Wesenheiten geben wie die Lebewesen.
7. Frage: Wenn der Geist auch gestaltlos ist, warum leugnet Ihr die Zweiunddreißig Charakteristischen
Merkmale eines Buddha oder die Achtzig Vollkommenheiten, die den Menschen die Überfahrt
ermöglichen?
Antwort: Die Zweiunddreißig Merkmale sind geprägte Formen, und alle Form ist Täuschung. Die Achtzig
Vollkommenheiten gehören dem Bereich der Materie an. Wer aber ein Selbst in der Materie wahrnimmt,
ist auf dem falschen Weg. Er kann auf diese Weise den Tathagata nicht erfassen.
8. Frage: Unterscheidet sich dann die Wesenssubstanz des Buddha überhaupt von jener der Lebewesen,
oder sind sie identisch?
Antwort: Wesenhafte Substanz hat weder Teil an Gleichheit noch an Verschiedenheit. Nimmst du die
orthodoxe Lehre der Drei Fahrzeuge des Buddhismus an, die zwischen dem Buddha-Wesen und dem
Wesen der Lebewesen unterscheidet, dann schaffst du dir das Karma der Drei Fahrzeuge; Gleichheiten
wie Verschiedenheiten werden daraus folgen. Nimmst du aber das Buddha-Fahrzeug an, die Lehre, die
von Bodhidharma übertragen wurde, dann wirst du nicht über solche Dinge sprechen. Du wirst nur auf
den Einen Geist zeigen, der ohne Identität oder Verschiedenheit ist, ohne Ursache oder Wirkung. So steht
geschrieben: "Es gibt nur den Weg des Einen Fahrzeuges. Es gibt weder ein zweites noch ein drittes, mit
Ausnahme jener Wege, die der Buddha nur als relative Hilfsmittel (Upaya) zur Befreiung der in
Täuschung verstrickten Wesen benutzte."
9. Frage: Warum war der Bodhisattva der Unendlichen Ausdehnung nicht imstande, das heilige Merkmal
auf dem Scheitel von des Buddha Haupt zu erblicken?
Antwort: Es gab wirklich nichts für ihn zu sehen. Warum nicht? Weil der Bodhisattva der Unendlichen
Ausdehnung der Tathagata selbst ist. So konnte gar nicht die Notwendigkeit bestehen, auf etwas
hinzublicken. Die Parabel soll euch davor bewahren, euch Buddha und die Lebewesen als Wesenheiten
vorzustellen und sie dadurch irrtümlicherweise als getrennt zu betrachten. Sie ist eine Warnung an uns,
nicht Wesenheiten als existierend oder als nichtexistierend zu betrachten und dadurch dem Irrtum
räumlicher Gesondertheit zu verfallen, oder Individuen als unwissend oder erleuchtet zu unterscheiden
und dadurch den gleichen Irrtum zu begehen. Nur wer vollkommen frei ist von Begriffen, kann einen
Körper unendlicher Ausdehnung besitzen.
Alles begriffliche Denken ist eine irrtümliche Meinung. Die solche falschen Lehren vertreten, erfreuen
sich einer Vielzahl von Begriffen; der Bodhisattva aber verharrt unbeweglich inmitten einer ganzen
Heerschar von ihnen. Tathagata bedeutet Soheit aller Erscheinungen. Darum steht geschrieben: "Maitreya
ist so, Heilige und Weise sind so." Soheit bedeutet, dem Werden und Vergehen nicht unterworfen zu sein;
Soheit besteht darin, nicht gehört und nicht gesehen zu werden. Die Krone auf dem Haupt des Tathagata
ist ein Begriff für Vollkommenheit, aber auch für Nicht-zu-denkende-Vollkommenheit. Darum verfalle
nicht dem Irrtum, dir Vollkommenheit als etwas Objektives vorzustellen. Da der Buddhakaya jenseits aller
Tätigkeiten ist, musst du dich hüten, Myriaden von gesonderten Formen zu unterscheiden.
Das Vergängliche mag man der Leere vergleichen. Die Große Leere aber ist Vollkommenheit, in der es
weder Mangel noch Überfluss, sondern nur eine gleichförmige Stille gibt, in der alles Wirken zur Ruhe
gekommen ist. Wende nicht ein, dass es noch andere Bereiche außerhalb der großen Leere geben könnte,
denn solcher Einwand würde zu Unterscheidungen führen. Darum steht geschrieben: "Vollkommenheit ist
ein tiefes Meer von Weisheit; Samsara gleicht dem strudelnden Chaos."
Wenn wir von der Erkenntnis sprechen, die "Ich" gewinnen, von dem Lernen, dass "Ich" betreiben kann,
von "meinem" Verständnis, "meiner" Befreiung von Wiedergeburt, von "meinem" moralischen
Lebensweg, so scheinen unsere Erfolge diesen Begriffen eine erfreuliche Seite abzugewinnen. Unsere
Misserfolge aber lassen sie bedauernswert erscheinen. Ich gebe dir den Rat, ganz unbewegt zu bleiben,
ohne jede Tätigkeit. Betrüge dich nicht mit begrifflichem Denken und suche nicht irgendwo nach der
Wahrheit; es ist allein notwendig, keine Begriffe aufsteigen zu lassen. Es ist offensichtlich, dass
gedankliche Begriffe und äußere Erscheinungen in gleicher Weise irreführen, und dass der Weg der
Buddhas für euch ebenso gefährlich ist wie der Weg der Dämonen. So fand sich Manjushri, als er sich
eine Zeitlang dem Dualismus überließ, von zwei eisernen Bergen eingeschlossen, die ihm jeden Ausweg
versperrten. Manjushri aber hatte das wahre Verständnis, während Samantabhadra nur vorübergehendes
Wissen besaß. Wenn aber wahres Verständnis und vorübergehendes Wissen in rechter Weise vereint
werden, existieren beide nicht mehr. Es gibt nur den Einen Geist, der weder Buddha noch Lebewesen ist,
denn er enthält keine solchen Dualismen. Sobald du dir Buddha vorstellst, bist du auch gezwungen, dir
Lebewesen vorzustellen oder Begriffe und Nicht-Begriffe, wesentliche wie oberflächliche, die dich mit
Sicherheit zwischen diese beiden eisernen Berge einzwängen.
Wegen der aus dem dualistischen Denken entstehenden Hindernisse wies Bodhidharma einzig darauf hin,
dass der ursprüngliche Geist und die Substanz von uns allen in Wahrheit Buddha ist. Er bot keine falschen
Hilfsmittel zur Selbstvollendung an, er gehörte zu keiner Schule, die stufenweisen Fortschritt lehrt. Seine
Lehre lässt keine Eigenschaft wie Licht und Dunkelheit zu. Da sie kein Licht ist, gibt es kein Licht. Da sie
nicht dunkel ist, gibt es keine Dunkelheit. Hieraus folgt, dass es keine Finsternis gibt und auch kein Ende
der Dunkelheit." Wer durch das Tor unserer Schule tritt, darf nur die Mittel der höheren Einsicht"
einsetzen. Diese Art des Begreifens ist als Dharma bekannt. Dharma erkennen, nennen wir den Buddha
wahrnehmen. Erkennen wir, dass tatsächlich weder Dharma noch Buddha existieren, dann gehen wir in
den so genannten Sangha ein, das heißt, wir gesellen uns den "Mönchen jenseits aller Bewegung" zu.
Diese ganze Reihe mag Triratna oder "Drei Kleinode in einer Substanz" genannt werden.
Wer den Dharma" sucht, darf nicht vom Buddha oder Dharma, noch vom Sangha aus suchen. Er sollte
von nirgends her suchen. Wenn Buddha nicht gesucht wird, gibt es keinen Buddha, der zu finden wäre.
Wenn der Dharma nicht gesucht wird, gibt es keinen Dharma, der zu finden wäre. Wenn der Sangha nicht
gesucht wird, existiert kein Sangha.
10. Frage: Ihr selbst seid jetzt ein Sangha-Mitglied, offensichtlich damit beschäftigt, den Dharma zu
predigen. Wie könnt Ihr dann erklären, dass keines von beiden existiert?
Antwort: Wenn du annimmst, es gäbe einen Dharma, der gepredigt werden kann, dann wirst du mich
naturgemäß um seine Darlegung bitten. Postulierst du aber ein "mich", dann setzt dies eine räumliche
Wesenheit voraus. Der Dharma ist kein Dharma - er ist Geist! Darum sagt Bodhidharma:
Das Wissen, dass wirklich nicht ein einziges Ding existiert, welches erreicht werden könnte, heißt, in
einem Bodhimandala sitzen. Ein Bodhimandala ist ein Zustand, in dem keine Begriffe aufsteigen, in dem
du zur grundlegenden Leere der Erscheinungen erwachst, die auch die höchste Leere des Schoßes der
Tathagatas genannt wird.
Begreifst du den Kern dieser Aussage, sprichst du nicht mehr von jenseitiger Seligkeit.
11. Frage: Wenn es niemals auch nur ein einziges Ding gab, können wir dann die Erscheinungen als
nichtexistierend bezeichnen?
Antwort: Nichtexistierend ist ebenso falsch wie das Gegenteil. Bodhi bedeutet, dass man keine
Vorstellung von Existenz oder Nichtexistenz besitzt.
Antwort: Dein Geist ist der Buddha. Buddha ist Geist. Geist und Buddha sind nicht zu trennen. Darum
steht geschrieben: "Was Geist ist, ist Buddha. Ist es anderes als Geist, ist es sicherlich anderes als
Buddha."
13. Frage: Wenn unser eigener Geist Buddha ist, wie hat dann Bodhidharma seine Lehre übermittelt, als
er aus Indien kam?
Antwort: Als er aus Indien kam, übertrug er nur den Geist-Buddha. Er deutete allein auf die Wahrheit,
dass von allem Anfang euer aller Geist identisch ist mit dem des Buddha und in keiner Weise von dem der
anderen unterschieden. Darum nennen wir ihn unseren Patriarchen. Wer ein unmittelbares Verständnis
dieser Wahrheit besitzt, überspringt in einem Augenblick die ganze Hierarchie von Heiligen und Meistern,
die einem der Drei Fahrzeuge angehören. Du bist immer eins mit dem Buddha gewesen. So gib nicht vor,
du könntest diese Einheit durch verschiedene Übungen erreichen.
14. Frage: Wenn sich dies so verhält, welchen Dharma lehren dann alle Buddhas, wenn sie sich in der
Welt manifestieren?
Antwort: Alle sich in der Welt manifestierenden Buddhas verkünden nichts anderes als den Einen Geist.
So übermittelte Gautama Buddha schweigend dem Mahakashyapa die Lehre, dass der Eine Geist, der die
Substanz aller Dinge ist, sich mit der Leere deckt und die ganze Welt der Erscheinungen durchdringt. Dies
wird das Gesetz aller Buddhas genannt. Du magst dies diskutieren, so lange du willst - wie könntest du
hoffen, der Wahrheit durch Worte näher zu kommen. Auch ist sie weder subjektiv noch objektiv
wahrzunehmen. Volles Begreifen kann nur durch ein unausdrückbares Mysterium kommen. Der Zugang
zu ihm heißt das Tor zur Stille jenseits aller Tätigkeit.
Willst du dies verstehen, dann wisse, dass ein plötzliches Begreifen aufblitzt, wenn der Geist vom
Gestrüpp der begrifflichen und unterscheidenden Denktätigkeit gereinigt ist. Wer Wahrheit mit Hilfe des
Intellekts und von Gelehrsamkeit sucht, wird sich nur immer weiter von ihr entfernen. Bis deine
Gedanken nicht aufhören, nach hierhin und dorthin auszugreifen, bis du nicht alle Gedanken der Suche
nach etwas aufgegeben hast, bis nicht dein Geist so bewegungslos geworden ist wie Holz oder Stein, bist
du nicht auf dem rechten Weg zu diesem Tor.
15. Frage: In diesem Augenblick selbst schwirren alle möglichen irrtümlichen Gedanken durch meinen
Geist. Wie könnte es angehen, dass ich keine habe?
Antwort: Irrtum hat keine Substanz, er ist ausschließlich das Produkt deines eigenen Denkens. Wenn du
begreifst, dass die Geist Buddha ist und dass Geist im Grunde ohne Irrtum ist, wirst du, sobald Gedanken
aufsteigen, überzeugt sein, dass sie verantwortlich für die Irrtümer sind. Könntest du es unterbinden, dir
Vorstellungen zu machen, und deinen Denkvorgang zur Ruhe bringen, dann würde von selbst kein Irrtum
in dir zurückbleiben. Darum heißt es: "Wenn Gedanken aufsteigen, dann erheben sich alle Dinge. Wenn
Gedanken gehen, dann schwinden alle Dinge."
