Nummer 31
FOCUS ASIEN
Schriftenreihe des Asienhauses
Osttimor am Scheideweg
Chaos oder Neuanfang?
Andre Borgerhoff, Manuel Schmitz (Hrsg.)
Asienhaus
Diese Ausgabe von Focus Asien wird herausgegeben vom Asienhaus in Kooperation mit der Deutschen
Osttimor-Gesellschaft, die für den Inhalt verantwortlich zeichnet.
Preis: 5,- €
Die Meinungen, die in den vom Asienhaus herausgegebenen Veröffentlichungen geäußert werden, geben
ausschließlich die Auffassung der Autoren wieder.
Erstellung und Druck dieser Publikation wurde gefördert von Aktion Mensch - dieGesellschafter.de.
© September 2008, Asienstiftung, Essen
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ISSN 1435-0459
ISBN 978-3-933341-40-2
Osttimor am Scheideweg
Chaos oder Neuanfang?
Andre Borgerhoff, Manuel Schmitz (Hrsg.)
5
Inhalt
Einleitung ........................................................................................................................................ 7
Andre Borgerhoff, Manuel Schmitz
AKTUELLE ENTWICKLUNGEN IN OSTTIMOR
Politisches System, Parteien und Wahlen in Osttimor.................................................................. 14
Jakob Lempp
“Unidade, paz, no Justicia“ – Zur aktuellen Lage und den gesellschaftspolitischen und sozialen
Auswirkungen der Krise .............................................................................................................. 19
Monika Schlicher
Firaku und Kaladi – Zwei osttimoresische Identitätskonzepte unter der Lupe............................ 24
Vanessa Prüller
Notizen zur Gewalt in Osttimor .................................................................................................... 27
Henri Myrtinnen
Beobachtungen in einem osttimoresischen Bergdorf während der Präsidentschafts- und
Parlamentswahlen 2007 ................................................................................................................ 31
Judith Bovensiepen
INTERNATIONALES ENGAGEMENT FÜR OSTTIMOR
Die Schwerpunkte der außen- und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit zwischen der
Europäischen Kommission und Timor-Leste .............................................................................. 36
Achim Tillessen
Lessons Learned – Europäer in Osttimor ..................................................................................... 40
Alexander Loch
Do Transitional Administrations Fail? Kosovo and East Timor in Comparison.......................... 44
Daniella Cristova Schmitt
Die Deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Timor-Leste .................................................... 47
Interview von Manuel Schmitz mit Volker Sowade (BMZ)
Osttimor in den Deutschen Medien .............................................................................................. 49
Marco Bertolaso
BIBLIOGRAPHIE .............................................................................................................................. 53
GLOSSAR........................................................................................................................................ 56
AUTORENVERZEICHNIS .................................................................................................................. 58
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Demokratische Republik Timor-Leste
Fakten und Zahlen
Gebiet: 14.870 km²
Einwohner: 1,03 Mio. (2006)
Hauptstadt: Dili (ca. 200.000 Einwohner)
Religion: Römisch-katholisch (95%)
Sprachen: Portugiesisch und Tetum (offiziell);
Indonesisch und Englisch (Arbeitssprachen)
Unabhängigkeit: 20. Mai 2002
Regierungsform: Parlament.-demokr. Republik
Bruttonationaleinkommen: pro Kopf pro Jahr:
840 US$ (2006)
Hauptexporte: Öl, Gas, Kaffee
Darstellung Andre Borgerhoff und Manuel Schmitz.
Quellen: BMZ, Timor-Leste 2007, http://www.bmz.de; CIA, The World Factbook 2008, Timor-Leste,
http://www.odci.gov/cia/publications/factbook/index.html, 20.08.2008.
Focus Asien Nr. 31
„Osttimor am Scheideweg“
7
Einleitung
Andre Borgerhoff, Manuel Schmitz
Im Juni 2006 erschien unter der Herausgeberschaft
von Andrea Fleschenberg mit Osttimor – Vier Jahre
Unabhängigkeit: Soziale, politische und wirtschaftliche
Entwicklungen der erste Sammelband zu Osttimor in
der Focus Asien Reihe des Asienhauses. Er enthält
die Beiträge eines Workshops1, den die Deutsche
Osttimor Gesellschaft (DOTG) e.V., Watch Indonesia! e.V. und die Asienstiftung im Februar desselben
Jahres in Köln organisiert hatten.
Das Feedback auf diese Publikation war so positiv, dass für uns als Veranstalter die Herausgabe
eines weiteren Bands zwei Jahre später nach einem
Osttimor-Workshop2 am 9.-10. Februar 2008
feststand. Er trägt den Namen der Veranstaltung:
Osttimor am Scheideweg: Chaos oder Neuanfang? Wie
sicherlich sofort auffällt, prägen Skepsis und eine
gehörige Portion Ernüchterung diesen Titel. Das
Rad der Geschichte hat sich seit 2006 weitergedreht
und das nicht immer zum Vorteil des Landes. Keiner der TeilnehmerInnen konnte jedoch ahnen, dass
sich die Frage Chaos oder Neuanfang? am 11. Februar
2008, einen Tag nach Abschluss des Workshops in
Köln, bei den versuchten Attentaten auf Präsident
José Ramos-Horta und Premierminister Kay Rala
Xanana Gusmão so konkretisieren würde.
Enttäuschte Hoffnungen
Als Osttimor nach Jahrhunderten kolonialer
Fremdherrschaft im Mai 2002 seine Unabhängigkeit
erlangte, waren die Hoffnungen zunächst groß. Das
kleine, auf einer Insel fernab des Weltgeschehens
lebende Volk hatte sich gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner durchgesetzt. Indonesien
hatte die ehemalige portugiesische Kolonie von
1975 bis 1999 völkerrechtswidrig besetzt. Über viele
Jahre hinweg war Osttimor von der Weltgemeinschaft weitgehend vergessen, militärisch geschlagen
und diplomatisch isoliert. Die Osttimoresen hielten
jedoch an ihrem gemeinsamen Streben nach Selbst„Osttimor auf dem Weg zu nachhaltiger Unabhängigkeit,“ 4.-5. Februar 2006, Köln.
2 An dem Workshop Osttimor am Scheideweg: Chaos oder
Neuanfang? (9.-10. Februar 2008 in Köln) nahmen rund 40
Studierende, WissenschaftlerInnen, ForscherInnen, JournalistInnen, Aktivisten und PraktikerInnen aus der (nicht)
staatlichen Entwicklungszusammenarbeit teil. Die Veranstaltung wurde gefördert von der Aktion Mensch – Die
Gesellschafter.
1
Focus Asien Nr. 31
bestimmung fest. Der Preis, denn sie dafür zahlten, war hoch: Indonesische Sicherheitskräfte
versuchten mit äußerster Härte, den Widerstandswillen der Osttimoresen zu brechen. Laut
Bericht der Kommission für Empfang, Wahrheit
und Versöhnung (CAVR, Chega! S. 44) starben
aufgrund der indonesischen Besatzung mindestens 102.800 (+/- 12.000) Menschen. Zehntausende wurden Opfer massiver Menschenrechtsverletzungen.
Vom Musterknaben zum Sorgenkind
Es glich daher einem Sieg Davids gegen Goliath,
als sich die Menschen Osttimors 1999 in einem
Volksentscheid mit überwältigender Mehrheit
(78,5%) von Indonesien lossagten und das Land
nach der Übergangsverwaltung der Vereinten
Nationen in Osttimor (UNTAET) im Jahr 2002
seine Souveränität erlangte. Bei oberflächlicher
Betrachtung schien das glückliche Ende einer
langen Tragödie erreicht. Entsprechend groß
waren die Erwartungen in Osttimor und auch in
der internationalen Gemeinschaft. Wohl mahnten einige Stimmen, dass der Aufbau eines
funktionierenden Staatswesens angesichts der
beinahe völligen Zerstörung der Infrastruktur,
des niedrigen Entwicklungsstandes und einer
traumatisierten Bevölkerung schwierig und
langwierig werde. Doch überwog die Hoffnung,
dass die „jüngste Demokratie Asiens“ die Herausforderungen meistern werde. Osttimor (oder
Timor-Leste, wie es nun offiziell heißt) wurde
das gefeierte Model für das nation-building der
internationalen Staatengemeinschaft und Zivilgesellschaft.
Übersehen wurde dabei, dass schon in den
ersten Jahren der Unabhängigkeit kleinere Krisen das Land erschütterten. Im Jahr 2002 eskalierte erstmals eine größere Demonstration in
der Hauptstadt Dili, getragen vom Missmut der
Massen über die schlechte Lage des Landes.
Drei Jahre später wagten die christlichen Kirchen die Machtprobe mit der Regierung und
hielten das Land wochenlang in Atem. Institutionell ächzte über die gesamte Zeit der ohnehin
fragile Sicherheitssektor unter den Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Militär.
Trotz dieser Warnzeichen glaubte die internati-
„Osttimor am Scheideweg“
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onale Gemeinschaft zu der Zeit, ihr Engagement zu
verringern und die Mission der Vereinten Nationen
(VN) vor Ort möglichst zügig beenden zu können.
Doch dann versank Osttimor im Frühjahr und
Sommer 2006 in Chaos und Gewalt. Plötzlich war
aus dem Musterknaben der internationalen Gemeinschaft ein Problemkind geworden. Beobachter
fragten besorgt, ob dem Land das Schicksal eines
failed state, eines gescheiterten Staates, drohe. Was
war geschehen?
Die Krise 2006
Die Krise 2006 nahm ihren Anfang in den Sicherheitsinstitutionen des jungen Staates. Am 8. Februar
traten rund 400 Soldaten der 1.400 Mann zählenden
FALINTIL-FDTL, der nationalen Armee Osttimors,
in den Streik. Ihre Zahl wuchs in der Folge auf 595
an. Die Streikenden stammten zum Großteil aus den
westlichen Distrikten (Loro Munu) Osttimors. Sie
hatten sich vorher mit einer Petition (weshalb sie als
petitioners bekannt wurden) an die Regierung gewandt, in der sie ihre schlechten Arbeitsbedingungen beklagten. Darüber hinaus fühlten sie sich von
ihren Kameraden aus dem Osten (Loro Sa’e) vielfach
(wie z.B. bei Beförderungen) übervorteilt. Ihre Aktivitäten koordinierte Leutnant Gastão Salsinha. Präsident Gusmão bat den Streikenden eine Untersuchung der Umstände an, konnte sie aber nicht zur
Wiederaufnahme des Dienstes bewegen. Mitte
März veranlasste daher Brigadegeneral Taur Matan
Ruak die Entlassung der Streikenden.
Nach einer Reihe von Demonstrationen kam es
am 28. April bei einer Kundgebung in Dili zu den
schwersten Ausschreitungen seit 1999. Gewaltbereite junge Erwachsene, eine kritisch von Arbeits- und
Perspektivlosigkeit betroffene Gruppe, mischten
sich unter die demonstrierenden Soldaten. Hauptziel der Angriffe war der Regierungspalast mit
Amtssitz des Premier- und Außenministers. Weder
Militär noch Polizei gelang es, eine Ausbreitung der
Unruhen auf die gesamte Stadt zu verhindern. Tausende flohen aus Dili in das bergige Umland und
die Distrikte, ein Reflex der Menschen in Krisensituationen seit der indonesischen Besatzung. Ende
Mai 2006 eskalierte die Lage erneut. In Dili bekämpften sich ehemalige Soldaten und regierungstreue Truppen, Teile der Polizei und der Armee
sowie Loro Munu und Loro Sa’e Stadtviertel. Die
öffentliche Ordnung brach zusammen. 150.000
Menschen flüchteten aus Dili. Tausende Häuser
und öffentliche Gebäude wurden angezündet. Mindestens 37 Menschen kamen ums Leben. Die junge
Nation schlitterte an den Rand eines Bürgerkrieges
und die Regierung sah sich gezwungen, um inter-
Focus Asien Nr. 31
nationale Hilfe zu bitten. Einer internationalen
Stabilisierungstruppe (ISF) unter australischer
Führung gelang es letztlich das Land zu stabilisieren.
Der Staat erlitt in der Krise einen enormen
Vertrauensverlust bei den Menschen. Besonders
fiel die immense Dynamik, mit der Fluchtbewegungen einsetzten, auf. Gerüchte trugen über
die real existierenden Störungen hinaus massiv
zur öffentlichen Verunsicherung bei. Auch
wurde sehr deutlich, dass die regionale Unterscheidung zwischen Loro Sa’e (oder auch Firaku)
und Loro Munu (Kaladi) hier politisch wieder
belebt und instrumentalisiert worden war, wobei bis heute undeutlich bleibt, von wem und
mit welchem Ziel. Sie hat sich jedoch auf sämtliche Bereiche des Lebens ausgedehnt. Gerade in
einem melting pot wie Dili, wo Osttimoresen
unterschiedlichster Herkunft leben, haben sich
die Beziehungen zwischen den Menschen aus
dem Osten und dem Westen rapide verschlechtert. Heute sind Begriffe wie Loro Sa’e/Firaku
und Loro Munu/Kaladi in der Berichterstattung
und Diskussion über Osttimor nicht mehr wegzudenken. Vanessa Prüller nimmt in diesem
Sammelband diese zwei Identitätskonzepte
„unter die Lupe“. Sie erklärt ihre Entstehung
und Hintergründe und fragt, welche Rolle diese
Konzepte für den Konflikt 2006 gespielt haben.
Ein Land im Ausnahmezustand
Der internationalen Schutztruppe gelang es
zwar einen Bürgerkrieg zu verhindern, doch die
Konflikte zwischen Armee und Polizei, zwischen petitioners und Regierung sowie zwischen
Nachbarn aus Ost und West schwelten in den
nächsten Monaten weiter. So kam es immer
wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen
in Dilis Stadtteilen und das vor allem zwischen
Banden junger Männer, organisiert in so genannten Martial Arts Groups. Bei diesen Kämpfen waren auch Tote zu beklagen. Die internationale Polizei (UNPOL) und die ISF, die zeitweise alleine für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verantwortlich
waren, taten sich schwer, dieser Gewalt Einhalt
zu bieten. Der Artikel von Henri Myrtinnen in
diesem Sammelband zum Gewaltphänomen in
Osttimor gibt Hinweise zu den Gründen. Vor
allem zeigen Myrtinnens „Notizen zur Gewalt“,
dass es sich um komplexes Phänomen handelt,
welches sich einfachen Antworten entzieht.
Das zweite Halbjahr 2006 und die ersten
Monate des Jahres 2007 blieb das Land im Aus-
„Osttimor am Scheideweg“
9
nahmezustand. Viele der Flüchtlinge blieben in den
Flüchtlingslagern, trauten sich nicht in ihre Häuser,
so sie denn nicht zerstört waren, zurückzukehren.
Doch nicht nur die Vertriebenen blickten sorgenvoll
und verunsichert in die Zukunft. Die Krise hatte die
gesamte Gesellschaft tief erschüttert.
Wahlen 2007
Vor diesem Hintergrund fanden am 9. April und 9.
Mai die erste und zweite Runde der Präsidentschaftswahlen sowie am 30. Juni 2007 die Parlamentswahlen in Osttimor statt. Auf Drängen von
Ramos-Horta und Gusmão war Premierminister
Marí Bin Amude Alkatiri von der FRETILIN-Partei
bereits im Juni 2006 zurückgetreten. Eine
FRETILIN-Übergangsregierung, angeführt durch
den parteilosen Ramos-Horta, hatte seitdem das
Land gelenkt. Ramos-Horta konnte sich in der zweiten Runde gegen den Kandidaten der FRETILIN,
Francisco Lu-Olo Guterres durchsetzen. Auch bei
den Parlamentswahlen Ende Juni erlitt die bisher
dominierende FRETILIN empfindliche Verluste.
Neuer Chef der „Allianz der Parlamentarischen
Mehrheit“ (AMP) wurde Gusmão. Die FRETILIN,
die zwar erneut als stärkste Fraktion ins Parlament
eingezogen ist, aber nicht Teil der AMP ist, fügt sich
ihrer neuen Oppositionsrolle nur widerwillig. Der
Artikel von Jakob Lempp in diesem Band zeigt
Ablauf, Ergebnisse und mögliche Konsequenzen für
das politische System Osttimors auf.
Im Vorfeld der Wahlen hatten viele Beobachter
gewarnt, der Urnengang könne zu einem erneuten
Aufflammen der Gewalt führen. Die schlimmsten
Befürchtungen bewahrheiteten sich jedoch nicht.
Ausschreitungen wie 2006 und ein erneutes Abgleiten in Chaos und Anarchie blieben aus. Dennoch
fanden die Abstimmungen in einem Klima der
Angst und Verunsicherung statt. Dies verdeutlichen
sehr anschaulich Judith Bovensiepens Beobachtungen in dem osttimoresischen Bergdorf Funar während der Wahlen 2007. Zu dieser Atmosphäre der
Angst hat die politische Elite Osttimors nicht unwesentlich beigetragen, so argumentiert Monika Schlicher in ihrem Beitrag. Die Politiker des Landes –
und dies gilt über Parteigrenzen hinaus – würden
zu wenig das Gemeinwohl und zu sehr ihre eigenen
Machtinteressen verfolgen, wobei sie bei der Wahl
der Mittel wenig Zurückhaltung an den Tag legten.
Dabei nähmen sie in Kauf, dass der Ausnahmezustand „ein Stück weit zur Normalität geworden“
sei.
Focus Asien Nr. 31
Die neue Regierung
Die Planungen für den Workshop Osttimor am
Scheideweg: Chaos oder Neuanfang? begannen im
Herbst 2007 zu einem Zeitpunkt, als die AMPRegierung die Amtsgeschäfte übernahm und
die FRETILIN einen entschlossenen Konfrontationskurs gegen sie steuerte. Hierzu gehörte,
dass sie die neue Administration als „nicht verfassungsgemäß“ denunzierte. Auch als Folge
dessen kam es in mehreren Städten zu politischen Unruhen. Nach der Vereidigung Gusmãos zum Premier zündeten gewalttätige Sympathisanten der FRETILIN bei schweren Ausschreitungen in Baucau und Viqueque mehr als
hundert Häuser an, darunter Gebäude der Regierung, internationaler Hilfsorganisationen,
Privathäuser und das Gericht. Am 11. August
2007 griffen sie einen Konvoi der VN an.
FRETILIN boykottierte das Parlament für
einige Tage, nachdem die Partei sich als stärkste
Fraktion nicht an der Regierungsbildung
beteiligen konnte. Ihr Generalsekretär, der
ehemalige Premierminister Alkatiri, ließ Anfang
August einige Zeit verstreichen, bis er letztlich
seine Partei auf die Oppositionsrolle einschwor
und auch seine Anhänger im Land zur
Friedfertigkeit aufrief. Nichtsdestotrotz ist er bei
seiner Auffassung geblieben, dass die
Regierung
illegitim
und
nicht
verfassungsgemäß ist.
Von Normalität war Osttimor zu der Zeit
also weit entfernt und es stellte sich die Frage,
in welche Richtung sich das Land nun entwickeln würde. Offensichtlich stand die junge
Nation an einem Scheideweg. Die Frage Chaos
oder Neuanfang entscheidet sich jedoch nicht
allein aus dem Versagen der politischen Elite
und dem historischen Ballast einer konfliktträchtigen nationalen Geschichte, sondern auch
über die weitere internationale Unterstützung
für Osttimor. Trotz seiner Öl- und Gasvorkommen benötigt das Land aufgrund der alarmierenden sozioökonomischen Lage weiterhin
massive Aufbauhilfe.
Entwicklung und Armut
Osttimor gehört zu den am geringsten entwickelten Ländern (LDC) der Welt. Die Arbeitslosigkeit beträgt laut Schätzungen der Weltbank
20% in ländlichen und 40% in urbanen Räumen
(z.B. Dili). Hiervon ist besonders die Gruppe der
jungen Erwachsenen betroffen. Mangelnde
„Osttimor am Scheideweg“
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Zukunftsperspektiven schüren das Konfliktpotenzial.
Osttimors Ölreserven können jedoch der
Schlüssel zu seinem zukünftigen Wohlstand sein.
Aufgrund negativer Erfahrungen anderer ressourcenreicher Länder mit Korruption und Misswirtschaft legt Osttimor seine Gewinne in einem Petroleumfonds nach norwegischem Vorbild an. Dieser
enthielt nach Angaben der Weltbank am 30. Juni
2007 1,4 Milliarden US$ und wächst monatlich um
rund 100 Millionen US$. Zurzeit stehen dem staatlichen Budget somit zusätzliche jährliche Einkünfte
von 300 Millionen US$ zur Verfügung.
Die hier diskutierten Krisen zogen jedoch enorme Rückschläge für die wirtschaftliche Entwicklung
des Landes nach sich: negatives Wachstum, hohe
Inflation (17% im Februar 2007, zurück auf 6,4% im
Juni), massive Verunsicherung privater Investoren
(z.B. Einbruch der Kaffeeproduktion um 20%), fehlende Funktionsfähigkeit des Staats (z.B. der
Kollaps des Sicherheitssektors oder die Probleme
der Regierung, mehr als 60% des Staatsbudgets
umzusetzen). Einzig die Offshore Aktivitäten im Ölund Gassektor blieben von den politischen und
gesellschaftlichen Ereignissen unbeeinträchtigt
(IWF, Weltbank). Hinsichtlich der wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen ist bei der neuen Regierung
mit einer stärkeren Nutzung der Einnahmen aus
dem Petroleumsfonds z.B. für den Ausbau der Infrastruktur zu rechnen. Besitz- und Eigentumsansprüche bedürfen einer dringenden Klärung, letztlich auch zur Bewältigung des Flüchtlingsproblems.
Internationale Verantwortung
Bis Osttimor in der Lage sein wird, auf eigenen
Beinen zu stehen, benötigt es weiterhin die Hilfe der
internationalen Staaten- und Zivilgesellschaft. Es ist
zu hoffen, dass auch die Geber aus der Krise gelernt
haben. Zu früh war Osttimor als Paradebeispiel
erfolgreichen nation-buildings gefeiert worden und
zu früh wurden die Missionen der VN verkleinert.
Die Krise war ein Warnschuss. Der Aufbau eines
funktionierenden Staatswesens bedarf der Zeit und
des langfristigen Engagements, denn kurzfristiger
internationaler Aktionismus kann nicht zu einer
nachhaltigen Unabhängigkeit führen. Dies gilt nicht
nur für Osttimor, wie Daniella Christova Schmitt in
ihrer vergleichenden Analyse der VN-Missionen in
Kosovo und Osttimor deutlich macht.
Wie sich internationales Engagement konkret
gestaltet, ist Thema von zwei Beiträgen in diesem
Sammelband: Achim Tillessen von der Generaldirektion Entwicklung der Europäischen Kommission
stellt die Tätigkeiten der Europäischen Union vor,
Focus Asien Nr. 31
und ein Interview mit Volker Sowade vom Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung behandelt das Engagement der Bundesrepublik. Den Interaktionen
zwischen Europäern und Osttimoresen widmet
sich der Beitrag von Alexander Loch.
Europa ist, das zeigen diese Beiträge, wichtig für Osttimor. Doch von Europa aus betrachtet erscheint das Land klein und fern. Entsprechend gering ist die Aufmerksamkeit, die der
südostasiatische Staat in der deutschen Öffentlichkeit erfährt, wie Marco Bertolaso vom
Deutschlandfunk zum Thema „Osttimor in
deutschen Medien“ ausführt. Nur in Ausnahmefällen wird in deutschen und europäischen
Medien über das Land berichtet, so über die
Anschläge auf Ramos-Horta und Gusmão im
Februar 2008.
Die Attentate und der Fall Reinado
Am Morgen des 11. Februars 2008 kam es vor
dem Haus von Staatspräsident Ramos-Horta zu
einem Feuergefecht zwischen Rebellen und
seinen Sicherheitsleuten. Knapp zwei Stunden
später misslang den Angreifern ein weiterer
Anschlagsversuch auf Premierminister Xanana
Gusmão. Während Gusmão den Angriff unverletzt überstand, erlitt Ramos-Horta schwere
Schussverletzungen und musste nach Australien ausgeflogen werden. Der Anführer der
Rebellen, der ehemalige Major der Militärpolizei Alfredo Alves Reinado, starb beim Schusswechsel vor dem Anwesen des Präsidenten.
Seit Reinado im Mai 2006 zusammen mit
zwanzig Getreuen desertiert war und sich mit
den petitioners solidarisch erklärt hatte, war er
eines der drängensten Sicherheitsprobleme
Osttimors. Ein Feuergefecht zwischen Reinados
Männern und Regierungssoldaten, das mehrere
Tote zur Folge hatte, bildete den Auftakt für die
Eskalation der Gewalt Ende Mai 2006. Bereits
im Juli 2006 war Reinado deshalb verhaftet
worden. Die Anklage lautete u.a. auf Mord.
Nachdem ihm und über 50 weiteren Häftlingen
Ende August 2006 die Flucht aus dem Gefängnis gelungen war, erlangte er bei Teilen der
Bevölkerung den Status eines „Robin Hood“,
der versteckt in den Bergen für die Interessen
der Unzufriedenen und Vergessenen kämpft.
Reinado wurde zur romantisch verklärten Symbolfigur, der insbesondere unter der Loro Munu
Jugend viele Sympathien genoss.
Reinados Motive für die Anschläge bleiben
bis heute rätselhaft. Ramos-Horta und Gusmão
„Osttimor am Scheideweg“
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waren ihm nicht zwangsläufig feindlich gesinnt,
denn die Aktivitäten des Rebellen zeichneten sich in
den vergangenen Jahren besonders durch Attacken
gegen die ehemalige FRETILIN Regierung aus.
Damit genoss er einen gewissen Rückhalt bei Ramos-Horta und Gusmão, von denen besonders
letzterer ein schwieriges Verhältnis zur FRETILIN
pflegt. Seit Mitte 2007 hatte die Regierung auf Ramos-Hortas Initiative hin die Suche nach Reinado
sogar offiziell eingestellt. Ramos-Horta und Gusmão forderten Reinado auf, sich freiwillig zu stellen. Immer wieder fanden auch hochrangige Dialoge der Regierung mit dem Rebellenchef statt, der
sich weiterhin formell unter die Autorität Gusmãos
stellte. Reinado schien sich damit abgefunden zu
haben, dass es ein Gerichtsverfahren gegen ihn
geben werde, unter anderem wegen mehrfachen
Mordes. Reinados Motivationen für sein Handeln
sind in der Vergangenheit nie besonders deutlich
geworden. Meist verwies er in Interviews auf rhetorische Allgemeinplätze wie für das Volk zu kämpfen.
Dies ist bis zum Ende so geblieben. Fakt ist, dass die
Anschläge wohl eine gravierende Eskalation des
seit 2006 andauernden Konflikts darstellten. Gleichzeitig markierten sie aber mit dem Tod Reinados
das Ende einer der größten Sicherheitsbedrohungen
für das heutige Osttimor. Dies gibt Anlass zur
Hoffnung, dass sich die politische Stabilität des
Landes nunmehr konsolidiert.
Hoffnungszeichen
Die Initiativen zur Behebung der Schäden aus 2006
haben in den letzten Monaten deutlich zugenommen. Die Regierung, die Integrierte Mission der
Vereinten Nationen (UNMIT), die ISF und UNPOL
haben die Sicherheit wiederhergestellt. Ausbrüche
von Gewalt bekommen sie relativ schnell unter
Kontrolle. Der Sicherheitssektor wird umfassend
reformiert, insbesondere die nationale Polizei
(PNTL). Das Parlament hat sich mit den Empfehlungen einer VN-Untersuchungskommission zur
Krise befasst und teilweise umgesetzt.
Geblieben ist das Flüchtlingsproblem. Viele der
Flüchtlinge haben sich in den Lagern permanent
eingerichtet und trauen sich nicht in ihre Häuser
zurückzukehren. Doch nicht nur die Vertriebenen
blicken sorgenvoll und verunsichert in die Zukunft.
