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Monika Dommann
Schroeter_Medienwissenschaft.indb 414
IV. Schnittstellen
7.
Kunstwissenschaft/
Bildwissenschaft
Die seit dem 19. Jahrhundert akademisch etablierte
Kunstwissenschaft reflektiert Werke, Geschichte und
Theorie der bildenden Künste von der Spätantike bis
zur Gegenwart. Seit Beginn der 1990er Jahre hat sich
in ihr mit dem iconic und pictorial turn (vgl. Boehm
1994, 13; Mitchell 1992) ein Paradigmenwechsel
vollzogen. Die von der Kunstwissenschaft geprägten
Termini beschwören jene Wende in den Geisteswissenschaften, die eine Hinwendung von der mit
dem linguistic turn einhergehenden Leitvorstellung
der ›Kultur als Text‹ zu derjenigen einer ›Kultur als
Bild‹ bezeichnet (vgl. Bachmann-Medick 2006). Dabei hat die Kunstgeschichte Konkurrenz durch jüngere Fächer wie die Medienwissenschaft und die
Visual Culture Studies (vgl. u. a. Morra/Smith 2006)
bekommen, die ebenfalls bildwissenschaftliche
Kompetenz für sich reklamieren (vgl. z. B. Heßler
2006; Heßler/Mersch 2009; Günzel/Mersch 2014 (in
Vorb.)). In Reaktion darauf erweiterte die Kunstwissenschaft den ihr angestammten Gegenstandsbereich der Kunstbilder und nahm sich auch sogenannter nicht-künstlerischer Bilder wie technischer
Zeichnungen oder wissenschaftlicher Diagramme
an (vgl. z. B. Elkins 1999; Holländer 2000; Kemp
2003). Darüber hinaus wird die Kunstwissenschaft
durch die Philosophie herausgefordert, die sowohl
in semiotischer und pragmatischer (vgl. Scholz
2004), als auch in phänomenologischer Hinsicht
(vgl. Wiesing 2005) Bildtheorien vorgelegt hat. Das
Bild als wahrnehmungsnahes Zeichen definierend,
fordert Klaus Sachs-Hombach eine die verschiedenen Grundlagendisziplinen der Bildforschung integrierende und systematisierende Bildwissenschaft
(vgl. Sachs-Hombach 2003).
In diesem Spannungsfeld betrachtet auch (und
gerade) eine allgemeine Bildwissenschaft die Kunstwissenschaft als durch »die älteste und differenzierteste Tradition bildtheoretischen Nachdenkens«
(ebd., 17 f.) ausgezeichnet. Die Autorität der Kunstwissenschaft beruht im Wesentlichen auf dem historischen Tiefenwissen des Fachs sowie auf einem
speziell an Bildern, für und durch Bilder entwickelten methodisch-analytischen Instrumentarium zur
Deutung von Form und Inhalt (vgl. Belting u. a.
2008). Auch wenn innerhalb des Fachs vereinzelt
noch versucht wird, nicht-künstlerische Bilder aus
dem Kanon auszuklammern, lassen starke Indizien
doch auf ein weithin verbreitetes Verständnis von
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7. Kunstwissenschaft/Bildwissenschaft
Kunstwissenschaft als Bildwissenschaft schließen:
unter anderem die Stabilisierung eines diesbezüglichen Kommunikationsnetzes mittels periodisch erscheinender, sich explizit dem Bild zuwendender
Fachzeitschriften (vgl. z. B. Bredekamp/Bruhn/Werner 2003 ff.), die Kanonisierung des Wissensgebietes
durch Handbücher, Sondernummern in kunst- und
kulturwissenschaftlichen Zeitschriften oder Ausstellungen (vgl. z. B. Beyer/Lohoff 2005; Bredekamp/
Schneider/Dünkel 2008), die Selbstrekrutierung in
entsprechenden Forschungsverbünden und Netzwerken (z. B. »eikones – NFS Bildkritik. Macht und
Bedeutung der Bilder«), an einschlägig (um-)benannten Instituten und Seminaren (z. B. Institut für
Kunst- und Bildgeschichte, HU Berlin) oder die Einrichtung von Curricula und Professuren mit einer
Denomination auch für Bildwissenschaft (z. B. Professur für Kunstgeschichte/Bildwissenschaften, Universität Passau; Professur für Historische Bildwissenschaft/Kunstgeschichte, Universität Bielefeld).