16. Frage: Wo ist in diesem Augenblick, in dem irrtümliche Gedanken in meinem Geist aufsteigen, der
Buddha?
Antwort: In diesem Augenblick bist du dir dieser irrtümlichen Gedanken bewusst. Nun, dein Bewusstsein
ist Buddha. Vielleicht kannst du verstehen, dass es, wenn du frei wärest von diesen trugvollen
Gedankenvorgängen, keinen "Buddha" gäbe. Warum? Wenn du einer Regung deines Geistes erlaubst,
eine Vorstellung von Buddha zu bilden, dann schaffst du ein objektives Wesen, das der Erleuchtung fähig
ist. So erschafft jede Vorstellung eines Lebewesens, das der Befreiung bedarf, solche Wesen als Objekte
deiner Gedanken. Alle Denkvorgänge und Gedankentätigkeiten stammen aus deinen Vorstellungen.
Würdest du dir überhaupt nichts mehr vorstellen, wo könnte Buddha dann noch existieren? Du bist in der
Lage von Manjushri, der von allen Seiten von diesen zwei eisernen Bergen erdrückt und eingezwängt
wurde, als er der Vorstellung von Buddha als einer objektiven Wesenheit in sich Raum gewährte.
Antwort: Wo kommt deine Frage her? Wo entsteht dein Bewusstsein? Wenn alles Reden zum Schweigen
gebracht wird, wenn alle Bewegung zum Stillstand kommt, wenn jeder Anblick, jeder Klang vergeht, dann
schreitet Buddhas Werk der Befreiung wahrhaft voran. Wo willst du Buddha suchen? Du kannst nicht
noch einen Kopf auf deinen draufsetzen, noch Lippen auf deine Lippen. Du solltest dich bloß jeder
dualistischen Unterscheidung enthalten. Hügel sind Hügel, Wasser ist Wasser, Mönche sind Mönche,
Laien sind Laien. Aber diese Berge, diese Flüsse, die ganze Welt mit Sonne, Mond und Sternen - sie alle
existieren nicht außerhalb deines Geistes. Der ganze tausendfältige Kosmos existiert nur in dir. Wo sonst
ließen sich die verschiedenen Kategorien von Erscheinungen finden?
Außerhalb des Geistes ist nichts. Die grünen Hügel, die überall deinem Blick begegnen, und dieser leere
Himmel, den du über der Erde glitzern siehst - keine Haaresbreite von diesen existiert außerhalb der
Vorstellungen, die du dir selbst gebildet hast. Jeder einzelne Anblick, jeder einzelne Klang ist nichts als
das Buddha-Auge der Weisheit. Erscheinungen entstehen nicht aus sich selbst, sondern hängen von
gewissen Umständen ab. Weil sie als Gegenstände erscheinen, machen sie alle möglichen individuellen
Kenntnisse notwendig. Du magst den ganzen Tag reden, aber was ist damit gewonnen? Du magst von
morgens bis zur Abenddämmerung zuhören - was hast du damit gehört? So wurde, auch wenn Gautama
Buddha neunundvierzig Jahre lang predigte, in Wahrheit kein Wort gesprochen.
18. Frage: Angenommen, dass dem so ist - welcher besondere Zustand wäre dann mit dem Wort Bodhi
bezeichnet?
Antwort: Bodhi ist kein Zustand, Buddha hat ihn nie erreicht, den Lebewesen fehlt er nicht. Er kann nicht
mit dem Körper erlangt, noch mit dem Geist gesucht werden. Alle Lebewesen sind schon eins mit Bodhi.
Antwort: Bodhi ist nicht etwas, das erreicht werden kann. Könntest du dich in diesem Augenblick davon
überzeugen, dass er unerreichbar ist und tatsächlich überhaupt nichts jemals erlangt werden kann, dann
hättest du den Bodhi-Geist. Da Bodhi kein Zustand ist, kann man ihn nicht erreichen. Deshalb wird von
Gautama Buddha überliefert: "Als ich noch im Reich des Dipamkara Budha weilte, konnte ich nicht das
geringste Körnchen von irgendetwas erlangen. Damals machte Dipamkara Buddha die Prophezeiung, dass
auch ich ein Buddha würde."
Wenn du wirklich erkannt hast, dass alle Lebewesen eins mit Bodhi sind, dann wirst du nicht mehr
denken, Bodhi sei zu erreichen. Du magst von anderen über dieses "Erreichen des Bodhi-Geistes" gehört
haben, doch ist dies ein intellektueller Weg, Buddha zu vertreiben. Auf diesem wirst du nur scheinbar
Buddhaschaft erlangen. Würdest du auch Äonen um Äonen auf diesem Weg ausharren, du würdest nur
den Sambhogakaya und Nirmanakaya erreichen. Was aber hätte dies mit deinem ursprünglichen und
wirklichen Buddha-Wesen zu tun? Darum steht geschrieben: "Den Buddha außerhalb von dir in einer
Gestalt suchen, hat nichts mit dir zu tun."
20. Frage: Wenn wir immer eins mit Buddha (dem Absoluten) waren, warum gibt es dann noch Wesen,
die durch die Vier Arten von Geburt Existenz erlangen und in die Sechs Daseinszustände eintreten, von
denen jeder seine eigene charakteristische Gestalt und Erscheinung hat?
Antwort: Die wahre Buddha-Substanz ist eine vollkommen einheitliche, ohne Überfluss oder Mangel. Sie
durchdringt die Sechs Zustände der Existenz und ist dennoch überall ganzheitlich. So ist jede einzelne der
Myriaden von Erscheinungen im Weltall Buddha (das Absolute). Diese Substanz mag mit einer Menge
von Quecksilber verglichen werden, die, nach allen Seiten verstreut, immer wieder zu einer Ganzheit
zusammenfließt. Unzerstreut ist sie ein Stück, in dem das Eine das Ganze umfasst und das Ganze das Eine.
Die verschiedenen Formen und Erscheinungen können andererseits mit Wohnungen verglichen werden.
So wie man eine Hütte aufgibt, um in einem Haus zu wohnen, so tauscht man einen physischen Körper für
einen geistigen und so fort bis zu den Bereichen der Pratyeka-Buddhas, der Bodhisattvas und Buddhas
hinauf. Sie alle aber sind in gleicher Weise Dinge, die du suchst oder aufgibst. Daraus entstehen die
Unterschiede zwischen ihnen. Wie aber wäre es möglich, dass die ursprüngliche und wesenhafte Essenz
des Weltalls diesen Unterscheidungen unterliegt?
21. Frage: Auf welche Weise predigen die Buddhas in ihrem unendlichen Erbarmen und Mitleid den
Lebewesen den Dharma (das Gesetz)?
Antwort: Wir bezeichnen ihr Erbarmen und Mitleid als unendlich, weil diese ohne Ursache und Wirkung
sind. Erbarmen heißt in Wirklichkeit, dass man keine Vorstellung von einem Buddha besitzt, der
Erleuchtung erlangt, und Mitleid, dass man sich keine Lebewesen vorstellt, die der Befreiung bedürfen.
In Wirklichkeit wird der Dharma weder mit Worten gepredigt, noch auf andere Weise bezeichnet. Die
Zuhörenden hören nichts und erlangen nichts. Es ist, als hätte ein imaginärer Lehrer imaginären Schülern
gepredigt. Was aber alle diese Dharmas (Lehren) betrifft, so werdet ihr sicher verstehen können, was ich
sage, wenn ich um des Weges willen aus meiner tiefen Erfahrung zu euch spreche und euch vorwärts
führe. Und was Erbarmen und Mitleid betrifft: Ihr werdet, auch wenn ich mir um euretwillen Dinge
ausdenke und anderer Leute Vorstellungen studiere, dadurch in keinem Fall eine wahre Erfahrung des
Wahren-Wesens eures eigenen Geistes in eurem eigenen Inneren erlangen. Darum werden letztlich diese
Dinge keine Hilfe für euch sein.
Antwort: Die vollkommenste, erfolgreichste Form eifrigen Bemühens ist, dass ihr aus eurem Geist
Unterscheidungen wie "mein Körper", "mein Denken" verbannt. Sobald ihr nach etwas außerhalb eures
eigenen Geistes sucht, gleicht ihr Kaliraja, dem Jäger. Hindert ihr aber eure Gedanken, auf Reisen zu
gehen, dann seid ihr schon ein Kshanti-rishi. Keine Körper und keine Gedanken - das ist der Weg der
Buddhas.
23. Frage: Wenn ich diesem Weg folge und mich des begrifflichen Denkens enthalte, werde ich dann mit
Sicherheit das Ziel erlangen?
Antwort: Solches Nicht-Denken ist Befolgen des Weges. Was soll das Gerede über Erreichen und Nicht-
Erreichen? Tatsache ist folgendes: Denkst du an "etwas", dann schaffst du eine Wesenheit; denkst du an
"nichts", schaffst du eine andere. Lass solch irrtümliches Denken vollkommen vergehen. Dann wird nichts
zu suchen übrig bleiben.
24. Frage: Was ist mit "Überschreiten der Drei Welten" (der Begierde, Form und Formlosigkeit)' gemeint?
Antwort: Überschreiten der Drei Welten bedeutet Überwinden des Dualismus von Gut und Böse. Buddhas
erscheinen in der Welt, um der Begierde, der Form und den formlosen Erscheinungen ein Ende zu
bereiten. Auch für dich werden die Drei Welten vergehen, wenn du den Zustand jenseits des Denkens
erreichen kannst. Wenn du andererseits noch an dem Begriff festhältst, dass irgendetwas, sei es auch so
klein wie der hundertste Teil eines Staubkornes, objektiv existieren könnte, dann wird selbst eine
vollkommene Beherrschung des gesamten Mahayana-Kanons dir nicht den Sieg über die Drei Welten
ermöglichen. Nur wenn du jedes der noch so kleinen Teilchen als nichtig erkennst, kann das Mahayana
diesen Sieg für dich erringen.
25. Eines Tages begann der Meister, nachdem er seinen Sitz in der großen Halle eingenommen hatte, mit
folgenden Worten: "Da der Geist Buddha (das Absolute) ist, erfasst er alle Dinge, von den Buddhas
(Erleuchteten) an dem einen äußersten Ende bis zu den niedrigsten auf dem Bauch kriechenden Reptilien
und Insekten an dem anderen. Sie alle haben in gleicher Weise teil am Buddha-Wesen, und alle sind von
der Substanz des Einen Geistes. Deshalb übermittelte Bodhidharma, als er aus dem Westen kam, nichts
anderes als den Dharma des Einen Geistes. Er deutet unmittelbar auf die Wahrheit hin, dass alle
Lebewesen seit jeher von der gleichen einen Substanz waren wie Buddha. Er folgte keiner der irrigen
"Methoden der Vollendung". Könntet ihr dieses Verständnis eures eigenen Geistes erlangen und dadurch
euer wirkliches Wesen entdecken, dann gäbe es gewiss nichts mehr für euch zu suchen.
26. Frage: Wie kommt dann ein Mensch zum Begreifen seines eigenen Geistes?
Antwort: Was diese Frage stellt, ist dein eigener Geist. Würdest du allerdings in Ruhe verharren und auch
die geringste gedankliche Tätigkeit ausschalten, würdest du seine Substanz als Leere erkennen. Du
würdest erkennen, dass sie formlos ist, keinen Platz im Raum einnimmt und weder unter die Kategorie des
Seins noch die des Nichtseins fällt. Da der Geist nicht wahrnehmbar ist, lehrte Bodhidharma: "Der Geist,
der unser Wahres-Wesen ist, ist der ungezeugte und unzerstörbare Schoß. Als Antwort auf bestimmte
Umstände verwandelt er sich in Erscheinungen. Wir haben uns daran gewöhnt, den Geist als Verstand zu
bezeichnen. Wenn er aber den Umständen nicht antwortet, darf man nicht in solch dualistischen Begriffen
wie Existenz und Nichtexistenz von ihm sprechen. Außerdem ist der Geist, auch wenn er der Kausalität
entsprechend damit beschäftigt ist, Objekte hervorzubringen, immer noch nicht wahrnehmbar. Wenn ihr
dies wisst und ruhig im Nichts verharrt, dann folgt ihr tatsächlich dem Weg des Buddha. Darum sagt das
Sutra: "Entwickelt ein Bewusstsein, das auf keinem einzigen Ding aufbaut."
