Geistes-, sozial- und kulturwissenschatlicher
Anzeiger, 151. Jg. 2016, Het 1, S. 5–54
© 2016 by ÖAW, Wien
DOI: 10.1553/anzeiger151-1s5
GeorG Danek
Troilos und Lykaon
Ein Beitrag zur Intertextualität Homers*
Feindbilder in der Ilias
Die Achaier der Ilias beziehen für ihren Kampf keine Motivation daraus,
dass die Trojaner ‚fremd‘, d. h. andersartig und somit minderwertig, wären.1 Im Gegenteil: ‚fremdsprachig‘ (barbarophōnoi, Il. 2, 867) sind die
Verbündeten aus Karien, ja alle Verbündeten der Trojaner in ihrem bunten
Sprachengemisch (Il. 2, 803 und 4, 437–8). Die Trojaner selbst sind also
nicht ‚fremdsprachig‘, sondern sprechen dieselbe Sprache wie die Achaier.2 Ob man als achaischer Held gegen Trojaner kämpft oder aber gegen
Thebaner, Eleer, Arkader und Kentauren, spielt für das Kampfverhalten
keine Rolle.3
In pragmatischer Sicht ist Krieg zu führen vor allem harte Arbeit, um
Beute zu erlangen, und zwar entweder persönliche Beute oder einen Anteil an der kollektiven Beute, die nach Verdienst aufgeteilt wird.4 Beute ist
für alle Soldaten schon einmal notwendig, um den Kriegsverlauf selbst
inanzieren zu können. So bezahlen die Achaier den Wein, den ihnen der
Iason-Sohn Euneos aus Übersee (Lemnos) liefert, in Tauschwährung, die
ausschließlich aus Kriegsbeute besteht: Metall (= Waffen und Rüstungen
* Frühere Versionen dieses Beitrags wurden als Vorträge an der Aristoteles-Universität
Thessaloniki und an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gehalten.
1
Die Achaier der Ilias sind keine nationale Entität im Sinne der politischen Konstruktion
der Hellēnes vom 5. Jahrhundert an (E. Hall 1989; J. H. Hall 2002). Sie weisen aber
alle Wesensmerkmale des Hellēnismos auf, so wie sie Herodot für seine eigene Zeit
deiniert (8, 144): gleiches Blut (d. h. gemeinsame Herkunft, die über die engen Verwandtschaftsverhältnisse der Heroenwelt gegeben ist), gleiche Sprache, gemeinsame
Götterkultstätten und -feste sowie gleiches Brauchtum. Vgl. dazu MitcHell 2007.
2
Vgl. ross 2005; zusammenfassend stoevesanDt 2004, 348: „Die Troianer der Ilias entsprechen in kaum einer Hinsicht dem späteren Barbarenklischee. Was politische Institutionen, Religion und Wertvorstellungen betrifft, zeichnet der Dichter ein einheitliches
Bild von der ‚heroischen Gesellschaft‘, der die Troer und ihre Verbündeten ebenso angehören wie die Achaier.“
3
Sieben gegen Theben: 4, 376–98 und öfter; Eleer: 11, 670–761; Arkader: 7, 132–56;
Kentauren: 1, 267–8.
4
Für die Unterscheidung zwischen persönlicher und kollektiver Beute vgl. reaDy 2007.
6
GeorG Danek
getöteter Feinde), Rinder (= erbeutete Viehherden) und Kriegsgefangene
(Il. 7, 472–5):
… ἔνθεν ἄρ᾿ οἰνίζοντο κάρη κομόωντες Ἀχαιοί,
ἄλλοι μὲν χαλκῷ, ἄλλοι δ᾿ αἴθωνι σιδήρῳ,
ἄλλοι δὲ ῥινοῖς, ἄλλοι δ᾿ αὐτῇσι βόεσσιν,
ἄλλοι δ᾿ ἀνδραπόδεσσι …
… von dort holten sich den Wein die langhaarigen Achaier,
die einen mit Bronze, die anderen mit funkelndem Eisen,
andere mit Häuten, andere mit den Rindern selbst,
andere mit Sklaven …5
Für die Masse der Soldaten steht die fortlaufende Erringung von Beute so
sehr im Vordergrund, dass sie bisweilen an den kollektiven Kriegszweck
(Bezwingung der Feinde / Eroberung der Stadt) erinnert werden müssen,
etwa wenn Nestor während der Verfolgung der liehenden Troer die Truppen ermahnt (Il. 6, 68–71):
„… μή τις νῦν ἐνάρων ἐπιβαλλόμενος μετόπισθεν
μιμνέτω, ὥς κε πλεῖστα φέρων ἐπὶ νῆας ἵκηται·
ἀλλ᾿ ἄνδρας κτείνωμεν· ἔπειτα δὲ καὶ τὰ ἕκηλοι
νεκροὺς ἂμ πεδίον συλήσετε τεθνειῶτας.“
„… dass jetzt keiner aus Gier nach Beute (enara = Rüstungen) zurück
bleibe, um nur ja viel zu den Schiffen mitbringen zu können!
Nein, töten wir die Männer! Später könnt ihr ja nach Belieben
die gefallenen Toten quer über das Feld hin plündern!“
Die Erringung von Beute ist jedoch nicht zu trennen von der daraus abgeleiteten Position der einzelnen Helden innerhalb der Hierarchie der Achaier, der timē: Der Anteil an Beute, den man sich selbst erkämpft oder den
man vom Kollektiv zugewiesen bekommt, ist ein direkter Gradmesser für
den eigenen Stellenwert innerhalb der internen Rangordnung. Krieg ist der
wichtigste Regulator für die internen Machtkämpfe innerhalb einer Gesellschaft von status warriors.6 Das Drama der Ilias-Handlung entzündet sich
wesentlich an dem Machtkampf zwischen Achilleus und Agamemnon, in
dem es (auch) um unterschiedliche Auffassungen über die Verteilung des
je zukommenden Anteils an timē geht.
Der beste Gradmesser für die timē der einzelnen Helden sind Frauen als
Beute: Nestor erhält eine Beutesklavin von den Achaiern, weil er der Beste
im Rat ist (11, 626–7); Beutefrauen sind Arbeitskräfte (1, 31; 1, 115; 6,
454–63; 11, 628–41 etc.), bringen „unermessliche Lösegelder“ ein, wenn
sie von ihrer Familie wieder freigekauft werden (1, 13; 6, 427), und decken
nach allgemeinem gesellschaftlichem Konsens das elementare Lebensbe-
5
6
Textgestaltung und Übersetzung aller zitierten Texte durch den Autor.
Grundlegend zu dem gesamten Themenkomplex: van Wees 1992.
Troilos und Lykaon
7
dürfnis der Sexualität ab (1, 31; 9, 663–8; 24, 128–31; 24, 675–6).7 Die
ungleiche Verteilung sexueller Ressourcen bildet einen wesentlichen Antrieb für das Konkurrenzverhalten der homerischen Kriegergesellschaft.
Achilleus hat bei seinen Eroberungszügen Frauen aus Lyrnessos, Thebe,
Tenedos, Skyros und Lesbos versklavt; Agamemnon verspricht ihm für
den Fall, dass er wieder in den Kampf eintritt, die sieben schönsten „Frauen aus Lesbos“ sowie nach der Eroberung Troias zwanzig Frauen nach
eigener Wahl (9, 128–30; 139–40). Gleichwohl kann die versklavte Briseis
davon träumen, dass Achilleus sie nach Kriegsende zur rechtmäßigen Gattin machen werde (19, 295–9). Auch wenn die Erbeutung von Frauen also
nur einen willkommenen Nebeneffekt im harten Kriegs(beute)geschäft
darstellt, ist ihre ideologische Bedeutung zentral für die Deinition der
Rangordnung innerhalb der Kriegergesellschaft. Nicht zuletzt nimmt die
Handlung der Ilias ihren Ausgang von Konlikten um die Beutesklavinnen
Chryseis und Briseis.
Nichtsdestoweniger benötigt ein Krieg gegen äußere Feinde auch eine
Art Rechtfertigung, sofern er nicht mit dem Stigma eines unmotivierten
Übergriffs belastet sein will. Der Anlass dazu wird einem in der Regel
(vorgeblich) vom Feind selbst geliefert, der mit einer Art von Feindseligkeit begonnen habe, so dass man sich berechtigt fühle, Gegenmaßnahmen
zu ergreifen. Die Aggression des Gegners (hybris) kann in einem pragmatischen Akt der Schädigung bestehen,8 aber auch in der Verletzung eines
religiös-rituell abgesicherten Rechtsverhältnisses (Eidbruch, Verletzung
des Gastrechts).9 Beides ruft den Wunsch nach Vergeltung (tisis), ja nach
Reparationszahlung über den erlittenen Schaden hinaus (poinē) hervor.
Bei all dem gibt es in der Ilias eine große Bandbreite, wie die Feinde
behandelt werden, und zwar sowohl während des Kampfes als auch nach
diesem. Auf der einen Seite inden wir respektvollen, rituell oder vertraglich abgesicherten Umgang mit den Kampfgegnern unter Einhaltung ei-
7
8
9
Vgl. 1, 31 (Chryseis soll laut Agamemnon „mein Bett erwidern“); 2, 232–3 (Agamemnon verlangt laut Thersites eine Frau aus der gemeinsamen Beute, „damit er sich in
Liebe vereine“); 8, 291 (Agamemnon verspricht Teukros eine Frau, „die mit ihm das
gemeinsame Bett besteigen soll“); 24, 128–31 (Thetis fordert Achilleus auf, wieder zu
essen und wieder mit einer Frau zu schlafen).
So verweist Achill darauf, dass er keinen persönlichen Kriegsgrund gegen die Troer
habe, da diese ihn zuvor nicht geschädigt hätten: „Denn nicht wegen der Troer, der
Speerkämpfer, kam ich ja / hierher, um zu kämpfen, da sie mir nichts schuldig sind. /
Denn noch nie trieben sie meine Rinder davon oder Pferde, / noch haben sie je im
großscholligen, Mann-ernährenden Phthia / die Ernte vernichtet, da ja sehr viel dazwischenliegt, / die schattigen Berge sowie auch das tosende Meer …“ (1, 152–7).
Der Pfeilschuss des Pandaros (4, 64–7: Eidbruch) spiegelt innerhalb der Iliashandlung
sowohl den Raub der Helena (3, 351–4: Bruch des Gastrechts) als auch den Mordversuch an Menelaos bei der Gesandtschaft zur Rückforderung Helenas (11, 138–41).
8
GeorG Danek
nes ungeschriebenen Verhaltenscodes;10 auf der anderen Seite reichen die
Gräuel des Krieges bis hin zur Ermordung wehrloser, um Gnade lehender
Gegner11 und bis hin zum Wunsch, die gesamte männliche Bevölkerung
des Feindes auszurotten, einschließlich der Kinder und noch ungeborenen
Babys, oder sämtliche Frauen zu vergewaltigen.12
Die Bandbreite zwischen ‚humaner‘ und ‚inhumaner‘ Behandlung des
Feindes ist bei Achilleus besonders stark ausgeprägt. Dabei fällt allerdings
auf, dass ein deutlicher Gegensatz zwischen Achills Feind-Verhalten ‚vor
der Ilias‘, d. h. vor dem Einsetzen der Handlung (präsent in analeptischen
Rückblenden), und ‚in der Ilias‘, d. h. nach dem Tod des Patroklos, gezeichnet wird. Mit dieser intratextuellen chronologischen Schichtung (vor
dem Einsatz des Plots – nach dem Einsatz des Plots) wird automatisch
auch eine intertextuelle Beziehung (außerhalb der Ilias – innerhalb der Ilias) evoziert. Damit erweitert sich die Frage nach dem Verhalten Achills
gegenüber den Feinden zu einer Frage nach dem Verhältnis zwischen dem
Achill-Bild der Ilias und dem Achill-Bild in der übrigen (d. h. auch der
vorhomerischen) epischen Überlieferung. Wie komplex eine solche Fragestellung ist und zu welch erhellenden Einsichten sie führen kann, sei vorab
exemplarisch an einem intertextuellen Bezugsspiel der jüngsten Rezeptionsgeschichte illustriert.
Wolfgang Petersens „Troy“ und Christa Wolfs „Kassandra“
In einer markanten Szenensequenz aus Wolfgang Petersens Film „Troy“
(2004) springt Achilles als erster Grieche von seinem Schiff auf trojanischen Boden. Er bildet mit den Myrmidonen die Kampfformation einer
testudo, bricht dann aus dieser hervor, durchbricht die Verteidigungslinien
der Troer und kämpft sich seinen blutigen Weg voran bis zum Apollontempel hoch über dem Strand. Dort angekommen, schickt er seine Soldaten
in das Innere, um den Tempel zu plündern (und die wehrlosen Priester
zu töten).13 Als sein Vizekommandant ihn warnt, den Gott durch den ri10
11
12
13
Man denke hier an die Vertragsvereinbarungen vor den Zweikämpfen (3, 276–91; 7,
67–91), die Waffenstillstandsvereinbarungen (7, 375–432; 24, 656–804) oder die Begegnung der Gastfreunde Diomedes und Glaukos auf dem Schlachtfeld (6, 119–236).
Zum Leitmotiv der (abgeschlagenen) Hikesie vgl. kelly 2014.
6, 57–60 (Ermordung Ungeborener); 2, 354–6 (Massenvergewaltigung aller trojanischen Frauen durch die zahlenmäßig zehnfach überlegenen Achaier). Vgl. 22, 61–5 (Ermordung der Kinder, Massenvergewaltigung). Dies greift weit über das gesellschaftlich
akzeptierte ‚Normverhalten‘ bei einer Stadteroberung hinaus: Tötung der Männer, Versklavung der Frauen und Kinder (9, 593–4). Zum Zusammenhang zwischen männlicher
Aggression, Krieg, Frauenraub und Vergewaltigungspolitik vgl. GottscHall 2008.
In diesem Tempel haben wir bereits in einer früheren Einstellung die frischgeweihte
Apollon-Priesterin Briseis gemeinsam mit den anderen Priestern gesehen; erst später
Troilos und Lykaon
9
tuellen Übergriff zu reizen, zückt er in einer emotionalen Aufwallung das
Schwert und schlägt der goldenen Apollon-Statue vor dem Tempeleingang
den Kopf ab. Als aber wenig später Hektor mit Verstärkung eintrifft und
von den Myrmidonen eingekesselt wird, lässt ihn Achilles einfach laufen
und kommentiert das mit der Bemerkung: “It is too early in the day for
killing princes.”