Neben der unübersehbaren Rolle von Bildern in
den Naturwissenschaften und ihrer Bedeutung als
Erkenntnisinstrumente sowie der ständig zunehmenden Verbreitung von Bildtechnologien, liegt ein
anderer Beweggrund für die forcierte Erweiterung
des Gegenstandsbereichs der Kunstwissenschaft in
dem Wunsch begründet, bildwissenschaftliche Überlegungen aus der Frühzeit des Faches fortzuführen
und anzureichern. Das kunstwissenschaftliche Methodenrepertoire zur Bestimmung und Deutung
von Bildern ist keineswegs nur auf das Verständnis
historischer Phänomene der sogenannten Hochkunst beschränkt. Zu Recht wird immer wieder betont, dass sich seit ihren Anfängen führende Vertreter der Kunstwissenschaft wie Julius von Schlosser,
Alois Riegl, Erwin Panofsky und Aby M. Warburg
auch und gerade mit Bildwerken beschäftigt haben,
die zu ihrer Zeit als Erzeugnisse der Alltagskultur
massenhaft produziert worden sind – eine Tradition,
die in Deutschland infolge von Emigration um 1933
und das darauf folgende intellektuelle Vakuum zeitweilig in Vergessenheit geraten ist.
Als spiritus rector einer historischen Bildwissenschaft, die den Hiatus zwischen ›High-‹ und ›LowArt‹ zu überbrücken trachtete, sprach Warburg 1925
explizit von »unseren methodologischen Versuchen,
von der Kunstgeschichte zur Wissenschaft vom
Bilde fortzuschreiten« (WIA, GC, Aby Warburg an
Moritz von Geiger, 17.11.1925). Vermutlich das erste
Mal fällt jener programmatische Begriff in Warburgs Sammlung »Grundlegende Bruchstücke zu
einer pragmatischen Ausdruckskunde (monistischen
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Kunstpsychologie)«; hier formulierte der 23-Jährige
am 18. März 1890 die Idee einer »Wissenschaft von
den Bildern« (WIA, III.43.1.1., 1890, 28).
Kunst/Bild und Medium
Eine sich dergestalt als Bildwissenschaft verstehende
Kunstwissenschaft hat sich mehrfach dezidiert zum
Verhältnis von Kunst respektive Bild und Medium
geäußert. Für Hans Belting etwa gewinnt der Medienbegriff seine Bedeutung erst in einer Korrelation mit
Körper und Bild. Das Medium sei durch einen
»doppelte[n] Körperbezug« ausgezeichnet (Belting
2001, 13): Zum einen würde der Mensch die Trägermedien der Bilder als deren symbolische Körper betrachten, als »stellvertretende[n] Ersatz und Re-Präsentation eines nicht präsenten oder rein imaginären
Körpers« (Schulz 2005, 124), zum anderen wirkten
die Medien auf die körperlich verfasste Wahrnehmung des Rezipienten ein und veränderten diese. In
dieser bildanthropologischen Perspektive gewährleisten Medien also, dass Bilder sich verkörpern können, sich damit überhaupt erst als Bilder wahrnehmen lassen. Durch die Affizierung des menschlichen
Wahrnehmungskörpers können wiederum neue Bilder entstehen, die sich qua Medien erneut verkörpern (s. Kap. IV.3).
Eine zweite zentrale Position markiert die Bildontologie Gottfried Boehms, der in Übereinstimmung
mit Niklas Luhmann Medien als lose Koppelungen
von Elementen betrachtet, aus denen sich feste gekoppelte Formen herausdifferenzieren lassen, die z. B.
als Bilder adressiert werden können (s. Kap. II.11).
Darauf aufbauend (und in Anlehnung an Martin
Heideggers Rede von der ›ontologischen Differenz‹),
bestimmt Boehm als das minimale Definiens eines
(künstlerischen) Bildes die sogenannte ikonische
Differenz, d. h. »die gleichzeitige Wahrnehmbarkeit
von Darstellungsebene und Dargestelltem, von medialer Prämisse und ikonischer Formung« (Boehm
1999, 173). Wenn Boehm von Medien als Vorbedingungen ikonischer Formungen spricht, bewegt er
sich auf Augenhöhe mit einer Grundannahme der
Medienwissenschaft, gemäß der Medien wenn nicht
hinreichende, so doch notwendige Möglichkeitsbedingungen jedweder Erkenntnis- und Wissensformierung und damit auch von Bildproduktion,
-rezeption und -distribution sind. Eine solche Sichtweise, die Wechselwirkungen zwischen Produktionstechniken und Repräsentationsfertigkeiten beobachtet, kündigt sich in der Kunstwissenschaft
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schon mit der frühneuzeitlichen Gründerfigur der
Kunsthistoriographie, mit Giorgio Vasari an, der in
seiner Vita des Antonello da Messina die Überlegenheit der Ölmalerei über andere Verfahren feststellt,
mit Blick etwa auf die Möglichkeit, Licht und Schatten illusionistisch wiedergeben zu können.