Jedes Lebewesen, das an das unaufhörlich kreisende Rad von Geburt und Tod gebunden ist, wird
wiedergeboren durch das Karma seiner eigenen Wünsche. Endlos bleibt sein Herz an die sechs Stufen der
Existenz gebunden, verstrickt in alle Art von Sorgen und Leiden. Ch'ingming sagt: "Es gibt Menschen,
deren Geist dem der Affen gleicht; sie sind schwer zu belehren. Sie brauchen allerlei Vorschriften und
Lehren, um ihr Herz zur Unterwerfung zu zwingen." Wenn Gedanken entstehen, folgen die
verschiedensten Dharmas; diese vergehen wieder, wenn die Gedanken aufhören. Hieraus können wir
ersehen, dass jede Art von Dharma nur eine Schöpfung der Gedanken ist. Alle Arten von Lebewesen -
Menschen, Devas, Höllenwesen, Asuras und jeder, der in den sechs Daseinsformen lebt - sind vom Geist
geschaffen. Würdet ihr nur lernen, einen Zustand des Nicht-Denkens zu erlangen, dann würde sofort die
Kette von Ursache und Wirkung abbrechen.
Gebt diese irrtümlichen Gedanken auf, die zu falschen Unterscheidungen führen. Es gibt kein "Selbst" und
kein "anderes". Es gibt keine "falschen Begierden" und keinen "Ärger", keinen "Hass", keine "Liebe",
keinen "Sieg", keine "Niederlage". Lasst einzig ab von dem Irrtum der gedanklichen oder begrifflichen
Denkvorgänge, und euer Wesen wird sich in seiner ursprünglichen Reinheit offenbaren. Dies allein ist der
Weg zur Erleuchtung, zum Befolgen des Dharma, zum Buddha-Sein und allem übrigen. Bis ihr dies nicht
begriffen habt, wird euch alles - die ganze Gelehrsamkeit, die mühevollen Anstrengungen um Fortschritte,
die Enthaltsamkeit im Essen und Kleiden - nicht zur Kenntnis des eigenen Geistes verhelfen. Alle solche
Übungen müssen als irrig bezeichnet werden, denn sie alle werden euch zur Wiedergeburt unter
"Dämonen" - den Feinden der Wahrheit - oder unter unentwickelten Naturgeistern führen. Wozu sollte
das gut sein? Chihkung sagt: "Unsere Körper sind die Schöpfung unseres eigenen Geistes." Wie aber kann
man erwarten, solche Urkenntnis aus Büchern zu gewinnen? Könntet ihr nur das Wesen eures eigenen
Geistes begreifen und das unterscheidende Denken lassen, dann gäbe es von selbst keinen Raum für das
geringste Körnchen Irrtum. Ch'ing-ming drückte dies in einem Vers aus:
Solange euer Geist der geringsten Denkbewegung unterworfen ist, werdet ihr dem Irrtum unterliegen,
"unwissend" und "erleuchtet" als gesonderte Zustände zu betrachten. Dieser Irrtum wird bleiben,
ungeachtet eurer umfassenden Kenntnis des Mahayana oder eures Vermögens, die "Vier Grade der
Heiligkeit" und die "Zehn Stufen des zur Erleuchtung führenden Fortschrittes" zu durchschreiten. Denn
alle diese Bemühungen sind vergänglich. Auch eure größten Anstrengungen werden vergeblich sein,
ebenso wie ein noch so hoch in die Luft geschossener Pfeil unvermeidlich auf den Boden zurückfallen
muss. Trotz dieser Anstrengungen werdet ihr wieder an das Rad von Geburt und Tod gebunden. Hängt ihr
solchen Übungen nach, wird euch die Erkenntnis der wahren Bedeutung Buddhas versagt bleiben. Ist das
Ertragen von so vielen unnötigen Leiden nicht ein gewaltiger Irrtum? Chihkung sagt an anderer Stelle:
"Wenn du nicht einem Lehrer begegnest, der die Welten zu überschreiten vermag, wirst du die Arzneien
des Mahayana Dharma weiter vergebens schlucken."
(Anmerkung von Clemens Vargas Ramos: vergl. hier die erstaunlichen Übereinstimmungen der folgenden
Ratschläge mit denen aus Advaita Bodha Deepika)
Würdet ihr jetzt üben, eure Gedanken zu jeder Zeit ruhen zu lassen, sei es beim Gehen, Sitzen oder
Liegen, und euch vollkommen auf das Ziel konzentrieren, keine Gedanken, keine Dualität zu schaffen,
euch nicht auf andere zu verlassen, an gar nichts zu haften, einfach den Dingen den ganzen Tag hindurch
ihren Lauf zu lassen, als wäret ihr zu krank, euch um sie zu kümmern, der Welt unbekannt zu sein, von
dem Wunsch unberührt zu sein, anderen bekannt oder unbekannt zu sein, mit einem Bewusstsein wie
Steinblöcke, die keine Löcher flicken, dann würden alle Dharmas euer Verständnis ganz durchdringen.
Nach einiger Zeit wäret ihr an nichts mehr gebunden. Ihr würdet nun zum ersten Mal entdecken, dass eure
Reaktionen den Erscheinungen gegenüber abnehmen, und ihr würdet endlich die dreifache Welt
überschreiten. Dann würden die Menschen sagen, ein Buddha sei in der Welt erschienen. Reine und
leidenschaftslose Erkenntnis bedeutet ein Beenden des unaufhörlichen Flusses der Gedanken und Bilder.
Auf diese Weise schafft ihr kein Karma mehr, das zur Wiedergeburt führt, weder als Gott noch als
Mensch, noch als Höllenwesen.
Wenn jede Art von Denkvorgang zum Stillstand gebracht ist, wird auch nicht mehr die geringste Spur von
Karma geschaffen. Dann werden euer Geist und Körper schon in diesem Leben zu einem vollkommen
befreiten Wesen gehören. Sollte dies nicht schon zur unmittelbaren Befreiung von weiteren
Wiedergeburten führen, so könnt ihr zumindest versichert sein, dass die Wiedergeburt euren Wünschen
entspricht. Das Sutra führt aus: "Bodhisattvas werden wiedergeboren in welcherlei Gestalt sie wollen."
Würden sie aber plötzlich die Kraft verlieren, ihren Geist von begrifflichem Denken frei zu halten, dann
würde die Bindung an Formen sie in die Welt der Erscheinungen zurückziehen, und jede dieser Formen
würde ihnen das Karma eines Dämonen schaffen.
Dies bezieht sich auch auf die Übungen der Buddhisten des "Reinen Landes". Denn alle diese Übungen
schaffen Karma. Deshalb können wir sie nur Hindernis für die Buddhaschaft nennen. Da sie euren Geist
verdunkeln, würde euch die Kette von Ursache und Wirkung festbinden und zurückführen in den Zustand
der noch nicht Befreiten.
So kommt allen Dharmas, die zum Erlangen von Bodhi führen sollen, keine Wirklichkeit zu. Die Worte
des Gautama Buddha sollten nur als wirksame Hilfsmittel dienen, um die Menschen aus der Dunkelheit
der schlimmsten Unwissenheit herauszuführen. Es war, als gäbe man gelbe Blätter als Gold aus, damit ein
Kind nicht länger weint.
Samyak-Sambodhi ist ein anderer Name für die Erfahrung, dass es keine gültigen Dharmas gibt. Wozu
solche Kindereien, wenn ihr dies einmal begriffen habt? In harmonischer Übereinstimmung mit den
Bedingungen eures jetzigen Lebens solltet ihr, wenn sich die Gelegenheiten bieten, das in früheren Leben
aufgespeicherte Karma abbauen und vor allem vermeiden, neues Material zur Vergeltung aufzuhäufen.
Der Geist ist von strahlender Klarheit erfüllt. Darum werft die Dunkelheit eurer alten Begriffe fort.
Ch'ingming sagt: "Befreit euch von allem." Die Stelle im Lotus-Sutra, die von dem zwanzig Jahre
dauernden Fortschaufeln des Schmutzes spricht, ist Symbol für die Notwendigkeit, jeden Drang danach,
sich Vorstellungen zu machen, aus dem Geist zu vertreiben. An einer anderen Stelle vergleicht das Sutra
den Dunghaufen, der fortgeräumt werden soll, mit Metaphysik und Sophisterei. So ist "der Schoß der
Tathagatas" von Anbeginn Leere und Stille, die keinerlei Art von gesonderten Dharmas enthält. Darum
sagt das Sutra: "Die gesamten Bereiche aller Buddhas sind gleichermaßen leer."
Mögen auch andere von dem Weg der Buddhas sprechen, als sei dieser durch verschiedene fromme
Übungen und Sutra-Studien zu erreichen, so dürft ihr doch nichts mit solchen Ideen zu tun haben. Die
plötzlich aufblitzende Einsicht, dass Subjekt und Objekt eins sind, führt euch zu einem zutiefst
geheimnisvollen wortlosen Begreifen, und durch dieses Begreifen werdet ihr zur Wahrheit des Zen
erwachen. Trefft ihr jemanden, der solches Verständnis nicht besitzt, dann behauptet, ihr wüsstet nichts.
Er mag durch seine Entdeckung eines "Weges der Erleuchtung" beglückt sein. Doch wenn ihr euch von
ihm überzeugen lasst, so werdet ihr selbst überhaupt keine Freude, sondern Leid und Enttäuschung
erfahren. Was haben solche Gedanken wie die seinen mit der Praxis des Zen zu tun? Auch wenn ihr von
ihm irgendeine billige "Methode" übernehmt, so kann dies nur ein gedanklich konstruierter Dharma sein,
der nichts mit Zen zu tun hat. Darum saß Bodhidharma in Versenkung vor einer Felswand und trachtete
nicht danach, die Menschen zu irgendeiner Meinung zu führen. Es steht auch geschrieben: "Die wahre
Lehre des Buddha besteht darin, aus dem Bewusstsein selbst den Ursprung der Tätigkeiten zu entfernen,
während der Dualismus dem Bereich der Dämonen zugehört."
Euer Wahres-Wesen ist euch niemals verloren gegangen, selbst nicht in den Augenblicken der Täuschung,
noch wird es im Augenblick der Erleuchtung gewonnen. Es ist das Wesen der Bhutatathata, in dem es
weder Täuschung noch rechtes Verständnis gibt. Es füllt die ganze Leere aus und ist von Anbeginn von
der Substanz des Einen Geistes. Wie könnten im Grunde diese vom Denk, en erschaffenen Objekte
außerhalb der Leere existieren?
Die Leere ist im Grunde ohne räumliche Ausdehnung, ohne Leidenschaften, Täuschungen oder rechtes
Verstehen. Du musst klar erfassen, dass in ihr keine Dinge sind, weder Menschen noch Buddhas. Denn
diese Leere enthält nicht die geringste Haaresbreite von irgendetwas, das räumlich gesehen werden kann.
Sie hängt von nichts ab und ist an nichts gebunden. Sie ist allesdurchdringende, fleckenlose Schönheit. Sie
ist das aus sich selbst existierende und nicht geschaffene Absolute. Wie kann dann in Frage gestellt
werden, dass der wirkliche Buddha keinen Mund hat und kein Dharma predigt, oder dass wirkliches
Hören keine Ohren braucht. Wer wäre denn da zu hören? Wahrlich, dies ist ein Kleinod von
unschätzbarem Wert!
27. Ursprünglich kam unser Meister aus Fukien, aber er legte, als er noch sehr jung war, sein Gelübde auf
dem Berg Huang-po in diesem Bezirk ab. In der Mitte seiner Stirn war eine kleine Beule, die einer Perle
glich. Seine Stimme war sanft und angenehm, sein Charakter bescheiden und sanftmütig.
Einige Jahre nach seiner Weihe reiste er zum Berg T'ien-t'ai. Unterwegs traf er einen Mönch, mit dem er
sich bald so vertraut fühlte wie mit einem alten Bekannten. So setzten sie die Reise gemeinsam fort. Als
ihnen der Weg durch einen reißenden Bergstrom versperrt wurde, lehnte sich der Meister auf seinen Stock
und blieb stehen. Sein Freund aber drängte ihn weiterzugehen.
"Nein, geh du voran", sagte der Meister. Da ließ sich der andere auf seinem großen, aus Stroh
geflochtenen Regenhut wie schwerelos über den Strom tragen.
"Einem solchen Burschen habe ich erlaubt, mich zu begleiten", seufzte der Meister. "Ich hätte ihn mit
meinem Stock niederschlagen sollen."
28. Ein Mönch, der sich vom Meister Kuei-tsung (auch: Ma-tsu Tao-i, Jap.: Baso Doitsu) verabschiedete,
wurde von diesem gefragt, wohin er ginge.
"Ich habe die Absicht, alle Plätze zu besuchen, an denen die fünf Arten von Zen gelehrt werden",
antwortete er.