Die Krise hat die gesamte Gesellschaft tief erschüttert. Die Regierung will mit dem 'Simu Malu' Plan
das Flüchtlingsproblem vorrangig lösen. Weiterhin
leben Tausende interne Flüchtlinge (IDPs) in Notunterkünften, davon ein Großteil in Dili. Staatliche
und zivilgesellschaftliche Versöhnungsinitiativen
bringen die Menschen auf allen Ebenen zum Dialog
Focus Asien Nr. 31
zusammen. Infrastrukturmaßnahmen
zeitweilig Arbeitsplätze schaffen.
sollen
Fazit
Die letzten zwei Jahre waren eine schwierige
Zeit für Osttimor und damit hat sich auch die
Wahrnehmung des Landes verändert. Die Hoffnungen, das Land werde wie ein Phönix aus der
Asche steigen, haben sich nicht bewahrheitet,
doch genauso falsch wäre es nun, Osttimor als
failed state abzustempeln. Es ist – einfach gesprochen – eine junge Nation mit vielen Problemen aber auch mit viel Potenzial. Die Beiträge
in diesem Sammelband belegen dies ausführlich. Der Reader ergibt so ein differenziertes
Bild der heutigen Situation jenseits von Schönfärberei oder Untergangsrhetorik. Wenn es
jedoch eines aus der Geschichte des Unabhängigkeitskampfes zu lernen gibt, dann dies: Osttimor hat schon einmal das Unmögliche geschafft und das gegen alle Widerstände. Es gibt
Anlass zur Hoffnung, dass dies noch einmal
geschieht.
Andre Borgerhoff und Manuel Schmitz
Köln/Brüssel im September 2008
Die initiierenden Organisationen im
Kurzprofil
Die Deutsche Osttimor Gesellschaft (DOTG)
e.V. wurde im März 2003 als gemeinnütziger,
konfessionsloser und überparteilicher Arbeitskreis mit Sitz in Köln gegründet. Der Verein will
die deutsch-osttimoresischen Beziehungen aktiv
gestalten und begleitet das junge Land auf seinem schwierigen Weg zu Demokratie, Zivilgesellschaft und nachhaltiger Entwicklung. Durch
ihre Öffentlichkeitsarbeit in Form regelmäßiger
Newsletter, Vorträge, Workshops und der Internetseite
http://www.osttimor.de
sowie
durch eigene Entwicklungsprojekte, Lobbyarbeit und die Betreuung osttimoresischer Gäste
in Deutschland leistet die DOTG hierzu ihren
Beitrag. Ihre Mitglieder aus Deutschland und
Osttimor umfassen WissenschaftlerInnen, JournalistInnen, PraktikerInnen der Entwicklungszusammenarbeit, MenschenrechtsaktivistInnen
und weitere Interessierte.
Watch Indonesia!, gegründet 1991, setzt sich für
Menschenrechte, Demokratie und Umweltschutz in Indonesien und Osttimor ein. Die
„Osttimor am Scheideweg“
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Organisation sieht sich als Botschafterin der indonesischen und osttimoresischen Zivilgesellschaft,
deren Anliegen sie durch Informations- und Lobbyarbeit an Öffentlichkeit und Politik heranträgt. Weitere Infos unter: http://www.watchindonesia.org
Die im Asienhaus zusammengeschlossenen Organisationen
(Asienstiftung,
das
KoreaKommunikations- und Forschungszentrum, das
Focus Asien Nr. 31
Philippinenbüro und die Südostasien Informationsstelle) und Projekte wie die Burma und
China-Arbeit wollen dazu beitragen, ein differenziertes Bild der Länder und Kulturen Asiens
zu vermitteln und den Prozess des interkulturellen Dialogs im Interesse von Frieden und
sozialer Gerechtigkeit auf allen Ebenen voranzutreiben.
Weitere
Infos
unter:
http://www.asienhaus.de.
„Osttimor am Scheideweg“
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AKTUELLE ENTWICKLUNGEN IN OSTTIMOR
Focus Asien Nr. 31
„Osttimor am Scheideweg“
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Politisches System, Parteien und Wahlen in Osttimor
Jakob Lempp
„Die Demokratie in unserem Land ist noch jung, die
Menschen reagieren ängstlich auf Geschehnisse“ (José Ramos-Horta, Präsident der Demokratischen Republik Timor-Leste).
Einführung
Seit seiner Unabhängigkeit ist Osttimor ein fragiler
Staat. Weder die Stabilität des Landes noch die
praktische Funktionsfähigkeit seiner politischen
Institutionen sind bislang so gefestigt, dass Staatszerfallsprozesse und ein Rückfall in den Bürgerkrieg ausgeschlossen werden können. Die Revolte
eines Teils der osttimoresischen Armee unter Alfredo Reinado, die Unruhen im Anschluss an die Wahlen zur Nationalversammlung im Sommer 2007 und
die Attentate auf Premierminister Xanana Gusmão
und Präsident José Ramos-Horta im Februar 2008
führten sowohl der Bevölkerung des Landes als
auch der internationalen Staatengemeinschaft einmal mehr die Schwäche der Staatlichkeit in der
jungen Demokratie vor Augen. Nach wie vor ist
Osttimor auf die Präsenz internationaler Polizeikontingente – derzeit etwa im Rahmen der UNMIT
(United Nations Integrated Mission in Timor-Leste)
– angewiesen.
Sicherlich sind die Faktoren, welche die Krisen
des Landes auslösten, vielfältig und großteils außerhalb des formalen Verfassungsaufbaus und der
Funktionsweise der staatlichen Institutionen zu
verorten: Von der prekären wirtschaftlichen und
sozialen Situation, von der nach wie vor ungeklärten Frage nach dem Umgang mit den Traumatisierungen der Vergangenheit und von der Sprengkraft, die von den aufbrechenden ethnischen und
kulturellen Konfliktlinien ausgeht, hängen Erfolg
und Misserfolg des Stabilisierungs- und Demokratisierungsprozesses ab. Dass daneben aber auch der
Aufbau des politischen Systems, die Funktionsweise der wichtigsten staatlichen Organe des Landes,
die Konsolidierung des Parteiensystems und der
Ablauf und die Akzeptanz demokratischer Wahlen
eine entscheidende Rolle spielen, ist unumstritten.
Daher werden im Folgenden sowohl das politische
System und seine Funktionsweise als auch die Entwicklungen seines Wahl- und Parteiensystems näher beleuchtet.
Focus Asien Nr. 31
Das politische System
Der Blick in die Verfassung Osttimors und in
die weiteren, das politische System des Landes
konstituierenden Rechtstexte, legt zunächst
einen sehr positiven Schluss nahe: Die verfassungsmäßige Grundordnung Osttimors wird
hier als freiheitlicher, demokratischer Verfassungsstaat mit einem umfassenden Grund- und
Bürgerrechtskatalog bestimmt. Das Prinzip der
repräsentativen Demokratie wird mit jenem
direktdemokratischer Elemente kombiniert, und
den Grundsätzen von Volkssouveränität, moderner Regierungsführung und den zu schützenden Freiheitsrechten des Einzelnen wird
Rechnung getragen. Und so wundert es auch
nicht, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger
im Laufe des Verfassungsgebungsprozesses in
öffentlichen Anhörungen eingebracht haben.
Die Verfassung wurde schließlich mit großer
Mehrheit angenommen und trat mit der Erlangung vollständiger Unabhängigkeit im Mai 2002
auch in Kraft. Käme die Verfassungswirklichkeit
des Landes dem Verfassungstext auch nur nahe,
bestünde kein Anlass zur Sorge. Allerdings
zeigen sich die wichtigsten Problembereiche
und staatspolitischen Herausforderungen weniger beim Blick in die Rechts- und Verfassungslage als vielmehr beim Blick auf das tatsächliche
Funktionieren der politischen Institutionen.
Beide Aspekte – die verfassungsmäßige Stellung
der Organe und Institutionen und deren tatsächliche Funktionsweise – müssen daher für
ein unverzerrtes Gesamtbild Berücksichtigung
finden.
Vorbild der osttimoresischen Verfassung
war Portugal mit seinem parlamentarischen
Regierungssystem und der gleichwohl verhältnismäßig starken Stellung des Präsidenten. Das
wichtigste Organ der Volksvertretung und Gesetzgebung in der osttimoresischen Demokratie
ist das Parlament: Die im Regelfall 65 Abgeordneten werden alle fünf Jahre in freien, geheimen
und gleichen Wahlen von der Bevölkerung
gewählt; lediglich in der ersten Nationalversammlung, die aus der im Sommer 2001 gewählten verfassungsgebenden Versammlung
hervorgegangen war, waren 88 Sitze vergeben
worden. Die Parlamentswahl ist eine Verhält„Osttimor am Scheideweg“
15
niswahl mit 3%-Hürde, d.h. die Bevölkerungspräferenzen werden bis auf Kleinstparteien proportional
im Parlament abgebildet. Für die Parteilisten gilt
eine 25%-Quote für weibliche Kandidatinnen. Die
zentralen Funktionen des Parlaments sind neben
der Gesetzgebung und der Wahl des Premierministers die Kontrolle der Regierung, die Ratifikation
internationaler Verträge, die Ausarbeitung von
Vorschlägen für die Durchführung von Referenden
und eine allgemeine Repräsentationsfunktion.
Wichtigstes Machtinstrument des Parlaments ist
sein Recht, die Regierung nach einem einfachen
Misstrauensvotum abzusetzen. Dies führt dazu,
dass die Regierung grundsätzlich von der Unterstützung einer Mehrheit im Parlament abhängig ist
und einer oppositionellen Minderheit gegenübersteht.
Osttimor verfügt mit dem direkt gewählten
Präsidenten und der aus dem Parlament hervorgehenden Regierung über eine doppelköpfige Exekutive. Der Premierminister wird vom Präsidenten der
Republik auf Vorschlag einer Mehrheit der Abgeordneten in der Nationalversammlung ernannt. Die
Ernennung der Regierung durch den Präsidenten
ist allerdings eher eine verfassungsmäßig vorgeschriebene Formalität als ein echtes politisches
Machtinstrument des Präsidenten, schließlich müssen sich Premierminister und Regierung für die
praktische Regierungsarbeit immer auf eine stabile
Parlamentsmehrheit stützen. Als erster Premierminister des Landes übernahm Marí Bin Amude Alkatiri am 20. Mai 2002 die Regierungsgewalt von der
VN-Verwaltung, welche seit 2000 die Regierungsgeschäfte geführt hatte. In der osttimoresischen
Verfassung uneindeutig formuliert ist die Frage, ob
der Präsident den Kandidaten der stärksten Fraktion im Parlament zum Premierminister ernennt oder
vielmehr jenen Kandidaten, hinter dem sich eine
absolute Mehrheit der Mitglieder der Nationalversammlung stellt. Gerade diese unterschiedlichen
Auslegungsmöglichkeiten der Verfassung führten
zu der Regierungsbildungskrise nach der letzten
Wahl zur Nationalversammlung im Sommer 2007.
Während die FRETILIN das Amt des Premierministers deshalb beanspruchte, weil sie bei den Wahlen
die meisten Stimmen erhalten hatte, argumentierte
die Koalition aus CNRT, PSD-ASDT und PD, das
Amt des Premierministers müsse an sie gehen, da
nur ihr Bündnis über eine absolute Mehrheit im
Parlament verfüge. Präsident Ramos-Horta schloss
Focus Asien Nr. 31
sich schließlich der letzteren Position an und
ernannte den CNRT-Kandidaten und früheren
Präsidenten Xanana Gusmão zum Regierungschef. Dem folgte die Vereidigung der Minister,
die Gusmão Präsident Ramos-Horta vorgeschlagen hatte.
Staatsoberhaupt Osttimors ist der für fünf
Jahre direkt vom Volk gewählte Präsident. Eine
einmalige Wiederwahl ist möglich. Wahlberechtigt sind alle Osttimoresen über siebzehn Jahre,
die auf dem Territorium des Staates leben und
sich zuvor in Wählerlisten registriert haben. Das
Wahlsystem zum Präsidentenamt ist ein absolutes Mehrheitswahlsystem mit zwei Wahlgängen, wie es etwa auch in Frankreich praktiziert
wird. Erhält keiner der Kandidaten im ersten
Wahlgang die erforderliche absolute Mehrheit
der abgegebenen gültigen Stimmen, so wird der
Sieger innerhalb eines Monats in einem zweiten
Wahlgang ermittelt, in welchem nur die beiden
erstplatzierten Kandidaten aus dem ersten
Wahlgang teilnehmen. Die Machtbefugnisse des
Präsidenten sind allerdings stark begrenzt, und
auch in der bisherigen Amtspraxis beschränkte
sich das Staatsoberhaupt meist auf seine repräsentativen und symbolisch-integrativen Funktionen. Lediglich während der Machtprobe im
Vorfeld des Rücktritts des Premierministers
Marí Alkatiri im Frühjahr 2006 übernahm Präsident Gusmão für einige Zeit das Oberkommando über Polizei und Streitkräfte und es kam
zum offenen Machtkampf zwischen Premierminister und Präsidenten. Am 26. Juni trat Alkatiri
schließlich auf Druck der Öffentlichkeit, des
Präsidenten und Teilen der Regierung vom Amt
des Premierministers zurück. Eine „Übergangsregierung der nationalen Einheit“ unter José
Ramos-Horta übernahm zunächst die Regierungsverantwortung, die schließlich nach den
Präsidenten- und Parlamentswahlen 2007 an
den neu gewählten Premierminister Xanana
Gusmão weitergegeben wurde. Diese zumindest potenziell (in einem Fall aber auch tatsächlich) starke und machtvolle Stellung des Präsidenten ist jedoch eine Gefahrenquelle für den
jungen Staat, da ein reibungsloses Funktionieren der Beziehung zwischen Präsident und
Premierminister für das praktische Funktionieren des osttimoresischen Institutionensystems
unerlässlich ist.
„Osttimor am Scheideweg“
16
Premierminister und
Regierung (abhängig
von einer Mehrheit im
Parlament)
Wahl des Parlaments alle
5 Jahre in freien, geheimen und gleichen Wahlen
(Verhältniswahlrecht mit
3%-Hürde)
Wahl des Präsidenten
alle 5 Jahre in freien,
geheimen und gleichen
Wahlen (absolutes Mehrheitswahlrecht)
Ministerien und
Verwaltung
Neben den legislativen und exekutiven Organen entwickelt sich zunehmend auch das Rechtssystem des Landes. Formal wird die Unabhängigkeit
der Gerichte von der Verfassung garantiert. Der
oberste Gerichtshof steht an der Spitze der Gerichte,
seine Mitglieder werden teils durch das Parlament,
teils durch einen gesonderten Jurisdiktionsrat gewählt. Allerdings bleibt die Bilanz des Aufbaus
rechtstaatlicher Strukturen in Osttimor gemischt.
Einerseits lässt die Verurteilung des früheren Innenministers Rogério Tiago Lobato zu einer Haftstrafe wegen illegaler Verteilung von Waffen hoffen, dass zukünftig geltendes Recht auch dann
durchgesetzt wird, wenn Angehörige der politischen Klasse dagegen verstoßen. Andererseits ist
sowohl die Umsetzung der Urteile als auch die
Durchsetzung geltenden Rechts nach wie vor
schwierig. So wurde etwa dem verurteilten Lobato
die Ausreise nach Malaysia gestattet und der Ausbruch des Rebellenführers Alfredo Reinado aus
dem Gefängnis in Dili zeigt, dass auch bei der technischen Umsetzung rechtstaatlicher Strukturen
noch eklatante Mängel bestehen.
Das Wahl- und Parteiensystem
Bei der ersten Präsidentschaftswahl im April 2002
traten Xanana Gusmão und Francisco Xavier do
Amaral gegeneinander an. Amaral war im Jahr 1974
einer der FRETILIN-Gründer und in der kurzen
Phase der Unabhängigkeit zwischen dem Ende der
portugiesischen Kolonialherrschaft und der indonesischen Invasion 1975 bereits Präsident des Landes.
Focus Asien Nr. 31
Er befand sich nach dem Bruch mit der
FRETILIN zunächst in deren, ab 1978 dann in
indonesischer Gefangenschaft. Während des
Wahlkampfs gegen Gusmão betonte er mehrfach, dass es ihm weniger um einen Sieg und
das Präsidentenamt gehe, sondern vielmehr
darum, den Wählern tatsächlich eine Auswahl
zu ermöglichen. Favorit war nämlich Gusmão
als langjähriger Anführer der Befreiungsbewegung. Dieser erlangte eine überwältigende
Mehrheit von 82,7% im ersten Wahlgang und
blieb fünf Jahre lang im Amt. Bis auf eine kurze
Phase aktiven und direkten Eingreifens in das
politische Geschehen während der Unruhen
von 2006 folgte Gusmão einem Amtsverständnis, das sich eher auf die Wahrnehmung repräsentativer und symbolischer Funktionen konzentrierte.
Die zweite Präsidentschaftswahl fand am 9.
April 2007 statt. Acht Kandidaten stellten sich
der Wahl. Hierzu gehörten der FRETILINVorsitzende und Präsident der Nationalversammlung, Francisco Lu-Olo Guterres, Premierminister José Ramos-Horta als Wunschnachfolger Gusmãos sowie die Vorsitzenden
der PD, Fernando La Sama de Araújo und der
ASDT, Francisco Xavier do Amaral. Den vier
weiteren Kandidaten wurden kaum Chancen
auf einen Einzug in den zweiten Wahlgang
eingeräumt. Die relative Mehrheit der Stimmen
errang im ersten Wahlgang Guterres, zweiter
wurde Ramos-Horta. Während der Wahl und
„Osttimor am Scheideweg“
17
bei der Auszählung der Stimmen traten mehrere
Unstimmigkeiten auf und ein VN-Expertenteam
kam zu dem Ergebnis, der Urnengang sei „nicht
befriedigend“ durchgeführt worden. Dennoch urteilte der Leiter der EU-Wahlbeobachter, Javier
Pomés Ruiz, die Wahl sei weitgehend fair verlaufen.
Das höchste Gericht wies darüber hinaus die Klage
dreier unterlegener Kandidaten am 21. April 2007
ab. Schließlich akzeptierten die meisten Beteiligten
das offizielle Endergebnis des ersten Wahlgangs
und fünf der sechs unterlegenen Kandidaten riefen
ihre Anhänger zur Wahl Ramos-Hortas im zweiten
Wahlgang auf. Zur Stichwahl zwischen beiden kam
es schließlich am 9. Mai 2007. Ramos-Horta konnte
sich erwartungsgemäß klar durchsetzen und wurde
am 20. Mai 2007 als Präsident Osttimors vereidigt.
Xanana Gusmão
Francisco Lu-Olo
Guterres
(FRETILIN)
José Ramos-Horta
(parteilos)
Fernando La Sama
de Araújo (PD)
Francisco Xavier do
Amaral (ASDT)
Lúcia Lobato (PSD)
Manuel Tilman
(KOTA)
Avelino Coelho da
Silva (PST)
João Carrascalão
(UDT)
Stimmen 1.
WG in
%
(2007)
--27,9
Stimmen 2.
WG in
%
(2007)
--30,8
Stimmen in
%
(2002)
21,8
69,2
---
19,2
---
---
14,4
---
17,3
8,9
4,1
-----
-----
2,1
---
---
1,7
---
---
82,7
---
Bereits bei dieser Wahl zeigte sich jenes Bild,
das sich bei den Parlamentswahlen im Juni fortsetzen sollte: Der Kandidat der FRETILIN erhielt besonders starken Zuspruch in den östlichen Distrikten Baucau, Lautém und Viqueque. Ramos-Horta
dagegen konnte sich in allen anderen Distrikten klar
gegen Guterres durchsetzen. Obwohl Guterres seine
Niederlage eingestanden hatte, kam es in der Folge
zu Unruhen und Zerstörungen in den Distrikten
Viqueque, Ermera und Liquiça sowie in einem Vorort Dilis. Obwohl Ramos-Horta im Wahlkampf
mehrfach erklärt hatte, das Amt des Präsidenten
aktiver wahrnehmen zu wollen, unterscheidet sich
Focus Asien Nr. 31
sein repräsentativ und symbolisch angelegter
Amtsstil nur wenig von dem seines Vorgängers
Gusmão.
Wichtigste Wahl neben der Präsidentschaftswahl ist jene zum osttimoresischen Parlament. Die erste Parlamentswahl fand am 30.
August 2001 statt, rund ein dreiviertel Jahr vor
der endgültigen Unabhängigkeit des Landes.
Abgestimmt wurde über die einmalig 88 Sitze
zählende verfassungsgebende Versammlung,
welche sich gemäß Art. 167 nach Abschluss
ihrer Tätigkeit und mit der Unabhängigkeit des
Landes in die erste Nationalversammlung transformieren sollte. Aufgrund des Fehlens einer
Hürde zum Einzug in das Parlament schafften
insgesamt zwölf Parteien den Sprung in die
Versammlung, wobei die FRETILIN erwartungsgemäß mit 55 von 88 Sitzen eine absolute
Mehrheit erringen konnte. Lediglich die PD
(sieben Sitze), die sozialdemokratische PSD (6)
und die zentristische ASDT (6) konnten noch
nennenswerte Fraktionen bilden. Alle anderen
Parteien errangen lediglich ein oder zwei Mandate. Mit ihrer stabilen Mehrheit stellte die
FRETILIN bis kurz vor Ende der Legislaturperiode die von Premierminister Marí Alkatiri geführte Regierung und dominierte sowohl das
Parlamentsgeschehen als auch den gesamten
politischen Prozess im Land.
Die zweite Parlamentswahl am 30. Juni 2007
brachte dann allerdings eine starke Verschiebung der Machtverteilung mit sich. Hierbei
kamen einige Veränderungen im Wahlrecht zur
Anwendung: Erstens fand die Stimmauszählung in den Distriktzentren statt und nicht wie
bislang in den örtlichen Wahllokalen; zweitens
mussten Parteien, die sich zur Wahl stellten,
mindestens 90 Kandidaten präsentieren; drittens sollte eine 3%-Hürde für den Sprung ins
Parlament einer weiteren Fragmentierung der
Parteienlandschaft vorbeugen. Diese Änderungen erschwerten kleineren Parteien den Einzug
in die Nationalversammlung. Von den vierzehn
Parteien, die sich um Mandate bewarben, überwand die Hälfte die 3%-Hürde. Somit sank die
Zahl der Fraktionen von zwölf auf sieben, was
zu einer Konsolidierung des Parteiensystems
geführt hat. Bei mit 80,5% vergleichsweise hoher Wahlbeteiligung konnte die FRETILIN ihre
Machtstellung nicht behaupten. Sie blieb zwar
stärkste Kraft im Parlament, verlor jedoch ihre
absolute Mehrheit und ihre Regierungsbeteiligung. Mit nur noch 29% der Stimmen und 21
der 65 Parlamentsmandate bildet sie in der
„Osttimor am Scheideweg“
18
zweiten Legislaturperiode die stärkste Oppositionsfraktion des Parlaments. Zweitstärkste Partei wurde
der erst kurz vor der Wahl als Partei wieder gegründete „Nationalkongress für den Wiederaufbau
Timors“ (CNRT) mit dem Spitzenkandidaten Xanana Gusmão. Ebenfalls starke Fraktionen konnten
der Zusammenschluss aus ASDT und PSD unter
Xavier do Amaral, Mario Carrascalão, Zacarias
Albano da Costa und João Gonçalves bilden sowie
die ebenfalls moderate und dem Zentrum des Parteienspektrums zuzurechnende PD unter Mariano
Sabino Lopes und Fernando La Sama de Araújo.
Diese drei Fraktionen schlossen sich zu einer Dreierkoalition zusammen, die mit 37 von 65 Sitzen
über eine Mehrheit im Parlament verfügt. Hochburgen lassen sich klar identifizieren: Die FRETILIN
fand vor allem im Ostteil des Landes Zuspruch (die
Hälfte all ihrer Stimmen erzielte die Partei in den
drei östlichen Distrikten Baucau (62%), Viqueque
(60%) und Lautém (46%). Dagegen war der CNRT
vor allem in den nord-westlichen Distrikten, in Dili
(45%), Liquiça (39%), Oecussi (35%) und Manatuto
(33%) stark. Die beiden Koalitionspartner des
CNRT, ASDT-PSD und PD, konnten vor allem in
den südlichen und süd-westlichen Distrikten viele
Wähler überzeugen. Insbesondere in den sehr hohen Ergebnissen für die FRETILIN im Ostteil des
Landes bei gleichzeitig sehr moderatem Zuspruch
in den westlichen Distrikten spiegelt sich eine zunehmend kulturelle Spaltung der Gesellschaft in
Loro Munu („Westler“) und Loro Sa’e („Ostler“) auf
der Ebene der parteipolitischen Repräsentation
wider. Die kleineren – zusammen lediglich 10% der
Abgeordneten stellenden – Parteien und Parteizusammenschlüsse spielen zwar machtpolitisch kaum
mehr eine Rolle, doch sie repräsentieren wichtige
Themenfelder und Bevölkerungssegmente: Die erst
Ende 2006 gegründete „Nationale Einheitspartei“
(PUN) unter der ehemaligen Finanzministerin Fernanda Borges orientiert sich an christlichen Wertvorstellungen und konnte mit 4,6% einen überraschend großen Wählerzuspruch mobilisieren. Die
Verbindung aus der „Timoresischen Volkspartei“
(PPT) unter Jacob Xavier, der angibt, ein Nachfahre
der Könige von Portugal zu sein, und der stark an
originären timoresischen Traditionen ausgerichteten „Vereinigung Timoresischer Helden“ (KOTA)
unter Manuel Tilman und Leão Pedro dos Reis
Amaral errang ebenso zwei Mandate wie die
UNDERTIM, eine Abspaltung der FRETILIN, unter
Cornélio Gama („L7“).
Focus Asien Nr. 31
FRETILIN
CNRT
PSD-ASDT
PD
PUN
KOTA-PPT
UNDERTIM
UDT
PNT
PDC
PST
PL
PDCT
Unabhängige
SUMME
Stim
men
2007
in %
Sitze
2007
Stim
men
2001
in %
Sitze
2001
29,0
24,1
15,7
11,3
4,6
3,2
3,2
0,9
2,4
1,0
1,0
-------
21
18
11
8
3
2
2
0
0
0
0
0
0
0
65
57,4
--16,0
8,7
--4,1
--2,4
2,2
2,0
1,8
1,1
0,7
---
55
0
12
7
0
4
0
2
2
2
1
1
1
1
88
Veränderungen
(Sitze)
- 34
+ 18
-1
+1
+3
-2
+2
-2
-2
-2
-1
-1
-1
-1
- 23
Was bedeutet all dies für die Perspektiven
des jungen Staates?
Die Entwicklung des Wahl- und Parteiensystems in Osttimor verläuft in mancherlei Hinsicht erfreulicher als vor dem Hintergrund der
Ausschreitungen in den letzten Jahren zunächst
zu vermuten ist:
-
Schwierigster Testfall für jede junge Demokratie ist der erste und durch demokratische
Wahlen herbeigeführte Machtwechsel. Und
so war auch nach der Wahl im Juni 2007
zunächst unklar, ob die politischen Institutionen der Krise standhalten würden, ob ein
friedlicher Regierungswechsel den Weg in
eine weitere Konsolidierung der Demokratie eröffnen würde oder ob bereits der erste
Regierungswechsel zu einem Systemwechsel von instabiler Demokratie zu autokratischer Herrschaft oder gar zu einer erneuten
Dynamik von Staatszerfall und Anarchisierung führen würde. Beides ist nicht eingetreten. Und trotz der Unruhen, die den
Wechsel begleiteten, wurde das Ergebnis
schließlich doch von einer großen Mehrheit
der Osttimoresen akzeptiert.
-
Während der ersten Legislaturperiode war
das Parteiensystem des Landes vor allem
durch die Omnipräsenz und machtpoliti-
„Osttimor am Scheideweg“
19
sche Dominanz der FRETILIN gekennzeichnet.
Eine solche Konstellation ist aus zweierlei
Gründen gefährlich: Erstens braucht jede Demokratie eine funktionsfähige und starke Opposition und zweitens neigen sehr dominante
Parteien dazu, den Verlust ihrer Dominanz
nicht zu akzeptieren. Dies ist der Hintergrund
der Schwierigkeiten im Zuge des Machtwechsels von der FRETILIN zur CNRT-geführten
Koalition unter Xanana Gusmão.
-
Eine weitere Fragmentierung des Parteiensystems konnte – hauptsächlich durch die Einführung einer 3%-Hürde für den Einzug in die Nationalversammlung – verhindert und eine Phase
der Konsolidierung eingeleitet werden. Sicherlich werden auch hier noch weitere Verschiebungen auftreten, aber zumindest ist die Regierbarkeit des Landes mit vier starken Fraktionen und drei Kleinstfraktionen nicht massiv gefährdet.
-
Positiv zu werten ist zudem die Tatsache, dass
die meisten osttimoresischen Parteien moderate
Standpunkte einnehmen und extremistische Positionen kaum vertreten sind.