Ein dritter Vertreter der neueren Bildwissenschaft
ist Horst Bredekamp, der u. a. 2000 am Hermann von
Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik der Humboldt-Universität zu Berlin das Projekt »Das Technische Bild« (vgl. Bredekamp/Schneider/Dünkel 2008)
und die Kolleg-Forschergruppe »Bildakt und Verkörperung« ins Leben rief. Seine Forschungen zur
Form und Funktion technischer Bilder sowie zur
Performativität und Körperbezogenheit von Bildern
sind relevant für vergleichbare Fragen in der Medienwissenschaft. Sein programmatischer Aufsatz »Bildmedien«, zu finden in einer einschlägigen Einführung in die Kunstwissenschaft (vgl. Belting u. a. 2008,
363–386), beginnt mit dem Satz: »Kunstgeschichte ist
auch eine Medienwissenschaft«. Er weist darauf hin,
dass die Kunstgeschichte bzw. Kunstwissenschaft
ihre Methoden stets »nach Maßgabe der sich wandelnden Bildmedien« (ebd., 363) verändert hat und
methodisch immer schon auf Bildmedien angewiesen war. Im Folgenden gibt er einen knappen Überblick über die Mediengeschichte und darüber, welche
Fragen sie für die Kunstwissenschaft aufgeworfen
hat, wobei er seinen Medienbegriff sowohl auf Marshall McLuhan (s. Kap. II.4), als auch auf Luhmanns
Medium/Form-Unterscheidung abstützt. Er kritisiert
die Medienwissenschaft dafür, das Erbe der Kunst
bzw. der Kunstwissenschaft allzu leichtfertig zu ignorieren und so für die »Formspezifika des Bildes und
dessen historische[] Tiefenschichten« (ebd., 364) unempfänglich zu sein.
Diese Kritik legt nahe, die Blickrichtung umzukehren und nach Bezugnahmen der Medienwissenschaft auf das Bild zu fragen. Man kann feststellen,
dass sich die meisten ihrer Ausprägungen – die kulturwissenschaftliche, die sozialwissenschaftliche
und die technikhistorisch orientierte – auf bildliche
Phänomene konzentriert haben (was neuerdings
von den Sound Studies kritisiert wird, s. Kap. IV.11).
Die erste Ausprägung folgt der Grundannahme,
nach der Medien als Möglichkeitsbedingungen jeglicher, auch und gerade bildlicher Erkenntnis zu betrachten seien. Im Zuge der kulturwissenschaftlichen Orientierung kam es überdies zur Übernahme
kunsthistorisch etablierter Methoden, etwa der von
Panofsky entwickelten Ikonographie und Ikonologie
(vgl. Heller u. a. 2000).
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IV. Schnittstellen
Die zweite Ausprägung beschreibt die zentrale
Rolle des Bildes als Informationsträger und Übermittlungskanal für ihren Gegenstand, die Massenkommunikation.
Die dritte Ausprägung unterstreicht die Einsicht,
dass die Interaktivität ihres zentralen Gegenstandes,
des Rechners, als Bedingung eine graphische, als
Bild adressierbare Benutzeroberfläche voraussetzt,
durch die hindurch der Computer allererst steuerbar
wird. Gerade diese dritte Spielart demonstriert den
das Bild aufwertenden Paradigmenwechsel der Medienwissenschaft: Nachdem der ontologische Status
digitaler Bilder grundlegend problematisiert, deren
Existenz unter den Verdacht eines »unangebrachte[n]
Essentialismus« (Pias 2003, Abs. 50) gestellt und die
Ikonizität der Benutzeroberflächen als »wackelige[s]
Gerüst schiefer Metaphern« (Heidenreich 1998, 86)
herabgewürdigt worden waren, hat sich in jüngerer
Vergangenheit eine Sichtweise etabliert, die diese
gleichsam ikonoklastische Position durch ein Konzept des sich aus binärem Code und Bildschirmerscheinung zusammensetzenden »doppelten Bildes«
(Nake 2005) abfedert.