"Ach ja", rief Kuei-tsung aus, "andere Plätze mögen fünf Arten haben, hier besitzen wir nur die eine." Als
aber der Mönch nach dieser fragte, bekam er plötzlich einen heftigen Schlag. "Ich sehe, ich sehe", rief er
erregt.
"Sprich, sprich", schrie Kuei-tsung ihn an. Als sich aber der Mönch anschickte, weiteres zu sagen, bekam
er im gleichen Augenblick einen zweiten Schlag.
Später kam dieser Mönch zum Kloster unseres Meisters. Als Huang-po ihn fragte, woher er käme, erklärte
er, dass er vor kurzem Kuei-tsung verlassen habe. "Und welche Unterweisung erhieltest du von ihm?"
fragte der Meister, worauf er das Vorgefallene erfuhr.
Bei der nächsten Versammlung nahm unser Meister diese Anekdote zum Inhalt seiner Unterweisung und
sprach: "Meister Ma überragt tatsächlich die vierundneunzig Erleuchteten. Die Fragen, die die Menschen
stellen, sind alle nicht besser als der stinkende Mist, der auf dem Boden herumliegt. Nur Kuei-tsung ist
etwas wert."
29. Einst besuchte unser Meister eine Versammlung der kaiserlichen Salz-Kommission, bei der auch der
Kaiser T'ai-chung als Shramanera anwesend war. Dieser sah den Meister in die Halle der Verehrung treten
und sich dreimal vor dem Buddha niederwerfen. Darauf fragte er ihn: "Wenn wir nichts von Buddha,
Dharma oder Sangha erwarten sollen, was will dann Euer Ehrwürden mit solcher Verehrung erreichen?"
"Wenn ich auch nichts von Buddha erwarte", antwortete der Meister, und auch nicht vom Dharma oder
Sangha, so ist es doch meine Gewohnheit, in dieser Weise Ehrfurcht zu bezeugen."
"Aber wozu soll das gut sein?" bohrte der Shramanera weiter, worauf er plötzlich einen Schlag erhielt.
"Was ist das?" schrie der Meister. "Man stelle sich vor, hier wird ein Unterschied zwischen höflich und
grob gemacht", und er gab ihm einen zweiten Schlag, woraufhin der Shramanera sich davonmachte.
30. Während seiner Reisen besuchte unser Meister Nanch'üan (Jap.: Nansen). Eines Tages zur Mittagszeit
setzte er sich mit seiner Essschale dem erhöhten Sitz des Nanch'üan gegenüber. Als dieser ihn bemerkte,
kam er herab, um ihn zu begrüßen, und fragte ihn: "Wie lange ist Euer Ehrwürden dem Weg gefolgt?"
"In der Tat", rief Nan-ch'üan aus, "es scheint, dass Meister Ma hier einen würdigen Enkel hat." Darauf
ging der Meister schweigend fort.
Einige Tage später, als unser Meister ausgehen wollte, bemerkte Nan-ch'üan: "Du bist ein großer Mann,
warum trägst du einen Hut von so lächerlicher Größe?"
"Nun", war die Antwort, "er fasst eine unendliche Zahl von tausendfachen Weltordnungen." "Und was ist
mit mir?" fragte Nan-ch'üan, aber der Meister setzte seinen Hut auf und ging fort.
31. Ein anderes Mal saß unser Meister im Teeraum, als Nan-ch'üan kam und ihn fragte: "Was bedeutet
'eine klare Einsicht in das Buddha-Wesen entspringt der Praxis des Dhyana (Versenkung) und der Prajna
(Weisheit)'?"
Unser Meister antwortete: "Es bedeutet, dass wir uns vom Morgen bis zum Abend niemals auf eine einzige
"Nun, Euer Ehrwürden, einige mögen ja bares Geld für Reiswasser geben, wer aber würde für solche
selbstangefertigten Strohsandalen etwas zahlen?"
Später erzählte Wei-shan (Jap.: Isan) diese Unterhaltung dem Yang-shan (Jap.: Kyözan) und stellte die
Frage, ob des Meisters Schweigen eine Niederlage bedeutet habe.
"Nicht doch", antwortete Yang-shan. "Du weißt sicher, dass Huang-po die List eines Tigers besitzt."
"In der Tat, deine Tiefe ist unergründlich", rief der andere aus.
32. Einst bat unser Meister um einen kurzen Urlaub. Nan-shan fragte ihn, wohin er ginge.
"Ich will nur einige Wildgemüse sammeln." "Womit willst du sie schneiden?"
"Das ist wohl recht für einen Gast, nicht aber für den Gastgeber."
Unser Meister bewies ihm seine Zustimmung, indem er sich dreimal niederwarf.
33. Eines Tages stellten sich fünf neu Angekommene in einer Gruppe dem Meister vor. Einer von ihnen
blieb stehen, anstatt sich - wie üblich - niederzuwerfen, und grüßte ihn nur andeutungsweise, indem er die
Hände zusammenschlug.
"Weißt du auch, wie man ein guter Jagdhund ist?" fragte der Meister.
"Wenn sie aber keinen Geruch hinterlässt, wem willst du dann folgen?"
"In diesem Falle", gab der neu angekommene zur Antwort, "wäre es sicher eine tote Antilope."
Unser Meister sagte nichts weiter. Am nächsten Morgen aber, nach seinen Unterweisungen, fragte er:
"Will der antilopenjagende Mönch von gestern vortreten?" Der Mönch verbeugte sich, und unser Meister
sprach: "Gestern, mein ehrwürdiger Freund, wurdest du ohne weitere Worte zurückgelassen. Wie war
das?"
Als der andere keine Antwort gab, fuhr er fort: "Du möchtest dich einen wirklichen Mönch nennen, aber
du bist nicht einmal ein dilettantischer Anfänger."
34. Eines Tages, als unser Meister eben die erste der täglichen Versammlungen im K'ai-yuan Kloster bei
Hungchou aufgehoben hatte, betrat ich gerade den Tempelbezirk. Ich bemerkte eine Wandmalerei, und
der Mönch, dem die Verwaltung des Klosters oblag, gab mir auf meine Frage die Auskunft, es sei das
Porträt eines bekannten Mönches.
"Tatsächlich, die Ähnlichkeit fällt mir auf. Aber wo ist der Mönch selbst?" Meine Frage wurde mit
Schweigen aufgenommen.
Darauf bemerkte ich: "Aber sicher sind Zen-Mönche in diesem Tempel hier, oder nicht?"
Hierauf bat ich um eine Audienz beim Meister und wiederholte ihm diese Unterhaltung. "P'ei-hsiu", rief
der Meister.
Erkennend, dass auf solche Frage keine Antwort möglich war, beeilte ich mich, den Meister zu bitten,
wieder in die Halle zurückzukehren und mit seiner Unterweisung fortzufahren.
35. Als der Meister seinen Platz in der Halle wieder eingenommen hatte, begann er:
"Ihr Mönche seid genau wie Betrunkene. Ich verstehe gar nicht, wie ihr euch in einer derart benebelten
Verfassung auf den Füßen halten könnt. Ha, jeder wird euch auslachen. Alles scheint so einfach, warum
muss es nur zu so etwas wie heute kommen? Könnt ihr nicht verstehen, dass es im ganzen Reich des
T'ang-Kaisers keine Zen-Lehrer gibt?" An dieser Stelle fragte einer der anwesenden Mönche: "Wie könnt
Ihr das sagen? Gerade in diesem Augenblick sitzen wir, wie alle sehen können, einem gegenüber, der in
der Welt erschienen ist, um ein Lehrer der Mönche und ein Führer der Menschen zu sein."
"Bitte beachtet, dass ich nicht gesagt habe, es gäbe kein Zen", antwortete der Meister. "Ich habe nur
darauf hingewiesen, dass es keine Lehrer gibt."
Später erzählte Wei-shan (Jap.: Isan) diese Unterhaltung dem Yang-shan (Jap.: Kyozan) und fragte ihn,
was sie bedeute.
Yang-shan sagte: "Dieser Schwan ist imstande, die reine Milch aus der verwässerten Mischung
herauszuholen. Es ist sehr klar, dass er nicht nur eine gewöhnliche Ente ist."
"Fürwahr", antwortete der andere. "Das, worauf er hinwies, ist schwer zu begreifen."
36. Eines Tages brachte ich eine Statue Buddhas als Geschenk, kniete in Ehrfurcht vor dem Meister
nieder und bat ihn, mir einen buddhistischen Beinamen zu geben.
"Ja, Meister?"
Alles, was ich tun konnte, war, mich schweigend ihm zu Füßen zu werfen.
Zu einer anderen Zeit bot ich dem Meister ein selbst geschriebenes Gedicht an. Er nahm es in die Hand,
setzte sich aber bald hin und warf es beiseite. "Verstehst du?" fragte er.
"Nein, Meister."
"Aber warum verstehst du nicht? Denke ein wenig nach. Wenn Dinge auf solche Weise schwarz auf weiß
ausgedrückt werden könnten, was hätte dann eine Schule wie die unsere für einen Sinn?"
37. Unser Meister sprach: Wer auf dem Wege fortschreiten will, muss zuerst die Schlacken fortwerfen, die
er durch die verschiedenartigsten Studien angesammelt hat. Vor allem müssen das Suchen nach
irgendetwas Objektivem und jegliches Anhaften aufgegeben werden. Wenn die Schüler auch tiefste
Lehren vernehmen, so müssen sie sich doch so verhalten, als hätte ein leichter Wind ihre Ohren
gestreichelt, als wäre ein Stoßwind in Blitzesschnelle an ihnen vorübergebraust. Auf keinen Fall dürfen sie
den Versuch machen, solchen Lehren zu folgen. Wer diesen Unterweisungen entsprechend handelt, dringt
in die Tiefe ein. Die bewegungslose Versenkung der Tathagatas beinhaltet die geistige Zen-Haltung jener,
die für immer den Kreislauf von Geburt und Tod verlassen haben. Von den Tagen an, da Bodhidharma
nichts als den Einen Geist übermittelte, gab es keinen anderen gültigen Dharma. Auf die Identität von
Geist und Buddha deutend, zeigte er, wie die höchsten Formen der Erleuchtung überschritten werden
können. Gewiss hinterließ er keinen anderen Gedanken als diesen; wenn ihr durch das Tor unserer Schule
eintreten wollt, muss dies euer einziger Dharma sein.
Erwartet ihr noch irgendeinen Gewinn von Lehrern anderer Schulen, warum kommt ihr dann hierher? Es
heißt, dass auch nur die geringste Absicht, begrifflich zu denken, euch den Krallen der Dämonen
ausliefert. Gleicherweise aber wird die bewusste Enthaltung von einer solchen Absicht, oder auch nur das
Bewusstsein, keine solche Absicht zu haben, genügen, um euch der Gewalt der Dämonen auszuliefern.
Dies aber werden nicht Dämonen von außen sein, sondern Selbstschöpfungen euerer eigenen Gedanken.
Die einzige Wirklichkeit ist jener "spurenlose" Bodhisattva, dessen Existenz selbst im geistigen Sinn
vollkommen unmanifestiert ist. Erlaubt ihr euch, jemals den Erscheinungen mehr als eine rein mehr als
eine rein vergängliche Existenz zuzuschreiben, so verfallt ihr in einen schweren Fehler, in den
ketzerischen Glauben an ein ewiges Leben. Versteht ihr dagegen die wesenhafte Leere der Erscheinungen
als bloßes Nichts, dann verfallt ihr dem anderen Irrtum, dem ketzerischen Glauben an die völlige
Auslöschung.
"Die Drei Welten sind nur Geist, die Myriaden der Erscheinungen sind nur Bewusstsein" - so werden
solche Menschen unterwiesen, die zuvor noch irrigere Ansichten hatten und unter noch schwereren
Irrtümern der Wahrnehmung litten. Gleicherweise sollte die Lehre, dass der Dharmakaya nur nach
vollkommener Erleuchtung erreicht werden kann, nur dazu dienen, die Theravadin-Heiligen vor den
schwersten Irrtümern zu bewahren. Da Gautama Buddha sehen musste, dass diese fälschlichen Ansichten
weit verbreitet sind, widerlegte er das Missverständnis, dass Erleuchtung zur Wahrnehmung einer
universalen Substanz führt, die aus kleinen Teilchen besteht, welche einige für grobstofflich, andere für
feinstofflich halten.
