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Kreisleriana (Zweiter Theil)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: E. T. A. Hoffmann
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Titel: Kreisleriana (Zweiter Theil)
Untertitel:
aus: Fantasiestücke in Callot’s Manier, Zweiter Theil, S. 285-371
Herausgeber:
Auflage: Zweite, durchgesehene Auflage in zwei Theilen (= Ausgabe letzter Hand)
Entstehungsdatum: 1814-15, revidiert 1819
Erscheinungsdatum: 2. Auflage: 1819
Verlag: Kunz
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Erscheinungsort: Bamberg
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Quelle: pdf bei commons: Bd.2
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IV.
Kreisleriana.


Der Herausgeber dieser Blätter[WS 1] traf im Herbst v. J. mit dem ritterlichen Dichter des Sigurd, des Zauberringes, der Undine, der Corona etc. in Berlin auf das erfreulichste zusammen. Man sprach viel von dem wunderlichen Johannes Kreisler, und es mittelte sich aus, daß er auf höchst merkwürdige Weise in die Nähe eines ihm innigst verwandten Geistes, der nur auf andere Weise ins äußere Leben trat, gekommen seyn mußte. – Unter den nachgelassenen Papieren des Barons Wallborn, eines jungen Dichters, der in verfehlter Liebe den Wahnsinn fand und auch den lindernden Tod, und dessen Geschichte de la Motte Fouqué[WS 2] in einer Novelle, Ixion geheißen,[WS 3] früher beschrieb, war nämlich ein Brief aufgefunden worden, den Wallborn an den Kreisler geschrieben, aber nicht abgesendet hatte. – Auch Kreisler ließ vor seiner Entfernung einen Brief zurück. Es hatte damit folgende Bewandtniß. – Schon lange galt der arme Johannes allgemein für wahnsinnig, und in der That stach auch sein ganzes Thun und Treiben, vorzüglich sein Leben in der Kunst, so grell gegen Alles ab, was vernünftig und schicklich heißt, daß an der innern Zerrüttung seines Geistes kaum zu zweifeln war. Immer exzentrischer, immer verwirrter wurde sein Ideengang; so z. B. sprach er, kurz vor seiner Flucht aus dem Orte, viel von der unglücklichen Liebe einer Nachtigall zu einer Purpurnelke, das Ganze sey aber (meinte er) nichts als ein Adagio,[WS 4] und dies nun wieder eigentlich ein einziger lang ausgehaltener Ton Juliens, auf dem Romeo in den höchsten Himmel voll Liebe und Seligkeit hinaufschwebe. Endlich gestand er mir, wie er seinen Tod beschlossen und sich im nächsten Walde mit einer übermäßigen Quinte[WS 5] erdolchen werde. So wurde oft sein höchster Schmerz auf eine schauerliche Weise skurril. Noch in der Nacht, als er auf immer schied, brachte er seinem innigsten Freunde Hoffmann[WS 6] einen sorgfältig versiegelten Brief, mit der dringenden Bitte, ihn gleich an die Behörde abzusenden. Das war aber nicht wohl thunlich, da der Brief die wunderliche Adresse hatte:

An den Freund und Gefährten in Liebe, Leid und Tod!

Abzugeben in der Welt, dicht an der großen Dornenhecke, der Gränze der Vernunft.

Cito par bonté.[WS 7]


Verschlossen wurde der Brief aufbewahrt und es dem Zufall überlassen, jenen Freund und Gefährten näher zu bezeichnen. Es traf ein. Der Wallbornische Brief, gütigst von de la Motte Fouqué mitgetheilt, setzte es nämlich außer allen Zweifel, daß Kreisler unter jenem Freunde niemand Anders, als den Baron Wallborn gemeint hatte. Beide Briefe wurden mit Vorwort von Fouqué und Hoffmann in dem dritten und letzten Heft der Musen[WS 8] abgedruckt, sie dürfen aber wol auch hier schicklich den Kreislerianis, die der letzte Band der Fantasiestücke enthält, vorangehen, da das eigne Zusammentreffen Wallborns und Kreislers dem geneigten Leser, in sofern er dem wunderlichen Johannes nur einigermaßen wohl will, nicht gleichgültig seyn kann.

So wie übrigens Wallborn in verfehlter Liebe den Wahnsinn fand, so scheint auch Kreisler durch eine ganz fantastische Liebe zu einer Sängerinn[WS 9] auf die höchste Spitze des Wahnsinns getrieben worden zu seyn, wenigstens ist die Andeutung darüber in einem von ihm nachgelassenen Aufsatz, überschrieben: die Liebe des Künstlers, enthalten. Dieser Aufsatz, so wie mehrere andere, die einen Cyklus des Rein-Geistigen in der Musik bilden, könnten vielleicht bald unter dem Titel: „Lichte Stunden eines wahnsinnigen Musikers,“[WS 10] in ein Buch gefaßt, erscheinen.





[Inhalt]


Anmerkungen (Wikisource)

  1. das ist gemäß des Untertitels der Fantasiestücke der „reisende Enthusiast“.
  2. Friedrich de la Motte Fouqué (1777-1843). Er arbeitete seine Erzählung Undine (1811) für Hoffmann zu einem Libretto um. Die Oper, 1814 beendet, 1816 in Berlin uraufgeführt, wurde zum größten Erfolg des Komponisten Hoffmann.
  3. erschien zuerst in Urania auf 1812, S.63ff. Der Baron Wallborn, ein stiller Jüngling, dessen Wahnsinn sich schon äusserlich durch eine hohe goldene Papierkrone kundtut, hält sich für Ixion, jenen thessalischen Prinzen der Sage, welcher statt Juno eine Wolke umarmte. Darauf bezieht sich auch weiter unten (S. 294) "als wenn die Juno zur Wolke wird. Ach Wolke..." siehe Internet Archive
  4. Ein Musikstück von langsamen, elegischen Tempo und Ausdruck.
  5. Die übermäßigen Quinte ist ein syntaktisch selten gebrauchtes Intervall, das der kleinen Sexte entspricht. Sie ist eine Konsonanz, im Gegensatz zur übermäßigen Quarte, des Tritonus, des diabolus in musica, das als dissonanteste aller Intervalle angesehen wurde.
  6. einmal mehr eine autobiographische Referenz.
  7. lateinisch-französisch, sinngemäß: bitte rasch abzugeben.
  8. Die Musen, herausgegeben von Friedrich de la Motte Fouqué und Wilhelm Neumann, bei J.E. Hitzig in Berlin 1814, 3 und letztes Stück, S.272-293.
  9. Hoffmann selbst fasste 1811 eine an Wahnsinn grenzende Liebe zu seiner Gesangsschülerin Julia Mark (nach Heirat mit ihrem Vetter: Julia Marc); eine Erfahrung, die auch in der Erzählung Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza – dort in der Figur der Cäcilia – unmittelbaren Niederschlag fand.
  10. bereits Anfang 1812 fasste Hoffmann dieses Buchprojekt ins Auge, das ihn bis zu seinem Tod beschäftigte; allerdings ging das Material in verschiedene Schriften ein.

Sekundärliteratur

  • Das Kreislerbuch – Texte, Compositionen und Bilder, hg. von Hans von Müller, Leipzig 1903, Insel Google-USA*
  • E.T.A. Hoffmanns Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe mit Einleitungen, Anmerkungen und Lesarten von Carl Georg von Maassen (1880-1940). München und Leipzig 1908-1928, Georg Müller [modernisierte Orthographie] Bd.1, 1908. Fantasiestücke in Callots Manier Internet Archive