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Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen

2008

Umschriebene Entwicklungsstörungen & Einführung Helmut Remschmidt In der ICD-10 werden zwei Arten von Entwicklungsstörungen unterschieden: Umschriebene Entwicklungsstörungen (F80–F83) und tiefgreifende Entwicklungsstörungen. Erstere sind dadurch gekennzeichnet, dass die Entwicklung der betroffenen Kinder und Jugendlichen in einem eingegrenzten Bereich (z. B. in der expressiven oder rezeptiven Sprache oder der Motorik) Rückstände aufweist, während andere Entwicklungsdomänen der Altersnorm entsprechen; letztere weisen in der Regel weitaus schwerer wiegende Beeinträchtigungen der Entwicklung auf, die sich auf eine Vielzahl von Entwicklungsdomänen erstrecken, wobei folgende Merkmale charakteristisch sind: Beeinträchtigung in gegenseitigen sozialen Interaktions- und Kommunikationsmustern sowie ein eingeschränktes, stereotypes, sich wiederholendes Repertoire von Interessen und Aktivitäten. Diese Auffälligkeiten stellen ein grundlegendes Funktionsmerkmal der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen dar, treten situationsübergreifend auf, variieren aber im Ausprägungsgrad. Beide Arten von Entwicklungsstörungen haben aber auch Merkmale gemeinsam (ICD-10): & Sie beginnen ausnahmslos im Kleinkindalter oder in der Kindheit. & Sie sind gekennzeichnet durch Entwicklungsverzögerungen, die eng mit der biologischen Reifung des Zentralnervensystems zusammenhängen. & Sie zeigen einen stetigen Verlauf, der nicht die für viele psychische Störungen typischen charakteristischen Remissionen und/oder Rezidive aufweist. Die folgenden vier Kapitel beschäftigen sich ausschließlich mit umschriebenen Entwicklungsstörungen. 12.1 Sprachentwicklungsstörungen Waldemar von Suchodoletz, Michele Noterdaeme Fallbeispiel Vorgeschichte: Sascha ist zum Untersuchungszeitpunkt 4 Jahre alt. Schwangerschaft, Geburt, Neugeborenenzeit und die statomotorische Entwicklung seien seinerzeit unauffällig verlaufen. Erste Wörter spricht er um den 28. Lebensmonat. Im Alter von 4 Jahren bildet er noch keine Sätze, und seine Spontansprache ist unverständlich. Im Verhalten ist er motorisch unruhig, und vor allem im Kindergarten treten häufig Wutanfälle auf. An Kommunikation ist er interessiert, reagiert aber bei Aufforderungen oft falsch. Sein Spielverhalten ist altersentsprechend. Diagnostik: Die Untersuchungsbefunde ergeben eine multiple Dyslalie, einen massiv eingeschränkten aktiven und passiven Wortschatz, Sprachverständnisstörungen auf Wortund Satzebene sowie eine deutliche motorische Unruhe und reduzierte Aufmerksamkeitsspanne. Hinweise auf eine Intelligenzstörung (IQ 110 im SON), Hörminderung oder neurologische Schädigungen finden sich nicht. Diagnostisch wird die Symptomatik als rezeptive Sprachstörung, verbunden mit einer hyperkinetischen Störung, eingeordnet. Therapie: Durch den Aufbau des Wortschatzes unter Einsatz von Bildkarten und Gebärden verbessern sich Sprachverständnis und Kommunikationsfähigkeit. Später erhöht sich auch die Artikulationsgenauigkeit, wobei im Vorschulalter in der Therapie Schriftsprache unterstützend eingesetzt wird. In der Grundschulzeit erfolgt eine medikamentöse Behandlung der hyperkinetischen Symptomatik. Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. 12 12 & Grundlagen Definition, Klassifikation und Symptomatik Sprachentwicklungsstörungen sind durch eine Verzögerung und Störung beim Spracherwerb gekennzeichnet. Die drei wichtigsten Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache sind nach der ICD-10: & Artikulationsstörungen (F80.0), & expressive Sprachstörungen (F80.1) und & rezeptive Sprachstörungen (F80.2). 148 12 Umschriebene Entwicklungsstörungen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart * * * * * Sprech- bzw. Sprachfähigkeit außerhalb der Norm, bezogen auf das Intelligenzalter und mit deutlicher Differenz zum Sprachgebrauch Störung nicht durch Intelligenz- oder Hörstörung, hirnorganische Erkrankung, emotionale Störung, anregungsarme Umwelt bedingt Altersentsprechendes Kommunikationsbedürfnis Relativ ungestörte nonverbale Kommunikation und keine längere Phase mit normaler Sprech- bzw. Sprachfähigkeit Eine Artikulationsstörung ist durch Auffälligkeiten in der Lautbildung bei unauffälligem Sprachverständnis und ungestörter Sprachproduktion gekennzeichnet. Obwohl es sich um eine Sprechstörung handelt, werden Artikulationsstörungen in diesem Kapitel mit besprochen, da sich Sprech- und Spracherwerbsstörungen deutlich überschneiden. Eine expressive Sprachstörung ist durch Abweichungen in der aktiven Sprache (Dysgrammatismus, geringer aktiver Wortschatz, kurze Äußerungslänge, Probleme im sprachlichen Ausdruck) charakterisiert bei weitgehend unauffälligem Sprachverständnis. Im Mittelpunkt der Symptomatik einer rezeptiven Sprachstörung stehen Beeinträchtigungen im Sprachverständnis, oft verbunden mit Störungen der Sprachproduktion. Expressive und rezeptive Sprachstörungen gehen häufig mit Lautbildungsstörungen sowie motorischen und Verhaltensbesonderheiten einher. Die Kinder beginnen verspätet zu sprechen. Im 2. Lebensjahr steht ein geringer aktiver und passiver Wortschatz und im 3. Lebensjahr eine verminderte Äußerungslänge im Vordergrund. Im Kindergarten- und Vorschulalter prägen grammatische Fehler das Bild und im Schulalter kurze, einfache Sätze sowie Probleme beim Erzählen bzw. Aufschreiben von Geschichten. Typische Symptome einer Sprachverständnisstörung sind Missverständnisse (falsche Antworten auf Fragen), keine zuverlässigen Reaktionen auf sprachliche Anforderungen, häufiges Antworten mit „ja“ oder „weiß ich nicht“ sowie Echolalien. Sind Sprachstörungen noch im Vorschulalter zu beobachten, dann ist mit einer Wahrscheinlichkeit von 70–80 % mit Sprachauffälligkeiten bis ins Jugend- und Erwachsenenalter hinein zu rechnen. Zusätzlich beeinträchtigen eine Leseund Rechtschreibstörung (50–80 %), abfallende IQ-Werte (ca. 25 %) und emotionale bzw. Verhaltensstörungen (ca. 50 %) die Entwicklungschancen dieser Kinder. Insgesamt ist die Prognose bei einer Artikulationsstörung am besten und bei einer rezeptiven Sprachstörung am schlechtesten (Übersicht: v. Suchodoletz 2004). Epidemiologie Nach der American Speech-Language-Hearing Association ist bei 5 % aller Vorschulkinder mit einer expressiven und bei 3 % mit einer rezeptiven Sprachentwicklungsstörung zu rechnen. Artikulationsstörungen treten im Vorschulalter mit einer Häufigkeit von 5–8 % auf. Jungen sind 2- bis 3-mal so häufig wie Mädchen betroffen. Für eine von den Medien immer wieder behauptete Zunahme von Sprech- und Sprachentwicklungsstörungen in den letzten Jahrzehnten gibt es keine Belege (Law et al. 2000). Ätiologie und Störungsmodell Eine familiäre Häufung von Sprachentwicklungsstörungen ist seit langem bekannt. In Zwillings- und Adoptionsstudien konnte der genetische Anteil belegt werden. Größere Mehrgenerationenstudien sprechen dafür, dass bei etwa der Hälfte der familiären Formen eine Sprachentwicklungsstörung autosomal-dominant vererbt wird, während in den restlichen Familien unterschiedliche Erbgänge anzutreffen sind. Erste Kandidatengene wurden auf den Chromosomen 2, 7 und 13 beschrieben. Neben dieser genetischen Hauptkomponente spielen Umweltfaktoren eine modifizierende Rolle. Eine unzureichende Förderung erhöht das Risiko für die Manifestation einer genetisch bedingten Disposition zu Spracherwerbsproblemen. Ob frühkindliche Hirnschädigungen für die Ätiologie einer umschriebenen Sprachentwicklungsstörung von Bedeutung sind, wird eher bezweifelt (Noterdaeme 2000). Dass eine vorübergehende Schallleitungsschwerhörigkeit zu Sprachentwicklungsstörungen führt, kann heute als widerlegt angesehen werden (v. Suchodoletz 2007). Ob Sprachentwicklungsstörungen die Folge von Defiziten elementarer kognitiver Fähigkeiten in der auditiven Verarbeitung sind, wird kontrovers diskutiert. Bislang gibt es dafür keinen empirischen Nachweis. Grobe strukturelle Veränderungen des Gehirns werden bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen nicht beobachtet. Tabelle 12.2 störungen Störungsprofil: Sprech- und Sprachentwicklungs- Klassifikation nach ICD-10 * * * Artikulationsstörung (F80.0) Expressive Sprachstörung (F80.1) Rezeptive Sprachstörung (F80.2) Definition Sprech- und/oder Spracherwerbsstörung, die nicht durch eine erkennbare Ursache zu erklären ist Symptomatik Verspätetes Erreichen sprachlicher Meilensteine Altersabhängigkeit der Symptomatik F80.0: Lautbildungsstörung F80.1: Sprachproduktionsstörung (Dysgrammatismus, Wortschatzdefizite) F80.2: Sprachverständnisstörung (semantisch und syntaktisch) Epidemiologie F80.0: ca. 7 % (im Vorschulalter) F80.1: ca. 5 % F80.2: ca. 3 % Ätiologie Hauptkomponente: genetischer Faktor Moderierende Komponente: sprachliche Anregung durch das Umfeld Fragliche Komponente: frühkindliche Hirnschädigung Störungsmodell Verzögerungen und Störungen bei der Herausbildung sprachspezifischer neuronaler Netze; Defizite von Low-LevelFunktionen als zugrunde liegende Störung werden diskutiert. 12.1 Sprachentwicklungsstörungen 12 Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. Tabelle 12.1 Diagnostische Leitlinien von Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache nach der ICD-10 149 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart & Therapie Diagnostische Maßnahmen 12 Wesentlich für die diagnostische Zuordnung ist eine Beurteilung der Spontansprache des Kindes. Für die operationalisierte Diagnostik stehen für das Kindergarten- und frühe Schulalter standardisierte Tests zur Verfügung. Mit Sprachtests werden allerdings häufig falsch positive und falsch negative Befunde erhoben. Außerdem sind im Rahmen der Diagnostik Sprachstörungen durch eine definierte Ursache auszuschließen und häufig auftretende Begleitsymptome zu erfassen (Amorosa 2006; v. Suchodoletz 2006a). Vor dem Alter von 24 Monaten gelingt derzeit keine befriedigende Erfassung von sprachlichen Risikokindern. Zur Früherkennung (Sachse 2005) von Kindern mit Sprachentwicklungsverzögerungen im Alter von 24 Monaten (Late Talkers) eignet sich der „Elternfragebogen für zweijährige Kinder: Sprache und Kommunikation (ELFRA-2)“. Etwa 50 % der Late Talkers haben länger andauernde Sprachprobleme. Tabelle 12.3 Diagnostik bei Kindern mit Sprech- oder Sprachentwicklungsstörungen Sprachdiagnostik Ausschluss von Sprachstörungen aufgrund definierter Ursachen Altersnormierte Testverfahren (operationalisierte Diagnostik): * Sprachentwicklungstest für zweijährige Kinder – SETK 2 (Grimm 2000) bzw. für drei- bis fünfjährige Kinder – SETK 3–5 (Grimm 2001) * Kindersprachtest für das Vorschulalter – KISTE (Häuser et al. 1994) * Heidelberger Sprachentwicklungstest – HSET (Grimm u. Schöler 1991) Informelle Testverfahren (Therapieplanung): * Evozierte Sprachdiagnose grammatischer Fähigkeiten – ESGRAF (Motsch 2000) * Psycholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen – PLD-SES (Kauschke u. Siegmüller 2002) * Psycholinguistischer Sprachverständnis- und Sprachentwicklungstest – PSST (Wettstein 1995) * Psycholinguistische Analyse kindlicher Sprechstörungen – PLAKSS (Fox 2005) * Lautproduktions- und Lautunterscheidungstests * * * * Erfassung häufiger Begleitsymptome * * * * 150 Intelligenzdiagnostik Pädaudiologische Diagnostik (insbesondere Hörprüfung) Ausschluss hirnorganischer Erkrankungen Ausschluss autistischer Störungen Psychischer Befund Motorische Fertigkeiten Vorläuferfertigkeiten für den Schriftspracherwerb (Vorschulalter) Lese- und Rechtschreibfertigkeiten (Schulalter) Obwohl sprachtherapeutische Interventionen seit langem etabliert sind und bis zum Vorschulalter an erster Stelle der verordneten Fördermaßnahmen stehen, ist die Effektivität einer Sprachtherapie nur unzureichend untersucht. Law et al. (2004) führten für die Cochrane Collaboration eine Meta-Analyse zur Effektivität sprachtherapeutischer Interventionen durch. Sie stuften von den innerhalb der letzten 25 Jahre publizierten Evaluationsstudien 25 als aussagefähig ein. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass eine logopädische Behandlung die Lautbildungsfähigkeit und den aktiven Wortschatz verbessern kann. Hinsichtlich grammatischer Fähigkeiten sind die Ergebnisse widersprüchlich, und für Verbesserungen des Sprachverständnisses fanden sich keine Belege. Eine Behandlung in Kleingruppen erwies sich als genauso wirksam wie eine Einzeltherapie. Sprachtherapeuten erreichen keine besseren Effekte als ausreichend angeleitete Eltern. Eine Behandlungsdauer unter zwei Monaten ist insgesamt weniger wirksam als eine länger dauernde Therapie. Verbesserungen treten nur in unmittelbar trainierten Bereichen ein. Es deutet sich an, dass direkte Verfahren für Kinder mit relativ guter Sprachkompetenz und höherem IQ besser geeignet sind als indirekte Methoden, von denen eher Kinder mit schlechter Sprachkompetenz und/oder niedrigem IQ profitieren (Bode 2001). Neben logopädischen Methoden werden in der Praxis zahlreiche Verfahren zum Training psychischer Grundfunktionen eingesetzt. Für die spezifische Wirksamkeit all dieser Behandlungsangebote gibt es bislang keine Beweise (v. Suchodoletz 2006b). Tabelle 12.4 Einschätzung sprachtherapeutischer Verfahren 1. Empirisch gut abgesicherte und allgemein anerkannte Verfahren: * Sprachtherapie zur Verbesserung der Lautbildungsfähigkeit und des aktiven Wortschatzes 2. Empirisch mäßig abgesicherte, aber potenziell wirksame Verfahren: * * Sprachtherapie zur Verbesserung grammatischer Fähigkeiten und des Sprachverständnisses Training der Sprachwahrnehmung 3. Empirisch nicht abgesicherte, aber in bestimmten Fällen hilfreiche Verfahren: * * * Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. Empirische Evidenz zu sprachtherapeutischen Interventionen Training der auditiven Merkfähigkeit und Aufmerksamkeit Auditives Wahrnehmungstraining Oralmotorische Übungen 4. Zweifelhafte Methoden: * * * * * * * * Tomatis-, Klang- und Schalltherapie Richtungshör-, Hochton-, Ordnungsschwellen-, Automatisierungs-, Lateral- und dichotisches Training FastForWord Training von Rechtsohrigkeit Kranio-Sakral-Therapie (Osteopathie) Spiraldynamik Neurofunktionelle Reorganisation nach Padovan Edu-Kinestetik 12 Umschriebene Entwicklungsstörungen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Zentrale Zielstellungen einer Sprachtherapie sind eine Verbesserung der Sprech- bzw. Sprachfähigkeit, eine Erhöhung des Sprechantriebs und der Sprechfreude sowie eine Förderung der allgemeinen Kommunikationsfähigkeit. Je nachdem, welches Therapieziel als wichtig angesehen wird, werden unterschiedliche Behandlungsstrategien eingesetzt. Zur Verbesserung der Sprech- und Sprachfähigkeit wird das Sprachangebot erhöht und sprachfördernd gestaltet. Hierzu stehen direkte und indirekte logopädische Techniken zur Verfügung. Bei den direkten Verfahren wird den Kindern ersichtlich, welche sprachlichen Kompetenzen in der Therapiestunde verbessert werden sollen. Beispiele sind Imitations- und Modulierungstechniken, ggf. unter Einsatz von Spiegel, Tonband oder Computerprogrammen. Ein korrigierendes Modulieren erfolgt, indem die Äußerungen des Kindes mit Variationen und korrekter Satzbildung aufgegriffen werden. Bei ausgeprägten Störungsbildern können Gesten, Schrift und Bildmaterial unterstützend eingesetzt werden, um den Kindern durch eine Einbeziehung mehrerer Sinneskanäle korrekte Sprachstrukturen zu verdeutlichen. Indirekte Verfahren haben einen vordergründig spielerischen Charakter, sind kindgeleitet, aktivitätsbasiert und bevorzugen einen naturalistischen Zugang (kontextoptimierter Ansatz). Die sprachtherapeutische Zielstellung wird den Kindern kaum bewusst. Welche linguistischen Zielstrukturen in der Therapie bearbeitet werden, richtet sich nach den sprachlichen Auffälligkeiten des Kindes. Bei Artikulationsstörungen stehen Wahrnehmung und Produktion von Lauten im Mittelpunkt, bei Wortschatzdefiziten eine Erweiterung des aktiven und passiven Wortschatzes, bei einem Dysgrammatismus die Bildung korrekter Sätze und bei Sprachverständnisstörungen das genaue Zuhören und die Sinnentnahme aus sprachlichen Angeboten. In der sprachtherapeutischen Praxis finden Sprachverständnisstörungen bislang zu wenig Beachtung. Um Sprachtherapeuten ein Instrumentarium für eine gezielte Behandlung rezeptiver Sprachstörungen an die Hand zu geben, wurde von Amorosa und Noterdaeme (2003) ein