Dennoch sind noch viele Aufgaben unerledigt.
Nicht nur, dass die kulturelle Spaltung zwischen Kaladi aus Loro Munu (dem Westteil des
Staates) und Firaku aus Loro Sa’e (dem Ostteil
des Staates) überwunden werden muss. Auch
die wirtschaftliche und soziale Situation des
ärmsten Landes Asiens und die schwierige
Sicherheitslage müssen angegangen werden.
Für das politische System selbst bleibt vorrangig
die Aufgabe, die Legitimität und Akzeptanz der
demokratischen Institutionen und der demokratisch gewählten politischen Klasse zu stärken.
Auch die beste Verfassung, das günstigste Verhältnis der Institutionen und Organe eines politischen Systems zueinander und die Berücksichtigung aller üblicherweise von Politikberatern
empfohlenen Maßnahmen vermögen dauerhaften Frieden und Stabilität nicht zu garantieren,
wenn es nicht gelingt, in der Bevölkerung ein
Gefühl der Sicherheit, des Aufbruchs und des
Zusammenhalts und bei den politischen Eliten
ein Gefühl der Verantwortung und Gemeinwohlorientierung zu stiften.
„Unidade, paz, no Justicia“ – Zur aktuellen Lage und
den gesellschaftspolitischen und sozialen Auswirkungen der Krise“
Monika Schlicher
Am 11. Februar 2008 stürmte der flüchtige Major
Alfredo Reinado mit seinen Mannen die Residenz
von Präsident José Ramos-Horta. Alfredo und ein
weiterer desertierter Soldat starben im Kugelhagel.
Zu dem Zeitpunkt war der Präsident noch mit zwei
Sicherheitsbeamten zum Walking am Strand. Als er
sich seinem Haus näherte, eröffneten die Rebellen
auf ihn das Feuer. Er überlebte schwer verletzt. Eine
zweite Gruppe abtrünniger Soldaten unter Leutnant
Salsinha griff eine Stunde später den Autokonvoi
von Premierminister Xanana Gusmão an. Dieser
konnte unverletzt entkommen.
Auch Monate nach diesen erschreckenden Taten gibt es noch keinerlei Aufklärung über die Motive und den Tathergang, dafür umso mehr Spekulationen. War es ein versuchter Staatstreich oder
wurden die Rebellen in eine Falle gelockt und hingerichtet? War der Angriff auf Xanana fingiert? Die
Lage nach den Attentaten war sehr angespannt,
aber unter Kontrolle. Überhaupt hat sich die Situa-
Focus Asien Nr. 31
tion seither stetig stabilisiert. Die Attentate haben die Bevölkerung schockiert und weltweit
für Entsetzen gesorgt. Sie zeigen, wie fragil der
junge Staat ist und wie dringend die Regierung
an Lösungen drängender Probleme arbeiten
muss.
Osttimor nach der Wahl
Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen
2007 sollten Klarheit über die politischen
Machtverhältnisse schaffen. Damit war die
Hoffnung verbunden, einen Weg zu finden, um
die tiefe gesellschaftspolitische Krise zu überwinden, in der sich das Land seit 2006 befindet.
Doch diese Hoffnung erhielt einen schweren
Dämpfer, weil die FRETILIN die Koalitionsregierung AMP (Allianz der Mehrheit im Parlament)
mit Premierminister Xanana für illegitim hält.
Sie hatte eine Mehrheit der Stimmen im Parla-
„Osttimor am Scheideweg“
20
ment gewonnen, konnte aber keine regierende Koalition bilden. Umgehend kam es zu schweren Ausschreitungen. Militante Anhänger der FRETILIN
randalierten, machten Jagd auf politische Gegner
und griffen sogar einen VN-Konvoi an.
Was sagt es über die politischen Eliten aus, die
von Frieden, Gerechtigkeit und nationaler Einheit
reden, sich aber auf Kosten der Bevölkerung
Machtkämpfe liefern? Die Ausschreitungen beim
Regierungswechsel haben das Klima der Angst
unter der Bevölkerung genährt, gleichzeitig beeinflusst die Antizipation von Gewalt das Verhalten
der Menschen. In verinnerlichter Weise reagieren
die Menschen, indem sie Zuflucht suchen. So stieg
die Zahl der Flüchtlinge erneut an. Um die Flüchtlingslager herum haben Händler feste Verkaufsschläge errichtet. „Inzwischen sind dort eigene Ökonomien entstanden,“ erklärte mir ein internationaler
Regierungsberater im September 2007, „die von
diversen Gangs kontrolliert werden, an die die Kioskbesitzer Schutzgeld bezahlen. Überhaupt zahlen viele Geschäfte, Supermärkte und Restaurants inzwischen
Schutzgeld.“
José Ramos-Horta hatte es als Premierminister
der FRETILIN-Übergangsregierung im Dezember
2006 erfolglos versucht die Lager aufzulösen. Seine
Initiative lief ins Leere, nicht zuletzt, weil die
FRETILIN viele der internen Flüchtlinge ihrer Wählerschaft zurechnet. Die Partei wird nicht müde zu
beteuern, Premier Marí Alkatiri sei im Juni 2006
zum Wohle der Nation zurückgetreten, um weiteres
Blutvergießen zu verhindern. Sie werde fälschlicherweise als Urheberin der Krise bezichtigt, dabei
habe es sich in Wahrheit um eine Verschwörung
ihrer Widersacher gehandelt. Wie auf Kommando
nahm mit Einsetzen der AMP-Regierung die Gewalt
in Dili in den Flüchtlingslagern ihren Anfang.
Die AMP Regierung muss zeigen, dass sie auch
das Wohl der Menschen aus den Ostprovinzen, der
Hochburg der FRETILIN, im Blick hat. Das Ministerium für Soziales hat im Dezember 2007 das umfangreiche Gesamtkonzept Hamutuk Hari’i Futuru
zur Auflösung der Lager und Rück- oder Neuansiedlung der Flüchtlinge vorgelegt. Die Flüchtlinge
werden registriert, für den Verlust ihres Hauses
entschädigt und wieder angesiedelt. Es ist ein großer Erfolg des Ministeriums und der Regierung,
dass die Lager zum größten Teil inzwischen aufgelöst werden konnten.
Noch ist die Sicherheitslage fragil, aber im Vergleich zum letzten Jahr ist es insgesamt gesehen
ruhiger geworden. Es fällt vor allem auf, dass die
Osttimoresen wie auch die Internationalen sich in
diesem Spannungszustand eingerichtet haben. Der
Focus Asien Nr. 31
Ausnahmezustand ist ein Stück weit zur Normalität geworden. Das heißt, ein bestimmtes
Maß an Gewalt wird inzwischen als normal
empfunden. Es ist eine Scheinnormalität, in der
Unberechenbarkeiten den Alltag bestimmen.
FRETILIN: Machtverlust war nicht vorgesehen
Dili hat eine neue Ruine: das alte Zollhaus. Hier
wurde vor dem Regierungswechsel gezündelt,
angeblich um Im- und Exportlisten verschwinden zu lassen. Wie mir eine interne Regierungsquelle versicherte, hat die FRETILIN-Regierung
unter Marí Alkatiri einen enormen Filz aufgebaut, ein in sich geschlossenes Family-Business.
Es sei in dem Land enorm viel Geld vorhanden
und die FRETILIN fürchte nun um ihre wirtschaftliche Pfründe. Macht- und Regierungsverlust seien in der Vorstellung der FRETILIN
schlicht nicht vorgesehen gewesen, analysiert
der ehemalige CIM-Berater1 im Außenministerium, Dr. Christian Roschmann, die Reaktion
der Partei auf ihre Wahlniederlage. Als ehemals
linke, marxistische Partei sei ihre Führungsriege
mehrheitlich einer autoritären Philosophie von
Staatszentralismus und Staatskontrolle verhaftet, geformt während der Exiljahre in Mozambique. In den Augen vieler Beobachter seien die
Unruhen 2006 von einer Fraktion innerhalb der
Partei angezettelt worden, um das Land in einen autoritären Einparteienstaat zu verwandeln.
Xananas neue Partei CNRT (National Congress for the Reconstruction of East Timor) versprach im Wahlkampf mit der Korruption aufzuräumen. Inzwischen mehren sich die Korruptionsvorwürfe gegen einzelne Ministerien der
AMP-Regierung. „Die alten Strukturen leben
weiter,“ versicherte mir besagte interne Regierungsquelle, „es sind nur neue Spieler hinzugekommen, die offensichtlich dringend Geld benötigen.“ Allen voran Gil Alves, Minister für Tourismus, Handel und Industrie, der kräftig an
den Reisimporten verdient. Seine eigene Partei,
die ASDT, hat ihn wie Abilio Lima, Staatssekretär für Umwelt, wegen Korruption und allzu
großer Nähe zu Militär und Geschäftsleuten aus
Indonesien ausgeschlossen. Auf Forderungen
der ASDT, die beiden Männer aus ihren Regierungsämtern zu entlassen, hat Premierminister
Xanana nicht reagiert. Daraufhin schloss die
Centrum für internationale Migration und Entwicklung [Anm. der Hrsg.].
1
„Osttimor am Scheideweg“
21
ASDT mit der FRETILIN ein Bündnis für die kommende Wahl.
Politik als Nullsummenspiel
Die hohe Abhängigkeit von internationalen Geldgebern ist ein Grund, der Osttimors politische Eliten
davon abhält, zur Durchsetzung ihrer Interessen
Gewalt anzuwenden, schreibt Francisco da Costa
Guterres in seiner Anfang 2006 erschienenen Doktorarbeit Elites and Prospects of Democracy in East
Timor. „Viele Länder, die Osttimor finanziell unterstützen, knüpfen diese Hilfe an die Konditionen, dass demokratische Verfahren, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit respektiert werden sowie Transparenz und Accountability gewahrt sind.“ (S. 266). Einen zweiten
Grund sieht er in der Fähigkeit Xananas, bei Konflikten vermittelnd zu wirken. Hat die Konditionierung von Hilfe und die Anwesenheit von internationalen Beratern, zumindest bis zur Krise 2006, das
Schlimmste verhindert? Guterres, der in der neuen
Regierung Staatssekretär für Sicherheit ist, beschreibt die Einstellung der Elite zur Demokratie als
bestenfalls semiloyal. Osttimors Eliten seien tief
gespalten. Sie erkennen sich nicht als legitime Mitstreiter um die Macht an, noch respektieren sie
demokratische Verfahren als die Arena, in welcher
sie ihren Wettstreit austragen sollten. Sie betrachten
Politik als „Krieg“ oder als Nullsummenspiel und
fürchten schwere Vergeltung von ihren Gegnern,
wenn sie unterliegen. Sie nehmen daher Zuflucht zu
Strategien der Gewalt, um ihre Position und Interessen zu schützen. Dieses Verhaltensmuster dauere
seit fast 24 Jahren an, und auch nach der Unabhängigkeit hätten die Eliten nur wenig neue Fähigkeiten erlangt.
Politische Elite weiterhin in den Niederungen
des Kampfgetümmels
Dementsprechend wenig euphorisch war die Stimmung im Land nach dem Regierungswechsel. Zu
stark gelten alle als in die Krise involviert. Gewalt,
Einschüchterung und Manipulationen zur Durchsetzung politischer Interessen sind Mittel, die nicht
nur von der FRETILIN angewandt werden. Auch
Xananas Ansehen hat sehr gelitten. Seine Regierung
beherbergt einige ehemals pro-indonesische Kräfte.
Parlamentarier seiner Partei finden sich auf der
Liste des VN-Untersuchungsberichtes, der empfiehlt gegen sie Strafverfahren einzuleiten. Das gibt
nicht nur der Opposition Munition, sondern nährt
auch in der Bevölkerung die Einstellung, dass es
keine Gerechtigkeit geben wird. Die politischen
Eliten befinden sich auch nach der Wahl noch im-
Focus Asien Nr. 31
mer in den Niederungen des Kampfgetümmels,
weit entfernt vom Hügel der Reflektion. Auch
Vertreter der Kirche mischen weithin politisch
mit, statt sich selbstkritisch zu fragen, wie ihr
eigenes Verhalten möglicherweise dazu beigetragen haben könnte, dass die Kirche im unabhängigen Osttimor derart zur Zielscheibe wurde. Bei den Unruhen nach der Regierungsbildung wurden in Baucau kirchliche Einrichtungen nieder gebrannt.
„Eine Dämonisierung der FRETILIN kann doch
keine Lösung für unser Land bringen,“ so eine
politische Aktivistin, die der Partido Democratico
angehört. „Die Partei hat im Unabhängigkeitskampf Großes geleistet, will man sie vernichten? So
bringt man viele Menschen nur gegen sich auf.“
Viele moderate Mitglieder seien über die Gewaltausbrüche im Osten entsetzt gewesen, weiß
mir eine VN-Mitarbeiterin zu berichten. Doch
obgleich die FRETILIN bei der Wahl die Hälfte
ihrer Stimmen verlor, sitzt Marí Alkatiri fester
denn je im Sattel und dirigiert die Politik seiner
Partei.
FRETILINs Maßnahmen zum Sturz der
AMP-Regierung
Grundsätzlich erkennt die FRETILIN die neue
Regierung nicht an. Damit stachelte sie ihre
Anhängerschaft auf und es kam zu gewalttätigen Ausschreitungen. „Das Verhalten der
FRETILIN-Anhänger ist nicht zu akzeptieren, aber
doch verständlich.“ Eine Aussage, die ich in abgewandelter Form immer wieder auch von
Internationalen gehört habe. Die FRETILIN
fühle sich um den Sieg betrogen und Grund für
ihr Verhalten sei die Demokratieunerfahrenheit.
Meiner Meinung nach hat die Parteiführung
gezielt Gewalt in Kauf genommen und das nicht
aus Demokratieunerfahrenheit, sondern weil
der Machtverlust auf demokratischem Wege
nicht verhindert werden konnte. Auch im
Wahlkampf habe die Partei mit Einschüchterung gearbeitet. Ganz offen sei in Baucau damit
gedroht worden, wer nicht FRETILIN wählt,
dessen Haus wird brennen, berichtet mir einer
der dort tätigen Internationalen.
Weiterhin ruft die Partei zu zivilem Ungehorsam auf. An Staatsbedienstete mit Parteibuch in den Ministerien soll die Aufforderung
ergangen sein, hart an der Grenze zur Arbeitsverweigerung Dienst nach Vorschrift zu leisten,
um die Regierung zu blockieren. Eine der Direktorinnen im Gesundheitsministerium bestätigte
mir dies, sie will dem nicht nachkommen: „Mei„Osttimor am Scheideweg“
22
ne Aufgabe ist es, dem Staat zu dienen, egal welche Parteien die Regierung stellen, aber ich weiß, dass viele
meiner ParteikollegInnen dies anders sehen.“
Den großen Rückhalt der Partei im Volk sollten
auch die vielen nagelneuen FRETILIN-Flaggen
unterstreichen, die nach der Wahl in Dili, in den
Flüchtlingslagern, in den Ostprovinzen und vereinzelt auch im übrigen Land wehen. In Baucau wehen
die Flaggen an öffentlichen Plätzen und sind quer
über die Straße aufgehängt, so auch am Teachers
Training College. Auf die Flagge weisend, erklärt
mir Mana Cesaltina im September letzten Jahres:
„Nein, wir haben sie nicht aufgehängt, aber wir
werden sie auch nicht runterholen. Sie schützt uns.“
Inwieweit sie sich damit zur Zielscheibe machen
würde, wenn sie die Flagge runterholt, also tatsächlich bedroht oder gar angegriffen würde, ist schwerlich zu belegen, aber die Befürchtungen sind da.
Erinnerungen an die Zeit vor dem Referendum 1999
werden wach. Damals wehten im ganzen Land die
rot-weißen Nationalflaggen Indonesiens. Nun, in
Osttimor lebt heute keine indonesische Tradition
fort. Es zeigen sich vielmehr universelle Merkmale
von autoritären oder diktatorischen Staatsformen,
bei der Machthaber, die ihren Bürgern zutiefst misstrauen und misstrauen müssen, sich mit Mitteln der
Angst und Einschüchterung deren Unterstützung
sicher zu stellen versuchen.
Gleichfalls sollen die unzähligen Grafittis an
den Häuserwänden Volkes Meinung zur neuen
Regierung ausdrücken. Vor allem Xanana, aber
auch andere Mitglieder seiner Regierung, werden
als Verräter (Traidor) verunglimpft. Xanana sei der
Urheber der Krise, habe den Ost-West-Gegensatz
im Land geschürt und wolle Osttimors Unabhängigkeit einer Föderation mit Australien opfern.
AMP stehe für Aliansi Merah Putih, für Rot-Weiße
Allianz, in Anspielung auf die ehemals proindonesischen (otonomi) Kräfte in der neuen Regierung und in den Parteien. Deren Namen prangern
an den Häuserwänden.
Derweil arbeitet die Presseabteilung der
FRETILIN auf Hochtouren. Immer wieder stellt sie
die Legitimität der Regierung in Frage und die
AMP als inkompetent dar. „Osttimor ist in Gefahr,
sich zu einem failed state zu entwickeln. FRETILIN
hat klare Vorstellungen, wie dies aufzuhalten ist,“
so Generalsekretär Marí Alkatiri in der Presseerklärung „AMP Government cannot defend the State“
vom 24.01.2008.
Die Partei ist weit von einer konstruktiven Oppositionspolitik entfernt. Allzu viel Sichtbares hat
die neue Regierung bislang allerdings tatsächlich
nicht vorzuweisen. Sie hat ein ehrgeiziges Budget
Focus Asien Nr. 31
verabschiedet, will Armut bekämpfen und Entwicklung wie soziale Sicherheit schaffen, doch
es ist fraglich, ob sie die systemimmanente Lethargie, die in den Ministerien herrscht, zu überwinden vermag. Darin sieht die Regierung
selbst eines der Haupthemmnisse in ihrem ehrgeizigen, aber auch problemorientierten Bericht
zur Geberkonferenz im März 2008. Nach den
Attentaten auf Präsident und Premierminister
gab sich die FRETILIN etwas staatstragender.
Dies dürfte vor allem auf die vermittelnde Rolle
von Präsident Ramos-Horta zurückzuführen
sein. Ramos-Horta hat inzwischen auch den
ehemaligen Innenminister Rogério Lobato, der
einzige, der bislang für Machenschaften in der
Krise 2006 verurteilt wurde, begnadigt. Überhaupt plädiert der Präsident für ein nationales
Versöhnungsverfahren und möchte niemanden
weiter juristisch für die Krise belangen.
Die Wahrnehmung der Krise durch junge
Menschen
Die politische Führung redet von Einheit, Frieden und Versöhnung, doch dies seien nur Worte aus dem Mund und nicht aus ihrem Herzen.
Sie hätte diese Krise verursacht und junge Menschen benutzt, „just like stepping stones in the
river, so the leaders can get what they want (and
never get their feet wet)” (S. 4ff.). So der Blick von
Jugendlichen und jungen Menschen auf die
Krise, den eine osttimoresische Forschungsgruppe in der sehr lesenswerten Studie „Like
Stepping Stones in the River – Youth Perspectives
on the Crisis in Timor-Leste“ eingefangen hat.
Eine Krise birgt auch Chancen. Es werden
Probleme und Versäumnisse sichtbar, denen es
zu begegnen gilt. Die jungen Menschen in Osttimor sehen sich um ihre Jugendjahre gebracht.
Die Unsicherheit macht es schwierig für sie, an
die Zukunft zu denken und Pläne zu schmieden. Stößt man die Tür dieses Gefängnisses der
negativen Wahrnehmung auf, so eröffnen sich
Möglichkeiten und die Perspektiven verändern
sich. Das ist der Forschungsgruppe hervorragend gelungen. Junge Menschen schauen auch
mit Hoffnung für ihr Land und für sich selbst in
die Zukunft. Sie wollen sich engagieren, sich
aktiv an der Friedensbildung und Entwicklung
beteiligen.
In der jetzigen politischen Führung sehen
sie allerdings keine HoffnungsträgerIn, dennoch
wird diese Krise nicht ewig anhalten. In der
Unversöhnlichkeit der politischen Eliten, ihrer
Arroganz und der Überordnung ihrer Selbstin„Osttimor am Scheideweg“
23
teressen über das Wohl der Bevölkerung, sehen sie
Hindernisse für einen anhaltenden Frieden. (Die
Krise) „hatte auch eine positive Wirkung. Wir haben
eine schlechte Führung ersetzt, aber wir taten dies auf
falschem Wege, denn viele Menschen sind dabei getötet
worden.“ (S. 35). Die jungen Leute wollen den Problemen in der Zukunft anders begegnen können, die
Fehler nicht wiederholen.
Gerechtigkeit = Rache?
Die Krise mag von der politischen Führung ausgegangen sein, doch inzwischen hat sie die Gesellschaft erfasst. Unter ihrem Deckmantel werden
offene Rechnungen beglichen. Ist der Angriff einer
Gang gerade politisch motiviert, weil „Hintermänner“ sie dafür bezahlen oder bekämpfen sie sich
untereinander, weil sich die Spirale von Angriff und
Vergeltung dreht? Oder auch nur, weil die Schwester eines Mitglieds der Gang sich mit einem aus der
anderen angefreundet hat, was sich über die Gruppenloyalitäten bestens austragen lässt? Die Krise,
der Regierungskonflikt, der Ost-West-Gegensatz, all
dies und ein Klima von Gesetzlosigkeit bieten Gelegenheit, um aus persönlichen Gründen Rache zu
üben.
Während Fachleute im In- und Ausland über
die Vor- und Nachteile formalen und traditionellen
Rechts in Osttimor debattieren, wie die Systeme
sich ergänzen können und zu stärken wären, fördern die Diskussionen mit den jungen Menschen
etwas zu Tage, was bislang gar nicht Berücksichtigung fand: Die Jugendlichen sehen in dem System
der Rache das größte Problem. Unabhängig von
einem traditionellen oder formalen Gerichtsverfahren sei auf der individuellen Ebene erst Gerechtigkeit erzielt, wenn Rache geübt und zurückgezahlt
worden sei. Selbst wenn ein Konflikt auf traditionelle Weise über Ausgleich und Versöhnungsprozess
beigelegt werde, womit die soziokosmische Ordnung wieder hergestellt wäre, so bliebe doch, verborgen von anderen, der Hass und Groll im Herzen
des Opfers und seiner Familie. Die Jugendlichen
glauben, dass dieser Groll über lange Zeit lebendig
gehalten werden kann. So sehen sie in vielen Gewalttätigkeiten von heute die Saat für zukünftige.
Einige fügen hinzu, dass Gewalt in Verbindung mit
Racheakten leicht zu rechtfertigen sei (S. 12-14).
Es entzieht sich meiner Kenntnis, inwieweit
dieses System der Rache in Traditionen Osttimors
tatsächlich verankert ist und eine Neubelebung
erfährt. Mein Eindruck ist, dass es zur Rechtfertigung den Traditionen zugeschrieben wird. Möglicherweise ist es dem geschuldet, dass viele Strafta-
Focus Asien Nr. 31
ten nicht geahndet werden. All dies wäre genauer zu untersuchen. Beachtenswert ist, dass
Jugendliche dem Bedeutung geben und hierin
das Haupthindernis zur Beendigung der Krise
und anhaltenden Gewalt sehen.
Junge Osttimoresen beschreiben ihr Volk
auch als sturköpfig. „Osttimoresen“, so Eugenio,
„werden schnell ärgerlich. Auch bei einem kleinen
Problem wollen sie nicht zusammensitzen und es
rasch lösen – nein, sie möchten sich bekämpfen. (...)
Das ist Osttimor – das ist unsere Kultur. Wir können das nicht ändern (...), wir haben die Geschichten
von unseren Vätern und Müttern gehört und sie
sagen, dass schon unsere Vorfahren so waren. Sie
führten Krieg, sie haben Dinge, egal ob kleine oder
große, nicht gelöst. Diese Dinge sind in unserem
Herzen.“ (S. 13). Die Jugendlichen sehen, dass
sich bei Dialogveranstaltungen Leute die Hand
reichen und der Gewalt abschwören, um am
nächsten Tag weiter zu kämpfen. Viele, die ein
Ende dieser Krise herbeisehnen, erkennen an,
dass jemand der Erste sein muss, der mit dem
Heimzahlen aufhört und Versöhnung in den
Gemeinden beginnen muss (S. 14).
Denkanstöße zur gewaltlosen Lösung von
Konflikten
Was ist der Zweck von Dialog beim peace building, wenn es keinen Konsens gibt? Wie kann
Konflikt verhindert werden? Junge Osttimoresen erkennen die Ursache für die Krise im Hass
der politischen Führer aufeinander. „Wenn Marí
Alkatiri und Xanana sich nicht verständigen, dann
wird diese Krise niemals enden.“ „Timoresen hören
einander nicht zu, sie trauen sich gegenseitig auch
nicht und haben unterschiedliche Ideen, das macht
die Dinge so schwierig“ (S. 5), klagt Tito. In den
Workshops haben Jugendliche Erfahrungen
gesammelt wie Nichtübereinstimmung von
Meinungen auf konstruktive Weise gehandhabt
werden kann und mit Kompromiss und Verhandlungen Ergebnisse erzielt werden. Das sind
zentrale Fähigkeiten, um Dialog führen zu können. Dann ist Friedensbildung möglich.
Werden die entsetzlichen Angriffe auf Ramos-Horta und Xanana bei den politischen
Eliten des Landes ein Umdenken bewirken?
Wird es ihnen Mahnung sein, die Einheit und
Entwicklung des Landes in den Mittelpunkt
ihrer Bemühungen zu stellen, weil Osttimor
andernfalls tatsächlich im Chaos versinken
wird? Der Selbstbesinnungsprozess der jungen
Generation gibt Anlass zur Hoffnung.
„Osttimor am Scheideweg“
24
Firaku und Kaladi – Zwei osttimoresische Identitätskonzepte unter der Lupe
Vanessa Prüller
Mai 2006: Krise in Osttimor. Der junge südostasiatische Staat sorgte plötzlich wieder für internationale
Schlagzeilen, nachdem er nur wenige Monate zuvor
von der Weltbank als erfolgreiches Beispiel unter
den Post-Konflikt Ländern gelobt worden war
(Wolfowitz 2006). Spannungen innerhalb des Militärs hatten bereits im Februar 2006 zu Protesten der
so genannten Petitioners geführt, den Soldaten aus
den westlichen Landesteilen, welche sich gegenüber
ihren Landsmännern aus dem Osten benachteiligt
sahen. Die Vorwürfe der Diskriminierung entwickelten sich zu einem Politikum und eskalierten
schließlich in bewaffneter Konfrontation zwischen
verschiedenen Fraktionen des Militärs und der
Polizei. Der Konflikt griff auf die Zivilbevölkerung
über; mehr als die Hälfte der Bewohner der Hauptstadt flohen aus ihren Häusern. Der Premierminister Marí Alkatiri gab den lauten Forderungen nach
Rücktritt nach und mithilfe internationaler Sicherheitskräfte begann sich die Lage in Osttimor ab
Mitte des Jahres 2006 langsam wieder zu stabilisieren.
Überraschende Trennungslinie
Woher kam die Krise und was waren ihre Auslöser?
Zahlreiche internationale Beobachter analysierten
die Situation in Osttimor und identifizierten eine
Vielzahl von Konfliktfaktoren, von der allgemein
prekären wirtschaftlichen Lage und hohen Arbeitslosigkeit bis zu konkreten Ursachen wie Machtkämpfen innerhalb der politischen Elite. Interessanterweise weisen alle diese Analysen (vgl. z.B. ICG
2006, Brady&Timbermann 2006) auch auf Spannungen zwischen den Bewohnern aus den östlichen
Landesteilen, den so genannten Firaku, und den
Kaladi aus den westlichen Distrikten hin. Die OstWest-Spaltung der Gesellschaft habe zu den Gewalteskalationen 2006 beigetragen, heißt es im Untersuchungsbericht der VN (vgl. UN 2006, S. 20).
Allerdings war die Unterscheidung in Firaku und
Kaladi vor Ausbruch der Krise im akademischen
Diskurs um Osttimor kaum verankert, und die VN
Kommission vermerkte lediglich, man habe unterschiedliche Meinungen bezüglich der Herkunft und
der Relevanz dieser Unterteilung in Ost und West
gehört (S. 20).
Focus Asien Nr. 31
Viele Beobachter zeigten sich höchst überrascht von dem Ausbruch eines scheinbar ethnischen Konflikts in Osttimor und hatten die Begriffe Firaku und Kaladi noch nie zuvor gehört.
