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Dieses Blog entwickelt sich zum verschnarchten Wiener Lokalfeuilleton, weil ich mir eine Bundesmuseencard gekauft habe, um dem Shit zu entkommen. Im Museum gibt es Kunst, schöne und gebildete Menschen, etwas Zivilisation, halt. Außerdem muss ich morgen arbeiten und mich daher heute durch die Menschenmassen drängeln.
Erst also ins Fotoarsenal Wien, den neuen Fotoausstellungsraum der Stadt. Hier gilt die Bundesmuseencard natürlich nicht, ich bestelle mir trotzdem als guter Citoyen eine Jahreskarte für 25 Euro, die ich in zwei Wochen abholen darf. Don't lose your receipt.Gegeben wird eine Ausstellung des selbstverwalteten Fotokollektivs Magnum und es regnet draußen ungefähr so stark wie auf einem der gezeigten Bilder, nämlich dem berühmten Portrait des James Dean am Times Square (Dennis Stock, 1955). Dass man als Medienkonsument die Bilder schon alle kennt, ist in diesem Fall gut, denn gezeigt werden sie im Produktionskontext der Agentur, mit Kontaktbögen (ich liebe Kontaktbögen) und Belichtungs-und-Abwedelungsanweisungen für die Printer. An der Decke hängen drei Projektoren, die in leere Plastikschalen für Entwickler, Stoppbad und Fixierer beamen und zeigen, wie ein Bild darin entsteht und weiterbehandelt wird. Alte Säcke stehen drumherum und erzählen ihren Sprösslingen und Frauen, was da passiert. Ich habe neulich meinen allerersten selbst entwickelten Kontaktbogen wiedergefunden und ein paar der vergrößerten Ilford-HP5-Schwarzweißbilder dazu und die Dinger sahen noch aus wie am ersten Tag. Zur Dokumentation von irgendwas ist das sicher nicht das dümmste Setup.
Die eine Hälfte der Magnum-Ausstellung ist den historischen Bildern und Methoden gewidmet, die andere aktuelleren Arbeiten von Susan Meiselas, Rafał Milach und Bieke Depoorter. Die erste Hälfte ist Reportage mit Kunstmomenten, die zweite Hälfte Kunst mit Reportageeinschlag. Heute ist es nur noch möglich, mit Fotos eine Geschichte zu erzählen und finanziell über die Runden zu kommen, wenn man sich im Kunstkontext verortet. Ich denke darüber nach, ob dieser Trend einen Verfallsprozess abbildet. Aus rein handwerklicher Perspektive sicher nicht, denn die Arbeiten von Meiselas, Milach und Depoorter sind jede auf ihre Art relevant und in Depoorters Eck bleibe ich länger stehen, sie sagen mir was und ich komme nicht gleich drauf, was.
Die zweite Ausstellung im Fotoarsenal ist dem zeitgenössischen österreichischen Künstler Simon Lehner gewidmet. Er zeigt Arbeiten in Mixed Media und Videoinstallationen, die sich im ästhetischen Niemandsland von JPEG-Kompressionsartefakten und Bildgeneratorenprodukten breitmachen. Die Ausstellung ist im Mediengetöse zur Magnum-Eröffnung untergegangen und es drängen sich auch viel weniger Leute darin als in den anderen Räumen, aber die Arbeiten darin sind von JETZT und daher wichtiger als das museale Zeug. Auch hier bleibe ich länger stehen. Lehner und Depoorter sind in den 1990ern geboren und die jüngsten Typen, die hier ausgestellt sind. Warum sprechen mich, den alten Sack, ihre Bilder am direktesten an? Sind sie für (reiche) alte Säcke produziert? Sagt mein innerer Checker "mhm."? Die Strategie des Hauses, mit einem bekannten Namen das Publikum zu holen und für junge österreichische Künstler:innen eine zweite Ebene einzuziehen, finde ich jedenfalls gut. So ein Haus wie das Fotoarsenal hat in Wien jedenfalls gefehlt. Es ist für Wiener Verhältnisse aber eher schwer zu erreichen, man latscht von der eh schon unsäglich blöd konstruierten U-Bahn-Station "Hauptbahnhof" einen Kilometer durch den Regen, bis man sich durch die Habsburger Militärbauten des Arsenals durchgequält hat. Die leicht bescheuert designten Wegweiser (geht es da um die Ecke? Oder nur dem Pfeil lang?) helfen auch nicht unbedingt weiter.Das Fotoarsenal ist kleiner als ich dachte, es bietet ungefähr so viel Platz wie die für Fotoausstellungen verwendeten Räumlichkeiten im Haupthaus der Albertina. Es wird spannend zu sehen sein, welche Institution in Zukunft die fetten Blockbuster der Branche in Kooperation mit dem Fotomuseum Winterthur (an das es von Format und Location her stark erinnert) und dem Jeu de Paume zeigen dürfen wird. Die Albertina mit dem gigantischen Touristen-Traffic im Stadtzentrum oder das Fotoarsenal am Arsch der Welt? Für eine gute Fotoausstellung abseits der Blockbuster haben die Wiener aber schon immer etwas weiter rausfahren müssen, etwa in die Ankerbrotfabrik. Wir sind das also gewohnt. Die Bude war voll, die Stimmung ausgezeichnet, die Leute sehr interessiert.
