„Ausreiseantrag“ – Versionsunterschied

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Version vom 26. Februar 2008, 11:07 Uhr

Ausreiseantrag wurde in der DDR umgangssprachlich der Antrag zur ständigen Ausreise aus der DDR genannt. Durch das Stellen eines solchen Antrags teilte man den Behörden mit, dass man die DDR dauerhaft verlassen wollte.

Die Tatsache, dass ein solcher Antrag zur Ausreise nötig war, charakterisiert die DDR und deren mangelnde Freizügigkeit gegenüber ihren Bürgern.

Antragstellung

Die Anträge mussten bei der Abteilung Inneres des Rates des jeweiligen Kreises oder Stadtbezirks gestellt werden. Diese waren dem Ministerium für Staatssicherheit unterstellt. Ein Ausreiseantrag war problematisch, wenn das gewünschte Zielland kein im Sinne der DDR-Führung politisch zuverlässiges Land war – etwa die Bundesrepublik Deutschland. Als zuverlässig galten im Wesentlichen die Länder des Warschauer Pakts. Eine Wartezeit bis zur möglichen Genehmigung war bei Anträgen auf dauerhafte Ausreise üblich; sie reichte typischerweise von einigen Monaten bis zu einigen Jahren. Antragsteller mussten in dieser Wartezeit im Regelfall erhebliche Nachteile hinnehmen.

Der Ausreiseantrag wurde von den Antragstellern oft mit einem Antrag auf Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft gemäß § 10 DDR-Staatsbürgergesetz verbunden.

Rechtliche Grundlage

Viele Ausreisewillige beriefen sich bei der Antragstellung auf ihr Recht auf Freizügigkeit aus der KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975 und/oder auf Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO vom 10. Dezember 1948:

1. Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen.
2. Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.

Anträge auf dauerhafte Ausreise in westliche Länder wurden zunächst generell abgelehnt. Anträge auf vorübergehende Ausreise in solche Länder wurde nur Reisekadern und „Linientreuen“ gewährt. In seltenen Fällen wurde die Ausreise Personen, die in der DDR nicht mehr erwünscht waren, vorübergehend oder dauerhaft gestattet.

Besonderheiten

Ostdeutsche Rentner konnten für vier Wochen im Jahr in die Bundesrepublik reisen. Für sie galt eine „Besuchsregelung“. Daher mussten sie auch bei Übersiedlungsplänen keinen Antrag auf Ausreise stellen. Aufgrund der bundesdeutschen Gesetzgebung (Anspruch auf Rente für jeden Deutschen im Sinne des Grundgesetzes, also auch für DDR-Bürger) und der mit der Rentenzahlung verbundenen ökonomischen Belastung für die DDR konnten ostdeutsche Rentner schnell und ohne Beschränkungen durch die DDR-Behörden in die Bundesrepublik übersiedeln.

Restriktionen

Anträge auf dauerhafte Ausreise (Übersiedlung) vor dem Rentenalter hatten hingegen negative Konsequenzen für den Antragsteller, die bis zum Verlust der Arbeitsstelle und/oder der Verhinderung von Bildungschancen reichten. Dies war unabhängig davon, wie über den Ausreiseantrag entschieden wurde. Im Regelfall fand in der monate-, oft auch jahrelangen so genannten Bearbeitungszeit eine soziale Benachteiligung aufgrund staatlicher Restriktionen statt. Die Behörden entzogen die Arbeitsstelle manchmal schon bei dem Ausreiseantrag eines Familienmitgliedes. Viele Ausreisewillige wurden sozial schikaniert und bewusst – unter Ausnutzung der juristischen Willkür des Staates – kriminalisiert, um sie dann unter einem Vorwand verhaften und verurteilen zu können. Fast immer wurden die Personalausweise eingezogen und durch sogenannte PM-12, im Volksmund „Klappkarten“ genannt, ersetzt, die zudem über spezielle Beschriftungen verfügten. Die in der DDR üblichen häufigen Ausweiskontrollen konnten zu einstweiligen Inhaftierungen – bis zu 24 Stunden – aufgrund solch vorgezeigter Legitimationen führen.

Zahlen

Aus der DDR reisten von 1961 bis 1988 etwa 383.000 Menschen legal aus. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum verließen etwa 222.000 Menschen die DDR; manche durch Flucht, die meisten aber durch Freikauf aus dem Gefängnis oder Nichtrückkehr von genehmigten Reisen in das „nicht-sozialistische Ausland“ (DDR-Amtsdeutsch). 1989, bevor die Ausreise für jeden Bürger aus der DDR freigegeben wurde (d. h. vor dem Fall der Berliner Mauer im November 1989), konnten etwa 344.000 Menschen die DDR legal verlassen; in einem Zeitraum von wenigen Monaten waren dies also fast so viele Menschen wie in den 27 Jahren vorher. Bis 1989 entrichtete die Bundesrepublik Deutschland für 250 000 Personen, die die DDR mit einer Ausreisegenehmigung verlassen durften, "Gebühren".[1]

Folgen für die DDR

Unter anderem durch die massenhafte Abwanderung hochqualifizierter Facharbeiter und eines Teils der intellektuellen Elite des Landes – Ärzte, Wissenschaftler, Künstler – geriet die DDR in eine schwere wirtschaftspolitische Krise, so dass sich der ökonomische Druck auf die verbleibenden Bürger vergrößerte. So kam es zum Rückgang des Konsumangebotes durch Mangelwirtschaft, Produktionseinbrüchen aufgrund fehlender Arbeits- und Führungskräfte und staatliche Anordnung von Überstunden. Die hieraus resultierende Fehleinschätzung ideologisch geprägter Exekutivgewalt – „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“ (Erich Honecker) – ließ die DDR-Führung in die politische Krise von 1989 rutschen. In den letzten DDR-Jahren machten zahlreiche Ausreisewillige ihren Ausreiseantrag u. a. durch weiße Bänder an den Autoantennen öffentlich. Dies führte bisweilen zu Verfolgungen wegen „unerlaubter Standartenführung“ durch die Volkspolizei. Seit 1988 hatten in verschiedenen Städten der DDR Ausreisewillige („Antragsteller“) regelmäßige Demonstrationen begründet. Sie wurden für diese Aktivitäten meist mit Strafverfahren und Haftstrafen verfolgt. Durch ihre offene Haltung waren viele der Ausreisewilligen in der DDR-Gesellschaft Denunziationen und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt. Die Montagsdemonstrationen des Jahres 1989 fußten zum Teil auf den Aktivitäten der Ausreisewilligen.

Siehe auch

  1. Schroeder, Der SED-Staat, München/Wien 1998, S. 191