Wie soll Gautama Buddha, der alle solche Ansichten, wie die hier erwähnten, ablehnte, die gegenwärtigen
Vorstellungen von der Erleuchtung gelehrt haben? Da aber solche Lehren noch immer allgemein
verbreitet werden, verstricken sich die Menschen in die Dualität, die nach dem "Licht" verlangt und der
"Finsternis" entflieht! Im ängstlichen Suchen nach der Erleuchtung und auf der Flucht vor den Begierden
und der Unwissenheit des körperlichen Daseins andererseits, stellen sie sich den erleuchteten Buddha und
die unerleuchteten Lebewesen als voneinander verschiedene Wesenheiten vor.
Dauerndes Hängen an solchen dualistischen Begriffen führt Leben auf Leben, Äon auf Äon, immer und
immerfort zur Wiedergeburt auf den Sechs Daseinsebenen. Und warum ist das so? Weil die Lehre
verfälscht wird, dass die ursprüngliche Quelle der Buddhas jenes aus sich selbst bestehende Wesen ist. Ich
möchte euch noch einmal versichern, dass der Buddha nicht im Lichte wohnt noch die Lebewesen in der
Finsternis, denn die Wahrheit lässt solche Unterscheidungen nicht zu. Der Buddha ist nicht mächtig, die
Lebewesen sind nicht schwach, denn die Wahrheit erlaubt solche Unterscheidungen nicht. Der Buddha ist
nicht erleuchtet, noch sind die Lebewesen unwissend, denn die Wahrheit erlaubt solche Unterscheidungen
nicht. Das kommt alles nur, weil ihr euch darauf einlasst, Zen erklären zu wollen!
Sobald man den Mund aufsperrt, kommt Verderbliches hervor. Entweder vernachlässigen die Menschen
die Wurzel und sprechen von den Zweigen oder sie vernachlässigen die Wirklichkeit der "illusionären
Welt" und sprechen nur von Erleuchtung. Oder sie schwätzen von kosmischen Tätigkeiten, die zu
Verwandlungen führen, vernachlässigen aber die Substanz, der sie entspringen. Wahrlich, aus
Diskussionen entspringt niemals ein Nutzen!
Noch einmal: Im Grund sind alle Erscheinungen ohne Existenz, wenn du auch nicht behaupten kannst, sie
seien nichtexistent. Karma, das entsteht, ist dadurch noch nicht existent. Karma, das vernichtet wird, hört
dadurch nicht auf zu existieren. Selbst seine Wurzel hat keine Existenz, denn diese Wurzel ist keine
Wurzel. Überdies: Geist ist nicht Geist, denn was auch immer dieser Begriff beinhaltet, ist weit entfernt
von der Wirklichkeit, für die es steht. Auch Form ist nicht wirklich Form. Wenn ich nun behaupte, dass es
keine Erscheinungen und keinen "Ursprünglichen Geist" gibt, dann werdet ihr anfangen, etwas vom
intuitiven Dharma zu verstehen, der schweigend von Geist zu Geist übertragen wird. Da Erscheinungen
und Nichterscheinungen eins sind, gibt es weder Erscheinungen noch Nichterscheinungen, und die einzige
mögliche Übermittlung geschieht von Geist zu Geist.
Wenn ein Gedanke plötzlich in eurem Bewusstsein aufblitzt und ihr ihn als einen Traum oder eine
Täuschung erkennt, dann könnt ihr in den Zustand eingehen, den die Buddhas der Vergangenheit
erreichten. Doch denkt nicht, dass die Buddhas der Vergangenheit wirklich existieren oder dass die
Buddhas der Zukunft noch nicht ins Dasein getreten sind. Vor allem sehnt euch nicht danach, ein
zukünftiger Buddha zu werden. Euer einziges Bestreben sei, während ein Gedanke dem anderen folgt, an
keinem Gedanken zu hängen. Ihr sollt auch nicht den geringsten Ehrgeiz besitzen, hier und jetzt ein
Buddha zu sein. Selbst wenn ein Buddha erschiene, stellt ihn euch nicht als "erleuchtet" oder
"verblendet", "gut" oder "schlecht" vor. Beeilt euch, jede Sehnsucht nach Bindung an ihn aufzugeben.
Schneidet augenblicklich jeden Gedanken an ihn ab. Auf keinen Fall dürft ihr ihn festhalten wollen, denn
tausend Schlösser würden ihn nicht halten, hunderttausend Fuß Seil würden ihn nicht binden. Da dies so
ist, strebt mit aller Kraft danach, ihn zu verbannen und auszulöschen.
Ich will euch jetzt ganz klar machen, wie ihr euch dieses Buddhas entledigen könnt. Betrachtet das
Sonnenlicht. Ihr mögt meinen, dass es ganz nahe ist. Doch würdet ihr ihm auch von Welt zu folgen, ihr
würdet es nicht zu fassen bekommen. Meint ihr aber, es sei weit fort -seht doch, es ist hier vor euren
Augen. Folgt ihm, und es entweicht euch. Lauft ihm weg, und es bleibt euch auf den Fersen. Ihr könnt es
weder besitzen, noch ihm ausweichen. Dieses Beispiel lässt erkennen, wie es sich mit dem Wahren-Wesen
aller Dinge verhält. Deshalb braucht man sich um das Wahre-Wesen weder zu sorgen noch zu bemühen.
Man werfe mir nun nicht vor, dass meine Empfehlung, den Buddha auszumerzen, entheiligend sei oder
dass der Vergleich mit dem Sonnenlicht fromm sei, als schwanke ich zwischen zwei Extremen. Anhänger
anderer Schulen würden hiermit übereinstimmen, unsere Zen-Schule aber erkennt weder das eine als
entheiligend noch das andere als fromm an. Wir halten auch nicht das eine für Buddhagleich, das andere
für die Ansicht Unwissender.
Das ganze sichtbare Weltall ist Buddha, so auch alle Klänge. Halte an einem Prinzip fest, dann sind alle
anderen identisch. Siehst du ein Ding, dann siehst du alles. Gewahrst du den Geist eines Individuums,
gewahrst du den gesamten Geist. Fällt dein Blick auf einen Weg, sind alle Wege in deiner Schau
enthalten, denn es gibt nichts, das abseits des Weges wäre. Wenn dein Blick auf ein Staubkörnchen fällt,
ist das Gesehene identisch mit sämtlichen riesigen Weltsystemen mit ihren großen Flüssen und gewaltigen
Bergen. Einen Tropfen Wasser ansehen, bedeutet, das Wesen allen Wassers im Weltall sehen. Derart die
Gesamtheit aller Erscheinungen anzusehen, heißt, die Gesamtheit des Geistes anzusehen Alle diese
Erscheinungen sind von Anbeginn leer, und doch ist der Geist, mit dem sie identisch sind, nicht reines
Nichts. Hiermit meine ich, dass er existiert, aber in einer Weise, die zu wunderbar ist, als dass wir sie
erfassen könnten. Es ist eine Existenz, die keine ist, eine Nichtexistenz, die dennoch existiert. So existiert
diese wahre Leere auf eine wunderbare Weise.
Nach allem Gesagten können wir die riesigen Weltsysteme, seien sie auch zahllos wie Sandkörner, mit
unserem Einen Geist umfassen. Warum dann von Innen und Außen sprechen? Da Honig die
unveränderliche Eigenschaft der Süße besitzt, folgt hieraus, dass aller Honig süß ist. Von diesem Honig als
süß, von einem anderen aber als bitter zu sprechen, wäre Unsinn. Wie könnte es so sein? Deshalb sagen
wir, dass die Leere weder Außen noch Innen hat. Es gibt nur die unmittelbar aus sich selbst erstehende
Bhutatathata (das Absolute). Aus demselben Grund sagen wir, die Leere habe keine Mitte. Es gibt nur die
unmittelbar aus sich selbst existierende Bhutatathata.
Also sind die Lebewesen Buddha, Buddha ist eins mit ihnen. Beide bestehen ausschließlich aus der einen
"Substanz". Die Welt der Erscheinungen und Nirvana, Tätigkeit und bewegungslose Ruhe - alle sind aus
der einen "Substanz", Ebenso verhält es sich mit den Welten und dem Zustand, der die Welten
transzendiert. Ja, die Wesen, die die Sechs Stufen des Daseins durchschreiten, jene, die den Vier Arten
von Geburt unterworfen sind, alle weiten Weltsysteme mit ihren Bergen und Flüssen, das Bodhi-Wesen
und die Täuschung - sie alle sind solcher Art. Wenn wir sagen, dass sie alle von der einen Substanz sind,
meinen wir, dass ihre Namen und Formen, ihre Existenz und Nichtexistenz Leere ist. Die großen
Weltsysteme, die zahllos sind wie die Sandkörner des Ganges, sind in Wirklichkeit eingeschlossen in der
einen grenzenlosen Leere. Wo kann also ein Buddha sein, der Befreiung bringt, wo könnte es Lebewesen
geben, die zu befreien sind? Wenn das Wahre-Wesen aller Dinge, die "existieren", eine einheitliche Soheit
ist, wie können dann solche Unterscheidungen Wirklichkeit sein?
Wenn du annimmst, dass Erscheinungen aus sich selbst entstehen, verfällst du dem Irrglauben, Dinge
hätten eine eigene unmittelbare Existenz. Nimmst du auf der anderen Seite die Lehre von Anatman an,
mag dich der Begriff "Anatman" den Theravadin zuführen.
Ihr Mönche versucht, alles in der Leere genau abzumessen, Fuß für Fuß, Zoll für Zoll. Ich aber sage euch
noch einmal, dass alle der zahllosen Erscheinungen ohne jegliche formhafte Abgrenzung sind. Ihrem
Wesen nach gehören sie zu der vollkommenen Ruhe, die jenseits der vergänglichen Sphäre der Formen
hervorbringenden Tätigkeiten liegt. So sind sie alle mit dem Raum deckungsgleich und sind eins mit der
Wirklichkeit. Weil kein Körper in Wirklichkeit eine Form besitzt, nennen wir alle Phänomene leer; da
auch der Geist formlos ist, nennen wir das Wesen aller Dinge leer. Beide sind ohne Form und beide
werden leer genannt. Auch keine der zahlreichen Lehren existiert außerhalb eures ursprünglichen Geistes.
Alles Gerede über Bodhi, Nirvana, über das Absolute, das Buddha-Wesen, über Mahayana, Theravada,
Bodhisattvas und so fort ist damit zu vergleichen, dass man Herbstblätter für Gold hält. Um das Symbol
der geschlossenen Faust zu gebrauchen: Ist sie geöffnet, werden alle Lebewesen - Götter und Menschen -
gewahr, dass sich in ihr nicht das Geringste befindet. Darum steht geschrieben:
Wenn "alles Leere ist von Anbeginn", sind Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart bedeutungslos. So
müssen diejenigen, die den Weg suchen, ihn mit der Plötzlichkeit eines Messerstiches betreten. Erst muss
dies vollkommen verstanden sein, ehe der Weg betreten werden kann. Darum begegnete Bodhidharma,
wenn er auch viele Länder auf seinem Weg von Indien nach China durchkreuzte, nur einem Menschen,
dem ehrwürdigen Ko, dem er schweigend das Geist-Siegel übertragen konnte, das Siegel eures eigenen
wirklichen Geistes. Erscheinungen sind das Siegel des Geistes ebenso wie der Geist das Siegel der
Erscheinungen ist. Was immer der Geist ist, das sind auch die Erscheinungen- beide sind in gleicher Weise
wirklich und haben teil am Dharma-Wesen, das in der Leere hängt. Wer diese Wahrheit intuitiv erfasst
hat, ist ein Buddha geworden und hat den Dharma vollendet.
Lasst mich wiederholen: Erleuchtung kann nicht körperlich erfasst (erlangt, wahrgenommen etc.) werden,
denn der Körper ist ohne Form. Sie kann auch nicht geistig erfasst (etc.) werden, da der Geist ohne Form
ist; sie kann auch nicht erfasst (etc.) werden durch ihr Wahres-Wesen, da dieses die ursprüngliche Quelle
aller Dinge ist, die immerwährende Wirklichkeit des Buddha. Wie kannst du Buddha dazu benutzen, um
Buddha zu erfassen, Formlosigkeit um Formlosigkeit zu ergreifen, Geist um Geist, Leere um Leere, den
Weg, um den Weg zu erfassen? In Wirklichkeit kann nichts erfasst (wahrgenommen, erreicht, begriffen
etc.) werden - selbst das Nichtfassen kann nicht erfasst werden. Darum heißt es "Nichts ist zu erfassen".
Wir lehren euch nur, wie ihr euren ursprünglichen Geist begreifen könnt.