Allgemein lässt sich mit Joachim Paech konstatieren, dass die Medienwissenschaft an Universitäten in
der Bundesrepublik Deutschland Mitte der 1970er
Jahre installiert wurde, um das »Universum der
technischen Bilder« (Flusser 1985), sprich die Fotografie, den Film, das Fernsehen oder das Video, akademisch zu reflektieren. Bilder gehören demnach zu
den »wichtigsten ›Schnittstellen‹ interdisziplinärer
Forschung, die die Medienwissenschaft mit den traditionellen geisteswissenschaftlichen Fächern […]
ursächlich verbinden« (Paech 2005, 80). Die Kunstwissenschaft hat diese Reflexion schon sehr früh geleistet (vgl. Bredekamp 2003): Nicht nur, um lediglich ein Beispiel herauszugreifen, wurde bereits
Mitte der 1930er Jahre am New Yorker Museum of
Modern Art eine ›Film Library‹ eingerichtet oder
durch Panofskys Essay »On Movies« (1936) der –
von der Medienwissenschaft als ihr Untersuchungsgegenstand und ›Leitmedium‹ apostrophierte – Film in den Kanon kunstwissenschaftlicher Betrachtung aufgenommen; auch modellierte
die Medialität von Fotografie und Film schon kurz
nach der Jahrhundertwende historiographische und
epistemologische Entwürfe der Kunstwissenschaft,
wurden fotografische Medien mithin nicht nur zu
einem Objekt, sondern auch zu einem Subjekt kunsthistorischer Forschung.
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7. Kunstwissenschaft/Bildwissenschaft
Die Medialität/-sforschung
der Kunstwissenschaft
Die Kunstwissenschaft wurde zu einer Bildwissenschaft nicht nur durch die Ausweitung ihres Gegenstandsbereichs auf nicht-künstlerische Bilder,
auf »Bild- und Wortquellen aller qualitativen Grade
und medialen Formen« (Böhme 1997, 140). Vielmehr wurde die Kunstwissenschaft zu einer Bildwissenschaft, weil sie in ihrer Struktur wesentlich durch
bildgebende Technologien geprägt wurde und infolgedessen grundlegende kunst-, respektive bildwissenschaftliche Methoden hervorgebracht hat (vgl.
Hensel 2011). In der jüngeren Fachgeschichte hat
darauf zuerst Heinrich Dilly am Beispiel des Zusammenspiels von fotografischer Reproduktion und vergleichendem Sehen (Diaprojektor), insbesondere
mit Bezug auf Heinrich Wölfflin, hingewiesen (vgl.
Dilly 1975; Bader/Gaier/Wolf 2010). André Malraux
(1987) beschreibt kurz nach dem Zweiten Weltkrieg,
wie mit den fotografischen Reproduktionstechnologien ein ›imaginäres Museum‹ der Weltkunst, in
dem Werke verschiedenster (zeitlicher wie geografischer) Herkunft nebeneinander erscheinen können,
möglich wurde – dadurch seien Fragen nach stilistischer, formaler wie inhaltlicher Kontinuität und Differenz zwischen verschiedenen Epochen und Kulturen überhaupt erst formulierbar geworden.
Medien als notwendige, wenn auch nicht hinreichende Möglichkeitsbedingungen kunstwissenschaftlichen Arbeitens zu reflektieren und insofern Medialitätsforschung zu betreiben, ist indessen keinesfalls
eine Leistung erst der jüngeren Kunstwissenschaft,
sondern war bereits ein Anliegen in der Frühzeit des
Fachs. So räumt Herman Grimm gleich zu Beginn eines oftmals als Referenzwerk zitierten Aufsatzes über
»Die Umgestaltung der Universitätsvorlesungen über
Neuere Kunstgeschichte durch die Anwendung des
Skioptikons« (1897) die produktive Eigendynamik
dieses Projektionsapparates ein, der künstliches Licht
verwendete und das Projizieren von Diapositiven und
damit die ersten Lichtbildvorträge erlaubte.