Achills Verhältnis zum Feind – hier Kampfmaschine und Frevler, dort
‚edler Ritter‘ – wirkt seltsam ambivalent. Damit steht die Sequenz aber
ganz in Einklang mit der Darstellung von Achills Charakter in der übrigen
Handlung des Films: Achilles wurde schon zuvor als potenzielle Tötungsmaschine, die alle Autoritäten in Frage stellt, gezeichnet, jedoch auch als
relektierende Person, die zu edlen Gesten neigt und den Sinn von Heldentum in Frage stellt. Doch abgesehen von der führenden Rolle, die Achilleus
bei der Einnahme der trojanischen Küste einnimmt, scheint kein einziges
Detail dieser Szenenfolge auf antiken Quellen zu beruhen:14 Alle Texte der
Antike stimmen darin überein, dass nicht Achilleus der erste Grieche war,
der an Land sprang, sondern Protesilaos; nirgends erobert Achilleus einen
Tempel des Apollon; und nirgends wird eine Konstellation erwähnt, in der
Achilleus Hektor verschont.15 Im Übrigen wirkt die Enthauptung der goldenen Apollon-Statue unübersehbar wie ein Ersatzmotiv für die Enthauptung eines menschlichen Gegners.
Die Inspirationsquelle für den Drehbuchautor David Benioff lässt sich,
wie ich meine, leicht eruieren: In Christa Wolfs Erzählung „Kassandra“
(1983) steht die Ich-Erzählerin Kassandra vor dem Apollontempel hoch
über der Küste und beobachtet, wie die Griechen sich an Land kämpfen.
Achill springt aus der Deckung der (genau beschriebenen) testudo seiner
Kameraden hervor und verfolgt gezielt Troilos, Kassandras jüngsten Bruder. Dieser scheint schon bezwungen, kann aber noch einmal entkommen
und lüchtet in den Tempel, wo er unter dem Schutz seiner Schwester, der
Apollon-Priesterin, in Sicherheit scheint. Doch Achill betritt in voller Rüstung das Tempelinnere, schüttelt Kassandra ab, erdrosselt Troilos voll (sexuell aufgeladener) Mordlust und schlägt ihm anschließend „im Anblick
der Apollon-Statue“ den Kopf ab. Für Kassandra ist Achill „der Feind, das
Monstrum“ oder, auf eine prägnante Formel gebracht: „Achill das Vieh“.16
14
15
16
werden wir im Rückblick erfahren, dass die Myrmidonen sie jetzt gefangen nehmen,
um sie im Zelt des Achilleus als seine persönliche Beutesklavin zu deponieren.
Zum Verhältnis des Films zu den antiken Quellen vgl. die Beiträge im Sammelband von
Winkler 2007.
In der Ilias behauptet Achilleus, dass Hektor in den ersten neun Kriegsjahren sich ihm
nur ein einziges Mal zum Kampf gestellt habe, dabei aber nur mit Mühe sein Leben
retten konnte (9, 352–5).
Wolf 2008 [1983], 95–98.
10
GeorG Danek
Würden wir an dieser Stelle nur Quellenforschung betreiben, so wäre
der Fall bereits hinreichend geklärt: Es spricht alles dafür, dass der Drehbuchautor David Benioff (und/oder der deutsche Regisseur Wolfgang Petersen) für die Filmsequenz auf die Passage aus Christa Wolfs Erzählung
‚zurückgegriffen‘ hat,17 ohne dass wir uns darauf festlegen müssen, ob dies
bewusst oder unbewusst geschehen sei, ob es sich um ‚Plagiat‘ oder ‚subtile Anspielung‘ handle. Vor allem die Enthauptung der Apollon-Statue
im Film, die so sehr nach einem Ersatzmotiv für die Enthauptung eines
Menschen aussieht, indet eine in sich völlig stimmige Erklärung, wenn
sie durch die Enthauptung des Troilos „im Anblick der Apollon-Statue“
angeregt wurde.
Im Übrigen ist die Rolle der Briseis im Film „Troy“ weit über diese
Szene hinaus von der Gestalt der Kassandra beeinlusst.18 Dass es sich bei
dem Vorbild aber nicht um die mythologische Figur schlechthin handelt,
sondern exakt um die Protagonistin aus Christa Wolfs Erzählung, wird
dann klar, wenn Briseis später im Film zu Achilles sagt: “I thought you
are a dumb brute … I could have forgiven a dumb brute!” An dieser Stelle
wird uns endgültig bewusst, dass Briseis bis zu diesem Zeitpunkt innerhalb
der Filmhandlung Achilles mit den Augen von Christa Wolfs Ich-Erzählerin betrachtet hat, welche Achill nicht weniger als 24-mal als „Achill
das Vieh“ bezeichnet.19 Doch in der Filmszene, in der Achilles über das
Verhältnis zwischen Göttern und Menschen und über den Zusammenhang
zwischen Heldentum und Unsterblichkeit sinniert, tritt Briseis aus Kassandras Fußstapfen heraus und hört auf, Achilles einfach nur zu verachten.20
Wir, das Publikum, machen uns also durch den Filter der post-kassandreischen Briseis noch deutlicher bewusst, dass Achilles in diesem Film nicht
einfach ‚Achill das Vieh‘ repräsentiert, auch wenn er diesem Rollenbild
17
18
19
20
Die alternative Erklärung einer ‚gemeinsamen Quelle‘ lässt sich ausschließen. Zwar
benutzen sowohl Christa Wolf als auch David Benioff die Darstellung der griechischen
Mythologie von Robert (ranke-)Graves (1960 [1955]), in der die Ermordung des Troilos wie folgt erzählt wird: „[…] Troilos loh in den Tempel des Thymbraiischen Apollon; doch Achilleus kümmerte sich wenig um den Zorn des Gottes, und da Troilos
unnachgiebig blieb, enthauptete er ihn am Altar, dem gleichen Platz, an dem er später
selbst sterben sollte.“ Doch erklärt das nicht die Übereinstimmungen im Detail zwischen der Szene in „Troy“ und in der „Kassandra“.
Vgl. BurGess 2009, 167, mit weiterer Literatur. Die Briseis des Films übernimmt auch
die Handlungsfunktionen weiterer Frauengestalten des Mythos: Chryseis, Athene, Klytaimnestra und in der letzten Phase vor allem Polyxena. Vgl. dazu Danek 2007, 80f.
In der für den Film relevanten englischen Übersetzung des Romans (Wolf 1984) heißt
es konsequent „Achilles the brute“.
Das Zitat signalisiert somit, dass die Briseis des Films sich hier vom Rollenvorbild der
Kassandra emanzipiert und endgültig in die Rolle der Briseis der Ilias schlüpft; spätestens mit der Freigabe von Hektors Leichnam mutiert sie aber unmissverständlich zur
Polyxena des nachhomerischen Mythos weiter.
Troilos und Lykaon
11
über weite Strecken nahekommt, sondern an der vielschichtigen Gestalt
aus Homers Ilias gemessen werden will.
Die Rolle des Achilles im Film „Troy“ ist also mit hoher Wahrscheinlichkeit anhand von Übereinstimmungen und Abweichungen mit Christa Wolfs „Kassandra“ geformt. Für klassische Vertreter des Modells der
‚Neoanalyse‘ würde dies schon ein befriedigendes Resultat darstellen.21
Aber welche Bedeutung hat das für die Rezeption des Films selbst? Man
wird davon ausgehen können, dass unter den Zusehern weltweit die Zahl
jener, die Christa Wolfs „Kassandra“ je gelesen hatten, im Promillebereich
lag. Und selbst von den Lesern werden sich wohl nur wenige Personen
beim ersten Anschauen des Films an die präzise Abfolge der Ereignisse
rund um die Ermordung des Troilos in Wolfs „Kassandra“ erinnern haben
können. Ich zumindest konnte mich beim ersten Mal im Kino nicht erinnern, und beim zweiten und dritten Ansehen noch immer nicht;22 ich habe
auch sonst niemand angetroffen, dem die Übereinstimmung aufgefallen
wäre, obwohl alle meine Freunde und Kollegen Christa Wolfs „Kassandra“
bei deren Erscheinen 1983 intensiv diskutiert haben.
Im Übrigen benötigt das Publikum des Films die intertextuelle Anspielung gar nicht, um die inhärente Aussage zu erfassen, da der Film den
zugrundeliegenden Dialog zwischen ,Modell‘ und ,Kopie‘ ohnehin in seinen eigenen ,Text‘ integriert hat: Wir haben ja schon vor dem Dialog zwischen Achilles und Briseis miterlebt, dass Achilles, sobald es zur Schlacht
kommt, sich zum Berserker entwickelt und nicht einmal davor zurückschreckt, die Götter anzugreifen; auf der anderen Seite kann er es nicht mit
seinem Heldenkodex vereinbaren, den mehr oder weniger wehrlosen Hektor zu töten. Der Film weist also schon dadurch (‚textimmanent‘) darauf
hin, dass ein Unterschied darin besteht, wie Achilles handeln könnte, wenn
er wollte, und wie er tatsächlich handelt, und er lässt somit keinen Zweifel
daran aufkommen, dass der Achilles dieses Films sich nicht auf die Formel
,Achill das Vieh‘ reduzieren lässt.
Trotzdem lässt sich nicht ignorieren, dass die intertextuelle Beziehung,
sobald sie erst einmal registriert wird, auch tatsächlich besteht. Nachdem
der Film erschienen war, habe ich Christa Wolfs Text wieder gelesen und
war von Neuem davon beeindruckt, wie konsequent die Ich-Erzählerin ihren unerbittlichen Blick auf ‚Achill das Vieh‘ beibehält. Ich bin seitdem
fest davon überzeugt, dass dieser Roman für David Benioff – nach Homers Ilias – die wichtigste Inspirationsquelle zur Gestaltung der Rollen
von Achilles und Briseis war, auch wenn ich noch immer nicht entscheiden
kann oder will, ob Benioff sich seiner ‚Übernahme‘ überhaupt bewusst
21
22
Zur Methode der Neoanalyse als Leitmodell der modernen Homerforschung vgl. zuletzt die Beiträge in Montanari u. a. 2012.
So auch nicht in Danek 2007.
12
GeorG Danek
war oder ob er auf den Spuren eines Textes schrieb, dessen Lektüre schon
lange zurücklag, oder ob die Anregung für diese Charakterisierung Achills
vielleicht von dem Deutschen Wolfgang Petersen kam.
Der entscheidende Punkt liegt für mich auch ganz woanders, nämlich
in der Tatsache, dass ich jetzt, da ich die „Kassandra“ wiedergelesen habe,
nicht mehr imstande bin, den Film anzusehen, ohne an Christa Wolfs Version der Geschichte zu denken. Ich habe Kassandras Blick vor mir, wenn
ich auf der Leinwand Achilles auf den Apollontempel zustürmen sehe, und
ich kann mein Hirn nicht daran hindern, Troilos als die Leerstelle in dieser
Filmszene zu lokalisieren: Achilles enthauptet die Apollon-Statue stellvertretend für den wehrlosen Knaben, und er lässt danach Hektor, der in
die Fußstapfen seines hillosen Bruders geschlüpft zu sein scheint, einfach
laufen, anstatt ihn zu töten. Wie könnte ich mich dem entziehen, mich an
Troilos zu erinnern? Aber wie kann ich es auch wiederum vermeiden, die
Erinnerung an Troilos zu verdrängen, da ich von den Ereignissen auf der
Kinoleinwand völlig gebannt bin? Gérard Genette hat dieses Janusgesicht
der Intertextualität mit der Metapher des Palimpsests beschrieben:23 Wir
spüren, dass unter der Oberläche des Textes, den wir lesen, etwas Anderes,
Zusätzliches, ‚Eigentliches‘ verborgen liegt; doch da unsere Konzentration
voll und ganz von dieser Oberläche in Anspruch genommen wird, erliegen
wir der Illusion, dass wir die darunter verborgenen Textschichten gar nicht
in Anspruch nehmen, um zu einem vollständigen Verständnis des Textes
zu gelangen.
Die Frage, wie Achilleus seine Feinde behandelt und betrachtet – als
wehr- und gesichtslose Objekte, die er in einem wahren Blutrausch hinschlachten kann, oder als gleichwertige Gegner, die gemäß den Regeln
eines ungeschriebenen Heldenkodex eine respektvolle Behandlung verdienen –, scheint also unweigerlich mit der Frage nach intertextuellen Schichtungen der Achilleus-Figur verknüpft. Das leuchtet unmittelbar ein bei der
Diskussion eines Films, für den wir uns in der Frage nach Quellen und Publikumsreaktionen auf relativ sicherem Boden bewegen. Sobald wir aber
das Achill-Bild der Ilias in den Blick nehmen und nach dessen möglichen
intertextuellen Bezugsebenen fragen, wird uns der fragmentarische Überlieferungszustand der frühgriechischen Epik abseits von Ilias und Odyssee
schmerzlich bewusst; außerdem müssen wir uns vor Augen halten, dass
wir es mit einem fast ausschließlich mündlichen Umfeld zu tun haben,
in dem Zitate und literarische Anspielungen ganz anderen Voraussetzungen unterliegen als in einer etablierten Schriftkultur.24 Und doch lässt sich
die für den Film „Troy“ aufgeworfene Frage, wie ich zeigen möchte, mit
23
24
Vgl. Genette 1982 mit meinen Bemerkungen in Danek 2010b, vor allem 127–129.
Zur Frage nach der Möglichkeit von Intertextualität in mündlichen Erzählkulturen vgl.
Danek 1998, passim, und 2002.
Troilos und Lykaon
13
voller Berechtigung auch auf die Ilias übertragen: Können oder sollen wir
Homers Ilias lesen, ohne uns an Troilos zu erinnern? Und konnten es Homers Zuhörer der ersten Generationen? Ich werde in der Folge diese Frage
einengen: Wenn wir uns bei der Lektüre der Ilias an Troilos erinnern, wie
wird dann davon unsere Auffassung von einer der eindrucksvollsten Szenen der Ilias beeinlusst, nämlich der Episode vom Tod des Lykaon?