Nur wenige waren sich dieser innertimoresischen Spaltung bewusst. Helen Hill beispielsweise erinnert sich in ihren Aufzeichnungen
über die Entstehung der FRETILIN-Partei, dass
den Funktionären vor allem die starke Stammeskultur im Landesinneren zu schaffen machte. Eine der Variationen dieses Tribalismus sei
die Unterteilung in Firaku und Kaladi gewesen
und der Glaube einiger Gruppen, anderen überlegen zu sein (vgl. Hill 2002, S. 77). Detailliertere
Ausarbeitungen zum Firaku-Kaladi-Phänomen
finden sich erst in den Arbeiten des Timoresen
Babo Soares (2003), des portugiesischen Anthropologen Paulo Castro Seixas (2006) sowie in
dem deutschsprachigen Werk „Haus, Handy &
Halleluja“ von Alexander Loch (2007). Es wird
ersichtlich, dass Rivalitäten zwischen Ost und
West des Landes bereits seit der Loslösung von
Indonesien im Jahre 1999 regelmäßig für Spannungen sorgten. Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen zwischen jungen Männern
aus den westlichen Gebieten, die ihre Ehre gegen diejenigen aus dem Osten verteidigten, die
behaupteten, Kaladi hätten sich nicht so sehr im
Unabhängigkeitskampf engagiert wie Firaku
(vgl. Babo Soares 2003, S. 278 ff.).
Es stellt sich nun die Frage, welche Rolle die
Identitätskonzepte Firaku und Kaladi für den
Konflikt 2006 tatsächlich gespielt haben. In einigen Pressemeldungen und Berichterstattungen
wurden die Identitätskonzepte Firaku und Kaladi mit ethnischen oder quasi-ethnischen Kategorien gleichgesetzt. Während manche von „two
internally recognized ethnic groups in TimorLeste“ sprechen (Harrington (2007a, S. 4), protestieren andere Stimmen vehement gegen das
Etikett der Ethnizität (vgl. Mboeik 2007, Gonzalez Devant 2007). Der Begriff „ethnischer Konflikt“ wird in Fachkreisen kontrovers diskutiert;
nicht jede Auseinandersetzung ethnisch distinkter Gruppen ist automatisch auch ethnisch motiviert. Doch selbst beim Begriff „ethnische
Gruppe“ ist man sich nicht einig. Meist sind es
„Osttimor am Scheideweg“
25
Sprache, Religion, Kultur oder gemeinsame Abstammung, welche die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe bestimmen. Das subjektive Empfinden der Mitglieder ist hierbei oft
wichtiger als die biologischen und historischen
Fakten. Doch wie alt müssen solche Identitätsgefühle sein, damit man von Ethnizität sprechen kann?
Keine ethnischen Konzepte
Gemessen an den üblichen Kriterien wie Sprache,
Kultur oder Phänotypen passen Firaku und Kaladi
nicht in ethnische Kategorien. Beispielsweise findet
man in Osttimor wesentlich mehr als zwei, nämlich
siebzehn verschiedene ethnolinguistische Gruppen.
Diese Lokalsprachen lassen sich zwar in die zwei
großen Sprachfamilien (austronesische und melanesische Sprachen) unterteilen, allerdings nicht entlang einer klaren Ost-West-Linie. Ähnlich verhält es
sich mit dem physischen Erscheinungsbild der Einwohner: es gibt zwar regionale Unterschiede, so
sagt man beispielsweise, die Einwohner von Lospalos seien größer und hellhäutiger, doch diese Charakteristika treffen nicht grundsätzlich für Firaku zu.
Kein Osttimorese würde versuchen, die Herkunft
aus Osten oder Westen nach dem Aussehen zu
beurteilen.
Auch kulturell ist Osttimor ein Mosaik: gerade
in den bis heute nur schwer erreichbaren Bergdörfern haben sich Jahrhunderte alte Traditionen bewahrt und regionale Eigenheiten herausgebildet.
Dennoch haben die Osttimoresen auch vieles gemeinsam, allem voran den Glauben an die Macht
der Ahnen, die daraus resultierende Bedeutung von
Familie und Verwandtschaftsbeziehungen und die
Zugehörigkeit zu einem so genannten „uma lulik“,
dem Sakralhaus. Mindestens sieben unterschiedliche architektonische Typen solcher Sakralhäuser
werden im Land verzeichnet; wiederum kein Aspekt, der für eine Polarisierung der Gesellschaft
spricht. Auch die landesweit extrem stark vertretene katholische Kirche zeugt eher von Einheit als von
Vielfalt.
Schenkt man den timoresischen Mythen Glauben, welche für die lokale Bevölkerung noch immer
von großer Bedeutung sind, dann ist die Insel Timor
aus einem Krokodil entstanden und seine Bewohner
sind Nachfahren eines Jungen, der auf dem Rücken
des guten Tieres übers Meer geritten war. Eine Unterteilung in Firaku und Kaladi ist also auch aus
mythologischer Sicht nicht erklärbar; die Überlieferung erklärt ja noch nicht einmal die heutige Trennung in Osttimor und das indonesische Westtimor.
Weder in der Geschichte, noch in der administrativen Teilung der letzten Dekaden gab es je eine
Focus Asien Nr. 31
Unterteilung des Territoriums in ein Kaladioder Firaku-Gebiet, die Dichotomie lässt sich
folglich nicht auf historische Grenzziehungen
zurück führen. Worauf also dann?
Interpretationsversuche
Bezüglich des Ursprungs der Begriffe Firaku
und Kaladi gibt es zwei konkurrierende Versionen: Erstere ist die in Osttimor geläufigere Meinung, die besagt, die Portugiesen hätten die
Begriffe erfunden. Firaku lasse sich vom vulgären Ausdruck „virar o cu“ (= jemandem den
Rücken kehren) ableiten und bezeichne die
„störrischen“ und „rebellierenden“ Völker der
östlichen Landesteile. Kaladi hingegen gehe auf
das Adjektiv „calado“ (= ruhig, still) zurück
und träfe für die Bewohner der westlichen Region, vor allem die Mambai, zu. Bedenkt man
allerdings, dass ein Großteil der Revolten gegen
die portugiesischen Kolonialherren in den westlichen Distrikten stattfand, macht diese Argumentation wenig Sinn. Dennoch wird sie immer
wieder angeführt und die Mentalitätsunterschiede zwischen Osten und Westen sind ein
geläufiges Stereotyp in Osttimor. Etymologisch
plausibler erscheint die zweite Version der Herkunft der beiden Begriffe, welche Firaku und
Kaladi auf indigene Termini zurückführt. Kaladi
oder „keladi“ ist in mehreren austronesischen
Sprachen eine Bezeichnung für eine Art von
Süßkartoffel. „fi raku“ bedeutet in der Sprache
der Makassae (im Osten des Landes) „unser
Freund“ oder „einer von uns“ (vgl. Babo Soares
2003, S. 270). Paulo Castro Seixas fand beide
Begriffe in kolonialen Schriftstücken des späten
neunzehnten Jahrhunderts, jedoch entweder
fälschlicherweise als lokale Sprachen verstanden oder aber als Bezeichnungen, welche die
Küstenbewohner der Insel mit abwertendem
Unterton für die hinterwäldlerischen Bergvölker
benutzten (Seixas 2006, S. 294). Von „ruhigen“
und „störrischen“ Bewohnern ist nie die Rede.
Des Weiteren verstärken die spärlichen kolonialen Literaturvermerke der beiden Begriffe die
Vermutung, dass Firaku und Kaladi eigentlich
keine Kollektivbezeichnungen für Osten und
Westen des Landes sind, sondern sich vielmehr
auf gewisse ethnolinguistische Gruppen bezogen, vor allem die Makassae (im Kerngebiet der
Firaku) und die Mambai (als typische Kaladi).
„Osttimor am Scheideweg“
26
Vage Abgrenzungen
Dies eröffnet wiederum eine weitere interessante
Diskussion: Wo liegt eigentlich die genaue Grenze
zwischen Osten und Westen, zwischen Firaku und
Kaladi? Eigentlich wusste das vor Ausbruch der
Krise 2006 niemand so genau. Daraufhin systematisch befragt, zeichneten Osttimoresen zumeist eine
vage Linie durch die Stadt Manatuto in der Mitte
des Landes (vgl. Loch 2007, S. 446f), manchmal
waren es vier, manchmal nur drei Distrikte, die als
Heimat der Firaku galten. Eine implikationsreiche
Klarheit erlangte diese Linie erst seit einer Fernsehansprache Xanana Gusmãos im März 2006. Hierin
ist erstmals öffentlich von den Bewohnern der zehn
westlichen Distrikte die Rede, welche unter der
Diskriminierung durch ihre Landsleute aus dem
Osten zu leiden hätten. Die Fronten waren gezogen:
drei gegen zehn Distrikte.
Firaku und Kaladi sind demnach keine klassischen ethnischen Gruppen; zu neu und zu vage ist
die Abgrenzung zwischen ihnen. Die Kategorisierung weist jedoch einen ähnlichen Charakter auf, da
Gruppenzugehörigkeit nach geographischer Herkunft determiniert wird und mit kulturellen Verhaltensmustern stereotypisiert wird. Es bleibt zu klären, wie die Konzepte Firaku und Kaladi eine solche
Relevanz erlangten, dass sie zu einem der Auslöser
der Unruhen 2006 wurden.
Konkurrenz um Anerkennung
Ein zentrales Element der meisten kleineren Auseinandersetzungen zwischen Firaku und Kaladi seit
1999, war der Streit darum, wer sich mehr um die
Unabhängigkeit verdient gemacht hat. Da sich die
Guerilla-Kämpfe in den letzten Jahren des Widerstandes vorwiegend in den Osten verlagert hatten,
warfen einige Firaku ihren Landsleuten aus dem
Westen vor, mit den Indonesiern kollaboriert zu
haben. Die Kaladi hingegen beklagen, genau so hart
gekämpft, lediglich stärker unter der indonesischen
Besatzung gelitten zu haben. Der Streit um den
Verdienst der Unabhängigkeit ist jedoch in Osttimor nicht lediglich eine Frage der Ehre, sondern
impliziert soziale und politische Ansprüche im
neuen Staat (vgl. Schmitz 2006, S. 39).
Pro-indonesische Milizen hatten das Land nach
dem Referendum 1999 in Schutt und Asche gelegt
und bis zu zwei Drittel der Bevölkerung waren
damals vor den Massakern geflohen. Als sich die
Lage wieder beruhigte, wurden noch bewohnbare
Häuser, etliche davon ehemals indonesische Besitztümer, von den Rückkehrern und neuen Zuwanderern einfach beschlagnahmt. Angeblich seien es
Focus Asien Nr. 31
gerade Bewohner aus den östlichen Distrikten
gewesen, Firaku also, die nach dem Referendum
in die Hauptstadt strömten und ihre Privilegien
als „Gewinner“ des Unabhängigkeitskampfes
geltend machten (vgl. Harrington 2007b, S. 11ff).
Gerichtlich geklärt wurden die zahlreichen
Streitigkeiten um Land- und Eigentumsrechte
bisher nur selten, und Aussagen von Timoresen
zufolge waren viele der Häuser, die 2006 in
Flammen aufgingen, schon lange umstritten.
Auch in der Vergabe von öffentlichen Stellen und Ämtern spielte der Verdienst um die
Unabhängigkeit eine wichtige Rolle. Der ehemalige Anführer des Guerillakampfes, Xanana
Gusmão, wurde Präsident des unabhängigen
Staates und etliche Kommandeure wurden mit
hohen Posten im neuen staatlichen Militär belohnt. Dass Firaku eine zahlenmäßige Überhand
unter den Soldaten behielten, lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass viele der überlebenden Veteranen aus den östlichen Distrikten
stammten. Undiplomatische Äußerungen, insbesondere
des
hochrangigen
FirakuKommandeurs Falur Rate Laek, sowie die angebliche Diskriminierung der Kaladi-Soldaten
führten zu einer Spaltung innerhalb des Militärs. Doch auch zwischen Polizei und Militär
spiegelte sich die neue Ost-West-Polarisierung
der Gesellschaft wider. Mangels personeller
Alternativen hatten die VN bei der Rekrutierung der neuen Sicherheitskräfte auch auf ehemalige indonesische Polizeibeamte, also Teile
des indonesischen Unterdrückungsapparates,
zurückgegriffen. Da diese vor allem aus den
westlichen Landesteilen stammten, wurden alte
Fronten (pro und contra Indonesien) mit neuen
Gesichtern (Firaku versus Kaladi) in die Institutionen des neuen Staates projiziert. Es ist nicht
verwunderlich, dass sich diese nur wenige Jahre
später erneut bewaffnet gegenüber standen.
Persönliche Begegnungen
Als ich die Bewohner Dilis knapp ein Jahr nach
der Krise in 2007 zu Firaku-Kaladi befragte,
sprach jedermann dieser sozialen Konfliktlinie
die Relevanz ab. Das seien alles nur politische
Machenschaften, keinesfalls ein ethnischer Konflikt und eigentlich haben Bewohner aus dem
Osten und aus dem Westen kein Problem miteinander, behauptete ein Großteil der Befragten.
Es ist auffallend, dass man die Worte Firaku und
Kaladi aus dem Mund der Osttimoresen nur
selten hört. Die Begriffe sind eindeutig negativ
behaftet und die Zurückhaltung der Bevölke„Osttimor am Scheideweg“
27
rung lässt sich zu einem gewissen Teil sicherlich
durch die Furcht vor weiteren Eskalationen erklären. Die Angst vor der Wiederkehr der tragischen
Ereignisse von 2006 ist groß und die verhaltenen
Antworten geben keinen Aufschluss über die tatsächliche Gefühlslage zwischen Firaku und Kaladi.
Nur die Graffitis entlang der Hauptstraßen Dilis
zeugen noch davon, dass nicht immer alles harmonisch verlief. „FIRAKU SAE FAHI“ („Firaku raus
hier“) mahnen dicke schwarze Letter an Hauswänden und Mauern in Gegenden wie Delta oder Becora. Doch auch hier spricht man die Dinge oft nicht
direkt an. Schon fast ironisch erscheint es, dass
einige dieser Graffiti anstatt des Wortes „Firaku“
das phonetisch ähnliche Wort „Irak“ beinhalten.
„AMI LA SIMU IRAK“ („Wir akzeptieren kein
Irak“) steht an die Wände zerstörter Häuser geschrieben. Bei solch willkürlichen Anspielungen auf
weltpolitisches
Geschehen
und
GraffitiSchmierereien erscheint der Konflikt eher als jugendlicher Blödsinn anstelle eines ernst zu nehmenden „ethnischen“ Konfliktes. Es drängt sich
jedenfalls der Verdacht auf, dass es sich bei dem
Firaku-Kaladi Phänomen nicht um allzu tief verankerte Identitäten handelt.
Beziehen sich Osttimoresen auf die Krise 2006,
so benutzen sie anstelle des Begriffspaares Firaku
und Kaladi meist die politisch korrektere Version
„Loro Sa'e“ und „Loro Munu“. Auch wenn diese
Bezeichnungen im Rahmen der Krise 2006 mit
gleichsam negativer Konnotation in rassistischen Graffiti und Parolen zu finden waren, so
sind sie ursprünglich vollkommen wertneutral:
auf Tetum heißt Lorosa'e „Sonnenaufgang“ und
Loro Munu „Sonnenuntergang“. Zudem sind
dies auch die einzigen Tetum-Begriffe, um die
Himmelsrichtungen Osten und Westen auszudrücken. Mittlerweile haben aber selbst Loro
Sa'e und Loro Munu einen so negativen Beigeschmack, dass Politiker wie Fernando La Sama
de Araújo im Wahlkampf 2007 forderten, man
solle die Termini bzw. ihren Missbrauch gesetzlich verbieten. Diese Versprechungen der Politiker, die anstatt mit rassistischen Parolen mit
Schlagworten wie „Einheit“ und „Frieden“
warben, tragen dem Wunsch der Bevölkerung
nach Stabilisierung und Sicherheit Rechnung.
Der immer wieder geäußerte Wunsch, die vergangenen Auseinandersetzungen nicht wieder
aufleben zu lassen und keinesfalls als „ethnischen Konflikt“ in die Geschichte eingehen zu
lassen, geben Grund zur Hoffnung. Ob die Kategorien Firaku-Kaladi langfristig Relevanz behalten und sich für die Identität der Osttimoresen zu einer Art ethnischen Demarkationslinie
entwickeln werden, das wissen nur die Ahnen.
Es scheint jedoch, als wären sie lediglich zwei
von vielen Varianten osttimoresischer Identitätsmuster, nicht der ultimative Schlüssel zum
Verständnis der Krise 2006.
Notizen zur Gewalt in Osttimor
Henri Myrtinnen
Seit dem offenen Ausbruch verschiedener politischer, sozioökonomischer, ethno-regionaler und
mehr oder weniger privater Konflikte im Zusammenhang mit der Krise von 2006 scheint Osttimor
von einem akuten Notstand in den nächsten zu
schlittern. Kaum ist ein Problem bewältigt, erscheint
schon das nächste. Als aktuelles Beispiel kann man
die Ereignisse Ende April/Anfang Mai 2008 heranziehen, als sich die letzten Meuterer um Rebellenchef Gastão Salsinha ergeben hatten und damit zur
Beilegung dieses Problems beitrugen. Keine 24
Stunden später nahm schon die nächste politische
Krise ihren Anfang, als die sich in der Regierungskoalition befindende ASDT ihren Kooperationsvertrag mit der oppositionellen FRETILIN bekannt gab.
Weitere Krisen sind schon am Horizont sichtbar: so
sind zum Beispiel die Petitioners – die Gruppe der
Focus Asien Nr. 31
Soldaten, die im Februar 2006 das Militär verließ und somit eine politische und soziale Krise
auslöste – mit der ihnen von der Regierung
angebotenen politischen Lösung nicht zufrieden. Darüber hinaus lassen steigende Lebensmittelpreise wenig Gutes verheißen, da sie zu
einer Verschärfung der schwierigen Versorgungslage in dem Land beitragen.
In diesem Beitrag werde ich versuchen, einige der verschiedenen Konflikt- und Bruchlinien in der osttimoresischen Gesellschaft zu
erforschen. Eine der zentralen Fragen hierbei ist,
inwiefern Gewalt als legitimes Mittel zur
Durchsetzung / Erlangung von gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen oder privaten
Zielen gilt. Ich werde auch versuchen die Frage
zu ergründen, warum es gerade vor allem junge
„Osttimor am Scheideweg“
28
Männer sind, die zur Gewalt als Lösungsmittel zu
neigen scheinen.
Kleines Land, viele Bruchlinien
Osttimor ist bekannterweise ein kleines Land mit
einer kleinen (aber rasant wachsenden) Bevölkerung. In dieser Gesellschaft gibt es eine Vielzahl
verschiedener Konflikt- und Trennlinien. Diese
verlaufen zum Beispiel
- innerhalb und zwischen den Sicherheitskräften
PNTL und F-FDTL, deren jeweilige Rolle in der
Gesellschaft noch nicht eindeutig definiert sind
(siehe z.B. ICG 2008);
- zwischen den Veteranen des Unabhängigkeitskampfes, wobei vor allem die Clandestinos, die
ehemaligen zivilen Widerstandsaktivisten aus
dem Untergrund, fühlen, dass im Prozess der
Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung (DDR-Prozess, disarmament, demobilisation and reintegration) politisch der FALINTIL
eng verbundene ehemalige Kämpfer bevorzugt
worden sind (siehe auch Myrttinen und Stolze
2007, Rees 2004);
- zwischen den Petitioners, die jetzt wieder in die
Sicherheitskräfte integriert werden wollen und
denen, die während der Krise mehr oder weniger loyal in den Sicherheitskräften gedient haben;
- zwischen ‘Ost’ und. ‘West’ und zwischen anderen ethno-regionalen Gruppen, wobei diese
Konflikte und die Kategorien, auf denen sie basieren, mit überraschender Schnelligkeit anund abgeschaltet bzw. mobilisiert werden können (siehe z.B. auch Prüller 2008);
- zwischen
verschiedenen
Banden
und
Kampfsportgruppen (z.B. PSHT gegen 7-7), die
inzwischen kein hauptstadtspezifisches Phänomen mehr sind, sondern sich landesweit ausgebreitet haben und auch im kleinen Maßstab
transnational mit Verbindungen nach Australien und Indonesien (vor allem über die timoresische Diaspora) agieren;
- zwischen den verschiedenen politischen Parteien, also vor allem der FRETILIN gegen die
AMP-Koalition, wobei die Koalition selber eventuell bröckelt; sowie
- die latenten Konflikte zwischen sozialen Klassen und Generationen, zwischen den angesehenen ema boot und den kleinen Leuten wie auch
zwischen der älteren und jungen Generation.
Auch schwelen andere Konflikte weiter und nehmen oft die Form politischer, ethno-regionaler oder
der von Bandenkonflikten an. Diese dienen jedoch
Focus Asien Nr. 31
oftmals als Fassade zum Beispiel für Ressourcenkonflikte (vor allem Landkonflikte – siehe
unter anderem Gunter 2007; Myrttinen 2008)
oder persönliche Rivalitäten. Hinzu kommen
weitere Probleme, sei es die drohende Lebensmittelknappheit oder der wachsende Frust gegenüber der internationalen Präsenz und/oder
eigenen politischen Elite, welche die sozioökonomischen Probleme des Landes nicht in den
Griff bekommen.
Mit Gewalt geht alles?
In ihrem Bericht zu den Vorfällen vom AprilJuni 2006 stellt die Untersuchungskommission
der Vereinten Nationen relativ lapidar fest,
dass:
Political competition within Timor-Leste has
been historically settled through violence. (UN,
2006)
Ganz so einfach sollte man es sich jedoch nicht
machen, denn die Gewalt ist ein kompliziertes
Phänomen.
Neben der direkten, physischen Gewalt gibt
es auch weniger sichtbare Formen, wie zum
Beispiel psychische oder verbale sowie strukturelle Gewalt. Die Art, in der diese verschiedenen
Gewalttypen wahrgenommen und verarbeitet
werden, hängt sowohl vom Einzelnen als auch
vom soziokulturellen Umfeld ab. So nimmt z.B.
in vielen melanesischen Gesellschaften die verbale Gewalt (sei es üble Nachrede, eine Verbalattacke, ein maliziöses Gerücht oder eine Verwünschung) oft mindestens den gleichen Rang
wie physische Gewalt ein. Ich wage daher zu
behaupten, dass oft vieles, was von Osttimoresen als Gewalt oder Einschüchterung empfunden wird, von außen stehenden Beobachtern,
die nur physische Gewalt beobachten können,
gar nicht wahrgenommen wird. Die vor allem in
Dili oft vorherrschende lähmende Atmosphäre
einer diffusen Angst sowie die von vagen Gerüchten und Andeutungen geschürten Erwartung physischer Gewalt können auch als eine
Form der Gewalt gesehen werden. Hinter dieser
erwarteten Gewalt werden meist eine nicht
näher definierte Gruppe der ‚ihr-wisst-schonwer’ Dunkelmänner oder Schattenkrieger wie
die Ninjas vermutet. Die fehlende transparente
Aufklärungsarbeit nach Gewalttaten, sei es nach
kleineren Verbrechen oder größeren Ereignissen
wie dem Putschversuch vom 11. Februar 2008,
trägt weiter zu dieser Atmosphäre der Spannung und des gegenseitigen Misstrauens bei.
„Osttimor am Scheideweg“
29
Die verbale Gewalt und die als Gewalt empfundene diffuse Angst kann auch als Legitimation
für die eigene direkte, physische Gewalt benutzt
werden, die hierdurch zur Selbstverteidigung wird
(siehe z.B. auch Knauft 1990). Außerdem hat sich
die Gewalt als effektives politisches Druckmittel
bewährt. Die, die Gewalt anwenden, bekommen
Aufmerksamkeit, setzen ihre Ziele durch und werden obendrein amnestiert (siehe auch Myrttinen
2008).
Männlichkeit und Gewalt
Sowohl im privaten (Stichwort häusliche und sexualisierte Gewalt) als auch im öffentlichen Raum
in Osttimor ist die Gewalt, vor allem ihre direkte,
physische Variante, stark männlich geprägt. Öffentliche Gewalt, vor allem die von den Banden ausgehende, wird oft als ein Jugendproblem dargestellt,
wobei präzisiert werden muss, dass hier Jugend mit
jungen Männer gleichgestellt wird. Oder genauer:
mit jungen, hauptsächlich urbanen, gewaltbereiten
Männern der sozialen Unterschichten. Hierbei wird
oft übersehen, welchen Beitrag die etablierteren
Schichten der Gesellschaft zur Ermöglichung der
Gewalt leisten.
Sowohl in meinen eigenen Feldstudien als auch
in anderen Untersuchungen zur Gewalt in Osttimor
seit dem Anfang der Krise (so z.B. Grove et al. 2007,
Myrttinen 2008, Prüller 2008, Scambary et al. 2006,
Streicher 2008) kommen ähnliche Gründe und Erklärungen für die andauernde Gewalt auf. Diese
sind unter anderem:
- Identitätskrise junger Männer, die zwischen den
idealisierten Vorstellungen einer Tradition, in
der ‚Männer noch Männer’ waren einerseits
und einer urbanen Moderne andererseits, in der
sie sich als Hauptverdiener sehen möchten, gefangen sind, aber keine der beiden Rollen erfüllen können;
- Identitätsstiftung, Respektverschaffung und
Zusammengehörigkeitsgefühl durch Bandenbzw. Kampfsportgruppenmitgliedschaft;
- ein generelles Gefühl von Frust und Enttäuschung oder genauer von ‘sakit hati;’
- ‚Sozialer Neid’ gegenüber denen, die als besser
gestellt gesehen werden;
- Manipulation und Gerüchte, wobei natürlich
bemerkt werden muss, dass dies oft auch als
Ausrede benutzt wird, um Schuld von sich abzuweisen. Es bedarf bei der Manipulation jedoch immer einer manipulierenden Seite und
der anderen Seite, die sich manipulieren lässt;
Focus Asien Nr. 31
Langeweile und Arbeitslosigkeit, wodurch
junge Männer ihre Zeit mit Herumhängen
und Alkoholkonsum verbringen, was leicht
zu physischer Gewalt führen kann;
- eine Atmosphäre diffuser Angst und der
Erwartung von Gewalt (siehe oben);
- Verlangen nach Gerechtigkeit und/oder
Rache; sowie
- persönliche Konflikte, z.B. wegen gekränkter Ehre oder Liebesgeschichten.
Die vor allem von jungen Männern ausgeübte
Gewalt wird auch dadurch ermöglicht, dass sie
von weiten Teilen der Gesellschaft unterstützt
oder zumindest geduldet wird. So gut wie alle
politischen Parteien (auch die katholische Kirche) greifen gerne auf Gruppen gewaltbereiter
Männer zurück, um ihren politischen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Die Sicherheitskräfte (inklusive der privaten Sicherheitsfirmen) sind von den Banden unterwandert,
häusliche Gewalt wird weitgehend toleriert. Die
Banden und Kampfsportgruppen werden teilweise von der Bevölkerung in den ärmeren
Stadtvierteln Dilis, den bairos, als eine Art lokaler Schutztruppe empfunden und unterstützt.
Es kommt auch schon mal vor, dass Frauen ihre
Söhne, Männer und Brüder anfeuern, wenn
diese Steine auf die UNPOL oder ISF werfen.
Auch sind viele der männlichen Rollenvorbilder, derer sich junge Männer identitätsstiftend bedienen, solche, die versucht haben, mit
Gewalt ihre Ziele zu erreichen. Dies gilt sowohl
für die meisten einheimischen Vorbilder wie
z.B. den Liurai von Manufahi, Dom Boaventura,
der sich gegen die portugiesische Kolonialbesatzung Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts
auflehnte oder aus der jüngsten Zeit Alfredo
Reinado, der sich gegen die Regierung und die
internationalen Sicherheitstruppen auflehnte.
Helden können aber auch importiert werden, so
z.B. Filmfiguren wie Rambo oder Schauspieler
wie Jean-Claude van Damme oder Vin Diesel.1
-
Chaos und Anarchie?
Während die Bilder von Banden junger Männer,
die Häuser abfackeln, leicht und oft für kulturpessimistische Schnellanalysen benutzt werden,
ist auch hier die Problemlage komplexer. Statt
um Chaos und Anarchie (im Sinne fehlender
Alfredo Reinado hatte das ‘xXx’-Logo des gleichnamigen Actionfilms mit Vin Diesel auf seinem Nacken tätowiert.