Grimms Argumente sind so plastisch und wegweisend, dass es sich lohnt, sie genauer in den Blick
zu nehmen. Die Projektion von Fresken in Originalgröße etwa gewähre, so Grimm, neue Erkenntnisse
und die dadurch bedingte Konzentration des Auditoriums auf den Gegenstand ermögliche eine gesteigerte Auffassungs- und Vermittlungsgabe des Dozierenden:
»Ich hatte Cimabue ’ s Gemälde in Assisi öfter gesehen,
ich besaß die Photographien seit vielen Jahren: jetzt
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aber, wo sie in ihren ächten Größenverhältnissen wieder
vor mir standen und mit meinen Augen zugleich die so
vieler junger Leute darauf ruhten, welche Belehrung
enthielt dieser Anblick nun auch für mich! Sie zeigten
sich mir wie zum ersten Male und es war, als ob die
Theilnahme meiner Zuhörer die Schärfe meiner Auffassung erhöhte. Genöthigt, mich auszusprechen, fand ich
inhaltsreichere Worte als mir ohne diese Umgebung zu
Gebote gestanden hätten« (ebd., 290).
Den Studierenden ermögliche die Lichtbildprojektion eine besonders einprägsame Verknüpfung des
Geschauten: »Ich kann im Laufe einer einzigen
Stunde bei vollkommener Stille des Auditoriums
diesem eine Reihe von Anschauungen gewähren, die
sich tief in das Gedächtnis einnisten und die bei der
Gleichmäßigkeit der Anschauungen festen organischen Zusammenhang gewinnen« (ebd., 282). Ferner befördere das Projektionsverfahren – eo ipso
und gänzlich überraschend – die Einsicht in Entwicklungszusammenhänge, bei Grimm linear teleologisch gedacht:
»Noch eindrucksreicher aber werden diese Anblicke,
wenn nicht nur einzelne Werke, sondern Serien vorgeführt werden, aus denen die Entwickelungsgeschichte
eines Künstlers klargelegt wird, das heißt im Hinweise
auf eine Folge zusammengehöriger Arbeiten desselben
Künstlers gezeigt wird, wie er zu größerer Vollkommenheit sich steigert. Hier leistet das Skioptikon heute Dienste, die sich nicht voraussehen ließen, da bei den bisherigen Hilfsmitteln an die Darlegung solcher innerer
Entfaltungen nicht gedacht werden konnte. Ich war
eben so überrascht wie meine Zuhörer« (ebd., 285 f.).
Und schließlich sei es das Verdienst des Lichtbildes,
einem im Original kleiner dimensionierten Kunstwerk durch die Projektion zu seiner eigentlichen
Größe und wahren Schönheit zu verhelfen:
»Und endlich erschienen zwei Ansichten des Kopfes der
Statue [Michelangelos David, T. H.] allein: einmal von
vorn, das anderemal in Profil, beide in herrlicher Beleuchtung und in ungeheurer Größe, zugleich nun aber
so in ihrem eigentlichen Formate gleichsam. Denn es
schien, so groß das Werk ist, als habe es dem Geiste des
Künstlers colossaler noch vorgeschwebt. Die wunderbare Schönheit des Kopfes trat jetzt erst völlig hervor«
(ebd., 284).
Grimm war seinerzeit nicht der einzige Protagonist
des Fachs, der die Medialität der Kunstwissenschaft
zu denken unternahm. Bruno Meyer, Professor für
Kunstgeschichte in Karlsruhe und einer der »größten Medienoptimisten seiner Zeit« (Matyssek 2005,
231), hatte wenige Jahre zuvor einen ähnlich argumentierenden Aufsatz publiziert (vgl. Meyer 1879/
1880), und ebensolches sollte 1906 auch der Altphilologe Karl Krumbacher tun. Krumbachers prägnante Abhandlung Die Photographie im Dienste der
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Geisteswissenschaften (1906) liest sich wie eine Anleitung für den Ausbau des Medienrepertoires der
Kunstwissenschaft, in der insbesondere die Bedeutung der Fotografie als »Basis […] für eines der
wichtigsten Lehrmittel der Neuzeit, den Lichtbildapparat« (ebd., 6; Herv. i. O.) hervorgehoben wird.
Das Paradigma Aby M. Warburg
Warburg (1866–1929) erachtete mit vergleichbarem
Aplomb die Fotografie wie die Lichtbildprojektion
für seine Theoriebildung als essentiell: »Ohne den
Photographen im Hause würde die Entfaltung der
›neuen Methode‹ nicht möglich sein« (Warburg
2001, 186). Die mediale Transformation, etwa von
Malerei in Fotografie, betrachtete er keinesfalls nur
als eine Option, sondern vielmehr als eine Notwendigkeit, die sogar noch vor der nahsichtigen Betrachtung des Originals firmiere. So findet sich im
Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek
Warburg (K. B.W.) die das Medium adelnde Notiz:
»Im Kultraum am Viale Manzoni. In den Photographien mehr zu sehen als in Wirklichkeit« (ebd., 425).
