Zusammenfassung
Hintergrund
Die Untersuchung HÖRSTAT im Nordwesten Deutschlands ergab, dass rund 16 % der Erwachsenen nach dem Kriterium der Weltgesundheitsorganisation (WHO) schwerhörig sind. Die Belastbarkeit landesweiter Hochrechnungen aus regional durchgeführten epidemiologischen Untersuchungen kann indes infrage gestellt werden.
Methoden
Die Studie „Wie hört Deutschland?“ wurde unabhängig von HÖRSTAT im südwestdeutschen Aalen durchgeführt. Beide Querschnittstudien basierten auf stratifizierten Zufallsstichproben aus der Allgemeinbevölkerung. Der mittlere Tonhörverlust bei 500 Hz, 1, 2 und 4 kHz („pure-tone average“, PTA4), die Prävalenz von Schwerhörigkeit (WHO-Kriterium: PTA4 des besseren Ohrs >25 dB HL) und die Versorgung mit Hörgeräten wurden verglichen. Die Daten aus Aalen und HÖRSTAT wurden zusammengeführt (n = 3105), um die Prävalenz von Schwerhörigkeit in ihrer graduellen Ausprägung für die Jahre 2015, 2020 und 2025 hochzurechnen.
Ergebnisse
Die beobachteten mittleren Hörverluste beider Studien stimmen sehr gut überein. Gewichtet nach Maßgabe der Bevölkerungsstatistik sind 16,2 % der Erwachsenen in Deutschland (11,1 Mio.) nach dem WHO-Kriterium schwerhörig. Aufgrund der demographischen Entwicklung ist mittelfristig ein Prävalenzanstieg von 1 % pro Jahrfünft zu erwarten. Bei vergleichbarem Hörverlust ist die Versorgung mit Hörgeräten in den Studienorten unterschiedlich.
Schlussfolgerung
Bei Adjustierung der Geschlechts- und Altersverteilung auf die europäische Standardpopulation (ESP) liegt die Prävalenz von Schwerhörigkeit in HÖRSTAT ebenso wie in der Aalener Untersuchung deutlich niedriger als in internationalen Vergleichsstudien. Die Analyse basiert ausschließlich auf Querschnittsdaten. Mögliche Kohorteneffekte sind in der Vorausberechnung der Prävalenz deshalb nicht berücksichtigt.
Abstract
Background
The HÖRSTAT study conducted in Northwest Germany yielded hearing impairment in approximately 16% of adults according to the World Health Organization (WHO) criterion. However, the robustness of extrapolations on a national level might be questioned, as the epidemiological data were collected on a regional level.
Methods
Independently from HÖRSTAT, the “Hearing in Germany” study examined adult hearing in Aalen, a town located in Southwest Germany. Both cross-sectional studies were based on stratified random samples from the general population. Pure-tone average at 0.5, 1, 2, and 4 kHz (PTA4), the prevalence of hearing impairment (WHO criterion: PTA4 in the better ear >25 dB HL), and hearing aid provision were compared. Data from the Aalen study and HÖRSTAT were pooled (n = 3105) to extrapolate the prevalence and degree of hearing impairment for the years 2015, 2020, and 2025.
Results
Both studies show very similar results for PTA4. Weighted for official population statistics, the prevalence of hearing impairment according to the WHO criterion is 16.2% among adults, affecting 11.1 million persons in Germany. Due to demographic changes, the prevalence is expected to increase in the medium term by around 1% per 5‑year period. With a similar degree of hearing loss, hearing aid provision differs from place to place.
Conclusion
Adjusted for gender and age to the European Standard Population (ESP), the prevalence of hearing impairment observed both in HÖRSTAT and the Aalen sample is considerably lower than reported for international studies. Since the analysis refers to cross-sectional data only, possible cohort effects are not considered in the prevalence projection.
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Danksagung
Die Autoren danken allen Untersuchern und Probanden für die Datenaufnahme und Teilnahme an den Untersuchungen sowie in Oldenburg Prof. Dr. Karsten Plotz und den örtlichen Hörgeräteakustikern für die Unterstützung.
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Interessenkonflikt
P. von Gablenz und I. Holube geben Folgendes an: HÖRSTAT wurde durch den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE), aus Landesmitteln des Nds. Vorab durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur, Forschungsschwerpunkt „Hören im Alltag Oldenburg (HALLO)“ sowie die Forschungskommission der Jade Hochschule gefördert. Die Forschungsgemeinschaft Deutscher Hörgeräte-Akustiker (FDHA) finanzierte die Begleitstudie zur deutschsprachigen Kurzform des SSQ. Die Fa. Auritec stellte dankenswerterweise die tragbaren Audiometer Ear 2.0 zur Verfügung. E. Hoffmann gibt Folgendes an: Die Studie „Wie hört Deutschland?“ wurde von der Bundeswehr finanziert und der Audio-Lastzug der WTD 91 (Meppen) für audiometrische Messungen zur Verfügung gestellt.
Alle beschriebenen Untersuchungen am Menschen wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethik-Kommission, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Von allen beteiligten Patienten liegt eine Einverständniserklärung vor.
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Hinweis. Inhalte dieses Beitrags wurden in Teilen auf der 19. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Audiologie (2016) in Hannover vorgestellt.
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von Gablenz, P., Hoffmann, E. & Holube, I. Prävalenz von Schwerhörigkeit in Nord- und Süddeutschland. HNO 65, 663–670 (2017). https://doi.org/10.1007/s00106-016-0314-8
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