störungsspezifisches Therapiemanual erarbeitet. Eine Erhöhung von Sprechantrieb und Sprechfreude wird in der Therapie dadurch angestrebt, dass diese in einer emotional entspannten Atmosphäre ohne Leistungsdruck erfolgt. Bei Kindern mit schwer- bzw. unverständlicher Sprache werden auch nonverbale Interaktionen gefördert. Es wird z. B. mit dem Kind geübt, wie es sich durch Gesten, Mimik und Bilder am besten mitteilen kann. Medikamentöse Therapie Relevante Verbesserungen der sprachlichen Fähigkeiten durch Nootropika, Psychostimulanzien oder andere Medikamente konnten nicht erreicht werden, sodass eine medikamentöse Behandlung nicht indiziert ist. Der Einsatz von Medikamenten kann zur Therapie komorbider Störungen, wie z. B. hyperkinetischer Syndrome, sinnvoll sein. Psychotherapie Eine psychotherapeutische Behandlung wird erforderlich, wenn ein erhebliches Störungsbewusstsein mit Sprachhemmung oder primäre bzw. psychoreaktive emotionale oder Verhaltensstörungen beobachtet werden. Eine positive Beeinflussung der Sprachfähigkeit ist durch eine Psychotherapie nicht zu erwarten. Psychische Auffälligkeiten zeigen etwa die Hälfte aller Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen. Besonders häufig treten eine verstärkte motorische Unruhe, Konzentrationsstörungen und ein trotzig-oppositionelles Verhalten auf. Neben extroversiven Verhaltensauffälligkeiten ist bei vielen Kindern eine emotionale Verunsicherung zu beobachten. Sie sind sensibel und reagieren überempfindlich auf Kritik. Von Eltern werden begleitende psychische Auffälligkeiten oft als belastender erlebt als die Sprachstörung selbst. Die psychischen Auffälligkeiten sprachentwicklungsgestörter Kinder sind zum Teil Folge der Kommunikationsstörung. Kinder mit Sprachstörungen werden im Schulalter dreimal so häufig Opfer von Bullying als ihre sprachlich unauffälligen Klassenkameraden. Insbesondere die Zahl sozialer Phobien nimmt bis zum Erwachsenenalter kontinuierlich zu. Psychische Auffälligkeiten zeigen insbesondere Kinder mit rezeptiven Sprachstörungen. Deren falsches bzw. Nichtverstehen führt zu einer erheblichen Verunsicherung in sozialen Situationen und wird von der Umgebung häufig fehlinterpretiert. Die Verhaltensauffälligkeiten sind jedoch nicht allein als Sekundärsymptomatik aufzufassen. Soziale Anpassungsstörungen sind zum Teil von der Sprachauffälligkeit unabhängige Störungen (Komorbidität). Sie zeigen keine Korrelation zum Schweregrad der Sprachstörung und bleiben bei Rückbildung der Sprachauffälligkeiten bestehen. Sie sind insbesondere bei jenen Kindern zu beobachten, die weitere Entwicklungsauffälligkeiten wie motorische Retardierungen oder sensorische Teilleistungsschwächen aufweisen. Die Art des einzusetzenden psychotherapeutischen Verfahrens richtet sich nach der Art der psychischen Störungen. Während der Therapie bedürfen die sprachlichen Beeinträchtigungen des Kindes besonderer Beachtung. So ist bei Kindern mit Sprachverständnisstörungen sicherzustellen, dass Fragen, Erklärungen und Aufforderungen richtig erfasst werden. 12 Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. Allgemeine Struktur der Therapie und Therapieprogramme Eltern- und familienbezogene Maßnahmen Eltern und Kinder sind über vermutete Ursachen, Aufrechterhaltung und Prognose der Sprech- bzw. Sprachstörung zu informieren. Eine wichtige Zielstellung der Elterngespräche besteht darin, bei diesen Verständnis für die besondere Situation des Kindes zu wecken. Insbesondere beim Vorliegen von Sprachverständnisstörungen sind die fehlgedeuteten Kommunikationsprobleme der Kinder zu thematisieren. Außerdem ist nach stigmatisierenden Reaktionen auch innerhalb der eigenen Familie zu fragen, damit ggf. Bewältigungsstrategien besprochen werden können. 12.1 Sprachentwicklungsstörungen 151 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Umfeldbezogene Maßnahmen Erzieher und Lehrer sollten über die sprachlichen Besonderheiten des Kindes ausführlich informiert werden. Insbesondere ist auf Sprachverständnisstörungen einzugehen, da sonst Missverständnisse in alltäglichen Interaktionen vorprogrammiert sind. Bei Vorschulkindern mit Sprachentwicklungsauffälligkeiten können Erzieherinnen auch aktiv in die Sprachförderung einbezogen werden. In Pilotstudien ergaben sich Hinweise darauf, dass ein Sprachtraining durch spezifisch angeleitete und weitergebildete Kindergärtnerinnen zu deutlichen Sprachfortschritten führt. Bei Therapieresistenz, erheblicher Einschränkung der Verständlichkeit der Sprache oder ungünstigen sozialen Entwicklungsbedingungen sollte die Betreuung im Rahmen einer pädagogischen Fördereinrichtung (z. B. Sprachheilkindergarten, -schule) erwogen werden. Dass Kinder von dem Besuch einer Sprachheilschule tatsächlich profitieren, ist allerdings nicht belegt. Ergänzende Therapiemaßnahmen Sprachentwicklungsstörungen treten häufig kombiniert mit Retardierungen in anderen Entwicklungsbereichen auf. Besonders häufig finden sich auch Schwächen in der auditiven Merkfähigkeit und Aufmerksamkeit. Eine gezielte Förderung dieser Bereiche kann im Rahmen einer Ergotherapie erfolgen. Allerdings muss eine Überforderung von Kind und Eltern durch mehrere gleichzeitig laufende Förderprogramme vermieden werden. 152 Tabelle 12.5 störungen Therapieprofil: Sprech- und Sprachentwicklungs- Diagnostische Maßnahmen * * * * * * Anamnese Beurteilung der Spontansprache und des Sprachverständnisses Altersnormierte und informelle Sprachtests Intelligenztest Pädaudiologische Untersuchung Ausschluss hirnorganischer und autistischer Störungen Empirische Evidenz Empirisch gut abgesichert: logopädisches phonologisches und Wortschatztraining Empirisch mäßig abgesichert: logopädisches Grammatik- und Sprachverständnistraining In bestimmten Fällen hilfreich: Training von auditiver Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit und Wahrnehmung, oralmotorische Übungen Zweifelhaft und entbehrlich: Training von Low-Level-Funktionen Therapieprinzipien Erhöhung der Anzahl sprachlicher Interaktionen in sprachfördernder Weise Therapieprogramme Direkte und indirekte sprachtherapeutische Verfahren Medikamentöse Therapie Nur zur Behandlung komorbider Störungen Psychotherapie Behandlung primärer und sekundärer psychischer Störungen Eltern- und familienbezogene Maßnahmen Anleitung der Eltern zu sprachförderndem Verhalten Umfeldbezogene Maßnahmen Beratung von Erziehern und Lehrern, ggf. Betreuung in Sprachheilkindergärten oder -schulen Ergänzende Maßnahmen * * Ergotherapie Mototherapie Bei Schulkindern mit Sprachentwicklungsstörungen gehört eine LRS-Diagnostik zur Routine, und ggf. ist eine gezielte LRS-Therapie einzuleiten. Häufig gestellte Fragen mit Antworten ? In welchem Alter sollte eine genaue Diagnostik erfolgen, wenn bei einem Kind Störungen bei der Sprachentwicklung auffallen? Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. 12 Die Eltern sind dahingehend zu beraten, dass sie Äußerungen und sprachliche Anforderungen an die Fähigkeiten ihres Kindes anpassen. Sie sollten deutlich und nicht zu schnell sprechen und durch Sing-, Sprach- und Rollenspiele ihre Kinder zum Sprechen anregen. Die Kinder werden auf diese Angebote allerdings nur eingehen, wenn diese entspannt und sprachmotivierend unter Vermeidung von Tadel und Kritik gestaltet werden. Die Eltern sind über das konkrete Vorgehen während der Therapiestunden laufend zu unterrichten. Dabei sollte auch eine Anleitung gegeben werden, wie das Therapieziel zu Hause unterstützt werden kann. Eine Anleitung der Eltern zu sprachförderndem Verhalten ist bis zum dritten Lebensjahr wesentlicher oder auch alleiniger Bestandteil einer Sprachtherapie. Einzeln oder in Elterngruppen werden Grundregeln sprachfördernden Verhaltens vermittelt. Die Effektivität eines solchen Vorgehens konnte inzwischen belegt werden. Es zeigte sich, dass die Mütter lernen, langsamer und weniger komplex zu sprechen und sich auf Wörter zu konzentrieren, die neu erworben werden sollen. Die Therapieeffekte spiegeln sich sowohl in einem schnelleren Aufholen des sprachlichen Rückstands als auch in einer Verbesserung des Sozialverhaltens der Kinder wider, was sich auf die Mutter-Kind-Interaktion positiv auswirkt. Ein Vergleich der Sprachfortschritte durch eine direkte Sprachtherapie des Kindes und einer Sprachförderung über eine Anleitung der Eltern ergab, dass die Effektivität beider Herangehensweisen vergleichbar ist. 씰씰 Wenn im Alter von 6–8 Monaten kein Silbenlallen einsetzt, ist eine Diagnostik zum Ausschluss einer hochgradigen Hörstörung und einer kognitiven Entwicklungsretardierung erforderlich. Eine ausführliche Untersuchung der sprachlichen Fähigkeiten ist angeraten, wenn ein Kind mit 15 Monaten noch kein sinnbezogenes Wort versteht, mit 18 Lebensmonaten kein Wort spricht, mit 24 Monaten keine Zweiwortsätze benutzt und mit 36 Monaten keine geformten Mehrwortsätze bildet. ? Wächst sich eine Sprachentwicklungsstörung ohne besondere Maßnahmen aus? 12 Umschriebene Entwicklungsstörungen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Lebensjahren ist die spontane Rückbildungsrate hoch. Wenn allerdings auch noch im Vorschulalter Sprachstörungen zu beobachten sind, ist mit einer langfristigen sprachlichen Beeinträchtigung und dem Auftreten sekundärer Symptome zu rechnen. ? Wie können Eltern die Sprachentwicklung ihres Kindes fördern? 씰씰 Eltern sollten sprachliche Interaktionen anregen, mit ihren Kindern viel sprechen, ihnen viel vorlesen und sie zum Erzählen ermutigen. Dabei sollten sie sich an das sprachliche Niveau ihres Kindes anpassen. Verbesserungen und Kritik sind zu vermeiden. & Weiterführende Informationen einschließlich Internetadressen & & & & Informationen zum frühen Spracherwerb: www.mutterspracherwerb.de; Informationsseite zum Thema „Mehrsprachigkeit“ des Forschungsinstituts für Sprachtherapie und Rehabilitation (FSR): www.mehrsprachigkeit.net; Sprech- und Sprachspiele und Materialien für die Förderung und Behandlung: www.logoflexis.de; www.trialogo.de; www.lingoplay.de; Linksammlung zu Sprech- und Sprachstörungen: www.medknowledge.de/kinder-familie/logopaedie.htm. & Literatur (Weiterführende Literatur ist mit * versehen) *Amorosa H, Noterdaeme M. Rezeptive Sprachstörungen – Ein Therapiemanual. Göttingen: Hogrefe; 2003. *Amorosa H. Expressive und rezeptive Sprachstörung. In: Petermann U, Petermann F, Hrsg. Diagnostik sonderpädagogischen Förderbedarfs. Göttingen: Hogrefe; 2006: 163–185. Bode H. Sprachentwicklungsstörungen im Vorschulalter – Ist die Behandlung effektiv? Kinderärztliche Praxis. 2001; 72: 298–303. Fox AV. Psycholinguistische Analyse kindlicher Sprechstörungen. Frankfurt: Swets & Zeitlinger; 2005. Grimm H, Schöler H. Heidelberger Sprachentwicklungstest – H-S-E-T. Göttingen: Hogrefe; 1991. Grimm H. Sprachentwicklungstest für zweijährige Kinder – SETK-2. Göttingen: Hogrefe; 2000. Grimm H. Sprachentwicklungstest für drei- bis fünfjährige Kinder – SETK 3–5. Göttingen: Hogrefe; 2001. Häuser D, Kasielke E, Scheidereiter U. Kindersprachtest für das Vorschulalter – KISTE. Weinheim: Beltz Test; 1994. Kauschke C, Siegmüller J. Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen. München: Urban & Fischer; 2002. Law J, Boyle J, Harris F, Harkness A, Nye C. Prevalence and natural history of primary speech and language delay: Findings from a systematic review of the literature. International Journal of Language & Communication Disorders/Royal College of Speech & Language Therapists. 2000; 35: 165–188. Law J, Garrett Z, Nye C. The efficacy of treatment for children with developmental speech and language delay/disorder: a meta-analysis. Journal of Speech, Language, and Hearing Research. 2004; 47: 924–943. Motsch H-J. ESGRAF-Testmanual – Evozierte Sprachdiagnose grammatischer Fähigkeiten. 2. Aufl. München: Ernst Reinhardt Verlag; 2000. *Noterdaeme M. Bedeutung genetischer, biologischer und psychosozialer Risiken. In: Von Suchodoletz W, Hrsg. Sprachentwicklungsstörung und Gehirn. München: Kohlhammer; 2000: 148–159. *Sachse S. Frühe Identifikation von Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen. In: Von Suchodoletz W, Hrsg. Früherkennung von Entwicklungsstörungen – Frühdiagnostik bei motorischen, kognitiven, sensorischen, emotionalen und sozialen Entwicklungsauffälligkeiten. Göttingen: Hogrefe; 2005: 155–189. *Suchodoletz W von. Diagnostik bei Artikulationsstörungen. In: Petermann U, Petermann F, Hrsg. Diagnostik sonderpädagogischen Förderbedarfs. Göttingen: Hogrefe; 2006a: 187–209. *Suchodoletz W von. Alternative Angebote im Überblick. In: Von Suchodoletz W, Hrsg. Therapie der Lese-Rechtschreibstörung (LRS) zwischen etablierten und alternativen Angeboten. 2. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer; 2006b: 167–282. *Suchodoletz W von. Zur Prognose von Kindern mit umschriebenen Sprachentwicklungsstörungen. In: Von Suchodoletz W, Hrsg. Welche Chancen haben Kinder mit Entwicklungsstörungen? Göttingen: Hogrefe; 2004: 155–189. *Suchodoletz W von. Prävention von Sprachstörungen. In: Von Suchodoletz W, Hrsg. Prävention von Entwicklungsstörungen. Göttingen: Hogrefe; 2007: 45–79. Wettstein P. Psycholinguistischer Sprachverständnis- und Sprachentwicklungstest – PSST. Uster, Schweiz: BSSI; 1995. 12.2 Legasthenie Andreas Warnke, Gerd Schulte-Körne & Grundlagen Definition, Klassifikation und Symptomatik Die Legasthenie (Lese- und Rechtschreibstörung [ICD-10, F81.0; DSM-IV, 325.00]) ist definiert als die umschriebene Beeinträchtigung beim Erlernen des Lesens und Rechtschreibens, die sich nicht wesentlich durch das Entwicklungsalter, andere internistisch-neurologische Beeinträchtigungen oder nicht hinreichende Beschulung erklären lässt. Die schulische Leistung im Lesen und der Rechtschreibung liegt deutlich unter dem Intelligenzniveau und ist nicht durch eine Intelligenzminderung verursacht. Es handelt sich nicht um den Verlust einer bereits erworbenen Lese-Rechtschreib-Fähigkeit (Alexie, Agraphie). Klassifikatorisch ist nach ICD-10 die Lese-RechtschreibStörung den umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten zugeordnet. Die in DSM-IV gesondert definierte „Störung des schriftlichen Ausdrucks“ hat in ICD-10 keine Entsprechung und müsste dort als „andere umschriebene Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten“ (F81.8) verschlüsselt werden. Die Diagnose benennt die Schwäche im Abfassen schriftlicher Texte, die sich in abnorm erhöhter Zahl der Rechtschreibfehler, dysgrammatischem Satzbau, ungenügender textlicher Strukturierung und unleserlicher Handschrift symptomatisch darstellt. Die Symptomatik der Lesestörung äußert sich in: & Auslassen, Ersetzen, Verdrehen oder Hinzufügen von Wörtern oder Wortteilen; & verlangsamtem Lesetempo; & Startschwierigkeiten beim Vorlesen, zögerndem, stockendem Lesen, Verlieren der Zeile im Text, nicht sinnentsprechender Betonung; & Vertauschen von Wörtern im Satz oder von Buchstaben in den Wörtern; 12.2 Legasthenie 12 Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. 