Noch eins: Wenn der Augenblick des Begreifens gekommen ist, dann denkt nicht in Begriffen von
verstehen, nicht verstehen oder von nicht nichtverstehen. Denn keiner von diesen ist festzuhalten. Wenn
dieser Dharma der Soheit "erfasst" ist, ist er "erfasst". Aber der "Erfassende" ist sich dieses Erfassens
ebenso wenig bewusst wie jener, der nichts von diesem Dharma weiß, sich bewusst ist, dass er ihn nicht
erfasst hat. Ach, dieser Dharma der Soheit - bisher haben ihn so wenige begriffen, dass geschrieben steht:
"Wie wenige gibt es in dieser Welt, die ihr Ich verlieren!" Worin unterscheiden sich diejenigen, die es
durch Anwendung eines bestimmten Grundsatzes oder durch Schaffen einer besonderen Umgebung, durch
Schrift, Lehre, Alter, Zeit, Name, Wort oder mit Hilfe ihrer sechs Sinne zu erlangen suchen, von hölzernen
Puppen? Würde aber unverhofft ein Mensch erscheinen, der sich keine Vorstellungen auf der Grundlage
irgendwelcher Namen und Formen machte, man könnte ihn, das versichere ich euch, in einer Welt nach
der anderen suchen und würde ihn doch nicht finden. Seine Einzigartigkeit würde ihm die Nachfolge des
Patriarchen sichern, und er würde es verdienen, der wahre geistige Sohn von Shakyamuni genannt zu
werden.
Die widerstreitenden Komponenten seines Ich hätten sich aufgelöst, und er wäre tatsächlich das Eine.
Darum steht geschrieben: "Wenn der König die Buddhaschaft erlangt, verlassen die Prinzen ihr Heim, um
Mönche zu werden." Der Sinn dieser Worte ist schwer zu verstehen. Sie wollen euch lehren, dass ihr keine
Buddhaschaft suchen sollt, da jedes Suchen zum Scheitern verurteilt ist. Ein Irrer, der auf einer Bergspitze
das Echo seines Rufes tief unter sich hört, mag dieses im Tal suchen gehen. Aber wie vergeblich ist seine
Suche! Im Tal angekommen, ruft er erneut und steigt sofort wieder hinauf, um auf den Gipfeln zu suchen.
Ach, so mögen Tausende von Wiedergeburten oder Zehntausende von Äonen vergehen, in denen er dem
Echo nachläuft, um die Quelle dieses Klanges zu finden. Vergeblich wird er gegen die aufgewühlten
Fluten von Leben und Tod kämpfen. Weit besser, ihr gebt überhaupt keinen Laut von euch, dann gibt es
auch kein Echo. Dies trifft für all jene zu, die im Nirvana weilen: kein Hinhören, kein Wissen, kein Laut,
keine Spur, kein Zeichen. Werdet so - und ihr seid kaum weniger als Nachbarn des Bodhidharma.
38. Frage: Bitte unterweist mich über die Stelle in den Sutras, die die Existenz eines Schwertes der Soheit
in der königlichen Schatzkammer verneint.
Antwort: Die königliche Schatzkammer ist das Wesen der Leere. Wenn auch alle weiten Weltsysteme des
Universums in dieser enthalten sind, existiert doch keines außerhalb deines Geistes. Ein anderer Name
hierfür ist "des Bodhisattva Schatzkammer der Großen Leere". Ob du vom Schwert der Soheit als
existierend oder als nichtexistierend sprichst, als weder das eine noch das andere, in jedem Fall ist es nur
das Horn eines Hasen. Dies bedeutet, dass du es zum Gegenstand einer völlig nutzlosen Suche gemacht
hast.
39. Frage: Gibt es nicht doch ein Schwert der Wahrheit in der königlichen Schatzkammer?
Frage: Wenn es aber kein Schwert der Wahrheit gibt, warum steht dann geschrieben: "Der Prinz nahm das
Schwert der Wahrheit aus der königlichen Schatzkammer und begab sich auf seinen Eroberungsfeldzug."
Warum erzählt Ihr uns nichts anderes von ihm, als dass es keine objektive Existenz besitzt?
Antwort: Der Prinz, der das Schwert nahm, ist eine Bezeichnung für einen wahren geistigen Sohn des
Tathagata. Wenn du aber sagst, er trug es fort, dann nimmst du an, er hätte der Schatzkammer etwas
fortgenommen. Welch ein Unsinn zu sagen, man nimmt ein Stück von jener Leere fort, die die Quelle aller
Dinge ist. Wenn du überhaupt irgendetwas in der Hand hast, kann es sich höchstens um eine Sammlung
von Hasen-Hörnern handeln.
40. Frage: Hat Kashyapa Worte benutzt, als er das Siegel der Buddhaschaft, das er von Gautama Buddha
erhielt, weitergab?
Antwort: Ja.
Frage: Dann müsste auch er, da er eine Übertragung mit Worten versuchte, zu den Menschen gehören, die
nach den Hörnern eines Hasen greifen.
Antwort: Kashyapa erfuhr eine unmittelbare Selbst-Verwirklichung des ursprünglichen Geistes. Deshalb
hat er nichts mit den Hörnern des Hasen zu tun. Wer diese unmittelbare Erfahrung des Tathagata-Geistes
erlangt, dadurch die wahre Identität des Tathagata begreift und seine wirkliche Erscheinung und Form
erkennt, kann zu anderen mit der Autorität eines wirklichen geistigen Sohnes des Buddha sprechen.
Ananda aber, der seinem Meister zwanzig Jahre lang diente, war dennoch nicht imstande, mehr als seine
äußere Erscheinung und Gestalt wahrzunehmen. Darum ermahnte ihn der Buddha: "Diejenigen, die sich
ganz darauf konzentrieren, der Welt zu helfen, entkommen nicht den Reihen jener, die den Hörnern eines
Hasen nachjagen."
41. Frage: Was bedeutet die Stelle: "Manjushri stand vor Gautama mit gezogenem Schwert?"
Antwort: Die "Fünfhundert Bodhisattvas" erlangten Kenntnis von ihrem früheren Leben und entdeckten,
wie ihr früheres Karma geschaffen war. Dies ist eine Fabel, in der sich die "Fünfhundert" in Wirklichkeit
auf deine fünf Sinne beziehen. Als Ergebnis ihres früheren Karma suchten sie Buddha, Buddhaschaft und
Nirvana im Gegenständlichen. Aus diesem Grund nahm Manjushri das Schwert der Weisheit und benutzte
es, um die Vorstellung eines greifbaren Buddha zu zerstören. Darum ist er als der Vernichter der
menschlichen Tugenden bekannt.
Frage: So ist das Schwert, das die Vorstellung eines greifbaren Buddhas zerstört, das Begreifen des
Geistes. Wenn wir mit solcher Hilfe diese Vorstellungen vernichten können, wie vollzieht sich dann
tatsächlich diese Vernichtung?
Antwort: Du musst die Weisheit, die aus dem Nicht-Dualismus stammt, gebrauchen, um dein Begriffe-
Frage: Angenommen, die Begriffe von etwas Vorstellbarem und von der Möglichkeit, Erleuchtung zu
suchen, werden vernichtet, indem man das Schwert der Nicht-unterscheidenden-Weisheit zieht, wo ist
dann dieses Schwert zu finden?
Antwort: Da die Nicht-unterscheidende-Weisheit sowohl die Wahrnehmung als auch ihren Gegenstand
vernichtet, muss sie auch dem Nicht-Wahrnehmbaren angehören.
Frage: Wissen kann nicht benutzt werden, um Wissen zu zerstören, ein Schwert nicht, um ein Schwert zu
zerstören.
Antwort: Das Schwert zerstört tatsächlich das Schwert - sie zerstören sich gegenseitig -, und zurück bleibt
das Nicht-Schwert, das du ergreifen musst. Wissen zerstört tatsächlich Wissen - dieses Wissen macht
jenes ungültig -, und zurück bleibt das Nicht-Wissen, das du erfassen musst. Es ist, als kämen Mutter und
Sohn gemeinsam um.
Antwort: Dieses Wesen und deine Wahrnehmunzen davon sind eins. Du kannst es nicht dazu benutzen,
etwas über und jenseits von sich selbst zu sehen. Dieses Wesen und dein Davon-Hören sind eins; du
kannst es nicht benutzen, um etwas über und jenseits von ihm zu hören. Stellst du dir vor, das
Wahre-Wesen von irgendetwas sei zu sehen oder zu hören, dann erlaubst du, dass der Dharma der
Unterscheidung erwacht. Lass mich wiederholen, dass das Wahrnehmende nicht wahrgenommen werden
kann. Kann es - frage ich dich - einen Kopf geben, der auf dem Scheitel deines Hauptes befestigt ist?
Ich will dir meine Meinung an einem Beispiel erhellen. Stelle dir lose Perlen in einer Schale vor - große
und kleinere. Keine weiß etwas von den anderen und keine ist einer anderen im Wege. Als sie geschaffen
wurden, sagten sie nicht: "Nun entstehe ich." Wenn sie zerfallen, werden sie nicht sagen: "Nun löse ich
mich auf." Keines der Lebewesen, die in die Sechs Daseinsarten durch die Vier Weisen der Geburt
hineingeboren wurden, bildet eine Ausnahme dieser Regel. Buddhas und Lebewesen haben keine
gegenseitige Wahrnehmung voneinander. Die vier Grade der Theravadin-Meister, die fähig sind, in
Nirvana einzugehen, nehmen dieses nicht wahr und werden auch von ihm nicht wahrgenommen. Die
Theravadin, die die "Drei Stufen der Heiligkeit" erreicht haben und die "Zehn hervorragenden Merkmale"
besitzen, nehmen nicht die Erleuchtung wahr und werden auch nicht von ihr wahrgenommen. So verhält
es sich mit allem anderen, bis hinab zu Feuer und Wasser oder Erde und Himmel. Diese Elementenpaare
haben keine gegenseitige Wahrnehmung voneinander.
Lebewesen gehen nicht in die Dharmadhatu ein, noch treten Buddhas aus ihr hervor. Es gibt kein
Kommen und Gehen innerhalb der Dharmata, noch irgendetwas, das wahrgenommen werden kann. Da
dies so ist, warum sagt man dann noch: "Ich sehe", "Ich höre", "Ich empfange eine Intuition durch
Erleuchtung", "Ich höre den Dharma von den Lippen eines Erleuchteten", "Buddhas erscheinen in der
Welt, um den Dharma zu predigen?" Katyayana wurde von Vimalakirti getadelt, weil er dieses, dem
vorübergehenden Zustand angehörende vergängliche Denken benutzte, um die Lehre der wirklichen
Existenz der Materie weiterzugeben.
Ich versichere dir, dass alle Dinge von allem Anfang an frei von Bindung waren.13s Warum versuchst du
sie dann zu erklären? Warum den Versuch machen, etwas zu reinigen, was niemals befleckt war? Es steht
geschrieben: Das Absolute ist Soheit. Wie kann man darüber streiten? Ihr Menschen sprecht immer noch
vom Geist, als existiere er oder existiere er nicht, als sei er rein oder befleckt, als könne man ihn
erforschen wie einen Bereich des begrifflichen Wissens. Jede dieser Abgrenzungen würde genügen, euch
in den nie endenden Kreislauf von Geburt und Tod zurückzuwerfen. Der Mensch, der Dinge wahrnimmt,
will sie auch immer gleich identifizieren, um sie ergreifen zu können. Wer sein Denken in dieser Weise
wie Augen benutzt, hält gewiss den Fortschritt für eine stufenförmige Entwicklung. Gehörst du zu solchen
Menschen, dann bist du ebenso weit von der Wahrheit entfernt wie die Erde vom Himmel. Was soll das
Gerede von der "Einsicht in das Wahre-Wesen".
43. Frage: Ihr sagt, dass unser ursprüngliches Wesen und der Akt der Wesensschau ein und dasselbe seien.
Dies kann aber nur zutreffen, wenn dieses Wesen vollkommen undifferenziert ist. Bitte erklärt uns, warum
wir, wenn wir auch zugeben, dass keine wirklichen Gegenstände wahrzunehmen sind, tatsächlich nur
sehen, was in der Nähe ist, und nicht sehen können, was fern ist.
Antwort: Dies kommt aus einem Missverständnis, das euren eigenen Täuschungen entstammt. Du kannst
nicht behaupten wollen, dass das universale Wesen tatsächlich objektive Dinge enthält, nur weil die
Aussage "keine wirklichen Objekte, die wahrzunehmen sind" nur dann zutreffend wäre, wenn es
tatsächlich überhaupt nichts gäbe, das wir wahrnehmbar nennen. Das Wesen des Absoluten ist weder
wahrnehmbar noch nichtwahrnehmbar. Mit Erscheinungen verhält es sich ebenso. Wenn aber einer sein
Wahres-Wesen erkannt hat, wie kann es dann noch irgendeinen Ort oder irgendein Ding geben, das davon
getrennt wäre? So sind denn die Sechs Daseinsformen, die aus den Vier Arten von Geburt entstehen,
zusammen mit den großen Weltsystemen und ihren Flüssen und Bergen, alle nur von derselben reinen
Substanz wie unser eigenes Wesen. Darum heißt es: "Die Wahrnehmung einer Erscheinung ist die
Wahrnehmung des All-Wesens, da Erscheinungen und Geist ein und dasselbe sind."