1
„Osttimor am Scheideweg“
30
hierarchischer Strukturen) handelt es sich eher um
Chaos in einem Umfeld, in dem eine Vielzahl von
Hierarchien untereinander im Wettbewerb stehen
und Loyalität einfordern. Wie Dinnen es für viele
melanesischen Gesellschaften ausdrückt, ist nicht
das Fehlen von Autoritäten der Fall, sondern es gibt
‘many competing sources of authority and allegiance
at local levels, with the claims of the state being
merely one among many.’ (Dinnen, 2000).
Besonders männliche Identitäten werden stark
durch die Zugehörigkeit zu hierarchischen, klientelistischen Netzwerken definiert. Im Falle Osttimors
ist es oft die Loyalität zur erweiterten Familie/Klan,
zur ethno-regionalen Gruppe, zu einer Partei, zur
Kirche oder anderen religiös ausgerichteten Organisationen (z.B. Sagrada Familia), zu einer Veteranenorganisation oder einem ehemaligen ClandestinoNetzwerk, zu einer Bande oder Kampfsportgruppe
und dem eigenen bairo, welche die Identität mitbestimmt und die Aktivitäten des Einzelnen prädeterminiert.
Während die Loyalitätsnetzwerke aus einer
westlichen Perspektive oft als problematisch angesehen werden, z.B., wenn diese im Konflikt mit der
gleich berechtigenden Ausführung der Pflichten
eines Staatsbeamten gegenüber dem Bürger stehen,
können diese starken gesellschaftlichen Bindungen
Focus Asien Nr. 31
auch eine konstruktive Rolle spielen. Diese
sozialen Netzwerke und Interessengemeinschaften bilden das Fundament der osttimoresischen
Gesellschaft. Auf diese lässt sich aufbauen, so
lange Interessenkonflikte zwischen den verschiedenen Gruppen als legitim angesehen und
gewaltlos austragen werden können. Als Basis
für den Wiederaufbau der zerrütteten Verhältnisse können auch der noch relativ starke Glauben an den einheitlichen Nationalstaat Osttimor
(‘Timor Ida Deit’) und die Betonung von Gerechtigkeit, Einigkeit und Frieden (‚Justisia,
Unidade no Paz’) in der Gesellschaft mobilisiert
werden.
Auch wäre es aus meiner Sicht zu wünschen, dass in diesen Prozessen nicht bloß alte
Machtstrukturen reproduziert und gestärkt
werden und statt dessen auch bisher eher marginalisierte Gruppen wie Frauen, Jugendliche,
sexuelle Minderheiten oder gesellschaftliche
Unterschichten stärker beteiligt werden. Dies
muss aber die osttimoresische Gesellschaft
selbst bewältigen, denn osttimoresische Probleme bedürfen osttimoresischer Lösungen.
„Osttimor am Scheideweg“
31
Beobachtungen in einem osttimoresischen Bergdorf
während der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen
2007
Judith Bovensiepen
In dem Dorf Funar im Sub-Distrikt Laclubar, in den
Bergen im Zentrum Osttimors gelegen, führte ich
von 2005 bis 2007 die ethnologische Feldforschung
für meine Dissertation an der London School of
Economics durch.1 In diese Zeit fielen auch die
Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Die ASDT
Partei, die Vereinigung der Sozialdemokraten Timors,
hat in dieser ländlichen Region einen starken Rückhalt. Ihr Vorsitzender Francisco Xavier do Amaral
kommt nämlich aus dem nicht weit entfernt liegenden Ort Turiscai. Als zur Vorbereitung der Präsidentschaftswahlen im Februar 2007 die Flagge der
ASDT in Funar gehisst werden sollte, wurden die
Vorsitzenden der suco und aldeia (Dörfer bzw. kleinere Ortschaften), die rituellen Sprecher und andere
wichtige Dorfbewohner eingeladen, von denen
viele allerdings die ASDT gar nicht selber unterstützen. Dennoch warteten viele ältere und einflussreiche Dorfbewohner geduldig in der Hitze vor
dem Feld, auf dem die Flagge gehisst werden sollte.
Dann kam es zu einer mir bizarr erscheinenden, fast
militärischen Zeremonie, bei der zwei Jugendliche
wiederholt mit der Fahne auf den Flaggenmast
zumarschierten, salutierten, sich umdrehten und im
Gleichschritt wieder zurückmarschierten. Ein älterer Mann, der neben dem Mast auf sie gewartet
hatte, salutierte, wobei er die Beine stramm zusammenschlug. Dieser Ablauf wurde etliche Male
wiederholt, bis die drei die Flagge vorsichtig hissten. Die nun folgenden langen Reden enthielten die
üblichen Entschuldigungsreden für den schlechten Zustand der Häuser der Gastgeber und
diverse Respektsbekundungen, welche mit
„Viva ASDT“ Rufen beendet wurden. Mir fiel
auf, dass auch einige UDT-Anhänger ihre Unterstützung für die ASDT durch enthusiastische
„Viva ASDT“-Rufe bekundeten. Bei dieser Versammlung hielten die Anhänger anderer Parteien ebenfalls kurze Reden, in denen sie hauptsächlich ihren Respekt ausdrückten. Dieses
Beispiel soll zeigen, wie sehr den Dorfältesten
die Vermeidung von Konflikten bei der Vorbereitung zu den Wahlen am Herzen lag. Sich
öffentlich für oder gegen eine Partei zu stellen
wurde als problematisch betrachtet, da dies die
Menschen gegeneinander aufbringen könnte.
Deshalb nahmen viele der wichtigen Persönlichkeiten im Dorf am Hissen der ASDT Fahne
teil, auch wenn sie die ASDT gar nicht unterstützen.
Im Folgenden werde ich einige meiner
wichtigsten Beobachtungen aus der Zeit der
Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2007
in der ländlichen Region von Laclubar anhand
von drei Gesichtspunkten schildern: (1) von der
geographischen Lage der Region her, (2) aus der
historischen Perspektive und (3) aus der Frage,
welche Erwartungen die Menschen an die politischen Amtsträger haben.
Die geographische Lage
Dieser Artikel basiert auf einer 20-monatigen Feldforschung in Osttimor vom November 2005 bis zum August
2007, die ich im Rahmen meiner Doktorarbeit in Sozialanthropologie an der London School of Economics and
Political Science durchführte. Feldforschung und Promotion wurden von folgenden Organisationen freundlicherweise finanziell unterstützt: Wenner Gren Foundation for Anthropological Research, Studienstiftung des
deutschen Volkes, Economic and Social Research Council
(ESRC), Centre for the Study of Human Rights (CSHR)
und Central Research Fund (CRF) der Universität von
London. Außerdem möchte ich Antje Winkelmann, Andre Borgerhoff und Manuel Schmitz und den Teilnehmern
der DOTG Tagung 2008 für die hilfreichen Anmerkungen
zu diesem Artikel danken.
1
Focus Asien Nr. 31
Der suco Funar liegt im Sub-Distrikt Laclubar im
Distrikt Manatuto. Laclubar ist mit einer Einwohnerzahl von ca. 10.000 eine besonders dünn
besiedelte Region Osttimors. Die lokale Sprache
ist Idaté. Die Einwohner leben hauptsächlich
von Landwirtschaft und Viehzucht, es wird
kaum Reis angebaut, dafür aber Kaffee, Mais
und Knollengewächse. Die Infrastruktur dieser
Region ist extrem schlecht, die Strassen sind
vernachlässigt und kaputt. Öffentliche Verkehrsmittel fahren nur bis zum Zentrum Laclubars, die meisten dazugehörigen suco sind nur
schwer mit dem Auto zu erreichen; während
„Osttimor am Scheideweg“
32
der Regenzeit sind sie oft völlig abgeschnitten. In
Laclubar gibt es Elektrizitätsleitungen, Strom wird
jedoch nur alle zwei Tage für circa vier Stunden
geliefert. Außerhalb von Laclubar gibt es weder
Elektrizitätsleitungen noch Radioempfang und nur
bedingt Telefonempfang. Die Bewohner sind voll
und ganz auf mündlich überlieferte Nachrichten
von Menschen, die von Dili kommen, angewiesen.
Weit verbreitete Angst, gegenseitiges Misstrauen und die Furcht vor den Konflikten in Dili führten
dazu, dass das sowieso schon sehr unzuverlässige
öffentliche Transportsystem während der Wahlen
fast vollkommen zusammenbrach. Die sonst fast
täglich fahrenden offenen Lastwagen (Anguna)
zwischen Dili und Laclubar fuhren während der
Wahlen höchstens einmal in der Woche oder fielen
ganz aus.
Bei den nach den Präsidentschaftswahlen abgehaltenen Parlamentswahlen waren alle Einwohner
eines aldeia im suco Funar nicht zu den Wahlen erschienen. Einige begründeten diese Entscheidung
damit, der Fluss, den sie auf dem Weg hätten überqueren müssen, habe zu viel Wasser gehabt. Durch
die geographischen Gegebenheiten war es für die
Bewohner dieser Gegend besonders schwer, ihr
Wahlrecht auszuüben. Andere betonten, sie seien
enttäuscht, da Xavier do Amaral bei den Präsidentschaftswahlen nicht gewonnen habe und deshalb
hätten sie die Wahl boykottiert. Es gab auch Wahlverweigerer aus allgemeiner Frustration und Hoffnungslosigkeit, da die Wahl ihr Leben sowieso nicht
verändern würde und sie danach weiter auf dem
Feld arbeiten müssten.
Sowohl die geographische Abgelegenheit dieser
Gegend als auch das Abgeschnittensein vom Radiound Telefonnetz führt zu einer politischen Isolation,
die im starken Gegensatz zur Weltanschauung ihrer
Bewohner steht, die Laclubar als das spirituelle
Zentrum Osttimors und als Mittelpunkt der ganzen
Welt ansehen. Es wird behauptet, dass das Kraft
tragende lulik Land dieser Region den Nabel der
Welt darstelle. Die Bewohner Laclubars behaupten,
der Bezirk Manatuto sei das Land der Mitte, rai
klaran, und gehöre weder zum Westen noch zum
Osten. Der Ausdruck rai klaran unterstützt die Behauptung der Bewohner Laclubars, sie seien politisch neutral und würden sich nicht in die Konflikte
in Dili einmischen. Nach Auffassung der dortigen
Bewohner werden politische Prozesse vielmehr
durch spirituelle Mächte und Zeremonien beeinflusst, zumindest muss die politische Macht durch
spirituelle Autorität legitimiert werden.
Ganz sicherlich hat die abgeschiedene Lage Funars und das völlige Angewiesensein auf mündlich
Focus Asien Nr. 31
überlieferte Informationen dazu beigetragen,
dass eine große Unwissenheit unter der ländlichen Bevölkerung darüber bestand, wie die
Wahlen überhaupt ablaufen und wann sie genau stattfinden würden. Inhaltlich wurde in den
Wahlkampfreden in Laclubar hauptsächlich
Bezug auf die Vergangenheit genommen, frühere Differenzen und Fehler wurden erwähnt und
es wurden finanzielle Versprechungen für die
Zukunft gemacht.
Die historische Perspektive
Die Region Laclubar is nicht nur geographisch
relativ abgeschnitten, sondern auch politisch
marginalisiert. Der Grund dafür ist, dass die
Bewohner Laclubars als Befürworter der indonesischen Besatzung bekannt sind. Historisch
waren 1975 wohl alle drei Parteien im Laclubar
Sub-Distrikt vertreten: FRETILIN, APODETI
und UDT. Die Familie des letzten indonesischen
Gouverneurs, José Abílio Osório Soares, dessen
Bruder die pro-indonesische Partei APODETI
gründete, stammt aus Laclubar. Es ist zu vermuten, dass die APODETI deshalb hier besonders viele Anhänger hatte. Konflikte unter den
herrschenden liurai Familien wurden in der
Geschichte durch Einmischung der portugiesischen Besatzer verstärkt und haben zu den
späteren
Auseinandersetzungen
zwischen
APODETI, UDT und FRETILIN beigetragen.
Der Konflikt zwischen UDT und FRETILIN
führte 1975 zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen beiden Parteien, bei dem die
suco Funar und Fatumakerek vollkommen zerstört und niedergebrannt wurden. Einige der
lokalen Machthaber dieser suco, die die UDT
unterstützten, wurden von Anhängern der
FRETILIN ermordet. Man kann die weit verbreitete Aversion gegen die FRETILIN bei den
gegenwärtigen politischen Entscheidungen und
die allgemeinen Ängste vor erneuten gewaltsamen Auseinandersetzungen vor diesem historischen Hintergrund sehen. Zugehörigkeiten zu
Parteien und Streitigkeiten beruhen auf Jahrzehnte alten Konflikten und Spannungen. Viele
Unterstützer von Ramos-Horta oder der CNRT
Partei waren in der Vergangenheit Gegner der
FRETILIN und begründeten ihre Entscheidung
damit, weiterhin ihren Protest gegen Fretilin
ausdrücken zu wollen.
Die historisch traumatischen Erfahrungen,
d.h. die Zerstörung ihrer Dörfer, spiegelte sich
auch in der Angst vor den Wahlen im Jahr 2007
wider. Es herrschte eine allgemein angespannte
„Osttimor am Scheideweg“
33
Stimmung und zahlreiche Informanten drückten
ihre Angst vor den Wahlen offen aus. Man fürchtete, dass die Konflikte ernster sein würden als der
Krieg im Jahre 1975. Bei den lokalen Wahlen im
suco im Jahr 2004 hatte es eine Schlägerei in Funar
gegeben und viele Einwohner prophezeiten
Schlimmeres bei den kommenden Wahlen. Sie waren überzeugt, dass die Abstimmungen starke Unruhen und gewalttätige Auseinandersetzungen
auslösen würden. Trotz dieser pessimistischen Vorhersagen und der angespannten Stimmung gab es
während der Wahlkampagnen in Laclubar kaum
ernsthafte oder politisch motivierte Konflikte. Es
traten jedoch z.B. Streitigkeiten zwischen Parteinanhängern der ASDT darüber auf, wer bei der
Wahlkampagne zuerst essen durfte. Dorfbewohner
mit besonders hohem sozialem Status dürfen in der
Regel zuerst essen, dadurch reichte das Essen bei
einigen Kampagnen nicht für die Parteimitglieder,
die darüber erbost waren.
Insgesamt war die Angst vor Konflikten während der Wahlen sehr groß und richtete sich – soweit mir bekannt – vorwiegend gegen die
FRETILIN. Gerüchte gingen um, dass FRETILINAnhänger ein Lager in Laclubar eingerichtet hätten,
in dem sie Waffen und Reis aufbewahrten. Außerdem wurde gesagt, FRETILIN-Anhänger würden
Dorfbewohner bedrohen oder Belohnungen im
Falle einer Unterstützung versprechen. Es gab jedoch auch ähnliche Vorwürfe der FRETILIN gegen
die CNRT von Xanana Gusmão. Weiterhin gab es
Gerüchte, dass Waffen aufgetaucht seien, dass
nachts Schüsse gehört wurden, dass Alfredo Reinado nach Laclubar kommen würde oder dass von
einem Hubschrauber australische Soldaten in den
Bergen abgesetzt worden seien, um einen Krieg zu
beginnen.
Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 9. April 2007 erhielt Xavier do Amaral in
zwei suco von Laclubar die meisten Stimmen: im
suco Funar und im suco Fatumakerek (siehe auch.
den Artikel von Jakob Lempp). José Ramos-Horta
erhielt in fast allen anderen suco die Mehrheit der
Stimmen, was durch die unverholene Unterstützung des lokalen Priesters für Ramos-Horta und
den CNRT beeinflusst worden sein könnte. Die
Stimme für Ramos-Horta wurde von den meisten
Bewohnern vor allem als eine Entscheidung gegen
die FRETILIN gesehen.
Man kann sowohl lokale Differenzen als auch
lokale Solidaritätserklärungen vor dem Hintergrund der historischen Vorkommnisse verstehen.
So behaupten zum Beispiel die Bewohner aus zwei
unterschiedlichen aldeia, sie hätten während des
Focus Asien Nr. 31
Bürgerkrieges im Jahr 1975 die UDTunterstützende Elite Funars (die liurai) vor den
FRETILIN-Anhängern versteckt. Es wird gesagt,
dass sie auch heute in einer Krise jederzeit den
liurai verstecken würden, denn lokale Solidarität
gehe vor Parteizugehörigkeit. Von der Tochter
des ehemaligen liurai in Funar wurde mir nach
der ersten Wahlrunde erklärt, dass die ASDT
zwar die Wahlen in Funar gewonnen hätte, aber
sie müssten die Macht sowieso an die liurai
abgeben. Diese Aussage gibt die verbreitete
Überzeugung der Bewohner wider, dass die
politischen Ämter eigentlich weiterhin durch
traditionelle Machthaber ausgeübt werden sollten und dass die politischen Institutionen durch
spirituelle Kräfte vorherbestimmt seien. Nach
ihrer Meinung sind die Machtverhältnisse seit
der Zeit der Ahnen festgelegt und nur Mitglieder bestimmter bedeutender Häuser können
politische Ämter übernehmen. Der Streit entfacht sich an der Frage, wer genau legitimer
Nachfolger der traditionellen Machthaber oder
liurai ist.
Erwartungen an die Politiker
Tiefsitzende, kulturell geprägte Überzeugungen
beeinflussen in dieser Gegend sowohl den Verlauf der nationalen Wahlen als auch deren Bewertung. Viele Bewohner Funars behaupten
z.B., dass sie deshalb ASDT wählen, weil sie die
„erste“ Partei sei, die sich in Osttimor gegründet
habe. Diese Auffassung entspricht der traditionellen Machtstruktur, in der „Präzedenz“ und
„Priorität“ eine wichtige Rolle spielen.
Auffällig war die zu Beginn beschriebene
Verpflichtung der Dorfältesten, andere Parteien
adäquat zu empfangen und das Bemühen, gegenteilige Standpunkte nicht direkt zum Ausdruck zu bringen. Viele Dorfbewohner hängten
unterschiedliche Flaggen oder Wahlplakate mit
der Erklärung auf, dass sie alle Parteien in gleicher Art und Weise und mit Respekt „empfangen“ würden. Als der Koordinator der ASDT
von Manatuto nach Funar kam, weigerte er sich
in einem Haus zu schlafen, in dem neben der
ASDT Flagge auch die Flagge des CNRT hing.
Für die Bewohner von Funar war dies jedoch –
wie oben erläutert – kein Widerspruch. Meiner
Meinung nach wird hier eine charakteristische
Verhaltensweise deutlich: man versucht Konflikte zu vermeiden, in dem man gegensätzliche
Standpunkte nicht öffentlich diskutiert. Die
meisten Bewohner Funars assoziieren mit dem
Wort „Politik“ und „Partei“ Konflikt und Krieg
„Osttimor am Scheideweg“
34
und einige wollten deshalb am liebsten überhaupt
nicht wählen und „einfach nur neutral sein.“
Die allgemeine Verunsicherung wurde gesteigert durch rasch kursierende Geschichten über
Hexerei und magische Kräfte, die von bestimmten
Orten in der Landschaft ausgingen. Dies trug zu
vermehrtem Misstrauen gegen Nachbarn oder
Freunde bei. Bereits bestehende lokale Konflikte
intensivierten sich während der Wahlvorbereitungen und drückten sich durch Vorwürfe der Hexerei
aus. Jedoch gab es auch andere Umgangsweisen.
Als z.B. ein Dorfbewohner in die UDT Partei eintrat
und seine Verwandten ebenfalls zur Wahl dieser
Partei überreden wollte, einigte man sich darauf,
dass jeder der sechs Erwachsenen im Haus bei einer
anderen Partei unterschreibt, um Spannungen zu
vermeiden.
Es gab wenig Vertrauen in den Wahlprozess als
solchen und nur wenige waren überzeugt, dass die
Wahlen wirklich anonym sein würden. Auf der
einen Seite fürchtete man sich vor den Konsequenzen der Wahlen, auf der anderen Seite sah man
Anonymität nicht unbedingt als erstrebenswert an
oder als eine besonders demokratische Errungenschaft. Die meisten Bewohner erhofften sich ganz
konkrete finanzielle Vorteile oder Belohnungen von
der Partei, die gewonnen hat. Als ich die Bewohner
Laclubars nach ihren Erwartungen an die neue
Regierung befragte, antworteten fast alle, dass sie
konkrete finanzielle Unterstützung und Lieferung
von Nahrungsmitteln (d.h. Reis) erwarteten.
Bei diesen Überlegungen spielen die Erfahrungen während der indonesischen Besatzung eine
Rolle, als die Bewohner Laclubars regelmäßig ReisRationen von den Indonesiern erhielten, damit sie
sich nicht dem Widerstand anschlossen. Da der
Widerstand gegen Indonesien besonders in den
ländlichen Regionen von Laclubar stark ausgeprägt
war, wurden die dortigen Bewohner zwangsweise
in das Zentrum von Laclubar umgesiedelt, um hier
von den indonesischen Besatzern besser kontrolliert
werden zu können.
In bäuerlichen sozialen Systemen ist es traditionell verankert, dass die Autorität bestimmter Familien insoweit akzeptiert wird als sie in Notsituationen den Bewohnern materielle Sicherheit bieten. So
ist auch heute die Wahl der politischen Machthaber
mit der ganz konkreten Hoffnung auf finanzielle
Focus Asien Nr. 31
Hilfe verbunden. Bei der Wahl einer Partei wird
häufig die Person favorisiert, die man persönlich kennt, die aus derselben Gegend stammt
und die in irgendeiner Weise in das lokale
Tauschsystem eingebunden ist. Hat man so
einer Person zu einer politischen Stellung verholfen, kann man sich später auf ihre Verpflichtungen berufen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die
Wahlvorbereitungen und die Durchführung der
Wahlen im Sub-Distrikt Laclubar ohne größere
Konflikte verliefen. Es war jedoch zu beobachten, dass die Bewohner Parteien generell skeptisch gegenüberstanden. Sie verbinden diese mit
massiven Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen, was angesichts der historischen Erfahrungen während des Bürgerkrieges
zwischen UDT und FRETILIN 1975 und zur Zeit
der indonesischen Besetzung gut nachvollziehbar ist. Die historisch bedingten und noch heute
existierenden lokalen Spannungen wurden in
Schach gehalten, in dem einflussreiche Dorfbewohner öffentliche Stellungnahmen vermieden
und Mitglieder unterschiedlicher Parteien an
den Wahlkampagnen der Oppositionsparteien
teilnahmen.
Wie auch in anderen Ländern waren die
Wahlentscheidungen stark von dem Prinzip
der Reziprozität bestimmt. Bevorzugt wollte
man Personen aus dem eigenen Umkreis zu
politischen Ämtern verhelfen, um diese später
an ihre gegenseitigen (d.h. reziproken) Verpflichtungen erinnern zu können.
Trotz der äußerlich ruhig verlaufenden
Wahlvorbereitungen herrschte eine Stimmung
zunehmender Unsicherheit sowie Angst und
Sorge vor einem erneuten Krieg. Geschichten
über Hexerei und der Glaube an spirituelle
Kräfte, die das politische Geschehen beeinflussen können, nahmen zu und hervorzuheben ist,
dass entgegen jeder Vorstellung von Demokratie eine verbreitete, tief sitzende Überzeugung
zu beobachten war, dass politische Entscheidungen letzten Endes durch spirituelle Kräfte
vorherbestimmt und durch traditionelle Zeremonien beeinflussbar sind.
„Osttimor am Scheideweg“
35
INTERNATIONALES ENGAGEMENT FÜR OSTTIMOR
Focus Asien Nr. 31
„Osttimor am Scheideweg“
36
Die Schwerpunkte der außen- und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit zwischen der Europäischen
Kommission und Timor-Leste
Achim Tillessen
Dieser Beitrag spiegelt ausschließlich die private Meinung
des Autors und keine offizielle Haltung der Europäischen
Kommission wider.
Außenpolitische Zusammenarbeit
Vom Außenbüro zur Delegation
Die außenpolitische Zusammenarbeit zwischen der
Europäischen Kommission und Timor-Leste hat mit
der Erweiterung des Außenbüros der Delegation in
Indonesien zu einer eigenständigen Delegation der
Europäischen Kommission und der im März 2008
erfolgten Akkreditierung eines Botschafters eine
neue Dimension erreicht. Die Delegation wird die
Koordination der EU-Politik vor Ort aktiv unterstützen und im politischen Dialog über alle Fragen
der politischen Zusammenarbeit, Fragen der Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte sowie den Dialog über die Verpflichtungen im
Rahmen der guten Regierungsführung einbezogen
sein und eine koordinierende Rolle spielen.
Zunächst war mit Erreichen der Unabhängigkeit im Jahre 2002 in Timor-Leste ein Außenbüro
der in Indonesien tätigen Delegation eingerichtet
worden. Seitdem gab es regelmäßige Kontakte der
politischen Führung des Landes (Gusmão, RamosHorta, Alkatiri) mit der Europäischen Kommission.
Die Entscheidung für eine eigenständige Delegation
fiel in die Zeit nach den Unruhen im Jahre 2006.
Kommissionspräsident Barroso ernannte einen
Sonderbeauftragten, der einen Beitrag zur Intensivierung der Beziehungen zwischen Kommission und
Timor-Leste
definieren
sollte.
Der
EUSonderbeauftragte empfahl u.a. die Einrichtung der
Delegation, um damit stärker die volle politische
Unterstützung zum Ausdruck zu bringen, die man
dem unabhängigen Timor-Leste entgegenbringen
wollte, dass sich für eine demokratische Verfassung
unter Beachtung der Menschenrechte und der guten
Regierungsführung entschieden hatte. Eine größere
Präsenz vor Ort würde außerdem zu einer effektiveren Hilfe beitragen sowie zu schnellerer Reaktion
in etwaigen Krisensituationen.
Focus Asien Nr. 31
Maßnahmen mit politischer Wirkung
Mit dem Einsatz des Sonderbeauftragten zeigte
die Kommission, wie wichtig ihr das Engagement nach den gefährlichen Entwicklungen in
der Krise von 2006 war und dass dringend weitere Maßnahmen der Konsolidierung des jungen Staates erforderlich waren, die zur Stabilisierung des Landes beitragen konnten. Der
Einsatz des Sonderbeauftragten war ein wichtiger Schritt zu einem intensiveren Dialog mit der
Regierung von Timor-Leste.
Eine weitere Maßnahme, die vom Sonderbeauftragten unterstützt wurde, war der Einsatz
eines Instruments im Rahmen der gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik, "Rapid reaction",
mit dem rasche Unterstützung zur Wiederherstellung einer gewissen Stabilität des Landes
erzielt werden sollte. Mit diesem Instrument
wurde u.a. der Politikdialog zwischen den führenden Politikern des Landes unterstützt, der
aufgrund der Krise von Polizei und Militär, die
sich beinahe in einem Bürgerkrieg entladen
hätte, starken Schaden genommen hatte.
Für die Präsidentschaftswahlen sowie die
Wahlen zum Parlament wurden Mittel aus dem
Förderprogramm des 9. Europäischen Entwicklungsfonds (EDF) der UNDP zur Verfügung
gestellt, um einen reibungslosen Ablauf der
Wahl zu sichern.
Die Europäische Kommission stellte eine
der größten Wahlbeobachtermissionen während
der Wahlen 2007, die einen insgesamt fairen
Verlauf der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen feststellen konnte.
Im Rahmen des Pazifik-Forums, dem Timor-Leste mit Beobachterstatus angehört, diskutierten der für Entwicklung und humanitäre
Hilfe zuständige Kommissar Louis Michel sowie Generaldirektor Stefano Manservisi, verantwortlich für Entwicklung und die Beziehungen zu den Staaten Afrikas, der Karibik und des
Pazifiks (AKP), mit dem stellvertretenden Premierminister sowie dem Außenminister im
Oktober 2007 u.a. über Fragen des besonderen
„Osttimor am Scheideweg“
37
regionalen Status von Timor-Leste, das sich wirtschaftlich Richtung ASEAN orientiert, aber sicher
während einer mittelfristigen Übergangszeit auf
Unterstützung aus dem pazifischen Regionalprogramm der Kommission angewiesen sein könnte.