Troilos in der Ilias
Der Text der Ilias selbst hat die Erinnerung an Troilos in sich eingeschrieben, wenn auch nur an einer einzigen Stelle, in einer einzigen expliziten
Erwähnung. Priamos jedenfalls kann nicht aufhören, sich an Troilos zu erinnern, auch wenn dieser nach der Chronologie der Handlung schon lange
tot sein muss. Der König erwähnt seinen geliebten Sohn, als er nach dem
Tod Hektors seine noch verbliebenen Söhne als Nichtsnutze beschimpft
(Il. 24, 255–8):
„… ὤ μοι ἐγὼ πανάποτμος, ἐπεὶ τέκον υἷας ἀρίστους
Τροίῃ ἐν εὐρείῃ – τῶν δ᾿ οὔ τινά φημι λελεῖφθαι –,
Μήστορά τ᾿ ἀντίθεον καὶ Τρωΐλον ἱππιοχάρμην
Ἕκτορά θ᾿ …“
„… Ach ich völlig Unglückseliger, da ich die besten Söhne zeugte
im weiten Troia – und von ihnen ist keiner, sag ich, verblieben –,
den gottgleichen Mestor und den Rossekämpfer Troilos
und Hektor …“
Die Tötung des Troilos ist innerhalb der Handlungszeit der Ilias nicht erzählt, muss also vor dem Einsetzen des Plots erfolgt sein. Doch die beiläuige Art, wie Priamos sie erwähnt, suggeriert, dass sein internes Publikum
(die Troer) deren Umstände kennt, und impliziert damit, dass das externe
Publikum (die Hörer/Leser der Ilias) die lapidare Namensnennung um die
Details der traditionellen Geschichte ergänzen konnte.25
Lykaon in der Ilias
Genau umgekehrt ist es, wenn Priamos der Hoffnung Ausdruck verleiht,
dass sein Sohn Lykaon noch am Leben sei, während die Hörer/Leser der
Ilias bereits wissen, dass er Achilleus zum Opfer gefallen ist: Als Hektor
sich vor den Mauern Troias Achilleus zum Zweikampf stellt, erinnert ihn
25
Im Gegensatz zu Troilos ist unsere Evidenz für Mestor dürftig. Nur bei Apollodor ist erwähnt, dass Achilleus ihn in der Anfangsphase des Krieges tötet (epit. 3, 32). Eben dies
lässt darauf schließen, dass die Episode schon in den Kyprien erzählt war (kullMann
1960, 283f.; West 2003, 78f. u. 13 und 2013, 120) und einen traditionellen Bestandteil
des ‚Faktenkanons‘ des Troia-Mythos bildete (kullMann 1960, 12f.).
14
GeorG Danek
Priamos daran, dass Achilleus schon viele seiner Brüder getötet oder in die
Sklaverei verkauft habe, und fährt dann fort (Il. 22, 46–50):
„… καὶ γὰρ νῦν δύο παῖδε, Λυκάονα καὶ Πολύδωρον,
οὐ δύναμαι ἰδέειν Τρώων εἰς ἄστυ ἀλέντων,
τούς μοι Λαοθόη τέκετο κρείουσα γυναικῶν.
ἀλλ᾿ εἰ μὲν ζώουσι μετὰ στρατῷ, ἦ τ᾿ ἂν ἔπειτα
χαλκοῦ τε χρυσοῦ τ᾿ ἀπολυσόμεθ᾿ …“
„… denn auch jetzt kann ich zwei Söhne, Lykaon und Polydoros,
nicht unter den Troern erblicken, die in die Stadt hineindrängen,
die zwei, die mir Laothoe gebar, die Herrin der Frauen.
Ja, wenn sie im Lager noch am Leben sind, dann werden wir freilich
mit Bronze und Gold sie freikaufen …“
Wir wissen, dass Achilleus soeben Lykaon (Il. 21, 34–127) und Polydoros
(Il. 20, 407–20) getötet hat;26 Priamos weiß es noch nicht. Die Informationsdifferenz erzeugt also tragische Ironie.27 Priamos wird bald erfahren,
was mit diesen beiden Söhnen geschehen ist, und wir können postulieren,
dass er elf Tage später,28 wenn er neben Hektor und Troilos alle seine übrigen gefallenen Söhne beklagt, auch bereits Lykaon und Polydoros in seine
Klage miteinschließt.
Die Parallele zwischen den beiden ‚Erinnerungen‘ des Priamos bewirkt
jedenfalls, dass die Zuhörer/Leser der Ilias den motivischen Zusammenhang registrieren. Doch hat der Tod des Lykaon über die bloße Motivparallele hinaus etwas mit dem Tod des Troilos zu tun? Oder, noch einmal
gefragt: Müssen wir uns an Troilos erinnern, wenn wir die Lykaon-Szene
in der Ilias lesen? Immerhin fügt sich diese auch ohne Referenztext sehr
gut in den größeren Zusammenhang der Ilias-Handlung und wurde immer
schon als eine entscheidende Station in der inneren Entwicklung des Achil-
26
27
28
Polydoros wird in allen anderen Quellen zu Kriegsbeginn als Kind von Priamos außer
Landes gebracht und fällt später meist einem Mordanschlag zum Opfer. Falls solche
Versionen schon in der frühen Überlieferung kursierten, spielt Homer auf sie an (20,
408–9: Priamos wollte Polydoros nicht in den Kampf ziehen lassen) und biegt sie ins
Tragisch-Heroische um (20, 411–5: Polydoros fällt seinem jugendlichen Übermut zum
Opfer und wird von Achilleus zwar nicht hinterrücks, aber in den Rücken getroffen).
Vgl. De JonG 2012, ad 22, 46–53, zur „pitiable dramatic irony“ und zur rhetorisch
wirkungsvollen Koppelung von Lykaon und Polydoros, die in 21, 89–91 bereits vorweggenommen ist.
Priamos begibt sich „am zwölften Tag“ (24, 31) nach dem Beginn der Schändung von
Hektors Leiche (22, 395 ≈ 24, 22) zu Achilleus (BrüGGer 2009, 29f., mit sorgfältiger
Diskussion der bisher vorgeschlagenen Tagesrechnungen der Ilias). Analog dazu kehren die Götter „am zwölften Tag“ (1, 425), d. h. wohl nach ihrer Abreise zu den Aithiopen (1, 424, chthizos), auf den Olymp zurück. Der Handlungszeitraum der Ilias umfasst
dann nicht 49 Tage (so zuletzt auch noch Brügger), sondern 48 Tage.
Troilos und Lykaon
15
leus interpretiert.29 Das bestätigt sich bereits bei einem ersten Blick auf die
äußere Erzählstruktur der Szene innerhalb der Aristie des Achilleus:
Achilleus gelingt es in seinem Sturmlauf nach der Rückkehr in die
Schlacht, die Hälfte des troischen Heeres seitwärts in die Fluten des Skamander abzudrängen.30 Als ihm der Priamos-Sohn Lykaon wieder aus dem Fluss
entgegenkommt, referiert der Erzähler dessen Vorgeschichte: Achilleus hatte
ihn schon einmal gefangen genommen und in die Sklaverei verkauft; doch
Lykaon war es gelungen, zurück nach Troia zu kommen und wieder in den
Kampf einzutreten. Achilleus registriert dies in einem Monolog mit Verwunderung und Sarkasmus; er verfehlt Lykaon mit einem ersten Lanzenstoß; der
wehr- und waffenlose Lykaon bittet in einer langen Hikesie-Rede um sein
Leben; Achilleus weist die Bitte in einer langen Gegenrede zurück, ersticht
Lykaon mit dem Schwert, schleudert ihn am Fuß in den Fluss und hält eine
Prahlrede, bevor er sich weiteren Opfern zuwendet. Die lange Szene lässt
sich also auf folgende Kernelemente reduzieren (Il. 21, 34–122):
ἔνθ᾿ υἷι Πριάμοιο συνήντετο Δαρδανίδαο
ἐκ ποταμοῦ φεύγοντι Λυκάονι, τόν ῥά ποτ᾿ αὐτὸς
ἦγε λαβὼν …
… ἤτοι ὃ μὲν δόρυ μακρὸν ἀνέσχετο δῖος Ἀχιλλεὺς
οὐτάμεναι μεμαώς· ὃ δ᾿ ὑπέδραμε καὶ λάβε γούνων
κύψας· ἐγχείη δ᾿ ἄρ᾿ ὑπὲρ νώτου ἐνὶ γαίῃ
ἔστη ἱεμένη χροὸς ἄμεναι ἀνδρομέοιο.
αὐτὰρ ὃ τῇ ἑτέρῃ μὲν ἑλὼν ἐλλίσσετο γούνων,
τῇ δ᾿ ἑτέρῃ ἔχεν ἔγχος ἀκαχμένον οὐδὲ μεθίει,
καί μιν φωνήσας ἔπεα πτερόεντα προσηύδα …
ὣς φάτο· τοῦ δ᾿ αὐτοῦ λύτο γούνατα καὶ φίλον ἦτορ·
ἔγχος μέν ῥ᾿ ἀφέηκεν, ὃ δ᾿ ἕζετο χεῖρε πετάσσας
ἀμφοτέρας· Ἀχιλεὺς δὲ ἐρυσσάμενος ξίφος ὀξὺ
τύψε κατὰ κληῖδα παρ᾿ αὐχένα· πᾶν δέ οἱ εἴσω
δῦ ξίφος ἄμφηκες. ὃ δ᾿ ἄρα πρηνὴς ἐπὶ γαίῃ
κεῖτο ταθείς· ἐκ δ᾿ αἷμα μέλαν ῥέε, δεῦε δὲ γαῖαν.
τὸν δ᾿ Ἀχιλεὺς ποταμόνδε λαβὼν ποδὸς ἧκε φέρεσθαι,
καί οἱ ἐπευχόμενος ἔπεα πτερόεντ᾿ ἀγόρευεν·
„ἐνταυθοῖ νῦν κεῖσο μετ᾿ ἰχθύσιν …“
29
30
34
36
67
73
114
122
Da traf er auf einen Sohn des Priamos, des Dardaniden,
der aus dem Fluss lüchtete, den Lykaon, den er einst selbst
gefangen genommen hatte …
34
… er also hob die lange Lanze, der edle Achilleus,
67
36
Vgl. vor allem scHein 1984, 98f. u. 147–149; stoevesanDt 2004, 155f., mit neuerer
Literatur.
Seitwärts: Der Skamander ließt nicht quer über das Schlachtfeld (so zuletzt wieder
clay 2011, 103, Anm. 25, mit Literatur), sondern bildet die „äußerste“, „linke“ Begrenzung des Schlachtfelds (eschatiēi: 11, 524; ep’ aristera: 5, 355 in Verbindung mit 5, 36;
11, 498–9). Vgl. zuletzt BrüGGer 2009, ad 24, 351 (mit Literatur).
16
GeorG Danek
um zuzustoßen; doch der unterlief ihn und packte seine Knie
niedergeduckt; da stieß der Speer über seinem Rücken
in die Erde, begierig, sich am Menschenleische zu laben.
Der aber griff mit der einen Hand an seine Knie und lehte,
hielt mit der andren den spitzen Speer fest, ließ ihn nicht los,
redete ihn an und sprach die geiederten Worte …
So sprach [Achilleus]; dem lösten sich Knie und liebes Herz.
Er ließ den Speer los, kniete sich hin und streckte die Hände aus,
alle beide; Achilleus aber zückte sein scharfes Schwert
und stieß am Hals beim Schlüsselbein zu; und ganz in ihn hinein
tauchte das scharfe Schwert. Da lag er vornüber auf der Erde
hingestreckt; das schwarze Blut loss heraus und tränkte die Erde.
Ihn packte Achilleus am Fuß und schleuderte ihn in den Fluss
und rühmte sich über ihn und sprach die geiederten Worte:
„Dort kannst du jetzt bei den Fischen liegen …“
73
114
122
Bei formaler Betrachtungsweise lässt sich diese Szenenabfolge als Konglomerat typischer Motivelemente auffassen:31
• So bitten auch andere Trojaner auf dem Schlachtfeld um ihr Leben und
werden trotzdem getötet, darunter der junge Tros von Achilleus selbst
(20, 463–72).32
• Auch die Priamiden Isos und Antiphos wurden bereits einmal von
Achilleus gefangen genommen und werden bei ihrem erneuten Eintritt
in den Kampf von Agamemnon getötet (11, 101–21).
• Auch ein weiteres Opfer Achills hat sich bereits als Sohn des Priamos
und der Laothoë, also als Halbbruder Hektors erwiesen (Polydoros, 20,
407–20).
• Auch Achills Überfall auf Aineias abseits vom Schlachtfeld ist unmissverständlich als Hinterhalt (lochos) stilisiert (20, 89–91).33
Darüber hinaus kann man fragen, ob die Episode von der Gefangennahme
und dem Verkauf des Lykaon in die Sklaverei (die nach der Chronologie
der Ilias vor dem Einsetzen des Plots stattgefunden hat) nicht schon in der
vorhomerischen mündlichen Erzähltradition verankert war. Immerhin war
die Episode nach dem Zeugnis des Proklos in den Kyklischen Kyprien
enthalten.34 Dieses Epos ist in seiner in der Antike bekannten schriftlichen
Version zwar mit Sicherheit erst nach der Ilias entstanden und nimmt auf
31
32
33
34
Die wichtigsten Parallelstellen sind im Kommentar von ricHarDson (1993, 56) verzeichnet.
Zur (abgeschlagenen) Hikesie als Leitmotiv der Ilias vgl. zuletzt reaDy 2005 sowie
kelly 2014.
Zu Typologie und Ideologie des lochos in der frühgriechischen Epik ausführlich Dué /
eBBott 2010, 31–87.