Nur weil ihr an äußeren Formen hängt, "seht", "hört", "fühlt" und "kennt" ihr die Dinge als individuelle
Wesenheiten. Wahres Erfassen liegt jenseits eurer Macht, solange ihr solchem nachhängt. Auf diese Art
gehört ihr zu den Schülern der gewöhnlichen Mahayana- und Theravadin-Lehren, die durch ein in die
Tiefe gehendes Wahrnehmen zu wahrem Verständnis zu gelangen hoffen. Deshalb sehen sie das Nahe
liegende, doch können das Weitentfernte nicht erblicken. Niemand aber, der auf dem rechten Weg ist,
denkt so. Ich versichere euch, dass es kein "innen" und kein "außen", kein "nah" oder "fern gibt. Das allen
Erscheinungen zugrunde liegende Wesen ist euch ganz nahe, aber ihr seht nicht einmal das. Trotzdem
redet ihr noch über eure Unfähigkeit, Weitentferntes zu sehen - wozu soll dieses Gerede wohl gut sein?
44. Frage: Welche Führung bieten Euer Ehrwürden denen von uns an, die alles dieses sehr
schwerverständlich finden?
Antwort: Ich habe nichts anzubieten; ich hatte niemals anderen etwas anzubieten. Weil ihr zulasst, dass
gewisse Menschen euch in die Irre führen, sucht ihr immerfort intuitive Einsicht und strebt nach
Verständnis. Bedeutet dies nicht, dass Schüler und Lehrer demselben unlösbaren Wirrwarr verfallen?
Alles, was ihr behalten sollt, sind folgende Ermahnungen:
Lernt, völlig unempfänglich zu sein für Empfindungen, die aus äußeren Formen entstehen, und reinigt
euren Körper dadurch von der Empfänglichkeit für Äußerlichkeiten.
Lernt, allen Unterscheidungen zwischen diesem und jenem, die aus euren Empfindungen entstehen, keine
Beachtung zu schenken, und reinigt eure Körper dadurch von unnötigen Unterscheidungen zwischen einer
Erscheinung und einer anderen.
Seid besonders bedacht, euch aller Unterscheidungen in angenehme und unangenehme Empfindungen zu
enthalten, und reinigt eure Körper dadurch von nutzlosen Unterscheidungen.
Vermeidet es, euch über irgendetwas Gedanken zu machen, und reinigt euren Körper dadurch von
begrifflichem Denken.
Ein einziger Augenblick dualistischen Denkens genügt, um euch wieder an die zwölffache Kette der
Verursachung zu binden. Unwissenheit setzt das Rad der Verursachung in Bewegung und schafft dadurch
eine endlose Kette von karmischen Ursachen und Wirkungen. Dies ist das Gesetz, das unser Leben bis ins
hohe Alter und in den Tod hinein beherrscht.
In diesem Zusammenhang wird uns berichtet, dass Sudhana, nachdem er Bodhi vergebens an 110 Orten
im zwölffachen Bereich der Verursachung gesucht hatte, endlich Maitreya begegnete, der ihn zu
Manjushri schickte. Manjushri bedeutet hier eine ursprüngliche Unwissenheit in Bezug auf die
Wirklichkeit. Wenn ihr, während ein Gedanke dem anderen folgt, Weisheit weiterhin außerhalb euer
selbst sucht, dann kommt es zu einem fortlaufenden Prozess von Gedanken, die aufsteigen, abklingen und
von anderen gefolgt werden. Darum müsst ihr Mönche weiter Geburt, Alter, Krankheit und Tod erleiden.
Ihr schafft euch euer Karma, das entsprechende Wirkungen hervorruft. Auf solche Weise entstehen und
vergehen die "fünf Luftblasen", mit anderen Worten, die fünf Skandhas. Ach, könntet ihr nur verhindern,
dass auch nur ein einziger Gedanke aufsteigt, dann würden die achtzehn Sinnesbereiche vergehen. Wie
göttlich wären dann die körperlichen Belohnungen und wie erhaben wäre die Erkenntnis, die in eurem
Geist aufginge! Ein solches Bewusstsein könnte die "Plattform des Geistes" genannt werden. Solange ihr
euch aber in Bindungen verliert, verdammt ihr eure Körper dazu, Leichname zu sein oder, wie es
manchmal ausgedrückt wird, leblose Körper, in denen Dämonen hausen.
45. Frage: "Vimalakirti verharrt in Schweigen, Manjushri lobpreist." Wie können diese beiden wirklich das
Tor der Nicht-Zweiheit durchschritten haben?
Antwort: Das Tor der Nicht-Zweiheit ist dein ursprünglicher Geist. Sprechen und Schweigen sind relative
Begriffe, die dem vergänglichen Bereich angehören. Wenn nichts gesagt wird, wird nichts manifestiert.
Darum lobpries Manjushri.
Frage: Vimalakirti sprach nichts. Bedeutet dies, dass der Ton dem Verlöschen unterworfen ist?
Antwort: Sprechen und Schweigen sind eins! Es gibt keinen Unterschied zwischen ihnen. Darum steht
geschrieben: "Weder das Wahre-Wesen noch die Wurzel von Manjushris Hören sind dem Verlöschen
unterworfen. So ist der Klang der Stimme des Tathagata immerwährend, und es kann nicht wirklich eine
Zeit gegeben haben, bevor er zu predigen begann, oder eine Zeit, nachdem er zu predigen aufhörte. Das
Predigen des Tathagata ist eins mit dem Dharma, den er lehrte. Denn es gibt keinen Unterschied zwischen
dem Predigen und dem Gepredigten, ebenso wie es keinen gibt zwischen solch verschiedenen
Erscheinungen wie dem verherrlichten und dem offenbarten Körper eines Buddha, den Bodhisattvas, den
Shravakas, den Weltsystemen mit ihren Bergen und Flüssen, den Wassern, Vögeln, Bäumen, Wäldern und
allem anderen. Das Predigen des Dharma geschieht zur gleichen Zeit mit Worten und durch Schweigen.
Wenn man auch den ganzen Tag lang spricht, wird doch kein Wort gesprochen. Da dies so ist, gehört nur
das Schweigen zum Wesentlichen.
46. Frage: Ist es wahr, dass die Shravakas nur ihre Gestalt in die gestaltlose Sphäre einschmelzen können,
die noch zur vergänglichen Dreifachen Welt gehört, dass sie aber nicht imstande sind, sich völlig in Bodhi
zu verlieren?
Antwort: Ja, Gestalt setzt Materie voraus. Diese Heiligen vermögen nur weltliche Ansichten und
Tätigkeiten abzutun, wodurch sie weltlichen Täuschungen und Schmerzen entgehen; sie können sich aber
nicht völlig in Bodhi verlieren. So besteht immer die Gefahr, dass Dämonen sie noch aus dem Umkreis des
Bodhi herauslocken. Losgelöst in ihren Waldbehausungen lebend, erkennen sie den Bodhi-Geist nur
unklar. Dagegen verwerfen jene, die das Gelöbnis ablegten, Bodhisattvas zu werden, und die schon im
Bodhi der Drei Welten leben, nichts, noch haften sie an etwas. Da sie an nichts haften, wäre es
vergeblich, sie auf irgendeiner Ebene zu suchen. Da sie nichts verwerfen, werden die Dämonen vergebens
nach ihnen Ausschau halten.
Schon der leiseste Wunsch jedoch, an diesem oder jenem festzuhalten, schafft gedankliche Symbole, die
ihrerseits jene "Heiligen Schriften" entstehen lassen, die euch in vielfältige Wiedergeburten zurückführen.
Darum sei eure symbolische Vorstellung die der Leere; dann wird sich euch die wortlose Lehre des Zen
offenbaren. Wisset, dass ihr euch nur dazu entscheiden müsst, keinerlei Symbole zu bilden. Wenn ihr dies
vermeidet, "symbolisiert" dies die Große Leere, in der es weder Einheit noch Vielheit gibt - die Leere, die
nicht wirkliche Leere ist, das Symbol, das kein Symbol ist. Dann werden sich euch die Buddhas aller
großen Weltsysteme in einem Augenblick offenbaren. Ihr werdet die Scharen der sich windenden und hin
und her bewegenden Lebewesen als bloße Schatten erkennen. Kontinente, so zahllos wie die Staubkörner,
erscheinen euch dann nicht mehr zu sein als ein einziger Tropfen des großen Meeres. Die tiefsten Lehren,
die ihr jemals hörtet, werden euch Träume und Trugbilder sein. Ihr werdet allen Geist als den Einen Geist
erkennen und alle Dinge als Eins wahrnehmen - einschließlich der zahllosen heiligen Bücher und
unzähligen frommen Kommentare. Sie alle sind nur euer Einer Geist. Würdet ihr nur aufhören, nach
Formen zu greifen, dann würden euch alle diese wirklichen Wahrnehmungen zuteil. Darum steht
geschrieben: "In der Soheit des Einen Geistes sind die verschiedenen Mittel, die zur Erleuchtung führen
sollen, nichts anderes als prunkvolle Ausschmückungen."
47. Frage: Wie aber, wenn ich mich in früheren Leben wie Kaliraja verhalten und Menschen bei
lebendigem Leib zerstückelt hätte?
Antwort: Die Heiligen, die von ihm gemartert wurden, stehen für euren eigenen Geist, während Kaliraja
jenen Teil von euch darstellt, der auf Suche ausgeht. Solch unkönigliches Benehmen heißt Lust nach
persönlichem Vorteil. Wenn ihr Schüler des Weges euch nicht um ein tugendhaftes Leben bemüht,
sondern nur erforschen wollt, was ihr seht - wie wollt ihr euch von Kaliraja unterscheiden? Wenn ihr
eurem Blick erlaubt, bei einer Form zu verweilen, dann stecht ihr einem Weisen (der ihr selbst seid) die
Augen aus. Und wenn ihr einem Klang nachhängt, zerstückelt ihr die Ohren eines Weisen. So verhält es
sich mit allen euren Sinnen und mit dem Denken, denn diese vielfältigen Wahrnehmungen werden
zerstückelnde genannt.
Frage: Wenn wir allen Leiden mit der Geduld eines Weisen begegnen und alle geistzerstückelnden
Wahrnehmungen vermeiden, so wird doch das, was klaglos leidet, gewiss nicht der Eine Geist sein, denn
dieser kann nicht dem Erleiden von Schmerz unterworfen sein.
Antwort: Du gehörst zu jenen Menschen, die das Ungeborene in begriffliche Formen hineinzwingen
wollen, zum Beispiel in den Begriff des geduldigen Leidens oder in die Vorstellung, nichts außerhalb von
dir selbst zu suchen. Damit tust du dir Gewalt an.
Frage: Waren die heiligen Wesen, die gemartert wurden, sich eines Schmerzes bewusst? Und wer oder
was litt, wenn sich unter ihnen keine Wesenheiten befanden, die des Leidens fähig waren?
Antwort: Wenn du jetzt keinen Schmerz erleidest, warum bist du dann überhaupt hier?
48. Frage: Hat Dipamkara Buddha in einer einzigen Periode von 5oo Jahren Einsicht in die Wirklichkeit
erlangt oder nicht?
Antwort: Es gibt kein solches Erlangen innerhalb dieser Zeit. Du darfst niemals vergessen, dass dieses so
genannte Erlangen der Einsicht weder ein Zurückziehen vom täglichen Leben noch ein Suchen nach
Erleuchtung beinhaltet. Du musst einfach nur verstehen, dass Zeitperioden keine wirkliche Existenz
besitzen. Darum findet das Erlangen der lebenswichtigen Intuition weder innerhalb noch außerhalb eines
Abschnittes von 5oo Jahren statt.
Frage: Ist es nicht möglich, das Allwissen zu erlangen, in dem uns alle Ereignisse der Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft bekannt sind?
Antwort: Eine solche Periode sollte Zeit genug für dich sein, um ein befreiter Weiser zu werden. Denn als
Dipamkara Buddha seine intuitive Erkenntnis des Dharma "erlangte", gab es in Wirklichkeit überhaupt
nichts zu erlangen.
