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Osttimor am Scheideweg: Chaos oder Neuanfang?

Nummer 31 FOCUS ASIEN Schriftenreihe des Asienhauses Osttimor am Scheideweg Chaos oder Neuanfang? Andre Borgerhoff, Manuel Schmitz (Hrsg.) Asienhaus Diese Ausgabe von Focus Asien wird herausgegeben vom Asienhaus in Kooperation mit der Deutschen Osttimor-Gesellschaft, die für den Inhalt verantwortlich zeichnet. Preis: 5,- € Die Meinungen, die in den vom Asienhaus herausgegebenen Veröffentlichungen geäußert werden, geben ausschließlich die Auffassung der Autoren wieder. Erstellung und Druck dieser Publikation wurde gefördert von Aktion Mensch - dieGesellschafter.de. © September 2008, Asienstiftung, Essen Abdruck und sonstige publizistische Nutzung sind erwünscht. Sie sind jedoch nur unter Angabe des Verfassers und der Quelle gestattet. Asienstiftung für das Asienhaus Essen, Bullmannaue 11, 45327 Essen Telefon: +49 . 201 . 830 38-38; Fax: +49 . 201 . 830 38-30; asienstiftung@asienhaus.de http://www.asienhaus.de http://www.osttimor.de ISSN 1435-0459 ISBN 978-3-933341-40-2 Osttimor am Scheideweg Chaos oder Neuanfang? Andre Borgerhoff, Manuel Schmitz (Hrsg.) 5 Inhalt Einleitung ........................................................................................................................................ 7 Andre Borgerhoff, Manuel Schmitz AKTUELLE ENTWICKLUNGEN IN OSTTIMOR Politisches System, Parteien und Wahlen in Osttimor.................................................................. 14 Jakob Lempp “Unidade, paz, no Justicia“ – Zur aktuellen Lage und den gesellschaftspolitischen und sozialen Auswirkungen der Krise .............................................................................................................. 19 Monika Schlicher Firaku und Kaladi – Zwei osttimoresische Identitätskonzepte unter der Lupe............................ 24 Vanessa Prüller Notizen zur Gewalt in Osttimor .................................................................................................... 27 Henri Myrtinnen Beobachtungen in einem osttimoresischen Bergdorf während der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2007 ................................................................................................................ 31 Judith Bovensiepen INTERNATIONALES ENGAGEMENT FÜR OSTTIMOR Die Schwerpunkte der außen- und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission und Timor-Leste .............................................................................. 36 Achim Tillessen Lessons Learned – Europäer in Osttimor ..................................................................................... 40 Alexander Loch Do Transitional Administrations Fail? Kosovo and East Timor in Comparison.......................... 44 Daniella Cristova Schmitt Die Deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Timor-Leste .................................................... 47 Interview von Manuel Schmitz mit Volker Sowade (BMZ) Osttimor in den Deutschen Medien .............................................................................................. 49 Marco Bertolaso BIBLIOGRAPHIE .............................................................................................................................. 53 GLOSSAR........................................................................................................................................ 56 AUTORENVERZEICHNIS .................................................................................................................. 58 6 Demokratische Republik Timor-Leste Fakten und Zahlen Gebiet: 14.870 km² Einwohner: 1,03 Mio. (2006) Hauptstadt: Dili (ca. 200.000 Einwohner) Religion: Römisch-katholisch (95%) Sprachen: Portugiesisch und Tetum (offiziell); Indonesisch und Englisch (Arbeitssprachen) Unabhängigkeit: 20. Mai 2002 Regierungsform: Parlament.-demokr. Republik Bruttonationaleinkommen: pro Kopf pro Jahr: 840 US$ (2006) Hauptexporte: Öl, Gas, Kaffee Darstellung Andre Borgerhoff und Manuel Schmitz. Quellen: BMZ, Timor-Leste 2007, http://www.bmz.de; CIA, The World Factbook 2008, Timor-Leste, http://www.odci.gov/cia/publications/factbook/index.html, 20.08.2008. Focus Asien Nr. 31 „Osttimor am Scheideweg“ 7 Einleitung Andre Borgerhoff, Manuel Schmitz Im Juni 2006 erschien unter der Herausgeberschaft von Andrea Fleschenberg mit Osttimor – Vier Jahre Unabhängigkeit: Soziale, politische und wirtschaftliche Entwicklungen der erste Sammelband zu Osttimor in der Focus Asien Reihe des Asienhauses. Er enthält die Beiträge eines Workshops1, den die Deutsche Osttimor Gesellschaft (DOTG) e.V., Watch Indonesia! e.V. und die Asienstiftung im Februar desselben Jahres in Köln organisiert hatten. Das Feedback auf diese Publikation war so positiv, dass für uns als Veranstalter die Herausgabe eines weiteren Bands zwei Jahre später nach einem Osttimor-Workshop2 am 9.-10. Februar 2008 feststand. Er trägt den Namen der Veranstaltung: Osttimor am Scheideweg: Chaos oder Neuanfang? Wie sicherlich sofort auffällt, prägen Skepsis und eine gehörige Portion Ernüchterung diesen Titel. Das Rad der Geschichte hat sich seit 2006 weitergedreht und das nicht immer zum Vorteil des Landes. Keiner der TeilnehmerInnen konnte jedoch ahnen, dass sich die Frage Chaos oder Neuanfang? am 11. Februar 2008, einen Tag nach Abschluss des Workshops in Köln, bei den versuchten Attentaten auf Präsident José Ramos-Horta und Premierminister Kay Rala Xanana Gusmão so konkretisieren würde. Enttäuschte Hoffnungen Als Osttimor nach Jahrhunderten kolonialer Fremdherrschaft im Mai 2002 seine Unabhängigkeit erlangte, waren die Hoffnungen zunächst groß. Das kleine, auf einer Insel fernab des Weltgeschehens lebende Volk hatte sich gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner durchgesetzt. Indonesien hatte die ehemalige portugiesische Kolonie von 1975 bis 1999 völkerrechtswidrig besetzt. Über viele Jahre hinweg war Osttimor von der Weltgemeinschaft weitgehend vergessen, militärisch geschlagen und diplomatisch isoliert. Die Osttimoresen hielten jedoch an ihrem gemeinsamen Streben nach Selbst„Osttimor auf dem Weg zu nachhaltiger Unabhängigkeit,“ 4.-5. Februar 2006, Köln. 2 An dem Workshop Osttimor am Scheideweg: Chaos oder Neuanfang? (9.-10. Februar 2008 in Köln) nahmen rund 40 Studierende, WissenschaftlerInnen, ForscherInnen, JournalistInnen, Aktivisten und PraktikerInnen aus der (nicht) staatlichen Entwicklungszusammenarbeit teil. Die Veranstaltung wurde gefördert von der Aktion Mensch – Die Gesellschafter. 1 Focus Asien Nr. 31 bestimmung fest. Der Preis, denn sie dafür zahlten, war hoch: Indonesische Sicherheitskräfte versuchten mit äußerster Härte, den Widerstandswillen der Osttimoresen zu brechen. Laut Bericht der Kommission für Empfang, Wahrheit und Versöhnung (CAVR, Chega! S. 44) starben aufgrund der indonesischen Besatzung mindestens 102.800 (+/- 12.000) Menschen. Zehntausende wurden Opfer massiver Menschenrechtsverletzungen. Vom Musterknaben zum Sorgenkind Es glich daher einem Sieg Davids gegen Goliath, als sich die Menschen Osttimors 1999 in einem Volksentscheid mit überwältigender Mehrheit (78,5%) von Indonesien lossagten und das Land nach der Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen in Osttimor (UNTAET) im Jahr 2002 seine Souveränität erlangte. Bei oberflächlicher Betrachtung schien das glückliche Ende einer langen Tragödie erreicht. Entsprechend groß waren die Erwartungen in Osttimor und auch in der internationalen Gemeinschaft. Wohl mahnten einige Stimmen, dass der Aufbau eines funktionierenden Staatswesens angesichts der beinahe völligen Zerstörung der Infrastruktur, des niedrigen Entwicklungsstandes und einer traumatisierten Bevölkerung schwierig und langwierig werde. Doch überwog die Hoffnung, dass die „jüngste Demokratie Asiens“ die Herausforderungen meistern werde. Osttimor (oder Timor-Leste, wie es nun offiziell heißt) wurde das gefeierte Model für das nation-building der internationalen Staatengemeinschaft und Zivilgesellschaft. Übersehen wurde dabei, dass schon in den ersten Jahren der Unabhängigkeit kleinere Krisen das Land erschütterten. Im Jahr 2002 eskalierte erstmals eine größere Demonstration in der Hauptstadt Dili, getragen vom Missmut der Massen über die schlechte Lage des Landes. Drei Jahre später wagten die christlichen Kirchen die Machtprobe mit der Regierung und hielten das Land wochenlang in Atem. Institutionell ächzte über die gesamte Zeit der ohnehin fragile Sicherheitssektor unter den Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Militär. Trotz dieser Warnzeichen glaubte die internati- „Osttimor am Scheideweg“ 8 onale Gemeinschaft zu der Zeit, ihr Engagement zu verringern und die Mission der Vereinten Nationen (VN) vor Ort möglichst zügig beenden zu können. Doch dann versank Osttimor im Frühjahr und Sommer 2006 in Chaos und Gewalt. Plötzlich war aus dem Musterknaben der internationalen Gemeinschaft ein Problemkind geworden. Beobachter fragten besorgt, ob dem Land das Schicksal eines failed state, eines gescheiterten Staates, drohe. Was war geschehen? Die Krise 2006 Die Krise 2006 nahm ihren Anfang in den Sicherheitsinstitutionen des jungen Staates. Am 8. Februar traten rund 400 Soldaten der 1.400 Mann zählenden FALINTIL-FDTL, der nationalen Armee Osttimors, in den Streik. Ihre Zahl wuchs in der Folge auf 595 an. Die Streikenden stammten zum Großteil aus den westlichen Distrikten (Loro Munu) Osttimors. Sie hatten sich vorher mit einer Petition (weshalb sie als petitioners bekannt wurden) an die Regierung gewandt, in der sie ihre schlechten Arbeitsbedingungen beklagten. Darüber hinaus fühlten sie sich von ihren Kameraden aus dem Osten (Loro Sa’e) vielfach (wie z.B. bei Beförderungen) übervorteilt. Ihre Aktivitäten koordinierte Leutnant Gastão Salsinha. Präsident Gusmão bat den Streikenden eine Untersuchung der Umstände an, konnte sie aber nicht zur Wiederaufnahme des Dienstes bewegen. Mitte März veranlasste daher Brigadegeneral Taur Matan Ruak die Entlassung der Streikenden. Nach einer Reihe von Demonstrationen kam es am 28. April bei einer Kundgebung in Dili zu den schwersten Ausschreitungen seit 1999. Gewaltbereite junge Erwachsene, eine kritisch von Arbeits- und Perspektivlosigkeit betroffene Gruppe, mischten sich unter die demonstrierenden Soldaten. Hauptziel der Angriffe war der Regierungspalast mit Amtssitz des Premier- und Außenministers. Weder Militär noch Polizei gelang es, eine Ausbreitung der Unruhen auf die gesamte Stadt zu verhindern. Tausende flohen aus Dili in das bergige Umland und die Distrikte, ein Reflex der Menschen in Krisensituationen seit der indonesischen Besatzung. Ende Mai 2006 eskalierte die Lage erneut. In Dili bekämpften sich ehemalige Soldaten und regierungstreue Truppen, Teile der Polizei und der Armee sowie Loro Munu und Loro Sa’e Stadtviertel. Die öffentliche Ordnung brach zusammen. 150.000 Menschen flüchteten aus Dili. Tausende Häuser und öffentliche Gebäude wurden angezündet. Mindestens 37 Menschen kamen ums Leben. Die junge Nation schlitterte an den Rand eines Bürgerkrieges und die Regierung sah sich gezwungen, um inter- Focus Asien Nr. 31 nationale Hilfe zu bitten. Einer internationalen Stabilisierungstruppe (ISF) unter australischer Führung gelang es letztlich das Land zu stabilisieren. Der Staat erlitt in der Krise einen enormen Vertrauensverlust bei den Menschen. Besonders fiel die immense Dynamik, mit der Fluchtbewegungen einsetzten, auf. Gerüchte trugen über die real existierenden Störungen hinaus massiv zur öffentlichen Verunsicherung bei. Auch wurde sehr deutlich, dass die regionale Unterscheidung zwischen Loro Sa’e (oder auch Firaku) und Loro Munu (Kaladi) hier politisch wieder belebt und instrumentalisiert worden war, wobei bis heute undeutlich bleibt, von wem und mit welchem Ziel. Sie hat sich jedoch auf sämtliche Bereiche des Lebens ausgedehnt. Gerade in einem melting pot wie Dili, wo Osttimoresen unterschiedlichster Herkunft leben, haben sich die Beziehungen zwischen den Menschen aus dem Osten und dem Westen rapide verschlechtert. Heute sind Begriffe wie Loro Sa’e/Firaku und Loro Munu/Kaladi in der Berichterstattung und Diskussion über Osttimor nicht mehr wegzudenken. Vanessa Prüller nimmt in diesem Sammelband diese zwei Identitätskonzepte „unter die Lupe“. Sie erklärt ihre Entstehung und Hintergründe und fragt, welche Rolle diese Konzepte für den Konflikt 2006 gespielt haben. Ein Land im Ausnahmezustand Der internationalen Schutztruppe gelang es zwar einen Bürgerkrieg zu verhindern, doch die Konflikte zwischen Armee und Polizei, zwischen petitioners und Regierung sowie zwischen Nachbarn aus Ost und West schwelten in den nächsten Monaten weiter. So kam es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in Dilis Stadtteilen und das vor allem zwischen Banden junger Männer, organisiert in so genannten Martial Arts Groups. Bei diesen Kämpfen waren auch Tote zu beklagen. Die internationale Polizei (UNPOL) und die ISF, die zeitweise alleine für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verantwortlich waren, taten sich schwer, dieser Gewalt Einhalt zu bieten. Der Artikel von Henri Myrtinnen in diesem Sammelband zum Gewaltphänomen in Osttimor gibt Hinweise zu den Gründen. Vor allem zeigen Myrtinnens „Notizen zur Gewalt“, dass es sich um komplexes Phänomen handelt, welches sich einfachen Antworten entzieht. Das zweite Halbjahr 2006 und die ersten Monate des Jahres 2007 blieb das Land im Aus- „Osttimor am Scheideweg“ 9 nahmezustand. Viele der Flüchtlinge blieben in den Flüchtlingslagern, trauten sich nicht in ihre Häuser, so sie denn nicht zerstört waren, zurückzukehren. Doch nicht nur die Vertriebenen blickten sorgenvoll und verunsichert in die Zukunft. Die Krise hatte die gesamte Gesellschaft tief erschüttert. Wahlen 2007 Vor diesem Hintergrund fanden am 9. April und 9. Mai die erste und zweite Runde der Präsidentschaftswahlen sowie am 30. Juni 2007 die Parlamentswahlen in Osttimor statt. Auf Drängen von Ramos-Horta und Gusmão war Premierminister Marí Bin Amude Alkatiri von der FRETILIN-Partei bereits im Juni 2006 zurückgetreten. Eine FRETILIN-Übergangsregierung, angeführt durch den parteilosen Ramos-Horta, hatte seitdem das Land gelenkt. Ramos-Horta konnte sich in der zweiten Runde gegen den Kandidaten der FRETILIN, Francisco Lu-Olo Guterres durchsetzen. Auch bei den Parlamentswahlen Ende Juni erlitt die bisher dominierende FRETILIN empfindliche Verluste. Neuer Chef der „Allianz der Parlamentarischen Mehrheit“ (AMP) wurde Gusmão. Die FRETILIN, die zwar erneut als stärkste Fraktion ins Parlament eingezogen ist, aber nicht Teil der AMP ist, fügt sich ihrer neuen Oppositionsrolle nur widerwillig. Der Artikel von Jakob Lempp in diesem Band zeigt Ablauf, Ergebnisse und mögliche Konsequenzen für das politische System Osttimors auf. Im Vorfeld der Wahlen hatten viele Beobachter gewarnt, der Urnengang könne zu einem erneuten Aufflammen der Gewalt führen. Die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich jedoch nicht. Ausschreitungen wie 2006 und ein erneutes Abgleiten in Chaos und Anarchie blieben aus. Dennoch fanden die Abstimmungen in einem Klima der Angst und Verunsicherung statt. Dies verdeutlichen sehr anschaulich Judith Bovensiepens Beobachtungen in dem osttimoresischen Bergdorf Funar während der Wahlen 2007. Zu dieser Atmosphäre der Angst hat die politische Elite Osttimors nicht unwesentlich beigetragen, so argumentiert Monika Schlicher in ihrem Beitrag. Die Politiker des Landes – und dies gilt über Parteigrenzen hinaus – würden zu wenig das Gemeinwohl und zu sehr ihre eigenen Machtinteressen verfolgen, wobei sie bei der Wahl der Mittel wenig Zurückhaltung an den Tag legten. Dabei nähmen sie in Kauf, dass der Ausnahmezustand „ein Stück weit zur Normalität geworden“ sei. Focus Asien Nr. 31 Die neue Regierung Die Planungen für den Workshop Osttimor am Scheideweg: Chaos oder Neuanfang? begannen im Herbst 2007 zu einem Zeitpunkt, als die AMPRegierung die Amtsgeschäfte übernahm und die FRETILIN einen entschlossenen Konfrontationskurs gegen sie steuerte. Hierzu gehörte, dass sie die neue Administration als „nicht verfassungsgemäß“ denunzierte. Auch als Folge dessen kam es in mehreren Städten zu politischen Unruhen. Nach der Vereidigung Gusmãos zum Premier zündeten gewalttätige Sympathisanten der FRETILIN bei schweren Ausschreitungen in Baucau und Viqueque mehr als hundert Häuser an, darunter Gebäude der Regierung, internationaler Hilfsorganisationen, Privathäuser und das Gericht. Am 11. August 2007 griffen sie einen Konvoi der VN an. FRETILIN boykottierte das Parlament für einige Tage, nachdem die Partei sich als stärkste Fraktion nicht an der Regierungsbildung beteiligen konnte. Ihr Generalsekretär, der ehemalige Premierminister Alkatiri, ließ Anfang August einige Zeit verstreichen, bis er letztlich seine Partei auf die Oppositionsrolle einschwor und auch seine Anhänger im Land zur Friedfertigkeit aufrief. Nichtsdestotrotz ist er bei seiner Auffassung geblieben, dass die Regierung illegitim und nicht verfassungsgemäß ist. Von Normalität war Osttimor zu der Zeit also weit entfernt und es stellte sich die Frage, in welche Richtung sich das Land nun entwickeln würde. Offensichtlich stand die junge Nation an einem Scheideweg. Die Frage Chaos oder Neuanfang entscheidet sich jedoch nicht allein aus dem Versagen der politischen Elite und dem historischen Ballast einer konfliktträchtigen nationalen Geschichte, sondern auch über die weitere internationale Unterstützung für Osttimor. Trotz seiner Öl- und Gasvorkommen benötigt das Land aufgrund der alarmierenden sozioökonomischen Lage weiterhin massive Aufbauhilfe. Entwicklung und Armut Osttimor gehört zu den am geringsten entwickelten Ländern (LDC) der Welt. Die Arbeitslosigkeit beträgt laut Schätzungen der Weltbank 20% in ländlichen und 40% in urbanen Räumen (z.B. Dili). Hiervon ist besonders die Gruppe der jungen Erwachsenen betroffen. Mangelnde „Osttimor am Scheideweg“ 10 Zukunftsperspektiven schüren das Konfliktpotenzial. Osttimors Ölreserven können jedoch der Schlüssel zu seinem zukünftigen Wohlstand sein. Aufgrund negativer Erfahrungen anderer ressourcenreicher Länder mit Korruption und Misswirtschaft legt Osttimor seine Gewinne in einem Petroleumfonds nach norwegischem Vorbild an. Dieser enthielt nach Angaben der Weltbank am 30. Juni 2007 1,4 Milliarden US$ und wächst monatlich um rund 100 Millionen US$. Zurzeit stehen dem staatlichen Budget somit zusätzliche jährliche Einkünfte von 300 Millionen US$ zur Verfügung. Die hier diskutierten Krisen zogen jedoch enorme Rückschläge für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes nach sich: negatives Wachstum, hohe Inflation (17% im Februar 2007, zurück auf 6,4% im Juni), massive Verunsicherung privater Investoren (z.B. Einbruch der Kaffeeproduktion um 20%), fehlende Funktionsfähigkeit des Staats (z.B. der Kollaps des Sicherheitssektors oder die Probleme der Regierung, mehr als 60% des Staatsbudgets umzusetzen). Einzig die Offshore Aktivitäten im Ölund Gassektor blieben von den politischen und gesellschaftlichen Ereignissen unbeeinträchtigt (IWF, Weltbank). Hinsichtlich der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist bei der neuen Regierung mit einer stärkeren Nutzung der Einnahmen aus dem Petroleumsfonds z.B. für den Ausbau der Infrastruktur zu rechnen. Besitz- und Eigentumsansprüche bedürfen einer dringenden Klärung, letztlich auch zur Bewältigung des Flüchtlingsproblems. Internationale Verantwortung Bis Osttimor in der Lage sein wird, auf eigenen Beinen zu stehen, benötigt es weiterhin die Hilfe der internationalen Staaten- und Zivilgesellschaft. Es ist zu hoffen, dass auch die Geber aus der Krise gelernt haben. Zu früh war Osttimor als Paradebeispiel erfolgreichen nation-buildings gefeiert worden und zu früh wurden die Missionen der VN verkleinert. Die Krise war ein Warnschuss. Der Aufbau eines funktionierenden Staatswesens bedarf der Zeit und des langfristigen Engagements, denn kurzfristiger internationaler Aktionismus kann nicht zu einer nachhaltigen Unabhängigkeit führen. Dies gilt nicht nur für Osttimor, wie Daniella Christova Schmitt in ihrer vergleichenden Analyse der VN-Missionen in Kosovo und Osttimor deutlich macht. Wie sich internationales Engagement konkret gestaltet, ist Thema von zwei Beiträgen in diesem Sammelband: Achim Tillessen von der Generaldirektion Entwicklung der Europäischen Kommission stellt die Tätigkeiten der Europäischen Union vor, Focus Asien Nr. 31 und ein Interview mit Volker Sowade vom Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung behandelt das Engagement der Bundesrepublik. Den Interaktionen zwischen Europäern und Osttimoresen widmet sich der Beitrag von Alexander Loch. Europa ist, das zeigen diese Beiträge, wichtig für Osttimor. Doch von Europa aus betrachtet erscheint das Land klein und fern. Entsprechend gering ist die Aufmerksamkeit, die der südostasiatische Staat in der deutschen Öffentlichkeit erfährt, wie Marco Bertolaso vom Deutschlandfunk zum Thema „Osttimor in deutschen Medien“ ausführt. Nur in Ausnahmefällen wird in deutschen und europäischen Medien über das Land berichtet, so über die Anschläge auf Ramos-Horta und Gusmão im Februar 2008. Die Attentate und der Fall Reinado Am Morgen des 11. Februars 2008 kam es vor dem Haus von Staatspräsident Ramos-Horta zu einem Feuergefecht zwischen Rebellen und seinen Sicherheitsleuten. Knapp zwei Stunden später misslang den Angreifern ein weiterer Anschlagsversuch auf Premierminister Xanana Gusmão. Während Gusmão den Angriff unverletzt überstand, erlitt Ramos-Horta schwere Schussverletzungen und musste nach Australien ausgeflogen werden. Der Anführer der Rebellen, der ehemalige Major der Militärpolizei Alfredo Alves Reinado, starb beim Schusswechsel vor dem Anwesen des Präsidenten. Seit Reinado im Mai 2006 zusammen mit zwanzig Getreuen desertiert war und sich mit den petitioners solidarisch erklärt hatte, war er eines der drängensten Sicherheitsprobleme Osttimors. Ein Feuergefecht zwischen Reinados Männern und Regierungssoldaten, das mehrere Tote zur Folge hatte, bildete den Auftakt für die Eskalation der Gewalt Ende Mai 2006. Bereits im Juli 2006 war Reinado deshalb verhaftet worden. Die Anklage lautete u.a. auf Mord. Nachdem ihm und über 50 weiteren Häftlingen Ende August 2006 die Flucht aus dem Gefängnis gelungen war, erlangte er bei Teilen der Bevölkerung den Status eines „Robin Hood“, der versteckt in den Bergen für die Interessen der Unzufriedenen und Vergessenen kämpft. Reinado wurde zur romantisch verklärten Symbolfigur, der insbesondere unter der Loro Munu Jugend viele Sympathien genoss. Reinados Motive für die Anschläge bleiben bis heute rätselhaft. Ramos-Horta und Gusmão „Osttimor am Scheideweg“ 11 waren ihm nicht zwangsläufig feindlich gesinnt, denn die Aktivitäten des Rebellen zeichneten sich in den vergangenen Jahren besonders durch Attacken gegen die ehemalige FRETILIN Regierung aus. Damit genoss er einen gewissen Rückhalt bei Ramos-Horta und Gusmão, von denen besonders letzterer ein schwieriges Verhältnis zur FRETILIN pflegt. Seit Mitte 2007 hatte die Regierung auf Ramos-Hortas Initiative hin die Suche nach Reinado sogar offiziell eingestellt. Ramos-Horta und Gusmão forderten Reinado auf, sich freiwillig zu stellen. Immer wieder fanden auch hochrangige Dialoge der Regierung mit dem Rebellenchef statt, der sich weiterhin formell unter die Autorität Gusmãos stellte. Reinado schien sich damit abgefunden zu haben, dass es ein Gerichtsverfahren gegen ihn geben werde, unter anderem wegen mehrfachen Mordes. Reinados Motivationen für sein Handeln sind in der Vergangenheit nie besonders deutlich geworden. Meist verwies er in Interviews auf rhetorische Allgemeinplätze wie für das Volk zu kämpfen. Dies ist bis zum Ende so geblieben. Fakt ist, dass die Anschläge wohl eine gravierende Eskalation des seit 2006 andauernden Konflikts darstellten. Gleichzeitig markierten sie aber mit dem Tod Reinados das Ende einer der größten Sicherheitsbedrohungen für das heutige Osttimor. Dies gibt Anlass zur Hoffnung, dass sich die politische Stabilität des Landes nunmehr konsolidiert. Hoffnungszeichen Die Initiativen zur Behebung der Schäden aus 2006 haben in den letzten Monaten deutlich zugenommen. Die Regierung, die Integrierte Mission der Vereinten Nationen (UNMIT), die ISF und UNPOL haben die Sicherheit wiederhergestellt. Ausbrüche von Gewalt bekommen sie relativ schnell unter Kontrolle. Der Sicherheitssektor wird umfassend reformiert, insbesondere die nationale Polizei (PNTL). Das Parlament hat sich mit den Empfehlungen einer VN-Untersuchungskommission zur Krise befasst und teilweise umgesetzt. Geblieben ist das Flüchtlingsproblem. Viele der Flüchtlinge haben sich in den Lagern permanent eingerichtet und trauen sich nicht in ihre Häuser zurückzukehren. Doch nicht nur die Vertriebenen blicken sorgenvoll und verunsichert in die Zukunft. Die Krise hat die gesamte Gesellschaft tief erschüttert. Die Regierung will mit dem 'Simu Malu' Plan das Flüchtlingsproblem vorrangig lösen. Weiterhin leben Tausende interne Flüchtlinge (IDPs) in Notunterkünften, davon ein Großteil in Dili. Staatliche und zivilgesellschaftliche Versöhnungsinitiativen bringen die Menschen auf allen Ebenen zum Dialog Focus Asien Nr. 31 zusammen. Infrastrukturmaßnahmen