Präsident Barroso stattete dem Land im November 2007 im Rahmen seiner Asienreise einen
Besuch ab und konnte u.a. vor dem Parlament in
Timor-Leste den demokratischen Fortschritt des
Landes würdigen und für den weiteren Aufbau des
Landes die Unterstützung der EU zusagen. Bei
dieser Gelegenheit wurde der Kommission auch das
neue Delegationsgebäude durch Präsident RamosHorta übergeben.
Nach den Attentaten auf Präsident RamosHorta und Premierminister Gusmão untersuchte
die Kommission die Bedingungen für ein neues
Stabilisierungsprogramm. Dabei wurde die Auflegung eines neuen Maßnahmenkatalogs aufbauend
auf früheren Aktivitäten, aber auch darüber hinaus
in anderen Bereichen wie dem Sicherheitssektor,
empfohlen. Diese Maßnahmen werden augenblicklich formuliert und voraussichtlich in der 2. Hälfte
2008 eingeleitet.
Es hat also in dieser Zeit eine ganze Reihe von
Maßnahmen gegeben, mit denen die Kommission
ihr politisches Profil in Timor-Leste geformt hat,
und es wird jetzt in der nächsten Zeit darauf ankommen, dass die neue Delegation in einen regelmäßigen Politikdialog mit der Regierung eintritt. In
diesen Dialog sollten neben Fragen der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte auch Fragen der guten
Regierungsführung einbezogen werden. Von der
Regierung geplante Maßnahmen wie der Aufbau
eines Rechnungshofes, der Aufbau der Sicherheitskräfte oder die Einrichtung einer Antikorruptionskommission könnten im Rahmen dieses Dialogs
regelmäßige Themen sein, zu denen die Kommission einen Lösungsbeitrag leisten könnte. Die zuletzt
erfolgten Verbesserungen der allgemeinen Sicherheitslage des Landes sollten auf jeden Fall positiven
Auftrieb für die außen- sowie entwicklungspolitische Arbeit geben.
Entwicklungspolitische Zusammenarbeit
Nach dem Referendum zur Unabhängigkeit und
den danach erfolgten Gewaltausbrüchen und Zerstörungen der Infrastruktur wurde Timor-Leste
zunächst mit Not- und humanitären Maßnahmen
unterstützt.
Die Hilfe wurde seit 1999 über den von der
Weltbank (WB) geführten Trust Fund für Osttimor
(TFET) abgewickelt sowie die Vereinten Nationen
Focus Asien Nr. 31
(VN)
und
Nicht-Regierungsorganisationen
organisiert. Ab 2002 wurden auch verstärkt
eigene Projekte mit Hilfe der WB oder mit Hilfe
von Consultants durchgeführt, die zu einer
verbesserten Präsenz der Kommission beitrugen. Nachdem Timor-Leste zunächst dem Asien-Programm der Kommission zugeordnet
worden war, erfolgte 2005 der Beitritt zum Cotonou-Abkommen der AKP-Staaten. Seitdem
erhält das Land seine Mittel über den Europäischen Entwicklungsfonds (EDF), zunächst den
9. EDF (2006/07) und anschließend den 10. EDF
(2008-2013). Der Beitritt zum CotonouAbkommen wurde mit der größeren Mittelverfügbarkeit und auch mit der Ähnlichkeit des
Entwicklungsstadiums mit vielen Entwicklungsländern des AKP-Raumes begründet. Die
Zusammenarbeit im Rahmen des AKPAbkommens erfolgt in enger Abstimmung mit
der Regierung des Partnerlandes, die Vertragspartner von Consultants, Beschaffungsfirmen
oder Baufirmen ist. Für die Kommission kommt
damit neben die Zusammenarbeit mit NGOs
und VN die Kooperation mit der Regierung als
dritter wichtiger Schwerpunkt hinzu.
Schwerpunkte der Zusammenarbeit
Die Zusammenarbeit mit Timor-Leste umfasst
ländliche Entwicklung und Gesundheit. Mit
dem Beitritt zum Cotonou-Abkommen wurde
die Institutionenförderung als dritter Schwerpunkt eingeführt. Im Rahmen des 9. Europäischen Entwicklungsfonds (EDF) hat TimorLeste € 18 Millionen erhalten, über den 10. EDF
werden es insgesamt € 81 Millionen sein. Eine
Besonderheit im 10. EDF ist die so genannte
"Anreiz-Tranche" ("Incentive tranche"), mit der
für Verpflichtungen der Regierung im Rahmen
von guter Regierungsführung zusätzliche Mittel
gewährt werden1. Im bereits erwähnten Politikdialog mit der Regierung sollen Fortschritte der
Regierung bei der Durchführung der versprochenen Maßnahmen kritisch überprüft werden.
Die Schwerpunkte der Zusammenarbeit
wurden im Rahmen mehrjährig angelegter Länderstrategien, die den aktuellen Zustand des
Landes sowie die Prioritäten der Regierung
berücksichtigten, festgelegt. Die ländliche EntFür die "Incentive Tranche" wird ein Addendum zur
Länderstrategie erforderlich, das zum Zeitpunkt der
Drucklegung dieses Artikels noch nicht unterschrieben worden ist. Der Betrag der Incentive Tranche ist
aber bereits im Programm berücksichtigt.
1
„Osttimor am Scheideweg“
38
wicklung wurde ausgewählt, weil es erstens in diesem Bereich große Zerstörungen nach dem Referendum zur Unabhängigkeit gegeben hat, zweitens
Timor-Leste Probleme mit der Ernährungssicherheit
seiner Bürger hat und drittens, weil mit Unterstützung in diesem Bereich ein erheblicher Beitrag im
Rahmen der Arbeitsplatzbeschaffung geleistet werden kann. Zwei ländliche Entwicklungsprogramme
sind momentan in der Durchführung, das erste mit
stärkerer Orientierung im östlichen Landesteil, das
zweite mit Konzentration im Westen des Landes.
Der Schwerpunkt Gesundheit war aufgrund der
Zerstörungen vieler Krankenhäuser sowie der
schlechten medizinischen Versorgung der Bevölkerung mit hohen Frauen- und Kindersterblichkeitsraten ausgewählt worden. Die EU-Kommission unterstützt hier in einem von der Weltbank durchgeführten Projekt die Rehabilitierung der Krankenhäuser
in Dili, Maliana, Oecussi und Maubisse sowie der
Laboratorien in Dili und konnte einen wesentlichen
Beitrag zur Erstellung eines nationalen Gesundheitsplanes leisten.
Die Institutionenförderung hat sich bisher primär
mit der Unterstützung der Ministerien befasst, mit
denen die Projekte durchgeführt wurden. Im Rahmen des 9. EDFs wurde auch erstmals der nationale
EU Hilfe-Koordinator im Finanzministerium („National Authorising Officer“), der eine wesentliche
Rolle bei der Durchführung der Projekte spielt,
unterstützt. Diese Maßnahme dient dazu, die nationalen Institutionen stärker in die Projektimplementierung einzubinden.
Für den 10. EDF wurden die Gerichtsbarkeit
sowie das nationale Parlament als staatliche Institutionen, die das politische und rechtliche Zusammenleben garantieren sollen, in die Förderung aufgenommen. Diese sind zurzeit noch extrem labil,
was im juristischen Bereich zu einer gewissen Kultur der Straflosigkeit geführt hat und immer wieder
zu Unruhen beigetragen hat. Das Parlament TimorLestes bedarf u.a. einer professionelleren Gesetzesvorbereitung sowie der Informationsverbreitung
der Parlamentsarbeit in der Provinz.
Zusätzlich wird die Zivilgesellschaft im Rahmen des 10. EDFs unterstützt werden. Die Organisationen der Zivilgesellschaft sollen dabei institutionell gefördert werden und zum Dialog mit der
Regierung befähigt werden sowie im Dienst für die
Bevölkerung im Rahmen der im Land durchgeführten Projekte besser ausgebildet werden.
Andere Programme
Neben der Förderung über den Europäischen Entwicklungsfonds erhält Timor-Leste auch UnterstütFocus Asien Nr. 31
zung durch so genannte thematische Programme, wie z.B. die Europäische Initiative für Demokratie und Menschenrechte oder Ernährungssicherung. Ein weiteres wichtiges Aufgabenfeld ist die humanitäre Unterstützung über
die Generaldirektion ECHO, die u.a. Unterstützung für die Vertriebenen (so genannte „Internally Displaced Persons“) geleistet hat. Darüber
hinaus ist nach der Krise von 2006 über das
politische Instrument der Krisenstabilisierung
im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms für
arbeitslose Jugendliche Hilfe geleistet worden
(siehe auch außenpolitischer Beitrag). Weitere
Unterstützung wird über das pazifische Regionalprogramm geleistet werden.
Zusammenarbeit mit anderen Gebern
Die Zusammenarbeit mit den EU-Ländern verläuft gut, wobei es in einigen Sektoren Arbeitsteilung gibt, Portugal unterstützt den Ausbildungssektor, die Kommission den Gesundheitssektor. In der ländlichen Entwicklung ist
Deutschland stark vertreten und es gab eine
regionale Arbeitsteilung (Deutschland im Osten,
Kommission im Westen), deutsche Kofinanzierung sowie die deutsche Implementierung eines Projektes der Kommission. Im Bereich Institutionenförderung sind viele Geber
vertreten (darunter Portugal, Irland, Spanien
und die EU-Kommission) und es sind sorgfältige Abstimmungsprozesse nötig, um Überschneidungen von Projekten zu vermeiden
sowie den Einsatz der Mittel entsprechend zu
koordinieren.
Initiativen
Ausgehend von Schlussfolgerungen des EURates vom November 2007 zu einer "EU response to situations of fragility" wurde u.a. TimorLeste als ein Pilotland ausgewählt, in dem die
Kommission mit der Delegation vor Ort auf eine
verstärkte Koordinierung der Mittel in Zusammenarbeit mit anderen Gebern und Akteuren
hinarbeiten wird. Der Koordinationsansatz geht
zunächst von einem von mehreren Gebern getragenen Projekt im Rahmen der Budgetplanung und Mittelverwendung aus und könnte
dann auf weitere Sektoren übertragen werden.
Beitrag der Programme zur Entwicklung
Bei den Projekten ist ein Prozess von reiner
Notlinderung über Rehabilitierung bis zur Entwicklung festzustellen. Während gerade im
„Osttimor am Scheideweg“
39
Bereich Rehabilitation gute Fortschritte zu sehen
sind (siehe Krankenhäuser), hat der Schritt zur
Entwicklung sicher durch die Ereignisse seit 2006
erhebliche Dämpfer erlitten, dennoch sind die Entwicklungsprojekte gerade im Bereich der ländlichen
Entwicklung und der Institutionenförderung unerlässlich. Wichtig ist dabei die richtige Kombination
von kurzfristig greifenden Maßnahmen, z.B. der
Arbeitsplatzschaffung durch Beschäftigungsprogramme, mit den eher langfristigen der Institutionenförderung, z.B. der gesicherten Verwaltungsarbeit auf nationaler und regionaler Ebene, um den
Staat dauerhaft im Bewusstsein der Bürger zu verankern.
Überblick über die Mittelverwendung
Insgesamt hat die Europäische Kommission seit der
Unabhängigkeit Timor-Lestes ca. € 305 Millionen
bereitgestellt (einschließlich der Mittel des 9. und
10. EDFs). Wenn man dazu die über € 440 Millionen
Portugals zählt, liegt der Anteil der EU Hilfe an der
Entwicklungshilfe aller Geber bei über 50%.
Table: EU Unterstützung für Timor-Leste (aktuell
laufende und geplante Unterstützung)
Programm
Betrag
(in
Millionen
Euro)
Asien/Lateinamerika
(ALA)
Europäischer
(9./10. EEF)
Budgetlinie
58.5
Entwicklungsfonds
99.0
Europäischen Entwicklungsfonds entfallen
dabei auf die ländliche Entwicklung 55%, auf
den Gesundheitssektor 21% und auf die Institutionenförderung ca. 18% der Mittel.
Ausblick
Die Europäische Kommission ist davon überzeugt, dass die Verwendung der Mittel den
entwicklungspolitischen Schwerpunkten TimorLestes gerecht wird und dass mit den begleitenden Maßnahmen wie Ernährungssicherungsprogramm
oder
„Rapid
Reaction/Stabilitätsprogramm“ angemessen auf akut
auftretende Krisen reagiert werden konnte. Die
Kommission ist sich mit den EU Mitgliedsländern darin einig, dass das Engagement für das
Land lange genug bestehen bleiben muss, um
dauerhafte Staatstrukturen zu sichern und dass
dabei der Institutionenaufbau als der Schlüssel
für ein ökonomisch unabhängiges und sich
selbst tragendes Timor-Leste angesehen wird.
Es bleibt zu hoffen, dass alle politischen
Kräfte in Timor-Leste trotz aller Rhetorik weiterhin so konstruktiv wie bisher zusammenarbeiten, dass die Regierung angemessen auf die
Probleme des Landes reagieren wird und eine
rasche Lösung für den Sicherheitsbereich und
die "Internally Displaced Persons“ finden wird.
Es wird im Übrigen wichtig sein, dass bei allem
Blick nach vorne auch an die Opfer des vergangenen Unrechts gedacht wird, denn nur so wird
dauerhaft Frieden und Stabilität möglich sein.
Thematische Budgetlinien
•
NGO Kofinanzierung
2.3
•
Ernährungssicherungsprogramm
6.0
•
Ernährungssicherungsprogramm 2008
5.0
Humanitäre
(ECHO)
Unterstützung
3.0
"Rapid Reaction" Programm
4.0
Insgesamt
177.8
Die Tabelle gibt einen Überblick über die aktuell
laufende sowie geplante Unterstützung. Von der
Unterstützung in der Asien-Budgetlinie sowie dem
Focus Asien Nr. 31
„Osttimor am Scheideweg“
40
Lessons Learned – Europäer in Osttimor
Alexander Loch
Die so genannten “malae” (Tetum: die Fremden)
bilden eine merkwürdige Spezies in der ethnolinguistischen Vielfalt Osttimors. Man unterscheidet
lokal die malae mutin (weiße Fremde), zu denen
beispielsweise Europäer und Amerikaner zählen,
die malae metan (schwarze Fremde), zu denen vor
allem afrikanische Mitarbeiter der Vereinten Nationen gehören und einige schwieriger definierbare
Zwischenformen (beispielsweise Asiaten), die nicht
„vollwertig“ Osttimorese, aber eben auch nicht
kategorisch „fremd“ sind.
Die nachfolgenden Reflektionen gehen der Frage nach, was eigentlich Fremdheit in Osttimor konstituiert und wie sich insbesondere das Bild des
„Europäers“ in den letzen zehn Jahren gewandelt
hat. Die interkulturelle Begegnung wird dabei vor
allem als wechselseitiger Lernprozess über „die
Anderen“ verstanden1.
Beobachtungen
Als ich Osttimor das erste Mal kurz nach den Verwüstungen
infolge
des
Unabhängigkeitsreferendums betrat, war das Straßenbild Dilis von
den malae mutin geprägt: Kinder und Jugendliche,
die bis dahin vor allem bapaks (indonesisch: Vater;
„Herren“) als Inbegriff der Fremden (und FremdHerrschaft) kannten, schauten mit einer Mischung
aus Faszination und distanzierten Schrecken auf die
hoch gewachsenen, gut genährten Peace Keepers,
UNTAET-Professionals, Fact-Finding Consultants, etc.
In den Jahren 2002 bis 2005, in denen ich als
„Gastarbeiter“ in Sachen Forschung und Entwicklung in Timor lebte, hatten die Reaktionen bereits
eine etwas andere Qualität: Lief man einen Kilometer über eine ländliche Straße am Rande Baucaus,
hörte man mindestens zehnmal ein „Helo Mister!“ –
Ausdruck des Wunsches nach Kontaktaufnahme,
Ehrerbietung und Selbstaussage über Fremdsprachenkompetenz mit tendenzieller Globalisierungsbereitschaft. Der malae war der „Entwickelte“, im
Makassae als dai buti (edler Weißer) bezeichnet.
Jedes Kind lernt, dass das Attribut „malae“ etwas
Die Studien über Europa in Osttimor wurden freundlicherweise vom Deutschen Akademischen Austausch
Dienst und dem Centre Asie Sud-Est unterstützt. Danken
möchte ich zudem J. Bovensiepen, C. Peiffer, V. Prüller
und M. van Eijk für wichtige Anregungen nach kritischem Lektorat des Manuskripts.
Herkömmliches veredelt: eine Ziege (bibi) unterscheidet sich vom Schaf (bibi malae), eine einfache Machete (katana) von komplexeren Schneidewerkzeugen (katana malae), die gemeine Süßkartoffel (fehuk Timor) von importierten Kartoffeln (fehuk malae). Während die Alten, die in der
portugiesischen Kolonialzeit das Licht Timor
Loro Sa’es erblickten, bei genauerem Hinsehen
während eines „Bon dia malae!“ mit dem Oberkörper noch dezent einknickten, näherte sich
die generação foun (neue Generation; vgl. Carey
2003) nach der Unabhängigkeit einem malae
bereits erhobenen Hauptes. Wer in Dili lebt,
hatte gelernt, dass ein Helo-Mister2 auch abbrennen kann.
Im Jahr 2008, als ich dann systematisch der
Rolle Europas in Osttimor nachzugehen begann,
erlebte ich in dem nun schon über sechs Jahre
unabhängigen Land nochmals ein verändertes
Begegnungsmuster, gemäß des Diktums, dass
fremd in der Fremde nur der Fremde ist. Osttimoresische Taxifahrer und Lehrer – eine für
kulturvergleichende Studien immer dankbare,
international vergleichbare Grundgesamtheit –
konnten sehr genau unterscheiden, mit wem sie
es zu tun hatten: Das kognitive malae-Schema
hatte sich weiter differenziert – es gab in der
Gruppe der malae mutin nicht mehr nur die
Subgruppen Portugiesen, Australier und „Andere“, sondern auch Binnendifferenzierungen
waren bei den „Europäern“ möglich. Das neu
entstehende Casa Europa im Stadtzentrum von
Dili war als Manifestation überdauernder europäischer Präsenzbemühungen bereits bekannt –
wenn auch bei weitem nicht so prominent wie
die von China finanzierten Neu-Bauten in der
Hauptstadt. Intellektuelle wussten davon zu
berichten, dass es auch bei den Deutschen „Ostler“ und „Westler“ gäbe (vgl. V. Prüllers Beitrag
in diesem Band über die osttimoresische firakukaladi Debatte in den Jahren 2006/2007). Die
Faszination an den Fremden war routiniertem
Umgang mit ihnen gewichen. Im Fremden wird
bereits auch Eigenes erkannt. Der mala’e-Bonus
1
Focus Asien Nr. 31
Gleichnamiger Supermarkt, der primär den expatriierten Konsumbedarf während der UNTAET bediente und während der Ausschreitungen im Jahr 2002
attackiert wurde.
2
„Osttimor am Scheideweg“
41
schien geringer, vielleicht gar aufgezehrt. Was ist
geschehen?
Die ersten Europäer in Osttimor
Die frühesten schriftlichen Informationen über vorkoloniale Fremdkontakte der Osttimoresen mit
ihren regionalen Nachbarn stammen aus dem
zwölften und dreizehnten Jahrhundert, als chinesische Händler bereits von Sandelholzvorkommen
berichteten. Aus dem vierzehnten Jahrhundert ist
ein Dokument überliefert (Negarakertagama), das die
Tributpflicht Timors gegenüber dem MajapahitKönigreich bezeugt. Europäer traten seit dem Ende
des fünfzehnten Jahrhunderts auf den Plan. Nach
der Eroberung Malakkas durch Alfonso de Albuquerque drangen portugiesische Seefahrer – und in
ihrem Gefolge später dann Händler und Missionare
– weiter in den Archipel vor und erreichten alsbald
Osttimor, dessen Bevölkerung noch nicht von dem
sich aus Malaysia im fünfzehnten Jahrhundert ausbreitenden Islam erreicht worden war. Die ersten
europäischen Quellen stammen aus dem Jahr 1522
von Pigafetta, einem Chronisten des Magellan (vgl.
Durand 2006).
Interessant für die Frage nach der Generierung
von Selbst- und Fremdbildern ist der seit dem sechzehnten Jahrhundert anhaltende Kontakt osttimoresischer „cultural broker“ mit den Europäern. Wie
auch in britischen, französischen oder spanischen
Kolonialverwaltungen benötigten die Portugiesen
alsbald lokales Personal. Über die Jahrhunderte
führte für letztere der administrative Wissensvorsprung, ihr Zugang zu katholischen Bildungsträgern und der anhaltende Kontakt zu den auf Timor
stationierten Portugiesen zu einer Elitenbildung,
wie sie auch in anderen Kolonien beobachtbar war.
Während sich der britische Gentleman in der Regel
jedoch nicht gerne mit der Damenwelt in der Fremde mischte, haben sich Portugiesen in Brasilien,
Mozambique und eben auch in Osttimor durchaus
„unters Volk“ begeben und lokal reproduziert. Es
entstand in Osttimor alsbald eine Schicht der
„schwarzen Portugiesen“ (Swarte Portugueezen) oder
Tupassi (von topi; sie galten als die „Leute des Hutes“) und wurden vor allem als Larantuqueiros (von
Larantuaka) oder eben Topasses bekannt. Diese Topasses bildeten Allianzen mit den lokalen Gruppen
und wurden, während die Niederländer 1613 Solor
eroberten, für die nächsten 200 Jahre die dominierende Handelsmacht der Region, die sich den Niederländern zu widersetzen vermochte. Sie waren
römisch-katholisch, sprachen Portugiesisch und
vermochten neben ihren Muttersprachen aus Timor
(oder Flores) zumeist noch eine weitere HandelsFocus Asien Nr. 31
sprache zu sprechen. Interessanterweise werden
solche Mestizen heutzutage noch als malae oan
(Kinder der Fremden) bezeichnet. Auch gegenwärtige politische Führer entsprechen diesem
Mischungs-Schema3. Zu den prominentesten
zählen sicher José Ramos-Horta und Xanana
Gusmão. Letzter repräsentiert zudem ein Modell, wie man als Osttimorese im 21. Jahrhundert transnationale Beziehungen auch im privaten malae-Kontakt gestalten kann.4
Rezente Mischungen: Eine Art neuer Topasses?
Zeichnete sich der Einfluss Portugals auf Osttimor in der Vergangenheit durch seine zeitliche
Extension aus, so sind die Kulturkontakte in
den Jahren 1999 bis 2002 vor allem durch ihre
Plötzlichkeit und Intensität charakterisierbar:
Die Fremden kamen, verwalteten – und blieben
nur zu Teilen. In der Hochphase der Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen
(UNTAET) und der internationalen Friedenstruppe (PKF) waren phasenweise 15.000 malae
im Land. Wieder blieb es nicht aus, dass nach
ihrer Landung lokales Verwaltungspersonal
rekrutiert wurde. Englischsprachige Übersetzer
erfuhren beispielsweise eine enorme Aufwertung auf dem lokalen Arbeitsmarkt. Eine Generation junger und gebildeter Timoresen reifte in
den Folgejahren heran, deren Zeit offensichtlich
gekommen war. Als Jugendliche hatten sie in
indonesischen Schulen für ihre independensia
gekämpft, nun griffen sie begierig die neuen
Identifikationsmodelle und Modernisierungsversprechen auf. Im Kontakt mit den malae
wurde partiell – so gut es eben ging – deren
westlicher lifestyle erprobt. Handys wurden
populär, Sonnenbrillen im Stil internationaler
Polizisten galten als cool. Es verwundert kaum,
dass auch in dieser Zeit junge Männer (weniger
Frauen) intime Bande mit den neuen malae
schlossen, auch wenn deren Wertesystem sich
mit dem osttimoresischen nicht immer als kompatibel erwies.
Andere Mischungsresultate, wie beispielsweise die
kore-metan Musik, werden zwischenzeitlich als genuin
osttimoresisch perzipiert.
4 Xanana Gusmão ist mit der Australierin Kirsty
Sword Gusmão verheiratet [Anm. der Hrsg.].
3
„Osttimor am Scheideweg“
42
Exkurs: Osttimoresisch-deutsche Allianzen
Betrachtet man einmal die Fälle interpersoneller
Attraktion, die zu längerfristigen Bindungen zwischen Osttimoresen und in Osttimor tätigen Deutschen führten, so fällt ein Phänomen besonders auf:
Es sind fast ausschließlich Paarkonstellationen eines
osttimoresischen Mannes mit einer deutschen Frau
(was nicht auf einen statistisch signifikanten expatriierten Frauenüberhang zurückführbar ist.) Die
Ursachen hierfür sind sicher zunächst und vor allem in den Einzelbiographien der Paare zu suchen –
doch lohnt sich zudem ein Blick auf die kulturell
geprägten Vorstellungen von Allianz und Partnerschaft.
Das osttimoresische „hola feto“ (Tetum: „eine
Frau erwerben“) scheint den deutschen Kulturstandards von „echter Freundschaft“ und „gleichberechtigter Partnerschaft“ (und mitunter Säkularismus und Emanzipation) diametral entgegen gesetzt.
Es muss also quasi ein doppelter Liebesbeweis erbracht werden: Beide müssen zu der eigenen Kultur
ein Stück weit in Distanz treten (und dies auch bei
gemeinsamer neolokaler Residenzwahl, wie sie in
zwei Fällen bevorzugt wurde). Der gebildete osttimoresische Mann muss sich von dem präskriptiven
Heiratsmuster seiner Kultur verabschieden; deutsche Frauen müssen sich erst einmal verständlich
machen (und beispielsweise Tetum lernen). Dem
steht im zweiten Schritt jedoch ein doppelter Beziehungsgewinn entgegen. Systemimmanent kann Er
gegenüber seiner Verwandtschaft argumentieren,
dass die Familie einer Fremden wohl kaum berlake –
also die regional variablen traditionellen Kompensationsleistungen wie Büffel oder Schwerter – fordern wird. Umgekehrt hat die seitens deutscher
Frauen oft wahrgenommene soziale Kompetenz
osttimoresischer Männer, die in Großfamilien mit
vielen Kindern aufwuchsen, in ihrer Herkunftskultur allein schon demographisch bedingt Seltenheitswert.
Ein Schlüssel zum Verständnis des „Erfolgs“
osttimoresisch-deutscher Mann-Frau Konstellationen ist also eine gewisse Passung; bei umgekehrter
Partnerwahl hätte es ein deutscher Mann hingegen
sicher besonders schwer, sich in das Gewebe osttimoresischer Selbstverständlichkeiten seiner umane
(als rituell überlegen angesehene Frauengeber, s.u.)
zu integrieren. Er wäre früher oder später in vollem
Umfang mit deren Erwartungen nach Kompensation für „den mütterlichen Schweiß und das Feuerholz“ konfrontiert, das heißt, eine Balancierung der
Mühen, die die Mutter einst mit der Tochter hatte
(bzw. zukünftig haben wird, da diese Hilfe im
Haushalt fehlt). Die von vielen malae eher belächelFocus Asien Nr. 31
ten Büffelzahlungen wären dabei nicht das
Problem, sondern die Lösung. Ein vor der Heirat erfolgendes interfamiliäres Arrangement
dient nach Ansicht gebildeter Osttimoresinnen
nämlich gerade dazu, permanente Forderungen
im umane-fetosaan-Gefälle, die über vereinbarte
Leistungen hinaus gehen, zu vermeiden. (zu
traditionellen, zeitgenössischen und katholischen Heiratsvorstellungen in Osttimor vgl.
Loch 2007, S. 173ff).
Duale Klassifikation der malae
Neben den universalen Kategorien Mann/Frau
und fremd/eigen sowie den groben Hautfarbenindikatoren weiß/schwarz gibt es eine weitere wichtige Unterteilung, der man in Osttimor
begegnet bevor die Differentialbetrachtung
einsetzt. Sie wird durch die (zunächst banal
anmutenden) Attribute diak und la diak
(gut/nicht gut) vorgenommen. Jeder Besucher
der Insel kennt die Frage „Diak ka la’e?“ (wörtlich: gut oder nicht), die umgangssprachlich vor
allem zur Begrüßung verwandt wird. In ihr
kommt maximal verdichtet ein Grundprinzip
dichotomischer Wirklichkeitsorganisation zum
Ausdruck, das für viele Ethnien der AlorPantar-Timorgruppe und des östlichen Indonesien als typisch gilt. Dieser so genannte symbolische Dualismus zeigt sich in einer ausgesprochen dualen Organisation kategorialer Schemen,
die insbesondere im sozialen Arrangement
sichtbar wird (vgl. Fox 1986). Es gibt immer
Paare von Gegenteilen, wie Himmel/Erde, innen/außen, sakral/profan, wobei das Komplementaritätsprinzip besagt, dass diese asymmetrisch sind und die Elemente zueinander in hierarchischer Ordnung stehen. Im traditionellen
Modus Osttimors sind beispielsweise Frauengeber (umane) und Frauennehmer (fetosaan)
komplementär, erstere jedoch den zweiten spirituell überlegen. So verwundert nicht, dass auch
bei den Fremden diese zwei Erscheinungsformen unterschieden werden, wobei natürlich der
malae diak seinem negativen Pendant vorgezogen wird. Das Prädikat „schlecht“ wird im direkten Dialog nicht rückgemeldet. In einer Dreierkonstellation kann Timorese A jedoch durchaus unter Anwesenheit des malae an Timoresen
B neben dem Hinweise auf die Nationalität des
Fremden erwähnen, dass es sich um einen „malae diak“ handelt. „Er/Sie ist ein(e) Gute(r)“.