씰씰 Bei Sprachentwicklungsverzögerungen in den ersten drei 153 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 12 unzureichender Fähigkeit, das Gelesene wiederzugeben und aus dem Gelesenen Schlüsse zu ziehen. Die Lesestörung ist in aller Regel mit einer Rechtschreibstörung verbunden. Die meisten Kinder mit Legasthenie lernen das Lesen von einfachen Wörtern bis zum Ende der 4. Grundschulklasse (Warnke et al. 2002). Das Lesetempo bleibt jedoch bis in das Erwachsenenalter hinein verlangsamt. Die Rechtschreibstörung ist durch folgende Auffälligkeiten gekennzeichnet: & hohe Anzahl von Fehlern beim Schreiben, & Reihenfolgefehler (Umstellungen von Buchstaben im Wort [alt/atl]), & Auslassungen von Buchstaben (ihn/in), & Einfügungen von falschen Buchstaben, & Regelfehler (Fehler in der Dehnung [Hölle anstatt Höhle]); Fehler in der Dopplung [Tase anstatt Tasse]; Fehler in Groß- und Kleinschreibung), & lautlich getreues Schreiben (Fuks anstatt Fuchs), & Wortverstümmelungen, & Inkonstanz von richtigem und fehlerhaftem Schreiben ein- und desselben Wortes. Ungeübte Diktate werden in der Regel mit einem Mangelhaft und Ungenügend benotet, das Schreiben aus dem Gedächtnis wie etwa beim Aufsatz gelingt nur extrem fehlerhaft. Komorbid sind Sprech- und Sprachstörungen, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (Hyperkinetische Störung), Rechenstörung, schulbezogene Angststörungen und Störungen des Sozialverhaltens und emotionale Anpassungsstörungen (depressive Entwicklung) zu beachten (Warnke et al. 2004). Differenzialdiagnostisch lassen sich Rechtschreibschwierigkeiten aufgrund einer erworbenen Hirnschädigung (z. B. Schädel-Hirn-Trauma) oder aufgrund mangelnder schulischer Förderung (Analphabetismus) durch die Anamnese klären. Die isolierte Rechtschreibstörung (ICD-10, F81.1) setzt voraus, dass sich anamnestisch eine Lesestörung nicht eruieren lässt. Wenn zusätzlich eine Rechenstörung besteht, so handelt es sich um eine kombinierte Störung schulischer Fertigkeiten (F81.3). Die Intelligenzminderung setzt einen IQ 5 70 voraus. Intelligenzminderungen und psychiatrische Störungen beeinflussen nicht nur die LeseRechtschreib-Fertigkeit, sondern allgemein das Lern-Leistungs-Vermögen. Auszuschließen sind als Ursache Einschränkungen des Hör- und Sehvermögens und der Motorik (Zerebralparese). Epidemiologie Die Häufigkeit der Lese-Rechtschreib-Störung liegt bei bis zu 5 % im Kindes- und Jugendalter. Im Erwachsenenalter haben bis zu 6 % nicht das Lese-Rechtschreib-Niveau eines Kindes in der 4. Klasse der Grundschule. In diesen Prozentsatz fließen auch andere Ursachen ein, wie z. B. Analphabetismus. Jungen sind 2- bis 3-mal häufiger betroffen als Mädchen. Im Längsschnitt ist das Niveau von Schul- und Berufsausbildung niedriger, als es der Quote der gleich in- 154 telligenten Normalbevölkerung entspricht. Die Arbeitslosenrate im Erwachsenenalter ist um das 6-Fache erhöht. Zusätzliche psychische Störungen und eine ungünstige soziale Entwicklung verschlechtern die Prognose. Prognostisch günstig sind gute allgemeine Intelligenz, therapeutische Förderung, adäquater schulischer Nachteilsausgleich, Beschulung in Spezialeinrichtungen (z. B. Internaten mit speziellen Legasthenie-Förderprogrammen und Nachteilsregelungen), emotional stützende familiäre und schulische Umgebung sowie die allgemeine Unterstützung der Lernentwicklung. Ätiologie und Störungsmodell Bisher sind die Ursachen der Legasthenie nicht bekannt. Erste Hinweise auf kausale Faktoren sind Kandidatengene für die Legasthenie (Schumacher et al. 2007), die kürzlich gefunden wurden, und Ergebnisse von Therapiestudien, die zeigen, dass das Training von Sprachfunktionen zur Verminderung des Risikos für eine Legasthenie führt (Schneider et al. 1999). Besonderheiten der Hirnfunktion in der Verarbeitung visueller und insbesondere akustisch-sprachlicher Informationen sind relevant (Schulte-Körne 2007). Umwelteinflüssen wie z. B. der sozialen Schicht wird eine symptombeeinflussende, jedoch keine kausale Bedeutung beigemessen. Zu den bedeutenden pathogenetischen Faktoren zählt die „phonologische Bewusstheit“, deren Behandlung eine hohe Therapierelevanz zukommt (Schulte-Körne 2001). Phonologische Bewusstheit bezeichnet die Fertigkeit zur Lautanalyse und Lautsynthese und der Unterscheidung von Sprachreizen. Der erweiterte Begriff umfasst das Erkennen von Silben, Wörtern und Reimen. Die Schwächen in der phonologischen Bewusstheit lassen sich bereits vor dem und während des Kindergartenalters feststellen und sind prognostische Indikatoren für Lese- und Rechtschreibstörungen. Dies gilt insbesondere dann, wenn bereits in der Elterngeneration eine Legasthenie vorliegt. Unter therapeutischem Gesichtspunkt sind Auffälligkeiten der Sprachentwicklung zu beachten. Dazu gehören: verlangsamter Erwerb des Wortschatzes und grammatikalischer Fertigkeiten, Beeinträchtigungen des sprachlichen Gedächtnisses, Verlangsamung in der Benennung von Buchstaben, Wörtern, Gegenständen, Farben oder Zahlen (erschwerter Zugriff zum „sprachlichen Lexikon“). Damit ist erklärt, dass Personen mit Legasthenie im Vergleich mit Kontrollgruppen durchschnittlich umso schlechter abschneiden, je mehr eine Aufgabenstellung durch sprachliches Wissen und sprachliche Strategien lösbar ist (Warnke et al. 2004). Besonderheiten der visuellen Informationsverarbeitung und Defiziten im Tempo der Verarbeitung zeitlich aufeinanderfolgender Reize (serielle Informationsverarbeitung) wird eine geringere Bedeutung beigemessen. Probleme im orthographischen Wissen beinhalten Aspekte visueller Wahrnehmung. Hierzu sind jedoch die empirischen Befunde wesentlich geringer und auch weniger einheitlich im Vergleich zu den akustisch-sprachlichen Forschungsergebnissen. Im Einzelfall sind bereits Schwierigkeiten im Trennschärfesehen bei Buchstabenketten be- Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. & 12 Umschriebene Entwicklungsstörungen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart & Therapie Diagnostische Maßnahmen Die Diagnose ergibt sich aus Anamnese, Exploration und körperlicher Untersuchung sowie der Durchführung von Testverfahren. Im Grundschulalter lassen sich meist erhebliche Hausaufgabenprobleme, schulische Lernleistungsschwierigkeiten und körperliche Beschwerden eruieren. Die Hausaufgaben sind konfliktreich, die Kinder lehnen bereits in den ersten Wochen der ersten Grundschulklasse Lese- und Rechtschreibaufgaben ab, sie reagieren aggressiv-oppositionell, sehr bald auch mit Traurigkeit und Rückzug und Schulangstsymptomen (Schulverweigerung, Bauch- und Kopfschmerzen), insbesondere vor Klassenarbeiten mit schriftsprachlichen Anforderungen (Warnke et al. 2002). Diese Symptomatik führt fatalerweise u. U. zu Krankmeldungen und somit zu weiteren Schulversäumnissen. Die Diagnostik beginnt entscheidend bereits damit, an die Möglichkeit einer Lese-Rechtschreib-Störung zu denken. Die störungsspezifische Diagnostik muss folgende Punkte einbeziehen: & Eigen-, Familien- und Fremdanamnese (Beratung mit Lehrkräften); & vorschulische Besonderheiten wie z. B. Sprachentwicklungsstörungen; & nicht selten ist auch ein Geschwister oder Elternteil betroffen (zu 40–50 %); & wegweisend ab der 2. Klasse sind die Schulnoten im Diktat (meist Noten „mangelhaft“ und „ungenügend“); & die Diskrepanz zwischen Schulnoten im Deutschen (insbesondere im Diktat) und den Noten in anderen Schulfächern; & im Mündlichen deutlich bessere Leistungen als bei schriftlichen Prüfungen; & aufschlussreich sind die Zeugnisnoten insbesondere in den Grundschuljahren. Die standardisierte Erfassung der Lese- und Rechtschreibfähigkeit erfolgt durch standardisierte Lese-RechtschreibTests. Die kognitiven Fähigkeiten werden mit einem Intelligenztest (z. B. Hamburg-Wechsler-Intelligenztest) erfasst. Hierbei ist zu berücksichtigen, das sprachgebundene Aufgaben zu einer Unterschätzung des Intelligenzquotienten führen können. Daher sind Testverfahren zu bevorzugen, die es erlauben, den IQ ohne sprachgebundene Untertests zu erfassen und die Schätzung des IQ anhand dieser Aufgaben vorzunehmen. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (2007) empfiehlt ein doppeltes Diskrepanzkriterium, bestehend aus einer Minderleistung im Lesen oder Rechtschreiben oder Lesen und Rechtschreiben und einer Diskrepanz zwischen den Leistungen in diesen Teilleistungsbereichen und der allgemeinen Intelligenz. Zur Diagnose einer Lese-Rechtschreib-Störung wird ein _10 im Lese-Rechtschreib-Test verlangt. Die Prozentrang 5 Diskrepanz zwischen Lese- bzw. Rechtschreibtest und Intelligenz sollte größer als 12 T-Wertpunkte sein, wobei die Anwendung eines Regressionskriteriums zur Berechnung der Diskrepanz gerade bei Extremwerten methodisch angemessener ist. Entsprechende Tabellen sind im Internet verfügbar (siehe Abschnitt „Weiterführende Informationen einschließlich Internetadressen“). Aufgrund der Häufigkeit einzelner komorbider Störungen ist anhand von Fragebogen, klinischen Interviews und der Exploration das Vorliegen solcher komorbider Störungen zu überprüfen: insbesondere Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, andere umschriebene Entwicklungsstörungen der Motorik, der Sprache, des Rechnens, Depression, Schulangst und somatische Beschwerden als Folge der chronischen psychischen Belastung. Die neurologische und internistische Untersuchung dient dem Ausschluss von Sinnesstörungen (Hör- und Sehtest) 12.2 Legasthenie 12 Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. einträchtigend (nicht die Wahrnehmung des Einzelbuchstabens, sondern der eng aneinander gereihten Einzelbuchstabenketten [ = Wort] bereitet Schwierigkeiten). Störungen der Augenbewegungen sind sehr wahrscheinlich ausschließlich die Folge und nicht die Ursache der Lese-Rechtschreib-Störung; die Verarbeitung rasch aufeinander folgender visueller Reize ist verlangsamt; überzufällig häufig sind Defizite in der orthographischen Kodierung zu verzeichnen (Verlangsamung bei Aufgaben, bei denen phonologisch gleichlautende Wörter oder Pseudowörter durch visuell-orthographische Merkmale zu unterscheiden sind: z. B. „sein/sain“). Besondere Bedeutung haben Befunde zur Bewegungs- und Kontrastwahrnehmung. Hirnstrukturelle und hirnfunktionelle (hirnelektrische, stoffwechselbezogene) Korrelate bestehen sowohl im Bezug zur visuellen Informationsverarbeitung als auch im Bezug zur akustisch-sprachlichen Informationsverarbeitung. Anatomische Korrelate finden sich betont linkshemisphärisch in der Region des klassischen „Lese-Rechtschreib-Zentrums“ (Gyrus angularis, Gyrus supramarginalis). Hier liegt eine Schaltstelle, in der visuelle Informationen in sprachliche Informationen übertragen werden. Hinweise auf verminderte Zellgrößen und Verteilung von magnozellulären und parvozellulären Anteilen in einem Kern der Sehbahn (Corpus geniculatum laterale) erscheinen relevant. In diesem thalamischen Hirnbereich erfolgt eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung vom Netzhautbild zu visuellem Kortex. Für eine Besonderheit der Informationsverarbeitung im „magnozellulären visuellen System“ sprechen verzögerte Aktivierungen hirnelektrischer visueller Potenziale und von Stoffwechselveränderungen (Durchblutung) bei visuellen Aufgaben zu Bewegungs- und Kontrastwahrnehmung. Genetische Einflüsse erklären etwa 60–70 % der Varianz der Fähigkeit, Lesen und Rechtschreiben zu erlernen. Kandidatenregionen für schriftsprachrelevante Teilleistungen liegen auf den Chromosomen 1, 2, 3, 6, 15, 18 und dem X-Chromosom (Schumacher et al. 2007). Mehrere Kandidatengene wurden inzwischen identifiziert. Diese Befunde unterstützen die Annahme, dass die bisher identifizierten vier Kandidatengene eine Bedeutung bei der neuronalen Zellmigration in kortikalen Arealen haben, die auch wesentlich an der visuellen und akustischen Informationsverarbeitung beteiligt sind. Daten von Längsschnittstudien unterstützen die Annahme, dass auch bei der Legasthenie eine Gen-Umwelt-Interaktion ursächlich ist. 155 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 12 und anderen organischen Erkrankungen, die die Lernleistung beeinträchtigen können. Eine einmalige EEG-Untersuchung ist bei Vorliegen von spezifischen Symptomen oder z. B. einer familiären Belastung für eine Epilepsie indiziert. Unerlässlich ist die klinisch-neurologische Untersuchung. Lässt sich auch anamnestisch keine Lesestörung, sondern nur eine Rechtschreibproblematik eruieren, so liegt eine isolierte Rechtschreibstörung (ICD-10, F81.1) vor. Verbindet sich die Legasthenie mit einer Rechenstörung, so ist eine „kombinierte Störung schulischer Fertigkeiten“ (ICD-10, F81.3) zu diagnostizieren. Abb. 12.1 Netzwerk der Behandlung/Förderung (aus SchulteKörne u. Remschmidt 2003). Aufgrund der Komplexität des Störungsbildes ist für die Behandlung der Legasthenie ein multimodaler Ansatz sinnvoll (Schulte-Körne 2006). Dieser Ansatz orientiert sich an den folgenden Aspekten: & Form der Störung (Lese- und Rechtschreibstörung bzw. isolierte Lese- oder Rechtschreibstörung); & Schweregrad der Störung; & Entwicklungsstand in der Schriftsprachentwicklung; & Vorliegen von komorbiden Störungen (z. B. Hyperkinetische Störung, Emotionalstörung); & Alter des Kindes (z. B. Unterscheidung zwischen vorschulischer und schulischer Förderung); & soziales Umfeld (z. B. häusliche Unterstützung oder Förderung beim Schriftspracherwerb); & schulisches Umfeld (z. B. Angebot von Förderunterricht). Zur Versorgung eines Kindes mit einer Legasthenie ist das Zusammenarbeiten verschiedener Institutionen zu empfehlen. Dieses Netzwerk (siehe Abb. 12.1) versucht, die unterschiedlichen Sichtweisen und Herangehensweisen zur Hilfe für das betroffene Kind zu integrieren. Insbesondere die Kooperation der Eltern mit der Schule ist häufig erschwert und bedarf nicht selten der Vermittlung durch einen unbeteiligten Dritten, z. B. den Kinder- und Jugendpsychiater oder den Schulpsychologen. Konzeptionelle Einordnung der Förderung Die Formen der Förderung können nach verschiedenen Gesichtspunkten differenziert werden (Schulte-Körne 2006). Ausgehend von der Annahme, dass der Legasthenie spezifische Defizite in der Wahrnehmung und Verarbeitung von auditiver und visueller Information zugrunde liegen, wird versucht, diese Defizite zu behandeln, um dadurch die Voraussetzungen für das Erlernen der Schriftsprache zu verbessern (v. Suchodoletz 2006). Hierzu gehören Verfahren, die die auditive Wahrnehmung nicht-sprachlicher Reize trainieren, wie z. B. das Trainieren der sog. Ordnungsschwelle. Ziel dieses Verfahrens ist es, das Intervall zwischen zwei Tönen, das zur Getrenntwahrnehmung dieser Reize notwendig ist, zu verkürzen. Im Bereich visueller Wahrnehmung werden überwiegend Trainingsmethoden zur Verbesserung der Steuerung der Blickbewegung eingesetzt. 156 Die Wirksamkeit dieser Wahrnehmungstrainings ist umstritten, vielfach liegen keine Wirksamkeitsstudien vor (v. Suchodoletz 2006). Dem gegenüber stehen die Förderprogramme, die schriftsprachnah sind und in der Regel Teilprozesse des Lesens und Rechtschreibens fördern. Zu diesen symptomspezifischen Förderansätzen gehören z. B. Programme zur Verbesserung der phonologischen Bewusstheit, der Buchstaben-Laut-Zuordnung und des orthographischen Wissens (Scheerer-Neumann 1979). Die symptomspezifischen Trainings lassen sich nach dem Modell des Schriftspracherwerbs von Frith (1985) verschiedenen Entwicklungsstufen zuordnen (Abb. 12.2). Das Stufenmodell von Frith (1985), das in seinen grundlegenden Annahmen wiederholt bestätigt wurde, geht von drei aufeinanderfolgenden Entwicklungsstufen aus: Die vorschulische Entwicklungsstufe (logographische Entwicklungsstufe) ist dadurch gekennzeichnet, dass die Kinder bereits eine Vorstellung davon haben, dass Laute bzw. Wörter in Zeichen ausgedrückt werden können, sie haben jedoch noch kein Wissen über die Buchstaben-Laut-Beziehung. Daher verschriftlichen Vorschulkinder häufig Zeichen (Logogramm) für ein Wort (z. T. aber schon einzelne Buchstaben eines Wortes). Das Lesen auf dieser Entwicklungsstufe ist durch das Erkennen von besonderen Merkmalen einzelner Wörter gekennzeichnet. Es werden einzelne Wörter aufgrund ihres Symbol- oder Zeichencharakters (z. B. Wiedererkennen des eigenen Namens an einzelnen Buchstaben) wiedererkannt, ohne dass ein Verständnis über die Buchstaben-Laut-Beziehung vorliegt. Im Vordergrund der vorschulischen Förderung steht die phonologische Bewusstheit. Das am weitesten im deutschsprachigen Raum verbreitete Programm ist das von Küspert und Schneider entwickelte Präventionsprogramm „Hören, lauschen, lernen“ (2001). Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. Allgemeine Struktur der Therapie und Therapieprogramme Abb. 12.2 Stufenmodell des Schriftspracherwerbs (nach Frith 1985, aus Schulte-Körne 2001). 