zeitweilig Arbeitsplätze schaffen. sollen Fazit Die letzten zwei Jahre waren eine schwierige Zeit für Osttimor und damit hat sich auch die Wahrnehmung des Landes verändert. Die Hoffnungen, das Land werde wie ein Phönix aus der Asche steigen, haben sich nicht bewahrheitet, doch genauso falsch wäre es nun, Osttimor als failed state abzustempeln. Es ist – einfach gesprochen – eine junge Nation mit vielen Problemen aber auch mit viel Potenzial. Die Beiträge in diesem Sammelband belegen dies ausführlich. Der Reader ergibt so ein differenziertes Bild der heutigen Situation jenseits von Schönfärberei oder Untergangsrhetorik. Wenn es jedoch eines aus der Geschichte des Unabhängigkeitskampfes zu lernen gibt, dann dies: Osttimor hat schon einmal das Unmögliche geschafft und das gegen alle Widerstände. Es gibt Anlass zur Hoffnung, dass dies noch einmal geschieht. Andre Borgerhoff und Manuel Schmitz Köln/Brüssel im September 2008 Die initiierenden Organisationen im Kurzprofil Die Deutsche Osttimor Gesellschaft (DOTG) e.V. wurde im März 2003 als gemeinnütziger, konfessionsloser und überparteilicher Arbeitskreis mit Sitz in Köln gegründet. Der Verein will die deutsch-osttimoresischen Beziehungen aktiv gestalten und begleitet das junge Land auf seinem schwierigen Weg zu Demokratie, Zivilgesellschaft und nachhaltiger Entwicklung. Durch ihre Öffentlichkeitsarbeit in Form regelmäßiger Newsletter, Vorträge, Workshops und der Internetseite http://www.osttimor.de sowie durch eigene Entwicklungsprojekte, Lobbyarbeit und die Betreuung osttimoresischer Gäste in Deutschland leistet die DOTG hierzu ihren Beitrag. Ihre Mitglieder aus Deutschland und Osttimor umfassen WissenschaftlerInnen, JournalistInnen, PraktikerInnen der Entwicklungszusammenarbeit, MenschenrechtsaktivistInnen und weitere Interessierte. Watch Indonesia!, gegründet 1991, setzt sich für Menschenrechte, Demokratie und Umweltschutz in Indonesien und Osttimor ein. Die „Osttimor am Scheideweg“ 12 Organisation sieht sich als Botschafterin der indonesischen und osttimoresischen Zivilgesellschaft, deren Anliegen sie durch Informations- und Lobbyarbeit an Öffentlichkeit und Politik heranträgt. Weitere Infos unter: http://www.watchindonesia.org Die im Asienhaus zusammengeschlossenen Organisationen (Asienstiftung, das KoreaKommunikations- und Forschungszentrum, das Focus Asien Nr. 31 Philippinenbüro und die Südostasien Informationsstelle) und Projekte wie die Burma und China-Arbeit wollen dazu beitragen, ein differenziertes Bild der Länder und Kulturen Asiens zu vermitteln und den Prozess des interkulturellen Dialogs im Interesse von Frieden und sozialer Gerechtigkeit auf allen Ebenen voranzutreiben. Weitere Infos unter: http://www.asienhaus.de. „Osttimor am Scheideweg“ 13 AKTUELLE ENTWICKLUNGEN IN OSTTIMOR Focus Asien Nr. 31 „Osttimor am Scheideweg“ 14 Politisches System, Parteien und Wahlen in Osttimor Jakob Lempp „Die Demokratie in unserem Land ist noch jung, die Menschen reagieren ängstlich auf Geschehnisse“ (José Ramos-Horta, Präsident der Demokratischen Republik Timor-Leste). Einführung Seit seiner Unabhängigkeit ist Osttimor ein fragiler Staat. Weder die Stabilität des Landes noch die praktische Funktionsfähigkeit seiner politischen Institutionen sind bislang so gefestigt, dass Staatszerfallsprozesse und ein Rückfall in den Bürgerkrieg ausgeschlossen werden können. Die Revolte eines Teils der osttimoresischen Armee unter Alfredo Reinado, die Unruhen im Anschluss an die Wahlen zur Nationalversammlung im Sommer 2007 und die Attentate auf Premierminister Xanana Gusmão und Präsident José Ramos-Horta im Februar 2008 führten sowohl der Bevölkerung des Landes als auch der internationalen Staatengemeinschaft einmal mehr die Schwäche der Staatlichkeit in der jungen Demokratie vor Augen. Nach wie vor ist Osttimor auf die Präsenz internationaler Polizeikontingente – derzeit etwa im Rahmen der UNMIT (United Nations Integrated Mission in Timor-Leste) – angewiesen. Sicherlich sind die Faktoren, welche die Krisen des Landes auslösten, vielfältig und großteils außerhalb des formalen Verfassungsaufbaus und der Funktionsweise der staatlichen Institutionen zu verorten: Von der prekären wirtschaftlichen und sozialen Situation, von der nach wie vor ungeklärten Frage nach dem Umgang mit den Traumatisierungen der Vergangenheit und von der Sprengkraft, die von den aufbrechenden ethnischen und kulturellen Konfliktlinien ausgeht, hängen Erfolg und Misserfolg des Stabilisierungs- und Demokratisierungsprozesses ab. Dass daneben aber auch der Aufbau des politischen Systems, die Funktionsweise der wichtigsten staatlichen Organe des Landes, die Konsolidierung des Parteiensystems und der Ablauf und die Akzeptanz demokratischer Wahlen eine entscheidende Rolle spielen, ist unumstritten. Daher werden im Folgenden sowohl das politische System und seine Funktionsweise als auch die Entwicklungen seines Wahl- und Parteiensystems näher beleuchtet. Focus Asien Nr. 31 Das politische System Der Blick in die Verfassung Osttimors und in die weiteren, das politische System des Landes konstituierenden Rechtstexte, legt zunächst einen sehr positiven Schluss nahe: Die verfassungsmäßige Grundordnung Osttimors wird hier als freiheitlicher, demokratischer Verfassungsstaat mit einem umfassenden Grund- und Bürgerrechtskatalog bestimmt. Das Prinzip der repräsentativen Demokratie wird mit jenem direktdemokratischer Elemente kombiniert, und den Grundsätzen von Volkssouveränität, moderner Regierungsführung und den zu schützenden Freiheitsrechten des Einzelnen wird Rechnung getragen. Und so wundert es auch nicht, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger im Laufe des Verfassungsgebungsprozesses in öffentlichen Anhörungen eingebracht haben. Die Verfassung wurde schließlich mit großer Mehrheit angenommen und trat mit der Erlangung vollständiger Unabhängigkeit im Mai 2002 auch in Kraft. Käme die Verfassungswirklichkeit des Landes dem Verfassungstext auch nur nahe, bestünde kein Anlass zur Sorge. Allerdings zeigen sich die wichtigsten Problembereiche und staatspolitischen Herausforderungen weniger beim Blick in die Rechts- und Verfassungslage als vielmehr beim Blick auf das tatsächliche Funktionieren der politischen Institutionen. Beide Aspekte – die verfassungsmäßige Stellung der Organe und Institutionen und deren tatsächliche Funktionsweise – müssen daher für ein unverzerrtes Gesamtbild Berücksichtigung finden. Vorbild der osttimoresischen Verfassung war Portugal mit seinem parlamentarischen Regierungssystem und der gleichwohl verhältnismäßig starken Stellung des Präsidenten. Das wichtigste Organ der Volksvertretung und Gesetzgebung in der osttimoresischen Demokratie ist das Parlament: Die im Regelfall 65 Abgeordneten werden alle fünf Jahre in freien, geheimen und gleichen Wahlen von der Bevölkerung gewählt; lediglich in der ersten Nationalversammlung, die aus der im Sommer 2001 gewählten verfassungsgebenden Versammlung hervorgegangen war, waren 88 Sitze vergeben worden. Die Parlamentswahl ist eine Verhält„Osttimor am Scheideweg“ 15 niswahl mit 3%-Hürde, d.h. die Bevölkerungspräferenzen werden bis auf Kleinstparteien proportional im Parlament abgebildet. Für die Parteilisten gilt eine 25%-Quote für weibliche Kandidatinnen. Die zentralen Funktionen des Parlaments sind neben der Gesetzgebung und der Wahl des Premierministers die Kontrolle der Regierung, die Ratifikation internationaler Verträge, die Ausarbeitung von Vorschlägen für die Durchführung von Referenden und eine allgemeine Repräsentationsfunktion. Wichtigstes Machtinstrument des Parlaments ist sein Recht, die Regierung nach einem einfachen Misstrauensvotum abzusetzen. Dies führt dazu, dass die Regierung grundsätzlich von der Unterstützung einer Mehrheit im Parlament abhängig ist und einer oppositionellen Minderheit gegenübersteht. Osttimor verfügt mit dem direkt gewählten Präsidenten und der aus dem Parlament hervorgehenden Regierung über eine doppelköpfige Exekutive. Der Premierminister wird vom Präsidenten der Republik auf Vorschlag einer Mehrheit der Abgeordneten in der Nationalversammlung ernannt. Die Ernennung der Regierung durch den Präsidenten ist allerdings eher eine verfassungsmäßig vorgeschriebene Formalität als ein echtes politisches Machtinstrument des Präsidenten, schließlich müssen sich Premierminister und Regierung für die praktische Regierungsarbeit immer auf eine stabile Parlamentsmehrheit stützen. Als erster Premierminister des Landes übernahm Marí Bin Amude Alkatiri am 20. Mai 2002 die Regierungsgewalt von der VN-Verwaltung, welche seit 2000 die Regierungsgeschäfte geführt hatte. In der osttimoresischen Verfassung uneindeutig formuliert ist die Frage, ob der Präsident den Kandidaten der stärksten Fraktion im Parlament zum Premierminister ernennt oder vielmehr jenen Kandidaten, hinter dem sich eine absolute Mehrheit der Mitglieder der Nationalversammlung stellt. Gerade diese unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten der Verfassung führten zu der Regierungsbildungskrise nach der letzten Wahl zur Nationalversammlung im Sommer 2007. Während die FRETILIN das Amt des Premierministers deshalb beanspruchte, weil sie bei den Wahlen die meisten Stimmen erhalten hatte, argumentierte die Koalition aus CNRT, PSD-ASDT und PD, das Amt des Premierministers müsse an sie gehen, da nur ihr Bündnis über eine absolute Mehrheit im Parlament verfüge. Präsident Ramos-Horta schloss Focus Asien Nr. 31 sich schließlich der letzteren Position an und ernannte den CNRT-Kandidaten und früheren Präsidenten Xanana Gusmão zum Regierungschef. Dem folgte die Vereidigung der Minister, die Gusmão Präsident Ramos-Horta vorgeschlagen hatte. Staatsoberhaupt Osttimors ist der für fünf Jahre direkt vom Volk gewählte Präsident. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Wahlberechtigt sind alle Osttimoresen über siebzehn Jahre, die auf dem Territorium des Staates leben und sich zuvor in Wählerlisten registriert haben. Das Wahlsystem zum Präsidentenamt ist ein absolutes Mehrheitswahlsystem mit zwei Wahlgängen, wie es etwa auch in Frankreich praktiziert wird. Erhält keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang die erforderliche absolute Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen, so wird der Sieger innerhalb eines Monats in einem zweiten Wahlgang ermittelt, in welchem nur die beiden erstplatzierten Kandidaten aus dem ersten Wahlgang teilnehmen. Die Machtbefugnisse des Präsidenten sind allerdings stark begrenzt, und auch in der bisherigen Amtspraxis beschränkte sich das Staatsoberhaupt meist auf seine repräsentativen und symbolisch-integrativen Funktionen. Lediglich während der Machtprobe im Vorfeld des Rücktritts des Premierministers Marí Alkatiri im Frühjahr 2006 übernahm Präsident Gusmão für einige Zeit das Oberkommando über Polizei und Streitkräfte und es kam zum offenen Machtkampf zwischen Premierminister und Präsidenten. Am 26. Juni trat Alkatiri schließlich auf Druck der Öffentlichkeit, des Präsidenten und Teilen der Regierung vom Amt des Premierministers zurück. Eine „Übergangsregierung der nationalen Einheit“ unter José Ramos-Horta übernahm zunächst die Regierungsverantwortung, die schließlich nach den Präsidenten- und Parlamentswahlen 2007 an den neu gewählten Premierminister Xanana Gusmão weitergegeben wurde. Diese zumindest potenziell (in einem Fall aber auch tatsächlich) starke und machtvolle Stellung des Präsidenten ist jedoch eine Gefahrenquelle für den jungen Staat, da ein reibungsloses Funktionieren der Beziehung zwischen Präsident und Premierminister für das praktische Funktionieren des osttimoresischen Institutionensystems unerlässlich ist. „Osttimor am Scheideweg“ 16 Premierminister und Regierung (abhängig von einer Mehrheit im Parlament) Wahl des Parlaments alle 5 Jahre in freien, geheimen und gleichen Wahlen (Verhältniswahlrecht mit 3%-Hürde) Wahl des Präsidenten alle 5 Jahre in freien, geheimen und gleichen Wahlen (absolutes Mehrheitswahlrecht) Ministerien und Verwaltung Neben den legislativen und exekutiven Organen entwickelt sich zunehmend auch das Rechtssystem des Landes. Formal wird die Unabhängigkeit der Gerichte von der Verfassung garantiert. Der oberste Gerichtshof steht an der Spitze der Gerichte, seine Mitglieder werden teils durch das Parlament, teils durch einen gesonderten Jurisdiktionsrat gewählt. Allerdings bleibt die Bilanz des Aufbaus rechtstaatlicher Strukturen in Osttimor gemischt. Einerseits lässt die Verurteilung des früheren Innenministers Rogério Tiago Lobato zu einer Haftstrafe wegen illegaler Verteilung von Waffen hoffen, dass zukünftig geltendes Recht auch dann durchgesetzt wird, wenn Angehörige der politischen Klasse dagegen verstoßen. Andererseits ist sowohl die Umsetzung der Urteile als auch die Durchsetzung geltenden Rechts nach wie vor schwierig. So wurde etwa dem verurteilten Lobato die Ausreise nach Malaysia gestattet und der Ausbruch des Rebellenführers Alfredo Reinado aus dem Gefängnis in Dili zeigt, dass auch bei der technischen Umsetzung rechtstaatlicher Strukturen noch eklatante Mängel bestehen. Das Wahl- und Parteiensystem Bei der ersten Präsidentschaftswahl im April 2002 traten Xanana Gusmão und Francisco Xavier do Amaral gegeneinander an. Amaral war im Jahr 1974 einer der FRETILIN-Gründer und in der kurzen Phase der Unabhängigkeit zwischen dem Ende der portugiesischen Kolonialherrschaft und der indonesischen Invasion 1975 bereits Präsident des Landes. Focus Asien Nr. 31 Er befand sich nach dem Bruch mit der FRETILIN zunächst in deren, ab 1978 dann in indonesischer Gefangenschaft. Während des Wahlkampfs gegen Gusmão betonte er mehrfach, dass es ihm weniger um einen Sieg und das Präsidentenamt gehe, sondern vielmehr darum, den Wählern tatsächlich eine Auswahl zu ermöglichen. Favorit war nämlich Gusmão als langjähriger Anführer der Befreiungsbewegung. Dieser erlangte eine überwältigende Mehrheit von 82,7% im ersten Wahlgang und blieb fünf Jahre lang im Amt. Bis auf eine kurze Phase aktiven und direkten Eingreifens in das politische Geschehen während der Unruhen von 2006 folgte Gusmão einem Amtsverständnis, das sich eher auf die Wahrnehmung repräsentativer und symbolischer Funktionen konzentrierte. Die zweite Präsidentschaftswahl fand am 9. April 2007 statt. Acht Kandidaten stellten sich der Wahl. Hierzu gehörten der FRETILINVorsitzende und Präsident der Nationalversammlung, Francisco Lu-Olo Guterres, Premierminister José Ramos-Horta als Wunschnachfolger Gusmãos sowie die Vorsitzenden der PD, Fernando La Sama de Araújo und der ASDT, Francisco Xavier do Amaral. Den vier weiteren Kandidaten wurden kaum Chancen auf einen Einzug in den zweiten Wahlgang eingeräumt. Die relative Mehrheit der Stimmen errang im ersten Wahlgang Guterres, zweiter wurde Ramos-Horta. Während der Wahl und „Osttimor am Scheideweg“ 17 bei der Auszählung der Stimmen traten mehrere Unstimmigkeiten auf und ein VN-Expertenteam kam zu dem Ergebnis, der Urnengang sei „nicht befriedigend“ durchgeführt worden. Dennoch urteilte der Leiter der EU-Wahlbeobachter, Javier Pomés Ruiz, die Wahl sei weitgehend fair verlaufen. Das höchste Gericht wies darüber hinaus die Klage dreier unterlegener Kandidaten am 21. April 2007 ab. Schließlich akzeptierten die meisten Beteiligten das offizielle Endergebnis des ersten Wahlgangs und fünf der sechs unterlegenen Kandidaten riefen ihre Anhänger zur Wahl Ramos-Hortas im zweiten Wahlgang auf. Zur Stichwahl zwischen beiden kam es schließlich am 9. Mai 2007. Ramos-Horta konnte sich erwartungsgemäß klar durchsetzen und wurde am 20. Mai 2007 als Präsident Osttimors vereidigt. Xanana Gusmão Francisco Lu-Olo Guterres (FRETILIN) José Ramos-Horta (parteilos) Fernando La Sama de Araújo (PD) Francisco Xavier do Amaral (ASDT) Lúcia Lobato (PSD) Manuel Tilman (KOTA) Avelino Coelho da Silva (PST) João Carrascalão (UDT) Stimmen 1. WG in % (2007) --27,9 Stimmen 2. WG in % (2007) --30,8 Stimmen in % (2002) 21,8 69,2 --- 19,2 --- --- 14,4 --- 17,3 8,9 4,1 ----- ----- 2,1 --- --- 1,7 --- --- 82,7 --- Bereits bei dieser Wahl zeigte sich jenes Bild, das sich bei den Parlamentswahlen im Juni fortsetzen sollte: Der Kandidat der FRETILIN erhielt besonders starken Zuspruch in den östlichen Distrikten Baucau, Lautém und Viqueque. Ramos-Horta dagegen konnte sich in allen anderen Distrikten klar gegen Guterres durchsetzen. Obwohl Guterres seine Niederlage eingestanden hatte, kam es in der Folge zu Unruhen und Zerstörungen in den Distrikten Viqueque, Ermera und Liquiça sowie in einem Vorort Dilis. Obwohl Ramos-Horta im Wahlkampf mehrfach erklärt hatte, das Amt des Präsidenten aktiver wahrnehmen zu wollen, unterscheidet sich Focus Asien Nr. 31 sein repräsentativ und symbolisch angelegter Amtsstil nur wenig von dem seines Vorgängers Gusmão. Wichtigste Wahl neben der Präsidentschaftswahl ist jene zum osttimoresischen Parlament. Die erste Parlamentswahl fand am 30. August 2001 statt, rund ein dreiviertel Jahr vor der endgültigen Unabhängigkeit des Landes. Abgestimmt wurde über die einmalig 88 Sitze zählende verfassungsgebende Versammlung, welche sich gemäß Art. 167 nach Abschluss ihrer Tätigkeit und mit der Unabhängigkeit des Landes in die erste Nationalversammlung transformieren sollte. Aufgrund des Fehlens einer Hürde zum Einzug in das Parlament schafften insgesamt zwölf Parteien den Sprung in die Versammlung, wobei die FRETILIN erwartungsgemäß mit 55 von 88 Sitzen eine absolute Mehrheit erringen konnte. Lediglich die PD (sieben Sitze), die sozialdemokratische PSD (6) und die zentristische ASDT (6) konnten noch nennenswerte Fraktionen bilden. Alle anderen Parteien errangen lediglich ein oder zwei Mandate. Mit ihrer stabilen Mehrheit stellte die FRETILIN bis kurz vor Ende der Legislaturperiode die von Premierminister Marí Alkatiri geführte Regierung und dominierte sowohl das Parlamentsgeschehen als auch den gesamten politischen Prozess im Land. Die zweite Parlamentswahl am 30. Juni 2007 brachte dann allerdings eine starke Verschiebung der Machtverteilung mit sich. Hierbei kamen einige Veränderungen im Wahlrecht zur Anwendung: Erstens fand die Stimmauszählung in den Distriktzentren statt und nicht wie bislang in den örtlichen Wahllokalen; zweitens mussten Parteien, die sich zur Wahl stellten, mindestens 90 Kandidaten präsentieren; drittens sollte eine 3%-Hürde für den Sprung ins Parlament einer weiteren Fragmentierung der Parteienlandschaft vorbeugen. Diese Änderungen erschwerten kleineren Parteien den Einzug in die Nationalversammlung. Von den vierzehn Parteien, die sich um Mandate bewarben, überwand die Hälfte die 3%-Hürde. Somit sank die Zahl der Fraktionen von zwölf auf sieben, was zu einer Konsolidierung des Parteiensystems geführt hat. Bei mit 80,5% vergleichsweise hoher Wahlbeteiligung konnte die FRETILIN ihre Machtstellung nicht behaupten. Sie blieb zwar stärkste Kraft im Parlament, verlor jedoch ihre absolute Mehrheit und ihre Regierungsbeteiligung. Mit nur noch 29% der Stimmen und 21 der 65 Parlamentsmandate bildet sie in der „Osttimor am Scheideweg“ 18 zweiten Legislaturperiode die stärkste Oppositionsfraktion des Parlaments. Zweitstärkste Partei wurde der erst kurz vor der Wahl als Partei wieder gegründete „Nationalkongress für den Wiederaufbau Timors“ (CNRT) mit dem Spitzenkandidaten Xanana Gusmão. Ebenfalls starke Fraktionen konnten der Zusammenschluss aus ASDT und PSD unter Xavier do Amaral, Mario Carrascalão, Zacarias Albano da Costa und João Gonçalves bilden sowie die ebenfalls moderate und dem Zentrum des Parteienspektrums zuzurechnende PD unter Mariano Sabino Lopes und Fernando La Sama de Araújo. Diese drei Fraktionen schlossen sich zu einer Dreierkoalition zusammen, die mit 37 von 65 Sitzen über eine Mehrheit im Parlament verfügt. Hochburgen lassen sich klar identifizieren: Die FRETILIN fand vor allem im Ostteil des Landes Zuspruch (die Hälfte all ihrer Stimmen erzielte die Partei in den drei östlichen Distrikten Baucau (62%), Viqueque (60%) und Lautém (46%). Dagegen war der CNRT vor allem in den nord-westlichen Distrikten, in Dili (45%), Liquiça (39%), Oecussi (35%) und Manatuto (33%) stark. Die beiden Koalitionspartner des CNRT, ASDT-PSD und PD, konnten vor allem in den südlichen und süd-westlichen Distrikten viele Wähler überzeugen. Insbesondere in den sehr hohen Ergebnissen für die FRETILIN im Ostteil des Landes bei gleichzeitig sehr moderatem Zuspruch in den westlichen Distrikten spiegelt sich eine zunehmend kulturelle Spaltung der Gesellschaft in Loro Munu („Westler“) und Loro Sa’e („Ostler“) auf der Ebene der parteipolitischen Repräsentation wider. Die kleineren – zusammen lediglich 10% der Abgeordneten stellenden – Parteien und Parteizusammenschlüsse spielen zwar machtpolitisch kaum mehr eine Rolle, doch sie repräsentieren wichtige Themenfelder und Bevölkerungssegmente: Die erst Ende 2006 gegründete „Nationale Einheitspartei“ (PUN) unter der ehemaligen Finanzministerin Fernanda Borges orientiert sich an christlichen Wertvorstellungen und konnte mit 4,6% einen überraschend großen Wählerzuspruch mobilisieren. Die Verbindung aus der „Timoresischen Volkspartei“ (PPT) unter Jacob Xavier, der angibt, ein Nachfahre der Könige von Portugal zu sein, und der stark an originären timoresischen Traditionen ausgerichteten „Vereinigung Timoresischer Helden“ (KOTA) unter Manuel Tilman und Leão Pedro dos Reis Amaral errang ebenso zwei Mandate wie die UNDERTIM, eine Abspaltung der FRETILIN, unter Cornélio Gama („L7“). Focus Asien Nr. 31 FRETILIN CNRT PSD-ASDT PD PUN KOTA-PPT UNDERTIM UDT PNT PDC PST PL PDCT Unabhängige SUMME Stim men 2007 in % Sitze 2007 Stim men 2001 in % Sitze 2001 29,0 24,1 15,7 11,3 4,6 3,2 3,2 0,9 2,4 1,0 1,0 ------- 21 18 11 8 3 2 2 0 0 0 0 0 0 0 65 57,4 --16,0 8,7 --4,1 --2,4 2,2 2,0 1,8 1,1 0,7 --- 55 0 12 7 0 4 0 2 2 2 1 1 1 1 88 Veränderungen (Sitze) - 34 + 18 -1 +1 +3 -2 +2 -2 -2 -2 -1 -1 -1 -1 - 23 Was bedeutet all dies für die Perspektiven des jungen Staates? Die Entwicklung des Wahl- und Parteiensystems in Osttimor verläuft in mancherlei Hinsicht erfreulicher als vor dem Hintergrund der Ausschreitungen in den letzten Jahren zunächst zu vermuten ist: - Schwierigster Testfall für jede junge Demokratie ist der erste und durch demokratische Wahlen herbeigeführte Machtwechsel. Und so war auch nach der Wahl im Juni 2007 zunächst unklar, ob die politischen Institutionen der Krise standhalten würden, ob ein friedlicher Regierungswechsel den Weg in eine weitere Konsolidierung der Demokratie eröffnen würde oder ob bereits der erste Regierungswechsel zu einem Systemwechsel von instabiler Demokratie zu autokratischer Herrschaft oder gar zu einer erneuten Dynamik von Staatszerfall und Anarchisierung führen würde. Beides ist nicht eingetreten. Und trotz der Unruhen, die den Wechsel begleiteten, wurde das Ergebnis schließlich doch von einer großen Mehrheit der Osttimoresen akzeptiert. - Während der ersten Legislaturperiode war das Parteiensystem des Landes vor allem durch die Omnipräsenz und machtpoliti- „Osttimor am Scheideweg“ 19 sche Dominanz der FRETILIN gekennzeichnet. Eine solche Konstellation ist aus zweierlei Gründen gefährlich: Erstens braucht jede Demokratie eine funktionsfähige und starke Opposition und zweitens neigen sehr dominante Parteien dazu, den Verlust ihrer Dominanz nicht zu akzeptieren. Dies ist der Hintergrund der Schwierigkeiten im Zuge des Machtwechsels von der FRETILIN zur CNRT-geführten Koalition unter Xanana Gusmão. - Eine weitere Fragmentierung des Parteiensystems konnte – hauptsächlich durch die Einführung einer 3%-Hürde für den Einzug in die Nationalversammlung – verhindert und eine Phase der Konsolidierung eingeleitet werden. Sicherlich werden auch hier noch weitere Verschiebungen auftreten, aber zumindest ist die Regierbarkeit des Landes mit vier starken Fraktionen und drei Kleinstfraktionen nicht massiv gefährdet. - Positiv zu werten ist zudem die Tatsache, dass die meisten osttimoresischen Parteien moderate Standpunkte einnehmen und extremistische Positionen kaum vertreten sind. Dennoch sind noch viele Aufgaben unerledigt. Nicht nur, dass die kulturelle Spaltung zwischen Kaladi aus Loro Munu (dem Westteil des Staates) und Firaku aus Loro Sa’e (dem Ostteil des Staates) überwunden werden muss. Auch die wirtschaftliche und soziale Situation des ärmsten Landes Asiens und die schwierige Sicherheitslage müssen angegangen werden. Für das politische System selbst bleibt vorrangig die Aufgabe, die Legitimität und Akzeptanz der demokratischen Institutionen und der demokratisch gewählten politischen Klasse zu stärken. Auch die beste Verfassung, das günstigste Verhältnis der Institutionen und Organe eines politischen Systems zueinander und die Berücksichtigung aller üblicherweise von Politikberatern empfohlenen Maßnahmen vermögen dauerhaften Frieden und Stabilität nicht zu garantieren, wenn es nicht gelingt, in der Bevölkerung ein Gefühl der Sicherheit, des Aufbruchs und des Zusammenhalts und bei den politischen Eliten ein Gefühl der Verantwortung und Gemeinwohlorientierung zu stiften. „Unidade, paz, no Justicia“ – Zur aktuellen Lage und den gesellschaftspolitischen und sozialen Auswirkungen der Krise“ Monika Schlicher Am 11. Februar 2008 stürmte der flüchtige Major Alfredo Reinado mit seinen Mannen die Residenz von Präsident José Ramos-Horta. Alfredo und ein weiterer desertierter Soldat starben im Kugelhagel. Zu dem Zeitpunkt war der Präsident noch mit zwei Sicherheitsbeamten zum Walking am Strand. Als er sich seinem Haus näherte, eröffneten die Rebellen auf ihn das Feuer. Er überlebte schwer verletzt. Eine zweite Gruppe abtrünniger Soldaten unter Leutnant Salsinha griff eine Stunde später den Autokonvoi von Premierminister Xanana Gusmão an. Dieser konnte unverletzt entkommen. Auch Monate nach diesen erschreckenden Taten gibt es noch keinerlei Aufklärung über die Motive und den Tathergang, dafür umso mehr Spekulationen. War es ein versuchter Staatstreich oder wurden die Rebellen in eine Falle gelockt und hingerichtet? War der Angriff auf Xanana fingiert? Die Lage nach den Attentaten war sehr angespannt, aber unter Kontrolle. Überhaupt hat sich die Situa- Focus Asien Nr. 31 tion seither stetig stabilisiert. Die Attentate haben die Bevölkerung schockiert und weltweit für Entsetzen gesorgt. Sie zeigen, wie fragil der junge Staat ist und wie dringend die Regierung an Lösungen drängender Probleme arbeiten muss. Osttimor nach der Wahl Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2007 sollten Klarheit über die politischen Machtverhältnisse schaffen. Damit war die Hoffnung verbunden, einen Weg zu finden, um die tiefe gesellschaftspolitische Krise zu überwinden, in der sich das Land seit 2006 befindet. Doch diese Hoffnung erhielt einen schweren Dämpfer, weil die FRETILIN die Koalitionsregierung AMP (Allianz der Mehrheit im Parlament) mit Premierminister Xanana für illegitim hält. Sie hatte eine Mehrheit der Stimmen im Parla- „Osttimor am Scheideweg“ 20 ment gewonnen, konnte aber keine regierende Koalition bilden. Umgehend kam es zu schweren Ausschreitungen. Militante Anhänger der FRETILIN randalierten, machten Jagd auf politische Gegner und griffen sogar einen VN-Konvoi an. Was sagt es über die politischen Eliten aus, die von Frieden, Gerechtigkeit und nationaler Einheit reden, sich aber auf Kosten der Bevölkerung Machtkämpfe liefern? Die Ausschreitungen beim Regierungswechsel haben das Klima der Angst unter der Bevölkerung genährt, gleichzeitig beeinflusst die Antizipation von Gewalt das Verhalten der Menschen. In verinnerlichter Weise reagieren die Menschen, indem sie Zuflucht suchen. So stieg die Zahl der Flüchtlinge erneut an. Um die Flüchtlingslager herum haben Händler feste Verkaufsschläge errichtet. „Inzwischen sind dort eigene Ökonomien entstanden,“ erklärte mir ein internationaler Regierungsberater im September 2007, „die von diversen Gangs kontrolliert werden, an die die Kioskbesitzer Schutzgeld bezahlen. Überhaupt zahlen viele Geschäfte, Supermärkte und Restaurants inzwischen Schutzgeld.