Kypria, § 46 (Kullmann): Λυκάονά τε Πάτροκλος εἰς Λῆμνον ἀγαγὼν ἀπεμπολεῖ („und
Patroklos führt Lykaon nach Lemnos und verkauft ihn“). Vgl. Apollodor, Epitome 3,
Troilos und Lykaon
17
deren Handlungsablauf Rücksicht; sein Material war aber sichtlich bereits in der (vorhomerischen) mündlichen Tradition kanonisch verankert
und somit auch dem Dichter der Ilias und seinem primären Publikum
bekannt.35 Wir können also nicht mit Bestimmtheit entscheiden, ob der
Dichter der Ilias die Lykaon-Geschichte aus der Tradition übernommen
oder sie nicht vielmehr doch selbst erfunden hat.36 Hier erscheint mir nun
eine alte Hypothese von Kullmann noch immer erwägenswert:37 Die Episode von Lykaons Gefangennahme und seinem Verkauf nach Lemnos, wie
sie sowohl in der Ilias als auch in den Kyprien geschildert war, könnte alter
Erzähltradition entstammen; deren Fortsetzung jedoch, Lykaons Rückkehr
in die Schlacht und seine zweite, tödliche Begegnung mit Achilleus, könnte in der Ilias als Innovation und somit als Überraschung für das ursprüngliche Publikum, das mit der Tradition vertraut war, inszeniert sein.38
Es scheint somit möglich, die Figur des Lykaon schon in der vorhomerischen Tradition zu verorten, die Weiterführung und Ausgestaltung seiner
Biographie in der Ilias jedoch als Agglomerat typischer Motive aufzufassen. Doch bei aller Typizität verbleiben in der Lykaon-Szene zwei Motive
– das eine in der Vorgeschichte (Gefangennahme und Verkauf), das andere
bei der tödlichen Begegnung mit Achilleus –, die im Kontext der Ilias auffällig hervorstechen:
Erstens: Anders als in allen vergleichbaren Szenen der Ilias hat die
Gefangennahme des Lykaon weder auf dem Schlachtfeld noch bei einem
Beutezug im Umfeld von Troia stattgefunden. Der Erzähler selbst referiert
die Umstände der Ergreifung so (Il. 21, 35–9):
… Λυκάονι, τόν ῥά ποτ᾿ αὐτὸς
ἦγε λαβὼν ἐκ πατρὸς ἀλωῆς οὐκ ἐθέλοντα
ἐννύχιος προμολών· ὃ δ᾿ ἐρινεὸν ὀξέϊ χαλκῷ
τάμνε νέους ὄρπηκας, ἵν᾿ ἅρματος ἄντυγες εἶεν·
τῷ δ᾿ ἄρ᾿ ἀνώϊστον κακὸν ἤλυθε δῖος Ἀχιλλεύς …
… den Lykaon, den er einst selbst
gegen seinen Willen in seines Vaters Garten gefangen hatte,
da er des Nachts ausgerückt war;39 der schnitt mit scharfem Erz
35
36
37
38
39
32: καὶ νυκτὸς ἐλθὼν ἐπὶ τὴν πόλιν Λυκάονα λαμβάνει („und [Achill] geht des Nachts
an die Stadt heran und nimmt Lykaon gefangen“).
Zum komplexen Verhältnis zwischen den Kyklischen Epen, ihrer Verankerung in der
mündlichen Tradition und Homer (Ilias und Odyssee) vgl. kullMann 1960; BurGess
2001; deutlich skeptischer zuletzt West 2013.
Für eine Erindung des Iliasdichters ex nihilo plädiert zuletzt West (2011, 375f. und
2013, 122).
kullMann 1960, 249f.; skeptisch dazu taplin 1992, 222, Anm. 20.
Wir hätten mit dieser Annahme eine Parallele zu der oben vermuteten ‚Manipulation‘
des Polydoros-Mythos (vgl. Anm. 26).
Der Aorist προμολών markiert eine Aktion, die dem Imperfekt ἦγε vorausgeht, kann
also sehr gut Achills nächtlichen Aufbruch aus dem Lager bezeichnen (so aMeis / Hen
18
GeorG Danek
die jungen Triebe eines Ölbaums, um Wagenkränze zu bauen;
da kam ihm als unverhofftes Übel der edle Achilleus …
In der Ilias wird suggeriert, dass vor dem Einsatz der Handlung die Gefangennahme von Troern immer direkt in der Schlacht (d. h. anstelle der
Tötung des Bezwungenen) oder als Nebeneffekt bei Beutezügen erfolgt
sei. Auch Achilleus selbst weist darauf hin, dass er vor dem Tod des Patroklos viele Troer, die auf dem Schlachtfeld um ihr Leben baten, verschont
habe, „indem er sie lebend gefangen nahm und verkaufte“.40 In diesem Fall
hingegen hat sich Achilleus in der Nacht,41 offenbar unbegleitet, nahe an
die Stadt angeschlichen, und das allein mit dem Zweck, am Morgen einen
wehrlosen Troer gefangen zu nehmen.42 Im Gegensatz zu Achills früheren
Beutezügen in der näheren und weiteren Umgebung Troias, bei denen es
immer um reiche materielle Beute (Stadteroberungen, Viehherden) ging
und die Gefangennahme von Menschen nur einen willkommenen Nebeneffekt bildete, besteht bei diesem lochos das Ziel ausschließlich darin, den
Gegner selbst kamplos, unter möglichst geringem Risiko, zu erbeuten
und in einen materiellen Wert umzuwandeln.43 Damit steht dieser lochos
im Gegensatz zu den in der Ilias als charakteristisch deinierten Wesensmerkmalen eines lochos: Ein lochos erfordere höchsten Mut, da er der zu
erwartenden (quantitativen oder qualitativen) Überlegenheit des zu überfallenden Gegners nur das Überraschungsmoment entgegensetzen könne.44
40
41
42
43
44
tze 1905 ad 21, 37: „aus dem Lager, zu einem Streifzuge“). Somit erübrigen sich Erklärungsversuche, warum Lykaon mitten in der Nacht Zweige schneide (Gantz 1993,
603; Dué / eBBott 2010, 76; West 2011, 376).
Il. 21, 100–2; Priamos sagt, dass Achilleus viele seiner Söhne „getötet und nach fernen
Inseln verkaufte“ (22, 44–5); Hekabe präzisiert, dass Achilleus „meine übrigen Söhne,
die er ing, übers Meer nach Samothrake, Imbros und Lemnos verkaufte“ (24, 751–3).
Ein Hinterhalt (lochos) wird immer in der Nacht gelegt (9, 325; Od. 14, 468–502) und
mündet am Morgen in einen Überfall auf mehr oder weniger bewaffnete Gegner: Auch
überfallene Hirten sind bewaffnet und werden bei Gegenwehr getötet (6, 421–4; 11,
672–5; 18, 529), sofern sie nicht lüchten können (11, 676; 20, 89–91) oder gefangen
genommen werden (11, 101–12; 11, 697).
Für die Auffälligkeit vgl. etwa Gantz 1993, 603: „[…] with no explanation of why […]
Achilles should have been waiting for him.“
Achilleus hat Lykaon nach Lemnos an den Iason-Sohn Euneos verkauft; ein „Gastfreund“ (nämlich der Familie des Priamos?) hat ihn dann freigekauft, so dass er zurück
nach Troia „entkommen“ (ὑπεκπροφυγών, 21, 44) konnte. In 23, 740–7 hören wir, dass
Euneos, der ‚Weinlieferant‘ der Achaier (vgl. oben S. 5), an Achilleus einen phönizischen Silberkrater als „Lohn“ (ōnos, 21, 41) gezahlt hat.
Für Mut als Hauptvoraussetzung eines lochos vgl. Il. 1, 227f. (Achilleus spricht Agamemnon den Mut für den lochos ab); 13, 276–86 (Beschreibung des Verhaltens von
mutigen und feigen Kriegern während der Aulauerung); zum hohen Risiko vgl. Il. 4,
391–8 (Tötung von 51 Mitgliedern eines lochos); 6, 187–90 (Tötung sämtlicher Mitglieder eines lochos). Die Dolonie ist auch in dieser Hinsicht atypisch: Diomedes und
Odysseus töten zunächst einen Gefangenen, dem sie bereits das Leben versprochen
Troilos und Lykaon
19
Zweitens: Auch die Umstände der Tötung des Lykaon enthalten Details,
die innerhalb der Ilias singulär sind. Lykaon lässt als Reaktion auf Achills
Rede dessen Speer los, den er zuvor umklammert hielt, und gibt zugleich
seinen rituellen Bittgestus (die Umklammerung von Achills Knien) freiwillig auf, indem er beide Hände ausstreckt (20, 116–7, χεῖρε πετάσσας /
ἀμφοτέρας). Dieser Gestus erfolgt in der Ilias sonst nur von Kampfopfern,
die bereits (ein erstes Mal) getroffen sind und die Hände vergeblich nach
ihren Gefährten ausstrecken.45 Hier fühlt man sich hingegen an Szenen
außerhalb des Schlachtfelds erinnert, wo ein Bittlehender seinem Adressaten die Hände entgegenstreckt,46 wie man es sonst bei einem Gebet zu den
Göttern macht.47 Vor allem aber die Art der Tötung ist innerhalb der Ilias
singulär: Achilleus stößt neben dem Schlüsselbein entlang dem Nacken
zu, so dass das Schwert ganz in den Körper eindringt. Er sticht also dem
vor ihm knieenden Lykaon von oben in den Brustkorb hinein. Lykaon fällt
vornüber zu Boden;48 das Blut strömt aus seiner Wunde und tränkt den Boden. Danach packt Achilleus den Toten am Fuß und schleudert ihn in den
Fluss Skamander; auch dies ist innerhalb der Ilias singulär.
In mehreren Publikationen hat Margo Kitts darauf hingewiesen, dass
die Eigentümlichkeiten dieser Tötung auf ein gemeinsames Comparandum
verweisen:49 Die Details evozieren ein rituelles Schlachtopfer. Lykaons
Gestik erinnert an das Postulat der freiwilligen Unterwerfung des Opfertiers unter das Ritual; die Einstichstelle fungiert als epische Variante zum
Aufstechen der Kehle des Opfertieres mit dem Zweck, die Hauptschlagader zu öffnen;50 Lykaons Blut tränkt die Erde, so wie das Blut des Opfertiers den Altar benetzt; und schließlich wird Lykaon vom Skamander bis
in das Meer geschwemmt, wo ihn die Fische fressen sollen (21, 124–7), so
wie Talthybios den als Schwuropfer geschlachteten Widder „als Fraß für
45
46
47
48
49
50
haben, und schlachten danach dreizehn Schlafende ab. Zur Echtheitsfrage der Dolonie
vgl. zuletzt Danek 2012.
4, 523 = 13, 549, ἄμφω χεῖρε φίλοις ἑτάροισι πετάσσας; 14, 495–6, χεῖρε πετάσσας /
ἄμφω.
22, 37: Priamos leht Hektor an, nicht gegen Achilleus zu kämpfen; 24, 743: Ein Sterbender streckt aus dem Bett die Hände zu seiner Frau, um letzte Worte zu sprechen;
24, 506: Priamos streckt die Hände nach Achilleus aus, hier explizit zu seinem Gesicht
(stoma), womit die Hikesie-Geste (Griff an das Kinn) bezeichnet ist. taplin (1992,
224) erklärt Lykaons Geste so: “His gesture of acceptance releases Achilleus from the
technical inhibition of suppliancy and establishes a kind of complicity between them.”
Das Ausstrecken der Hände zu den Göttern ist in der Ilias fünfzehnmal erwähnt.
Auf das Gesicht zu fallen (prēnēs), bedeutet für einen homerischen Helden zusätzlichen
Ehrverlust: vgl. kefaliDou 2010, 131–136.
kitts 1992 und zuletzt 2005, 162–170 (mit Verweis auf weitere Arbeiten).
Die beste Illustration dazu ist die berühmte Darstellung der Opferung Polyxenas
(LIMC, s. v. Polyxene, Nr. 26). Siehe Abb. 17.
20
GeorG Danek
die Fische“ in das Meer schleudert (19, 267–8). “In short, Achilles kills
Lykaon by way of a mock oath-sacriice.”51
Der bei Kitts dokumentierte Befund ist schlüssig, erklärt aber nicht,
warum Lykaon und Achilleus in dieser Szene auf diese Weise agieren
oder welche Funktion die Stilisierung von Lykaons Tötung als rituelles
Menschenopfer für die Ilias-Handlung hat. Doch ist nicht zu verkennen,
dass beide angeführten Auffälligkeiten (Aulauerung und Gefangennahme
im ‚zivilen‘ Bereich; Pseudo-Opferung) deutliche Parallelen im Mythos
vom Tod des Troilos inden: Auch Troilos wird von Achilleus in einem
unkriegerischen Kontext nahe der Stadt überrascht und überfallen; bei seiner Aulauerung spielt der Aspekt der Beute auf den ersten Blick überhaupt keine Rolle; und auch seine Tötung ist als rituelle Opferung stilisiert, hier explizit an einem Altar. Können wir also die Eigentümlichkeiten
der Lykaon-Szene besser verstehen, wenn wir sie mit der Troilos-Episode
vergleichen? Zu diesem Zweck müssen wir zunächst bestimmen, warum
Achilleus Troilos aulauert und warum er an ihm eine pseudo-rituelle Opferung vollzieht. Genau in diesen beiden Punkten gehen die Meinungen
der Interpreten jedoch weit auseinander. Das ist nicht zuletzt durch den
atypischen Überlieferungszustand des Troilos-Mythos bedingt und somit auch durch die Frage, inwiefern jene Formen des Mythos, die für das
Verständnis der Ilias relevant sein konnten, also die der (vorhomerischen)
episch-narrativen Erzählung, überhaupt bestimmbar sind. Ein Blick auf die
Überlieferungslage ist somit unabdingbar.
Troilos in der archaischen Literatur und Kunst
Die Behandlung des Troilos-Mythos ist für die Kypria, das erste Epos des
Trojanischen Kyklos, bezeugt. Wir besitzen hier allerdings nur die Inhaltsangabe des Proklos, die sich für unsere Episode auf die lapidare Aussage
beschränkt (§ 45 Kullmann): … καὶ Τρωΐλον φονεύει („… und er [= Achilleus] tötet Troilos“). Mit gebührender Vorsicht lässt sich zur Rekonstruktion der Kyprien die Erzählung bei Apollodor hinzuziehen (Epit. 3, 32):52 μὴ
θαρρούντων δὲ τῶν βαρβάρων Ἀχιλλεὺς ἐνεδρεύσας Τρωΐλον ἐν τῷ τοῦ
Θυμβραίου Ἀπόλλωνος ἱερῷ φονεύει („während die Barbaren sich nicht
hervorwagen, lauert Achilleus dem Troilos auf und tötet ihn im Heiligtum
des Apollon Thymbraios“).53
51
52
53
kitts 2005, 170.