Mit dem Heeresgeschichtlichen Museum direkt nebenan clustert das Fotoarsenal nicht wirklich. Aber mit dem Belvedere 21 aka 21er Haus, in das ich mich auf dem Rückweg flüchte, weil mir ein Arbeitskollege von der Hans-Haacke-Ausstellung vorgeschwärmt hat. Der Kollege hatte recht, die Retrospektive zeigt harte analytische Politkunst aus den 60er und 70er Jahren, von der ich mir spontan wünsche, sie möge nicht so verdammt aktuell wirken, mit ihren Ronald-Reagan-Bildern, der Serie über Immobilienspekulanten, den Nazi-Arbeiten, dem Schnappschuss zweier schicker Burschenschafter vor einem abstrakten Gemälde auf der Documenta 2. Ein Trio von Matrixdruckern bratzelt aktuelle Agenturmeldungen über die neuesten Taten der Trumper auf Endlospapier, das hinter ihnen ungelesen auf einem Haufen landet. Der letzte Kommentar zum Unjournalismus.Dazwischen seltsame Maschinen, die mit Luft und Erde und Wasser was machen, fast schon hilflos ventilierend, pumpend, vor sich hin wachsend. Ein Typ mit Hut und Gopro-Gimbal filmt ein waberndes blaues Stück Stoff, ich fotografiere ihn dabei. Ich dokumentiere noch, hurra!
Im Obergeschoss ruhige und präzise Fotografien und Skulpturen der österreichischen Künstlerin Maria Hahnenkamp. Irgendwie sind Österreicher/innen in Ö-Museen viel zu oft nur Beigabe. Auch dieses Werk ist stark, trotz der disparaten Visualisierungsstrategien ist es EINS, schwer zu beschreiben. Wer noch nicht dort war: Hingehen, beide Ausstellungen sind es für sich allein wert.Gestern "Vier Wochen" von Christiane Frohmann gekauft. Als Elektrobuch aus dem Repository der freundlichen Damen der einzigen Buchhandlung im Nachbarbezirk. Disclaimer: Ich bin sehr alter Kunde von Jeff, mein erster Kindle war die Version 2, noch mit Tastatur, so alt. Doch Jeff ist kein Held mehr, er langweilt, genau wie seine Freunde. Darum Gefrickel mit Minder-UX-UI und Calibre. Super, dass Mikrotext kein DRM auf die Texte montiert, das hat die Migration einfacher gemacht, ich bin Fan von Frau Richter und Frau Frohmann, wahrscheinlich ist staatsferne Kultur am Rande jeglicher Profitabilität die einzige, die uns bleibt. Und mit "uns" meine ich jeden Organismus mit mehr als zwei Gehirnzellen. Disclaimer: Frau Frohmann hat meinen Roman QUIZ verlegt, also bin ich nicht der neutralste Leser. Auch jenseits jeder Profitabilität, aber wir versuchen es halt und machen unsere Dinge, jedejeder auf seineseiner Art. Außerdem sind es die informellen Gruppen, die am Ende gewinnen, immer.