“ José Ramos-Horta hatte es als Premierminister der FRETILIN-Übergangsregierung im Dezember 2006 erfolglos versucht die Lager aufzulösen. Seine Initiative lief ins Leere, nicht zuletzt, weil die FRETILIN viele der internen Flüchtlinge ihrer Wählerschaft zurechnet. Die Partei wird nicht müde zu beteuern, Premier Marí Alkatiri sei im Juni 2006 zum Wohle der Nation zurückgetreten, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Sie werde fälschlicherweise als Urheberin der Krise bezichtigt, dabei habe es sich in Wahrheit um eine Verschwörung ihrer Widersacher gehandelt. Wie auf Kommando nahm mit Einsetzen der AMP-Regierung die Gewalt in Dili in den Flüchtlingslagern ihren Anfang. Die AMP Regierung muss zeigen, dass sie auch das Wohl der Menschen aus den Ostprovinzen, der Hochburg der FRETILIN, im Blick hat. Das Ministerium für Soziales hat im Dezember 2007 das umfangreiche Gesamtkonzept Hamutuk Hari’i Futuru zur Auflösung der Lager und Rück- oder Neuansiedlung der Flüchtlinge vorgelegt. Die Flüchtlinge werden registriert, für den Verlust ihres Hauses entschädigt und wieder angesiedelt. Es ist ein großer Erfolg des Ministeriums und der Regierung, dass die Lager zum größten Teil inzwischen aufgelöst werden konnten. Noch ist die Sicherheitslage fragil, aber im Vergleich zum letzten Jahr ist es insgesamt gesehen ruhiger geworden. Es fällt vor allem auf, dass die Osttimoresen wie auch die Internationalen sich in diesem Spannungszustand eingerichtet haben. Der Focus Asien Nr. 31 Ausnahmezustand ist ein Stück weit zur Normalität geworden. Das heißt, ein bestimmtes Maß an Gewalt wird inzwischen als normal empfunden. Es ist eine Scheinnormalität, in der Unberechenbarkeiten den Alltag bestimmen. FRETILIN: Machtverlust war nicht vorgesehen Dili hat eine neue Ruine: das alte Zollhaus. Hier wurde vor dem Regierungswechsel gezündelt, angeblich um Im- und Exportlisten verschwinden zu lassen. Wie mir eine interne Regierungsquelle versicherte, hat die FRETILIN-Regierung unter Marí Alkatiri einen enormen Filz aufgebaut, ein in sich geschlossenes Family-Business. Es sei in dem Land enorm viel Geld vorhanden und die FRETILIN fürchte nun um ihre wirtschaftliche Pfründe. Macht- und Regierungsverlust seien in der Vorstellung der FRETILIN schlicht nicht vorgesehen gewesen, analysiert der ehemalige CIM-Berater1 im Außenministerium, Dr. Christian Roschmann, die Reaktion der Partei auf ihre Wahlniederlage. Als ehemals linke, marxistische Partei sei ihre Führungsriege mehrheitlich einer autoritären Philosophie von Staatszentralismus und Staatskontrolle verhaftet, geformt während der Exiljahre in Mozambique. In den Augen vieler Beobachter seien die Unruhen 2006 von einer Fraktion innerhalb der Partei angezettelt worden, um das Land in einen autoritären Einparteienstaat zu verwandeln. Xananas neue Partei CNRT (National Congress for the Reconstruction of East Timor) versprach im Wahlkampf mit der Korruption aufzuräumen. Inzwischen mehren sich die Korruptionsvorwürfe gegen einzelne Ministerien der AMP-Regierung. „Die alten Strukturen leben weiter,“ versicherte mir besagte interne Regierungsquelle, „es sind nur neue Spieler hinzugekommen, die offensichtlich dringend Geld benötigen.“ Allen voran Gil Alves, Minister für Tourismus, Handel und Industrie, der kräftig an den Reisimporten verdient. Seine eigene Partei, die ASDT, hat ihn wie Abilio Lima, Staatssekretär für Umwelt, wegen Korruption und allzu großer Nähe zu Militär und Geschäftsleuten aus Indonesien ausgeschlossen. Auf Forderungen der ASDT, die beiden Männer aus ihren Regierungsämtern zu entlassen, hat Premierminister Xanana nicht reagiert. Daraufhin schloss die Centrum für internationale Migration und Entwicklung [Anm. der Hrsg.]. 1 „Osttimor am Scheideweg“ 21 ASDT mit der FRETILIN ein Bündnis für die kommende Wahl. Politik als Nullsummenspiel Die hohe Abhängigkeit von internationalen Geldgebern ist ein Grund, der Osttimors politische Eliten davon abhält, zur Durchsetzung ihrer Interessen Gewalt anzuwenden, schreibt Francisco da Costa Guterres in seiner Anfang 2006 erschienenen Doktorarbeit Elites and Prospects of Democracy in East Timor. „Viele Länder, die Osttimor finanziell unterstützen, knüpfen diese Hilfe an die Konditionen, dass demokratische Verfahren, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit respektiert werden sowie Transparenz und Accountability gewahrt sind.“ (S. 266). Einen zweiten Grund sieht er in der Fähigkeit Xananas, bei Konflikten vermittelnd zu wirken. Hat die Konditionierung von Hilfe und die Anwesenheit von internationalen Beratern, zumindest bis zur Krise 2006, das Schlimmste verhindert? Guterres, der in der neuen Regierung Staatssekretär für Sicherheit ist, beschreibt die Einstellung der Elite zur Demokratie als bestenfalls semiloyal. Osttimors Eliten seien tief gespalten. Sie erkennen sich nicht als legitime Mitstreiter um die Macht an, noch respektieren sie demokratische Verfahren als die Arena, in welcher sie ihren Wettstreit austragen sollten. Sie betrachten Politik als „Krieg“ oder als Nullsummenspiel und fürchten schwere Vergeltung von ihren Gegnern, wenn sie unterliegen. Sie nehmen daher Zuflucht zu Strategien der Gewalt, um ihre Position und Interessen zu schützen. Dieses Verhaltensmuster dauere seit fast 24 Jahren an, und auch nach der Unabhängigkeit hätten die Eliten nur wenig neue Fähigkeiten erlangt. Politische Elite weiterhin in den Niederungen des Kampfgetümmels Dementsprechend wenig euphorisch war die Stimmung im Land nach dem Regierungswechsel. Zu stark gelten alle als in die Krise involviert. Gewalt, Einschüchterung und Manipulationen zur Durchsetzung politischer Interessen sind Mittel, die nicht nur von der FRETILIN angewandt werden. Auch Xananas Ansehen hat sehr gelitten. Seine Regierung beherbergt einige ehemals pro-indonesische Kräfte. Parlamentarier seiner Partei finden sich auf der Liste des VN-Untersuchungsberichtes, der empfiehlt gegen sie Strafverfahren einzuleiten. Das gibt nicht nur der Opposition Munition, sondern nährt auch in der Bevölkerung die Einstellung, dass es keine Gerechtigkeit geben wird. Die politischen Eliten befinden sich auch nach der Wahl noch im- Focus Asien Nr. 31 mer in den Niederungen des Kampfgetümmels, weit entfernt vom Hügel der Reflektion. Auch Vertreter der Kirche mischen weithin politisch mit, statt sich selbstkritisch zu fragen, wie ihr eigenes Verhalten möglicherweise dazu beigetragen haben könnte, dass die Kirche im unabhängigen Osttimor derart zur Zielscheibe wurde. Bei den Unruhen nach der Regierungsbildung wurden in Baucau kirchliche Einrichtungen nieder gebrannt. „Eine Dämonisierung der FRETILIN kann doch keine Lösung für unser Land bringen,“ so eine politische Aktivistin, die der Partido Democratico angehört. „Die Partei hat im Unabhängigkeitskampf Großes geleistet, will man sie vernichten? So bringt man viele Menschen nur gegen sich auf.“ Viele moderate Mitglieder seien über die Gewaltausbrüche im Osten entsetzt gewesen, weiß mir eine VN-Mitarbeiterin zu berichten. Doch obgleich die FRETILIN bei der Wahl die Hälfte ihrer Stimmen verlor, sitzt Marí Alkatiri fester denn je im Sattel und dirigiert die Politik seiner Partei. FRETILINs Maßnahmen zum Sturz der AMP-Regierung Grundsätzlich erkennt die FRETILIN die neue Regierung nicht an. Damit stachelte sie ihre Anhängerschaft auf und es kam zu gewalttätigen Ausschreitungen. „Das Verhalten der FRETILIN-Anhänger ist nicht zu akzeptieren, aber doch verständlich.“ Eine Aussage, die ich in abgewandelter Form immer wieder auch von Internationalen gehört habe. Die FRETILIN fühle sich um den Sieg betrogen und Grund für ihr Verhalten sei die Demokratieunerfahrenheit. Meiner Meinung nach hat die Parteiführung gezielt Gewalt in Kauf genommen und das nicht aus Demokratieunerfahrenheit, sondern weil der Machtverlust auf demokratischem Wege nicht verhindert werden konnte. Auch im Wahlkampf habe die Partei mit Einschüchterung gearbeitet. Ganz offen sei in Baucau damit gedroht worden, wer nicht FRETILIN wählt, dessen Haus wird brennen, berichtet mir einer der dort tätigen Internationalen. Weiterhin ruft die Partei zu zivilem Ungehorsam auf. An Staatsbedienstete mit Parteibuch in den Ministerien soll die Aufforderung ergangen sein, hart an der Grenze zur Arbeitsverweigerung Dienst nach Vorschrift zu leisten, um die Regierung zu blockieren. Eine der Direktorinnen im Gesundheitsministerium bestätigte mir dies, sie will dem nicht nachkommen: „Mei„Osttimor am Scheideweg“ 22 ne Aufgabe ist es, dem Staat zu dienen, egal welche Parteien die Regierung stellen, aber ich weiß, dass viele meiner ParteikollegInnen dies anders sehen.“ Den großen Rückhalt der Partei im Volk sollten auch die vielen nagelneuen FRETILIN-Flaggen unterstreichen, die nach der Wahl in Dili, in den Flüchtlingslagern, in den Ostprovinzen und vereinzelt auch im übrigen Land wehen. In Baucau wehen die Flaggen an öffentlichen Plätzen und sind quer über die Straße aufgehängt, so auch am Teachers Training College. Auf die Flagge weisend, erklärt mir Mana Cesaltina im September letzten Jahres: „Nein, wir haben sie nicht aufgehängt, aber wir werden sie auch nicht runterholen. Sie schützt uns.“ Inwieweit sie sich damit zur Zielscheibe machen würde, wenn sie die Flagge runterholt, also tatsächlich bedroht oder gar angegriffen würde, ist schwerlich zu belegen, aber die Befürchtungen sind da. Erinnerungen an die Zeit vor dem Referendum 1999 werden wach. Damals wehten im ganzen Land die rot-weißen Nationalflaggen Indonesiens. Nun, in Osttimor lebt heute keine indonesische Tradition fort. Es zeigen sich vielmehr universelle Merkmale von autoritären oder diktatorischen Staatsformen, bei der Machthaber, die ihren Bürgern zutiefst misstrauen und misstrauen müssen, sich mit Mitteln der Angst und Einschüchterung deren Unterstützung sicher zu stellen versuchen. Gleichfalls sollen die unzähligen Grafittis an den Häuserwänden Volkes Meinung zur neuen Regierung ausdrücken. Vor allem Xanana, aber auch andere Mitglieder seiner Regierung, werden als Verräter (Traidor) verunglimpft. Xanana sei der Urheber der Krise, habe den Ost-West-Gegensatz im Land geschürt und wolle Osttimors Unabhängigkeit einer Föderation mit Australien opfern. AMP stehe für Aliansi Merah Putih, für Rot-Weiße Allianz, in Anspielung auf die ehemals proindonesischen (otonomi) Kräfte in der neuen Regierung und in den Parteien. Deren Namen prangern an den Häuserwänden. Derweil arbeitet die Presseabteilung der FRETILIN auf Hochtouren. Immer wieder stellt sie die Legitimität der Regierung in Frage und die AMP als inkompetent dar. „Osttimor ist in Gefahr, sich zu einem failed state zu entwickeln. FRETILIN hat klare Vorstellungen, wie dies aufzuhalten ist,“ so Generalsekretär Marí Alkatiri in der Presseerklärung „AMP Government cannot defend the State“ vom 24.01.2008. Die Partei ist weit von einer konstruktiven Oppositionspolitik entfernt. Allzu viel Sichtbares hat die neue Regierung bislang allerdings tatsächlich nicht vorzuweisen. Sie hat ein ehrgeiziges Budget Focus Asien Nr. 31 verabschiedet, will Armut bekämpfen und Entwicklung wie soziale Sicherheit schaffen, doch es ist fraglich, ob sie die systemimmanente Lethargie, die in den Ministerien herrscht, zu überwinden vermag. Darin sieht die Regierung selbst eines der Haupthemmnisse in ihrem ehrgeizigen, aber auch problemorientierten Bericht zur Geberkonferenz im März 2008. Nach den Attentaten auf Präsident und Premierminister gab sich die FRETILIN etwas staatstragender. Dies dürfte vor allem auf die vermittelnde Rolle von Präsident Ramos-Horta zurückzuführen sein. Ramos-Horta hat inzwischen auch den ehemaligen Innenminister Rogério Lobato, der einzige, der bislang für Machenschaften in der Krise 2006 verurteilt wurde, begnadigt. Überhaupt plädiert der Präsident für ein nationales Versöhnungsverfahren und möchte niemanden weiter juristisch für die Krise belangen. Die Wahrnehmung der Krise durch junge Menschen Die politische Führung redet von Einheit, Frieden und Versöhnung, doch dies seien nur Worte aus dem Mund und nicht aus ihrem Herzen. Sie hätte diese Krise verursacht und junge Menschen benutzt, „just like stepping stones in the river, so the leaders can get what they want (and never get their feet wet)” (S. 4ff.). So der Blick von Jugendlichen und jungen Menschen auf die Krise, den eine osttimoresische Forschungsgruppe in der sehr lesenswerten Studie „Like Stepping Stones in the River – Youth Perspectives on the Crisis in Timor-Leste“ eingefangen hat. Eine Krise birgt auch Chancen. Es werden Probleme und Versäumnisse sichtbar, denen es zu begegnen gilt. Die jungen Menschen in Osttimor sehen sich um ihre Jugendjahre gebracht. Die Unsicherheit macht es schwierig für sie, an die Zukunft zu denken und Pläne zu schmieden. Stößt man die Tür dieses Gefängnisses der negativen Wahrnehmung auf, so eröffnen sich Möglichkeiten und die Perspektiven verändern sich. Das ist der Forschungsgruppe hervorragend gelungen. Junge Menschen schauen auch mit Hoffnung für ihr Land und für sich selbst in die Zukunft. Sie wollen sich engagieren, sich aktiv an der Friedensbildung und Entwicklung beteiligen. In der jetzigen politischen Führung sehen sie allerdings keine HoffnungsträgerIn, dennoch wird diese Krise nicht ewig anhalten. In der Unversöhnlichkeit der politischen Eliten, ihrer Arroganz und der Überordnung ihrer Selbstin„Osttimor am Scheideweg“ 23 teressen über das Wohl der Bevölkerung, sehen sie Hindernisse für einen anhaltenden Frieden. (Die Krise) „hatte auch eine positive Wirkung. Wir haben eine schlechte Führung ersetzt, aber wir taten dies auf falschem Wege, denn viele Menschen sind dabei getötet worden.“ (S. 35). Die jungen Leute wollen den Problemen in der Zukunft anders begegnen können, die Fehler nicht wiederholen. Gerechtigkeit = Rache? Die Krise mag von der politischen Führung ausgegangen sein, doch inzwischen hat sie die Gesellschaft erfasst. Unter ihrem Deckmantel werden offene Rechnungen beglichen. Ist der Angriff einer Gang gerade politisch motiviert, weil „Hintermänner“ sie dafür bezahlen oder bekämpfen sie sich untereinander, weil sich die Spirale von Angriff und Vergeltung dreht? Oder auch nur, weil die Schwester eines Mitglieds der Gang sich mit einem aus der anderen angefreundet hat, was sich über die Gruppenloyalitäten bestens austragen lässt? Die Krise, der Regierungskonflikt, der Ost-West-Gegensatz, all dies und ein Klima von Gesetzlosigkeit bieten Gelegenheit, um aus persönlichen Gründen Rache zu üben. Während Fachleute im In- und Ausland über die Vor- und Nachteile formalen und traditionellen Rechts in Osttimor debattieren, wie die Systeme sich ergänzen können und zu stärken wären, fördern die Diskussionen mit den jungen Menschen etwas zu Tage, was bislang gar nicht Berücksichtigung fand: Die Jugendlichen sehen in dem System der Rache das größte Problem. Unabhängig von einem traditionellen oder formalen Gerichtsverfahren sei auf der individuellen Ebene erst Gerechtigkeit erzielt, wenn Rache geübt und zurückgezahlt worden sei. Selbst wenn ein Konflikt auf traditionelle Weise über Ausgleich und Versöhnungsprozess beigelegt werde, womit die soziokosmische Ordnung wieder hergestellt wäre, so bliebe doch, verborgen von anderen, der Hass und Groll im Herzen des Opfers und seiner Familie. Die Jugendlichen glauben, dass dieser Groll über lange Zeit lebendig gehalten werden kann. So sehen sie in vielen Gewalttätigkeiten von heute die Saat für zukünftige. Einige fügen hinzu, dass Gewalt in Verbindung mit Racheakten leicht zu rechtfertigen sei (S. 12-14). Es entzieht sich meiner Kenntnis, inwieweit dieses System der Rache in Traditionen Osttimors tatsächlich verankert ist und eine Neubelebung erfährt. Mein Eindruck ist, dass es zur Rechtfertigung den Traditionen zugeschrieben wird. Möglicherweise ist es dem geschuldet, dass viele Strafta- Focus Asien Nr. 31 ten nicht geahndet werden. All dies wäre genauer zu untersuchen. Beachtenswert ist, dass Jugendliche dem Bedeutung geben und hierin das Haupthindernis zur Beendigung der Krise und anhaltenden Gewalt sehen. Junge Osttimoresen beschreiben ihr Volk auch als sturköpfig. „Osttimoresen“, so Eugenio, „werden schnell ärgerlich. Auch bei einem kleinen Problem wollen sie nicht zusammensitzen und es rasch lösen – nein, sie möchten sich bekämpfen. (...) Das ist Osttimor – das ist unsere Kultur. Wir können das nicht ändern (...), wir haben die Geschichten von unseren Vätern und Müttern gehört und sie sagen, dass schon unsere Vorfahren so waren. Sie führten Krieg, sie haben Dinge, egal ob kleine oder große, nicht gelöst. Diese Dinge sind in unserem Herzen.“ (S. 13). Die Jugendlichen sehen, dass sich bei Dialogveranstaltungen Leute die Hand reichen und der Gewalt abschwören, um am nächsten Tag weiter zu kämpfen. Viele, die ein Ende dieser Krise herbeisehnen, erkennen an, dass jemand der Erste sein muss, der mit dem Heimzahlen aufhört und Versöhnung in den Gemeinden beginnen muss (S. 14). Denkanstöße zur gewaltlosen Lösung von Konflikten Was ist der Zweck von Dialog beim peace building, wenn es keinen Konsens gibt? Wie kann Konflikt verhindert werden? Junge Osttimoresen erkennen die Ursache für die Krise im Hass der politischen Führer aufeinander. „Wenn Marí Alkatiri und Xanana sich nicht verständigen, dann wird diese Krise niemals enden.“ „Timoresen hören einander nicht zu, sie trauen sich gegenseitig auch nicht und haben unterschiedliche Ideen, das macht die Dinge so schwierig“ (S. 5), klagt Tito. In den Workshops haben Jugendliche Erfahrungen gesammelt wie Nichtübereinstimmung von Meinungen auf konstruktive Weise gehandhabt werden kann und mit Kompromiss und Verhandlungen Ergebnisse erzielt werden. Das sind zentrale Fähigkeiten, um Dialog führen zu können. Dann ist Friedensbildung möglich. Werden die entsetzlichen Angriffe auf Ramos-Horta und Xanana bei den politischen Eliten des Landes ein Umdenken bewirken? Wird es ihnen Mahnung sein, die Einheit und Entwicklung des Landes in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen zu stellen, weil Osttimor andernfalls tatsächlich im Chaos versinken wird? Der Selbstbesinnungsprozess der jungen Generation gibt Anlass zur Hoffnung. „Osttimor am Scheideweg“ 24 Firaku und Kaladi – Zwei osttimoresische Identitätskonzepte unter der Lupe Vanessa Prüller Mai 2006: Krise in Osttimor. Der junge südostasiatische Staat sorgte plötzlich wieder für internationale Schlagzeilen, nachdem er nur wenige Monate zuvor von der Weltbank als erfolgreiches Beispiel unter den Post-Konflikt Ländern gelobt worden war (Wolfowitz 2006). Spannungen innerhalb des Militärs hatten bereits im Februar 2006 zu Protesten der so genannten Petitioners geführt, den Soldaten aus den westlichen Landesteilen, welche sich gegenüber ihren Landsmännern aus dem Osten benachteiligt sahen. Die Vorwürfe der Diskriminierung entwickelten sich zu einem Politikum und eskalierten schließlich in bewaffneter Konfrontation zwischen verschiedenen Fraktionen des Militärs und der Polizei. Der Konflikt griff auf die Zivilbevölkerung über; mehr als die Hälfte der Bewohner der Hauptstadt flohen aus ihren Häusern. Der Premierminister Marí Alkatiri gab den lauten Forderungen nach Rücktritt nach und mithilfe internationaler Sicherheitskräfte begann sich die Lage in Osttimor ab Mitte des Jahres 2006 langsam wieder zu stabilisieren. Überraschende Trennungslinie Woher kam die Krise und was waren ihre Auslöser? Zahlreiche internationale Beobachter analysierten die Situation in Osttimor und identifizierten eine Vielzahl von Konfliktfaktoren, von der allgemein prekären wirtschaftlichen Lage und hohen Arbeitslosigkeit bis zu konkreten Ursachen wie Machtkämpfen innerhalb der politischen Elite. Interessanterweise weisen alle diese Analysen (vgl. z.B. ICG 2006, Brady&Timbermann 2006) auch auf Spannungen zwischen den Bewohnern aus den östlichen Landesteilen, den so genannten Firaku, und den Kaladi aus den westlichen Distrikten hin. Die OstWest-Spaltung der Gesellschaft habe zu den Gewalteskalationen 2006 beigetragen, heißt es im Untersuchungsbericht der VN (vgl. UN 2006, S. 20). Allerdings war die Unterscheidung in Firaku und Kaladi vor Ausbruch der Krise im akademischen Diskurs um Osttimor kaum verankert, und die VN Kommission vermerkte lediglich, man habe unterschiedliche Meinungen bezüglich der Herkunft und der Relevanz dieser Unterteilung in Ost und West gehört (S. 20). Focus Asien Nr. 31 Viele Beobachter zeigten sich höchst überrascht von dem Ausbruch eines scheinbar ethnischen Konflikts in Osttimor und hatten die Begriffe Firaku und Kaladi noch nie zuvor gehört. Nur wenige waren sich dieser innertimoresischen Spaltung bewusst. Helen Hill beispielsweise erinnert sich in ihren Aufzeichnungen über die Entstehung der FRETILIN-Partei, dass den Funktionären vor allem die starke Stammeskultur im Landesinneren zu schaffen machte. Eine der Variationen dieses Tribalismus sei die Unterteilung in Firaku und Kaladi gewesen und der Glaube einiger Gruppen, anderen überlegen zu sein (vgl. Hill 2002, S. 77). Detailliertere Ausarbeitungen zum Firaku-Kaladi-Phänomen finden sich erst in den Arbeiten des Timoresen Babo Soares (2003), des portugiesischen Anthropologen Paulo Castro Seixas (2006) sowie in dem deutschsprachigen Werk „Haus, Handy & Halleluja“ von Alexander Loch (2007). Es wird ersichtlich, dass Rivalitäten zwischen Ost und West des Landes bereits seit der Loslösung von Indonesien im Jahre 1999 regelmäßig für Spannungen sorgten. Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen zwischen jungen Männern aus den westlichen Gebieten, die ihre Ehre gegen diejenigen aus dem Osten verteidigten, die behaupteten, Kaladi hätten sich nicht so sehr im Unabhängigkeitskampf engagiert wie Firaku (vgl. Babo Soares 2003, S. 278 ff.). Es stellt sich nun die Frage, welche Rolle die Identitätskonzepte Firaku und Kaladi für den Konflikt 2006 tatsächlich gespielt haben. In einigen Pressemeldungen und Berichterstattungen wurden die Identitätskonzepte Firaku und Kaladi mit ethnischen oder quasi-ethnischen Kategorien gleichgesetzt. Während manche von „two internally recognized ethnic groups in TimorLeste“ sprechen (Harrington (2007a, S. 4), protestieren andere Stimmen vehement gegen das Etikett der Ethnizität (vgl. Mboeik 2007, Gonzalez Devant 2007). Der Begriff „ethnischer Konflikt“ wird in Fachkreisen kontrovers diskutiert; nicht jede Auseinandersetzung ethnisch distinkter Gruppen ist automatisch auch ethnisch motiviert. Doch selbst beim Begriff „ethnische Gruppe“ ist man sich nicht einig. Meist sind es „Osttimor am Scheideweg“ 25 Sprache, Religion, Kultur oder gemeinsame Abstammung, welche die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe bestimmen. Das subjektive Empfinden der Mitglieder ist hierbei oft wichtiger als die biologischen und historischen Fakten. Doch wie alt müssen solche Identitätsgefühle sein, damit man von Ethnizität sprechen kann? Keine ethnischen Konzepte Gemessen an den üblichen Kriterien wie Sprache, Kultur oder Phänotypen passen Firaku und Kaladi nicht in ethnische Kategorien. Beispielsweise findet man in Osttimor wesentlich mehr als zwei, nämlich siebzehn verschiedene ethnolinguistische Gruppen. Diese Lokalsprachen lassen sich zwar in die zwei großen Sprachfamilien (austronesische und melanesische Sprachen) unterteilen, allerdings nicht entlang einer klaren Ost-West-Linie. Ähnlich verhält es sich mit dem physischen Erscheinungsbild der Einwohner: es gibt zwar regionale Unterschiede, so sagt man beispielsweise, die Einwohner von Lospalos seien größer und hellhäutiger, doch diese Charakteristika treffen nicht grundsätzlich für Firaku zu. Kein Osttimorese würde versuchen, die Herkunft aus Osten oder Westen nach dem Aussehen zu beurteilen. Auch kulturell ist Osttimor ein Mosaik: gerade in den bis heute nur schwer erreichbaren Bergdörfern haben sich Jahrhunderte alte Traditionen bewahrt und regionale Eigenheiten herausgebildet. Dennoch haben die Osttimoresen auch vieles gemeinsam, allem voran den Glauben an die Macht der Ahnen, die daraus resultierende Bedeutung von Familie und Verwandtschaftsbeziehungen und die Zugehörigkeit zu einem so genannten „uma lulik“, dem Sakralhaus. Mindestens sieben unterschiedliche architektonische Typen solcher Sakralhäuser werden im Land verzeichnet; wiederum kein Aspekt, der für eine Polarisierung der Gesellschaft spricht. Auch die landesweit extrem stark vertretene katholische Kirche zeugt eher von Einheit als von Vielfalt. Schenkt man den timoresischen Mythen Glauben, welche für die lokale Bevölkerung noch immer von großer Bedeutung sind, dann ist die Insel Timor aus einem Krokodil entstanden und seine Bewohner sind Nachfahren eines Jungen, der auf dem Rücken des guten Tieres übers Meer geritten war. Eine Unterteilung in Firaku und Kaladi ist also auch aus mythologischer Sicht nicht erklärbar; die Überlieferung erklärt ja noch nicht einmal die heutige Trennung in Osttimor und das indonesische Westtimor. Weder in der Geschichte, noch in der administrativen Teilung der letzten Dekaden gab es je eine Focus Asien Nr. 31 Unterteilung des Territoriums in ein Kaladioder Firaku-Gebiet, die Dichotomie lässt sich folglich nicht auf historische Grenzziehungen zurück führen. Worauf also dann? Interpretationsversuche Bezüglich des Ursprungs der Begriffe Firaku und Kaladi gibt es zwei konkurrierende Versionen: Erstere ist die in Osttimor geläufigere Meinung, die besagt, die Portugiesen hätten die Begriffe erfunden. Firaku lasse sich vom vulgären Ausdruck „virar o cu“ (= jemandem den Rücken kehren) ableiten und bezeichne die „störrischen“ und „rebellierenden“ Völker der östlichen Landesteile. Kaladi hingegen gehe auf das Adjektiv „calado“ (= ruhig, still) zurück und träfe für die Bewohner der westlichen Region, vor allem die Mambai, zu. Bedenkt man allerdings, dass ein Großteil der Revolten gegen die portugiesischen Kolonialherren in den westlichen Distrikten stattfand, macht diese Argumentation wenig Sinn. Dennoch wird sie immer wieder angeführt und die Mentalitätsunterschiede zwischen Osten und Westen sind ein geläufiges Stereotyp in Osttimor. Etymologisch plausibler erscheint die zweite Version der Herkunft der beiden Begriffe, welche Firaku und Kaladi auf indigene Termini zurückführt. Kaladi oder „keladi“ ist in mehreren austronesischen Sprachen eine Bezeichnung für eine Art von Süßkartoffel. „fi raku“ bedeutet in der Sprache der Makassae (im Osten des Landes) „unser Freund“ oder „einer von uns“ (vgl. Babo Soares 2003, S. 270). Paulo Castro Seixas fand beide Begriffe in kolonialen Schriftstücken des späten neunzehnten Jahrhunderts, jedoch entweder fälschlicherweise als lokale Sprachen verstanden oder aber als Bezeichnungen, welche die Küstenbewohner der Insel mit abwertendem Unterton für die hinterwäldlerischen Bergvölker benutzten (Seixas 2006, S. 294). Von „ruhigen“ und „störrischen“ Bewohnern ist nie die Rede. Des Weiteren verstärken die spärlichen kolonialen Literaturvermerke der beiden Begriffe die Vermutung, dass Firaku und Kaladi eigentlich keine Kollektivbezeichnungen für Osten und Westen des Landes sind, sondern sich vielmehr auf gewisse ethnolinguistische Gruppen bezogen, vor allem die Makassae (im Kerngebiet der Firaku) und die Mambai (als typische Kaladi). „Osttimor am Scheideweg“ 26 Vage Abgrenzungen Dies eröffnet wiederum eine weitere interessante Diskussion: Wo liegt eigentlich die genaue Grenze zwischen Osten und Westen, zwischen Firaku und Kaladi? Eigentlich wusste das vor Ausbruch der Krise 2006 niemand so genau. Daraufhin systematisch befragt, zeichneten Osttimoresen zumeist eine vage Linie durch die Stadt Manatuto in der Mitte des Landes (vgl. Loch 2007, S. 446f), manchmal waren es vier, manchmal nur drei Distrikte, die als Heimat der Firaku galten. Eine implikationsreiche Klarheit erlangte diese Linie erst seit einer Fernsehansprache Xanana Gusmãos im März 2006. Hierin ist erstmals öffentlich von den Bewohnern der zehn westlichen Distrikte die Rede, welche unter der Diskriminierung durch ihre Landsleute aus dem Osten zu leiden hätten. Die Fronten waren gezogen: drei gegen zehn Distrikte. Firaku und Kaladi sind demnach keine klassischen ethnischen Gruppen; zu neu und zu vage ist die Abgrenzung zwischen ihnen. Die Kategorisierung weist jedoch einen ähnlichen Charakter auf, da Gruppenzugehörigkeit nach geographischer Herkunft determiniert wird und mit kulturellen Verhaltensmustern stereotypisiert wird. Es bleibt zu klären, wie die Konzepte Firaku und Kaladi eine solche Relevanz erlangten, dass sie zu einem der Auslöser der Unruhen 2006 wurden. Konkurrenz um Anerkennung Ein zentrales Element der meisten kleineren Auseinandersetzungen zwischen Firaku und Kaladi seit 1999, war der Streit darum, wer sich mehr um die Unabhängigkeit verdient gemacht hat. Da sich die Guerilla-Kämpfe in den letzten Jahren des Widerstandes vorwiegend in den Osten verlagert hatten, warfen einige Firaku ihren Landsleuten aus dem Westen vor, mit den Indonesiern kollaboriert zu haben. Die Kaladi hingegen beklagen, genau so hart gekämpft, lediglich stärker unter der indonesischen Besatzung gelitten zu haben. Der Streit um den Verdienst der Unabhängigkeit ist jedoch in Osttimor nicht lediglich eine Frage der Ehre, sondern impliziert soziale und politische Ansprüche im neuen Staat (vgl. Schmitz 2006, S. 39). Pro-indonesische Milizen hatten das Land nach dem Referendum 1999 in Schutt und Asche gelegt und bis zu zwei Drittel der Bevölkerung waren damals vor den Massakern geflohen. Als sich die Lage wieder beruhigte, wurden noch bewohnbare Häuser, etliche davon ehemals indonesische Besitztümer, von den Rückkehrern und neuen Zuwanderern einfach beschlagnahmt. Angeblich seien es Focus Asien Nr. 31 gerade Bewohner aus den östlichen Distrikten gewesen, Firaku also, die nach dem Referendum in die Hauptstadt strömten und ihre Privilegien als „Gewinner“ des Unabhängigkeitskampfes geltend machten (vgl. Harrington 2007b, S. 11ff). Gerichtlich geklärt wurden die zahlreichen Streitigkeiten um Land- und Eigentumsrechte bisher nur selten, und Aussagen von Timoresen zufolge waren viele der Häuser, die 2006 in Flammen aufgingen, schon lange umstritten. Auch in der Vergabe von öffentlichen Stellen und Ämtern spielte der Verdienst um die Unabhängigkeit eine wichtige Rolle. Der ehemalige Anführer des Guerillakampfes, Xanana Gusmão, wurde Präsident des unabhängigen Staates und etliche Kommandeure wurden mit hohen Posten im neuen staatlichen Militär belohnt. Dass Firaku eine zahlenmäßige Überhand unter den Soldaten behielten, lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass viele der überlebenden Veteranen aus den östlichen Distrikten stammten. Undiplomatische Äußerungen, insbesondere des hochrangigen FirakuKommandeurs Falur Rate Laek, sowie die angebliche Diskriminierung der Kaladi-Soldaten führten zu einer Spaltung innerhalb des Militärs. Doch auch zwischen Polizei und Militär spiegelte sich die neue Ost-West-Polarisierung der Gesellschaft wider. Mangels personeller Alternativen hatten die VN bei der Rekrutierung der neuen Sicherheitskräfte auch auf ehemalige indonesische Polizeibeamte, also Teile des indonesischen Unterdrückungsapparates, zurückgegriffen. Da diese vor allem aus den westlichen Landesteilen stammten, wurden alte Fronten (pro und contra Indonesien) mit neuen Gesichtern (Firaku versus Kaladi) in die Institutionen des neuen Staates projiziert. Es ist nicht verwunderlich, dass sich diese nur wenige Jahre später erneut bewaffnet gegenüber standen. Persönliche Begegnungen Als ich die Bewohner Dilis knapp ein Jahr nach der Krise in 2007 zu Firaku-Kaladi befragte, sprach jedermann dieser sozialen Konfliktlinie die Relevanz ab. Das seien alles nur politische Machenschaften, keinesfalls ein ethnischer Konflikt und eigentlich haben Bewohner aus dem Osten und aus dem Westen kein Problem miteinander, behauptete ein Großteil der Befragten. Es ist auffallend, dass man die Worte Firaku und Kaladi aus dem Mund der Osttimoresen nur selten hört. Die Begriffe sind eindeutig negativ behaftet und die Zurückhaltung der Bevölke„Osttimor am Scheideweg“ 27 rung lässt sich zu einem gewissen Teil sicherlich durch die Furcht vor weiteren Eskalationen erklären. Die Angst vor der Wiederkehr der tragischen Ereignisse von 2006 ist groß und die verhaltenen Antworten geben keinen Aufschluss über die tatsächliche Gefühlslage zwischen Firaku und Kaladi. Nur die Graffitis entlang der Hauptstraßen Dilis zeugen noch davon, dass nicht immer alles harmonisch verlief. „FIRAKU SAE FAHI“ („Firaku raus hier“) mahnen dicke schwarze Letter an Hauswänden und Mauern in Gegenden wie Delta oder Becora. Doch auch hier spricht man die Dinge oft nicht direkt an. Schon fast ironisch erscheint es, dass einige dieser Graffiti anstatt des Wortes „Firaku“ das phonetisch ähnliche Wort „Irak“ beinhalten. „AMI LA SIMU IRAK“ („Wir akzeptieren kein Irak“) steht an die Wände zerstörter Häuser geschrieben. Bei solch willkürlichen Anspielungen auf weltpolitisches Geschehen und GraffitiSchmierereien erscheint der Konflikt eher als jugendlicher Blödsinn anstelle eines ernst zu nehmenden „ethnischen“ Konfliktes. Es drängt sich jedenfalls der Verdacht auf, dass es sich bei dem Firaku-Kaladi Phänomen nicht um allzu tief verankerte Identitäten handelt. Beziehen sich Osttimoresen auf die Krise 2006, so benutzen sie anstelle des Begriffspaares Firaku und Kaladi meist die politisch korrektere Version „Loro Sa'e“ und „Loro Munu“. Auch wenn diese Bezeichnungen im Rahmen der Krise 2006 mit gleichsam negativer Konnotation in rassistischen Graffiti und Parolen zu finden waren, so sind sie ursprünglich vollkommen wertneutral: auf Tetum heißt Lorosa'e „Sonnenaufgang“ und Loro Munu „Sonnenuntergang“. Zudem sind dies auch die einzigen Tetum-Begriffe, um die Himmelsrichtungen Osten und Westen auszudrücken. Mittlerweile haben aber selbst Loro Sa'e und Loro Munu einen so negativen Beigeschmack, dass Politiker wie Fernando La Sama de Araújo im Wahlkampf 2007 forderten, man solle die Termini bzw. ihren Missbrauch gesetzlich verbieten. Diese Versprechungen der Politiker, die anstatt mit rassistischen Parolen mit Schlagworten wie „Einheit“ und „Frieden“ warben, tragen dem Wunsch der Bevölkerung nach Stabilisierung und Sicherheit Rechnung. Der immer wieder geäußerte Wunsch, die vergangenen Auseinandersetzungen nicht wieder aufleben zu lassen und keinesfalls als „ethnischen Konflikt“ in die Geschichte eingehen zu lassen, geben Grund zur Hoffnung. Ob die Kategorien Firaku-Kaladi langfristig Relevanz behalten und sich für die Identität der Osttimoresen zu einer Art ethnischen Demarkationslinie entwickeln werden, das wissen nur die Ahnen. Es scheint jedoch, als wären sie lediglich zwei von vielen Varianten osttimoresischer Identitätsmuster, nicht der ultimative Schlüssel zum Verständnis der Krise 2006. Notizen zur Gewalt in Osttimor Henri Myrtinnen Seit dem offenen Ausbruch verschiedener politischer, sozioökonomischer, ethno-regionaler und mehr oder weniger privater Konflikte im Zusammenhang mit der Krise von 2006 scheint Osttimor von einem akuten Notstand in den nächsten zu schlittern. Kaum ist ein Problem bewältigt, erscheint schon das nächste. Als aktuelles Beispiel kann man die Ereignisse Ende April/Anfang Mai 2008 heranziehen, als sich die letzten Meuterer um Rebellenchef Gastão Salsinha ergeben hatten und damit zur Beilegung dieses Problems beitrugen. Keine 24 Stunden später nahm schon die nächste politische Krise ihren Anfang, als die sich in der Regierungskoalition befindende ASDT ihren Kooperationsvertrag mit der oppositionellen FRETILIN bekannt gab. Weitere Krisen sind schon am Horizont sichtbar: so sind zum Beispiel die Petitioners – die Gruppe der Focus Asien Nr. 31 Soldaten, die im Februar 2006 das Militär verließ und somit eine politische und soziale Krise auslöste – mit der ihnen von der Regierung angebotenen politischen Lösung nicht zufrieden. Darüber hinaus lassen steigende Lebensmittelpreise wenig Gutes verheißen, da sie zu einer Verschärfung der schwierigen Versorgungslage in dem Land beitragen. In diesem Beitrag werde ich versuchen, einige der verschiedenen Konflikt- und Bruchlinien in der osttimoresischen Gesellschaft zu erforschen. Eine der zentralen Fragen hierbei ist, inwiefern Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung / Erlangung von gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen oder privaten Zielen gilt. Ich werde auch versuchen die Frage zu ergründen, warum es gerade vor allem junge „Osttimor am Scheideweg“ 28 Männer sind, die zur Gewalt als Lösungsmittel zu neigen scheinen. Kleines Land, viele Bruchlinien Osttimor ist bekannterweise ein kleines Land mit einer kleinen (aber rasant wachsenden) Bevölkerung. In dieser Gesellschaft gibt es eine Vielzahl verschiedener Konflikt- und Trennlinien. Diese verlaufen zum Beispiel - innerhalb und zwischen den Sicherheitskräften PNTL und F-FDTL, deren jeweilige Rolle in der Gesellschaft noch nicht eindeutig definiert sind (siehe z.B. ICG 2008); - zwischen den Veteranen des Unabhängigkeitskampfes, wobei vor allem die Clandestinos, die ehemaligen zivilen Widerstandsaktivisten aus dem Untergrund, fühlen, dass im Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung (DDR-Prozess, disarmament, demobilisation and reintegration) politisch der FALINTIL eng verbundene ehemalige Kämpfer bevorzugt worden sind (siehe auch Myrttinen und Stolze 2007, Rees 2004); - zwischen den Petitioners, die jetzt wieder in die Sicherheitskräfte integriert werden wollen und denen, die während der Krise mehr oder weniger loyal in den Sicherheitskräften gedient haben; - zwischen ‘Ost’ und. ‘West’ und zwischen anderen ethno-regionalen Gruppen, wobei diese Konflikte und die Kategorien, auf denen sie basieren, mit überraschender Schnelligkeit anund abgeschaltet bzw. mobilisiert werden können (siehe z.B. auch Prüller 2008); - zwischen verschiedenen Banden und Kampfsportgruppen (z.B. PSHT gegen 7-7), die inzwischen kein hauptstadtspezifisches Phänomen mehr sind, sondern sich landesweit ausgebreitet haben und auch im kleinen Maßstab transnational mit Verbindungen nach Australien und Indonesien (vor allem über die timoresische Diaspora) agieren; - zwischen den verschiedenen politischen Parteien, also vor allem der FRETILIN gegen die AMP-Koalition, wobei die Koalition selber eventuell bröckelt; sowie - die latenten Konflikte zwischen sozialen Klassen und Generationen, zwischen den angesehenen ema boot und den kleinen Leuten wie auch zwischen der älteren und jungen Generation. Auch schwelen andere Konflikte weiter und nehmen oft die Form politischer, ethno-regionaler oder der von Bandenkonflikten an. Diese dienen jedoch Focus Asien Nr. 31 oftmals als Fassade zum Beispiel für Ressourcenkonflikte (vor allem Landkonflikte – siehe unter anderem Gunter 2007; Myrttinen 2008) oder persönliche Rivalitäten. Hinzu kommen weitere Probleme, sei es die drohende Lebensmittelknappheit oder der wachsende Frust gegenüber der internationalen Präsenz und/oder eigenen politischen Elite, welche die sozioökonomischen Probleme des Landes nicht in den Griff bekommen. Mit Gewalt geht alles? In ihrem Bericht zu den Vorfällen vom AprilJuni 2006 stellt die Untersuchungskommission der Vereinten Nationen relativ lapidar fest, dass: Political competition within Timor-Leste has been historically settled through violence. (UN, 2006) Ganz so einfach sollte man es sich jedoch nicht machen, denn die Gewalt ist ein kompliziertes Phänomen. Neben der direkten, physischen Gewalt gibt es auch weniger sichtbare Formen, wie zum Beispiel psychische oder verbale sowie strukturelle Gewalt. Die Art, in der diese verschiedenen Gewalttypen wahrgenommen und verarbeitet werden, hängt sowohl vom Einzelnen als auch vom soziokulturellen Umfeld ab. So nimmt z.B. in vielen melanesischen Gesellschaften die verbale Gewalt (sei es üble Nachrede, eine Verbalattacke, ein maliziöses Gerücht oder eine Verwünschung) oft mindestens den gleichen Rang wie physische Gewalt ein. Ich wage daher zu behaupten, dass oft vieles, was von Osttimoresen als Gewalt oder Einschüchterung empfunden wird, von außen stehenden Beobachtern, die nur physische Gewalt beobachten können, gar nicht wahrgenommen wird. Die vor allem in Dili oft vorherrschende lähmende Atmosphäre einer diffusen Angst sowie die von vagen Gerüchten und Andeutungen geschürten Erwartung physischer Gewalt können auch als eine Form der Gewalt gesehen werden. Hinter dieser erwarteten Gewalt werden meist eine nicht näher definierte Gruppe der ‚ihr-wisst-schonwer’ Dunkelmänner oder Schattenkrieger wie die Ninjas vermutet. Die fehlende transparente Aufklärungsarbeit nach Gewalttaten, sei es nach kleineren Verbrechen oder größeren Ereignissen wie dem Putschversuch vom 11. Februar 2008, trägt weiter zu dieser Atmosphäre der Spannung und des gegenseitigen Misstrauens bei. „Osttimor am Scheideweg“ 29 Die verbale Gewalt und die als Gewalt empfundene diffuse Angst kann auch als Legitimation für die eigene direkte, physische Gewalt benutzt werden, die hierdurch zur Selbstverteidigung wird (siehe z.B. auch Knauft 1990). Außerdem hat sich die Gewalt als effektives politisches Druckmittel bewährt. Die, die Gewalt anwenden, bekommen Aufmerksamkeit, setzen ihre Ziele durch und werden obendrein amnestiert (siehe auch Myrttinen 2008). Männlichkeit und Gewalt Sowohl im privaten (Stichwort häusliche und sexualisierte Gewalt) als auch im öffentlichen Raum in Osttimor ist die Gewalt, vor allem ihre direkte, physische Variante, stark männlich geprägt. Öffentliche Gewalt, vor allem die von den Banden ausgehende, wird oft als ein Jugendproblem dargestellt, wobei präzisiert werden muss, dass hier Jugend mit jungen Männer gleichgestellt wird. Oder genauer: mit jungen, hauptsächlich urbanen, gewaltbereiten Männern der sozialen Unterschichten. Hierbei wird oft übersehen, welchen Beitrag die etablierteren Schichten der Gesellschaft zur Ermöglichung der Gewalt leisten. Sowohl in meinen eigenen Feldstudien als auch in anderen Untersuchungen zur Gewalt in Osttimor seit dem Anfang der Krise (so z.B. Grove et al. 2007, Myrttinen 2008, Prüller 2008, Scambary et al. 2006, Streicher 2008) kommen ähnliche Gründe und Erklärungen für die andauernde Gewalt auf. Diese sind unter anderem: - Identitätskrise junger Männer, die zwischen den idealisierten Vorstellungen einer Tradition, in der ‚Männer noch Männer’ waren einerseits und einer urbanen Moderne andererseits, in der sie sich als Hauptverdiener sehen möchten, gefangen sind, aber keine der beiden Rollen erfüllen können; - Identitätsstiftung, Respektverschaffung und Zusammengehörigkeitsgefühl durch Bandenbzw. Kampfsportgruppenmitgliedschaft; - ein generelles Gefühl von Frust und Enttäuschung oder genauer von ‘sakit hati;’ - ‚Sozialer Neid’ gegenüber denen, die als besser gestellt gesehen werden; - Manipulation und Gerüchte, wobei natürlich bemerkt werden muss, dass dies oft auch als Ausrede benutzt wird, um Schuld von sich abzuweisen. Es bedarf bei der Manipulation jedoch immer einer manipulierenden Seite und der anderen Seite, die sich manipulieren lässt; Focus Asien Nr. 31 Langeweile und Arbeitslosigkeit, wodurch junge Männer ihre Zeit mit Herumhängen und Alkoholkonsum verbringen, was leicht zu physischer Gewalt führen kann; - eine Atmosphäre diffuser Angst und der Erwartung von Gewalt (siehe oben); - Verlangen nach Gerechtigkeit und/oder Rache; sowie - persönliche Konflikte, z.B. wegen gekränkter Ehre oder Liebesgeschichten. Die vor allem von jungen Männern ausgeübte Gewalt wird auch dadurch ermöglicht, dass sie von weiten Teilen der Gesellschaft unterstützt oder zumindest geduldet wird. So gut wie alle politischen Parteien (auch die katholische Kirche) greifen gerne auf Gruppen gewaltbereiter Männer zurück, um ihren politischen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Die Sicherheitskräfte (inklusive der privaten Sicherheitsfirmen) sind von den Banden unterwandert, häusliche Gewalt wird weitgehend toleriert. Die Banden und Kampfsportgruppen werden teilweise von der Bevölkerung in den ärmeren Stadtvierteln Dilis, den bairos, als eine Art lokaler Schutztruppe empfunden und unterstützt. Es kommt auch schon mal vor, dass Frauen ihre Söhne, Männer und Brüder anfeuern, wenn diese Steine auf die UNPOL oder ISF werfen. Auch sind viele der männlichen Rollenvorbilder, derer sich junge Männer identitätsstiftend bedienen, solche, die versucht haben, mit Gewalt ihre Ziele zu erreichen. Dies gilt sowohl für die meisten einheimischen Vorbilder wie z.B. den Liurai von Manufahi, Dom Boaventura, der sich gegen die portugiesische Kolonialbesatzung Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts auflehnte oder aus der jüngsten Zeit Alfredo Reinado, der sich gegen die Regierung und die internationalen Sicherheitstruppen auflehnte. Helden können aber auch importiert werden, so z.B. Filmfiguren wie Rambo oder Schauspieler wie Jean-Claude van Damme oder Vin Diesel.1 - Chaos und Anarchie? Während die Bilder von Banden junger Männer, die Häuser abfackeln, leicht und oft für kulturpessimistische Schnellanalysen benutzt werden, ist auch hier die Problemlage komplexer. Statt um Chaos und Anarchie (im Sinne fehlender Alfredo Reinado hatte das ‘xXx’-Logo des gleichnamigen Actionfilms mit Vin Diesel auf seinem Nacken tätowiert. 1 „Osttimor am Scheideweg“ 30 hierarchischer Strukturen) handelt es sich eher um Chaos in einem Umfeld, in dem eine Vielzahl von Hierarchien untereinander im Wettbewerb stehen und Loyalität einfordern. Wie Dinnen es für viele melanesischen Gesellschaften ausdrückt, ist nicht das Fehlen von Autoritäten der Fall, sondern es gibt ‘many competing sources of authority and allegiance at local levels, with the claims of the state being merely one among many.’ (Dinnen, 2000). Besonders männliche Identitäten werden stark durch die Zugehörigkeit zu hierarchischen, klientelistischen Netzwerken definiert. Im Falle Osttimors ist es oft die Loyalität zur erweiterten Familie/Klan, zur ethno-regionalen Gruppe, zu einer Partei, zur Kirche oder anderen religiös ausgerichteten Organisationen (z.B. Sagrada Familia), zu einer Veteranenorganisation oder einem ehemaligen ClandestinoNetzwerk, zu einer Bande oder Kampfsportgruppe und dem eigenen bairo, welche die Identität mitbestimmt und die Aktivitäten des Einzelnen prädeterminiert. Während die Loyalitätsnetzwerke aus einer westlichen Perspektive oft als problematisch angesehen werden, z.B., wenn diese im Konflikt mit der gleich berechtigenden Ausführung der Pflichten eines Staatsbeamten gegenüber dem Bürger stehen, können diese starken gesellschaftlichen Bindungen Focus Asien Nr. 31 auch eine konstruktive Rolle spielen. Diese sozialen Netzwerke und Interessengemeinschaften bilden das Fundament der osttimoresischen Gesellschaft. Auf diese lässt sich aufbauen, so lange Interessenkonflikte zwischen den verschiedenen Gruppen als legitim angesehen und gewaltlos austragen werden können. Als Basis für den Wiederaufbau der zerrütteten Verhältnisse können auch der noch relativ starke Glauben an den einheitlichen Nationalstaat Osttimor (‘Timor Ida Deit’) und die Betonung von Gerechtigkeit, Einigkeit und Frieden (‚Justisia, Unidade no Paz’) in der Gesellschaft mobilisiert werden. Auch wäre es aus meiner Sicht zu wünschen, dass in diesen Prozessen nicht bloß alte Machtstrukturen reproduziert und gestärkt werden und statt dessen auch bisher eher marginalisierte Gruppen wie Frauen, Jugendliche, sexuelle Minderheiten oder gesellschaftliche Unterschichten stärker beteiligt werden. Dies muss aber die osttimoresische Gesellschaft selbst bewältigen, denn osttimoresische Probleme bedürfen osttimoresischer Lösungen. „Osttimor am Scheideweg“ 31 Beobachtungen in einem osttimoresischen Bergdorf während der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2007 Judith Bovensiepen In dem Dorf Funar im Sub-Distrikt Laclubar, in den Bergen im Zentrum Osttimors gelegen, führte ich von 2005 bis 2007 die ethnologische Feldforschung für meine Dissertation an der London School of Economics durch.1 In diese Zeit fielen auch die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Die ASDT Partei, die Vereinigung der Sozialdemokraten Timors, hat in dieser ländlichen Region einen starken Rückhalt. Ihr Vorsitzender Francisco Xavier do Amaral kommt nämlich aus dem nicht weit entfernt liegenden Ort Turiscai. Als zur Vorbereitung der Präsidentschaftswahlen im Februar 2007 die Flagge der ASDT in Funar gehisst werden sollte, wurden die Vorsitzenden der suco und aldeia (Dörfer bzw. kleinere Ortschaften), die rituellen Sprecher und andere wichtige Dorfbewohner eingeladen, von denen viele allerdings die ASDT gar nicht selber unterstützen. Dennoch warteten viele ältere und einflussreiche Dorfbewohner geduldig in der Hitze vor dem Feld, auf dem die Flagge gehisst werden sollte. Dann kam es zu einer mir bizarr erscheinenden, fast militärischen Zeremonie, bei der zwei Jugendliche wiederholt mit der Fahne auf den Flaggenmast zumarschierten, salutierten, sich umdrehten und im Gleichschritt wieder zurückmarschierten. Ein älterer Mann, der neben dem Mast auf sie gewartet hatte, salutierte, wobei er die Beine stramm zusammenschlug. Dieser Ablauf wurde etliche Male wiederholt, bis die drei die Flagge vorsichtig hissten. Die nun folgenden langen Reden enthielten die üblichen Entschuldigungsreden für den schlechten Zustand der Häuser der Gastgeber und diverse Respektsbekundungen, welche mit „Viva ASDT“ Rufen beendet wurden. Mir fiel auf, dass auch einige UDT-Anhänger ihre Unterstützung für die ASDT durch enthusiastische „Viva ASDT“-Rufe bekundeten. Bei dieser Versammlung hielten die Anhänger anderer Parteien ebenfalls kurze Reden, in denen sie hauptsächlich ihren Respekt ausdrückten. Dieses Beispiel soll zeigen, wie sehr den Dorfältesten die Vermeidung von Konflikten bei der Vorbereitung zu den Wahlen am Herzen lag. Sich öffentlich für oder gegen eine Partei zu stellen wurde als problematisch betrachtet, da dies die Menschen gegeneinander aufbringen könnte. Deshalb nahmen viele der wichtigen Persönlichkeiten im Dorf am Hissen der ASDT Fahne teil, auch wenn sie die ASDT gar nicht unterstützen. Im Folgenden werde ich einige meiner wichtigsten Beobachtungen aus der Zeit der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2007 in der ländlichen Region von Laclubar anhand von drei Gesichtspunkten schildern: (1) von der geographischen Lage der Region her, (2) aus der historischen Perspektive und (3) aus der Frage, welche Erwartungen die Menschen an die politischen Amtsträger haben. Die geographische Lage Dieser Artikel basiert auf einer 20-monatigen Feldforschung in Osttimor vom November 2005 bis zum August 2007, die ich im Rahmen meiner Doktorarbeit in Sozialanthropologie an der London School of Economics and Political Science durchführte. Feldforschung und Promotion wurden von folgenden Organisationen freundlicherweise finanziell unterstützt: Wenner Gren Foundation for Anthropological Research, Studienstiftung des deutschen Volkes, Economic and Social Research Council (ESRC), Centre for the Study of Human Rights (CSHR) und Central Research Fund (CRF) der Universität von London. Außerdem möchte ich Antje Winkelmann, Andre Borgerhoff und Manuel Schmitz und den Teilnehmern der DOTG Tagung 2008 für die hilfreichen Anmerkungen zu diesem Artikel danken. 1 Focus Asien Nr. 31 Der suco Funar liegt im Sub-Distrikt Laclubar im Distrikt Manatuto. Laclubar ist mit einer Einwohnerzahl von ca. 10.000 eine besonders dünn besiedelte Region Osttimors. Die lokale Sprache ist Idaté. Die Einwohner leben hauptsächlich von Landwirtschaft und Viehzucht, es wird kaum Reis angebaut, dafür aber Kaffee, Mais und Knollengewächse. Die Infrastruktur dieser Region ist extrem schlecht, die Strassen sind vernachlässigt und kaputt. Öffentliche Verkehrsmittel fahren nur bis zum Zentrum Laclubars, die meisten dazugehörigen suco sind nur schwer mit dem Auto zu erreichen; während „Osttimor am Scheideweg“ 32 der Regenzeit sind sie oft völlig abgeschnitten. In Laclubar gibt es Elektrizitätsleitungen, Strom wird jedoch nur alle zwei Tage für circa vier Stunden geliefert. Außerhalb von Laclubar gibt es weder Elektrizitätsleitungen noch Radioempfang und nur bedingt Telefonempfang. Die Bewohner sind voll und ganz auf mündlich überlieferte Nachrichten von Menschen, die von Dili kommen, angewiesen. Weit verbreitete Angst, gegenseitiges Misstrauen und die Furcht vor den Konflikten in Dili führten dazu, dass das sowieso schon sehr unzuverlässige öffentliche Transportsystem während der Wahlen fast vollkommen zusammenbrach. Die sonst fast täglich fahrenden offenen Lastwagen (Anguna) zwischen Dili und Laclubar fuhren während der Wahlen höchstens einmal in der Woche oder fielen ganz aus. Bei den nach den Präsidentschaftswahlen abgehaltenen Parlamentswahlen waren alle Einwohner eines aldeia im suco Funar nicht zu den Wahlen erschienen. Einige begründeten diese Entscheidung damit, der Fluss, den sie auf dem Weg hätten überqueren müssen, habe zu viel Wasser gehabt. Durch die geographischen Gegebenheiten war es für die Bewohner dieser Gegend besonders schwer, ihr Wahlrecht auszuüben. Andere betonten, sie seien enttäuscht, da Xavier do Amaral bei den Präsidentschaftswahlen nicht gewonnen habe und deshalb hätten sie die Wahl boykottiert. Es gab auch Wahlverweigerer aus allgemeiner Frustration und Hoffnungslosigkeit, da die Wahl ihr Leben sowieso nicht verändern würde und sie danach weiter auf dem Feld arbeiten müssten. Sowohl die geographische Abgelegenheit dieser Gegend als auch das Abgeschnittensein vom Radiound Telefonnetz führt zu einer politischen Isolation, die im starken Gegensatz zur Weltanschauung ihrer Bewohner steht, die Laclubar als das spirituelle Zentrum Osttimors und als Mittelpunkt der ganzen Welt ansehen. Es wird behauptet, dass das Kraft tragende lulik Land dieser Region den Nabel der Welt darstelle. Die Bewohner Laclubars behaupten, der Bezirk Manatuto sei das Land der Mitte, rai klaran, und gehöre weder zum Westen noch zum Osten. Der Ausdruck rai klaran unterstützt die Behauptung der Bewohner Laclubars, sie seien politisch neutral und würden sich nicht in die Konflikte in Dili einmischen. Nach Auffassung der dortigen Bewohner werden politische Prozesse vielmehr durch spirituelle Mächte und Zeremonien beeinflusst, zumindest muss die politische Macht durch spirituelle Autorität legitimiert werden. Ganz sicherlich hat die abgeschiedene Lage Funars und das völlige Angewiesensein auf mündlich Focus Asien Nr. 31 überlieferte Informationen dazu beigetragen, dass eine große Unwissenheit unter der ländlichen Bevölkerung darüber bestand, wie die Wahlen überhaupt ablaufen und wann sie genau stattfinden würden. Inhaltlich wurde in den Wahlkampfreden in Laclubar hauptsächlich Bezug auf die Vergangenheit genommen, frühere Differenzen und Fehler wurden erwähnt und es wurden finanzielle Versprechungen für die Zukunft gemacht. Die historische Perspektive Die Region Laclubar is nicht nur geographisch relativ abgeschnitten, sondern auch politisch marginalisiert. Der Grund dafür ist, dass die Bewohner Laclubars als Befürworter der indonesischen Besatzung bekannt sind. Historisch waren 1975 wohl alle drei Parteien im Laclubar Sub-Distrikt vertreten: FRETILIN, APODETI und UDT. Die Familie des letzten indonesischen Gouverneurs, José Abílio Osório Soares, dessen Bruder die pro-indonesische Partei APODETI gründete, stammt aus Laclubar. Es ist zu vermuten, dass die APODETI deshalb hier besonders viele Anhänger hatte. Konflikte unter den herrschenden liurai Familien wurden in der Geschichte durch Einmischung der portugiesischen Besatzer verstärkt und haben zu den späteren Auseinandersetzungen zwischen APODETI, UDT und FRETILIN beigetragen. Der Konflikt zwischen UDT und FRETILIN führte 1975 zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen beiden Parteien, bei dem die suco Funar und Fatumakerek vollkommen zerstört und niedergebrannt wurden. Einige der lokalen Machthaber dieser suco, die die UDT unterstützten, wurden von Anhängern der FRETILIN ermordet. Man kann die weit verbreitete Aversion gegen die FRETILIN bei den gegenwärtigen politischen Entscheidungen und die allgemeinen Ängste vor erneuten gewaltsamen Auseinandersetzungen vor diesem historischen Hintergrund sehen. Zugehörigkeiten zu Parteien und Streitigkeiten beruhen auf Jahrzehnte alten Konflikten und Spannungen. Viele Unterstützer von Ramos-Horta oder der CNRT Partei waren in der Vergangenheit Gegner der FRETILIN und begründeten ihre Entscheidung damit, weiterhin ihren Protest gegen Fretilin ausdrücken zu wollen. Die historisch traumatischen Erfahrungen, d.h. die Zerstörung ihrer Dörfer, spiegelte sich auch in der Angst vor den Wahlen im Jahr 2007 wider. Es herrschte eine allgemein angespannte „Osttimor am Scheideweg“ 33 Stimmung und zahlreiche Informanten drückten ihre Angst vor den Wahlen offen aus. Man fürchtete, dass die Konflikte ernster sein würden als der Krieg im Jahre 1975. Bei den lokalen Wahlen im suco im Jahr 2004 hatte es eine Schlägerei in Funar gegeben und viele Einwohner prophezeiten Schlimmeres bei den kommenden Wahlen. Sie waren überzeugt, dass die Abstimmungen starke Unruhen und gewalttätige Auseinandersetzungen auslösen würden. Trotz dieser pessimistischen Vorhersagen und der angespannten Stimmung gab es während der Wahlkampagnen in Laclubar kaum ernsthafte oder politisch motivierte Konflikte. Es traten jedoch z.B. Streitigkeiten zwischen Parteinanhängern der ASDT darüber auf, wer bei der Wahlkampagne zuerst essen durfte. Dorfbewohner mit besonders hohem sozialem Status dürfen in der Regel zuerst essen, dadurch reichte das Essen bei einigen Kampagnen nicht für die Parteimitglieder, die darüber erbost waren. Insgesamt war die Angst vor Konflikten während der Wahlen sehr groß und richtete sich – soweit mir bekannt – vorwiegend gegen die FRETILIN. Gerüchte gingen um, dass FRETILINAnhänger ein Lager in Laclubar eingerichtet hätten, in dem sie Waffen und Reis aufbewahrten. Außerdem wurde gesagt, FRETILIN-Anhänger würden Dorfbewohner bedrohen oder Belohnungen im Falle einer Unterstützung versprechen. Es gab jedoch auch ähnliche Vorwürfe der FRETILIN gegen die CNRT von Xanana Gusmão. Weiterhin gab es Gerüchte, dass Waffen aufgetaucht seien, dass nachts Schüsse gehört wurden, dass Alfredo Reinado nach Laclubar kommen würde oder dass von einem Hubschrauber australische Soldaten in den Bergen abgesetzt worden seien, um einen Krieg zu beginnen. Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 9. April 2007 erhielt Xavier do Amaral in zwei suco von Laclubar die meisten Stimmen: im suco Funar und im suco Fatumakerek (siehe auch. den Artikel von Jakob Lempp). José Ramos-Horta erhielt in fast allen anderen suco die Mehrheit der Stimmen, was durch die unverholene Unterstützung des lokalen Priesters für Ramos-Horta und den CNRT beeinflusst worden sein könnte. Die Stimme für Ramos-Horta wurde von den meisten Bewohnern vor allem als eine Entscheidung gegen die FRETILIN gesehen. Man kann sowohl lokale Differenzen als auch lokale Solidaritätserklärungen vor dem Hintergrund der historischen Vorkommnisse verstehen. So behaupten zum Beispiel die Bewohner aus zwei unterschiedlichen aldeia, sie hätten während des Focus Asien Nr. 31 Bürgerkrieges im Jahr 1975 die UDTunterstützende Elite Funars (die liurai) vor den FRETILIN-Anhängern versteckt. Es wird gesagt, dass sie auch heute in einer Krise jederzeit den liurai verstecken würden, denn lokale Solidarität gehe vor Parteizugehörigkeit. Von der Tochter des ehemaligen liurai in Funar wurde mir nach der ersten Wahlrunde erklärt, dass die ASDT zwar die Wahlen in Funar gewonnen hätte, aber sie müssten die Macht sowieso an die liurai abgeben. Diese Aussage gibt die verbreitete Überzeugung der Bewohner wider, dass die politischen Ämter eigentlich weiterhin durch traditionelle Machthaber ausgeübt werden sollten und dass die politischen Institutionen durch spirituelle Kräfte vorherbestimmt seien. Nach ihrer Meinung sind die Machtverhältnisse seit der Zeit der Ahnen festgelegt und nur Mitglieder bestimmter bedeutender Häuser können politische Ämter übernehmen. Der Streit entfacht sich an der Frage, wer genau legitimer Nachfolger der traditionellen Machthaber oder liurai ist. Erwartungen an die Politiker Tiefsitzende, kulturell geprägte Überzeugungen beeinflussen in dieser Gegend sowohl den Verlauf der nationalen Wahlen als auch deren Bewertung. Viele Bewohner Funars behaupten z.B., dass sie deshalb ASDT wählen, weil sie die „erste“ Partei sei, die sich in Osttimor gegründet habe. Diese Auffassung entspricht der traditionellen Machtstruktur, in der „Präzedenz“ und „Priorität“ eine wichtige Rolle spielen. Auffällig war die zu Beginn beschriebene Verpflichtung der Dorfältesten, andere Parteien adäquat zu empfangen und das Bemühen, gegenteilige Standpunkte nicht direkt zum Ausdruck zu bringen. Viele Dorfbewohner hängten unterschiedliche Flaggen oder Wahlplakate mit der Erklärung auf, dass sie alle Parteien in gleicher Art und Weise und mit Respekt „empfangen“ würden. Als der Koordinator der ASDT von Manatuto nach Funar kam, weigerte er sich in einem Haus zu schlafen, in dem neben der ASDT Flagge auch die Flagge des CNRT hing. Für die Bewohner von Funar war dies jedoch – wie oben erläutert – kein Widerspruch. Meiner Meinung nach wird hier eine charakteristische Verhaltensweise deutlich: man versucht Konflikte zu vermeiden, in dem man gegensätzliche Standpunkte nicht öffentlich diskutiert. Die meisten Bewohner Funars assoziieren mit dem Wort „Politik“ und „Partei“ Konflikt und Krieg „Osttimor am Scheideweg“ 34 und einige wollten deshalb am liebsten überhaupt nicht wählen und „einfach nur neutral sein.“ Die allgemeine Verunsicherung wurde gesteigert durch rasch kursierende Geschichten über Hexerei und magische Kräfte, die von bestimmten Orten in der Landschaft ausgingen. Dies trug zu vermehrtem Misstrauen gegen Nachbarn oder Freunde bei. Bereits bestehende lokale Konflikte intensivierten sich während der Wahlvorbereitungen und drückten sich durch Vorwürfe der Hexerei aus. Jedoch gab es auch andere Umgangsweisen. Als z.B. ein Dorfbewohner in die UDT Partei eintrat und seine Verwandten ebenfalls zur Wahl dieser Partei überreden wollte, einigte man sich darauf, dass jeder der sechs Erwachsenen im Haus bei einer anderen Partei unterschreibt, um Spannungen zu vermeiden. Es gab wenig Vertrauen in den Wahlprozess als solchen und nur wenige waren überzeugt, dass die Wahlen wirklich anonym sein würden. Auf der einen Seite fürchtete man sich vor den Konsequenzen der Wahlen, auf der anderen Seite sah man Anonymität nicht unbedingt als erstrebenswert an oder als eine besonders demokratische Errungenschaft. Die meisten Bewohner erhofften sich ganz konkrete finanzielle Vorteile oder Belohnungen von der Partei, die gewonnen hat. Als ich die Bewohner Laclubars nach ihren Erwartungen an die neue Regierung befragte, antworteten fast alle, dass sie konkrete finanzielle Unterstützung und Lieferung von Nahrungsmitteln (d.h. Reis) erwarteten. Bei diesen Überlegungen spielen die Erfahrungen während der indonesischen Besatzung eine Rolle, als die Bewohner Laclubars regelmäßig ReisRationen von den Indonesiern erhielten, damit sie sich nicht dem Widerstand anschlossen. Da der Widerstand gegen Indonesien besonders in den ländlichen Regionen von Laclubar stark ausgeprägt war, wurden die dortigen Bewohner zwangsweise in das Zentrum von Laclubar umgesiedelt, um hier von den indonesischen Besatzern besser kontrolliert werden zu können. In bäuerlichen sozialen Systemen ist es traditionell verankert, dass die Autorität bestimmter Familien insoweit akzeptiert wird als sie in Notsituationen den Bewohnern materielle Sicherheit bieten. So ist auch heute die Wahl der politischen Machthaber mit der ganz konkreten Hoffnung auf finanzielle Focus Asien Nr. 31 Hilfe verbunden. Bei der Wahl einer Partei wird häufig die Person favorisiert, die man persönlich kennt, die aus derselben Gegend stammt und die in irgendeiner Weise in das lokale Tauschsystem eingebunden ist. Hat man so einer Person zu einer politischen Stellung verholfen, kann man sich später auf ihre Verpflichtungen berufen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wahlvorbereitungen und die Durchführung der Wahlen im Sub-Distrikt Laclubar ohne größere Konflikte verliefen. Es war jedoch zu beobachten, dass die Bewohner Parteien generell skeptisch gegenüberstanden. Sie verbinden diese mit massiven Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen, was angesichts der historischen Erfahrungen während des Bürgerkrieges zwischen UDT und FRETILIN 1975 und zur Zeit der indonesischen Besetzung gut nachvollziehbar ist. Die historisch bedingten und noch heute existierenden lokalen Spannungen wurden in Schach gehalten, in dem einflussreiche Dorfbewohner öffentliche Stellungnahmen vermieden und Mitglieder unterschiedlicher Parteien an den Wahlkampagnen der Oppositionsparteien teilnahmen. Wie auch in anderen Ländern waren die Wahlentscheidungen stark von dem Prinzip der Reziprozität bestimmt. Bevorzugt wollte man Personen aus dem eigenen Umkreis zu politischen Ämtern verhelfen, um diese später an ihre gegenseitigen (d.h. reziproken) Verpflichtungen erinnern zu können. Trotz der äußerlich ruhig verlaufenden Wahlvorbereitungen herrschte eine Stimmung zunehmender Unsicherheit sowie Angst und Sorge vor einem erneuten Krieg. Geschichten über Hexerei und der Glaube an spirituelle Kräfte, die das politische Geschehen beeinflussen können, nahmen zu und hervorzuheben ist, dass entgegen jeder Vorstellung von Demokratie eine verbreitete, tief sitzende Überzeugung zu beobachten war, dass politische Entscheidungen letzten Endes durch spirituelle Kräfte vorherbestimmt und durch traditionelle Zeremonien beeinflussbar sind. „Osttimor am Scheideweg“ 35 INTERNATIONALES ENGAGEMENT FÜR OSTTIMOR Focus Asien Nr. 31 „Osttimor am Scheideweg“ 36 Die Schwerpunkte der außen- und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission und Timor-Leste Achim Tillessen Dieser Beitrag spiegelt ausschließlich die private Meinung des Autors und keine offizielle Haltung der Europäischen Kommission wider. Außenpolitische Zusammenarbeit Vom Außenbüro zur Delegation Die außenpolitische Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission und Timor-Leste hat mit der Erweiterung des Außenbüros der Delegation in Indonesien zu einer eigenständigen Delegation der Europäischen Kommission und der im März 2008 erfolgten Akkreditierung eines Botschafters eine neue Dimension erreicht. Die Delegation wird die Koordination der EU-Politik vor Ort aktiv unterstützen und im politischen Dialog über alle Fragen der politischen Zusammenarbeit, Fragen der Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte sowie den Dialog über die Verpflichtungen im Rahmen der guten Regierungsführung einbezogen sein und eine koordinierende Rolle spielen. Zunächst war mit Erreichen der Unabhängigkeit im Jahre 2002 in Timor-Leste ein Außenbüro der in Indonesien tätigen Delegation eingerichtet worden. Seitdem gab es regelmäßige Kontakte der politischen Führung des Landes (Gusmão, RamosHorta, Alkatiri) mit der Europäischen Kommission. Die Entscheidung für eine eigenständige Delegation fiel in die Zeit nach den Unruhen im Jahre 2006. Kommissionspräsident Barroso ernannte einen Sonderbeauftragten, der einen Beitrag zur Intensivierung der Beziehungen zwischen Kommission und Timor-Leste definieren sollte. Der EUSonderbeauftragte empfahl u.a. die Einrichtung der Delegation, um damit stärker die volle politische Unterstützung zum Ausdruck zu bringen, die man dem unabhängigen Timor-Leste entgegenbringen wollte, dass sich für eine demokratische Verfassung unter Beachtung der Menschenrechte und der guten Regierungsführung entschieden hatte. Eine größere Präsenz vor Ort würde außerdem zu einer effektiveren Hilfe beitragen sowie zu schnellerer Reaktion in etwaigen Krisensituationen. Focus Asien Nr. 31 Maßnahmen mit politischer Wirkung Mit dem Einsatz des Sonderbeauftragten zeigte die Kommission, wie wichtig ihr das Engagement nach den gefährlichen Entwicklungen in der Krise von 2006 war und dass dringend weitere Maßnahmen der Konsolidierung des jungen Staates erforderlich waren, die zur Stabilisierung des Landes beitragen konnten. Der Einsatz des Sonderbeauftragten war ein wichtiger Schritt zu einem intensiveren Dialog mit der Regierung von Timor-Leste. Eine weitere Maßnahme, die vom Sonderbeauftragten unterstützt wurde, war der Einsatz eines Instruments im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, "Rapid reaction", mit dem rasche Unterstützung zur Wiederherstellung einer gewissen Stabilität des Landes erzielt werden sollte. Mit diesem Instrument wurde u.a. der Politikdialog zwischen den führenden Politikern des Landes unterstützt, der aufgrund der Krise von Polizei und Militär, die sich beinahe in einem Bürgerkrieg entladen hätte, starken Schaden genommen hatte. Für die Präsidentschaftswahlen sowie die Wahlen zum Parlament wurden Mittel aus dem Förderprogramm des 9. Europäischen Entwicklungsfonds (EDF) der UNDP zur Verfügung gestellt, um einen reibungslosen Ablauf der Wahl zu sichern. Die Europäische Kommission stellte eine der größten Wahlbeobachtermissionen während der Wahlen 2007, die einen insgesamt fairen Verlauf der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen feststellen konnte. Im Rahmen des Pazifik-Forums, dem Timor-Leste mit Beobachterstatus angehört, diskutierten der für Entwicklung und humanitäre Hilfe zuständige Kommissar Louis Michel sowie Generaldirektor Stefano Manservisi, verantwortlich für Entwicklung und die Beziehungen zu den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP), mit dem stellvertretenden Premierminister sowie dem Außenminister im Oktober 2007 u.a. über Fragen des besonderen „Osttimor am Scheideweg“ 37 regionalen Status von Timor-Leste, das sich wirtschaftlich Richtung ASEAN orientiert, aber sicher während einer mittelfristigen Übergangszeit auf Unterstützung aus dem pazifischen Regionalprogramm der Kommission angewiesen sein könnte. Präsident Barroso stattete dem Land im November 2007 im Rahmen seiner Asienreise einen Besuch ab und konnte u.a. vor dem Parlament in Timor-Leste den demokratischen Fortschritt des Landes würdigen und für den weiteren Aufbau des Landes die Unterstützung der EU zusagen. Bei dieser Gelegenheit wurde der Kommission auch das neue Delegationsgebäude durch Präsident RamosHorta übergeben. Nach den Attentaten auf Präsident RamosHorta und Premierminister Gusmão untersuchte die Kommission die Bedingungen für ein neues Stabilisierungsprogramm. Dabei wurde die Auflegung eines neuen Maßnahmenkatalogs aufbauend auf früheren Aktivitäten, aber auch darüber hinaus in anderen Bereichen wie dem Sicherheitssektor, empfohlen. Diese Maßnahmen werden augenblicklich formuliert und voraussichtlich in der 2. Hälfte 2008 eingeleitet. Es hat also in dieser Zeit eine ganze Reihe von Maßnahmen gegeben, mit denen die Kommission ihr politisches Profil in Timor-Leste geformt hat, und es wird jetzt in der nächsten Zeit darauf ankommen, dass die neue Delegation in einen regelmäßigen Politikdialog mit der Regierung eintritt. In diesen Dialog sollten neben Fragen der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte auch Fragen der guten Regierungsführung einbezogen werden. Von der Regierung geplante Maßnahmen wie der Aufbau eines Rechnungshofes, der Aufbau der Sicherheitskräfte oder die Einrichtung einer Antikorruptionskommission könnten im Rahmen dieses Dialogs regelmäßige Themen sein, zu denen die Kommission einen Lösungsbeitrag leisten könnte. Die zuletzt erfolgten Verbesserungen der allgemeinen Sicherheitslage des Landes sollten auf jeden Fall positiven Auftrieb für die außen- sowie entwicklungspolitische Arbeit geben. Entwicklungspolitische Zusammenarbeit Nach dem Referendum zur Unabhängigkeit und den danach erfolgten Gewaltausbrüchen und Zerstörungen der Infrastruktur wurde Timor-Leste zunächst mit Not- und humanitären Maßnahmen unterstützt. Die Hilfe wurde seit 1999 über den von der Weltbank (WB) geführten Trust Fund für Osttimor (TFET) abgewickelt sowie die Vereinten Nationen Focus Asien Nr. 31 (VN) und Nicht-Regierungsorganisationen organisiert. Ab 2002 wurden auch verstärkt eigene Projekte mit Hilfe der WB oder mit Hilfe von Consultants durchgeführt, die zu einer verbesserten Präsenz der Kommission beitrugen. Nachdem Timor-Leste zunächst dem Asien-Programm der Kommission zugeordnet worden war, erfolgte 2005 der Beitritt zum Cotonou-Abkommen der AKP-Staaten. Seitdem erhält das Land seine Mittel über den Europäischen Entwicklungsfonds (EDF), zunächst den 9. EDF (2006/07) und anschließend den 10. EDF (2008-2013). Der Beitritt zum CotonouAbkommen wurde mit der größeren Mittelverfügbarkeit und auch mit der Ähnlichkeit des Entwicklungsstadiums mit vielen Entwicklungsländern des AKP-Raumes begründet. Die Zusammenarbeit im Rahmen des AKPAbkommens erfolgt in enger Abstimmung mit der Regierung des Partnerlandes, die Vertragspartner von Consultants, Beschaffungsfirmen oder Baufirmen ist. Für die Kommission kommt damit neben die Zusammenarbeit mit NGOs und VN die Kooperation mit der Regierung als dritter wichtiger Schwerpunkt hinzu. Schwerpunkte der Zusammenarbeit Die Zusammenarbeit mit Timor-Leste umfasst ländliche Entwicklung und Gesundheit. Mit dem Beitritt zum Cotonou-Abkommen wurde die Institutionenförderung als dritter Schwerpunkt eingeführt. Im Rahmen des 9. Europäischen Entwicklungsfonds (EDF) hat TimorLeste € 18 Millionen erhalten, über den 10. EDF werden es insgesamt € 81 Millionen sein. Eine Besonderheit im 10. EDF ist die so genannte "Anreiz-Tranche" ("Incentive tranche"), mit der für Verpflichtungen der Regierung im Rahmen von guter Regierungsführung zusätzliche Mittel gewährt werden1. Im bereits erwähnten Politikdialog mit der Regierung sollen Fortschritte der Regierung bei der Durchführung der versprochenen Maßnahmen kritisch überprüft werden. Die Schwerpunkte der Zusammenarbeit wurden im Rahmen mehrjährig angelegter Länderstrategien, die den aktuellen Zustand des Landes sowie die Prioritäten der Regierung berücksichtigten, festgelegt. Die ländliche EntFür die "Incentive Tranche" wird ein Addendum zur Länderstrategie erforderlich, das zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Artikels noch nicht unterschrieben worden ist. Der Betrag der Incentive Tranche ist aber bereits im Programm berücksichtigt. 