Um die Bedeutsamkeit der Fotografie, wie deren
Projektion für Warburg und die Kunstwissenschaft
besser verstehen zu können, ist ein Blick auf die für
die Arbeit des Kunsthistorikers kardinale Praxis des
vergleichenden Sehens aufschlussreich. Schon in
Grimms Aufsatz fällt das Schlüsselargument – dass
nämlich die Doppel- oder Mehrfachprojektion ein für
die kunstwissenschaftliche Arbeit unabdingbares vergleichendes Sehen ermögliche: »Das Skioptikon gewährt aber noch mehr. Eine Hauptaufgabe des Lehrers der Neueren Kunstgeschichte ist, Darstellungen
derselben Scene seitens verschiedener Meister zu vergleichen: indem die Bilder nun zu gleicher Zeit sichtbar gemacht werden, tritt die vergleichende Betrachtung sofort in Wirksamkeit« (Grimm 1897, 282).
Durch die Ermöglichung einer derartigen Zusammenschau erweise sich das Studium der Reproduktion gar als demjenigen des Originals überlegen. Auch
Warburgs Einsicht in die komparatistische Tragweite
der Fotografie artikuliert sich unmissverständlich in
Bemerkungen über jenes Zusammenspiel von fotografischer Reproduktion und vergleichendem Sehen,
für das ein Dreivierteljahrhundert später Dilly wieder
sensibilisieren sollte: »Dank der photographischen
Hilfsmittel kann die Bildvergleichung jetzt weitergeführt […] werden« (Warburg 1998, 209).
Wie sehr Warburg seine Bildkonvolute nicht nur
nach inhaltlichen Gesichtspunkten strukturierte,
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IV. Schnittstellen
sondern auch bezüglich ihrer medialen Potenz reflektierte, demonstriert u. a. ein wegen seiner Kürze
zunächst marginal erscheinender, wiewohl paradigmatischer Aufsatz über »Arbeitende Bauern auf
burgundischen Teppichen« von 1907. Gleich zu Beginn des Textes, in einer komplexen Verschränkung
funktionsanalytischer, soziologischer sowie medienarchäologischer Argumente, denkt er nicht nur die
Bilder selbst, sondern auch die Medien ihrer technischen Reproduktion:
»[D]enn das Wesen des gewebten Teppichs, des Arazzo,
beruhte nicht auf einmaliger origineller Schöpfung, da
der Weber als anonymer Bildvermittler denselben Gegenstand technisch so oft wiederholen konnte, wie der
Besteller es verlangte; ferner war der Teppich nicht wie
das Fresko dauernd an die Wand gefesselt, sondern ein
bewegliches Bildervehikel; dadurch wurde er in der Entwicklung der reproduzierenden Bildverbreiter gleichsam der Ahne der Druckkunst, deren wohlfeileres Erzeugnis, die bedruckte Papiertapete, die Stellung des
Wandteppichs folgerichtig im bürgerlichen Hause völlig
usurpiert hat« (Warburg 1998, 223).
Während Warburg Medien hier bereits nicht mehr
nur als Objekte historischer Darstellung würdigt, artikuliert er sein Wissen um die medientechnische
Bedingtheit der Formation von Kultur und deren
Geschichte vor allem in der Einleitung zu seinem
Bilderatlas Mnemosyne. Hier räsoniert Warburg in
einer programmatischen Passage über den Prozess
der Stilbildung und die Faktoren, die diesen steuern.
Mit Blick auf Tapisserie, Kupferstich und Holzschnitt erkennt er klar die frühmoderne Reproduktionstechnologie samt ihren flexiblen und dynamischen Bildträgern als mediale Möglichkeitsbedingung für die Variabilität einer kulturellen Größe wie
Stil (vgl. Warburg 2003, 5).