12 Umschriebene Entwicklungsstörungen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Dieses Frühförderprogramm wird im Kindergarten in Gruppen (4–8) mit Kindern in den letzten sechs Monaten vor der Einschulung täglich 10–15 Minuten durchgeführt. Die Wirksamkeit von Frühförderprogrammen zur Verbesserung der phonologischen Bewusstheit, der Lese- und Rechtschreibfähigkeit in ersten und zweiten Klassen wurde wiederholt bei englischsprachigen Kindern gezeigt. Schneider und Mitarbeiter konnten in zwei Längsschnittstudien die Wirksamkeit des Programms „Hören, lauschen, lernen“ belegen (Schneider et al. 1999). Durch die Ergänzung mit einem Programm zur Förderung der Buchstaben-Laut-Zuordnung konnte der Fördereffekt noch gesteigert werden (Küspert et al. 2001). Förderung auf der alphabetischen Entwicklungsstufe: Die Verschriftlichung auf der alphabetischen Entwicklungsstufe ist im Wesentlichen lautgetreu. Das Lesen ist durch das Erlesen von einzelnen Buchstaben und das Verbinden der einzelnen Laute charakterisiert. Diese Stufe kennzeichnet überwiegend den Entwicklungsfortschritt in der ersten Grundschulklasse. Die Förderung von Kindern mit einer Legasthenie auf dieser Entwicklungsstufe ist durch die Vermittlung der Buchstaben-Laut-Zuordnung und der phonologischen Bewusstheit geprägt. Mittlerweile liegt eine Vielzahl von Therapiestudien vor, die die Wirksamkeit dieses Ansatzes belegen (Scheerer-Neumann 2002). Im Vordergrund dieses Förderansatzes stehen folgende Aspekte: & Analyse (Zerlegen von Wörtern in Laute), & Synthese (Zusammenfügen von Lauten zu Wörtern), & Silbengliederung, & Lautgedächtnis. Zur Förderung von phonologischer Bewusstheit gehört die Förderung folgender Bereiche, die sich bei der LRS als schwächer ausgebildet erwiesen haben: & Buchstaben-Laut-Zuordnung, & Förderung der Wortlesefähigkeit. Ein sehr verbreitetes Programm zur Förderung der Lesefähigkeit ist der Kieler Leseaufbau (Dummer-Smoch u. Hackethal 1994; Dummer-Smoch 1996). Ein wesentlicher Bereich des Trainings ist die Vermittlung der Buchstaben- Laut-Beziehung anhand von Lautgebärden. Das Förderprogramm eignet sich gut als Bestandteil des Erstleseunterrichts. Leseförderung zu Hause und in der Schule als ein einheitliches Konzept ist Gegenstand des von Tacke entwickelten Leseförderprogramms „Flüssig lesen lernen“ (Tacke 1996/1999). Ausgehend von der Förderung phonologischer Bewusstheit werden die Wortlesefähigkeit und das Textverständnis geübt. Auch dieses Training integriert das Gliedern von Wörtern in Silben als Hilfe für das Wortlesen. Förderung auf der orthographischen Entwicklungsstufe: Die orthographische Entwicklungsstufe kennzeichnet den Erwerb von Wissen über Regelmäßigkeiten von Buchstabenfolgen, über Morphem und grammatikalische und semantische Strukturen der Schriftsprache. Auf dieser Entwicklungsstufe erwerben die Kinder die Fähigkeiten, Wörter nicht mehr durch das Verbinden einzelner Laute zu erlesen, sondern einzelne Wörter als Ganzes zu lesen. Im Vordergrund der Förderung auf der orthographischen Entwicklungsstufe stehen regelgeleitete Rechtschreibförderprogramme. Der Einsatz eines Regeltrainings ist unter dem Gesichtspunkt sinnvoll, dass Regelfehler einen großen Anteil an den Rechtschreibfehlern von Grundschulkindern haben. Bei Kindern der zweiten Klasse sind 66 % der Rechtschreibfehler Regelfehler. Außerdem haben Legastheniker häufig kein Regelwissen oder sind bei ausreichender Regelkenntnis oft nicht in der Lage, die Regeln anzuwenden. Rechtschreibstrategien, die im Einzelnen oft richtig durchgeführt werden (z. B. Verdopplung des Konsonanten nach kurz gesprochenem Stammvokal), können nicht auf den gesamten Schriftsprachprozess übertragen werden. Das Ziel eines Rechtschreibtrainings geht daher über die reine Vermittlung von Regelwissen hinaus und sollte auch Handlungs- und Lösungsstrategien vermitteln (ScheererNeumann 1988). Ein weiterer positiver Aspekt von Rechtschreibregeltrainings ist, dass sie sich gut in den Schulalltag integrieren lassen. Die Abgrenzung vom normalen Förderunterricht besteht zum einen darin, dass der Bereich Rechtschreibregeln, der im normalen Unterricht nur einen verschwindend geringen Raum in Anspruch nimmt (weniger als 1 %, Gasteiger-Klicpera u. Klicpera 1988), in den Vordergrund rückt. Zum anderen werden im Regeltraining auch gezielt Lösungsstrategien vermittelt (z. B. Schulte-Körne und Mathwig 2004). Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass legasthene Kinder nicht nur einfach intensiveren, sondern tatsächlich anderen Förderunterricht benötigen. Das Marburger Rechtschreibtraining (Schulte-Körne und Mathwig 2004) ist ein Beispiel für ein Förderprogramm auf der orthographischen Ebene, das die Verbindung von Lernstrategien mit Rechtschreibregelwissen vermittelt. Inhalte des Marburger Rechtschreibtrainings sind: & Selbstlaute erkennen und unterscheiden; & Mitlaute erkennen und unterscheiden; & Unterscheidung von kurz und lang gesprochenen Selbstlauten; & Wortstamm erkennen; & Regeln zur Verschriftlichung von Mitlauten (im Wortstamm und in Wortendungen, bei Nomen, Verben und Adjektiven); 12.2 Legasthenie 12 Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. Folgende Übungseinheiten gehören zum Programm: Sprachspiele für Kinder im Vorschulalter (Würzburger Trainingsprogramm zur Vorbereitung auf den Schriftspracherwerb von P. Küspert und W. Schneider 2001): – Lauschspiele (1. Trainingswoche: Ausrichten der Aufmerksamkeit auf Geräusche in der Umgebung); – Reime (Reime hören, erkennen, selbst bilden); – Sätze und Wörter (ab 3. Trainingswoche: Wörter erkennen, Wörter verbinden, z. B. aus „Schnee“ und „Mann“ wird „Schneemann“); – Silben (ab der 5. Woche: Silben erkennen, Wörter in Silben zergliedern, Silben verbinden, anhand von Bewegungsspielen); – Anlaute (ab der 7. Woche: Anlaute erkennen und unterscheiden); – Phoneme (Laute) (ab der 11. Woche: Laute erkennen und unterscheiden innerhalb eines Wortes, Laute verbinden). & 157 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart & & & 12 & & & Groß- und Kleinschreibung; Verschriftlichung des stummen h, Ausnahmen bei der Verschriftlichung des stummen h; Regeln zum lang gesprochenen Selbstlaut i und Dehnungs-e; Selbstlaute trennendes h, Schreibung gleichklingender Umlaute; Schreibung von Auslauten. Das Marburger Rechtschreibtraining ist für Kinder ab Ende der zweiten Klasse geeignet. Die Buchstaben-Laut-Zuordnung sollte beherrscht werden. Daher ist dieses Förderprogramm als Weiterführung nach einem Programm zur Förderung der phonologischen Bewusstheit sehr gut geeignet. Das Programm wurde bisher als geleitetes ElternKind-Training in der Einzelförderung und der schulischen Förderung eingesetzt. Auch nach der Grundschulzeit werden mit diesem Trainingsprogramm Therapieerfolge im Lesen und in der Rechtschreibung erzielt. Empirische Evidenz der Förderung Im Gegensatz zu der hohen Anzahl betroffener Kinder (im Grundschulbereich ca. 200 000) und dem Bedarf an qualifizierter Förderung liegen insgesamt nur wenige Studien vor, die die Effektivität der Intervention überprüfen (Übersicht bei Mannhaupt 2002; Tacke 2002; v. Suchodoletz 2006). Im Vordergrund der Interventionsstudien zur Verbesserung der Lese- und Rechtschreibfähigkeiten stehen Ansätze, die sich an dem Schriftspracherwerbsmodell orientieren. Obwohl Kinder mit einer LRS häufig psychische Auffälligkeiten zeigen (Schulte-Körne u. Remschmidt 2003; Warnke et al. 2002), spielt dieser Aspekt in der Interventionsforschung nur eine geringe Rolle. Im Gegensatz zur Popularität der Programme zum Training basaler Wahrnehmungsfunktionen ist die überwiegende Anzahl an Methoden nicht evaluiert. Nach von Suchodoletz (2006) gehören die folgenden Trainings zu den nicht zu empfehlenden Förderansätzen, da sie entweder nicht evaluiert oder nicht wirksam sind: & Trainings zur Verbesserung der Raum-Lage-Labilität, & Training der visuomotorischen Koordination, Tabelle 12.6 & & & & & & & Training der Koordination der Hemisphären (Edu-Kinestetik), psychomotorisches Training, taktil-kinesthetische Methode, Davis-Methode (Lesen als Talentsignal), Neurolinguistisches Programmieren (NLP), Trainings zur Unterscheidung von Sinustönen, Trainings zur Steuerung der Blickbewegung. Förderung auf der alphabetischen Entwicklungsstufe: Die Wirksamkeit der Förderung von phonologischer Bewusstheit ist gut untersucht und wiederholt bestätigt (Übersicht in Schulte-Körne 2001). Insbesondere in englischsprachigen Ländern ist der Ansatz zur Förderung von Lautunterscheidung, Lautgedächtnis, Lauteverbinden und metaphonologischen Fähigkeiten verbreitet. Die Kombination von phonologischen Trainings mit Methoden zur Förderung von Teilprozessen des Lesenlernens, wie z. B. die Buchstaben-Laut-Zuordnung, ist zur Verbesserung der Lese- und Rechtschreibleistung am wirksamsten (Schneider et al. 1999). Allerdings ist die Wirksamkeit des Trainings phonologischer Bewusstheit in der deutschen Sprache auf die erste bis Mitte der zweiten Klasse beschränkt. Die Tab. 12.6 stellt die Ergebnisse von einzelnen Interventionsstudien auf der alphabetischen Entwicklungsstufe dar. Die Wirksamkeit von Rechtschreibregeltrainings wurde wiederholt empirisch bestätigt (Tab. 12.7). Scheerer-Neumann (1988) untersuchte den Einfluss eines verhaltenstherapeutisch orientierten Regeltrainings auf die Rechtschreibleistung von Hauptschülern der fünften und sechsten Klassenstufe. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe erreichte die Experimentalgruppe signifikant bessere Ergebnisse beim Schreiben von Wörtern einer Prüfliste. Auch die Überprüfung des Marburger Rechtschreibtrainings zeigte die Wirksamkeit dieses Ansatzes bei Grundschulkindern mit einer Legasthenie (Tab. 12.7). Reuter-Liehr (1993, 2001) zeigte bei Fünft- und Sechstklässlern, dass eine Kombination aus Regeltraining und „syllabierendem Mitsprechen“ zu einer bedeutsamen Verbesserung der Rechtschreibfähigkeit führte (Tab. 12.8). Auch Tacke und Mitarbeiter (1993) fanden anhand der Methode des syllabierenden Mitsprechens eine deutliche Reduktion von Rechtschreibfehlern bei Drittklässlern. Übersicht über Studien zur Wirksamkeit von Förderprogrammen zur phonologischen Bewusstheit Studie Förderansatz Wirksamkeit Fox u. Routh 1984; Torgesen et al. 1992 Analyse und Synthese von Lauten Verbesserung der Leseleistung bei den leseschwachen Kindern Blumenstock 1979 Analyse und Synthese von Lauten, Buchstaben-Laut-Zuordnung Deutliche Verbesserung der Lese- und Rechtschreibleistung von Erstklässlern Wallach u. Wallach 1979 Analyse und Synthese von Lauten, Buchstaben-Laut-Zuordnung, Zusammenschleifen von Lauten Deutliche Verbesserung der Leseleistung bereits nach 7 Monaten Mannhaupt 1992 Lerntheoretisch begründetes lautanalytisches Training Verbesserung der lautanalytischen Fähigkeiten, der Lese- und Rechtschreibfähigkeit bei Erstklässlern mit einer LRS Forster u. Martschinke 2002 Hören, lauschen, lernen, BuchstabenLaut-Assoziation, Wortlesen Verbesserung der lautanalytischen Fähigkeiten, der Lesefähigkeit bei Erstklässlern mit einer LRS Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. & LRS = Lese-Rechtschreib-Störung 158 12 Umschriebene Entwicklungsstörungen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Tabelle 12.7 Übersicht über Studien zur Wirksamkeit von Förderprogrammen zur Förderung auf der orthographischen Entwicklungsstufe (Rechtschreibregeltraining) Förderansatz Wirksamkeit Scheerer-Neumann 1988 Rechtschreibregellernen auf verhaltenstherapeutischer Basis Signifikante Verbesserung der Rechtschreibleistung bei Hauptschülern der 5. und 6. Klasse Reuter-Liehr 1993 Phonologisches Training, syllabierendes Mitsprechen und Rechtschreibregeltraining Signifikante Verbesserung der Rechtschreibleistung von Kindern der 5. und der 6. Klasse Schulte-Körne et al. 1997, 1998 Strukturiertes Lern- und Übungsprogramm (Marburger Rechtschreibtraining) basierend auf Rechtschreibregellernen vermittelt durch Eltern Signifikante Verbesserung der Rechtschreibleistung bei Grundschülern. Signifikante Verbesserung des Selbstwertgefühls nach 2 Jahren Training Schulte-Körne et al. 2001 Marburger Rechtschreibtraining, vermittelt durch Studenten Signifikante Verbesserung der Rechtschreibleistung und des Lesens bei Grundschülern bereits nach 3 Monaten Schulte-Körne et al. 2003 Marburger Rechtschreibtraining, vermittelt durch Lehrer in schulischen Fördergruppen Signifikante Verbesserung der Rechtschreibleistung und des Lesens bei Grundschülern nach 2 Jahren Förderung Tabelle 12.8 Übersicht über Studien zur Wirksamkeit von Förderprogrammen zur Förderung von Lese- und Rechtschreibteilprozessen Studie Förderansatz Wirksamkeit Foorman et al. 1991 Explizites Training von Buchstaben-LautZuordnung Signifikanter Zusammenhang zwischen der Intensität des Einübens und der Zunahme der Lesefertigkeit Scheerer-Neumann 1981 Wortsegmentierung in Silben Deutliche Verminderung der Lesefehler bei leseschwachen Drittklässlern Reuter-Liehr 1993 Silbensegmentierung, syllabierendes Mitsprechen, Morphemwissen Signifikante Verbesserung der quantitativen und qualitativen Rechtschreibleistung von Fünftklässlern Strehlow et al. 1999 Leseförderung: Lautgebärden, Wortsegmentierung anhand von Silben Rechtschreibung: Förderung anhand von Regeln Signifikante Verbesserung der Rechtschreibleistung und des Leseverständnis der Zweit- und Drittklässler Trainingsprogramme, die auf der Vermittlung von Rechtschreibregeln beruhen, sind erst ab Ende der 2. Klasse sinnvoll durchzuführen. Hingegen sind Trainingsansätze, wie das syllabierende Mitsprechen, meist schon zu Beginn der zweiten Klasse einsetzbar. In praktisch allen Therapiestudien wird das Training außerschulisch durchgeführt. Es liegen bisher nur wenige Studien vor, die die Anwendbarkeit eines Trainingsprogramms im schulischen Setting untersuchen oder schulische und außerschulische Fördermaßnahmen in ihrer Effektivität vergleichen (Tacke et al. 1987; Einsiedler et al. 2000). Tacke et al. (1987) verglichen in ihrer Studie konventionellen Förderunterricht mit zwei Varianten eines Regeltrainings bei rechtschreibschwachen Hauptschülern der 5. Klasse. Förderunterricht und Training wurden von den Lehrern durchgeführt. Die Trainingsgruppen zeigten nach einem Jahr gegenüber der Kontrollgruppe (Fördergruppe) keine signifikant verbesserte Rechtschreibung. Die Autoren stellten außerdem fest, dass die Motivation zur Mitarbeit bei den Trainingsgruppen (im Gegensatz zur Förderunterrichtsgruppe) extrem gesunken war. Dies zeigt, dass eine didaktisch und graphisch geschickte Umsetzung des Trainings von entscheidender Bedeutung ist; die eigentliche Fragestellung der Studie bleibt aufgrund dieses offensichtlichen Motivationsdefizits der Schüler aber unbeantwortet. Umfeldbezogene Maßnahmen Schulische Förderung Da die wirksamen Förderansätze sowohl schulisch als auch außerschulisch angewandt werden, sind für die schulische Förderung im Wesentlichen die Organisation und die praktische Umsetzung der Förderung von großer Bedeutung. Schulische Förderung kann in Förderung im regulären Klassenunterricht (Binnendifferenzierung) und Förderung in sog. zusätzlich eingerichteten Fördergruppen (Förderunterricht) sinnvoll unterschieden werden. Der Binnendifferenzierung liegt die Annahme zugrunde, dass die individuelle Lerngeschwindigkeit der Schüler einer Klasse sehr unterschiedlich und es notwendig sei, in der Klasse Leistungsgruppen zu bilden, die dem individuellen Lerntempo der Kinder angepasst sind. Probleme bei dieser Art von Förderung bestehen u. a. darin, dass ein nicht unerheblicher Teil des Lese- und Rechtschreibunterrichts mit der ganzen Klasse abgehalten wird. Nach Klicpera und Gasteiger-Klicpera (1995) bringt die Binnendifferenzierung mithilfe von Leistungsgruppen in der Klasse für die schwächeren Schüler keinen wesentlichen Vorteil (vgl. Klicpera et al. 2003). 12.2 Legasthenie 12 Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. Studie 159 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Behandlung der komorbiden Störungen Zu den häufigen komorbiden Störungen zählen die emotionalen Störungen und die hyperkinetischen Störungen. Bei Jugendlichen mit einer LRS treten gehäuft eine Störung des Sozialverhaltens und depressive Störungen auf. Für den Erfolg der Förderung ist das Erkennen dieser komorbiden Störungen und deren frühzeitige Behandlung wesentlich. Für die Praxis bedeutet das Vorliegen von komorbiden Störungen, dass nach Aufklärung und Beratung des Kindes und seiner Eltern die Therapie mehrere Bausteine, abhängig von den Störungsbildern, umfasst. So kann es z. B. bei der Behandlung eines Kindes mit einer LRS und einer HKS zunächst notwendig sein, die Hypermotorik und Aufmerksamkeitsstörung zu behandeln, um die Voraussetzung für die Lernförderung zu schaffen. Vor allem bei emotional gestörten Kindern ist es notwendig, eine förderliche Lernhaltung zu erreichen (z. B. durch den Aufbau eines positiven Selbstkonzeptes, Verminderung von Misserfolgserwartungen). Voraussetzung für die Konzeption der Intervention ist die eingehende Diagnostik, die familiäre sowie schulische Bedingungsfaktoren mit einbezieht. Förderung durch die Eltern In mehreren empirischen Arbeiten konnte gezeigt werden, dass Eltern in der Lage sind, ihr leseschwaches Kind im Lesen zu fördern (Tacke 1998/1999; Schulte-Körne 2004). Für die deutsche Schriftsprache fanden Schulte-Körne et al. (1997, 1998), dass Eltern, wenn sie systematisch und regelmäßig angeleitet werden, in der Lage sind, die Rechtschreibleistung ihres Kindes zu verbessern. Ein weiterer wesentlicher Befund dieser Untersuchungen war, dass sich durch das Eltern-Kind-Training die Interaktion positiv verändert hatte und das Selbstwertgefühl der Kinder signifikant verbessert wurde. Daher ist ein zentraler Aspekt der Elternarbeit, dass Eltern lernen, ihr legasthenes Kind kontinuierlich emotional zu stützen. Dieser Aspekt ist von besonderer Bedeutung, da legasthene Kinder häufig emotional in der Schule durch die Lehrkräfte nicht unterstützt und von Mitschülern gehänselt werden. Allerdings ist es für Eltern eine hohe Belastung, ihr legasthenes Kind mit einer meist chronisch verlaufenden Lernstörung durch die Schulzeit zu stützen. Die Eltern sorgen meist dafür, dass ihr Kind die notwendige Förderung und Therapie bekommt. Die finanzielle Belastung für die außerschulische Förderung ist meist sehr hoch, wenn sie nicht durch das Jugendamt übernommen wird. Die Beantragung 160 solcher Hilfen ist meist schwierig und bleibt nicht selten ohne Erfolg. Daher ist es therapeutisch sehr wichtig, die Eltern zu begleiten und zu entlasten. Die Bedeutung der Eltern als Therapeuten ihres Kindes wird kontrovers diskutiert. Während insbesondere Pädagogen davon abraten, Eltern in die Förderung mit einzubeziehen, zeigen klinische Erfahrungen und die Ergebnisse empirischer Studien, dass einzelne Eltern sehr gut in der Lage sind, ihr Kind spezifisch zu fördern (siehe hierzu z. B. Marburger Rechtschreibtraining, Schulte-Körne u. Mathwig 2004). Häufig gestellte Fragen mit Antworten ? Wird die Legasthenietherapie von den Krankenkassen bezahlt? 