1 „Osttimor am Scheideweg“ 38 wicklung wurde ausgewählt, weil es erstens in diesem Bereich große Zerstörungen nach dem Referendum zur Unabhängigkeit gegeben hat, zweitens Timor-Leste Probleme mit der Ernährungssicherheit seiner Bürger hat und drittens, weil mit Unterstützung in diesem Bereich ein erheblicher Beitrag im Rahmen der Arbeitsplatzbeschaffung geleistet werden kann. Zwei ländliche Entwicklungsprogramme sind momentan in der Durchführung, das erste mit stärkerer Orientierung im östlichen Landesteil, das zweite mit Konzentration im Westen des Landes. Der Schwerpunkt Gesundheit war aufgrund der Zerstörungen vieler Krankenhäuser sowie der schlechten medizinischen Versorgung der Bevölkerung mit hohen Frauen- und Kindersterblichkeitsraten ausgewählt worden. Die EU-Kommission unterstützt hier in einem von der Weltbank durchgeführten Projekt die Rehabilitierung der Krankenhäuser in Dili, Maliana, Oecussi und Maubisse sowie der Laboratorien in Dili und konnte einen wesentlichen Beitrag zur Erstellung eines nationalen Gesundheitsplanes leisten. Die Institutionenförderung hat sich bisher primär mit der Unterstützung der Ministerien befasst, mit denen die Projekte durchgeführt wurden. Im Rahmen des 9. EDFs wurde auch erstmals der nationale EU Hilfe-Koordinator im Finanzministerium („National Authorising Officer“), der eine wesentliche Rolle bei der Durchführung der Projekte spielt, unterstützt. Diese Maßnahme dient dazu, die nationalen Institutionen stärker in die Projektimplementierung einzubinden. Für den 10. EDF wurden die Gerichtsbarkeit sowie das nationale Parlament als staatliche Institutionen, die das politische und rechtliche Zusammenleben garantieren sollen, in die Förderung aufgenommen. Diese sind zurzeit noch extrem labil, was im juristischen Bereich zu einer gewissen Kultur der Straflosigkeit geführt hat und immer wieder zu Unruhen beigetragen hat. Das Parlament TimorLestes bedarf u.a. einer professionelleren Gesetzesvorbereitung sowie der Informationsverbreitung der Parlamentsarbeit in der Provinz. Zusätzlich wird die Zivilgesellschaft im Rahmen des 10. EDFs unterstützt werden. Die Organisationen der Zivilgesellschaft sollen dabei institutionell gefördert werden und zum Dialog mit der Regierung befähigt werden sowie im Dienst für die Bevölkerung im Rahmen der im Land durchgeführten Projekte besser ausgebildet werden. Andere Programme Neben der Förderung über den Europäischen Entwicklungsfonds erhält Timor-Leste auch UnterstütFocus Asien Nr. 31 zung durch so genannte thematische Programme, wie z.B. die Europäische Initiative für Demokratie und Menschenrechte oder Ernährungssicherung. Ein weiteres wichtiges Aufgabenfeld ist die humanitäre Unterstützung über die Generaldirektion ECHO, die u.a. Unterstützung für die Vertriebenen (so genannte „Internally Displaced Persons“) geleistet hat. Darüber hinaus ist nach der Krise von 2006 über das politische Instrument der Krisenstabilisierung im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms für arbeitslose Jugendliche Hilfe geleistet worden (siehe auch außenpolitischer Beitrag). Weitere Unterstützung wird über das pazifische Regionalprogramm geleistet werden. Zusammenarbeit mit anderen Gebern Die Zusammenarbeit mit den EU-Ländern verläuft gut, wobei es in einigen Sektoren Arbeitsteilung gibt, Portugal unterstützt den Ausbildungssektor, die Kommission den Gesundheitssektor. In der ländlichen Entwicklung ist Deutschland stark vertreten und es gab eine regionale Arbeitsteilung (Deutschland im Osten, Kommission im Westen), deutsche Kofinanzierung sowie die deutsche Implementierung eines Projektes der Kommission. Im Bereich Institutionenförderung sind viele Geber vertreten (darunter Portugal, Irland, Spanien und die EU-Kommission) und es sind sorgfältige Abstimmungsprozesse nötig, um Überschneidungen von Projekten zu vermeiden sowie den Einsatz der Mittel entsprechend zu koordinieren. Initiativen Ausgehend von Schlussfolgerungen des EURates vom November 2007 zu einer "EU response to situations of fragility" wurde u.a. TimorLeste als ein Pilotland ausgewählt, in dem die Kommission mit der Delegation vor Ort auf eine verstärkte Koordinierung der Mittel in Zusammenarbeit mit anderen Gebern und Akteuren hinarbeiten wird. Der Koordinationsansatz geht zunächst von einem von mehreren Gebern getragenen Projekt im Rahmen der Budgetplanung und Mittelverwendung aus und könnte dann auf weitere Sektoren übertragen werden. Beitrag der Programme zur Entwicklung Bei den Projekten ist ein Prozess von reiner Notlinderung über Rehabilitierung bis zur Entwicklung festzustellen. Während gerade im „Osttimor am Scheideweg“ 39 Bereich Rehabilitation gute Fortschritte zu sehen sind (siehe Krankenhäuser), hat der Schritt zur Entwicklung sicher durch die Ereignisse seit 2006 erhebliche Dämpfer erlitten, dennoch sind die Entwicklungsprojekte gerade im Bereich der ländlichen Entwicklung und der Institutionenförderung unerlässlich. Wichtig ist dabei die richtige Kombination von kurzfristig greifenden Maßnahmen, z.B. der Arbeitsplatzschaffung durch Beschäftigungsprogramme, mit den eher langfristigen der Institutionenförderung, z.B. der gesicherten Verwaltungsarbeit auf nationaler und regionaler Ebene, um den Staat dauerhaft im Bewusstsein der Bürger zu verankern. Überblick über die Mittelverwendung Insgesamt hat die Europäische Kommission seit der Unabhängigkeit Timor-Lestes ca. € 305 Millionen bereitgestellt (einschließlich der Mittel des 9. und 10. EDFs). Wenn man dazu die über € 440 Millionen Portugals zählt, liegt der Anteil der EU Hilfe an der Entwicklungshilfe aller Geber bei über 50%. Table: EU Unterstützung für Timor-Leste (aktuell laufende und geplante Unterstützung) Programm Betrag (in Millionen Euro) Asien/Lateinamerika (ALA) Europäischer (9./10. EEF) Budgetlinie 58.5 Entwicklungsfonds 99.0 Europäischen Entwicklungsfonds entfallen dabei auf die ländliche Entwicklung 55%, auf den Gesundheitssektor 21% und auf die Institutionenförderung ca. 18% der Mittel. Ausblick Die Europäische Kommission ist davon überzeugt, dass die Verwendung der Mittel den entwicklungspolitischen Schwerpunkten TimorLestes gerecht wird und dass mit den begleitenden Maßnahmen wie Ernährungssicherungsprogramm oder „Rapid Reaction/Stabilitätsprogramm“ angemessen auf akut auftretende Krisen reagiert werden konnte. Die Kommission ist sich mit den EU Mitgliedsländern darin einig, dass das Engagement für das Land lange genug bestehen bleiben muss, um dauerhafte Staatstrukturen zu sichern und dass dabei der Institutionenaufbau als der Schlüssel für ein ökonomisch unabhängiges und sich selbst tragendes Timor-Leste angesehen wird. Es bleibt zu hoffen, dass alle politischen Kräfte in Timor-Leste trotz aller Rhetorik weiterhin so konstruktiv wie bisher zusammenarbeiten, dass die Regierung angemessen auf die Probleme des Landes reagieren wird und eine rasche Lösung für den Sicherheitsbereich und die "Internally Displaced Persons“ finden wird. Es wird im Übrigen wichtig sein, dass bei allem Blick nach vorne auch an die Opfer des vergangenen Unrechts gedacht wird, denn nur so wird dauerhaft Frieden und Stabilität möglich sein. Thematische Budgetlinien • NGO Kofinanzierung 2.3 • Ernährungssicherungsprogramm 6.0 • Ernährungssicherungsprogramm 2008 5.0 Humanitäre (ECHO) Unterstützung 3.0 "Rapid Reaction" Programm 4.0 Insgesamt 177.8 Die Tabelle gibt einen Überblick über die aktuell laufende sowie geplante Unterstützung. Von der Unterstützung in der Asien-Budgetlinie sowie dem Focus Asien Nr. 31 „Osttimor am Scheideweg“ 40 Lessons Learned – Europäer in Osttimor Alexander Loch Die so genannten “malae” (Tetum: die Fremden) bilden eine merkwürdige Spezies in der ethnolinguistischen Vielfalt Osttimors. Man unterscheidet lokal die malae mutin (weiße Fremde), zu denen beispielsweise Europäer und Amerikaner zählen, die malae metan (schwarze Fremde), zu denen vor allem afrikanische Mitarbeiter der Vereinten Nationen gehören und einige schwieriger definierbare Zwischenformen (beispielsweise Asiaten), die nicht „vollwertig“ Osttimorese, aber eben auch nicht kategorisch „fremd“ sind. Die nachfolgenden Reflektionen gehen der Frage nach, was eigentlich Fremdheit in Osttimor konstituiert und wie sich insbesondere das Bild des „Europäers“ in den letzen zehn Jahren gewandelt hat. Die interkulturelle Begegnung wird dabei vor allem als wechselseitiger Lernprozess über „die Anderen“ verstanden1. Beobachtungen Als ich Osttimor das erste Mal kurz nach den Verwüstungen infolge des Unabhängigkeitsreferendums betrat, war das Straßenbild Dilis von den malae mutin geprägt: Kinder und Jugendliche, die bis dahin vor allem bapaks (indonesisch: Vater; „Herren“) als Inbegriff der Fremden (und FremdHerrschaft) kannten, schauten mit einer Mischung aus Faszination und distanzierten Schrecken auf die hoch gewachsenen, gut genährten Peace Keepers, UNTAET-Professionals, Fact-Finding Consultants, etc. In den Jahren 2002 bis 2005, in denen ich als „Gastarbeiter“ in Sachen Forschung und Entwicklung in Timor lebte, hatten die Reaktionen bereits eine etwas andere Qualität: Lief man einen Kilometer über eine ländliche Straße am Rande Baucaus, hörte man mindestens zehnmal ein „Helo Mister!“ – Ausdruck des Wunsches nach Kontaktaufnahme, Ehrerbietung und Selbstaussage über Fremdsprachenkompetenz mit tendenzieller Globalisierungsbereitschaft. Der malae war der „Entwickelte“, im Makassae als dai buti (edler Weißer) bezeichnet. Jedes Kind lernt, dass das Attribut „malae“ etwas Die Studien über Europa in Osttimor wurden freundlicherweise vom Deutschen Akademischen Austausch Dienst und dem Centre Asie Sud-Est unterstützt. Danken möchte ich zudem J. Bovensiepen, C. Peiffer, V. Prüller und M. van Eijk für wichtige Anregungen nach kritischem Lektorat des Manuskripts. Herkömmliches veredelt: eine Ziege (bibi) unterscheidet sich vom Schaf (bibi malae), eine einfache Machete (katana) von komplexeren Schneidewerkzeugen (katana malae), die gemeine Süßkartoffel (fehuk Timor) von importierten Kartoffeln (fehuk malae). Während die Alten, die in der portugiesischen Kolonialzeit das Licht Timor Loro Sa’es erblickten, bei genauerem Hinsehen während eines „Bon dia malae!“ mit dem Oberkörper noch dezent einknickten, näherte sich die generação foun (neue Generation; vgl. Carey 2003) nach der Unabhängigkeit einem malae bereits erhobenen Hauptes. Wer in Dili lebt, hatte gelernt, dass ein Helo-Mister2 auch abbrennen kann. Im Jahr 2008, als ich dann systematisch der Rolle Europas in Osttimor nachzugehen begann, erlebte ich in dem nun schon über sechs Jahre unabhängigen Land nochmals ein verändertes Begegnungsmuster, gemäß des Diktums, dass fremd in der Fremde nur der Fremde ist. Osttimoresische Taxifahrer und Lehrer – eine für kulturvergleichende Studien immer dankbare, international vergleichbare Grundgesamtheit – konnten sehr genau unterscheiden, mit wem sie es zu tun hatten: Das kognitive malae-Schema hatte sich weiter differenziert – es gab in der Gruppe der malae mutin nicht mehr nur die Subgruppen Portugiesen, Australier und „Andere“, sondern auch Binnendifferenzierungen waren bei den „Europäern“ möglich. Das neu entstehende Casa Europa im Stadtzentrum von Dili war als Manifestation überdauernder europäischer Präsenzbemühungen bereits bekannt – wenn auch bei weitem nicht so prominent wie die von China finanzierten Neu-Bauten in der Hauptstadt. Intellektuelle wussten davon zu berichten, dass es auch bei den Deutschen „Ostler“ und „Westler“ gäbe (vgl. V. Prüllers Beitrag in diesem Band über die osttimoresische firakukaladi Debatte in den Jahren 2006/2007). Die Faszination an den Fremden war routiniertem Umgang mit ihnen gewichen. Im Fremden wird bereits auch Eigenes erkannt. Der mala’e-Bonus 1 Focus Asien Nr. 31 Gleichnamiger Supermarkt, der primär den expatriierten Konsumbedarf während der UNTAET bediente und während der Ausschreitungen im Jahr 2002 attackiert wurde. 2 „Osttimor am Scheideweg“ 41 schien geringer, vielleicht gar aufgezehrt. Was ist geschehen? Die ersten Europäer in Osttimor Die frühesten schriftlichen Informationen über vorkoloniale Fremdkontakte der Osttimoresen mit ihren regionalen Nachbarn stammen aus dem zwölften und dreizehnten Jahrhundert, als chinesische Händler bereits von Sandelholzvorkommen berichteten. Aus dem vierzehnten Jahrhundert ist ein Dokument überliefert (Negarakertagama), das die Tributpflicht Timors gegenüber dem MajapahitKönigreich bezeugt. Europäer traten seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts auf den Plan. Nach der Eroberung Malakkas durch Alfonso de Albuquerque drangen portugiesische Seefahrer – und in ihrem Gefolge später dann Händler und Missionare – weiter in den Archipel vor und erreichten alsbald Osttimor, dessen Bevölkerung noch nicht von dem sich aus Malaysia im fünfzehnten Jahrhundert ausbreitenden Islam erreicht worden war. Die ersten europäischen Quellen stammen aus dem Jahr 1522 von Pigafetta, einem Chronisten des Magellan (vgl. Durand 2006). Interessant für die Frage nach der Generierung von Selbst- und Fremdbildern ist der seit dem sechzehnten Jahrhundert anhaltende Kontakt osttimoresischer „cultural broker“ mit den Europäern. Wie auch in britischen, französischen oder spanischen Kolonialverwaltungen benötigten die Portugiesen alsbald lokales Personal. Über die Jahrhunderte führte für letztere der administrative Wissensvorsprung, ihr Zugang zu katholischen Bildungsträgern und der anhaltende Kontakt zu den auf Timor stationierten Portugiesen zu einer Elitenbildung, wie sie auch in anderen Kolonien beobachtbar war. Während sich der britische Gentleman in der Regel jedoch nicht gerne mit der Damenwelt in der Fremde mischte, haben sich Portugiesen in Brasilien, Mozambique und eben auch in Osttimor durchaus „unters Volk“ begeben und lokal reproduziert. Es entstand in Osttimor alsbald eine Schicht der „schwarzen Portugiesen“ (Swarte Portugueezen) oder Tupassi (von topi; sie galten als die „Leute des Hutes“) und wurden vor allem als Larantuqueiros (von Larantuaka) oder eben Topasses bekannt. Diese Topasses bildeten Allianzen mit den lokalen Gruppen und wurden, während die Niederländer 1613 Solor eroberten, für die nächsten 200 Jahre die dominierende Handelsmacht der Region, die sich den Niederländern zu widersetzen vermochte. Sie waren römisch-katholisch, sprachen Portugiesisch und vermochten neben ihren Muttersprachen aus Timor (oder Flores) zumeist noch eine weitere HandelsFocus Asien Nr. 31 sprache zu sprechen. Interessanterweise werden solche Mestizen heutzutage noch als malae oan (Kinder der Fremden) bezeichnet. Auch gegenwärtige politische Führer entsprechen diesem Mischungs-Schema3. Zu den prominentesten zählen sicher José Ramos-Horta und Xanana Gusmão. Letzter repräsentiert zudem ein Modell, wie man als Osttimorese im 21. Jahrhundert transnationale Beziehungen auch im privaten malae-Kontakt gestalten kann.4 Rezente Mischungen: Eine Art neuer Topasses? Zeichnete sich der Einfluss Portugals auf Osttimor in der Vergangenheit durch seine zeitliche Extension aus, so sind die Kulturkontakte in den Jahren 1999 bis 2002 vor allem durch ihre Plötzlichkeit und Intensität charakterisierbar: Die Fremden kamen, verwalteten – und blieben nur zu Teilen. In der Hochphase der Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen (UNTAET) und der internationalen Friedenstruppe (PKF) waren phasenweise 15.000 malae im Land. Wieder blieb es nicht aus, dass nach ihrer Landung lokales Verwaltungspersonal rekrutiert wurde. Englischsprachige Übersetzer erfuhren beispielsweise eine enorme Aufwertung auf dem lokalen Arbeitsmarkt. Eine Generation junger und gebildeter Timoresen reifte in den Folgejahren heran, deren Zeit offensichtlich gekommen war. Als Jugendliche hatten sie in indonesischen Schulen für ihre independensia gekämpft, nun griffen sie begierig die neuen Identifikationsmodelle und Modernisierungsversprechen auf. Im Kontakt mit den malae wurde partiell – so gut es eben ging – deren westlicher lifestyle erprobt. Handys wurden populär, Sonnenbrillen im Stil internationaler Polizisten galten als cool. Es verwundert kaum, dass auch in dieser Zeit junge Männer (weniger Frauen) intime Bande mit den neuen malae schlossen, auch wenn deren Wertesystem sich mit dem osttimoresischen nicht immer als kompatibel erwies. Andere Mischungsresultate, wie beispielsweise die kore-metan Musik, werden zwischenzeitlich als genuin osttimoresisch perzipiert. 4 Xanana Gusmão ist mit der Australierin Kirsty Sword Gusmão verheiratet [Anm. der Hrsg.]. 3 „Osttimor am Scheideweg“ 42 Exkurs: Osttimoresisch-deutsche Allianzen Betrachtet man einmal die Fälle interpersoneller Attraktion, die zu längerfristigen Bindungen zwischen Osttimoresen und in Osttimor tätigen Deutschen führten, so fällt ein Phänomen besonders auf: Es sind fast ausschließlich Paarkonstellationen eines osttimoresischen Mannes mit einer deutschen Frau (was nicht auf einen statistisch signifikanten expatriierten Frauenüberhang zurückführbar ist.) Die Ursachen hierfür sind sicher zunächst und vor allem in den Einzelbiographien der Paare zu suchen – doch lohnt sich zudem ein Blick auf die kulturell geprägten Vorstellungen von Allianz und Partnerschaft. Das osttimoresische „hola feto“ (Tetum: „eine Frau erwerben“) scheint den deutschen Kulturstandards von „echter Freundschaft“ und „gleichberechtigter Partnerschaft“ (und mitunter Säkularismus und Emanzipation) diametral entgegen gesetzt. Es muss also quasi ein doppelter Liebesbeweis erbracht werden: Beide müssen zu der eigenen Kultur ein Stück weit in Distanz treten (und dies auch bei gemeinsamer neolokaler Residenzwahl, wie sie in zwei Fällen bevorzugt wurde). Der gebildete osttimoresische Mann muss sich von dem präskriptiven Heiratsmuster seiner Kultur verabschieden; deutsche Frauen müssen sich erst einmal verständlich machen (und beispielsweise Tetum lernen). Dem steht im zweiten Schritt jedoch ein doppelter Beziehungsgewinn entgegen. Systemimmanent kann Er gegenüber seiner Verwandtschaft argumentieren, dass die Familie einer Fremden wohl kaum berlake – also die regional variablen traditionellen Kompensationsleistungen wie Büffel oder Schwerter – fordern wird. Umgekehrt hat die seitens deutscher Frauen oft wahrgenommene soziale Kompetenz osttimoresischer Männer, die in Großfamilien mit vielen Kindern aufwuchsen, in ihrer Herkunftskultur allein schon demographisch bedingt Seltenheitswert. Ein Schlüssel zum Verständnis des „Erfolgs“ osttimoresisch-deutscher Mann-Frau Konstellationen ist also eine gewisse Passung; bei umgekehrter Partnerwahl hätte es ein deutscher Mann hingegen sicher besonders schwer, sich in das Gewebe osttimoresischer Selbstverständlichkeiten seiner umane (als rituell überlegen angesehene Frauengeber, s.u.) zu integrieren. Er wäre früher oder später in vollem Umfang mit deren Erwartungen nach Kompensation für „den mütterlichen Schweiß und das Feuerholz“ konfrontiert, das heißt, eine Balancierung der Mühen, die die Mutter einst mit der Tochter hatte (bzw. zukünftig haben wird, da diese Hilfe im Haushalt fehlt). Die von vielen malae eher belächelFocus Asien Nr. 31 ten Büffelzahlungen wären dabei nicht das Problem, sondern die Lösung. Ein vor der Heirat erfolgendes interfamiliäres Arrangement dient nach Ansicht gebildeter Osttimoresinnen nämlich gerade dazu, permanente Forderungen im umane-fetosaan-Gefälle, die über vereinbarte Leistungen hinaus gehen, zu vermeiden. (zu traditionellen, zeitgenössischen und katholischen Heiratsvorstellungen in Osttimor vgl. Loch 2007, S. 173ff). Duale Klassifikation der malae Neben den universalen Kategorien Mann/Frau und fremd/eigen sowie den groben Hautfarbenindikatoren weiß/schwarz gibt es eine weitere wichtige Unterteilung, der man in Osttimor begegnet bevor die Differentialbetrachtung einsetzt. Sie wird durch die (zunächst banal anmutenden) Attribute diak und la diak (gut/nicht gut) vorgenommen. Jeder Besucher der Insel kennt die Frage „Diak ka la’e?“ (wörtlich: gut oder nicht), die umgangssprachlich vor allem zur Begrüßung verwandt wird. In ihr kommt maximal verdichtet ein Grundprinzip dichotomischer Wirklichkeitsorganisation zum Ausdruck, das für viele Ethnien der AlorPantar-Timorgruppe und des östlichen Indonesien als typisch gilt. Dieser so genannte symbolische Dualismus zeigt sich in einer ausgesprochen dualen Organisation kategorialer Schemen, die insbesondere im sozialen Arrangement sichtbar wird (vgl. Fox 1986). Es gibt immer Paare von Gegenteilen, wie Himmel/Erde, innen/außen, sakral/profan, wobei das Komplementaritätsprinzip besagt, dass diese asymmetrisch sind und die Elemente zueinander in hierarchischer Ordnung stehen. Im traditionellen Modus Osttimors sind beispielsweise Frauengeber (umane) und Frauennehmer (fetosaan) komplementär, erstere jedoch den zweiten spirituell überlegen. So verwundert nicht, dass auch bei den Fremden diese zwei Erscheinungsformen unterschieden werden, wobei natürlich der malae diak seinem negativen Pendant vorgezogen wird. Das Prädikat „schlecht“ wird im direkten Dialog nicht rückgemeldet. In einer Dreierkonstellation kann Timorese A jedoch durchaus unter Anwesenheit des malae an Timoresen B neben dem Hinweise auf die Nationalität des Fremden erwähnen, dass es sich um einen „malae diak“ handelt. „Er/Sie ist ein(e) Gute(r)“. Die Komplexitätsreduktion als solche ist dabei solchermaßen nichts Timor-Spezifisches (vgl. beispielsweise die Unterteilung der Welt in „Osttimor am Scheideweg“ 43 Schurkenstaaten, Achse des Bösen, Allianz der Willigen etc.). Regionalspezifischer ist die Definition und Assimilation der Fremden in die eigenen familiären Netzwerke; in der Mythologie der Mambai werden die Fremden als rückkehrende verlorene Kinder früherer Zeiten definiert; die Portugiesen gelten dann als jüngere Brüder der Timoresen, die einst ihr Land verließen und später zur Herrschaftsausübung zurückkehrten. Die malae greifen ihrerseits häufig das duale Schema auf und sind bemüht, es kontrastiv aufeinander anzuwenden. Als Portugiese wird man nicht gerne mit einem Australier verwechselt – und umgekehrt. Mittels symbolischer Handlungen (inklusive so genannter Entwicklungshilfe und Stipendien) wird deutlich gemacht, wem Timor wie viel wert ist, kurzum, wer die guten malae repräsentiert. Europäer und Osttimoresen: Ein clash of civilisations? Europa ist fern. Es wird allenfalls auf Arbeit in Irland gehofft und zu Portugal existiert eine gespürte Nähe. Diese ist ambivalent und ungleich verteilt. Die einen distanzieren sich von der schwierigen Nationalsprache, die ihnen von ihren politischen Führern aufgezwungen und von malae-Lehrerinnen mehr schlecht als recht nahe gebracht wird; die anderen glorifizieren ein Portugal, das ihnen zu eigener Identität als kleine Halbinsel zwischen dem bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Erde und dem großen Kontinent Australien verhalf. Flaggen aus portugiesischer Kolonialzeit wurden aufbewahrt und die Kreolsprache Tetum Prasa mit vielen Begriffen aus dem Portugiesischen angereichert. Dass man qua portugiesischen Erbes zur „westlichen Zivilisation“ zählt, brachte beispielsweise ein Lehrer in Baucau zum Ausdruck, als er erläuterte, wie sich seiner Meinung nach Osttimoresen und Indonesier unterschieden: Erstere nähmen eine Gabel zur Hand, letztere essen mit den Händen. Und: „Käme jemals ein al-Qaida Mitglied nach Osttimor, wäre er leicht zu enttarnen, auch wenn er wie ein Osttimorese aussähe. Er spräche nämlich kein Portugiesisch!