Apollodor greift für sein Referat des Troia-Mythos auf dieselben mythographischen
Vorlagen zurück wie Proklos und kann daher gelegentlich zu dessen Ergänzung herangezogen werden (West 2013, 11–13).
Der Wortlaut des Epitomators lässt offen, ob die Angabe „im Heiligtum des Apollon
Thymbraios“ nur den Ort der Tötung oder zugleich auch den Ort der Aulauerung be-
Troilos und Lykaon
21
Die Erzählung der Episode in den Kyprien muss relativ ausführlich
gewesen sein, da Proklos sie sonst keiner Erwähnung für wert erachtet
hätte. Angesichts der Überlieferungslage erübrigt es sich aber, darüber zu
spekulieren, welche Details in jener Erzählung enthalten waren und welche nicht. Weitere Informationen über schriftlich ixierte Erzählungen des
Troilos-Mythos in archaischer Zeit besitzen wir nicht.54 Die nächstspäteren
literarischen Quellen, in denen die Troilos-Geschichte ausführlich erzählt
war, führen uns bereits in das 5. Jahrhundert, zu Tragödien des Phrynichos und des Sophokles. Zuletzt hat Sommerstein (2007) versucht, den
Handlungsablauf der Tragödie „Troilos“ des Sophokles zu rekonstruieren.
Doch gewinnen wir damit nichts für jene Versionen des Mythos, die vor
dem 5. Jahrhundert kursierten, da die Dichter der attischen Tragödie mit
ihren aus der Tradition übernommenen Stoffen bekanntlich sehr frei umgehen konnten. Falls etwa, wie man vermutet hat, Achilleus bei Phrynichos
oder Sophokles den Troilos aus homoerotischen Motiven verfolgte,55 müssen wir uns daran erinnern, dass auch Aischylos die Beziehung zwischen
Achilleus und Patroklos als eine homoerotische gezeichnet und sich damit
explizit gegen die Tradition der Ilias (und wohl auch der übrigen frühgriechischen Epik) gestellt hat.56
Für die Form, in der der Mythos vor dem 5. Jahrhundert erzählt wurde,
sind wir somit ausschließlich auf die Zeugnisse der Bilddenkmäler angewiesen.57 Der Troilos-Mythos zählt zu den am besten bezeugten Mythen
der archaischen Bildkunst: Allein für das 7. und 6. Jahrhundert sind in
den einschlägigen Artikeln des LIMC ca. 120 Bilddokumente als Darstel-
54
55
56
57
zeichnet. Doch da für die Episode die Verfolgung des reitenden Troilos durch den laufenden Achilleus sichtlich konstitutiv ist, setzt Apollodor wohl als bekannt voraus, dass
die beiden Orte nicht identisch sind.
Schönheit und Ermordung des Troilos außerhalb der Stadt, mit Nennung einer Schwester (eines Bruders?), waren erwähnt bei Ibykos (fr. 282, 41–5 = S 151; fr. 282 B.12
= S 224), doch sicher nur in der üblichen raffenden, zitierenden Weise des Lyrikers.
Sophokles könnte damit eine wichtige Quelle für Lykophron sein (Alexandra, v. 307–
13), der unseren frühesten Textzeugen bietet, in dem unmissverständlich auf homoerotische Motive Achills bei der Aulauerung des Troilos angespielt wird. Ohne Kontext bleibt für uns das Zitat bei Athenaios 13, 564f: Φρύνιχός τε ἐπὶ τοῦ Τρωΐλου ἔφη
„λάμπειν ἐπὶ πορφυραῖς παρῇσι φῶς ἔρωτος.“ („… und Phrynichos sagte über Troilos:
‚Es leuchtet auf purpurnen Wangen das Licht des Eros‘“; vgl. Ath. 13, 604a).
Vgl. dazu kraus 1983.
Hier sei vorweg bereits daran erinnert, dass es keinerlei Erkenntniswert hat, für das eine
oder andere Bildmotiv hervorzuheben, dass es in der literarischen Überlieferung nicht
bezeugt sei (so HeDreen 2012, passim): In der literarischen Überlieferung vor dem
fünften Jahrhundert ist außer dem Grundfaktum der Tötung des Troilos durch Achilleus
einfach gar nichts bezeugt.
22
GeorG Danek
lung des Troilos-Mythos gewertet.58 Die Abbildungen setzen sehr früh ein
und bieten bereits zwischen 570 und 550 v. Chr. ein reiches Repertoire an
unterschiedlichen Figurenkonstellationen, die sämtliche Phasen des Handlungsablaufs der erzählten Geschichte abdecken. Da in den üblichen Abhandlungen die Bilder nur grob in die vier Handlungsphasen „Aulauerung“, „Verfolgung“, „Tötung des Troilos“ und „Kampf um die Leiche“
eingeteilt, innerhalb dieser Kategorien aber nach anderen Aspekten gereiht
werden,59 sei hier exemplarisch ausgeführt, wie der Ablauf der Handlung
im Detail in den unterschiedlichen Bildern sichtbar gemacht ist:60
• Achilleus, in voller Rüstung, liegt auf Lauer hinter einem Brunnen(haus)
(Abb. 1–3).
• Es nähern sich Polyxena (mit Wasserkrug) und Troilos (fast immer unbewaffnet, mit zwei Pferden).
– Fast immer schreitet Polyxena voran, Troilos folgt hinten nach
(Abb. 1).
– Gelegentlich ist Polyxena allein, ohne Troilos.61
– Sehr selten erscheint Troilos allein, ohne Polyxena (Abb. 4).62
• Polyxena füllt den Wasserkrug am Brunnen, Troilos bleibt mit den Pferden hinter ihr.
– Ganz selten versuchen auch die Pferde des Troilos vom Brunnen zu
trinken (Abb. 2).
• Polyxena entdeckt Achilleus und dreht sich erschrocken zu Troilos um
(Abb. 3, Abb. 5).
• Achilleus springt hinter dem Brunnen hervor (Abb. 6).
• Polyxena und Troilos liehen vor Achilleus.
58
Vgl. kossatz-DeissMann 1981 (LIMC, s. v. Achilleus), mit den Ergänzungen in kos
1997 (LIMC, s. v. Troilos).
Das LIMC gliedert nach „schwarzigurigen“ bzw. „rotigurigen“ sowie „anderen“ Bildern, innerhalb dessen jeweils nach „attischen“ bzw. „nicht-attischen“ Gefäßen, innerhalb dessen wiederum alphabetisch nach den aktuellen Standorten.
Die Bildnachweise im Einzelnen erübrigen sich dank der vorbildlichen Dokumentation
in den LIMC-Artikeln (kossatz-DeissMann 1981 und 1997; Verweise auf Bilder im
LIMC beziehen sich im Folgenden, wenn nicht anders hervorgehoben, immer auf den
Artikel „Achilleus“). Umfassende Dokumentation bereits bei zinDel 1974, 30–80 (mit
Konzentration auf chronologische Entwicklungslinien) u. 105–127 (Katalog). Detaillierte Interpretation vieler Bilder bei HeDreen 2001, 120–181.
Die Beschränkung auf Achilleus und Polyxena (nämlich als Abbreviatur des Mythos)
indet sich erst vom Ende des 6. Jahrhunderts an, vor allem auf (Grab-)Lekythen, wo sie
vielleicht als thematische Bezugnahme auf die jeweils Verstorbene interpretiert werden
kann.
Brunnenszenen ohne Polyxena inden sich vor dem 5. Jahrhundert offenbar nur auf
etruskischen Vasen und sind daher nur von bedingter Aussagekraft für den von den
griechischen Malern zugrunde gelegten Mythos (dazu siehe Anm. 84).
satz-DeissMann
59
60
61
62
Troilos und Lykaon
•
•
•
•
•
•
•
23
– Selten: Achilleus noch hinter dem Brunnen, Polyxena noch nahe am
Brunnen, Troilos mit den Pferden schon davonsprengend (Abb. 7)
– Sehr häuig: Polyxena bereits voran (also entkommend), der reitende Troilos folgend, Achilleus hinten nachlaufend; der Wasserkrug zu
Boden gefallen (zerbrochen) (Abb. 8)
Achilleus nähert sich Troilos im Lauf.
– Öfters: Troilos dreht sich nach seinem Verfolger um (Abb. 9).
– Selten: Troilos versucht Achilleus abzuwehren.
Achilleus holt den reitenden Troilos ein.
Achilleus greift nach dem reitenden Troilos (Abb. 9).
Achilleus packt den reitenden Troilos an den Haaren und zerrt ihn vom
Pferd (Abb. 10).
Achilleus zerrt Troilos an den Haaren zu einem Altar (Abb. 11a).
– Alternativ: Achilleus zerrt Troilos am Arm oder trägt ihn über der
Schulter.
– Alternativ: Troilos lüchtet sich vor Achilleus auf den Altar und umklammert einen Baum (Abb. 12).
Achilleus tötet Troilos an/auf dem Altar mit dem Schwert (Abb. 11b,
Abb. 13).
Achilleus hat Troilos den Kopf abgeschlagen und schleudert diesen den
heraneilenden Troern entgegen (Hektor, Aineias) (Abb. 14, Abb. 15).
Diese Liste lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Maler der
Bilder sich auf eine Erzählung bezogen, die in ihrem Ablauf weitgehend
ixiert war: Alle oben aufgezählten Bildmotive fügen sich zu einem Handlungsablauf mit lückenloser Chronologie, und es gibt so gut wie keine
alternativen, einander ausschließenden Bildmotive. Mit anderen Worten:
Worauf sich die Maler bezogen und was sie bei den Betrachtern der Bilder
als bekannt voraussetzten, war eine einzige, geradezu kanonische Version
des Mythos.63 Damit soll keineswegs gesagt sein, dass es sich dabei um
die schriftliche Version der Kyprien gehandelt haben muss, und erst recht
nicht, dass alle Maler (oder Betrachter) den Text der Kyprien aus eigener
Lektüre kannten. Wir dürfen auch nicht automatisch davon ausgehen, dass
alle Details der Geschichte, die in den einzelnen Bildphasen sichtbar werden, in der schriftlichen Version der Kyprien ausgeführt waren. Das Medium des Heldenepos war in der archaischen Zeit ja so gut wie ausschließlich
der mündliche Vortrag, und Maler und Betrachter der Bilder kannten die
Geschichte zweifellos nur von episch-rhapsodischen Vorträgen, die von
63
Der Großteil dieser Bilder indet sich auf attischen schwarzigurigen Vasen. Doch gibt
es eine genügend große Anzahl von Bildern nicht-attischer Herkunft, die sich – bei aller
Varianz – in den oben skizzierten einheitlichen Handlungsablauf fügen. Man kann also
mit Zuversicht von einer panhellenischen Version des Mythos sprechen. Zu vermeintlich „dorischen“ Varianten des Mythos siehe unten.
24
GeorG Danek
Mal zu Mal individuell ausgestaltet sein konnten. Aber auch im mündlichen Vortrag muss die Troilos-Geschichte im 6. (und wohl auch schon
im 7.) Jahrhundert offenbar in einer weitgehend ixierten Gestalt kursiert
haben, zwar nicht was den Wortlaut betrifft, aber sehr wohl in Bezug auf
die Handlungsabfolge.64
So klar also der einheitliche Ablauf der von den Malern imaginierten
Geschichte ist, so wenig erhalten wir aus den Bildern selbst eine Antwort
auf jene zwei Fragen, die uns für den Vergleich mit der Lykaon-Szene
der Ilias am meisten interessieren: Warum lauert Achilleus dem Troilos
auf? Und warum tötet er Troilos in dieser speziischen Weise, nämlich als
quasi-rituelles Opfer am Altar des Apollon? Hier wird uns deutlich bewusst, dass die Bilder zwar jedes für sich allein genommen die Geschichte
in ihrer Gesamtheit zitieren, voraussetzen und repräsentieren, dabei aber
trotzdem nur eine Abfolge von screenshots liefern und keine Erklärung
der Motivation der handelnden Akteure, keine Einbettung in einen größeren Handlungszusammenhang und keine Bewertung der Aktionen. All dies
sind Elemente, die im Medium der sprachlichen Narration zur Verfügung
stehen, etwa durch die Stimme eines Erzählers oder durch die Übertragung
der Erzählerstimme auf die handlungsinternen Figuren (direkte Rede).65
Dieses Manko wird allerdings durch bestimmte Elemente der Bildersprache ausgeglichen, die vor allem als ‚Zusätze‘ im Motivrepertoire sichtbar
werden:
• Neben dem Altar, an dem Achilleus Troilos tötet, steht in einigen Darstellungen eine Palme (Abb. 11a) oder ein (stilisierter) Lorbeerbaum
(Abb. 12). Beide Planzen sind dem Apollon heilig. Damit wird der
Altar als ein Altar des Apollon oder vielleicht als Teil eines ApollonHeiligtums markiert.66
• Neben dem Brunnen, hinter dem Achilleus lauert, wächst oft ein (stilisierter) Lorbeerbaum (Abb. 1, Abb. 10). Alle Interpreten stimmen darin
überein, dass damit nicht zwingend der Brunnen(bereich) als rituell zu
Apollon gehörig markiert sein muss,67 sondern vielmehr auf die Fortsetzung der Geschichte verwiesen wird, die am Altar des Apollon enden
wird.
64
65
66
67
kullManns (1960) ‚Faktenkanon‘ (vgl. oben Anm. 25) ist auf mündlich-epische Überlieferung gut anwendbar; vgl. dazu Danek 2006.
Grundlegend zum Verhältnis zwischen Text und Bild: Giuliani 2003, 21–37 u. passim.
Vgl. Anm. 53, zu der Frage, ob das Heiligtum des Apollon Thymbraios schon in den
Kyprien der Ort des Geschehens war.
Wenig überzeugend ist hingegen die Erklärung von Dué / eBBott 2010, 74: “A marshy
or forested area provides good hiding places, and in ambush scenes in vase painting, we
often see the location portrayed with plants of some kind.”