씰씰 Die Legasthenie wird nicht zu den Krankheiten gezählt. Daher besteht auch kein Leistungsanspruch gegenüber den gesetzlichen Krankenversicherungen (Heilmittelverordnung schließt die Legasthenie explizit aus). In Einzelfällen ist es jedoch gelungen, die Therapiekosten über eine Krankenversicherung abzudecken, wenn erstens der LRS eine Hirnstörung zugrunde liegt und zweitens eine Person die Behandlung im Sinne einer medizinischen Behandlung oder im Sinne einer medizinischen Rehabilitation durchführt. Die überwiegende Zahl der Therapien wurde bisher über das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) finanziert, wenn bei einem Kind nach § 35a eine drohende oder eine bereits bestehende seelische Behinderung vorliegt. ? Helfen basale Wahrnehmungstrainings bei der LRS? 씰씰 Trotz der Verbreitung und den zunächst plausibel erscheinenden Wirkmechanismen sind Fördermethoden, die ausschließlich die Wahrnehmung von auditiven oder visuellen Reizen fördern (z. B. Brain Boy oder Blickbewegungstrainings), hinsichtlich ihrer Wirksamkeit sehr umstritten, und Wirksamkeitsnachweise liegen bisher nicht vor. ? Wie lang soll eine Legasthenietherapie durchgeführt werden? 씰씰 Abhängig vom Schweregrad und dem Vorliegen komorbider Störungen ist meist von einer mindestens ein- bis zweijährigen Therapiedauer auszugehen. Die Therapie sollte mindestens einmal wöchentlich durchgeführt werden. ? Sollte die Behandlung in Gruppen oder als Einzelförderung erfolgen? 씰씰 Bei einer ausgeprägten Legasthenie ist eine Einzelförderung dringend zu empfehlen. Auch bei Kindern mit einer komorbiden Störung ist die Einzeltherapie zu empfehlen. Generell gilt, dass die Intensität der Förderung in der Gruppe geringer ist. Der Vorteil einer Gruppenförderung, die auf maximal 5 Kinder beschränkt sein sollte, ist, dass die Kinder lernen, dass auch andere Kinder unter demselben Problem leiden. Auch der Aspekt der Partnerarbeit und gegenseitigen Unterstützung kann nur in der Gruppenförderung realisiert werden. Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. 12 Durch die Einrichtung von Fördergruppen wird versucht, für die Kinder eine entlastende Situation zu schaffen und motivationale Barrieren abzubauen. Im Rahmen dieses zusätzlichen Förderunterrichtes sind die Möglichkeiten für die individuelle Zuwendung zum Kind im Vergleich zum binnendifferenzierten Fördern deutlich besser. Voraussetzung für den Erfolg der Fördergruppen sind die Gruppengröße und die Zusammensetzung der Fördergruppe. Gruppengrößen von maximal 5 Kindern werden empfohlen (Schulte-Körne 2002). 12 Umschriebene Entwicklungsstörungen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Einschlägige Internetadressen: www.legasthenie-info.de; & www.legasthenie.net; & www.legakids.net. & & Literatur (Weiterführende Literatur ist durch * gekennzeichnet) *Blumenstock L. Prophylaxe der Lese-Rechtschreibschwäche. Weinheim: Beltz; 1979. Dummer-Smoch L. Laute, Silben, Wörter. Kiel: Veris Verlag; 1996. 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Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 12.3 Rechenstörungen Andreas Warnke, Ellen Plume, Claudia Oehler Fallbeispiel Vorgeschichte: Die achteinhalbjährige Mia wird zu Beginn des 3. Schuljahres von ihrer Mutter aufgrund erheblicher Leistungsprobleme im Fach Mathematik vorgestellt. Im Jahreszeugnis der 2. Klasse hat Mira in Mathematik eine noch ausreichende Leistung, in allen anderen Fächern hat sie gute Noten erhalten. Die Förderung durch den Mobilen Sonderpädagogischen Dienst der Schule mit vielfältigen Veranschaulichungsmitteln hat bis dahin keinerlei Erfolge gezeigt. In der Familie sind keine psychiatrischen Erkrankungen oder Teilleistungsstörungen bekannt. Mia wurde termingerecht auf normalem Wege entbunden. Sämtliche Eckdaten der frühkindlichen Entwicklung sind unauffällig. Die soziale Entwicklung wird als altersgemäß beschrieben. Bezüglich der Mathematik besteht eine zunehmende Misserfolgsorientierung und Leistungsängstlichkeit. Das Selbstbild des Mädchens hat gelitten, sie äußere bei Versagenserfahrungen im schulischen Bereich: „Ich bin dumm.“ Zunehmend häufiger treten im Zusammenhang mit dem Schulbesuch Bauch- und Kopfschmerzen auf, die als Ausdruck von Schulangst zu werten sind. Diagnostik: Die testpsychologische Untersuchung kann ein Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom ausschließen. Die Überprüfung der intellektuellen Leistungsfähigkeit mit der K-ABC erbringt eine durchschnittliche intellektuelle Begabung. Die akustische Merkfähigkeit (Zahlennachsprechen) liegt im unteren Durchschnittsbereich der Bezugspopulation. Im Rechentest ZAREKI (2002) erreicht Mia einen Prozentrang von 3, was einer deutlich unterdurchschnittlichen Rechenleistung entspricht. Weit unterdurchschnittlich fallen die Ergebnisse im Bereich Kopfrechnen, in der Addition und Subtraktion sowie beim Lösen von Textaufgaben auf. Im Index 2 des ZAREKI, der das Rechnen im Vergleich zur Altersgruppe überprüft, erreicht Mia einen Prozentrang von 1. Bei nochmaliger individualisierter Überprüfung fällt auf, dass Mia sowohl in der Addition, aber auch besonders in der Subtraktion im Zahlenraum bis 9, über ein noch nicht automa- 162 tisiertes Faktenwissen verfügt und Fehlstrategien mit innerem Hochzählen unter teilweiser versteckter Benutzung der Finger anwendet. Setzt man das Ergebnis des Begabungstests (K-ABC) mit einem T-Wert von 49 und das Ergebnis des Rechentests mit einem T-Wert von 31 zueinander in Bezug, so ergibt sich eine T-Wert-Diskrepanz von 18, die testmetrisch einer Dyskalkulie entspricht (ICD-10, F81.2). Interventionen: Nach Erörterung der Diagnose mit Schule und Elternhaus wird die Notengebung für das laufende Schuljahr zur Entlastung des Mädchens ausgesetzt. Das Konzept der Übungsbehandlung wird mit Mia und den Eltern besprochen. Ergänzend zur zweimal wöchentlichen Einzeltherapie wird ein tägliches Üben im „Team“ Mutter und Mia oder Vater und Mia in kleinen Portionen (3-mal 5–7 Minuten) – beginnend auf der niedrigsten notwendigen Ebene – mit dem Ziel der Automatisierung begonnen. Modellhaft wird in der ersten Therapiestunde die KärtchenMethode vorgeführt (Born u. Oehler 2006). Hier kann Mia die Zuversicht erleben „Ich kann das schaffen“, indem sie sich ohne größere Anstrengung drei Kombinationen durch häufige Wiederholungsdurchgänge in der Addition im 9er Raum einprägen kann. Der Mutter wird der systematische Aufbau des Lernprogramms, das zu Hause durchgeführt werden soll und das in ca. 2- bis 4-wöchigen Abständen durch den Therapeuten hinsichtlich seiner Feinabstimmung überprüft wird, erörtert: * Automatisierung in der Addition und Subtraktion im 9er Raum; * Vorbereitung des 10er Übergangs – „das Pärchen-Spiel“; * Rechnen im 20er bzw. im 100er Raum ohne 10er Übergang; * der 10er Übergang; * Einmaleins; * Textaufgabenmuster auf der jeweiligen Rechenstufe. Anfang der 4. Klasse hat Mia die Grundrechenarten der Addition und Subtraktion weitgehend automatisiert und kann im 1000er Raum rechnen. Einfache Textaufgabenmuster auf der jeweiligen Stufe kann sie lösen. Das Einmaleins wird sicher beherrscht. Mia erlebt einen kontinuierlichen Angstabbau im Bereich Mathematik durch ihre Fortschritte und die unterstützende und wertschätzende Haltung sowohl der Eltern als auch der Schule, verbunden mit deren realistischer Zielsetzung. Regelmäßige Erfolgserlebnisse verändern die emotionale Bewertung des Rechnens bei Mia und begünstigen damit auch eine erhöhte Aufmerksamkeit und bessere Abspeichermöglichkeiten. Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. 12 Tacke G. Flüssig lesen lernen. Übungen, Spiele und spannende Geschichten. Ein Leseprogramm für den differenzierenden Unterricht, für Förderkurse und für die Freiarbeit. Je ein Heft für Klasse 1/2, 2/3 und 4/5. Donauwörth: Auer; 1996/1999. Tacke G. Mit Hilfe der Eltern: Flüssig lesen lernen. Übungen, Spiele und eine spannende Geschichte. Je ein Heft für Klasse 1/2, 2/3 und 4/5. Donauwörth: Auer; 1998/1999. *Torgesen J, Morgan S, Davis C. Effects of two types of phonological awareness training on word learning in kindergarten children. Journal of Educational Psychology. 1992; 84: 364–370. Wallach MA, Wallach L. Helping disadvantaged children learn to read by teaching them phoneme identification skills. In: Resnick LB, Weaver PA, Eds. Therory and practice of early reading, Vol. 3. Hillsdale, N. J.: Erlbaum; 1979; 197–215. Warnke A, Hemminger U, Plume E, Schneck S. Legasthenie. Leitfaden für die Praxis. Göttingen: Hogrefe-Verlag; 2002. *Warnke A; Hemminger U, Plume E. Ratgeber Lese-Rechtschreibstörung. Göttingen: Hogrefe-Verlag; 2004. & Grundlagen Definition, Klassifikation und Symptomatik Eine Rechenstörung liegt vor, wenn mit Beginn des Erlernens des Rechnens in der Grundschule die Rechenfertigkeiten deutlich unter dem Niveau liegen, das nach Alter, Intelligenz und Schulausbildung zu erwarten wäre. Klassifikatorisch ist die Rechenstörung nach ICD-10 den umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertig- 12 Umschriebene Entwicklungsstörungen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Bei einem ersten Subtyp liegt die Rechenstörung isoliert vor, ohne dass Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben bestehen, beim zweiten Subtyp liegt gleichzeitig zur Rechenstörung eine Störung im Erlernen des Lesens und Rechtschreibens vor (kombinierte Störung schulischer Fertigkeiten, nach ICD-10, F81.3). Komorbid liegt in Patientengruppen zu 40 % eine Aufmerksamkeitsstörung vor, bei der kombinierten Störung finden sich vermehrt auch Störungen im Sozialverhalten. Vorschulisch lassen sich meist Schwächen im Mengenund Zahlenbegriff und relativ häufig auch visomotorische Schwierigkeiten feststellen. Rechenstörungen reichen bis in das Erwachsenenalter hinein. Epidemiologie Die Prävalenzrate ist bei 3–6 % anzunehmen. Die Kombination mit Lese- und Rechtschreibstörung ist bei bis zu zwei Dritteln der Kinder mit Rechenstörung gegeben. Mädchen sind gleich häufig oder sogar häufiger als Jungen betroffen. 12 Ätiologie und Störungsmodell Ursachen für Rechenstörungen liegen in genetischen und anderen hirnorganisch begründeten Hirnfunktionsbesonderheiten. Psychische, soziokulturelle und schulische Einflüsse wirken modifizierend. Die sprachliche und die visuelle – arabische beziehungsweise alphabetische – Zahlenverarbeitung erscheint gemäß zerebralen Bildgebungsbefunden funktionell links-frontotemporal und okzipital repräsentiert, semantische Zahlenverarbeitung in beidseitigen Parietalregionen. Störungen in diesen Netzwerken werden für Rechenstörungen pathogenetisch verantwortlich gemacht. Schlechter Mathematikunterricht und chronische Misserfolgserlebnisse mit dem Rechnen haben einen ungünstigen Einfluss auf die Rechenfertigkeit. Das Störungsmodell lässt sich aus Abb. 12.3 ableiten. Aus dem Störungsmodell ergibt sich hinsichtlich der Therapie als Schlussfolgerung: & Die Behandlung sollte so früh wie möglich beginnen (spätestens 2. Grundschulklasse). & Der schulische Mathematikunterricht sollte qualifizierend auf die individuelle Rechenstörung Rücksicht nehmen – Vermeidung chronischer Misserfolge und Versagensängste (leider gibt es bislang keine kultusministe- Abb. 12.3 Entwicklung und neuronale Verknüpfung numerischer Repräsentationen (v. Aster 2003). 12.3 Rechenstörungen Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. keiten als „umschriebene Entwicklungsstörung des Rechnens“ (F81.2) zugeordnet. Die Symptomatik ist gekennzeichnet durch: & Schwierigkeiten in der Zahlensemantik: Rechenoperationen werden nicht verstanden (z. B. mehr/weniger; ein Teil von einem Ganzen; Mengen werden nicht erfasst); & Mängel im sprachlichen Umgang mit Zahlen: Schwächen im Einmaleins, das Zählen gelingt nur fehlerhaft; & mangelhaften Erwerb des arabischen Stellenwertsystems, der syntaktischen Regeln und Rechenprozeduren: Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division gelingen nicht; das Einordnen von „Einer-“, „Zehner-“ oder „Hunderter-Stellen“ wird nicht verstanden; der „Zehner-Übergang“ ist eine Hürde; & Unfähigkeit, eine Zahl in eine andere Kodierung zu übertragen: von einer arabischen Ziffer kann nicht auf eine entsprechende Menge geschlossen werden; & Rechenzeichen werden nicht beachtet oder falsch geschrieben. 163 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 12 & Therapie & & & & & Diagnostische Maßnahmen & & Zur Bestimmung einer Rechenstörung empfehlen die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJPP 2007) die Anwendung der multiaxialen Diagnostik (Remschmidt et al. 2006), die vorsieht, dass die Störung im Rechnen auf verschiedenen Ebenen beschrieben wird. Auf der 1. Achse wird im Rahmen der Eigenanamnese und ärztlicher Untersuchungen das Vorliegen eines klinisch-psychiatrischen Syndroms als Ursache für die Rechenstörung oder als komorbide Störung (z. B. Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, Schulangst, Depression) überprüft. Störungsspezifisch fußt die Diagnose auf einer standardisierten Testung von Intelligenz und Rechenfertigkeiten sowie störungsbezogener Exploration. Die 2. Achse befasst sich mit der Untersuchung der Entwicklungsstörung im Bereich von Motorik, Sprache, Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen. Zur quantitativen Erfassung der Rechenstörung werden standardisierte Testverfahren eingesetzt, die sich inhaltlich am Wissensstand der jeweiligen Klassenstufe orientieren und dementsprechende Normen bereitstellen. Für den Grundschulbereich sind relativ aktuelle Rechentests vorhanden: Deutscher Mathematiktest für 1., 2., 3. und 4. Klassen (DEMAT 1+, Krajewski et al. 2002; DEMAT 2+, Krajewski et al. 2004; DEMAT 3+, Roick et al. 2004; DEMAT 4+, Gölitz et al. 2004), Heidelberger Rechentest für 1.