Eigentlich schreibe ich nur Trash, am liebsten Science Fiction oder neuerdings Fantasy der übelsten Sorte. Doch wie Frohmann eigentlich Verlegerin ist und nun schreibt, so wechsle ich in die Position des semiprofessionellen Lesers - nicht Kritikers, dazu gehört dann doch viel mehr. Frohmanns Novelle steht mir nah, weil sie ein Leben beschreibt, das mir so fremd ist wie das einer kristallinen Hyperintelligenz auf der sonnenabgewandten Seite des Pluto. Für normale Menschen ist es Literatur, für mich ist es Science Fiction. Es geht um Familie als Selbstgespräch in der Wahrnehmung der Mutter. Organische Akteure tun Dinge, missverstehen einander, fahren in Urlaub nach Italien. Eine Novelle, so hat mir ein literaturwissenschaftlich bewanderter Kumpel erzählt, handelt von einer unerhörten Begebenheit, oder so ähnlich. Das trifft auch auf diese Novelle zu. Es gibt die unerhörte Begebenheit und Organismen, die einem fremdartigen Hedonismus frönen, der mich mit ihnen zusammenbringt, weil nach 30 Jahren relativer Ruhe die ENDZEIT wieder da ist, in Form der Klimascheiße und ihrer Antis und Prediger und sogar wieder in Form dummbrutaler Superdupermächte, diesmal noch dümmer und brutaler. Da kann man ja nur noch saufen. Oder den eigenen Funktionen und Privilegien nachhängen, auch das schon ein Luxus, die Reflexion. Die Familien meiner Freundinnen und Freunde, also die, die sie selbst gegründet haben, sind überwiegend funktional, zumindest so wie ich sie erlebe, die Männer bessere Väter als die ihren. Die Mütter genauso erschöpft wie die ihren, weil die Gesellschaft ihren Job nicht tut und den Biokrempel nicht kompensiert, obwohl die Gesellschaft zu mehr als der Hälfte aus Frauen besteht und immer noch recht demokratisch ist. Wir tun immer noch nicht genug, es reicht nicht, es reicht nicht, bis es allen reicht. Und so beobachtet Frohmanns alter ego (???) Natti die Hormon- und Saufexzesse ihrer Nachgänger quasi als Passagier ihrer selbst, zieht Bilanzen in doppelter Buchführung, Soll und Haben. Ein Zeitdokument, das sich selbst darüber beschwert, mit einer 80er-Jahre-Sensibilität beobachtet und geschrieben worden zu sein, aber halt mit einer, die durch die Transformationen von Zeit und Körperzuständen gegangen ist. Attitüden mögen fake sein, aber die Erschöpfung, die ist echt. Frohmann sollte ruhig mehr schreiben, gerade in der Erschöpfung sieht man am klarsten. Ich habe das Stück in einem Rutsch gelesen, es ist leider nicht lang. Beobachtung ohne Überbau, komplex und abgeräumt gleichzeitig.Heute begeht man in Wien den Tag des Bezirksmuseums und eine Freundin von Ms. K. hält eine Lesung im "Haus der Begegnung", dem Kulturzentrum der Per-Albin-Hansson-Siedlung, in dem sich auch das Bezirksmuseum Favoriten befindet. Die Per-Albin-Hansson-Siedlung ist ein zerstreuter weitläufiger Komplex, in dem laut Wikipedia rund 14.000 Menschen leben. Im Bezirksmuseum sind viele Exponate aus vergangenen Zeiten des Handels und Handwerks zu sehen, ein besonders wuchtiges Stück ist der Motor eines abgeschossenen US-Bombers, der irgendwann in den 1990er Jahren aus einem Vorgarten ausgebuddelt worden ist.
Auch der nichtmenschlichen Bevölkerung ist ein großer Abschnitt gewidmet.
Dabei werden auch die Kleinsten nicht vergessen.
Im Norden der Siedlung liegt ein Park, in dem sich diverse Teichhühner tummeln, sehr charmant. Das Einkaufszentrum, das erst sehr spät durch eine Erweiterung der U1 erschlossen wurde, hat schon bessere Zeiten gesehen. Aber das haben wir ja alle.
Die Betreiber des Bezirksmuseums sind supernett, wir wurden alle mit orangefarbenen Aufklebern markiert und registriert. Die Räumlichkeiten waren von Menschen aller Altersklassen gut besucht, in die Lesung der Freundin sind wir erst gar nicht hineingekommen, der Raum war überfüllt.