Troilos und Lykaon
25
• Auf dem Brunnen(haus) sitzt oft ein Vogel, zumeist unmissverständlich
ein Rabe (Abb. 2). Der Rabe ist Vogel des Apollon. Damit wird jedoch
nicht, wie gelegentlich vorgeschlagen wurde, eine konkrete Aktion
angedeutet,68 sondern ebenfalls nur die Involvierung des Gottes in die
Geschichte signalisiert.
Diese Auffassung stützt sich auf die Einsicht, dass wir es hier mit einer für
die archaische Vasenmalerei gut bezeugten Darstellungstechnik zu tun haben: Die Maler platzieren mehrere Motive, die zu unterschiedlichen Phasen der zugrunde gelegten Geschichte gehören, auf einem einzigen Bild,
um den Erzählablauf eben dieser Geschichte zur Gänze zu evozieren.69
Die Maler der Troilos-Bilder signalisieren somit, dass zum Verständnis der
dargestellten Geschichte die Rolle des Gottes Apollon unabdingbar ist. Es
kann dann aber nicht nur darum gehen, dass damit einfach der Ort bezeichnet wird, an dem Achilleus Troilos tötet (töten wird). Dass dies am Altar
(im heiligen Bereich) des Gottes geschieht, wird vielmehr als essenziell
hervorgehoben. Die meisten Interpreten sehen diese Bedeutung darin, dass
Apollon die Attacke des Achilleus auf sich selbst bezieht, dass damit also
der Grund dafür bezeichnet ist, warum Apollon (gemeinsam mit Paris)
Achilleus töten wird.70
Weitere Bildelemente unterstützen diese Erklärungslinie:
• Hinter Achilleus (am Brunnen, bei der Verfolgung oder beim Kampf
gegen die Trojaner am Apollon-Altar) steht Athene (Abb. 2, Abb. 9,
Abb. 15): Damit ist jedenfalls signalisiert, dass Achilleus für seine Aktion die Unterstützung der Göttin genießt.71 Ein Relex dieses Verhält68
69
70
71
So hat man gemeint, dass der Rabe – wie auch sonst – als Botenvogel die Nachricht von
Achills Übergriff an Apollon überbringe oder dass der Rabe gegenüber Achilleus eine
drohende Stellung einnehme oder dass er Troilos warnen wolle.
Grundlegend Giuliani 1996. So etwa auf der Lakonischen Schale, Paris, Cabinet des
Médailles Inv. 190 (LIMC, s. v. Odysseus, 67): Odysseus führt mit der einen Hand den
Spieß, der dem sitzenden Polyphem schon im Auge steckt; mit der anderen Hand hält er
ihm den Weinkrug an den Mund (nämlich um ihn betrunken zu machen); und Polyphem
hat zwei menschliche Unterschenkel in den Händen (nämlich die eines Gefährten, den
er gerade verspeist). Vgl. Giuliani 2003, 159–164; Danek 2005, 16, mit Anwendung
des Prinzips auf ein weiteres Bild.
loWenstaM (2008, 139–148) argumentiert hingegen, dass Achilleus als ritueller Doppelgänger Apollons, geradezu stellvertretend für den Gott, Troilos an dessen Altar opfere (Lowenstam stützt sich dabei allerdings nur auf etruskische Vasen). Aber auch
er konzediert: “from a mythological point of view Achilleus’ murder of Troilos can
explain Apollo’s anger” (147).
Vgl. loWenstaM 2008, 37: “Athena’s presence reveals unambiguous support for Achilleus’ endeavors.” Zu kurz greift Lowenstam hingegen mit der daraus abgeleiteten
Schlussfolgerung: “[…] it indicates that in killing Troilos at Apollo’s altar Achilleus
has not committed an impious deed of a sort that would require the gods to shun him.”
26
•
•
•
•
GeorG Danek
nisses indet sich in der Ilias, wenn Diomedes (der ‚Ersatz-Achilleus‘
des ersten Schlachttages) die persönliche Unterstützung Athenes genießt, jedoch, wenn er Apollon direkt angreift, Gefahr läuft, den Zorn
des Gottes auf sich zu ziehen.72
Eine ähnliche Auffassung ist möglich, wenn Thetis hinter Achilleus stehend abgebildet ist: Die göttliche Mutter unterstützt ihren sterblichen
Sohn, kann ihn aber nicht vor der Rache Apollons bewahren.
Der gelegentlich hinter Achilleus auftauchende Hermes (Abb. 2,
Abb. 15) lässt sich nicht eindeutig festlegen.73 Hermes ist der Gott des
Übergangs, nicht notwendig auch der Todesgeleiter. Er markiert die Situation vielleicht als Situation der Krise schlechthin, als Überschreitung
einer Schwelle durch Achilleus.
Auch die Präsenz weiterer Personen wurde unterschiedlich gedeutet:
Priamos, Hekabe, Antenor fungieren dem Anschein nach als Beobachter des Geschehens, wahrscheinlich aber eher als jene, die von der Todesnachricht als erste erfahren und am stärksten betroffen sein werden;
ein erwachsener Begleiter des Troilos (Abb. 1, Abb. 3) markiert diesen
vielleicht als Knaben, der einen Erzieher an seiner Seite benötigt; weitere Mädchen an der Seite Polyxenas verdeutlichen vielleicht, dass die
Ausgangssituation des Dramas zum allgemeinen Typus „wasserholende (und daher potenziell gefährdete) Mädchen“ gehört.
Die meisten Diskussionen wurden durch weitere auf den Bildern sichtbare Tiere ausgelöst: eine Schlange am Brunnen; ein Hase im Lauf unter dem Pferd des liehenden Troilos (Abb. 7); Vögel im Flug, die vielleicht/wahrscheinlich nicht Raben sind, sowohl während Polyxena und
Troilos sich dem Brunnen nähern (Abb. 1, Abb. 3) als auch während sie
liehen (Abb. 7); ein Hahn, der auf dem Altar steht, über dem Achilleus
Troilos schlachtet (Abb. 13); ein Entenvogel unter dem Pferd des liehenden Troilos (Abb. 18).
Auch diese Details liefern aber keine Antwort auf die zwei Fragen, die
uns interessieren: Warum lauert Achilleus dem Troilos auf? Und warum
tötet er ihn ausgerechnet am oder auf dem Altar des Apollon? In den zwei
Erklärungsmodellen, die zuletzt den meisten Einluss hatten, wurde daher bezeichnenderweise auf Motive abgezielt, die nur in der literarischen
Überlieferung eindeutig bezeugt sind, dort allerdings erst von hellenistischer Zeit an, sodass deren Gültigkeit für die archaischen Vasenbilder erst
durch Interpretation hergestellt werden muss.
72
73
Vgl. dazu Danek 2014, 148.
Vgl. etwa zinDel 1974, 72 (zu LIMC 364): „Hinter Achill […] stehen Athene und Hermes zu seinem Schutz bereit.“
Troilos und Lykaon
27
Basierend auf älteren Arbeiten versucht Christian Zindel zu zeigen, dass
in dem Mythos, der den Bildern zugrunde liege, Achilleus dem Troilos in
erotischer Absicht aulauere und ihn dann töte, weil dieser seine Avancen
zurückweise.74 Da Zindel deutliche Hinweise darauf nur auf wenigen Vasenbildern von der Peloponnes (oder deren Einlussbereich) festmachen
kann, folgert er, dass „der Sexualmord Achills in engstem Zusammenhang
mit altem dorischem Sagengut [stehe], in dem päderastische Beziehungen
als etwas völlig ‚Normales‘ angesehen wurden“ (79); dieser Aspekt des
Mythos sei im ionischen Epos gezielt unterdrückt, in der attischen Tragödie hingegen wieder aufgenommen und dann bei Lykophron erstmals
explizit bezeugt.75
Als Hinweis auf Achills erotische Absicht führt Zindel Tiere mit symbolischer Aussagekraft an:76 ein Hase, der unter den galoppierenden Pferden
des liehenden Troilos läuft (vier Vasen, vgl. Abb. 7); ein Hahn auf dem
Apollon-Altar (Abb. 13).77 Hasen sind auf Vasen von etwa 550 v. Chr. an
als Liebesgeschenk deutbar, ebenso Hähne. Doch für den Hasen in unserem
Kontext hat Beazley das Nötige gesagt: “It ills the void, and underlines the
notion of speed.”78 Auch Hähne erscheinen oft genug in nicht-erotischen
Kontexten, z. B. auf den panathenäischen Preisamphoren, dort als Versinnbildlichung der Kompetitivität, d. h. der Überwindung des Rivalen.79 Vor
allem aber ist der Hahn, das Opfertier für Asklepios schlechthin, auch dem
Apollon heilig (vgl. Abb. 20). Ist in dieser Darstellung also der Altar, auf
74
75
76
77
78
79
zinDel 1974, basierend vor allem auf kunze 1950.
Vgl. Anm. 55.
zinDel (1974, 75) nennt sieben Vasen mit „Hinweisen auf eine Liebesgeschichte zwischen Achill und Troilos“. Weitere fünf Vasen („und andere mehr“) gehören „durch
die stimmungsmäßige Expressivität in den Umkreis des Lustmordes“: „Sie zeichnen
sich z. B. durch besondere Grausamkeit aus.“ Neuere Deutungen werten diesen Aspekt
hingegen als „Problematisierung transgressiver Gewalt“ bzw. als „Helden-Hybris“: von
Den Hoff 2002, 41f., gegen knittlMayer 1997, 96–98; von Den Hoff 2005; Giuliani
2010. Relativierend stäHli 2005, 41f.: „Das Überschreiten des rechten Maßes zeigt
sich im Ziel seines Handelns, nicht in der Gewalt, die er zur Erreichung dieses Zieles
aufwendet.“
Die erotische Interpretation von Hase und Hahn ist übernommen bei kossatz-Deiss
Mann (1981). Zwei weitere Vasen, die Zindel anführt, scheiden aus: Auf einer Vase
(LIMC 290) wende sich der liehende Troilos zu Achilleus um, wobei ein (erotischer?)
Blickkontakt zwischen den beiden entstehe; doch ist das, wie so oft, nichts anderes als
der Blickkontakt zwischen Mörder und Opfer. Und wenn ein Krieger auf einen nackten
Jüngling mit Kranz in der Hand zuschreitet (LIMC 381: „ein Liebesgeschenk Achills
an Troilos“), so sind damit kaum Achilleus und Troilos dargestellt: vgl. kossatz-Deiss
Mann 1981, 90.
Beazley 1951, 22. Zustimmend knittlMayer 1997, 94 mit Anm. 425. Man kann
darüber hinaus den Aspekt der Flucht hinzufügen: Hasenjagd ist ein populäres Thema
auf Vasen und impliziert dort nicht zwingend erotische Assoziationen.
Hahn als Verweis auf Troilos als junger Adeliger: knittlMayer 1997, 94, Anm. 426.
28
GeorG Danek
dem Achilleus Troilos schlachtet, durch den Hahn als Apollon-Altar markiert, so wie sonst durch den Lorbeer, den Palmbaum oder den Dreifuß?
Zu dieser Erklärung fügt sich die älteste durch Namensbeischrift gesicherte Troilos-Darstellung (Abb. 18):80 Troilos lieht vor Achilleus auf ein
monströses Fabelwesen zu; unter seinem Pferd steht ein Vogel mit langem,
zu Boden geneigtem Hals. Amandry hat den Vogel als Gans identiiziert.81
Die Gans hat in bestimmten Bild- und Textzusammenhängen erotischen
Symbolgehalt, und man mag versucht sein, auch diese Darstellung als
‚erotische Jagd auf Troilos‘ zu interpretieren.82 Doch kann es sich bei dem
Vogel ebenso gut um einen Schwan handeln; und der Schwan ist von frühester Zeit an eng mit Apollon verbunden (Abb. 19).83
Als Resümee ergibt sich, dass jene Vögel, die nur auf Troilos und
Achilleus bezogen sind, auf die Rolle verweisen, die Apollon in diesem
Konlikt spielt. Auf allen anderen Vasen, wo (oft liegende) Vögel erscheinen, die nicht sicher als Raben erkennbar sind und möglicherweise erotische Aussagekraft haben, ist auch Polyxena präsent. Man versteht nun,
warum Zindel (1974, 42) so sehr bemüht ist, die Rolle Polyxenas in der
dargestellten Geschichte als überlüssig, ja störend zu erklären, und warum er postuliert, sie sei kein alter Bestandteil epischer Versionen, sondern
erst von den Malern in die Geschichte hineingetragen und zu einem ixen
Bestandteil der visuellen Darstellungstradition gemacht geworden. Man
sieht: Polyxena stört – und zwar Zindels Argumentation. Von einer homoerotischen Absicht Achills bei der Aulauerung des Troilos, von der es
literarisch vor der Tragödie (5. Jahrhundert) keine Spuren gibt, ist somit
auch auf den Bildern der archaischen Zeit nichts zu erkennen.84 Wenn wir
80
81
82
83
84
LIMC, s. v. Achilleus, Nr. 331 (650–625 v. Chr). Vgl. aManDry 1973. Zur korinthischen Namensform TROEILOS vgl. WacHter 2001, 269f.
zinDel (1974, 116) und kossatz-DeissMann (1981, 84) bieten keine Erklärung für den
Vogel. BroMMer (1972, 460) bemerkt: „Offensichtlich hat dieses Sagenwesen ebensowenig mit der übrigen Szene zu tun wie der Vogel unter dem Reiter.“
Ich habe in diesem Sinn argumentiert in Danek 2010, 61, und habe in diese Deutungslinie auch liegende, nicht näher identiizierbare Vögel (Tauben?) eingeschlossen. Doch
fehlen sämtlichen liegenden Vögeln speziische Gattungsmerkmale.
Das Schwanengespann des Apollon ist durch Himerios (or. 46 und 48) für Sappho,
Alkaios und Pindar bezeugt. Vgl. aHl 1982.
Zuletzt hat WullscHleGer (2011) eine etruskische Vase publiziert, auf der (wie auch
sonst fast nur auf etruskischen Vasen) Troilos ohne Polyxena vor dem Brunnen erscheint, von dem drei Vögel aufliegen (Abb. 4). Wullschleger deutet diese als Tauben
und bezieht sie auf eine Mythenversion, die nur bei Servius bezeugt ist (ad Verg. Aen.