Die Komplexitätsreduktion als solche ist
dabei solchermaßen nichts Timor-Spezifisches
(vgl. beispielsweise die Unterteilung der Welt in
„Osttimor am Scheideweg“
43
Schurkenstaaten, Achse des Bösen, Allianz der Willigen etc.). Regionalspezifischer ist die Definition
und Assimilation der Fremden in die eigenen familiären Netzwerke; in der Mythologie der Mambai
werden die Fremden als rückkehrende verlorene
Kinder früherer Zeiten definiert; die Portugiesen
gelten dann als jüngere Brüder der Timoresen, die
einst ihr Land verließen und später zur Herrschaftsausübung zurückkehrten. Die malae greifen
ihrerseits häufig das duale Schema auf und sind
bemüht, es kontrastiv aufeinander anzuwenden.
Als Portugiese wird man nicht gerne mit einem
Australier verwechselt – und umgekehrt. Mittels
symbolischer Handlungen (inklusive so genannter
Entwicklungshilfe und Stipendien) wird deutlich
gemacht, wem Timor wie viel wert ist, kurzum, wer
die guten malae repräsentiert.
Europäer und Osttimoresen: Ein clash of civilisations?
Europa ist fern. Es wird allenfalls auf Arbeit in Irland gehofft und zu Portugal existiert eine gespürte
Nähe. Diese ist ambivalent und ungleich verteilt.
Die einen distanzieren sich von der schwierigen
Nationalsprache, die ihnen von ihren politischen
Führern aufgezwungen und von malae-Lehrerinnen
mehr schlecht als recht nahe gebracht wird; die
anderen glorifizieren ein Portugal, das ihnen zu
eigener Identität als kleine Halbinsel zwischen dem
bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Erde
und dem großen Kontinent Australien verhalf.
Flaggen aus portugiesischer Kolonialzeit wurden
aufbewahrt und die Kreolsprache Tetum Prasa mit
vielen Begriffen aus dem Portugiesischen angereichert. Dass man qua portugiesischen Erbes zur
„westlichen Zivilisation“ zählt, brachte beispielsweise ein Lehrer in Baucau zum Ausdruck, als er
erläuterte, wie sich seiner Meinung nach Osttimoresen und Indonesier unterschieden: Erstere nähmen
eine Gabel zur Hand, letztere essen mit den Händen. Und: „Käme jemals ein al-Qaida Mitglied nach
Osttimor, wäre er leicht zu enttarnen, auch wenn er
wie ein Osttimorese aussähe. Er spräche nämlich
kein Portugiesisch!“
Jesus kam bekanntlich irgendwo südlich von
Europa zur Welt … - mit dem „abendländischen
Denken“, also einer nicht geographisch verorteten
Wertegemeinschaft kann man sich identifizieren.
Dieses stellt insbesondere einen ideellen Kontrast
zum (islamisch geprägten) Orient dar. Doch sind
die Wertesysteme des modernen Europa meilenweit
von Osttimor entfernt. Bereits während der UN
Übergangsverwaltung beklagte Xanana Gusmão
Focus Asien Nr. 31
den „clash“ seines Landes mit den Expats und
konstatierte
an obsessive acculturation to standards that
hundreds of international experts try to convey
to the East Timorese, who are hungry for values:
democracy (many of those who teach us never
practised it in their own countries because they
became UN staff members); human rights (many
of those who remind us of them forget the situation in their own countries); gender (many of the
women who attend the workshops know that in
their countries this issue is no example for others); NGOs (numerous NGOs live off the aid
„business” to poor countries); youth (all those
who remind us of this issue know that in their
countries most of the youth are unemployed)”
(Gusmão 2000).
Doch die vieldiskutierte Huntingtonsche These
über einen „Kampf der Kulturen“ (1996) scheint
in Bezug auf Osttimor zu kurz zu greifen (zudem wurde ihr zugrunde liegender abstrakter,
gewissermaßen modellplatonischer Kulturbegriff zu Recht kritisiert). Seit 1999 ist dort vielmehr eine Reihe von „clashes within civilization“ zu beobachten, wie sie für Übergange von
traditionalen zu sich modernisierenden Gesellschaften nicht unüblich sind (vgl. Senghaas
1998; Kingsbury & Leach 2007). Modernisierungsschübe und Kulturbrüche sind auch aus
der Geschichte Europas bekannt; in Osttimor
verlaufen die Konfrontationserfahrungen seit
1999 entlang mindestens dreier Achsen: moderner Staat, traditionelle Ordnung und katholische
Kirche.
Lessons learned
Bei Begegnungen von Osttimoresen und Europäern sowie anderen malae handelt es sich um
Kulturkontakte von Individuen mit überaus
unterschiedlichen soziohistorischen Erfahrungen, gegenwärtigen Lebenssituationen und
kulturellen Orientierungen. In der Fremdbegegnung erfolgt Identitätsarbeit; gerade mit den
malae kann Ähnlichkeit konstruiert und fassbar,
zugleich aber auch distanzierend „das Eigene“
kontrastiv erfahrbar gemacht werden.
Doch unterscheidet sich osttimoresisches
Denken und die Perzeption der „Anderen“
kaum von den Grundprinzipien und universalen Mustern des Kulturkontakts, die aus der
xenologischen Forschung bekannt sind: Alle
Völker kennen neben sich selbst die „Anderen“
– seien es Barbaren hinter den Schutzwällen
eines römischen Reiches oder die geographisch
„Osttimor am Scheideweg“
44
benachbarten Ethnien im nächsten Tal Papuas, die
man fürchtet und abwertet, während man die eigene Gruppe als „die Menschen“ bezeichnet (vgl.
Barth 1969). Das Besondere an den Europäern ist,
dass sie einstmals synonym mit „den Portugiesen“
waren und sich erst allmählich – gerade durch die
nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit von Iren
und Deutschen – nationale Schemata sui generis
bilden. Während man in Europa mittels Reformverträgen um einen schwierigen Vereinheitlichungsprozess ringt, schreitet in Osttimor
die Differenzierung der Europäer voran.
Do Transitional Administrations Fail? Kosovo and
East Timor in Comparison
Daniella Christova Schmitt
Introduction
In the post-Cold War world order, the issue of
failed states has become increasingly important. The
attacks of 9/11 magnified how detrimental failed
states could be to international and national peace
and security. They resuscitated the relevance of
failed states’ post-conflict reconstruction in the
study of International Relations. This paper examines the post-conflict reconstruction initiatives of the
United Nations (UN) via the instrument of transitional administrations (TAs). A TA aims to develop
within a failed state ‘the institutions of government
by assuming some or all of those sovereign powers
on a temporary basis’ in the hope of building lasting
peace (Chesterman 2001: 3).
Failed or weak states are not a new phenomenon. Krasner (1999: 69), for instance, argues that
globalization, weak states and porous borders are
no new occurrence. However, what has changed in
the post-Cold War environment is the concept of
sovereignty. The Westphalian or classical norm of
sovereignty presupposes the nation-state’s right to
non-intervention in its domestic affairs by others.
Today, the development and strengthening of a
new norm can be witnessed: the responsibility to
protect (R2P). It is based on the moral obligation
and responsibility of states to protect their citizens
and to guarantee security. If a nation-state is unable
or unwilling to undertake this responsibility, it
becomes the duty of the international community to
intervene in the state in question.
The very social contract, which provided the
modern state with a means of existence, is today no
longer perceived as inviolable, but as a duty, which
when unfulfilled will be delegated to the international society of states. For Zartman (1995: 5), a state
that has collapsed ‘has lost the right to rule’ inviting
with this statement the international community to
Focus Asien Nr. 31
intervene and take charge of state reconstruction and the provision of basic goods and services.
The responsibility to protect (R2P) principle
was officially endorsed in 2001 by the International Commission on Intervention and State
Sovereignty (ICISS) and has further been institutionalized by the establishment of the UN
Peacebuilding Commission in December 2005.
Former UN Secretary General Kofi Annan
(2006) stated that peacebuilding requires ‘national ownership’ whereas his successor in office, Secretary-General Ban Ki-moon (2007),
concluded that the Peacebuilding Commission
‘must be based on both national ownership and
international partnership’. Hence, the need for
partnership between all stakeholders involved
has been stressed by the UN. The need for partnership in ownership is also the starting point of
this study.
Research Question
This paper attempts to answer the principal
question of whether the UN’s peace-building efforts
in failed states via transitional administrations are
successful in achieving their end goal of handing
over power to the local population, i.e. local ownership.
In answering this research question it is important to specify the parameters of success for
peacebuilding. Achieving local ownership that
will enable long-lasting peace is the initial motivation for the establishment of transitional governance. TAs sooner or later need to hand over
power to the local leadership. This step will be
deemed, in minimalist terms, as a success. In
contrast, its inability to leave a particular failed
state will be deemed as failure such as in Kosovo or Bosnia-Herzegovina. A maximalist defi„Osttimor am Scheideweg“
45
nition of success of transitional governance often
involves a measure over time – i.e. a measure of
whether the objectives of the specific UN mandate
have been attained in five or ten years after UN
departure. However, in both the independent republics of Kosovo and Timor-Leste, it has been too
soon to judge whether the peace created will be
sustainable. Fully aware that no measure of success
can be completely isolated, this study advances the
idea that it is fruitful to speak of stages of success
whereby the attainment of one stage is deemed as a
necessary condition to attain the next stage.
This proposition draws on current and ongoing
research within the field of international organizations claiming that inclusive institutions are also
effective institutions. The inclusive/effective dichotomy of peacebuilding suggests that the international legitimacy of a peacekeeping mission, which
is authorized by a UN Security Council (SC) Resolution, is not the only valid dimension for peacebuilding. Rather, the input stage of legitimacy described
as ‘government by the people’ is just as important
as the output stage ‘government for the people’
(Göbel, forthcoming, Rittberger, Huckel et al. 2008).
This paper suggests that the external (macro) dimension of peacebuilding is just as important as the
internal one (mezzo – national and micro – local
dimension).
Most of the analytical research on international
peacebuilding focuses on the macro dimension of
transitional authorities. In other words, it is an
analysis of what went wrong with a specific peacebuilding mission in hindsight attempting to establish benchmarks of success for future missions. This
perspective is predominantly descriptive and policy-oriented in nature. Little attention has been
given to the micro dimension of analysis, in which
conflicting ethnic interests become evident in the
peacebuilding process. As Talentino (2007: 152-3;
156) notes the ‘essential building block of peace’,
meaning ‘the perceptions of local citizens and their
willingness to support reform’ has been ignored at
the expense of focusing on external actors. However, institutions command authority by being responsive to the demands of their citizens. It is this
democratic process of demand and supply, which –
according to Talentino – determines an effective
institution.
Propositions
Based on the inductive comparison between the UN
Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK
1999- ) and the UN Transitional Administration in
East Timor (UNTAET 1999-2002), this paper formuFocus Asien Nr. 31
lates two propositions with regard to transitional administrations. Firstly, peacebuilding in
failed states is more likely to be successful if
conflicting ethnic interests with regard to political goals are low, and secondly, peacebuilding
in failed states is more likely to be successful if it
involves local ownership. In other words, a state
cannot be constructed successfully only from
the outside. Peacebuilding equally needs to take
place at the grassroots’ levels. Good governance
cannot just be taught to become successful. The
local population also needs to experience and
adopt it. This process corresponds to the notions
of inclusiveness and local ownership in the
peacebuilding literature. It implies the need for
local participation in order to legitimize the
peacebuilding process. Unlike some authors
who have warned against having local ownership as a means to an end (Chesterman 2007 and
Paris 2004) due to a possible return to violence,
this paper sees a need for local ownership in the
peacebuilding process both on the input- and
output-level.
The Cases of Kosovo and East Timor
The two case studies of UNMIK and UNTAET
have been selected for several reasons. Firstly,
they present two recent UN peacebuilding missions in which governance of a territory has
been temporarily and completely taken over by
a UN administration.
Secondly, the contemporary peacebuilding
literature has often referred to Kosovo as a failure whilst portraying East Timor as a success
story. The latter managed to attain independence on 20 May 2002. Kosovo, however, which
declared unilateral independence on 17 February 2008, has received a slow response in international recognition. This has been due to the
fact that it was a unilateral act by the Kosovo
Assembly, which was not solicited by UNMIK.
This is why it can hardly count as a success
story amongst peace builders. Ironically
UNMIK and the European Union (EU) are continuing their presence in the independent country.
Thirdly, although Kosovo and East Timor
are both ethnically heterogeneous societies,
UNMIK’s functioning has been impeded by
boycotting actions of the Serb minority in Kosovo whereas no such action was evident in East
Timor. In fact, most authors agree that there is a
nascent collective identity in East Timor (see
Loch 2007). This kind of identity is still lacking
„Osttimor am Scheideweg“
46
in Kosovo. Finally, both regions have had little experience as independent countries.
The Institutional Level
The mandates of the two missions have been considerably different. On the one hand, UNSC Resolution 1244 establishing UNMIK was vaguely worded
and paradoxically provided for ‘substantial autonomy and meaningful self-administration for Kosovo’ (preface to UNSCR 1244) while committing to
the ‘territorial and sovereign integrity of the Federal
Republic of Yugoslavia’ (UNSCR 1244 – preface;
Annex 1; Annex 2, paragraph 8). On the other hand,
UNSC Resolution 1272 establishing UNTAET had
the clear purpose of administering the non-selfgoverning territory and preparing it for independence (UNSCR 1272, preface referring to the May 5,
1999 Agreements between Portugal and Indonesia).
Moreover, unlike UNMIK, UNTAET was required
to ‘consult and cooperate closely with the East
Timorese people’ (Chesterman 2007).
The National Level
Two major differences can be identified on the national level. Firstly, unlike Serbia, Indonesia officially accepted the outcome of the 1999 popular
consultation even if its security forces left on a trail
of destruction. In a process of “Timorization,”
mixed levels of government involving internationals and local leaders were established. Only eighteen months after UNTAET had been set up, a public
administration solely consisting of East Timorese
ministers was in place (Smith & Dee 2003: 60-65). In
contrast, Serbia has been unwilling to accept any
referendum results for independence in Kosovo.
Politicians have been trying to broker a deal between Kosovo Albanians and Serbs to no avail.
Secondly, conflicting ethnic interests in Kosovo
have permeated important national structures such
as the judiciary and the police service. This has led
to corruption and a lack of indictment against perpetrators of mass crimes against humanity. A concentrated Serbian minority resides north of the river
Ibar, which has established parallel judiciary, health
care and education systems. These are known to
exist for fear of discrimination, directly subsidized
and supported by the Federal Republic of Serbia
(ICG 2007). These parallel institutions do, however,
impede the functioning of the local administration.
In East Timor no parallel structures within society
have been reported and the local population itself
has been the driving force behind the process of
“Timorization”, for it was the people that called for
Focus Asien Nr. 31
the replacement of the initial National Consultative Council with a National Council to include
more members of civil society, youth groups,
women, the Church and previous resistance
leaders (Chesterman 2004).
The Local Level
On the local level, the most salient distinction
between Kosovo and East Timor has been the
existence or absence of conflicting ethnic interests. The latter can be measured best with regard to the inclusiveness of different segments
of society in the peacebuilding process. The
existence or absence of irreconcilable differences
within society can be identified by scrutinizing
the multiethnic structure of the society during
the peacebuilding process.
Thus, the participation of ethnic minorities
in local elections and in government, the occurrence of large-scale violence after UN deployment, the existence of parallel institutions, segregation, the division of the territory and population according to ethnicity and the formation
of political parties along ethnic lines can all be
seen as criteria determining conflicting ethnic
interests. According to these criteria Kosovo has
various segregation lines signifying a nonexistent collective identity beyond the Serbian or
Albanian identification. East Timor, on the contrary, has been united by its nascent pride in a
collective East Timorese identity referring to its
collective struggle against the Indonesian occupation (Loch 2007: 55).
Ramifications
De jure, a lot has been achieved in Kosovo –
Provisional Institutions for Self-Government
(PISG) were set up in 2001, and regular elections
have taken place since 2000. De facto, the latter
have almost always been boycotted by the Serbian minority, which is why the peacebuilding
process has been lacking local ownership.
The analysis of the international, national
and local levels of UNMIK shows that conflicting ethnic interests have permeated every level
of UNMIK. These interests have hampered the
Mission’s successful termination starting from
the mandate specifics and status question and
ending with the local participation in government. Ironically the international community
became involved in Kosovo in order to protect
the Albanians from the Serbs, and ended up
with protecting the Serbs from the Albanians.
„Osttimor am Scheideweg“
47
After nine years of international involvement the
question of minority rights protection in Kosovo has
remained unresolved. It is doubtful that the international community (be it the UN or the EU) will succeed in leaving the region in the near future.
The current situation in East Timor has been
equally troubling. Riots and fierce fighting between
government troops and disaffected military troops
erupted in April 2006. Further outbreaks of violence
followed in February and March 2007, and a renewed United Nations Integration Mission in
Timor-Leste (UNMIT, 2006 – present) is currently
backing the East Timorese government in the reconstruction of the security sector. Despite all previous
achievements, the question needs to be raised as to
whether East Timor’s independence was celebrated
too quickly, and if the country was sufficiently institutionalized to meet its old feuds. East Timor has
recently returned to global attention as a potentially
failed state. Further analytical effort needs to be
made in identifying at what stage the successful
record of this peacebuilding mission was interrupted, leading to the return of violence. Were the
created institutions not sufficiently inclusive, and
therefore ineffective? Have UNTAET’s successor
missions, UNMISET (2002-2005), UNOTIL (20052006) and the current UNMIT (2006- ) managed to
integrate the local stakeholders adequately to promote lasting and effective post-conflict institutions
and peace?
Conclusion
In this paper I have compared two recent examples of UN TAs: UNMIK in Kosovo and
UNTAET in East Timor. Responding to my
research question of whether UN TAs are successful in handing over power to the local population, two propositions have been put forward.
Firstly, such initiatives are more likely to be
successful when enjoying stronger local involvement and secondly, local involvement is
likely to be influenced by the presence of conflicting ethnic interests. In the Kosovo setting,
paramount conflicting ethnic interests are
clearly identifiable. This raises the question as to
whether TAs are in fact capable of resolving
conflicting ethnic interests in the first place. In
the East Timor setting, the nascent collective
identity has proven to be a powerful steering
mechanism of the process of “Timorization”
and local involvement in the international structures set up by the TA. The inductive comparison between Kosovo and East Timor has illustrated that the success of a TA depends equally
on the macro, as well as the mezzo and micro
levels of analysis and the interplay between
them. This idea has been largely omitted by the
majority of peacebuilding literature up until
now, for it has concentrated above all on the
macro dimension of analysis.
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Timor-Leste
Manuel Schmitz, Volker Sowade
Interview von Manuel Schmitz mit Volker Sowade,
verantwortlich für Timor-Leste im Bundesministerium
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(BMZ). Dieses Interview spiegelt ausschließlich die
private Meinung des Interviewpartners und keine offizielle Haltung des BMZ wider.
Seit dem Jahr 2008 konzentriert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (BMZ) sein Engagement nur noch
auf 58 ausgewählte Partnerländer und einige weitere Länder weltweit. Auf dieser „Länderliste“ ist
auch Timor-Leste vertreten. Was verdankt das
Land seinen Platz auf dieser Liste? Und wie sicher
ist dieser Listenplatz?
Focus Asien Nr. 31
Die so genannte Länderliste ist ein internes
Papier des BMZ, das die Zusammenarbeit mit
verschiedenen Ländern definiert. Es ist richtig,
das auf der jüngsten Liste Timor-Leste verzeichnet ist. Der Grund dafür – und damit der
Wille, die Kooperation mit Timor-Leste fortzusetzen – liegt in der derzeitigen Situation des
Landes. Timor-Leste braucht Unterstützung in
der Bewältigung der Krise, die zu großen Teilen
von der Perspektivlosigkeit der Bevölkerung
geprägt ist. Hier kann und will sich die Bundesregierung nicht zurückziehen. Insofern werden
wir bis auf weiteres unsere Beiträge leisten.
Seit der Unabhängigkeit Osttimors engagiert
sich eine Vielzahl von Gebern in dem Land.
„Osttimor am Scheideweg“
48
Wie viel Geld ist bisher aus dem Etat des BMZ
nach Timor-Leste geflossen? Welchen Platz nimmt
die BRD damit in der internationalen Gebergemeinschaft ein?
Seit 1999 sind aus dem Haushalt des BMZ rund 40
Mio. EUR zugesagt worden. Damit nimmt Deutschland derzeit den achten Platz in der internationalen
Gebergemeinschaft ein. Der Betrag zugunsten des
Landes ist aber noch viel höher, da sich die Bundesrepublik Deutschland auch an der Finanzierung der
Vereinten Nationen, der Weltbank, der Asiatischen
Entwicklungsbank, der Europäischen Gemeinschaft
und anderen beteiligt.
Wie steht Timor-Leste im Vergleich mit anderen
Empfängerländern da? Wie groß ist das Interesse
an der kleinen Inselnation im BMZ?
Der von den Gebern zugesagte Betrag pro Kopf
lässt sich sehen. Das Interesse an dem Land definiert sich aber nicht nur über finanzielle Kennzahlen (einschl. Im- und Export). Das Interesse an dem
Land lässt sich m. E. gut daran messen, dass TimorLeste durch die Gebergemeinschaft immer noch
aktiven Know-how-Transfer zur Entwicklung des
Landes erhält. Im Übrigen haben wir alle ein Interesse daran, dass sich das Land stabilisiert und
dafür ist Entwicklung eine Voraussetzung.
Wo liegen die Schwerpunkte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Timor-Leste? Warum wurden gerade diese ausgewählt?
Die Schwerpunkte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit liegen im Maritimen Transport, in
der Ländlichen Entwicklung und in der Bewältigung der Krise.
Mit gezielten Maßnahmen innerhalb der
Schwerpunkte können wir helfen, wichtige entwicklungshemmende Lücken zu schließen. Zudem
können wir uns in den Bereichen nutzbringend
einbringen, in denen wir Stärken aufweisen. Stichwort: Komparative Vorteile nutzen.
Mit „Krisenprävention und Konfliktbearbeitung“
ist ein neuer Schwerpunkt hinzugekommen. Werden dafür auch neue Mittel bereitgestellt oder
geht dies auf Kosten des anderen Schwerpunktes
„Ländliche Entwicklung“?
Es handelt sich um zusätzliche Mittel. Es geht also
nicht zu Lasten anderer Maßnahmen.
Wie muss man sich das deutsche Engagement vor
Ort vorstellen? Welche konkreten Projekte werden gefördert?
Focus Asien Nr. 31
Wir haben z. B. ein Fährschiff finanziert, das die
Anbindung der Enklave Oecussi an das Stammland sichert und auch den für die Entwicklung
wichtigen Warenaustausch und Personenverkehr erleichtert.
Des Weiteren engagieren wir uns mit einem
Programm in der ländlichen Entwicklung. Dort
lernen insbesondere junge Menschen, wie man
z. B. die Flächenerträge im Reisanbau erhöht.
Dadurch wird u. a. ein wichtiger Beitrag zur
Ernährungssicherung des Landes geleistet.
In der Diskussion über das internationale
Engagement in Timor-Leste ist immer wieder
zu hören, es gäbe zu viele Köche, die den Brei
verderben. Ist diese Aussage zutreffend? Wie
gestaltet sich die Geberkoordination in der
Praxis?
Es gibt zwar einige Köche (aber nicht so viele
wie in anderen Ländern), die hervorragende
Rezepte mit sehr guten Zutaten besitzen, nur ist
es nicht immer ganz so einfach, dass der Küchenchef sagt, wie alle Köche gemeinsam ein
sinnvolles Menü zaubern sollen. Die Regierung
von Timor-Leste weiß selber, dass sie für die
Geberkoordinierung zuständig ist. Das BMZ
spricht darüber hinaus regelmäßig mit anderen
Gebern, wir wollen möglichst unsere Kräfte
bündeln.
Weder unterhält Deutschland eine eigene
Botschaft in Dili noch Timor-Leste eine Vertretung in Berlin. Erschwert dies nicht erheblich die Entwicklungszusammenarbeit?
Nein, erheblich erschwert ist die Zusammenarbeit dadurch nicht. Natürlich ist eine Botschaft
vor Ort „mitten drin“, aber durch gut funktionierende Informationswege werden alle Stellen
versorgt, die für die Entwicklungszusammenarbeit zuständig sind.
Das Land verfügt über nicht unbeträchtliche
Ölvorkommen, sein Petroleum Fund ist bereits
knapp zwei Milliarden US-Dollar schwer.
Ketzerisch gefragt: Braucht Timor-Leste überhaupt Entwicklungshilfe?
Timor-Leste verfügt noch nicht in ausreichendem Maße über gut ausgebildete Fachkräfte.
Diese Fachkräfte sind zwingend erforderlich,
um z. B. das eigene Budget zielgerichtet, effektiv und effizient einsetzen zu können. Unser
Beitrag ist es unter anderem, durch Ausbildungsmaßnahmen den Fachkräftemangel abzubauen. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns auch
„Osttimor am Scheideweg“
49
weiterhin in diesem Feld engagieren. Außerdem
möchten wir im Bereich Friedenserziehung und –
prävention durch finanzielle Beiträge und durch
einen Dialog Akzente setzen
Also kurz: Ja, Timor-Leste benötigt noch Unterstützung.
Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten
Hemmnisse für eine nachhaltige Entwicklung des
Landes? Und welchen Beitrag kann Deutschland
leisten, um diese zu überwinden?
Für eine nachhaltige Entwicklung sind aus meiner
Sicht gute Rahmenbedingungen äußerst wichtig. An
denen mangelt es noch in vielen Bereichen. Dessen
ist sich die Regierung des Landes selber bewusst.
Deutschland versucht durch längerfristiges Engagement an Schlüsselstellen sichtbare, Struktur bildende Ergebnisse (z. B. durch direkte Regierungsberatung) zu erzielen.
Geld ist bekanntermaßen nicht alles. Was
benötigt Timor-Leste noch?
Visionen und die Befähigung sowie Bereitschaft,
steinige Wege erfolgreich gehen zu können –
auch alleine.
Negative Nachrichten bestimmen zurzeit die
Berichterstattung über Timor-Leste. Ist das
Land tatsächlich auf dem Weg, ein „failed
state“ zu werden?
Timor-Leste ist kein „failed state“. Dadurch,
dass die Regierung des Landes mehr und mehr
versucht Reformen auf den Weg zu bringen,
Korruption zu bekämpfen, den Menschen Perspektiven zu eröffnen und vor allem für Sicherheit und Ordnung zu sorgen, sind Entwicklungsperspektiven vorgegeben. Bei diesen Herausforderungen ist die Staatengemeinschaft
behilflich. Ich persönlich habe die Hoffnung,
dass die kleine Republik sich politisch und wirtschaftlich stabilisieren wird.
Osttimor in den deutschen Medien
Marco Bertolaso
Weniger Interesse als für Sylt
Osttimor spielt in Deutschland so gut wie keine
Rolle in den Medien. Diese Behauptung ist nicht
gewagt, auch wenn an dieser Stelle keine umfassende Bestandsaufnahme der Berichterstattung in
Presse, Radio, Fernsehen und Internet geboten werden kann. Die Feststellung entspricht unser aller
Erfahrung als Mediennutzer. Das ist zwar nur eine
subjektiv-empirische Beweisführung. Doch sie lässt
sich mit Stichproben untermauern, etwa mit der
folgenden: Im Deutschlandfunk können wir auf
eine Datenbank zurückgreifen, in der seit 1996 überregionale und wichtige regionale Zeitungen
dokumentiert sind. Hier finden sich (Stand 5. Mai
2008) über diese zwölf Jahre für Osttimor knapp
2.400 Einträge. Sylt kommt auf eintausend mehr.
Das Ergebnis wäre sicher noch eindeutiger, wertete
man alle Publikationen aus und nicht nur die Qualitätspresse.