Auch wenn Warburg keine Medientheorie expressis verbis vorgelegt hat, so hat er doch explizit medientheoretisch argumentiert – und hierin ist er exemplarisch, keinesfalls eine Ausnahme. So erscheinen selbst ideengeschichtliche Antipoden Warburgs,
wie der einer formalistischen Betrachtung Vorschub
leistende Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin, aus
heutiger Sicht als Stichwortgeber jüngerer Medientheorie: Das »Phantasma vom Menschen als Medienerfinder« (Kittler 1986, 5 f.) weist Wölfflin mit
seiner von ihm so apostrophierten Kunstgeschichte
ohne Namen genauso in seine Schranken, wie dies
später Friedrich Kittler tun sollte (s. Kap. II.13). In
der Tat lassen sich innerhalb der Kunstwissenschaft
Positionen und Ansätze aufweisen, die schon seit
langer Zeit mit Fragen und Problemen befasst sind,
die (in ähnlicher Form) wieder in der Medienwis-
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7. Kunstwissenschaft/Bildwissenschaft
senschaft auftauchen – das gilt sogar für jene Fragen,
die heute im Zusammenhang mit der Rezeption
der Akteur-Netzwerk-Theorie in der Medienwissenschaft gestellt werden (vgl. Hensel/Schröter 2012;
s. Kap. II.15).
Kunstwissenschaftliche Positionen nach
Warburg – Bilder zwischen Materialität
und Gesellschaft
Diese theoretischen Positionen in der Kunstwissenschaft, die medienwissenschaftlichen Fragestellungen, speziell zum Bild, ähneln, verdienen wenigstens
kursorische Erwähnung. Sie changieren zwischen
den beiden Polen Materialität und Gesellschaft.
Einer der Texte, die heute als wichtiger Schritt zur
Herausbildung der Medienwissenschaft genannt
werden, ist der von Hans Ulrich Gumbrecht und K.
Ludwig Pfeiffer herausgegebene Band Materialität
der Kommunikation (1988). In durchaus vergleichbarer Weise plädiert Monika Wagner für eine Einbeziehung des Materials in die kunstgeschichtliche
Analyse und möchte dadurch die Analyse der Form
modifiziert wissen. Die Form könne nicht mehr
selbstverständlich als »unveränderliches Ergebnis
gestalterischer Arbeit am Material« betrachtet werden, sondern müsse als »variable Größe und Resultat von Materialeigenschaften« selbst gelten (Wagner
2001, 12). Material nicht mehr nur als eine technische Gegebenheit hinnehmend, sondern als ästhetische Kategorie würdigend, fragt dieser Ansatz nach
den Aufgaben, die einzelne Materialien in konkreten
historischen Zusammenhängen übernehmen, nach
deren physikalischer Beschaffenheit wie auch deren
geschichtlicher, zeitgebundener und damit wandelbarer Bedeutung.
Historisch betrachtet, hat diese Position prominente Vorläufer. Auch wenn er mitnichten ausschließlich als Kunstmaterialist und Vorreiter eines
modernen ästhetisierenden Materialverständnisses
adressiert werden kann, war es der Architekt und Architekturtheoretiker Gottfried Semper, der schon um
die Mitte des 19. Jahrhunderts dem Material besondere Beachtung schenkte. Mehr noch suchte er den
Zusammenhang zwischen Kunstwerk und den Faktoren, die dieses konstituieren, gar in einer mathematischen Formel zu erfassen. Als deren variable Faktoren waren laut Semper neben dem Material auch
lokale, klimatische, ethnologische, religiöse und politische Bedingungen sowie persönliche ›Einflüsse‹
von Künstlern oder Auftraggebern ins Kalkül zu zie-
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hen. Deren Zusammenwirken präge laut Semper
(1884) letztlich das, was unter ›Stil‹ zu verstehen sei.
Auch zum Pol der Frage nach dem sozialen Kontext seien nur einige wenige Positionen benannt:
Michael Baxandall lässt das erste Kapitel seines
Buchs Die Wirklichkeit der Bilder (1980, 9) mit dem
programmatischen Satz anheben: »Die Malerei des
15. Jahrhunderts ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Beziehung«. Im Folgenden nimmt auch er sich
des Stils von Kunstwerken an, den er als einen Gegenstand der Sozialgeschichte begreift: »Gesellschaftliche Tatsachen […] führen zu der Herausbildung spezifischer visueller Fertigkeiten und
Gewohnheiten; und diese Fertigkeiten und Gewohnheiten verdichten sich zu identifizierbaren Elementen im Stil des Malers« (ebd., 7). Diese gesellschaftlichen Tatsachen, darunter religiöse genauso
wie kommerzielle, werden anhand von Verträgen,
Briefen oder Rechnungen dingfest gemacht, und der
Stil der frühneuzeitlichen Malerei wird zu Kulturtechniken (s. Kap. II.19), hier noch »Erfahrungsbereiche« genannt (ebd., 7), wie dem Predigen, dem
Tanzen oder dem Ausmessen von Fässern in Beziehung gesetzt. So gelingt es Baxandall zu demonstrieren, dass Malerei sich nicht zuletzt merkantiler Geometrie verdankt, dass es mithin ein kaufmännisches,
auf den Warenhandel zugeschnittenes Rechnen war,
das tief in die Kunsttheorie und -praxis der Renaissance eingelassen war.