–4. Klassen (HRT 1–4, Haffner et al. 2005) sowie ZAREKI-R (Neuropsychologische Testbatterie für Zahlenverarbeitung und Rechnen bei Kindern – Revision, v. Aster u. Weinhold 2006). Darüber hinaus liegen der Mathematiktest für 2. Klassen (MT 2, Feller u. Hugow 1992) und der Diagnostische Rechentest für 3. Klassen (DRE 3, Samstag et al. 1992) vor. Die Testverfahren erfassen mathematische Basiskompetenzen (Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren, Dividieren), Zahlen- und Mengenverständnis sowie visuell-räumliche Fähigkeiten, die zur Zahlenraumvorstellung notwendig sind. Liegt die Einzelleistung des Kindes in dem standardisierten Testverfahren bei einem Prozentrang von 10, dann ist das erste Kriterium für die Diagnose einer Rechenstörung erfüllt. Neben der quantitativen Bestimmung der Rechenschwäche ist insbesondere die qualitative Fehleranalyse für die therapeutische Intervention von Nutzen. Geprüft werden: & die Beherrschung der Zählfertigkeit (Vorwärts- und Rückwärtszählen einer Zahlenreihe); & die Zählhandlung (Abzählen einer kleineren Anzahl von Gegenständen mit den Fingern); & das Transkodieren (Übertragung von Zahlen aus der Wortform in die arabischen Ziffernzeichen, z. B. „sieben“ = 7); 164 & die Zuordnung von Zahlwörtern und später arabischen Ziffern zu Mengen (konkrete, abgebildete oder abstrakte Mengen werden einem Zahlwort zugeordnet); die Zahlenbewusstheit; die Zuordnung von Zahlen zu analogen Repräsentationen (Zahlenstrahl); die Grundrechenarten (gedankliches und schriftliches Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren und Dividieren); auditive und visuelle Zahlworterkennung; Transfer- und Analogieverständnis sowie das Gedächtnis (Arbeits-, Langzeitgedächtnis) und die Lösung von Textaufgaben (Warnke et al. 2007). Die 3. Achse beschreibt das vorliegende Intelligenzniveau. Hierzu werden die gängigen Intelligenztests eingesetzt (HAWIK-III, AID 2, K-ABC etc.). Ausschlaggebend für die Diagnose der Rechenstörung ist eine signifikante Diskrepanz zwischen der Intelligenz- und Rechenleistung, d. h., die erfasste Rechenleistung befindet sich mindestens um eine Standardabweichung von 1,2 unter dem IQ. Ist darüber hi_10 als naus ein Rechenprozentrang im Rechentest von 5 weiteres Kriterium erfüllt, dann ist sehr wahrscheinlich von einer Rechenstörung auszugehen (doppeltes Diskrepanzkriterium; weiterführend: DGKJPP 2007). Für die Diagnose ist meist auch die Voraussetzung gegeben, dass in Mathematik die Schulnoten „mangelhaft“ und „ungenügend“ vorherrschen und die Noten diskrepant schlechter sind als in anderen Schulfächern. Von Aster (2000) unterschied im Rahmen einer Clusteranalyse 3 Subtypen von Rechenstörungen. Kinder, die den sog. tiefgreifenden Subtyp aufweisen, lagen mehr als 1,5 Standardabweichungen unter der Norm in verschiedenen numerischen Fertigkeitsbereichen. Weiterhin identifizierte von Aster (2000) einen sprachlichen Subtypen, der durch defizitäre Zählstrategien kennzeichnet ist und oft Rückstände in der Sprach- und Schriftsprachentwicklung aufweist, sowie einen arabischen Subtypen, bei dem die betroffenen Kinder Schwierigkeiten bei der Übertragung von Zahlwörtern in die arabische Kodierung und umgekehrt haben. Dementsprechend zeigen die betroffenen Kinder Schwächen in den spezifischen Rechenfähigkeiten und in den Teilaspekten der Intelligenzleistung. Auf der 4. Achse werden körperlich-neurologische Erkrankungen (z. B. Hör-, Sehstörung, Zerebralparese) zum differenzialdiagnostischen Ausschluss überprüft, die evtl. das Auftreten der Lernstörung erklären könnten. Die 5. Achse erfasst die psychosozialen Umstände des Kindes und schließt aus, dass eine unzureichende Förderung oder Beschulung als Ursache für die Rechenschwäche infrage kommt. Schließlich beschreibt die 6. Achse die psychosoziale Beeinträchtigung aufgrund des Schweregrades der Störung, was beispielsweise entsprechende schulische Maßnahmen (Notenschutz im Rechnen) oder Förderhilfen (über § 35a SGB VIII) nach sich ziehen kann. Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. & riellen Erlasse zum Nachteilsausgleich, wie sie für die Legasthenie gegeben sind). Therapeutisch indiziert ist die Übungsbehandlung mit verhaltenstherapeutischen und heilpädagogischen Prinzipien. Empirische Evidenz zur Therapie Im deutschen Sprachraum mangelt es bislang an Wirksamkeitsstudien zur Therapie von Rechenstörungen. Kaufmann, Handl und Thöny (2003) veröffentlichten kürzlich eine 12 Umschriebene Entwicklungsstörungen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart & Allgemeine Struktur der Therapie und Therapieprogramme Das therapeutische Vorgehen leitet sich maßgeblich aus einer sorgfältigen Diagnostik ab. Die Übungsbehandlung beginnt auf der Stufe der Rechenfertigkeit, die gemäß der diagnostischen Fehleranalyse vom Kind gerade noch beherrscht wird (Warnke et al. 2007). Diese Einstiegsstufe kann bei einem Kind bereits bei der „Zählfertigkeit“ liegen, bei einem anderen auf der Stufe des „Transkodierens“ oder bei der „Zahlenbewusstheit“. Das Tempo des Vorgehens wird stets von den Fortschritten des Kindes bestimmt. Um die Lernmotivation zu steigern, eignet sich verhaltenstherapeutisch ein Verstärkerplan (Token-System), nach dem jedoch nicht der Lernerfolg, sondern der Lernaufwand und die Anstrengung des Kindes belohnt werden. & Die Zählfertigkeit wird eingeübt, indem das Kind, bei „1“ beginnend, die Zahlenreihe bis 10 und dann über die 10 hinaus in der richtigen Reihenfolge vor- oder rückwärts zählt. Diese Übung lässt sich mit „Handlungen am konkreten Material“ (Lorenz u. Radatz 1993, S. 30) einführen. Dabei wird etwa ein Tuch über eine Anzahl Würfel gelegt und das Kind soll sie ohne Sichtkontakt mit den Händen ertasten und abzählen (vgl. „verdeckte Handlung“ mit dem „Fühlsack“; Dihlmann u. Lorenz 1998). & Zur Einübung der Zählhandlung wird das Kind gebeten, vorgegebene Gegenstände (z. B. Äpfel) abzuzählen, indem es mit dem Finger darauf zeigt. Dabei ist darauf zu achten, dass die Zeigebewegungen den verbalisierten Ziffern und den gezeigten Objekten entsprechen. & Mit dem Transkodieren wird das Zahlwort in eine arabische Ziffer übertragen, d. h. etwa dem Wort „Fünf“ die Ziffer „5“ zugeordnet. Auch hier kann die Einprägung wieder durch den Tastsinn gesteigert werden, indem es sich bei den zu findenden Ziffern um „Fühlziffern“ handelt (Dihlmann u. Lorenz 1998). & Auf der nächsten Stufe werden Zahlwörter zunächst konkreten Mengen, z. B. fünf Holzstäbchen, zugeordnet: Das Kind lernt, zu den Stäbchen die Karte mit dem richtigen Zahlwort zu finden. Weitergehend wird dann von den konkreten Gegenständen zu deren Abbildung übergegangen und schließlich dem abstrakten Korrelat (also z. B. der Vorstellung von vorher gezeigten fünf Holzstäbchen) das richtige Zahlwort zugeordnet. & Die Stufe der „Zahlenbewusstheit“ ist ein entscheidender Schritt zum Erwerb der sicheren Beherrschung der Rechenoperationen. Ziel ist es, die Verbindung zwischen Mengen, Zahlwörtern und Ziffern zu stabilisieren. Hierzu kann z. B. die Menge von drei Streichhölzern gezeigt und dann zugedeckt werden; anschließend soll das Kind aus & & vorgegebenen Karten diejenige mit dem richtigen Zahlwort („Drei“) finden; diese Karte wird daraufhin weggenommen, und das Kind soll aus dem Gedächtnis die Ziffer „3“ schreiben. Oder der Therapeut zeigt die Ziffer „3“, das Kind sucht aus verschiedenen abgebildeten Mengen die passende heraus und schreibt das entsprechende Zahlwort darunter usw. Das Zuordnen von Zahlen zu analogen Repräsentationen lässt sich mit dem „Zahlenstrahl“ einführen. Dazu lernt das Kind, zunehmend sicherer die Position einer bestimmten Zentimeterangabe auf einem Zollstock zu bestimmen. Eine Schwierigkeitssteigerung besteht darin, das Kind bestimmen zu lassen, ob eine bestimmte Zahl links (kleinere Zahl) oder rechts (größere Zahl) von einer anderen Zahl liegt. Diese Übungen werden auch mit einer senkrecht gestellten Zahlenskala durchgeführt, sodass das Kind die Erfahrung macht, dass Addition einem Größerwerden und Subtraktion einem Kleinerwerden entspricht („intuitive Bedeutung der Operationen“; Lorenz u. Radatz 1993, S. 101). Das Einüben des Kopfrechnens erfolgt in erster Linie über eine visuelle Darstellung der Aufgabe und „lautes Denken“. Entscheidend ist, dass sich die Rechenoperationen so lange im Zahlenraum bis 10 bewegen, bis das Kind dabei ganz sicher ist. Begonnen wird mit der Addition von konkreten Gegenständen (z. B. zu fünf Äpfeln kommen zwei dazu). Wird dieser Schritt beherrscht, folgt ebenfalls mithilfe von konkreten Gegenständen das Erlernen der Subtraktion (z. B. von fünf Äpfeln werden zwei weggenommen). Erst wenn das Kind im Zahlenraum bis 10 das Addieren und Subtrahieren sicher beherrscht, wird zu den ebenfalls konkret dargestellten Operationen der Multiplikation und Division übergegangen, indem etwa dreimal zwei Äpfel nebeneinander gelegt werden oder von sechs Äpfeln in drei Schritten jeweils zwei weggenommen werden. Auf dieser Stufe ist die Gefahr des zu schnellen Vorangehens besonders groß. Erst wenn eine Grundrechenart im Zahlenraum bis 10 mit konkreten Mengen sicher beherrscht wird, sollte die Schwierigkeit gesteigert werden. Diese Steigerung sollte zunächst darin bestehen, dass die konkreten Gegenstände gegen bildlich dargestellte ausgewechselt werden. Erst bei erfolgreicher Bewältigung dieser Stufe sollte der Zahlenraum erweitert werden. Das schriftliche Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren und Dividieren besteht aus einer Zusammenführung der vorigen Stufe mit früher geübten Stufen. Zunächst soll das Kind die jeweilige Lösung (bei Bedarf auch Zwischenschritte) aussprechen und dann notieren. 12 Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. österreichische Evaluationsstudie, in der ein hierarchisch aufgebautes Förderkonzept, das über ein halbes Jahr in der 3. Klasse durchgeführt wurde, bedeutsame Fortschritte in der Rechenleistung erzielte. Allerdings handelte es sich um eine sehr kleine Stichprobe von nur sechs Drittklässlern. Insgesamt scheint jedoch ein hierarchisches Vorgehen im Rahmen der individuellen Förderung, die das Kind auf der Stufe abholt, auf der es sich befindet, Erfolg versprechend. Medikamentöse Therapie Eine medikamentöse Therapie von Rechenstörungen gibt es nicht. Falls jedoch bestimmte Begleitstörungen, wie z. B. die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Depressionen oder Angsterkrankungen auftreten, die die Kinder in ihrer Lernfähigkeit beeinträchtigen können, ist deren medikamentöse Behandlung in Betracht zu ziehen. 12.3 Rechenstörungen 165 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 12 Bestimmte emotionale und motivationale Bedingungen können die Lernbereitschaft fördern oder behindern (v. Aster u. Dosch 2006). Misserfolge im Rechnen können Prüfungsängste und eine geringe Leistungsmotivation hervorrufen, die den Erwerb der Rechenfähigkeiten erschweren. In solchen Fällen bezieht sich die Psychotherapie ebenfalls auf Begleitstörungen der Rechenschwäche, wie Schulangst, Prüfungsangst und Depression. In die Therapie der Rechenstörung selbst fließen im Wesentlichen verhaltenstherapeutische Maßnahmen ein (vor allem Verstärkung von einzelnen Lernbemühungen und Lernschritten). Tabelle 12.9 Therapieprofil: Rechenstörungen Diagnostische Maßnahmen Multiaxiale Diagnostik: fachärztliche Untersuchung, Einsatz von standardisierten Rechentests und Intelligenztests Empirische Evidenz Bislang kaum gesichert Therapieprinzipien Hierarchische Struktur der Förderung, individualisierte Vorgehensweise orientiert an der Fehleranalyse Therapieprogramme Bislang existieren keine evaluierten Therapieprogramme. Medikamentöse Therapie Ggf. von Begleitstörungen wie ADHS, Depressionen und Angsterkrankungen Psychotherapie Ggf. von Begleitstörungen wie Depressionen und Angsterkrankungen Eltern- und familienbezogene Maßnahmen Wird bei einem Kind eine Rechenschwäche diagnostiziert, sind die Eltern über die Untersuchungsergebnisse zu informieren und bezüglich Fördermöglichkeiten bzw. Hausaufgabengestaltung entsprechend zu beraten (v. Aster u. Dosch 2006). In Abstimmung mit dem zuständigen Therapeuten können einzelne Förderschritte auch zu Hause unter Anleitung der Eltern durchgeführt werden, sodass eine tägliche Übungszeit eine kontinuierliche Förderung ermöglicht. Eltern können auch im Alltag Kinder zum Rechnen anregen (kleine Einkäufe, Abzählen von Gegenständen im Alltag, Abrechnen kleiner Geldmengen etc.). Eine erzieherische Unterstützung („Was tue ich, wenn mein Kind wieder mit der Note 6 in Mathematik nach Hause kommt, wenn es vor einer Mathematikarbeit über Bauchweh klagt, schlaflos ist, nicht in die Schule will?“) und Unterstützung in der elterlichen Interessenvertretung bei schulischen Angelegenheiten sind regelhaft notwendig. Umfeldbezogene Maßnahmen Neben den Eltern empfiehlt sich ebenfalls eine Beratung der zuständigen Lehrkräfte über die spezifischen Schwächen des betroffenen Kindes im Rechnen. Idealerweise kann in Rücksprache mit der Schule ein Nachteilsausgleich im Sinne eines Notenschutzes in Mathematik sowie Physik (Nichtbenoten von Rechenleistungen, evtl. Zeitzuschlag bei Leistungserhebungen) umgesetzt werden, um die Schullaufbahn durch die Rechenschwäche nicht zu gefährden. Einen Rechtsanspruch für einen Nachteilsausgleich gibt es leider – und wissenschaftlich unbegründet – bislang in Deutschland nicht. Nachteilsausgleich sehen Erlasse der Kultusministerien bereits für Lese- und Rechtschreibstörungen vor, und sie wären für Rechenstörungen dringend einzuführen. Ergänzende Therapiemaßnahmen Sollten bei dem betreffenden Kind neben der Rechenschwäche noch spezielle Funktionsstörungen, z. B. im Bereich der Konzentration, der Grapho- oder Visomotorik vorliegen, können gezielte Trainingsmaßnahmen unterstützend eingesetzt werden (Tab. 12.9). 166 Eltern- und familienbezogene Maßnahmen * * * Information bezüglich Untersuchungsergebnissen Hausaufgabenberatung Anleitung zu häuslichen Förderhilfen Umfeldbezogene Maßnahmen Lehrerberatung, schulische Fördermaßnahmen, schulischer Nachteilsausgleich (Notenschutz in Mathematik und Physik) Ergänzende Maßnahmen Ggf. Konzentrationstraining, Förderung der Graphomotorik und Visomotorik Häufig gestellte Fragen mit Antworten ? Welcher Therapeut ist geeignet, eine wirksame Förderung durchzuführen? 씰씰 Ein kompetenter Therapeut informiert die Eltern ausführlich über die Therapie und macht sein Vorgehen transparent. Er verfügt über ausreichend Erfahrung mit betroffenen Kindern und setzt sich mit aktuellen Forschungsergebnissen auseinander. Der Therapie geht eine differenzierte Fehleranalyse voraus, um das Kind dort abzuholen, wo es steht. Es ist notwendig, dass die Eltern in die Förderung einbezogen werden, indem sie angeleitet werden, zwischen den Förderstunden zu Hause kontinuierliche Übungen durchzuführen, und/oder gestützt werden in der erzieherischen Führung („Was tue ich, wenn wieder die Note 6 für Mathematik heimgebracht wird?“). Ebenso ist es notwendig, dass sich die Eltern im schulischen Bereich auf eine Interessenvertretung stützen können. ? Was können Eltern tun, um ihre Kinder adäquat zu fördern? Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. Psychotherapie 씰씰 Es ist zu empfehlen, die Erwartungshaltung im Rechnen gegenüber den Kindern niedrig zu halten, um keinen unnötigen Leistungsdruck auszuüben, der zu Versagensängsten und Misserfolgserwartungen führen könnte. Nicht der Erfolg sollte belohnt werden, sondern die Anstrengung, die ein Kind aufbringt, um im Rechnen zu üben und Fortschritte zu erzielen. Neben gezielten Übungen im Rechnen ist es wichtig, das Kind auch in den Bereichen zu unterstützen, in denen es leichter zu Erfolgen kommt, um das Selbstvertrauen zu stärken (z. B. Sport, Sprachen, Hobbys). Elterliche Kooperationsbemühungen mit der Schule sind zu unterstützen. 12 Umschriebene Entwicklungsstörungen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart & & Eltern von betroffenen Kindern mit Lese-RechtschreibStörung und/oder Rechenstörung haben sich im Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e. V. bundesweit organisiert. Informationen über den Elternverband finden sich im Internet unter www.bvl.de. Dem Verband steht ein wissenschaftlicher Beirat zur Seite, der Eltern in Fragen zur Diagnostik und Therapie von Legasthenie und Dyskalkulie berät. & Literatur (Weiterführende Literatur ist mit einem * versehen) Aster M von. Developmental cognitive neuropsychology of number processing and calculation: Varieties of developmental dyscalculia. European Journal of Child and Adolescent Psychiatry. 2000; 9: 41–58. Aster M von. Neurowissenschaftliche Ergebnisse und Erklärungsansätze zu Rechenstörungen. In: Fritz A, Ricken G, Schmidt S, Hrsg. Rechenschwäche. Lernwege, Schwierigkeiten und Hilfe bei Dyskalkulie. Weinheim: Beltz; 2003: 163–178. *Aster M von, Lorenz H, Hrsg. Rechenstörungen bei Kindern. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; 2005. Aster M von, Dosch, M. Entwicklungsbezogene Rechenstörungen. In: Steinhausen H-Ch, Hrsg. Schule und psychische Störungen. Stuttgart: Kohlhammer; 2006: 205–217. Aster M von, Weinhold M. ZAREKI-R: Neuropsychologische Testbatterie für Zahlenverarbeitung und Rechnen bei Kindern – Revision. 2. Aufl. Göttingen: Hogrefe; 2006. *Born A, Oehler C. Kinder mit Rechenschwäche erfolgreich fördern. Stuttgart: Kohlhammer; 2005. Born A, Oehler C. Lernen mit ADS-Kindern. 5., überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer; 2006. DGKJPP (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie), Hrsg. Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindesund Jugendalter. 3. Aufl. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag; 2007. Dihlmann G, Lorenz JH. Materialien zur Entwicklung mathematischer Vorstellungen. Stuttgart: Landesinstitut für Erziehung und Unterricht; 1998. Feller G, Hugow K. Mathematiktest für 2. Klassen (MT 2). 2. Aufl. Göttingen: Hogrefe; 1992. Gölitz D, Roick T, Hasselhorn M. Deutscher Mathematiktest für vierte Klassen (DEMAT 4). Göttingen: Hogrefe; 2004. *Grünke M. Zur Effektivität von Fördermethoden bei Kindern und Jugendlichen mit Lernstörungen. Eine Synopse vorliegender MetaAnalysen. Zeitschrift für Kindheit und Entwicklung. 2006; 15: 239–254, Göttingen: Hogrefe. Haffner J, Baro K, Parzer P, Resch F. Heidelberger Rechentest (HRT 1–4). Erfassung mathematischer Basiskompetenzen im Grundschulalter. Göttingen: Hogrefe; 2005. K-ABC: Kaufman-Assessment Battery Scale for Children. Deutschsprachige Fassung: Melchers P, Preuß U. 5., korrig. und erg. Aufl. Frankfurt am Main; 2001. Kaufmann L, Handl P, Thöny B. Evaluation of numeracy intervention program focusing on basic numerical knowledge: A pilot study. Journal of Learning Disabilities. 2003; 36: 564–573. Krajewski K, Küspert P, Schneider W, Visé M. Deutscher Mathematiktest für erste Klassen 1 (DEMAT 1+). Göttingen: Hogrefe; 2002. Krajewski K, Liehm S, Schneider W. Deutscher Mathematiktest für zweite Klassen (DEMAT 2+). Göttingen: Hogrefe; 2004. Lorenz JH, Radatz H. Handbuch des Förderns im Mathematikunterricht. Hannover: Schroedel; 1993. Remschmidt H, Schmidt M, Poustka F, Hrsg. Multiaxiales Klassifikationsschema für psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter nach ICD-10 der WHO, 5. Aufl. Bern: Huber; 2006. Roick T, Gölitz D, Hasselhorn M. Deutscher Mathematiktest für dritte Klassen (DEMAT 3+). Göttingen: Hogrefe; 2004. Samstag K, Sander A, Schmidt R. Diagnostischer Rechentest für 3. Klassen (DRE 3). Göttingen: Hogrefe; 1992. Warnke A, Küspert P, Plume E. Rechenschwäche. In: Lauth GW, Linderkamp F, Schneider S, Brack UB, Hrsg. Verhaltenstherapie mit Kindern und Jugendlichen. Göttingen: Hogrefe; 2007. *Wejda S. Rechenschwäche – der Kampf mit den Zahlen. Hilfen bei Dyskalkulie. Berlin: Cornelsen; 2004. ZAREKI: Neuropsychologische Test-Batterie für Zahlenverarbeitung und Rechnen bei Kindern, Manual: von Aster M. 2., korrig. Aufl. Frankfurt am Main: Swets und Zeitlinger B. V. Testservices GmbH; 2002. 12.4 Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen Rainer Blank Fallbeispiel Julia, 9 Jahre, schreibt in der Schule zu langsam, kommt nicht mehr mit und macht zunehmend Fehler. Wenn sie längere Zeit schreibt, hat sie Schmerzen im Unterarm bzw. an der Hand. Sie bastelt seit dem Kleinkindalter ungern, schnitt damals auch Formen recht grob aus, malte kaum. Bei der Untersuchung fällt eine „verkrampfte“ Stifthaltung mit hohem Stiftdruck auf. Die Schrift erscheint noch kaum automatisiert. Der Finger-Oppositionstest ist etwas verplumpt, teilweise mit kontralateralen Synkinesien, Diadochokinese verplumpt, Finger-Nase-Versuch, Armvorhalteversuch mit unruhiger Handhaltung. Die Grobmotorik ist unauffällig. Der HAWIK ergibt durchschnittliche Werte. Im Rahmen eines aufgabenspezifischen Trainings in der Ergotherapie mit entsprechenden täglichen Übungsaufgaben zu Hause bessert sich die Problematik binnen 4 Monaten. Das Kind hat noch weiterhin leicht auffällige neurologische Zeichen, zeigt jedoch im Alltag keine wesentlichen Einschränkungen mehr. & Grundlagen Definition, Klassifikation und Symptomatik Nach ICD-10 werden unter F82 sog. „umschriebene motorische Entwicklungsstörungen“ klassifiziert, nach DSM-IV „entwicklungsbezogene Koordinationsstörungen“ (Developmental Coordination Disorder [DCD], 315.40). Die beste deutschsprachige Entsprechung für DCD ist „Teilleistungsstörung im Bereich der Motorik“, da die Koordination der Bewegung, streng genommen, nur einen Teil der hier tatsächlich beschriebenen Störungen darstellt. Weitere Synonyme der Störung sind Entwicklungsdyspraxie, motorische Ungeschicklichkeit, „Perceptual Motor Dysfunction“ sowie „Deficits in Attention, Motor Control and Perception“ (DAMP) (Gillberg 2003). Das Störungsbild umfasst nach DSM-IV: A) „motorische Koordination schwächer als durch Alter oder Intelligenz erklärbar“; 12.4 Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen 12 Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. & Weiterführende Informationen einschließlich Internetadressen 167 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 12 „allgemeine Ungeschicklichkeit, Schreibprobleme, verzögerte Entwicklung motorischer Meilensteine“; C) „Koordinationsprobleme interferieren mit schulischer Leistungsfähigkeit oder mit Alltagsfunktionen“; D) „nicht durch definierte Bewegungsstörung oder neuromuskuläre Erkrankung definiert“; E) „Kriterien für tiefgreifende Entwicklungsstörung nicht erfüllt“. Nach ICD-10 werden zusätzlich ein Intelligenzquotient von mindestens 70 und eine Abweichung von 2 Standardabweichungen unterhalb der motorischen Leistungen eines gleichaltrigen Kindes in einem standardisierten motorischen Testverfahren gefordert. Nach ihrer gründlichen Analyse schlagen Geuze et al. (2001) für den klinischen Gebrauch und für wissenschaftliche Zwecke getrennte Kriterien vor: Für den klinischen Gebrauch raten sie zu den DSM-IVKriterien (qualitative Kriterien) sowie zusätzlich zu einem quantitativen Kriterium, z. B. das Verfahren M-ABC mit einem Cut-off beim 15. Perzentil. Dies soll zu einer Detektion von 75 % der Kinder mit umschriebenen motorischen Entwicklungsstörungen führen. Die Hälfte der verbleibenden nichtdiagnostizierten 25 % der Kinder hätten isolierte Schreibstörungen, die mit dem M-ABC nicht entdeckt werden (keine Schreibaufgaben). Die Spezifizität für eine Behandlungsindikation soll bei zusätzlich zu erfüllenden Kriterien (Alltagsrelevanz, Relevanz im Bereich der schulischen Leistungen) über 90 % liegen. Die v. a. im Schulalter Tabelle 12.10 Phänomenologie von Schreibstörungen und mögliche Ätiologien Schreibdruck ständig erhöht Kraftdosierung, somatosensorisches Defizit, kortikospinale Störungen Schreibdruck nimmt während eines Graphems oder bei längerem Schreiben zu Kraftdosierung, psychomotorische Problematik, (wenig Übung) Schreibdruck erniedrigt Myopathie, kortikospinale Störung (wenig Übung bzw. physiologisch: nicht-dominante Hand) Alle oder spezifische elementare Schreibbewegungen verlangsamt bzw. auffällige Automatisation von Graphemen Kortikospinale Störung, zerebelläre Störung, extrapyramidale Störung (physiologisch: nicht-dominante Hand, Entwicklung) Nur komplexe Schreibbewegungen verlangsamt Visuodyspraktische Störung, visuoperzeptive Störung, psychomotorische Problematik (Leistungsdruck), (physiologisch: nicht-dominante Hand, wenig Übung, Entwicklung) „Verschreiben“ sowie häufig wechselnde Formgebung 168 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (motorischer Antrieb erhöht, Planungszeit verringert), Lese-RechtschreibStörung (semantische Problematik etc.), schwere psychische Störungen wichtigen Schreibstörungen sind häufig komplexer Natur und bedürfen einer genaueren Analyse (Tab. 12.10). Das Störungsbild der motorischen Teilleistungsstörungen setzt sich aus isolierten oder meist kombinierten Störungen auf folgenden Funktionsebenen zusammen (Tab. 12.11): Auf der Ebene der elementaren Funktionen werden Maximalkraftdefizite bei Kindern mit umschriebenen motorischen Entwicklungsstörungen sowie Koaktivationen als Zeichen einer noch unreifen segmentalen motorischen Steuerung und Organisation beobachtet (Raynor 2001). Auf der Ebene der basal-koordinativen Funktionen wurden Probleme mit dem Timing von Bewegungen sowie mit der Kraftkontrolle und -dosierung bei der Objektmanipulation gezeigt (Pereira et al. 2001; Pitcher et al. 2002). Auffällige sensomotorische Leistungen können sich z. B. beim Nachmalen von Figuren oder beim Nachfolgen von Bewegungen bemerkbar machen oder auch bei „verkrampfter“ Objektmanipulation, bei häufigem Entgleiten oder Zerbrechen von Gegenständen vorliegen. Die Kinder mit umschriebenen motorischen Entwicklungsstörungen zeigen bei Gesten nach auditivem Kommando eher Schwierigkeiten als nach visuellem, taktilem sowie visuellem mit taktilem Input (Zoia et al. 2002). Auf der Ebene der motorischen Organisation (Praxie), d. h. bei der Planung und Integration von Bewegungen zu Handlungen und deren Automatisation, bestehen häufig Schwierigkeiten. Beispiele sind fehlerhafte Reihenfolge oder Richtungsumkehr beim sog. Finger-Oppositionstest. Schwierigkeiten im Bereich der internen Repräsentanz von visuo-spatialen Koordinaten willkürlicher Bewegungen (Handlungsplanung!) sind beschrieben (Wilson et al. 2001). Auffällige Wahrnehmungsleistungen wurden nur bezüglich der Kinästhesie gefunden (Coleman et al. 2001), nicht hingegen im visuellen oder taktilen Bereich (Schoemaker et al. 2001). Eigene kinematische und kinetische Daten zeigen auffällige Elementarfunktionen bei etwa 12 %, auffällige basal-koordinative und sensomotorische Funktionen bei ca. 30 % der Patienten mit feinmotorischen Teilleistungsstörungen. Bei 80 % finden sich kombinierte Störungen, nur ca. 20 % der Kinder zeigen isoliert Störungen der motorischen Organisation („isolierte Dyspraxie“). Tabelle 12.11 Störungsprofil: Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen * * * * Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. B) Störungen auf elementarer Ebene (Kraftdefizit, Verlangsamung einfacher Bewegungen; DD: Bewegungsstörungen) Störungen auf basal-koordinativer Ebene (Kraftdosierung, Abstimmung von Kraft und Bewegung; DD: Bewegungsstörungen) Störungen auf sensomotorischer Ebene (Integration von sensorischer Wahrnehmung und Handlungsplanung bzw. -durchführung; DD: visuoperzeptive Störungen) Bewegungs- bzw. Handlungsorganisation (sequenzielle und/oder parallele sowie komplementäre Durchführung von Bewegungen bzw. Objektmanipulation ein- bzw. beidhändig; DD: Apraxie im Rahmen einer definierten hirnorganischen Störung) 12 Umschriebene Entwicklungsstörungen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Epidemiologisch wird eine Prävalenz von ca. 5–8 % beschrieben, wobei die erhebliche Variabilität durch die nosologische Unsicherheit der Diagnose bedingt ist. Zum Beispiel beschreiben Dunford et al. (2004), dass nur 38 % der 5- bis 10-jährigen Kinder, bei denen eine umschriebene motorische Entwicklungsstörung diagnostiziert wurde und die für eine Ergotherapie vorgesehen waren, die DSM-IV-Kriterien erfüllten. Ätiologie und Erklärungsmodell Ätiologisch sind die Störungen entsprechend der Vielfalt der funktionellen Störungsmuster (siehe Abschnitt „Definition, Klassifikation und Symptomatik“) vielgestaltig. Neben kortikalen Funktionen scheint eine Involvierung u. a. von Kleinhirnfunktionen wahrscheinlich (Geuze 2005). Möglicherweise spielen unreife Abstimmungsvorgänge zwischen Zerebellum und entsprechenden Kortexregionen eine Rolle (Unreife oder Dysfunktionalität des kortiko-ponto-zerebellären Regulationskreises). Die sog. „Neuronal-Group-Selection“-Theorie bietet derzeit das am besten untermauerte Erklärungsmodell für die Störungsgenese bzw. auch für Erfolge bestimmter Behandlungsmethoden (Hadders-Algra 2000). Diverse psychische bzw. neuropsychologische Störungen gehen gehäuft mit Auffälligkeiten der Finger-Hand-Motorik einher, wie z. B. die Komorbidität mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei ca. 41 % und von 56 % bei Kindern mit Lern- bzw. Leistungsstörungen (Dewey u. Wilson 2001; Macnab et al. 2001). & Therapie Diagnostik Strategie Nachdem ätiologisch keine Behandlungsmöglichkeiten bestehen, ist eine differenzierte funktionale Beschreibung für die therapeutische Intervention von hoher Bedeutung. Entscheidend für die Verordnung einer Therapie ist 1. die Frage der Alltagsrelevanz, 2. die Frage, ob bei Nichtbehandlung eine Aggravierung, auch z. B. einer psychischen Begleitstörung droht, 3. die Frage, inwiefern die Partizipation im sozialen Kontext des Kindes und der Familie eingeschränkt ist. Diese Fragen müssen in einer entsprechenden Diagnostik geklärt werden. Allgemeine und spezifische klinische Diagnostik Die klinische Diagnostik umfasst: Anamnese: Familienanamnese, individuelle Anamnese einschließlich Fragen zu potenzieller Ätiologie (Hinweise für hirnorganische Störungen bzw. Störungen des neuromuskulären Systems, zentral wirksame Medikamente?). & Spezifische Störungsanamnese: Was? Mit welchen konkreten Auswirkungen im Alltag? Seit wann? Welche bisherige Diagnostik, welche Therapieversuche? In welcher Intensität und über welchen Zeitraum? & Allgemeine Fragebogenverfahren: Erhebung von Alltagsfunktionen bzw. entwicklungspsychologische Skalen, Diagnostik von relevanten psychischen Begleitstörungen, v. a. Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, psychoorganische Störungen, Gedächtnisstörungen. & Spezifische Fragebogenverfahren auf Störungsebene: DCDQ, M-ABC-Checklist, bzw. auf der Ebene der Alltagsfertigkeiten: z. B. M-ADL (Blank 2007). & Klinisch-neurologische Untersuchungen: Ziel ist primär der Ausschluss einer sensorischen Störung und einer Bewegungsstörung aus dem kortikospinalen, extrapyramidalen oder zerebellären Regulationskreis sowie der Ausschluss von sensorischen/sensiblen Störungen. Klinische Untersuchungen zur Praxie sollten von neuropsychologischen bzw. entwicklungspsychologischen Verfahren ergänzt werden. – Sehfähigkeit? Gnosie? Hinweise für sensorische Störung? – Reflexstatus: kortikospinale Zeichen wie z. B. Hyperreflexie, Rossolimo, Adduktorenreflex? Extrapyramidale Zeichen, z. B. Schmetterlingsphänomen? – Spontanmotorik und funktionell-neurologische Tests: Halteversuche mit Hinweisen für extrapyramidale Regulationsstörungen (Myoklonien, Hyperkinesien bei Halteversuchen, choreoathetoide Bewegungen) oder zerebelläre Auffälligkeiten (Intentionstremor, Dysdiadochokinese, auffällige Zielbewegungen) oder auffällige motorische Organisation (Praxie), z. B. Finger-Oppositionstest mit sequenziellen Problemen, Synkinesien? & Allgemeine und spezifische Motoriktests (siehe Abschnitt „Standardisierte Testverfahren“). & Allgemeine klinisch-psychologische Testverfahren (Intelligenzdiagnostik [K-ABC; HAWIK etc.], Diagnostik von Aufmerksamkeitsstörungen [DLKG, CPT etc.]). & Evtl. spezielle Diagnostik von Teilleistungsstörungen zur Erfassung von visuoperzeptiven Leistungen, Rechtschreibproblematik. & 12 Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. Epidemiologie Standardisierte Testverfahren Standardisierte Testverfahren vermischen leider häufig die verschiedenen funktionalen Ebenen mit der Folge von Unschärfen in der Diagnostik. Meist kann hiermit nur die Diagnose „auffällig“ vs. „unauffällig“ getroffen werden. Die Übereinstimmung der Testverfahren ist mäßig (Crawford et al. 2001) und daher nicht unumstritten. 