Grönland, ein ebenfalls fernes und für Deutschland nicht lebenswichtiges Territorium, liegt ungefähr gleichauf mit Timor, und das obwohl sich dort
in den vergangenen Jahren bei weitem nichts ähnlich Dramatisches abgespielt hat. Das Kosovo wieFocus Asien Nr. 31
derum ist wie Timor eine kleine Krisenregion.
Doch es liegt in Europa und ist verbunden mit
beachtlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik - einschließlich eines großen Engagements deutscher Soldaten, das den hiesigen
Steuerzahler viel Geld kostet. Für das Kosovo
stehen daher fast zwölf Mal mehr Einträge zu
Buche als für Timor; eigentlich hätte man ein
noch stärkeres Gefälle erwartet.
Ähnlich wie bei der Presse liegen die Dinge
bei Rundfunk und Fernsehen. Osttimor findet
auch hier kaum statt. Eine Ausnahme stellt,
wenn diese Eigenwerbung erlaubt ist, der
Deutschlandfunk dar. Wir haben seit jeher in
hoher Dichte in den Nachrichten über Timor
berichtet. Aber auch in vielen anderen Sendungen wurde Timor ausführlich angesprochen.
Das reicht von der politischen HintergrundBerichterstattung, etwa zuletzt im Interview mit
einem Vertreter der Deutschen OsttimorGesellschaft, über wirtschaftliche und ökologische Fragen bis hin zum Umweltschutz. Ein Teil
dessen, also die Beiträge aus jüngster Zeit, lassen sich im Internet über die Suchfunktion
„Osttimor am Scheideweg“
50
http://www.dradio.de/suche im Archiv finden.
Eine Sonderstellung ganz anderer Art hat das Hörfunkprogramm WDR-Funkhaus Europa. Dort gibt
es jeden Samstag „Lusomania“, eine Sendung in
deutscher und portugiesischer Sprache, in der immer wieder auch Timor thematisiert wurde und
wird
(http://www.funkhauseuropa.de/sendungen/luso
mania).
Kontingent zum Ausfliegen und zur Behandlung Verwundeter war zwar im australischen
Darwin stationiert und flog nur 49 Einsätze.
Aber, wo die Bundeswehr hingeht, um Gutes zu
tun, von dort wird berichtet. Dieser Ort ist auf
der Landkarte unserer Medien – zumindest
solange der Einsatz währt, und das war im Fall
Timors nicht sehr lange.
„Coup and Earthquake“- Berichterstattung
Das Thema Timor – fern und unbequem
Trotz solcher Ausnahmen – generell wird also wenig berichtet über Timor. Es stellt sich die Frage,
wann es denn überhaupt dazu kommt. Nach der
Revolution vom 25. April 1974 haben die Medien in
(West-)Deutschland immer wieder auf das unabhängig werdende portugiesisch-sprachige Afrika
geschaut. In Angola und Mosambik spielten sich
brutale Kriege ab, die als Stellvertreterkonflikte in
der Ost-West-Auseinandersetzung gedeutet werden
konnten. Stoff genug für Journalisten, zumal für
solche, die selbst aus ideologischen Schützengräben
heraus schrieben.
Auch Timor trat damals aus der Konkursmasse
des portugiesischen Kolonialbesitzes auf die weltpolitische Bühne. Doch für das kleine Territorium
fand sich in Deutschland nie ähnliche Aufmerksamkeit. Der Unabhängigkeitskampf der FRETILIN
und die internationale Verurteilung wurden zwar
bisweilen erwähnt. Auf der anderen Seite standen
die recht guten deutschen Beziehungen - politisch
und wirtschaftlich - zu Indonesien in der Ära Suharto. Das Thema war also weit weg und zudem
politisch-wirtschaftlich wenig willkommen. In all
diesen Jahren war es übrigens unter anderem auch
deshalb für Menschenrechtsorganisationen schwer,
Berichte über Timor zu lancieren.
Seit dem Ende des Kalten Krieges wird die Welt
von den Medien deutlich nuancierter betrachtet,
selbst wenn der 11. September 2001 wieder einen
gewissen Rückschritt in ein Lagerdenken gebracht
hat. Für die Timor-Berichterstattung jedenfalls war
vor allem der Friedensnobelpreis für José RamosHorta und Bischof Belo im Jahr 1996 eine Zäsur. Die
Entscheidung des Osloer Nobelkomitees war der
Höhepunkt der Aufmerksamkeit in Deutschland
und der Beginn eines neuen Interesses. Große Beachtung fanden das Unabhängigkeitsreferendum
im Jahre 1999 und die anschließenden Gewalttaten
pro-indonesischer Milizen und indonesischer Soldaten.
Um den Jahreswechsel 1999/2000 war dann sogar die Bundeswehr im Timor-Einsatz. Das kleine
Focus Asien Nr. 31
Die Entwicklung der letzten Zeit wurde wieder
nach den üblichen Kriterien des ereignisbezogenen Journalismus für als wenig relevant eingestufte Länder verfolgt. Man nennt das „coup
and earthquake“-Berichterstattung. Das ist in
Sachen Timor sogar wörtlich zu nehmen: Höhepunkte waren nämlich neben den verschiedenen Gewaltwellen und den Wahlen tatsächlich
ein Erdbeben und natürlich das Attentat auf
Präsident Ramos-Horta im Februar 2008. Das
blutige Geschehen ließ das Thema wieder für
ein paar Tage aufflackern. Dann war es wieder
vorbei, nicht nur weil Gewalt und Intrigen in
Dili für hiesige Mediennutzer wenig Belang
haben; sie sind auch sehr schwer zu durchschauen. Die anhaltende Unterentwicklung, die
Aufarbeitung der Massaker vor der Unabhängigkeit, das Tauziehen um die Rohstoffvorräte,
die Einflussinteressen etwa Portugals und Australiens – solche strukturelle Fragen schaffen es
selten in die Medien; hin und wieder werden sie
in einem Qualitätsblatt aufgegriffen. Im Falle
des Öls regt sich auch schon einmal eine Wirtschaftszeitung.
Die Berichterstattung fiele noch dürftiger
aus, wären da nicht zwei Sonderfaktoren. Da ist
zum einen der „Prominentenbonus“ bei Premierminister Xanana Gusmão und Präsident
José Ramos-Horta. In Zeiten, in denen differenzierte Sachberichterstattung immer stärker der
einfachen, plakativen Personalisierung weichen
muss, erleichtern die Etiketten „Führer des
Befreiungskampfes“ beziehungsweise „Friedensnobelpreisträger" die mediale Beachtung
ungemein. Der zweite Faktor droht gerade ins
Negative umzuschlagen: lange profitierte Osttimor vom Attribut „jüngster Staat der Welt“.
Die UNO tagte und entschied, Fahnen wurden
gehisst, Botschafter ausgetauscht, erstmals Olympiateilnehmer entsandt – so etwas schafft
Bilder, Texte, Töne. Einige Male hat es Timor
mit der Frage nach dem jüngsten unabhängigen
Staate wohl auch in Quizshows und Rätsel geschafft. Nun aber droht eine andere, eine hässli„Osttimor am Scheideweg“
51
che Schublade. Auf ihr steht „failed states“, und
dieses Etikett ist alles andere als attraktiv in den
Medien.
Stellvertretend genannt sei der gründliche Artikel „Osttimor – von einer Modellnation zum Problemfall“, Neue Zürcher Zeitung, 19.03.2008. Die NZZ
übrigens berichtet wohl so breit und kontinuierlich
über Timor wie kein anderes Blatt im deutschsprachigen Bereich. Die nicht eingelösten Hoffnungen
auf eine strahlende Zukunft im jüngsten Staat der
Welt haben auch Aktivisten frustriert. Manch einer,
der zum Teil jahrelang mit vielfältiger, ehrenamtlicher Arbeit dazu beitrug, Osttimor zumindest mitunter ins Gespräch zu bringen, reibt sich nun die
Augen. Mit der Unabhängigkeit schien das Ziel
erreicht, doch die anschließende Enttäuschung lässt
einige nun dreimal nachdenken, bis sie sich wieder
ins Zeug legen. Auch das entzieht dem Thema Publizität, und zwar vor allem die so wichtige positive
Aufmerksamkeit.
Bewertung der schwachen Präsenz des Themas
Timor
Der eine oder andere mag denken, Timors untergeordnete Rolle im hiesigen Mediengeschehen sei
ungerecht, ein klassisches Beispiel für die Vernachlässigung des Auslands im allgemeinen und der so
genannten Dritten Welt im besonderen. Dafür gibt
es, wie im Falle anderer ferner Länder, auch vordergründig Argumente. Man mag an die zweifelsohne asymmetrischen Informationsströme dieser Welt denken. Die großen Nachrichtenagenturen
sind mit ihren Korrespondenten zu etwa 60% in
Nordamerika und Europa vertreten, knapp 20% der
Agenturkollegen berichten aus Asien und Australien, gut 10% aus Lateinamerika, 6% aus dem Nahen/Mittleren Osten sowie gerade einmal 4% aus
Afrika.
Ähnlich
sieht
das
ARDKorrespondentennetz aus. Die Zeitungen haben
noch weniger feste Leute „draußen“.
Nicht selten tun sich die Korrespondenten im
Ausland schwer, Themen in den Heimatredaktionen unterzubringen. Manchmal bitten sie dann die
Kollegen von den Agenturen, eine Meldung zu
schreiben. Und wenn dpa dann berichtet, kommt
oft wundersamerweise der Anruf aus Deutschland,
und der Korrespondent darf endlich über das berichten, was er schon länger selbst vorgeschlagen
hatte. Wie gesagt, das alles ist schon schwer genug
in Ländern, in denen Korrespondenten residieren.
In vielen Staaten, wie etwa Timor, sind aber keine
deutschsprachigen Journalisten dauerhaft stationiert. Es gibt vor allem keine bewegten Bilder, also
kein Futter für das stärkste Medium, das Fernsehen.
Focus Asien Nr. 31
Zur Erinnerung: Timor war bis vor kurzem der
einzige Staat, den Peter Scholl-Latour, der Altund Großmeister der deutschen Auslandsberichterstattung, nicht bereist hatte. Und über
seinen zwischenzeitlichen Abstecher dorthin
findet sich bislang in der Presse der eine oder
andere Nebensatz, aber sonst nichts.
Nun wäre es aber völlig falsch, diesen IstZustand zu geißeln. Natürlich wünschen sich
aufgeklärte Zeitgenossen umfangreichere internationale Berichterstattung. Das war immer
schon so. Im weltweiten Vergleich ist die Auslandsberichterstattung in Deutschland aber
überdurchschnittlich, ja fast vorbildlich zu nennen.
Und es wäre ungerecht, den deutschen Medien ausgerechnet am Beispiel Timor größere
Fehler vorzuhalten. Das mag in den Zeiten der
indonesischen Besatzung noch anders ausgesehen haben. Heute aber gilt: Timor ist ein fernes
Land mit kaum einer Million Einwohnern, in
dem deutsche Interessen so gut wie nicht berührt sind – weder wirtschaftlich noch politisch
noch kulturell. Vermutlich wird in den Medien
Timors auch von Deutschland selten die Rede
sein, warum auch! In Australien oder Portugal
ist das Interesse entsprechend der Bedeutung
viel höher. Das illustriert eine Momentaufnahme vom 9.4.2008. Bei der deutschen googlenews-Seite finden sich gerade einmal fünfzehn
Einträge für Timor; am selben Tag sind es beim
portugiesischen Dienst google-noticias 374. Es
ist banal, aber auch in Politik und Medienwelt
fundamental: jeder interessiert sich zunächst für
einen Brand in der Nachbarstraße und dann
erst, wenn überhaupt, für ein Feuer am anderen
Ende des Landes.
Kann man mehr Aufmerksamkeit für Timor
schaffen?
An der strukturellen Ausgangslage, die eine
stärkere mediale Beachtung verhindert, wird
sich wohl kaum etwas ändern. Es ist schließlich
nicht damit zu rechnen, dass Timor demnächst
die Fußballweltmeisterschaft gewinnt, in die
bemannte Raumfahrt einsteigt oder in ähnlich
spektakulärer Weise auf sich aufmerksam
macht. Dennoch sollen diejenigen, denen Timor
und die dort lebenden Menschen wichtig sind,
durchaus die Trommel rühren. Es ist nicht umsonst! Wer den Blick auf Timor lenken will, der
sollte aber wissen, dass er auf einem Markt
agiert, auf dem große Konkurrenz herrscht.
Aufmerksamkeit ist ein enorm knappes Gut. Es
„Osttimor am Scheideweg“
52
gibt viele andere vergessene Themen, die ebenfalls
ihre Lobby haben. Die einen finden, es werde zu
wenig über Somalia berichtet, die anderen wollen
den Buddhismus in die Medien bringen und wieder
andere halten es für skandalös, wie wenig man über
das Thema Bluthochdruck erfährt. All das – und
vieles andere mehr – ist für sich genommen genauso legitim wie Aufklärungsarbeit über Timor.
Es bei überregionalen Medien zu versuchen,
dürfte ein hartes Brot sein. Es ist mindestens genauso lohnenswert, auf der regionalen oder lokalen
Ebene anzusetzen. Dort gibt es viele mediale Anbieter, lokale Radio- und Fernsehsender, die örtlichen
Zeitungen, die mit immer weniger Ressourcen arbeiten und Inhalte brauchen. Dort gibt es Schulen,
Focus Asien Nr. 31
Volkshochschulen, Kirchengemeinden und
Vereine. Hier wird es auch einfacher, positive
Akzente zu setzen, solange Timor politisch
wenig Gutes zu bieten hat. Hier kann man mit
Kultur punkten, für Wiederaufbauprojekte
werben und humanitäre Akzente setzen. Diese
mediale Basisarbeit ist an sich gut; sie kann
langfristig aber auch dazu beitragen, die Chancen für das Thema auf der bundesweiten, der
politischen Ebene zu verbessern. Schließlich,
auch wenn es hier um „Timor in den Medien“
geht: Pressecho ist ohne Zweifel wichtig. Aber
eine gute Tat bleibt auch dann gut, wenn einmal
nichts darüber in der Zeitung steht!
„Osttimor am Scheideweg“
53
BIBLIOGRAPHIE
Weiterführende Literatur zu Osttimor finden Sie
auch in der Asienhaus-Bibliothek. Der Katalog ist
online recherchierbar unter:
http://www.asienhaus-bibliothek.de/.
Barth, Fredrik (Hrsg.) Ethnic Groups and Boundaries.
Boston: Little, Brown & Company, 1969.
Brady, Cynthia und David G. Timberman. The Crisis
in Timor-Leste: Causes, Consequences and Options
for Conflict Management and Mitigation. USAID
Timor-Leste, 12. Nov. 2006. 20. Aug. 2008
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Focus Asien Nr. 31
„Osttimor am Scheideweg“
56
GLOSSAR
Aldeia: ein Dorf.
AKP: Gruppe der afrikanischen, karibischen und
pazifischen Staaten.
EDF: European Development Fund, Europäischer
Entwicklungsfonds.
EU: Europäische Union.
AMP: Aliança da Maioria Parlamentar, Allianz der
Parlamentarischen Mehrheit: Bezeichnung für
die Regierungskoalition, die seit den Parlamentswahlen 2007 im Amt ist. Sie besteht aus
CNRT, PD, ASDT, PSD und UNDERTIM. Ihre
Kritiker nennen sie Aliansi Merah Putih (RotWeiße Allianz) in Anspielung auf die Nationalfarben Indonesiens und einige ehemals proindonesischen Kräfte in der neuen Regierung.
FALINTIL: Forças Armadas da Libertação Nacional
de Timor-Leste, Bewaffnete Kräfte für die Nationale Befreiung Osttimors, die ehemalige
Widerstandsarmee .
F(ALINTIL)-FDTL: Força de Defesa de Timor Leste,
Verteidigungskräfte von Osttimor, die heutige Armee von Osttimor.
APODETI: Associação Popular Democrática de Timor,
Demokratische Volksvereinigung von Timor.
Firaku: ein Osttimorese aus dem Osten des Landes.
ASDT: Associação Social-Democrata de Timor, Sozialdemokratische Vereinigung von Timor.
FRETILIN: Frente Revolucionária do Timor-Leste
Independente, Revolutionäre Front für die
Unabhängigkeit von Osttimor.
ASEAN: Association of Southeast Asian Nations, Vereinigung südostasiatischer Nationen.
BMZ: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
CAVR: Commissão de Acolhimento, Verdade, Reconciliação de Timor Leste, Kommission für Empfang,
Wahrheit und Versöhnung in Osttimor.
CIM: Centrum für internationale Migration und
Entwicklung.
CNRT: (1) Conselho Nacional de Resistência Timorense,
Nationaler Kongress für den Timoresischen
Widerstand, die frühere Dachorganisation des
Widerstands wurde 2001 aufgelöst. (2) Congresso Nacional de Reconstrução Timorense, Nationaler
Kongress für den Timoresischen Wiederaufbau,
politische Partei seit 2007.
DDR-Prozess: disarmament, demobilisation and reintegration, Entwaffnung, Demobilisierung und
Wiedereingliederung.
DOTG: Deutsche Osttimor Gesellschaft e.V.
ECHO: European Commission Humanitarian Aid Office, Dienststelle der Europäischen Kommission
für Humanitäre Hilfe.
Focus Asien Nr. 31
ICG: International Crisis Group.
IDP: Internally Displaced Person, Binnenflüchtling
IMF: International Monetary Fund, Internationaler
Währungsfonds.
ISF: International Stabilisation Force, Internationale Stabilisierungstruppe.
IWF: Internationaler Währungsfonds.
Kaladi: ein Osttimorese aus dem Westen des
Landes.
KOTA: Klibur Oan Timor Asuwain, Union der
Söhne der Bergkriegerhelden von Timor.
LDC: Least Developed Country, am geringsten
entwickeltes Land.
Liurai: traditioneller Titel eines Herrschers auf
Timor, meist als „König“ übersetzt.
Loro Munu: der westliche Teil Osttimors, auch
höfliche Bezeichnung für die Menschen aus
diesem Landesteil.
„Osttimor am Scheideweg“
57
Loro Sa’e: der östliche Teil Osttimors, auch höfliche
Bezeichnung für Menschen aus diesem Landesteil.
Malae: der Fremde.
PD: Partido Democrático, Demokratische Partei.
PDC: Partido Democrata Cristão, Demokratischchristliche Partei.
Petitioners: Gruppe der Streikenden aus dem Militär,
die zum Großteil aus den westlichen Distrikten
(Loro Munu) Osttimors stammten. Sie hatten
Anfang 2006 in einer Petition an die Regierung
ihre schlechten Arbeitsbedingungen beklagt.
PKF: peacekeeping force, friedenserhaltende Truppe.
PL: Partido Liberal, Liberale Partei.
PNT: Partido Nationalista Timor, Nationalistische
Partei Timors.
PNTL: Policia Nacional de Timor-Leste, Nationalpolizei von Osttimor.
PPT: Partido do Povo de Timor, Volkspartei von Timor.
PSD: Partido Social Democrata, Sozialdemokratische
Partei.
PST: Partido Socialista de Timor, Sozialistische Partei
von Timor.
PUN: Partido Unidade Nacional, Partei der Nationalen Einheit.
Suco: Dorf, Gemeinde.
Focus Asien Nr. 31
TA: Transitional Administration, Übergangsverwaltung.
TFET: Trust Fund for East Timor, Treuhandfonds
für Osttimor.
UDT: União Democrática Timorense, Demokratische Timoresische Union.
UNDERTIM: União Nacional Democrática de Resistência Timorense, Nationaldemokratische
Union des Timoresischen Widerstandes.
UNDP: United Nations Development Program,
Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen.
UNMIK: United Nations Mission in Kosovo, Mission der Vereinten Nationen in Kosovo.
UNMISET: United Nations Mission of Support in
East Timor, Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Osttimor.
UNOTIL: United Nations Office in East Timor,
Büro der Vereinten Nationen in Osttimor.
UNPOL: United Nations Police, Polizei der Vereinten Nationen.
UNSC: United Nations Security Council, Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.
UNTAET: United Nations Transitional Administration in East Timor, Übergangverwaltung
der Vereinten Nationen in Osttimor.
VN: Vereinte Nationen.
„Osttimor am Scheideweg“
58
AUTORENVERZEICHNIS
Marco Bertolaso, Dr., ist Leiter der Abteilung Zentrale Nachrichten beim Deutschlandfunk. Kontakt:
Marco.Bertolaso@dradio.de
Osttimor. Hierfür recherchierte sie im Frühjahr
2007 drei Monate vor Ort. Kontakt: vanessa.prüller@gmail.com
Andre Borgerhoff ist Erster Vorsitzender der Deutschen Osttimor Gesellschaft (DOTG). Er promoviert
am Institut für Politikwissenschaft der Universität
Münster gefördert durch Stipendien der FriedrichEbert-Stiftung und des Deutschen Akademischen
Austauschdienstes. Kontakt: abotoday@web.de
Monika Schlicher, Dr., Studium der Geschichte und Politik Südostasiens, 1995 Promotion zur
portugiesischen Kolonialpolitik in Osttimor, seit
1997 Geschäftsführerin von Watch Indonesia! –
Arbeitsgruppe für Menschenrechte, Demokratie
und Umweltschutz in Indonesien und Osttimor.
Kontakt: schlicher@snafu.de
Judith Bovensiepen ist Doktorandin in Sozialanthropologie an der London School of Economics und
weilte für ethnologische Feldforschung von 2005 bis
2007 im Manatuto Distrikt in Osttimor. Kontakt:
J.M.Bovensiepen@lse.ac.uk
Jakob Lempp ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich
an
der
TU
Dresden.
Kontakt:
jakob.lempp@tu-dresden.de
Alexander Loch, Dr., ist Völkerkundler und Psychologe. Er forscht derzeit am Centre Asie Sud-Est
(Paris) über die Rolle Europas in Osttimor. In den
Jahren 2002-2005 leitete er die Research- & Development Unit des Instituto Católico para Formação
de Professores in Baucau und arbeitete landesweit
als Berater von Entwicklungshilfeprojekten. Er hat
zahlreiche Publikationen zu Osttimor veröffentlicht,
darunter ein Tetum-Wörterbuch und eine Monographie über die Psychosoziale Rekonstruktion
Osttimors. Kontakt: alexander@loch.asia
Daniella Christova Schmitt is a PhD candidate
at the Institute for Peace and Conflict Studies,
Tuebingen University, under the supervision of
Prof. Volker Rittberger. She holds an MSc Nationalism and Ethnicity degree (with distinction) from the London School of Economics and
Political Science (UK) and a BAdmin (Honours)
International Relations degree (with distinction)
from the University of Pretoria, South Africa.
Mrs. Schmitt is currently the recipient of a Friedrich-Naumann-Foundation scholarship for
talented foreign graduates. Kontakt: daniellaschmitt@yahoo.co.uk
Manuel Schmitz, Zweiter Vorsitzender der
Deutschen Osttimor Gesellschaft (DOTG), ist
Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Südostasien. Er ist Doktorand am Lehrstuhl Internationale Beziehungen der Universität Trier und
promoviert zur Rolle transnationaler Akteure
im
Osttimorkonflikt.
Kontakt:
manuel.schmitz@chello.be
Henri Myrttinen, Watch Indonesia!, arbeitet zurzeit
an seiner Dissertation zum Thema „Männlichkeit
und Gewalt in Osttimor“ und betätigt sich nebenher
als Freiberufler in Berlin mit den Themenschwerpunkten Gender und Konfliktstudien. Kontakt:
henrimyrtinnen@gmail.com
Volker Sowade ist im Bundesministerium für
Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) seit Dezember 2006 im Referat für
Südostasien tätig. Kontakt über:
osttimor@yahoo.de
Vanessa Prüller studierte Sprachen-, Wirtschaftsund Kulturraumstudien mit Schwerpunkt Südostasienkunde an der Universität Passau und befasste
sich in ihrer Diplomarbeit mit der Krise 2006 in
Achim Tillessen, Dr., ist desk officer für TimorLeste beim Generaldirektorat Entwicklung der
Europäischen Kommission. Kontakt über: osttimor@yahoo.de
Focus Asien Nr. 31
„Osttimor am Scheideweg“
Die Zeitschriften
Korea Forum
halbjährlich,
ca. 50 Seiten, € 15,- / Jahr
Südostasien
vierteljährlich,
ca. 80 Seiten, € 20,- / Jahr
Für Mitglieder der jeweiligen Vereine, also philippinenbüro oder Südostasien Informationsstelle
Die Publikationen
Another Look at Germany
Ed.: Heike Blum and Dietmar Henker
Ein politischer Reisebegleiter für
asiatische Deutschlandreisende (engl.)
205 Seiten, € 10,00
Islam in Asien
Hg.: Klaus Schreiner
für das Asienhaus
Mit einem Vorwort von Hans Küng
Horlemann 2001
280 Seiten, € 15,23
Wasser in Asien- Elementare
Konflikte
Hg.: Thomas Hoffmann für das Asienhaus, Secolo 1997
464 Seiten, €25,05
Politischer Wandel in Indonesien (1995-2000), Hg. P. Ziegenhain
213 S., € 10,00
Die Newsletter
philippinen aktuell
ein monatlich erscheinender Newsletter, zusammengestellt aus der philippinischen Tagespresse (engl.)
14 pages, € 32,- / Year
Asienhaus Rundbrief
Informationen ca. wöchentlich kostenlos per Email: Kommentare, Veranstaltungshinweise, Bibliotheksneueingänge etc..
Bezug: rundbrief@asienhaus.de
Burma-Nachrichten
Weitere Hinweise unter
asienhaus.de/publikationen
Bestellungen an:
vertrieb@asienhaus.de
Informationen über die Entwicklungen
in und um Burma. Erscheint ca. vierzehntägig per e-mail.
Bezug: burma@asienhaus.de
China-Informationen
Informationen über die Entwicklungen
in und um China. unregelmäßig per email.
Das Asienhaus ist Anlaufstelle für Asien-Interessierte.
Unter dem Dach des Asienhauses, im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Zeche Zollverein in Essen, arbeiten vier unabhängige
deutsche Organisationen mit anerkannter Gemeinnützigkeit:
Die Asienstiftung, der Korea-Verband, das philippinenbüro, die Südostasien-Informationsstelle. Zudem sind hier mit der BurmaInitiative und der China-Arbeitsgruppe weitere länderbezogene Projekte angesiedelt. Projekte zu inhaltlichen Fragen ergänzen
das Angebot.
Gemeinsam organisieren sie Tagungen, Seminare und Konferenzen genauso wie Sprachkurse oder Fortbildungsveranstaltungen.
Sie publizieren wissenschaftliche Zeitschriften und Monographien und empfangen asiatische Partner und Gäste aus Politik sowie
Gewerkschaften und anderen Nicht-Regierungsorganisationen, auch aus den Bereichen Kunst und Medien. Im Haus finden
Ausstellungen und Lesungen statt. Zudem steht Interessierten eine fachlich betreute und reich ausgestattete Bibliothek zur Verfügung.
Das Asienhaus will mit seiner Arbeit hin wirken auf eine solidarische und gerechte Weltwirtschaftsordnung, auf umfassende
Demokratisierung und Selbstbestimmung. Es setzt sich ein für die Überwindung der Diskriminierung der Frau. Ziel und Mittel
auf diesem Wege sind, den Austausch der Zivilgesellschaften in Europa und Asien über Themen der sozialen Entwicklung, über
ihre Visionen einer gerechten Welt zu befördern und zu führen.
Die Einsicht, dass ungerechte Strukturen auch auf Mängel in unserer Gesellschaft verweisen, und diese Mängel deshalb in den
Blickwinkel jeder Politik gehören, trägt alle Projekte und Programme des Asienhauses.
Weitere Auskunft erteilt Klaus Fritsche (0201) 830 38 –38, Fax (0201) 830 38 –30, K.Fritsche@asienhaus.de
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Bullmannaue 11
45327 Essen
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Bitte geben Sie für die Spendenbescheinigung unbedingt Ihren Namen und Ihren Absender an.
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ISBN 978-3-933341-40-2
Focus Asien Nr. 31
„Osttimor am Scheideweg“