“ Jesus kam bekanntlich irgendwo südlich von Europa zur Welt … - mit dem „abendländischen Denken“, also einer nicht geographisch verorteten Wertegemeinschaft kann man sich identifizieren. Dieses stellt insbesondere einen ideellen Kontrast zum (islamisch geprägten) Orient dar. Doch sind die Wertesysteme des modernen Europa meilenweit von Osttimor entfernt. Bereits während der UN Übergangsverwaltung beklagte Xanana Gusmão Focus Asien Nr. 31 den „clash“ seines Landes mit den Expats und konstatierte an obsessive acculturation to standards that hundreds of international experts try to convey to the East Timorese, who are hungry for values: democracy (many of those who teach us never practised it in their own countries because they became UN staff members); human rights (many of those who remind us of them forget the situation in their own countries); gender (many of the women who attend the workshops know that in their countries this issue is no example for others); NGOs (numerous NGOs live off the aid „business” to poor countries); youth (all those who remind us of this issue know that in their countries most of the youth are unemployed)” (Gusmão 2000). Doch die vieldiskutierte Huntingtonsche These über einen „Kampf der Kulturen“ (1996) scheint in Bezug auf Osttimor zu kurz zu greifen (zudem wurde ihr zugrunde liegender abstrakter, gewissermaßen modellplatonischer Kulturbegriff zu Recht kritisiert). Seit 1999 ist dort vielmehr eine Reihe von „clashes within civilization“ zu beobachten, wie sie für Übergange von traditionalen zu sich modernisierenden Gesellschaften nicht unüblich sind (vgl. Senghaas 1998; Kingsbury & Leach 2007). Modernisierungsschübe und Kulturbrüche sind auch aus der Geschichte Europas bekannt; in Osttimor verlaufen die Konfrontationserfahrungen seit 1999 entlang mindestens dreier Achsen: moderner Staat, traditionelle Ordnung und katholische Kirche. Lessons learned Bei Begegnungen von Osttimoresen und Europäern sowie anderen malae handelt es sich um Kulturkontakte von Individuen mit überaus unterschiedlichen soziohistorischen Erfahrungen, gegenwärtigen Lebenssituationen und kulturellen Orientierungen. In der Fremdbegegnung erfolgt Identitätsarbeit; gerade mit den malae kann Ähnlichkeit konstruiert und fassbar, zugleich aber auch distanzierend „das Eigene“ kontrastiv erfahrbar gemacht werden. Doch unterscheidet sich osttimoresisches Denken und die Perzeption der „Anderen“ kaum von den Grundprinzipien und universalen Mustern des Kulturkontakts, die aus der xenologischen Forschung bekannt sind: Alle Völker kennen neben sich selbst die „Anderen“ – seien es Barbaren hinter den Schutzwällen eines römischen Reiches oder die geographisch „Osttimor am Scheideweg“ 44 benachbarten Ethnien im nächsten Tal Papuas, die man fürchtet und abwertet, während man die eigene Gruppe als „die Menschen“ bezeichnet (vgl. Barth 1969). Das Besondere an den Europäern ist, dass sie einstmals synonym mit „den Portugiesen“ waren und sich erst allmählich – gerade durch die nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit von Iren und Deutschen – nationale Schemata sui generis bilden. Während man in Europa mittels Reformverträgen um einen schwierigen Vereinheitlichungsprozess ringt, schreitet in Osttimor die Differenzierung der Europäer voran. Do Transitional Administrations Fail? Kosovo and East Timor in Comparison Daniella Christova Schmitt Introduction In the post-Cold War world order, the issue of failed states has become increasingly important. The attacks of 9/11 magnified how detrimental failed states could be to international and national peace and security. They resuscitated the relevance of failed states’ post-conflict reconstruction in the study of International Relations. This paper examines the post-conflict reconstruction initiatives of the United Nations (UN) via the instrument of transitional administrations (TAs). A TA aims to develop within a failed state ‘the institutions of government by assuming some or all of those sovereign powers on a temporary basis’ in the hope of building lasting peace (Chesterman 2001: 3). Failed or weak states are not a new phenomenon. Krasner (1999: 69), for instance, argues that globalization, weak states and porous borders are no new occurrence. However, what has changed in the post-Cold War environment is the concept of sovereignty. The Westphalian or classical norm of sovereignty presupposes the nation-state’s right to non-intervention in its domestic affairs by others. Today, the development and strengthening of a new norm can be witnessed: the responsibility to protect (R2P). It is based on the moral obligation and responsibility of states to protect their citizens and to guarantee security. If a nation-state is unable or unwilling to undertake this responsibility, it becomes the duty of the international community to intervene in the state in question. The very social contract, which provided the modern state with a means of existence, is today no longer perceived as inviolable, but as a duty, which when unfulfilled will be delegated to the international society of states. For Zartman (1995: 5), a state that has collapsed ‘has lost the right to rule’ inviting with this statement the international community to Focus Asien Nr. 31 intervene and take charge of state reconstruction and the provision of basic goods and services. The responsibility to protect (R2P) principle was officially endorsed in 2001 by the International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS) and has further been institutionalized by the establishment of the UN Peacebuilding Commission in December 2005. Former UN Secretary General Kofi Annan (2006) stated that peacebuilding requires ‘national ownership’ whereas his successor in office, Secretary-General Ban Ki-moon (2007), concluded that the Peacebuilding Commission ‘must be based on both national ownership and international partnership’. Hence, the need for partnership between all stakeholders involved has been stressed by the UN. The need for partnership in ownership is also the starting point of this study. Research Question This paper attempts to answer the principal question of whether the UN’s peace-building efforts in failed states via transitional administrations are successful in achieving their end goal of handing over power to the local population, i.e. local ownership. In answering this research question it is important to specify the parameters of success for peacebuilding. Achieving local ownership that will enable long-lasting peace is the initial motivation for the establishment of transitional governance. TAs sooner or later need to hand over power to the local leadership. This step will be deemed, in minimalist terms, as a success. In contrast, its inability to leave a particular failed state will be deemed as failure such as in Kosovo or Bosnia-Herzegovina. A maximalist defi„Osttimor am Scheideweg“ 45 nition of success of transitional governance often involves a measure over time – i.e. a measure of whether the objectives of the specific UN mandate have been attained in five or ten years after UN departure. However, in both the independent republics of Kosovo and Timor-Leste, it has been too soon to judge whether the peace created will be sustainable. Fully aware that no measure of success can be completely isolated, this study advances the idea that it is fruitful to speak of stages of success whereby the attainment of one stage is deemed as a necessary condition to attain the next stage. This proposition draws on current and ongoing research within the field of international organizations claiming that inclusive institutions are also effective institutions. The inclusive/effective dichotomy of peacebuilding suggests that the international legitimacy of a peacekeeping mission, which is authorized by a UN Security Council (SC) Resolution, is not the only valid dimension for peacebuilding. Rather, the input stage of legitimacy described as ‘government by the people’ is just as important as the output stage ‘government for the people’ (Göbel, forthcoming, Rittberger, Huckel et al. 2008). This paper suggests that the external (macro) dimension of peacebuilding is just as important as the internal one (mezzo – national and micro – local dimension). Most of the analytical research on international peacebuilding focuses on the macro dimension of transitional authorities. In other words, it is an analysis of what went wrong with a specific peacebuilding mission in hindsight attempting to establish benchmarks of success for future missions. This perspective is predominantly descriptive and policy-oriented in nature. Little attention has been given to the micro dimension of analysis, in which conflicting ethnic interests become evident in the peacebuilding process. As Talentino (2007: 152-3; 156) notes the ‘essential building block of peace’, meaning ‘the perceptions of local citizens and their willingness to support reform’ has been ignored at the expense of focusing on external actors. However, institutions command authority by being responsive to the demands of their citizens. It is this democratic process of demand and supply, which – according to Talentino – determines an effective institution. Propositions Based on the inductive comparison between the UN Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK 1999- ) and the UN Transitional Administration in East Timor (UNTAET 1999-2002), this paper formuFocus Asien Nr. 31 lates two propositions with regard to transitional administrations. Firstly, peacebuilding in failed states is more likely to be successful if conflicting ethnic interests with regard to political goals are low, and secondly, peacebuilding in failed states is more likely to be successful if it involves local ownership. In other words, a state cannot be constructed successfully only from the outside. Peacebuilding equally needs to take place at the grassroots’ levels. Good governance cannot just be taught to become successful. The local population also needs to experience and adopt it. This process corresponds to the notions of inclusiveness and local ownership in the peacebuilding literature. It implies the need for local participation in order to legitimize the peacebuilding process. Unlike some authors who have warned against having local ownership as a means to an end (Chesterman 2007 and Paris 2004) due to a possible return to violence, this paper sees a need for local ownership in the peacebuilding process both on the input- and output-level. The Cases of Kosovo and East Timor The two case studies of UNMIK and UNTAET have been selected for several reasons. Firstly, they present two recent UN peacebuilding missions in which governance of a territory has been temporarily and completely taken over by a UN administration. Secondly, the contemporary peacebuilding literature has often referred to Kosovo as a failure whilst portraying East Timor as a success story. The latter managed to attain independence on 20 May 2002. Kosovo, however, which declared unilateral independence on 17 February 2008, has received a slow response in international recognition. This has been due to the fact that it was a unilateral act by the Kosovo Assembly, which was not solicited by UNMIK. This is why it can hardly count as a success story amongst peace builders. Ironically UNMIK and the European Union (EU) are continuing their presence in the independent country. Thirdly, although Kosovo and East Timor are both ethnically heterogeneous societies, UNMIK’s functioning has been impeded by boycotting actions of the Serb minority in Kosovo whereas no such action was evident in East Timor. In fact, most authors agree that there is a nascent collective identity in East Timor (see Loch 2007). This kind of identity is still lacking „Osttimor am Scheideweg“ 46 in Kosovo. Finally, both regions have had little experience as independent countries. The Institutional Level The mandates of the two missions have been considerably different. On the one hand, UNSC Resolution 1244 establishing UNMIK was vaguely worded and paradoxically provided for ‘substantial autonomy and meaningful self-administration for Kosovo’ (preface to UNSCR 1244) while committing to the ‘territorial and sovereign integrity of the Federal Republic of Yugoslavia’ (UNSCR 1244 – preface; Annex 1; Annex 2, paragraph 8). On the other hand, UNSC Resolution 1272 establishing UNTAET had the clear purpose of administering the non-selfgoverning territory and preparing it for independence (UNSCR 1272, preface referring to the May 5, 1999 Agreements between Portugal and Indonesia). Moreover, unlike UNMIK, UNTAET was required to ‘consult and cooperate closely with the East Timorese people’ (Chesterman 2007). The National Level Two major differences can be identified on the national level. Firstly, unlike Serbia, Indonesia officially accepted the outcome of the 1999 popular consultation even if its security forces left on a trail of destruction. In a process of “Timorization,” mixed levels of government involving internationals and local leaders were established. Only eighteen months after UNTAET had been set up, a public administration solely consisting of East Timorese ministers was in place (Smith & Dee 2003: 60-65). In contrast, Serbia has been unwilling to accept any referendum results for independence in Kosovo. Politicians have been trying to broker a deal between Kosovo Albanians and Serbs to no avail. Secondly, conflicting ethnic interests in Kosovo have permeated important national structures such as the judiciary and the police service. This has led to corruption and a lack of indictment against perpetrators of mass crimes against humanity. A concentrated Serbian minority resides north of the river Ibar, which has established parallel judiciary, health care and education systems. These are known to exist for fear of discrimination, directly subsidized and supported by the Federal Republic of Serbia (ICG 2007). These parallel institutions do, however, impede the functioning of the local administration. In East Timor no parallel structures within society have been reported and the local population itself has been the driving force behind the process of “Timorization”, for it was the people that called for Focus Asien Nr. 31 the replacement of the initial National Consultative Council with a National Council to include more members of civil society, youth groups, women, the Church and previous resistance leaders (Chesterman 2004). The Local Level On the local level, the most salient distinction between Kosovo and East Timor has been the existence or absence of conflicting ethnic interests. The latter can be measured best with regard to the inclusiveness of different segments of society in the peacebuilding process. The existence or absence of irreconcilable differences within society can be identified by scrutinizing the multiethnic structure of the society during the peacebuilding process. Thus, the participation of ethnic minorities in local elections and in government, the occurrence of large-scale violence after UN deployment, the existence of parallel institutions, segregation, the division of the territory and population according to ethnicity and the formation of political parties along ethnic lines can all be seen as criteria determining conflicting ethnic interests. According to these criteria Kosovo has various segregation lines signifying a nonexistent collective identity beyond the Serbian or Albanian identification. East Timor, on the contrary, has been united by its nascent pride in a collective East Timorese identity referring to its collective struggle against the Indonesian occupation (Loch 2007: 55). Ramifications De jure, a lot has been achieved in Kosovo – Provisional Institutions for Self-Government (PISG) were set up in 2001, and regular elections have taken place since 2000. De facto, the latter have almost always been boycotted by the Serbian minority, which is why the peacebuilding process has been lacking local ownership. The analysis of the international, national and local levels of UNMIK shows that conflicting ethnic interests have permeated every level of UNMIK. These interests have hampered the Mission’s successful termination starting from the mandate specifics and status question and ending with the local participation in government. Ironically the international community became involved in Kosovo in order to protect the Albanians from the Serbs, and ended up with protecting the Serbs from the Albanians. „Osttimor am Scheideweg“ 47 After nine years of international involvement the question of minority rights protection in Kosovo has remained unresolved. It is doubtful that the international community (be it the UN or the EU) will succeed in leaving the region in the near future. The current situation in East Timor has been equally troubling. Riots and fierce fighting between government troops and disaffected military troops erupted in April 2006. Further outbreaks of violence followed in February and March 2007, and a renewed United Nations Integration Mission in Timor-Leste (UNMIT, 2006 – present) is currently backing the East Timorese government in the reconstruction of the security sector. Despite all previous achievements, the question needs to be raised as to whether East Timor’s independence was celebrated too quickly, and if the country was sufficiently institutionalized to meet its old feuds. East Timor has recently returned to global attention as a potentially failed state. Further analytical effort needs to be made in identifying at what stage the successful record of this peacebuilding mission was interrupted, leading to the return of violence. Were the created institutions not sufficiently inclusive, and therefore ineffective? Have UNTAET’s successor missions, UNMISET (2002-2005), UNOTIL (20052006) and the current UNMIT (2006- ) managed to integrate the local stakeholders adequately to promote lasting and effective post-conflict institutions and peace? Conclusion In this paper I have compared two recent examples of UN TAs: UNMIK in Kosovo and UNTAET in East Timor. Responding to my research question of whether UN TAs are successful in handing over power to the local population, two propositions have been put forward. Firstly, such initiatives are more likely to be successful when enjoying stronger local involvement and secondly, local involvement is likely to be influenced by the presence of conflicting ethnic interests. In the Kosovo setting, paramount conflicting ethnic interests are clearly identifiable. This raises the question as to whether TAs are in fact capable of resolving conflicting ethnic interests in the first place. In the East Timor setting, the nascent collective identity has proven to be a powerful steering mechanism of the process of “Timorization” and local involvement in the international structures set up by the TA. The inductive comparison between Kosovo and East Timor has illustrated that the success of a TA depends equally on the macro, as well as the mezzo and micro levels of analysis and the interplay between them. This idea has been largely omitted by the majority of peacebuilding literature up until now, for it has concentrated above all on the macro dimension of analysis. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Timor-Leste Manuel Schmitz, Volker Sowade Interview von Manuel Schmitz mit Volker Sowade, verantwortlich für Timor-Leste im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Dieses Interview spiegelt ausschließlich die private Meinung des Interviewpartners und keine offizielle Haltung des BMZ wider. Seit dem Jahr 2008 konzentriert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sein Engagement nur noch auf 58 ausgewählte Partnerländer und einige weitere Länder weltweit. Auf dieser „Länderliste“ ist auch Timor-Leste vertreten. Was verdankt das Land seinen Platz auf dieser Liste? Und wie sicher ist dieser Listenplatz? Focus Asien Nr. 31 Die so genannte Länderliste ist ein internes Papier des BMZ, das die Zusammenarbeit mit verschiedenen Ländern definiert. Es ist richtig, das auf der jüngsten Liste Timor-Leste verzeichnet ist. Der Grund dafür – und damit der Wille, die Kooperation mit Timor-Leste fortzusetzen – liegt in der derzeitigen Situation des Landes. Timor-Leste braucht Unterstützung in der Bewältigung der Krise, die zu großen Teilen von der Perspektivlosigkeit der Bevölkerung geprägt ist. Hier kann und will sich die Bundesregierung nicht zurückziehen. Insofern werden wir bis auf weiteres unsere Beiträge leisten. Seit der Unabhängigkeit Osttimors engagiert sich eine Vielzahl von Gebern in dem Land. „Osttimor am Scheideweg“ 48 Wie viel Geld ist bisher aus dem Etat des BMZ nach Timor-Leste geflossen? Welchen Platz nimmt die BRD damit in der internationalen Gebergemeinschaft ein? Seit 1999 sind aus dem Haushalt des BMZ rund 40 Mio. EUR zugesagt worden. Damit nimmt Deutschland derzeit den achten Platz in der internationalen Gebergemeinschaft ein. Der Betrag zugunsten des Landes ist aber noch viel höher, da sich die Bundesrepublik Deutschland auch an der Finanzierung der Vereinten Nationen, der Weltbank, der Asiatischen Entwicklungsbank, der Europäischen Gemeinschaft und anderen beteiligt. Wie steht Timor-Leste im Vergleich mit anderen Empfängerländern da? Wie groß ist das Interesse an der kleinen Inselnation im BMZ? Der von den Gebern zugesagte Betrag pro Kopf lässt sich sehen. Das Interesse an dem Land definiert sich aber nicht nur über finanzielle Kennzahlen (einschl. Im- und Export). Das Interesse an dem Land lässt sich m. E. gut daran messen, dass TimorLeste durch die Gebergemeinschaft immer noch aktiven Know-how-Transfer zur Entwicklung des Landes erhält. Im Übrigen haben wir alle ein Interesse daran, dass sich das Land stabilisiert und dafür ist Entwicklung eine Voraussetzung. Wo liegen die Schwerpunkte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Timor-Leste? Warum wurden gerade diese ausgewählt? Die Schwerpunkte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit liegen im Maritimen Transport, in der Ländlichen Entwicklung und in der Bewältigung der Krise. Mit gezielten Maßnahmen innerhalb der Schwerpunkte können wir helfen, wichtige entwicklungshemmende Lücken zu schließen. Zudem können wir uns in den Bereichen nutzbringend einbringen, in denen wir Stärken aufweisen. Stichwort: Komparative Vorteile nutzen. Mit „Krisenprävention und Konfliktbearbeitung“ ist ein neuer Schwerpunkt hinzugekommen. Werden dafür auch neue Mittel bereitgestellt oder geht dies auf Kosten des anderen Schwerpunktes „Ländliche Entwicklung“? Es handelt sich um zusätzliche Mittel. Es geht also nicht zu Lasten anderer Maßnahmen. Wie muss man sich das deutsche Engagement vor Ort vorstellen? Welche konkreten Projekte werden gefördert? Focus Asien Nr. 31 Wir haben z. B. ein Fährschiff finanziert, das die Anbindung der Enklave Oecussi an das Stammland sichert und auch den für die Entwicklung wichtigen Warenaustausch und Personenverkehr erleichtert. Des Weiteren engagieren wir uns mit einem Programm in der ländlichen Entwicklung. Dort lernen insbesondere junge Menschen, wie man z. B. die Flächenerträge im Reisanbau erhöht. Dadurch wird u. a. ein wichtiger Beitrag zur Ernährungssicherung des Landes geleistet. In der Diskussion über das internationale Engagement in Timor-Leste ist immer wieder zu hören, es gäbe zu viele Köche, die den Brei verderben. Ist diese Aussage zutreffend? Wie gestaltet sich die Geberkoordination in der Praxis? Es gibt zwar einige Köche (aber nicht so viele wie in anderen Ländern), die hervorragende Rezepte mit sehr guten Zutaten besitzen, nur ist es nicht immer ganz so einfach, dass der Küchenchef sagt, wie alle Köche gemeinsam ein sinnvolles Menü zaubern sollen. Die Regierung von Timor-Leste weiß selber, dass sie für die Geberkoordinierung zuständig ist. Das BMZ spricht darüber hinaus regelmäßig mit anderen Gebern, wir wollen möglichst unsere Kräfte bündeln. Weder unterhält Deutschland eine eigene Botschaft in Dili noch Timor-Leste eine Vertretung in Berlin. Erschwert dies nicht erheblich die Entwicklungszusammenarbeit? Nein, erheblich erschwert ist die Zusammenarbeit dadurch nicht. Natürlich ist eine Botschaft vor Ort „mitten drin“, aber durch gut funktionierende Informationswege werden alle Stellen versorgt, die für die Entwicklungszusammenarbeit zuständig sind. Das Land verfügt über nicht unbeträchtliche Ölvorkommen, sein Petroleum Fund ist bereits knapp zwei Milliarden US-Dollar schwer. Ketzerisch gefragt: Braucht Timor-Leste überhaupt Entwicklungshilfe? Timor-Leste verfügt noch nicht in ausreichendem Maße über gut ausgebildete Fachkräfte. Diese Fachkräfte sind zwingend erforderlich, um z. B. das eigene Budget zielgerichtet, effektiv und effizient einsetzen zu können. Unser Beitrag ist es unter anderem, durch Ausbildungsmaßnahmen den Fachkräftemangel abzubauen. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns auch „Osttimor am Scheideweg“ 49 weiterhin in diesem Feld engagieren. Außerdem möchten wir im Bereich Friedenserziehung und – prävention durch finanzielle Beiträge und durch einen Dialog Akzente setzen Also kurz: Ja, Timor-Leste benötigt noch Unterstützung. Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Hemmnisse für eine nachhaltige Entwicklung des Landes? Und welchen Beitrag kann Deutschland leisten, um diese zu überwinden? Für eine nachhaltige Entwicklung sind aus meiner Sicht gute Rahmenbedingungen äußerst wichtig. An denen mangelt es noch in vielen Bereichen. Dessen ist sich die Regierung des Landes selber bewusst. Deutschland versucht durch längerfristiges Engagement an Schlüsselstellen sichtbare, Struktur bildende Ergebnisse (z. B. durch direkte Regierungsberatung) zu erzielen. Geld ist bekanntermaßen nicht alles. Was benötigt Timor-Leste noch? Visionen und die Befähigung sowie Bereitschaft, steinige Wege erfolgreich gehen zu können – auch alleine. Negative Nachrichten bestimmen zurzeit die Berichterstattung über Timor-Leste. Ist das Land tatsächlich auf dem Weg, ein „failed state“ zu werden? Timor-Leste ist kein „failed state“. Dadurch, dass die Regierung des Landes mehr und mehr versucht Reformen auf den Weg zu bringen, Korruption zu bekämpfen, den Menschen Perspektiven zu eröffnen und vor allem für Sicherheit und Ordnung zu sorgen, sind Entwicklungsperspektiven vorgegeben. Bei diesen Herausforderungen ist die Staatengemeinschaft behilflich. Ich persönlich habe die Hoffnung, dass die kleine Republik sich politisch und wirtschaftlich stabilisieren wird. Osttimor in den deutschen Medien Marco Bertolaso Weniger Interesse als für Sylt Osttimor spielt in Deutschland so gut wie keine Rolle in den Medien. Diese Behauptung ist nicht gewagt, auch wenn an dieser Stelle keine umfassende Bestandsaufnahme der Berichterstattung in Presse, Radio, Fernsehen und Internet geboten werden kann. Die Feststellung entspricht unser aller Erfahrung als Mediennutzer. Das ist zwar nur eine subjektiv-empirische Beweisführung. Doch sie lässt sich mit Stichproben untermauern, etwa mit der folgenden: Im Deutschlandfunk können wir auf eine Datenbank zurückgreifen, in der seit 1996 überregionale und wichtige regionale Zeitungen dokumentiert sind. Hier finden sich (Stand 5. Mai 2008) über diese zwölf Jahre für Osttimor knapp 2.400 Einträge. Sylt kommt auf eintausend mehr. Das Ergebnis wäre sicher noch eindeutiger, wertete man alle Publikationen aus und nicht nur die Qualitätspresse. Grönland, ein ebenfalls fernes und für Deutschland nicht lebenswichtiges Territorium, liegt ungefähr gleichauf mit Timor, und das obwohl sich dort in den vergangenen Jahren bei weitem nichts ähnlich Dramatisches abgespielt hat. Das Kosovo wieFocus Asien Nr. 31 derum ist wie Timor eine kleine Krisenregion. Doch es liegt in Europa und ist verbunden mit beachtlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik - einschließlich eines großen Engagements deutscher Soldaten, das den hiesigen Steuerzahler viel Geld kostet. Für das Kosovo stehen daher fast zwölf Mal mehr Einträge zu Buche als für Timor; eigentlich hätte man ein noch stärkeres Gefälle erwartet. Ähnlich wie bei der Presse liegen die Dinge bei Rundfunk und Fernsehen. Osttimor findet auch hier kaum statt. Eine Ausnahme stellt, wenn diese Eigenwerbung erlaubt ist, der Deutschlandfunk dar. Wir haben seit jeher in hoher Dichte in den Nachrichten über Timor berichtet. Aber auch in vielen anderen Sendungen wurde Timor ausführlich angesprochen. Das reicht von der politischen HintergrundBerichterstattung, etwa zuletzt im Interview mit einem Vertreter der Deutschen OsttimorGesellschaft, über wirtschaftliche und ökologische Fragen bis hin zum Umweltschutz. Ein Teil dessen, also die Beiträge aus jüngster Zeit, lassen sich im Internet über die Suchfunktion „Osttimor am Scheideweg“ 50 http://www.dradio.de/suche im Archiv finden. Eine Sonderstellung ganz anderer Art hat das Hörfunkprogramm WDR-Funkhaus Europa. Dort gibt es jeden Samstag „Lusomania“, eine Sendung in deutscher und portugiesischer Sprache, in der immer wieder auch Timor thematisiert wurde und wird (http://www.funkhauseuropa.de/sendungen/luso mania). Kontingent zum Ausfliegen und zur Behandlung Verwundeter war zwar im australischen Darwin stationiert und flog nur 49 Einsätze. Aber, wo die Bundeswehr hingeht, um Gutes zu tun, von dort wird berichtet. Dieser Ort ist auf der Landkarte unserer Medien – zumindest solange der Einsatz währt, und das war im Fall Timors nicht sehr lange. „Coup and Earthquake“- Berichterstattung Das Thema Timor – fern und unbequem Trotz solcher Ausnahmen – generell wird also wenig berichtet über Timor. Es stellt sich die Frage, wann es denn überhaupt dazu kommt. Nach der Revolution vom 25. April 1974 haben die Medien in (West-)Deutschland immer wieder auf das unabhängig werdende portugiesisch-sprachige Afrika geschaut. In Angola und Mosambik spielten sich brutale Kriege ab, die als Stellvertreterkonflikte in der Ost-West-Auseinandersetzung gedeutet werden konnten. Stoff genug für Journalisten, zumal für solche, die selbst aus ideologischen Schützengräben heraus schrieben. Auch Timor trat damals aus der Konkursmasse des portugiesischen Kolonialbesitzes auf die weltpolitische Bühne. Doch für das kleine Territorium fand sich in Deutschland nie ähnliche Aufmerksamkeit. Der Unabhängigkeitskampf der FRETILIN und die internationale Verurteilung wurden zwar bisweilen erwähnt. Auf der anderen Seite standen die recht guten deutschen Beziehungen - politisch und wirtschaftlich - zu Indonesien in der Ära Suharto. Das Thema war also weit weg und zudem politisch-wirtschaftlich wenig willkommen. In all diesen Jahren war es übrigens unter anderem auch deshalb für Menschenrechtsorganisationen schwer, Berichte über Timor zu lancieren. Seit dem Ende des Kalten Krieges wird die Welt von den Medien deutlich nuancierter betrachtet, selbst wenn der 11. September 2001 wieder einen gewissen Rückschritt in ein Lagerdenken gebracht hat. Für die Timor-Berichterstattung jedenfalls war vor allem der Friedensnobelpreis für José RamosHorta und Bischof Belo im Jahr 1996 eine Zäsur. Die Entscheidung des Osloer Nobelkomitees war der Höhepunkt der Aufmerksamkeit in Deutschland und der Beginn eines neuen Interesses. Große Beachtung fanden das Unabhängigkeitsreferendum im Jahre 1999 und die anschließenden Gewalttaten pro-indonesischer Milizen und indonesischer Soldaten. Um den Jahreswechsel 1999/2000 war dann sogar die Bundeswehr im Timor-Einsatz. Das kleine Focus Asien Nr. 31 Die Entwicklung der letzten Zeit wurde wieder nach den üblichen Kriterien des ereignisbezogenen Journalismus für als wenig relevant eingestufte Länder verfolgt. Man nennt das „coup and earthquake“-Berichterstattung. Das ist in Sachen Timor sogar wörtlich zu nehmen: Höhepunkte waren nämlich neben den verschiedenen Gewaltwellen und den Wahlen tatsächlich ein Erdbeben und natürlich das Attentat auf Präsident Ramos-Horta im Februar 2008. Das blutige Geschehen ließ das Thema wieder für ein paar Tage aufflackern. Dann war es wieder vorbei, nicht nur weil Gewalt und Intrigen in Dili für hiesige Mediennutzer wenig Belang haben; sie sind auch sehr schwer zu durchschauen. Die anhaltende Unterentwicklung, die Aufarbeitung der Massaker vor der Unabhängigkeit, das Tauziehen um die Rohstoffvorräte, die Einflussinteressen etwa Portugals und Australiens – solche strukturelle Fragen schaffen es selten in die Medien; hin und wieder werden sie in einem Qualitätsblatt aufgegriffen. Im Falle des Öls regt sich auch schon einmal eine Wirtschaftszeitung. Die Berichterstattung fiele noch dürftiger aus, wären da nicht zwei Sonderfaktoren. Da ist zum einen der „Prominentenbonus“ bei Premierminister Xanana Gusmão und Präsident José Ramos-Horta. In Zeiten, in denen differenzierte Sachberichterstattung immer stärker der einfachen, plakativen Personalisierung weichen muss, erleichtern die Etiketten „Führer des Befreiungskampfes“ beziehungsweise „Friedensnobelpreisträger" die mediale Beachtung ungemein. Der zweite Faktor droht gerade ins Negative umzuschlagen: lange profitierte Osttimor vom Attribut „jüngster Staat der Welt“. Die UNO tagte und entschied, Fahnen wurden gehisst, Botschafter ausgetauscht, erstmals Olympiateilnehmer entsandt – so etwas schafft Bilder, Texte, Töne. Einige Male hat es Timor mit der Frage nach dem jüngsten unabhängigen Staate wohl auch in Quizshows und Rätsel geschafft. Nun aber droht eine andere, eine hässli„Osttimor am Scheideweg“ 51 che Schublade. Auf ihr steht „failed states“, und dieses Etikett ist alles andere als attraktiv in den Medien. Stellvertretend genannt sei der gründliche Artikel „Osttimor – von einer Modellnation zum Problemfall“, Neue Zürcher Zeitung, 19.03.2008. Die NZZ übrigens berichtet wohl so breit und kontinuierlich über Timor wie kein anderes Blatt im deutschsprachigen Bereich. Die nicht eingelösten Hoffnungen auf eine strahlende Zukunft im jüngsten Staat der Welt haben auch Aktivisten frustriert. Manch einer, der zum Teil jahrelang mit vielfältiger, ehrenamtlicher Arbeit dazu beitrug, Osttimor zumindest mitunter ins Gespräch zu bringen, reibt sich nun die Augen. Mit der Unabhängigkeit schien das Ziel erreicht, doch die anschließende Enttäuschung lässt einige nun dreimal nachdenken, bis sie sich wieder ins Zeug legen. Auch das entzieht dem Thema Publizität, und zwar vor allem die so wichtige positive Aufmerksamkeit. Bewertung der schwachen Präsenz des Themas Timor Der eine oder andere mag denken, Timors untergeordnete Rolle im hiesigen Mediengeschehen sei ungerecht, ein klassisches Beispiel für die Vernachlässigung des Auslands im allgemeinen und der so genannten Dritten Welt im besonderen. Dafür gibt es, wie im Falle anderer ferner Länder, auch vordergründig Argumente. Man mag an die zweifelsohne asymmetrischen Informationsströme dieser Welt denken. Die großen Nachrichtenagenturen sind mit ihren Korrespondenten zu etwa 60% in Nordamerika und Europa vertreten, knapp 20% der Agenturkollegen berichten aus Asien und Australien, gut 10% aus Lateinamerika, 6% aus dem Nahen/Mittleren Osten sowie gerade einmal 4% aus Afrika. Ähnlich sieht das ARDKorrespondentennetz aus. Die Zeitungen haben noch weniger feste Leute „draußen“. Nicht selten tun sich die Korrespondenten im Ausland schwer, Themen in den Heimatredaktionen unterzubringen. Manchmal bitten sie dann die Kollegen von den Agenturen, eine Meldung zu schreiben. Und wenn dpa dann berichtet, kommt oft wundersamerweise der Anruf aus Deutschland, und der Korrespondent darf endlich über das berichten, was er schon länger selbst vorgeschlagen hatte. Wie gesagt, das alles ist schon schwer genug in Ländern, in denen Korrespondenten residieren. In vielen Staaten, wie etwa Timor, sind aber keine deutschsprachigen Journalisten dauerhaft stationiert. Es gibt vor allem keine bewegten Bilder, also kein Futter für das stärkste Medium, das Fernsehen. Focus Asien Nr. 31 Zur Erinnerung: Timor war bis vor kurzem der einzige Staat, den Peter Scholl-Latour, der Altund Großmeister der deutschen Auslandsberichterstattung, nicht bereist hatte. Und über seinen zwischenzeitlichen Abstecher dorthin findet sich bislang in der Presse der eine oder andere Nebensatz, aber sonst nichts. Nun wäre es aber völlig falsch, diesen IstZustand zu geißeln. Natürlich wünschen sich aufgeklärte Zeitgenossen umfangreichere internationale Berichterstattung. Das war immer schon so. Im weltweiten Vergleich ist die Auslandsberichterstattung in Deutschland aber überdurchschnittlich, ja fast vorbildlich zu nennen. Und es wäre ungerecht, den deutschen Medien ausgerechnet am Beispiel Timor größere Fehler vorzuhalten. Das mag in den Zeiten der indonesischen Besatzung noch anders ausgesehen haben. Heute aber gilt: Timor ist ein fernes Land mit kaum einer Million Einwohnern, in dem deutsche Interessen so gut wie nicht berührt sind – weder wirtschaftlich noch politisch noch kulturell. Vermutlich wird in den Medien Timors auch von Deutschland selten die Rede sein, warum auch! In Australien oder Portugal ist das Interesse entsprechend der Bedeutung viel höher. Das illustriert eine Momentaufnahme vom 9.4.2008. Bei der deutschen googlenews-Seite finden sich gerade einmal fünfzehn Einträge für Timor; am selben Tag sind es beim portugiesischen Dienst google-noticias 374. Es ist banal, aber auch in Politik und Medienwelt fundamental: jeder interessiert sich zunächst für einen Brand in der Nachbarstraße und dann erst, wenn überhaupt, für ein Feuer am anderen Ende des Landes. Kann man mehr Aufmerksamkeit für Timor schaffen? An der strukturellen Ausgangslage, die eine stärkere mediale Beachtung verhindert, wird sich wohl kaum etwas ändern. Es ist schließlich nicht damit zu rechnen, dass Timor demnächst die Fußballweltmeisterschaft gewinnt, in die bemannte Raumfahrt einsteigt oder in ähnlich spektakulärer Weise auf sich aufmerksam macht. Dennoch sollen diejenigen, denen Timor und die dort lebenden Menschen wichtig sind, durchaus die Trommel rühren. Es ist nicht umsonst! Wer den Blick auf Timor lenken will, der sollte aber wissen, dass er auf einem Markt agiert, auf dem große Konkurrenz herrscht. Aufmerksamkeit ist ein enorm knappes Gut. Es „Osttimor am Scheideweg“ 52 gibt viele andere vergessene Themen, die ebenfalls ihre Lobby haben. Die einen finden, es werde zu wenig über Somalia berichtet, die anderen wollen den Buddhismus in die Medien bringen und wieder andere halten es für skandalös, wie wenig man über das Thema Bluthochdruck erfährt. All das – und vieles andere mehr – ist für sich genommen genauso legitim wie Aufklärungsarbeit über Timor. Es bei überregionalen Medien zu versuchen, dürfte ein hartes Brot sein. Es ist mindestens genauso lohnenswert, auf der regionalen oder lokalen Ebene anzusetzen. Dort gibt es viele mediale Anbieter, lokale Radio- und Fernsehsender, die örtlichen Zeitungen, die mit immer weniger Ressourcen arbeiten und Inhalte brauchen. Dort gibt es Schulen, Focus Asien Nr. 31 Volkshochschulen, Kirchengemeinden und Vereine. Hier wird es auch einfacher, positive Akzente zu setzen, solange Timor politisch wenig Gutes zu bieten hat. Hier kann man mit Kultur punkten, für Wiederaufbauprojekte werben und humanitäre Akzente setzen. Diese mediale Basisarbeit ist an sich gut; sie kann langfristig aber auch dazu beitragen, die Chancen für das Thema auf der bundesweiten, der politischen Ebene zu verbessern. Schließlich, auch wenn es hier um „Timor in den Medien“ geht: Pressecho ist ohne Zweifel wichtig. Aber eine gute Tat bleibt auch dann gut, wenn einmal nichts darüber in der Zeitung steht! „Osttimor am Scheideweg“ 53 BIBLIOGRAPHIE Weiterführende Literatur zu Osttimor finden Sie auch in der Asienhaus-Bibliothek. Der Katalog ist online recherchierbar unter: http://www.asienhaus-bibliothek.de/. Barth, Fredrik (Hrsg.) Ethnic Groups and Boundaries. Boston: Little, Brown & Company, 1969. Brady, Cynthia und David G. Timberman. The Crisis in Timor-Leste: Causes, Consequences and Options for Conflict Management and Mitigation. USAID Timor-Leste, 12. Nov. 2006. 20. Aug. 2008 http://timorleste.usaid.gov/Documents/USAID%20TimorLeste%20Conflict%20Assessment%20Nov%2020 06.pdf. Carey, Peter. „Third World Colonialism, the Geração Foun and the Birth of a New Nation: Indonesia through East Timorese Eyes, 1975-99.” Indonesia 76 (2003): S. 23-67. Chesterman, Simon. Kosovo in Limbo: State-building and ‘Substantial Autonomy.’ International Peace Academy, Aug. 2001. 20. 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F(ALINTIL)-FDTL: Força de Defesa de Timor Leste, Verteidigungskräfte von Osttimor, die heutige Armee von Osttimor. APODETI: Associação Popular Democrática de Timor, Demokratische Volksvereinigung von Timor. Firaku: ein Osttimorese aus dem Osten des Landes. ASDT: Associação Social-Democrata de Timor, Sozialdemokratische Vereinigung von Timor. FRETILIN: Frente Revolucionária do Timor-Leste Independente, Revolutionäre Front für die Unabhängigkeit von Osttimor. ASEAN: Association of Southeast Asian Nations, Vereinigung südostasiatischer Nationen. BMZ: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. CAVR: Commissão de Acolhimento, Verdade, Reconciliação de Timor Leste, Kommission für Empfang, Wahrheit und Versöhnung in Osttimor. CIM: Centrum für internationale Migration und Entwicklung. CNRT: (1) Conselho Nacional de Resistência Timorense, Nationaler Kongress für den Timoresischen Widerstand, die frühere Dachorganisation des Widerstands wurde 2001 aufgelöst. (2) Congresso Nacional de Reconstrução Timorense, Nationaler Kongress für den Timoresischen Wiederaufbau, politische Partei seit 2007. DDR-Prozess: disarmament, demobilisation and reintegration, Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung. DOTG: Deutsche Osttimor Gesellschaft e.V. ECHO: European Commission Humanitarian Aid Office, Dienststelle der Europäischen Kommission für Humanitäre Hilfe. Focus Asien Nr. 31 ICG: International Crisis Group. IDP: Internally Displaced Person, Binnenflüchtling IMF: International Monetary Fund, Internationaler Währungsfonds. ISF: International Stabilisation Force, Internationale Stabilisierungstruppe. IWF: Internationaler Währungsfonds. Kaladi: ein Osttimorese aus dem Westen des Landes. KOTA: Klibur Oan Timor Asuwain, Union der Söhne der Bergkriegerhelden von Timor. LDC: Least Developed Country, am geringsten entwickeltes Land. Liurai: traditioneller Titel eines Herrschers auf Timor, meist als „König“ übersetzt. Loro Munu: der westliche Teil Osttimors, auch höfliche Bezeichnung für die Menschen aus diesem Landesteil. „Osttimor am Scheideweg“ 57 Loro Sa’e: der östliche Teil Osttimors, auch höfliche Bezeichnung für Menschen aus diesem Landesteil. Malae: der Fremde. PD: Partido Democrático, Demokratische Partei. PDC: Partido Democrata Cristão, Demokratischchristliche Partei. Petitioners: Gruppe der Streikenden aus dem Militär, die zum Großteil aus den westlichen Distrikten (Loro Munu) Osttimors stammten. Sie hatten Anfang 2006 in einer Petition an die Regierung ihre schlechten Arbeitsbedingungen beklagt. PKF: peacekeeping force, friedenserhaltende Truppe. PL: Partido Liberal, Liberale Partei. PNT: Partido Nationalista Timor, Nationalistische Partei Timors. PNTL: Policia Nacional de Timor-Leste, Nationalpolizei von Osttimor. PPT: Partido do Povo de Timor, Volkspartei von Timor. PSD: Partido Social Democrata, Sozialdemokratische Partei. PST: Partido Socialista de Timor, Sozialistische Partei von Timor. PUN: Partido Unidade Nacional, Partei der Nationalen Einheit. Suco: Dorf, Gemeinde. Focus Asien Nr. 31 TA: Transitional Administration, Übergangsverwaltung. TFET: Trust Fund for East Timor, Treuhandfonds für Osttimor. UDT: União Democrática Timorense, Demokratische Timoresische Union. UNDERTIM: União Nacional Democrática de Resistência Timorense, Nationaldemokratische Union des Timoresischen Widerstandes. UNDP: United Nations Development Program, Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen. UNMIK: United Nations Mission in Kosovo, Mission der Vereinten Nationen in Kosovo. UNMISET: United Nations Mission of Support in East Timor, Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Osttimor. UNOTIL: United Nations Office in East Timor, Büro der Vereinten Nationen in Osttimor. UNPOL: United Nations Police, Polizei der Vereinten Nationen. UNSC: United Nations Security Council, Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. UNTAET: United Nations Transitional Administration in East Timor, Übergangverwaltung der Vereinten Nationen in Osttimor. VN: Vereinte Nationen. „Osttimor am Scheideweg“ 58 AUTORENVERZEICHNIS Marco Bertolaso, Dr., ist Leiter der Abteilung Zentrale Nachrichten beim Deutschlandfunk. Kontakt: Marco.Bertolaso@dradio.de Osttimor. Hierfür recherchierte sie im Frühjahr 2007 drei Monate vor Ort. Kontakt: vanessa.prüller@gmail.com Andre Borgerhoff ist Erster Vorsitzender der Deutschen Osttimor Gesellschaft (DOTG). Er promoviert am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster gefördert durch Stipendien der FriedrichEbert-Stiftung und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Kontakt: abotoday@web.de Monika Schlicher, Dr., Studium der Geschichte und Politik Südostasiens, 1995 Promotion zur portugiesischen Kolonialpolitik in Osttimor, seit 1997 Geschäftsführerin von Watch Indonesia! – Arbeitsgruppe für Menschenrechte, Demokratie und Umweltschutz in Indonesien und Osttimor. Kontakt: schlicher@snafu.de Judith Bovensiepen ist Doktorandin in Sozialanthropologie an der London School of Economics und weilte für ethnologische Feldforschung von 2005 bis 2007 im Manatuto Distrikt in Osttimor. Kontakt: J.M.Bovensiepen@lse.ac.uk Jakob Lempp ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich an der TU Dresden. Kontakt: jakob.lempp@tu-dresden.de Alexander Loch, Dr., ist Völkerkundler und Psychologe. Er forscht derzeit am Centre Asie Sud-Est (Paris) über die Rolle Europas in Osttimor. In den Jahren 2002-2005 leitete er die Research- & Development Unit des Instituto Católico para Formação de Professores in Baucau und arbeitete landesweit als Berater von Entwicklungshilfeprojekten. Er hat zahlreiche Publikationen zu Osttimor veröffentlicht, darunter ein Tetum-Wörterbuch und eine Monographie über die Psychosoziale Rekonstruktion Osttimors. Kontakt: alexander@loch.asia Daniella Christova Schmitt is a PhD candidate at the Institute for Peace and Conflict Studies, Tuebingen University, under the supervision of Prof. Volker Rittberger. She holds an MSc Nationalism and Ethnicity degree (with distinction) from the London School of Economics and Political Science (UK) and a BAdmin (Honours) International Relations degree (with distinction) from the University of Pretoria, South Africa. Mrs. Schmitt is currently the recipient of a Friedrich-Naumann-Foundation scholarship for talented foreign graduates. Kontakt: daniellaschmitt@yahoo.co.uk Manuel Schmitz, Zweiter Vorsitzender der Deutschen Osttimor Gesellschaft (DOTG), ist Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Südostasien. Er ist Doktorand am Lehrstuhl Internationale Beziehungen der Universität Trier und promoviert zur Rolle transnationaler Akteure im Osttimorkonflikt. Kontakt: manuel.schmitz@chello.be Henri Myrttinen, Watch Indonesia!, arbeitet zurzeit an seiner Dissertation zum Thema „Männlichkeit und Gewalt in Osttimor“ und betätigt sich nebenher als Freiberufler in Berlin mit den Themenschwerpunkten Gender und Konfliktstudien. Kontakt: henrimyrtinnen@gmail.com Volker Sowade ist im Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) seit Dezember 2006 im Referat für Südostasien tätig. Kontakt über: osttimor@yahoo.de Vanessa Prüller studierte Sprachen-, Wirtschaftsund Kulturraumstudien mit Schwerpunkt Südostasienkunde an der Universität Passau und befasste sich in ihrer Diplomarbeit mit der Krise 2006 in Achim Tillessen, Dr., ist desk officer für TimorLeste beim Generaldirektorat Entwicklung der Europäischen Kommission. Kontakt über: osttimor@yahoo.de Focus Asien Nr. 31 „Osttimor am Scheideweg“ Die Zeitschriften Korea Forum halbjährlich, ca. 50 Seiten, € 15,- / Jahr Südostasien vierteljährlich, ca. 80 Seiten, € 20,- / Jahr Für Mitglieder der jeweiligen Vereine, also philippinenbüro oder Südostasien Informationsstelle Die Publikationen Another Look at Germany Ed.: Heike Blum and Dietmar Henker Ein politischer Reisebegleiter für asiatische Deutschlandreisende (engl.) 205 Seiten, € 10,00 Islam in Asien Hg.: Klaus Schreiner für das Asienhaus Mit einem Vorwort von Hans Küng Horlemann 2001 280 Seiten, € 15,23 Wasser in Asien- Elementare Konflikte Hg.: Thomas Hoffmann für das Asienhaus, Secolo 1997 464 Seiten, €25,05 Politischer Wandel in Indonesien (1995-2000), Hg. P. Ziegenhain 213 S., € 10,00 Die Newsletter philippinen aktuell ein monatlich erscheinender Newsletter, zusammengestellt aus der philippinischen Tagespresse (engl.) 14 pages, € 32,- / Year Asienhaus Rundbrief Informationen ca. wöchentlich kostenlos per Email: Kommentare, Veranstaltungshinweise, Bibliotheksneueingänge etc.. Bezug: rundbrief@asienhaus.de Burma-Nachrichten Weitere Hinweise unter asienhaus.de/publikationen Bestellungen an: vertrieb@asienhaus.de Informationen über die Entwicklungen in und um Burma. Erscheint ca. vierzehntägig per e-mail. Bezug: burma@asienhaus.de China-Informationen Informationen über die Entwicklungen in und um China. unregelmäßig per email. Das Asienhaus ist Anlaufstelle für Asien-Interessierte. Unter dem Dach des Asienhauses, im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Zeche Zollverein in Essen, arbeiten vier unabhängige deutsche Organisationen mit anerkannter Gemeinnützigkeit: Die Asienstiftung, der Korea-Verband, das philippinenbüro, die Südostasien-Informationsstelle. Zudem sind hier mit der BurmaInitiative und der China-Arbeitsgruppe weitere länderbezogene Projekte angesiedelt. Projekte zu inhaltlichen Fragen ergänzen das Angebot. Gemeinsam organisieren sie Tagungen, Seminare und Konferenzen genauso wie Sprachkurse oder Fortbildungsveranstaltungen. Sie publizieren wissenschaftliche Zeitschriften und Monographien und empfangen asiatische Partner und Gäste aus Politik sowie Gewerkschaften und anderen Nicht-Regierungsorganisationen, auch aus den Bereichen Kunst und Medien. Im Haus finden Ausstellungen und Lesungen statt. Zudem steht Interessierten eine fachlich betreute und reich ausgestattete Bibliothek zur Verfügung. Das Asienhaus will mit seiner Arbeit hin wirken auf eine solidarische und gerechte Weltwirtschaftsordnung, auf umfassende Demokratisierung und Selbstbestimmung. Es setzt sich ein für die Überwindung der Diskriminierung der Frau. Ziel und Mittel auf diesem Wege sind, den Austausch der Zivilgesellschaften in Europa und Asien über Themen der sozialen Entwicklung, über ihre Visionen einer gerechten Welt zu befördern und zu führen. Die Einsicht, dass ungerechte Strukturen auch auf Mängel in unserer Gesellschaft verweisen, und diese Mängel deshalb in den Blickwinkel jeder Politik gehören, trägt alle Projekte und Programme des Asienhauses. Weitere Auskunft erteilt Klaus Fritsche (0201) 830 38 –38, Fax (0201) 830 38 –30, K.Fritsche@asienhaus.de Asienhaus Bullmannaue 11 45327 Essen www.asienhaus.de Spenden für das Asienhaus: Bank für Sozialwirtschaft, BLZ: 370 205 00, KTO der Asienstiftung: 820 41 00 Bitte geben Sie für die Spendenbescheinigung unbedingt Ihren Namen und Ihren Absender an. ISSN 1435-0459 ISBN 978-3-933341-40-2 Focus Asien Nr. 31 „Osttimor am Scheideweg“