1, 474: Troili amore Achillem ductum palumbes ei quibus ille delectabatur obiecisse:
quas cum vellet tenere, captus ab Achille in eius amplexibus periit). Doch setzt Servius bereits die kreative Weiterverarbeitung von Mythen in der Strömung der ‚New
Mythology‘ (1. Jahrhundert n. Chr.) voraus; und auf der Vase sind die Hälse der Vögel
viel zu lang und dünn für Tauben; man denkt eher an Wachteln oder Rebhühner. Auch
Troilos und Lykaon
29
klären wollen, warum Achilleus auf der Lauer liegt, werden wir Polyxena
nicht ignorieren können.
Eine andere Argumentationslinie verfolgt Guy Hedreen. Er stützt sich
auf literarisch bezeugte Versionen, in denen der Tod des Troilos eine notwendige Voraussetzung für den Fall Troias darstelle, und folgert daraus,
dass Achilleus dem Knaben aus diesem Grund gezielt aulauere, um ihn zu
töten. Mit dieser Deutung will Hedreen auch die Präsenz des Priamos auf
einigen Troilos-Bildern erklären: Die Maler hätten damit daran erinnern
wollen, dass für Priamos die Nachricht vom Tod des Troilos den Fall Troias besiegle.85
Der Tod des Troilos als Voraussetzung für den Fall Troias wird öfters
als Erklärung dafür angeführt, warum Achilleus ihm aulauere. Doch muss
daran erinnert werden, dass dieses Motiv auf eine einzige antike Quelle
zurückgeht, die Bacchides des Plautus, wo der Intrigen-Sklave Chrysalus
in seiner berühmten Troia-Arie von den tria fata spricht, die für Troia den
Untergang bedeutet hätten (v. 953–62).86 Plautus geht an dieser Stelle jedoch nicht auf seine Vorlage, den Dis exapatōn des Menander, zurück,87
sodass er als Quelle für eine Mythenversion der archaischen Zeit keine
Aussagekraft hat. Die Präsenz des Priamos auf Troilos-Bildern muss also
nicht als Hinweis auf die Orakel-Version gedeutet werden. Immerhin ist
Troilos laut den Kyprien offenbar der erste Sohn des Priamos, der dem
Krieg zum Opfer fällt. Die Überbringung der Todesnachricht an den Vater
und König muss also in jeder Erzählung der Geschichte eine wichtige Rolle gespielt haben.
Es erübrigt sich hier, auf Hedreens weiter reichende Spekulationen einzugehen: Wenn Achilleus mit der Ermordung des Troilos den Zorn Apollons auf sich ziehe, sei das für die Eroberung Troias ebenfalls unabdingbar,
da die Stadt nicht mit Gewalt, sondern nur durch List erobert werden könne. Achilleus werde daher (aufgrund der Kenntnis eines entsprechenden
Orakels) von den treibenden Kräften im Heer der Achaier gezielt allein
auf seine Freveltat angesetzt, damit nach seinem Tod durch Apollon der
Weg für Odysseus und die List des Hölzernen Pferdes frei werde. So er-
85
86
87
hier zeigt sich, dass die etruskischen Maler dem Troilos-Mythos offenbar eigenständige
Deutungsmodelle unterlegen, die wir nicht genau verstehen.
HeDreen 2001, 139–158; wiederholt und zusammengefasst in HeDreen 2012, 139–141.
Servius (ad Verg. Aen. 2, 13) zitiert ausdrücklich Plautus als Quelle. Der Mythographus
Vaticanus (I 207) kombiniert sichtlich die Vergilstelle mit Plautus: Troylu‹s› Priami et
Hecube ilius cum equos extra muros exerceret, ab Achille per insidias vulneratur, exanimis in urbem equis religatur. cui dictum erat quod, si ad annos xx pervenisset, Troia
everti non potuisset.
Vgl. BarsBy 1986, ad 953–5: “It seems unlikely that Plautus’ version derives either
from Dis Exapaton […], or that Plautus simply invented it himself, which leads once
more to the speculation that his source may lie in some Roman tragedy.”
30
GeorG Danek
kläre sich auch, warum Athene Achilleus in seinem Frevel gegen Apollon
unterstütze: Auch die Göttin stelle das höhere Ziel, die Eroberung Troias,
über das Leben ihres eigenen Schützlings.88 Es versteht sich von selbst,
dass von dieser Verschwörungsthese weder auf den Bildern noch in den
literarischen Quellen auch nur die geringste Spur zu inden ist.
Auch Hedreen erklärt jene Bildelemente, die seiner Deutung im Wege
stehen, als Zusätze der Maler, die nicht auf erzählten Mythenversionen
basierten. So hätten erst die Maler das Brunnenhaus als Ort des Überfalls
erfunden, um als visuelles Detail sichtbar zu machen, wie Achilleus dem
Troilos aulauern konnte. Vor allem aber habe Polyxena ursprünglich in der
Troilos-Geschichte nichts verloren gehabt, sondern sei erst von den Malern
hinzugefügt worden, um das Motiv des Überfalls am Brunnen zu verdeutlichen und zugleich zu erklären, bei welcher Gelegenheit Achilleus das
Mädchen zum ersten Mal erblickt habe; dies als Begründung dafür, warum
er nach dem Fall Troias ihre Opferung an seinem Grab eingefordert habe.
Diese Begründung sei in den Kyklischen Epen nicht enthalten gewesen,
sodass spätere Autoren gezwungen gewesen seien, andere Situationen für
die erste Begegnung zwischen Achilleus und Polyxena zu erinden.89
Hedreen versucht auf beide Fragen, die wir anfangs gestellt haben, eine
Antwort zu geben: warum Achilleus dem Troilos aulauert (weil sein Tod
Voraussetzung für den Fall Troias sei); und warum Achilleus ihn auf dem
Altar des Apollon schlachtet (weil Apollons Zorn nötig sei, um Achilleus zu
beseitigen, der der Eroberung Troias im Weg stehe). Für die erste Antwort
muss Hedreen allerdings, wie schon zuvor Zindel, Polyxena für irrelevant
erklären; und mit seiner zweiten Antwort weicht er wie Zindel der Frage
nach der Figurenmotivation des Achilleus aus.90 Uns interessiert jedoch eben
diese Frage: Was bringt Achilleus als handelnde Person dazu, Troilos aufzulauern und ihn ausgerechnet auf dem Altar des Apollon zu töten?
88
89
90
HeDreen 2001, 158–181; Zusammenfassung ohne Verschwörungstheorie: HeDreen
2012, 143–146.
HeDreen 2001, 120–139, mit Verweis auf Schol. Eur. Hek. 41: ὁ δὲ τὰ Κυπριακὰ ποιήσας
φησὶν ὑπὸ Ὀδυσσέως καὶ Διομήδους ἐν τῇ τῆς πόλεως ἁλώσει τραυματισθεῖσαν
ἀπολέσθαι, ταφῆναι δὲ ὑπὸ Νεοπτολέμου („Der Autor der Kypriaka behauptet, [Polyxena] sei von Odysseus und Diomedes bei der Eroberung der Stadt verletzt worden
und gestorben, von Neoptolemos aber bestattet worden“). Dagegen überzeugend West
2013, 55, Anm. 1: “In sch. Eur. Hec. 41, however, where τὰ Κυπριακά is cited with reference to Polyxena’s death after the fall of Troy, the source is probably a prose history
of Cyprus, the same one cited on And. 898 with ὁ τὰς Κυπριακὰς ἱστορίας συντάξας
(FGrHist 758 F 6).”
Derselbe Einwand gilt gegen die These von loWenstaM (2008, 145f.; vgl. oben
Anm. 70), der zwischen einer rituellen Logik („Achilleus schlachtet Troilos als ritueller
Stellvertreter Apollons“) und einer Handlungslogik des Mythos („Apollon tötet Achilleus wegen seines rituellen Übergriffs“) unterscheidet: Auch damit erhalten wir für die
Tat des Achilleus keine Figurenmotivation.
Troilos und Lykaon
31
Troilos und Achilleus: Die ‚einfache Geschichte‘91
Beginnen wir mit einer einfachen, aber überraschenden Frage: Wem lauert
Achilleus eigentlich tatsächlich auf? Schließlich legt ein epischer Held sich
nicht ohne Ziel und Absicht auf die Lauer, sondern wählt einen bestimmten
Ort des Hinterhalts aus, weil er auf ein bestimmtes Opfer wartet. Die überwältigende Mehrheit der Bilder spricht nun eine klare Sprache: Achilleus
liegt hinter dem Brunnen, und Polyxena erscheint mit einem Wasserkrug,
um von eben diesem Brunnen Wasser zu holen; sie schreitet so gut wie
immer voran, während Troilos ihr mit seinen Pferden folgt. Das Signal ist
also klar: Polyxena ist die Überfallene, und sie wendet sich hilfesuchend
zu Troilos um, der nicht das primäre Ziel des Überfalls ist (Abb. 3, Abb. 5);
sie ist auch in der ersten Phase der Flucht die unmittelbar Bedrohte, die
sich nach ihrem Verfolger Achilleus umwendet (Abb. 6, Abb. 7).
Es ist eben diese Situation, die man an einem Brunnen vor der Stadt
erwarten kann: Jemand kommt aus der Stadt, um Wasser zu holen. Dies ist
die Aufgabe von Frauen, in erster Linie von Sklavinnen (Il. 6, 457; Od. 15,
442; 20, 154); doch wenn die Gefährten des Odysseus auf ihrem Weg in
die Stadt der Laistrygonen ein Mädchen treffen, das Wasser holt, erweist
sich dieses ebenfalls als die Tochter eines Königs (Od. 10, 105–8):
κούρῃ δὲ ξύμβληντο πρὸ ἄστεος ὑδρευούσῃ,
θυγατέρ᾿ ἰφθίμῃ Λαιστρυγόνος Ἀντιφάταο.
ἡ μὲν ἄρ᾿ ἐς κρήνην κατεβήσετο καλλιρέεθρον
Ἀρτακίην· ἔνθεν γὰρ ὕδωρ προτὶ ἄστυ φέρεσκον·
Da trafen sie auf ein Mädchen, das vor der Stadt Wasser holte,
die stattliche Tochter des Laistrygonen Antiphates.
Sie war eben zur schön ließenden Quelle (krēnē) gegangen,
zur Artakia; denn von dort brachten sie das Wasser zur Stadt.
Achilleus lauert also hinter dem Brunnen, weil er ein Mädchen überfallen will. Dabei sei dahingestellt, ob er dieses vergewaltigen oder in das
Schiffslager bringen und zu seiner Sklavin machen will.92 Wenn sich herausstellen sollte, dass die zu Erbeutende eine Königstochter ist, so stellt sie
einen besonders hohen Beutewert (in Form von Lösegeld), aber auch ein
besonders attraktives Sexualobjekt dar. Achilleus kann sich jedenfalls eine
leichte Beute ohne nennenswerte Gegenwehr erhoffen.
Doch Achills Plan geht nicht auf. Polyxena ist nicht allein, und er
kann sie nicht ungestört in Besitz nehmen. Die Präsenz ihres unbewaff-
91
92
Zum Konzept der ‚einfachen Geschichte‘ als logischer Abstraktion einer fabula vgl.
HölscHer 1990, 25–34; Danek 1998, im Index, s. v. ‚einfache Geschichte‘.
Das eine schließt das andere nicht aus, wie uns das Schicksal Kassandras lehrt: Sie wird
während der Eroberung Troias vom Kleinen Aias vergewaltigt, fällt danach aber als
Beuteanteil (geras) Agamemnon zu, der sie als Sklavin nach Hause führt.
32
GeorG Danek
neten jungen Bruders verhindert jedenfalls, dass er sein Opfer auf der
Stelle vergewaltigen kann; seine Anwesenheit würde es ihm aber auch
erschweren, die weibliche Beute ungestört abzutransportieren. Das erklärt, warum Achilleus Polyxena ungehindert entkommen lässt, obwohl
er die Fliehende mühelos einholen könnte: Sein ursprüngliches Ziel ist
jetzt bereits vereitelt, und so richtet sich seine Aggression gegen den Urheber der Störung. Die Jagd nach (sexueller) Beute schlägt um in Rache
für den Verlust der Beute.
Wir können somit verstehen, warum Achilleus nicht versucht, den
wehrlosen Königssohn gefangen zu nehmen, um für ihn reiches Lösegeld
zu erzielen. Zorn, ausgelöst durch Schmälerung der eigenen timē, kennt
nur eine einzige Art der Genugtuung: die maximale Schädigung des Gegners. Im Rachemodus überschreiten Helden regelmäßig die Grenzen des
gesellschaftlich Akzeptablen: Sie verweigern die Hikesie,93 töten Wehrlose, verunstalten die Getöteten und verweigern ihre rituelle Bestattung. In
diesem psychischen Rauschzustand (vergleichbar mit dem Mordrausch bei
der Verfolgung liehender Feinde oder bei einer Stadteroberung)94 wird die
Rache als kollektiv ausgeweitete Blutrache und daher als rituell angemessen, ja als ein von den Göttern eingeforderter Akt empfunden.
Achilleus tötet Troilos am Altar des Apollon, wobei es unerheblich ist,
ob der Knabe sich schutzsuchend zu diesem gelüchtet hat (Abb. 12)95 oder
ob Achilleus selbst ihn dort hinzerrt (Abb. 11a): Troilos hat versucht, in
den Schutzbereich des Gottes zu lüchten; die Pointe der Geschichte besteht darin, dass Achilleus, der Fußschnelle,96 den zu Pferd Flüchtenden
einholen kann, bevor dieser den schützenden Tempel erreicht, und ihn dann
trotzdem in eben diesem sakralen Bereich ermordet. Achilleus sucht den
rituellen Verstoß, weil er auch den Schutzgott seines Opfers als wirkungs93
94
95
96
Agamemnon begründet die Verweigerung der Hikesie des Adrestos mit dem Raub der
Helena und fordert die Ermordung aller ungeborenen Knaben (6, 55–60); in 11, 138–47
verweigert er die Hikesie der Antimachos-Söhne mit Hinweis auf den Mordanschlag
ihres Vaters gegen Menelaos, schlägt danach einem der Söhne Kopf und Arme ab und
rollt den Rumpf wie eine Walze über das Schlachtfeld: Ziel ist die Entehrung des Opfers
noch über den Tod hinaus, und nicht einfach die Inanspruchnahme des Kriegsrechts
(so kelly 2014). Zu Kontrollverlust und Berserkerverhalten aufgrund von (vermeintlichem) Ehrverlust vgl. sHay 1994.