49. Frage: Die Sutras lehren, dass die Zügelung von Leidenschaften und Täuschungen während Millionen
von Kalpas genügt, um den Dharmakaya zu erlangen, selbst wenn man nicht Mönch geworden ist. Was
bedeutet dies?
Antwort: Würdest du drei Myriaden Äonen lang Hilfsmittel benutzen, um Erleuchtung zu erlangen, nicht
aber die Ansicht aufgeben, dass es wirklich etwas zu erreichen gibt, dann wärest du danach noch ebenso
viele Äonen, wie es Sandkörner im Ganges gibt, von deinem Ziel entfernt. Wenn du es aber durch
unmittelbare Schau des Wahren-Wesens des Dharmakaya in einem Augenblick erfasst, dann wirst du das
höchste Ziel, das die Drei Fahrzeuge lehren, erreicht haben. Warum? Weil der Glaube, dass der
Dharmakaya erlangt werden kann, zu den Lehren jener Schulen gehört, die die Wahrheit nicht verstehen.
50. Frage: Wenn ich beim Wahrnehmen einer Erscheinung diese plötzlich als leer erkenne, heißt das, dass
ich begriffen habe, was Bodhidharma meinte?
Antwort: Dass Dinge als gesonderte und nicht als gesonderte Einheiten bestehen, sind beides dualistische
Begriffe. Darum sagte Bodhidharma: "Es gibt gesonderte Einheiten, und es gibt sie nicht aber zur gleichen
Zeit sind sie weder das eine noch das andere, da alles Relative vergänglich ist." Wenn ihr Schüler euch
nicht über diese fehlerhaften orthodoxen Lehren erheben könnt, warum nennt ihr euch dann
Zen-Mönche? Ich ermahne euch, einzig dem Zen zu folgen und nicht nach falschen Methoden zu suchen,
die nur zu einer Vielfalt von Begriffen führen. Ein Mann, der Wasser trinkt, weiß sehr genau, ob es kalt
oder warm ist. Ob ihr geht oder sitzt, ihr müsst alle unterscheidenden Gedanken von Augenblick zu
Augenblick zurückhalten. Vermögt ihr dies nicht, werdet ihr niemals der Kette der Wiedergeburten
entfliehen.
Frage: Wenn der Buddha wirklich in unvergleichlicher Bewegungslosigkeit jenseits der vielfältigen
Formen verweilt, wie ist es dann möglich, dass sein Körper 84 Reliquien hinterlassen hat?
Antwort: Wenn du tatsächlich so denkst, dann verwechselst du die vergänglichen Reliquien mit der
Wirklichkeit.
Frage: Gibt es tatsächlich Dinge wie Shariras, oder sind dies von Buddha angehäufte Verdienste?
Frage: Warum steht dann geschrieben: "Die Buddha-Reliquien sind ätherisch und feinstofflich, die
goldenen sind unzerstörbar." Was sagen Euer Ehrwürden hierzu?
Antwort: Wenn du solche Meinungen hast, warum nennst du dich dann einen Zen-Schüler? Kannst du dir
Knochen in der Leere vorstellen? Der Geist aller Buddhas ist eins mit der Großen Leere. Was für Gebeine
glaubst du dort finden zu können?
Frage: Aber wenn ich tatsächlich solche Reliquien gesehen hätte, was dann?
Frage: Hat Euer Ehrwürden solche Reliquien? Dann lasst sie uns sehen.
Antwort: Eine wirkliche Reliquie wäre schwer zu sehen. Um sie zu finden, müsstest du den riesigen Berg
Sumeru mit bloßen Händen zu feinem Staub zerbröckeln.
52. Der Meister sprach: Nur wenn eure Gedanken nicht mehr bei irgendetwas verweilen, was immer es
auch sein mag, werdet ihr den wahren Weg des Zen begreifen. Ich möchte es so ausdrücken: Der Weg der
Buddhas entfaltet sich in einem Geist, der völlig befreit ist von begrifflichem Denken, während
Unterscheidung zwischen diesem und jenem eine Legion von Dämonen hervorbringt. Behaltet schließlich
auch im Gedächtnis, dass von Anfang bis zum Ende auch nicht das kleinste Körnchen von irgend etwas
Wahrnehmbarem jemals existiert hat oder jemals existieren wird.
53. Frage: Wem hat der Patriarch schweigend den Dharma übertragen?
Frage: Warum bat dann der Zweite Patriarch Bodhidharma um die Übermittlung des Geistes?
Antwort: Wenn du annimmst, es sei etwas übermittelt worden, dann meinst du auch, dass der Zweite
Patriarch den Geist durch Suchen erlangt habe. Kein noch so intensives Suchen aber kann jemals zum
Geist führen. Wir sprechen nur von einer Übertragung des Geistes. Doch wenn du wirklich etwas
bekommst, wirst du wieder in den Kreislauf von Geburt und Tod zurückfallen.
54. Frage: Durchdrang der Buddha die ursprüngliche Dunkelheit des Nichtwissens?
Antwort: Ja. Die ursprüngliche Dunkelheit ist der Bereich, in dem jeder Buddha Erleuchtung erlangt. Der
Bereich der Finsternis selbst, in dem das Karma entsteht, kann deshalb BodhimandalaI4s genannt werden.
Jedes Körnchen Materie, jede Erscheinung ist eins mit der Ewigen und Unveränderlichen Wirklichkeit.
Wohin auch dein Fuß tritt, du bleibst immer innerhalb des Heiligtums der Erleuchtung, auch wenn dieses
nichts Wahrnehmbares ist. Ich versichere dir, dass derjenige, der die Wahrheit des "nichts ist zu
erreichen" versteht, sich schon in dem Heiligtum befindet, in dem er die Erleuchtung erlangen wird.
Antwort: Sie ist nicht das eine noch das andere. Beide Begriffe sind dualistisch. Ursprüngliches
Nichtwissen ist zugleich weder hell noch dunkel. Das "Nicht-Helle" ist eben jene ursprüngliche Helligkeit,
die jenseits der Unterscheidung von hell und dunkel liegt. Schon dieser Satz genügt, um den meisten
Menschen Kopfzerbrechen zu machen. Darum sagen wir, die Welt sei voller Widersprüche, die aus den
uns umgebenden vergänglichen Erscheinungen entstehen.
Würden wir auch alle wie Shariputra unsere Verstandeskräfte anstrengen, um ein Mittel zur Befreiung zu
finden, so wäre dies doch kein Weg, um die Weisheit und Allwissenheit zu ergründen, mit der die
Buddhas allen Raum überschreiten. Hierüber kann es keine Erörterungen geben. Als Gautama einst
dreitausend myriadenfache Weltsysteme ausgemessen hatte, erschien plötzlich ein Bodhisattva und
überquerte diese mit einem einzigen Schritt. Aber selbst dieser wunderbare Schritt vermochte nicht die
Breite nur einer Pore von Samantabhadras Haut zu überqueren. Nun, was für außerordentliche geistige
Kräfte hast du erlangt, die dir helfen könnten, das gedanklich zu durchdringen?
Frage: Wenn solches vollkommen unmöglich zu erfassen ist, warum steht dann geschrieben: "Wenn wir zu
unserem ursprünglichen Wesen zurückkehren, überschreiten wir die Dualität; doch die relativen
Hilfsmittel stellen viele Tore zur Wahrheit dar."
Antwort: Wir kehren zu unserem ursprünglichen Wesen jenseits der Dualität zurück. Dies aber ist
tatsächlich auch das Wahre-Wesen des Weltalls der ursprünglichen Dunkelheit, das wiederum das
Buddha-Wesen ist. Die "relativen Hilfsmittel, die viele Tore darstellen", gehören zum System der
Shravakas, die der Ansicht sind, dass unser Weltall dem Werden und Vergehen unterworfen ist, und zu
dem der Pratyeka-Buddhas, die, das Weltall trotz Anerkennung seiner endlosen Vergangenheit doch einer
kommenden Vernichtung anheim gegeben glauben, Deshalb sind sie alle ganz auf die Hilfsmittel
ausgerichtet, mit denen sie dieses (Weltall) zu transzendieren hoffen. Die wirklichen Buddhas aber
erkennen, dass Werden und Vergehen der phänomenalen Welt beide mit der Ewigkeit eins sind. Mit
anderen. Worten, es gibt kein Werden oder Vergehen. Dies zu erkennen, ist wirkliche Erleuchtung. So
sind Nirvana und Erleuchtung eins.
Als sich die Lotusblume öffnete und das Weltall enthüllte, entstand die Zweiheit: das Absolute und die
phänomenale Welt. Oder besser: Das Absolute erschien in zwei Aspekten, die zusammengenommen reine
Vollkommenheit sind. Diese Aspekte sind: unveränderliche Wirklichkeit und potentielle Form. Für die
Lebewesen gibt es solche Gegensätze wie Werden und Vergehen und viele andere. Darum hüte dich, an
einem Teil eines Gegensatzpaares zu hängen. Jene, die in ihrem einzig auf Buddhaschaft ausgerichteten
Bemühen die phänomenale Welt verabscheuen, lästern damit alle Buddhas des Weltalls. Die Buddhas, die
sich in der Welt manifestieren, nahmen Mistgabeln, um sich von all solchem Unrat, wie es die Bücher
voller Metaphysik und Sophistik sind, zu befreien.
(Anmerkung von Clemens Vargas Ramos: vergl. hier die erstaunlichen Übereinstimmungen der folgenden
Ratschläge mit denen aus Advaita Bodha Deepika)
Ich rate dir, deine früheren Ansichten über das Erforschen und Wahrnehmen des Geistes aufzugeben. Bist
du von ihnen befreit, dann wirst du dich nicht mehr in Spitzfindigkeiten verlieren. Betrachte den Vorgang
genauso wie das Fortschaufeln von Dung.
Ja, es ist mein Rat, alles Haften an begrifflichem Denken und intellektuellen Vorgängen aufzugeben.
Wenn solche Dinge dich nicht mehr stören, wirst du unfehlbar die höchste Erleuchtung erlangen. Mache
auf keinen Fall einen, Unterschied zwischen dem Absoluten und der phänomenalen Welt. Als wahrer
Schüler des Ts'ao-hsi-Zen darfst du keinerlei Unterscheidungen machen. Seit altersher haben die Weisen
gelehrt, dass ein Minimum an Tätigkeit das Tor zu ihrem Dharma ist. Lasst keinerlei Tätigkeit das Tor zu
meinem Dharma sein. Das ist der Eingang zum Einen Geist, aber alle, die dieses Tor erreichen, fürchten
sich einzutreten. Ich lehre keine Lehre des Auslöschens. Wenige verstehen dies, aber diese wenigen sind
die einzigen, die Buddhas werden.
55. Frage: Wie aber kann ich mich davor bewahren, dem Irrtum der Unterscheidung zwischen diesem und
jenem zu verfallen?
Antwort: Indem du erfährst, dass kein einziges Körnchen deine Lippen berührt, auch wenn du den ganzen
Tag lang isst, und dass eine ganze Tagesreise dich nicht einen Schritt weiterbringt. Ebenso, indem du dich
durchgängig solcher Vorstellungen wie "Ich" und "Anderes" enthältst. Lass dich nicht in die Ereignisse
des täglichen Lebens verstricken, ziehe dich aber auch niemals von ihnen zurück. Nur wenn du so
handelst, kannst du den Namen eines "Befreiten" verdienen.
Verwechsle niemals die äußere Erscheinung mit der Wirklichkeit. Vermeide den Irrtum, in Begriffen wie
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu denken. Die Vergangenheit ist nicht vergangen, die Gegenwart
ist einflüchtiger Augenblick, und die Zukunft muss nicht erst kommen. Wenn du Versenkung übst, dann
sitze in der richtigen Haltung, verharre in vollkommener Ruhe und erlaube nicht der geringsten
Denkbewegung, dich zu stören. Dies allein ist es, was man Befreiung nennt.
Oh, und sei gewissenhaft. Sei gewissenhaft! Von Tausenden oder Zehntausenden, die den Versuch
machen, dieses Tor zu durchschreiten, gelingt es vielleicht vieren oder fünfen. Achtest du nicht auf meine
Warnungen, dann wird mit Sicherheit ein Unglück folgen. Darum steht geschrieben:
Der Meister verschied auf diesem Berg während der T'aichung-Periode (847-8Sy n. Chr.) der T'ang-
Dynastie. Der Kaiser Hsüan-tsung gab ihm nach seinem Tode den Titel: "Der Zen-Meister, der alle
Begrenzungen zerstörte." Die Pagode, die zu seinem Gedächtnis errichtet wurde, wird "Turm des
raumgleichen Karma" genannt.