Wie Baxandall auf der Gewissheit aufbauend,
dass die Künste sich im Feld gesellschaftlicher Kräfte
bewegen, plädiert Martin Warnke in seiner wegweisenden, wohlweislich nicht bebilderten kunsthistorischen Habilitationsschrift für eine, wie er es nennt,
»Bedingtheitsforschung«, welche die Geschichte gesellschaftlicher Institutionen reflektiert (Warnke
1996, 12). Auf der Suche nach den prägenden Vermittlungsinstanzen wendet er sich vom individuellen Auftraggeber oder Besteller ab und der Pluralität
verwaltenden Institution zu – verstanden als eine
»Vermittlungsinstanz […], in de[r] sich vielfältige
Bedürfnisse, Normen und Handlungsstrategien organisieren« (ebd., 13). Als ein »Ausgleichserzeugnis
unterschiedlich interessierter Subjekte« ist es insbesondere der Hof, der als »Umschlagplatz der Gesellschaft« und »spannungsreiches Gebilde« funktioniert, »in dem Fürsten und Prinzen, Günstlinge und
Minister, bürgerliche Räte und adlige Kammerdiener, Frauen und Parvenüs, Zwerge, Narren und
Handwerker aufeinander einwirken« (ebd., 13).
Während Baxandall vom Konzept des Stils ausgeht und Warnke die Instanz des Hofes samt dessen
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Beziehungsgeflecht zum Ausgangspunkt seiner
Überlegungen erklärt, nimmt Svetlana Alpers (1989)
wieder das Individuum in den Blick. Doch thematisiert sie weniger das autonome Künstlergenie, als
dasjenige, was sich hinter dem ›Namen‹ eines Künstlers verbirgt. Rembrandt als Maler, als Schauspieler,
als Regisseur und als Unternehmer vorführend, fokussiert Alpers Aspekte von Atelierpraxis und Markt
ebenso wie Sprachgebrauch und zeitgenössische Interpretationen des Theaterspiels. Damit vermag sie,
das ›Label‹ Rembrandt sowohl ästhetisch als auch
sozial zu erklären und die beiden in der Kunstwissenschaft miteinander konfligierenden, hier nur
kurz angerissenen Traditionen, den (an Form und
Material der Bildwerke orientierten) Internalismus
und den (am sozial- und kulturgeschichtlichen Kontext der Bildwerke orientierten) Externalismus, zu
versöhnen.
Tatsächlich also, so lässt sich alleine schon aufgrund der hier skizzierten Positionen festhalten, war
der modernen Kunstwissenschaft immer schon eine
Dynamik zu eigen, die nicht selten die Dichotomie
von Subjekt und Objekt unterlief, neben dem viel beschworenen Genie auch Materialitäten und gesellschaftliche Rahmungen und neben intrinsischen
auch extrinsische Variablen zu reflektieren erlaubte.
Wenn die Kunstwissenschaft der Medienwissenschaft herkömmlicherweise als eine Disziplin gilt,
die lediglich Werk, Autor und kulturellen Kontext
berücksichtigt und sich nur selten über die Hermeneutik singulärer Werke hinaus mit deren Medialität
und Rolle in einer von Massenmedien geprägten
modernen Gesellschaft befasst, dann mag jene Dynamik aufweisen, dass Kunst- und Medienwissenschaft mehr miteinander gemeinsam haben als gemeinhin angenommen. Schon die Ausbreitung und
die zunehmende Bedeutung einer wie auch immer
näher definierten ›Medienkunst‹ (vgl. z. B. Frieling/
Daniels 2004; Grau 2007) seit dem späten 20. Jahrhundert sind wohl nur noch interdisziplinär zwischen Kunst- und Medienwissenschaft verhandelbar; genauso wie die zeitgleich stark werdende Wortschöpfung ›Medienästhetik‹ (vgl. Schnell 2000;
Faulstich 2004, 90–94; Schröter 2013) nichts Geringeres als einen Brückenschlag bezeichnet.
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