12.4 Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen 169 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Tabelle 12.12 Vorschlag zu einer differenzierten klinischen FingerHand-motorischen Untersuchung Elementare Funktionen * * * Maximalkraft, Fingertapping, Handtapping Einfache Zielbewegungen, nach Üben auch blind durchführbar (Finger-Nase-Versuch, Fingerzeige-Versuch, Zeigeversuch) Repetitive Auf- und Abbewegungen mit dem Stift (möglichst schnell): Aufstriche (links unten – rechts oben; aus dem Handgelenk), Abstriche (links oben – rechts unten; aus den Fingern) Basal-koordinative Funktionen * * * * Diadochokinese (einfache rotatorische Bewegungen) Kreise mit dem Stift (repetitives Kreiseln auf der Stelle, möglichst schnell, desgleichen große Kreise) Einfache Objektmanipulation (Glas mit Wasser hochheben und ausschütten) Werfen und Fangen Motorische Organisation (Handlungen) mit geringer visueller Kontrolle Sequenzieller Finger-Oppositionstest, simultane FingerDaumen-Opposition (Finger II-V sollen gleichzeitig den Daumen berühren), * Knöpfen * Halbkreise (möglichst schnell, wie kreiseln, jedoch mit Richtungsumkehr nach Halbkreis), eigenen Namen schreiben * Einfache standardisierte Testverfahren: – Purdue-Pegboardtest: Einhändig: rechts, links; beidhändig: simultan und sequenziell – K-ABC (mit visueller und Gedächtniskomponente): Subtest Handbewegungen * Sensomotorische (im Wesentlichen visuomotorische) Funktionen (sensorisch stark kontrollierte Bewegungen) * * * Nachfolgebewegungen (Tracking) Nachmalen, Abmalen, Abschreiben Klinisch-psychologische bzw. neuropsychologische Testverfahren, z. B. DTVP-2 (visuomotorische Subtests) Visuelle Wahrnehmung * Klinisch-psychologische bzw. neuropsychologische Testverfahren, z. B. DTVP-2 (visuoperzeptive Subtests), Teile des K-ABC und anderer Intelligenzverfahren etc. Komplexe Funktionen * * Bauen bzw. Nachbauen mit Legobausteinen oder Holzklötzen Nicht geübten Satz schreiben DTVP = Developmental Test of Visual Perception 170 Hinzu werden häufig freie Malaufgaben, Malen von Haus, Baum und Mensch, und andere feinmotorische Aufgaben durchgeführt. Von entwicklungspsychologischer Seite kommen Frostigs Entwicklungstest der visuellen Wahrnehmung bzw. der Developmental Test of Visual Perception (DTVP-2), die motorische Leistungsserie (Hamster 1980). Andere klinisch-psychologische Testverfahren oder Untertests von anerkannten Intelligenzverfahren wären zu ergänzen (z. B. SON-R oder CFT, Subtest Handbewegungen der Kaufman-Assessment Battery for Children). Die Korrelation der Komplexität der motorischen Aufgaben mit psychischen und kognitiven Hintergrundvariablen (v. a. Aufmerksamkeit und Gedächtnis) erschwert die Diagnostik. Nach unserer Erfahrung – auch vor dem Hintergrund langjährig angewandter kinematischer und kinetischer Untersuchungen – hat sich ein systematisches stufenweises Vorgehen als erfolgreich erwiesen (Tab. 12.12). Indikation zur Behandlung Die Indikation zur Behandlung richtet sich nach der Relevanz für die Erledigung von Alltagsfertigkeiten bzw. für die Bewältigung schulischer Aufgaben. Nach der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit (ICF) geht es bei der Indikation von Behandlungen in erster Linie um Zielsetzungen im Bereich der „Activities“ und der „Participation“, d. h. der Alltagsfunktionalität und der Teilhabe in der Gesellschaft, wobei auch Umweltfaktoren beachtet werden müssen (Förderung von häuslicher, schulischer, öffentlicher Seite). Bei feinmotorischen Störungen ist eine Behandlung oder spezielle Förderung in der Vorschulphase gerade als Vorbereitung auf den Schreiblernprozess, der vielen ungeschickten Kindern besonders schwerfällt, sehr wichtig. Besonderes Augenmerk sollte daher bei Schulkindern dem Schreiben gelten, das in besonderer Weise schulische Leistungen beeinflussen kann. Zuweilen kann eine motorische Schreibstörung auch eine Rechtschreibstörung vortäuschen, da die Kinder sehr viel Energie auf das mechanische Schreiben verwenden müssen oder aus Langsamkeit einfach nicht mehr mitkommen. Daher empfehlen wir, bei jedem Verdacht auf eine Rechtschreibstörung eine motorische Schreibstörung auszuschließen. Die psychosoziale Bedeutung der motorischen Entwicklungsstörung spielt ebenfalls eine Rolle. Dabei ist zu beachten, dass bereits geringe motorische Funktionsstörungen gelegentlich zu erheblichen Eingliederungsproblemen, Verlust des Selbstwertgefühls und anderen sekundären psychischen Problemen führen können und damit die oben genannte Teilhabe in der Gesellschaft einschränken. Bestehen gleichzeitig Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen oder eine Hyperaktivität, so sollten weitergehende Therapiemaßnahmen einschließlich medikamentöser Maßnahmen, verhaltenstherapeutische bzw. psychotherapeutische Maßnahmen und Beratung der Bezugspersonen eingeleitet werden (siehe Kap. 16 „Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen“). Eine Behandlung ist aber nicht bei jedem Kind erforderlich. Insbesondere wenn es dem Kind, den Angehörigen und Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. 12 Das mit Abstand am häufigsten verwendete Testverfahren ist nach einer umfangreichen Analyse der MovementABC (50 % ), danach folgen mit deutlichem Abstand der Bruininks-Oseretsky-Test (Duger et al. 1999), der Gubbay’s Test (Gubbay 1975) sowie der SCSIT von J. Ayres (Case-Smith 1991). In Deutschland häufig angewandte Verfahren zur motorischen Teilleistungsdiagnostik sind: & die motoskopische Untersuchung nach Touwen (Touwen u. Kalverboer 1973), & der Züricher Neuromotoriktest für 5- bis 13-jährige Kinder (Largo et al. 2001), & der Körperkoordinationstest (KTK) oder & der Motorik-Test für 4- bis 6-jährige Kinder (MOT4-6). 12 Umschriebene Entwicklungsstörungen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Empirische Evidenz zur Therapie Aufgabenspezifische und kognitive Interventionen, die sich auf direktes Erlernen einer Fertigkeit konzentrieren, erwiesen sich als recht erfolgreich (Mandich et al. 2001; Schoemaker et al. 1994; Schoemaker et al. 2003; Wilson et al. 2002), wenngleich Empfehlungen in dieser Richtung noch nicht als evidenzbasiert gelten können. Demgegenüber sind Strategien, die auf die Behandlung allgemeiner, meist deduktiv hergeleiteter zugrunde liegender Defizite abzielen, bis heute in ihrer Wirksamkeit unklar geblieben. Immerhin zeigte sich perzeptuomotorisches Training gleich oder besser wirksam als SI-Therapie nach Ayres oder prozessorientierte Behandlung (Mandich et al. 2001). Allerdings fehlen weitgehend Studien mit Evidenzgrad I oder II nach Sackett. Allgemeine Struktur der Therapie und Therapieprogramme Strukturell lassen sich die Therapien bzw. Therapieprogramme nach Barnhart et al. (2003) in sog. Bottom-upund Top-down-Strategien einteilen (Tab. 12.13): Bottom-up-Strategien zielen auf die Behandlung von zugrunde liegenden Defiziten, z. B. durch selektive Übermittlung von sensorischer Information; diese interpretiert das ZNS entsprechend und organisiert dann eine daran angepasste Bewegungsstrategie. Beispiele für entsprechende Interventionen sind: sensorisch-integrative Therapie, prozessorientierte Behandlungsmethoden, allgemeines Wahrnehmungs- und Motoriktraining („Perceptual Motor Training“), weitere systemisch orientierte Ansätze (somatosensorisch ausgelöste Bewegungsmuster, z. B. im Rahmen der Methode nach Vojta). Tabelle 12.13 Therapieprofil: Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen Bottom-up-Strategien (BUS) Top-down-Strategien (TDS) Inhaltliche Ausrichtungen: – Aufgaben- sowie alltagsorientierte Therapieformen (TDS) – Kognitive Therapieformen (Bewegungsimagination) (TDS) – Systemische Verfahren (Sensorisch-integrative Therapie nach J. Ayres, Psychomotorik u. a.) (BUS) * Settings: – Einzelsetting – Gruppensetting – Home training * Top-down-Strategien zielen v. a. auf kognitive und problemlösende Fertigkeiten ab, um z. B. die am besten geeignete Strategie für eine erfolgreiche Aufgabenbewältigung auszuwählen und in den Alltagskontext zu implementieren. Aufgabenspezifische und kognitive Interventionen fokussieren sich auf direktes Erlernen einer Fertigkeit. Diese wird auf kleinere Schritte heruntergebrochen, und diese Teile werden einzeln eingeübt, um dann wieder zur Fertigkeit integriert zu werden. Kognitive Ansätze betonen aktive Problemlösestrategien, z. B. nach dem GPDC-Schema: & Goal: Was werde ich tun? & Plan: Wie werde ich es tun, um die Aufgabe zu erledigen? & Do: Los, tu es! & Check: Wie gut war mein Plan, um die Aufgabe zu erledigen? Verbales Kommentieren wirkt verstärkend. Auch das Üben von Vorstellungen der motorischen Fertigkeiten („Imagery Training“) zählt hierzu. Aufgabenspezifische und kognitive Strategien erfordern wiederholende Übung spezifischer motorischer Fertigkeiten. Sie ähneln stark den bekannten Strategien beim Erlernen von Musikinstrumenten. An Therapieformen für motorische Teilleistungsstörungen stehen folgende Verfahren allgemein zur Verfügung: & Physiotherapeutische Methoden, v. a. zur Verbesserung von zugrunde liegenden leichten Bewegungsstörungen, Körperwahrnehmung. & Ergotherapeutische Methoden, v. a. zur Förderung alltagsrelevanter Fertigkeiten, motorischer Geschicklichkeit und Körperwahrnehmung, aufgabenspezifischer feinmotorischer, graphomotorischer und visuomotorischer Fertigkeiten. Bei der Sensorischen Integrationstherapie (SITherapie) nach J. Ayres soll v. a. die taktile, propriozeptive und vestibuläre Wahrnehmungsverarbeitung verbessert werden. & Mototherapie bzw. „Psychomotorische Therapie“: Über die Bewegungserfahrung, häufig auch im Gruppensetting, soll eine Verbesserung der motorischen Geschicklichkeit, der Emotionalität, des sozialen Verhaltens sowie des Selbstwertgefühls der Kinder erreicht werden. Spezifische Ansätze im Rahmen der Ergo- und Physiotherapie definieren spezifische alltagsrelevante Ziele mit dem Kind, planen konkrete Teilschritte und üben diese dann systematisch. Da das Training spezifischer Aufgaben, häufig genau in einem Bereich, wo das Kind besondere Schwächen zeigt, frustrierend sein kann, muss immer ressourcenorientiert und mit realistischen Zielvorgaben vorgegangen werden. Eine Bewertung der Teilziele z. B. im Sinne eines Global Assessment Scalings (von -2 = „keine Veränderung oder Verschlechterung“ bis 0 = „Ziel erreicht“ bzw. bis +2 = „Ziel übererfüllt“) ist sinnvoll. Es sollten möglichst nicht mehr als drei Ziele definiert und angegangen werden. Eine Bewertung der Wichtigkeit der Therapieziele durch den Patienten bzw. die Eltern und schließlich eine Bewertung der Patientenzufriedenheit zum Ende der Intervention erscheint empfehlenswert. Ein solches patientenorientiertes Vorgehen setzt eine große Erfahrung und Kreativität des Therapeuten voraus, da individuell immer wieder 12.4 Umschriebene motorische Entwicklungsstörungen 12 Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. den Pädagogen gelingt, sich weniger auf die Defizite als auf die vorhandenen Fähigkeiten zu konzentrieren und wenn der Lebensstil der Familie viele Möglichkeiten bietet, Bewegungserfahrungen zu erwerben, kann auf eine formale Therapie, v. a. bei Störungen der Großmotorik, verzichtet werden. Die Teilnahme an Sport- und Spielgruppen kann hier bei guter Motivation ausreichend sein. 171 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Medikamentöse Therapie Eine isolierte Teilleistungsstörung der Motorik ist i. d. R. nichtmedikamentös zu behandeln. Allerdings gibt es Hinweise, dass bei gleichzeitigem Vorliegen einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung Stimulanzien eine günstige Wirkung auf die Motorik haben (Flapper et al. 2006). Eine günstige Wirkung von Omega-3-Fettsäuren z. B. auf die Schulleistungen bei Kindern mit motorischen Teilleistungsstörungen wird diskutiert und als nebenwirkungsarme Behandlungsergänzung teilweise sogar empfohlen (Richardson 2006). Ansonsten haben zentralnervös wirksame Medikamente (Neuroleptika, Antiepileptika) häufig negative Wirkungen auf feinmotorische Leistungen. Umfeldbezogene Maßnahmen Da die Störungen der Motorik, v. a. der Finger-Hand-Motorik, erhebliche soziale Konsequenzen und v. a. schulische Folgen nach sich ziehen, ist die Schule aktiv in den therapeutischen Prozess und die Evaluation der Maßnahmen einzubeziehen. Zeitzuschläge sollten attestiert werden, können allerdings im Gegensatz zur Lese-Rechtschreib-Störung nur sehr begrenzt tatsächlich in der Schule berücksichtigt werden, da von amtlicher Seite die entsprechenden Vorgaben fehlen. Bei schweren motorischen Schreibstörungen muss eine Spezialbeschulung erwogen werden. Infrage kommen Montessori-Schulen, heilpädagogisch orientierte Schulen bzw. spezielle Privatschulen, die mit individuellen Lehr- und Lernplänen und -methoden die behinderten Kinder spezifisch fördern. & Prognose Psychosoziale Folgen von motorischen Teilleistungsstörungen sind häufig (Chen u. Cohn 2003). Gillberg und Kadesjo (2003) weisen darauf hin, dass das Problem der feinmotorischen Entwicklungsstörung durch die häufige Komorbidität (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, autistische Störungen) gerade von kinderpsychiatrischer Seite erhebliche Relevanz erhält. Ungünstigere Langzeitprognosen von Kindern z. B. mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung und motorischen Störungen vs. ohne motorische Störungen werden beschrieben (Rasmussen u. Gillberg 2000). Häufig gestellte Fragen mit Antworten Psychotherapie Psychotherapeutische Maßnahmen spielen bei der Behandlung der Komorbiditäten der motorischen Teilleistungsstörungen eine wichtige Rolle. Diese müssen v. a. auf die häufig vorhandene Selbstwertproblematik und Misserfolgsorientierung der Kinder abzielen. Ansonsten sei in Bezug auf die Behandlung der Begleitstörungen (v. a. Emotionalstörungen, Störungen des Sozialverhaltens) auf die entsprechenden Kapitel in diesem Buch verwiesen. Eltern- und familienbezogene Maßnahmen Die Eltern bzw. die unmittelbare Umgebung sind von Anfang an in die Therapie einzubeziehen. Dies gilt v. a. für die Definition realistischer Ziele und das u. E. unumgängliche häusliche Üben und Umsetzen von Teilschritten. Darüber hinaus müssen die im Abschnitt „Psychotherapie“ dargelegten psychotherapeutischen Maßnahmen bei Komorbiditäten entsprechend in familienbezogene Maßnahmen eingebettet werden. 172 ? Sind die Teilleistungsstörungen der Motorik nur ein vorübergehendes Reifungsproblem? 씰씰 Nur zum Teil. Zumindest bei deutlichen Störungen muss von einer hohen Persistenz bis ins Erwachsenenalter ausgegangen werden, die die Berufswahl beeinflussen kann und einen Risikofaktor für die langfristige psychosoziale Entwicklung darstellt. ? Wie lange soll eine ergotherapeutische Behandlung rezeptiert werden? 씰씰 Eine längerfristige ergotherapeutische Behandlung sollte heute grundsätzlich nach eingehender Diagnostik und funktioneller Beschreibung (z. B. Tab. 12.12) erfolgen. Ein zielorientiertes Vorgehen sollte von ärztlicher Seite zunehmend eingefordert werden. Eine Dokumentation und Evaluation der therapeutischen Teilschritte sowie eine regelmäßige häusliche bzw. schulische Umsetzung der Maßnahmen („Hausaufgabenkalender“) sollten erfolgen. Mehrjährige unkontrollierte Therapien ohne klare Zielvorgaben und dokumentierte Teilzielerreichung sind nicht nur aus ökonomischer Sicht abzulehnen, sondern als unsinnig einzustufen. Heruntergeladen von: UZH Hauptbibliothek / Zentralbibliothek Zürich. Urheberrechtlich geschützt. 12 nach geeigneten Lösungen und Strategien gesucht werden muss. Dabei können Interventionen zur Motivierung auch aus dem Spektrum der Bottom-up-Strategien entnommen werden. Insbesondere bei jüngeren Kindern kann häufig nicht so spezifisch über längere Zeit gearbeitet werden. Hier müssen ständig Variationen eingebaut werden, u. U. auch zuerst bestimmte Voraussetzungen, wie z. B. Bewegungsmotivation, positive Einstellung zu bestimmten motorischen Aktivitäten, Konzentration und Fähigkeit zur Fokussierung erarbeitet werden. Gelegentlich müssen psychische „Blockaden“, Verweigerungsverhalten, auch auf der Basis von Hintergrundkonflikten, mithilfe von psychotherapeutischen Herangehensweisen angegangen werden (siehe Abschnitt „Psychotherapie“). 12 Umschriebene Entwicklungsstörungen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Remschmidt, H., F. Mattejat, A. Warnke: Therapie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen (ISBN 9783131436818) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart & & & & & Geuze RH, Jongmans MJ, Schoemaker MM, Smits-Engelsman BC. Clinical and research diagnostic criteria for developmental coordination disorder: a review and discussion. Human Movement Science. 2001; 20: 7–47; Gillberg C, Kadesjo B. Why bother about clumsiness? The implications of having developmental coordination disorder (DCD). Neural Plasticity. 2003; 10: 59–68; Mandich AD, Polatajko HJ, Macnab JJ, Miller LT. Treatment of children with Developmental Coordination Disorder: what is the evidence? Physical & Occupational Therapy in Pediatriatics. 2001; 20: 51–68; Rasmussen P, Gillberg C. Natural outcome of ADHD with developmental coordination disorder at age 22 years: a controlled, longitudinal, community-based study. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry. 2000; 39: 1424–1431; Leeds Consensus Conference zum Thema Developmental Coordination Disorder: http://www.dcd-uk.org/seminar1b.html. & Literatur (Weiterführende Literatur ist mit * gekennzeichnet) Barnhart RC, Davenport MJ, Epps SB, Nordquist VM. Developmental coordination disorder. Physical Therapy. 2003; 83: 722–731. Blank R. Erhebung von Alltagsfertigkeiten – Reliabilität eines Screeningfragebogens (Münchner ADL-Fragebogen – M-ADL). Klinische Pädiatrie. 2007; 219: 32–36. Case-Smith, J. The effects of tactile defensiveness and tactile discrimination on in-hand manipulation. 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