Die deutlichsten rituellen Verstöße während des Trojanischen Krieges geschehen während der Stadteroberung: die Ermordung des Priamos auf dem Zeus-Altar und die Vergewaltigung Kassandras im Athene-Tempel.
Auf diesem Bild (LIMC 376: Schildband, Olympia, ca. 600 v. Chr.) ist Troilos deutlich
als hiketēs dargestellt: Er kniet auf dem Altar und umklammert mit der linken Hand,
stellvertretend für die Knie des Gottes, den Lorbeerbaum, während er die rechte Hand
nach Achilleus ausstreckt, als ob er an sein Kinn greifen möchte. Achilleus unterbindet
die rituelle Geste, indem er Troilos am Handgelenk packt.
Zur Funktion dieser Wesenseigenheit des Achilleus vgl. Dunkle 1997.
Troilos und Lykaon
33
los erweisen will.97 Sein Akt ist hybris, nicht aufgrund der Grausamkeit
gegenüber dem wehrlosen Opfer, sondern durch den expliziten Angriff auf
die rituelle Sphäre des Gottes.98 Apollon wird Achilleus bestrafen, wenn
auch nicht sofort.99 Achilleus wird aber noch nach seinem Tod die ihm
zustehende Beute einfordern und die Opferung Polyxenas an seinem Grab
verlangen (Abb. 16, Abb. 17).100
Das Bild des Achilleus, das sich in der Darstellung des Troilos-Mythos
abzeichnet, entspricht somit dem archaischen Typus des Helden als Verkörperung brutaler Kraft und bedingungsloser Durchsetzung des eigenen
Willens, wie wir es vor allem von Herakles kennen.101 Dieser Heldentypus
sieht in jedem Feind das potenzielle Opfer, das gedemütigt, bezwungen
und ausgelöscht werden muss, und in jeder Frau die potenzielle Beute, die
zur Erhöhung des eigenen gesellschaftlichen Status und zur Befriedigung
der eigenen Lust dient. Dieser Typus ist als Göttersohn ein Held mit Götternähe, der eben deshalb in einem konkreten Konlikt nicht vor der Konfrontation mit einem konkreten Gott zurückscheut. Die Bilder legen nahe,
dass Achilleus in den mündlich-epischen Erzählungen der archaischen Zeit
außerhalb der Ilias und der Odyssee, die den Malern und den Betrachtern
der Bilder vertraut waren, als Verkörperung eben dieses Heldentypus dargestellt war.
Die Troilos-Bilder setzen um die Mitte des 7. Jahrhunderts ein
(LIMC 331), also knapp nach den frühesten mythologischen Vasenbildern.102 Man kann mithin davon ausgehen, dass die Troilos-Geschichte als
Teil des epischen Faktenkanons schon im 7. Jahrhundert in jener Form erzählt wurde, wie sie uns in den Bildern begegnet, und es gibt keinen Grund
zur Annahme, dass diese Form nicht schon zur Zeit der Fixierung der Ilias
97
98
99
100
101
102
Vgl. Od. 9, 525, wo Odysseus prahlt, dass Poseidon die Blendung seines Sohnes Polyphem nicht rückgängig machen könne.
Vgl. Mylonopoulos 2013, 80: “[…] a somewhat perverted form of human sacriice.”
Achills Hybris gegenüber Troilos und Apollon ist die zentrale Aussage der Szene innerhalb des Bildprogramms der François-Vase: kreuzer 2005, 216–218. Zu Achills
Hybris in der Ilias vgl. Danek 2014, 146–150.
Der Tod des Troilos gehört zu den ersten Aktionen der Achaier in Troia, der Tod des
Achilleus in das zehnte Kriegsjahr.
Vgl. overBeck 1853, 355 („[…] Polyxena, die Achilleus mit Troilos zusammen sah, die
er im Leben begehrte, und noch nach dem Tode als Opfer verlangte […]“); roBertson
1990, 65 (“Waiting at the fountain to kill the boy, Achilleus sees and loves his sister”);
zuletzt Mylonopoulos 2013, 72.
Zum Verhältnis zwischen Herakles, der Verkörperung von biē, und Achilleus in der
Ilias vgl. scHein 1984, 134–136.
Eine noch frühere Darstellung (LIMC 332a, um 700 v. Chr., Abb. 21) entspricht zwar
dem späteren Typus der Troilos-Verfolgung, doch fehlen speziische Merkmale, um sie
als mythologische Szene klassiizieren zu können.
34
GeorG Danek
verbreitet war, unabhängig davon, wann wir diese ansetzen.103 Die Mehrzahl der ersten Hörer der Ilias, eingebettet in die mündliche Erzähltradition, befand sich also in einer ähnlichen Lage wie ich als Leser von Christa
Wolfs „Kassandra“ beim Ansehen des Films „Troy“: Sie hatten aus zahllosen epischen Vorträgen den Achilleus der Troilos-Episode im Kopf, und sie
konnten sich gewissermaßen gar nicht dagegen wehren, die Lykaon-Szene
der Ilias vor diesem Hintergrund wahrzunehmen und zu ihm in Beziehung
zu setzen. Es gilt somit zu fragen, wie dadurch unser Verständnis der IliasSzene modiiziert wird.
Troilos und Lykaon in der Ilias
Wenn Achilleus wieder in den Kampf eingreift, ist es sein erklärtes Ziel,
den Tod des Patroklos zu rächen. Die Rache richtet sich gegen alle Troer,
vor allem aber gegen Hektor, dessen Begegnung er von Anfang an sucht
(20, 75–8). Apollon zögert diese hinaus, indem er zunächst Aineias dazwischentreten lässt (20, 79–352) und dann Hektor auffordert, den Kontakt
mit Achilleus zu meiden (20, 375–80). Achilleus setzt daraufhin zu einem
innerhalb der Ilias beispiellosen Erfolgslauf an (20, 381–489):104 Er tötet in
Serie nicht weniger als 14 mit Namen benannte Troer, jeweils mit Angabe
der Tötungsart (Waffe, betroffener Körperteil). Unterbrochen ist sein Siegeslauf durch Hektor, der ihm angesichts des Todes seines Bruders Polydoros entgegentritt, jedoch von Apollon in Nebel entrückt wird (20, 419–54).
Abgesehen von diesem Intermezzo, in dem Achilleus drei kurze Reden
hält, und dem ersten Tötungsakt, nach dem er sein Opfer in einem lapidaren, fast bürokratisch anmutenden Nekrolog würdigt (20, 389–93), spielt
sich sein Morden gleichsam in völliger Stille ab: Achilleus tötet gründlich,
geradezu lege artis, einen Gegner nach dem anderen, hält sich nicht damit
auf, die Getöteten zu verstümmeln oder ihrer Rüstung zu berauben, sondern arbeitet sich durch die im Weg stehenden Körper hindurch seinem
Ziel entgegen, den Mauern Troias und dem Todfeind Hektor.
103
104
Hier ist nicht der Ort, um die Datierung der Ilias zu diskutieren. Jene Forscher, die an
einen starken ‚Autor‘ der Ilias glauben (und daher das Konzept einer ‚Peisistratischen
Rezension‘ ablehnen), plädieren zuletzt für eine schriftliche Fixierung der Ilias zwischen dem 8. Jahrhundert v. Chr. (Janko, Latacz) und 650 v. Chr. (Burkert, Kullmann,
West).
Achilleus wird nach dieser Phase eine weitere ungenannte Zahl von Troern im Fluss
Skamander töten, und nach den ausgeführten Tötungsszenen von Lykaon und Asteropaios noch sechs katalogisch aufgezählte Paionier (21, 209–10). Zum Vergleich: Patroklos hat in seiner Aristie sieben ausführlich beschriebene Tötungsszenen, ergänzt
durch zwei Namenskataloge von neun (16, 415–8) bzw. zehn Opfern (692–7). Diomedes im 5. Buch und Agamemnon im 11. Buch können jeweils acht Gegner in Serie
erlegen.
Troilos und Lykaon
35
Achilleus beindet sich im Rachemodus. Rache für Patroklos bedeutet,
Hektor zu stellen, zu töten, zu entehren. Sämtliche anderen Tötungsakte
sind Etappen auf dem Weg zu diesem Ziel, nicht mehr und nicht weniger.
Auch wenn er dann die Troer auf ihrer heillosen Flucht seitlich in den Fluss
Skamander abdrängt, ihnen nachspringt und mit dem Schwert ein anonymes Blutbad anrichtet, ist keine Emotion sichtbar. Achilleus ist Exekutor
und Verwalter des Todes. Wenn er von der Tötungsarbeit, die den Skamander rot färbt, genug hat, erinnert er sich an seine selbst deinierte Mission
und nimmt zwölf junge Trojaner gefangen, um sie später bei der Bestattung des Patroklos zu schlachten. Auch hier keine Emotion: Achilleus exekutiert und administriert Verhaftung und Abtransport der halbwüchsigen
Gegner – die er bei früherer Gelegenheit zweifellos gefangen genommen
und gegen Lösegeld freigelassen hätte.
Doch dann zeigt Achilleus plötzlich Emotion,105 da er sich an seine erste Begegnung mit Lykaon erinnert und sich die Diskrepanz zur aktuellen
Situation bewusst macht. Mit Lykaons Auftauchen aus dem Fluss tauchen
auch die Parallelen zwischen dessen Schicksal und dem des Troilos auf,
und zwar sowohl in der erinnerten Phase der Geschichte (Gefangennahme,
Verkauf) als auch in der aktuellen (Wiederbegegnung mit Achilleus, Tod
von seiner Hand). In beiden Phasen sind Übereinstimmungen wie auch
Diskrepanzen aussagekräftig:
Erste Phase: Aulauerung des Lykaon
• In der Troilos-Geschichte lauert Achilleus der Priamos-Tochter Polyxena auf, um sie gefangen zu nehmen, überrascht dabei aber auch den
Priamos-Sohn Troilos. / In der Ilias lauert Achilleus dem Priamos-Sohn
Lykaon auf, um ihn gefangen zu nehmen.
• Der Hinterhalt wird in beiden Fällen in der Nacht bezogen, da die Aktion selbst am frühen Morgen stattinden soll. Das ist in der TroilosGeschichte implizit vorausgesetzt, da der Morgen die natürliche Zeit
für das Wasserholen ist; es wird explizit ausgesagt für die Aulauerung
des Lykaon.
• Troilos trainiert seine Pferde (um sie später im Kampf einsetzen zu können?). / Lykaon schneidet Zweige, um daraus einen Pferdewagen (für
den Kampf) zu bauen.
• Kontrast: Die Gefangennahme Polyxenas, und damit auch ihre Aufnahme als Sklavin in Achills Haushalt, wird durch das Dazwischentreten
von Troilos verhindert. / Lykaon wird erfolgreich gefangen genommen
und rituell korrekt behandelt, sodass er bei seiner zweiten Begegnung
105
Die Emotion indet ihren Ausdruck in 53 ὀχθήσας („er empörte sich“) und 54 θαῦμα
(„Staunen“).
36
GeorG Danek
mit Achilleus postulieren kann, dass zwischen ihnen ein Pseudo-xeniaVerhältnis entstanden sei.
• Achilleus kann Polyxena daher nicht verkaufen oder um hohes Lösegeld ihren Eltern zurückerstatten. / Achilleus verkauft Lykaon um einen hohen Preis (wie das in der Vor-mēnis-Phase die übliche Praxis des
Achill, aber auch der anderen Achaier war).
Die Parallelen bestätigen die Motivation des Achilleus im Troilos-Mythos:
Er hat Polyxena aufgelauert, weil er sie zu seiner menschlichen Beute
machen wollte. Die Ilias hingegen entwirft eine Vorgeschichte ihrer eigenen Handlung, in der den Achaiern Beutefrauen ausschließlich im Zuge
von Stadteroberungen in die Hände gefallen sind, so wie auch männliche
Kriegsgefangene entweder in der Schlacht oder als willkommener Nebeneffekt bei Beutezügen erbeutet wurden. Wenn nun Achilleus vor dem Einsetzen seiner mēnis Lykaon nur deshalb aufgelauert hat, weil es ihm um den
hohen ‚Verkaufswert‘ des Königssohnes ging, erinnert dies deutlich an die
berühmteste Aulauerungs-Szene in Achills Biographie: die Aulauerung
der Polyxena, die zur Ermordung des Troilos geführt hat. Zugleich werden
wir mit dieser Assoziation darauf aufmerksam gemacht, dass Achilleus den
Lykaon, im Gegensatz zu dessen Bruder Troilos, korrekt behandelt hat: Er
hat den Wehrlosen eben nicht bestialisch ermordet, sondern in sein ‚Haus‘
aufgenommen und verplegt.
Zweite Phase: Tötung des Lykaon
• Troilos lüchtet vor Achilleus. / Das Motiv der Flucht zieht sich als Leitmotiv durch die gesamte Lykaon-Szene: Lykaon ist auf der Flucht aus
dem Fluss (v. 35; 52); er ist zuvor aus Lemnos „entlohen“ (v. 44; 57);
und er versucht jetzt vergeblich, dem Tod durch Achilleus zu entliehen
(v. 66; 103).
• Troilos ist auf fast allen Bildern als Jüngling oder Knabe, bartlos, rüstungslos und waffenlos dargestellt. / Lykaon ist, als er aus dem Fluss
vor Achilleus tritt, „nackt, ohne Helm und Schild“ (v. 50).
• Achilleus schlachtet Troilos, der sich als hiketēs in den Schutz des Apollon lüchtet (lüchten will), am Altar des Gottes wie ein Opfertier mit
dem Schwert.106 / Achilleus tötet Lykaon, der den Status eines hiketēs
beansprucht, in einer pseudo-rituellen Opferung mit dem Schwert.
• Achilleus hält Troilos kopfüber am Fuß über den Altar107 und schleudert
danach den abgeschlagenen Kopf den Troern entgegen.108 / Achilleus
packt den getöteten Lykaon am Fuß, schleudert ihn (nämlich kopfüber)
106
107
108
Die Tötung des Troilos an oder auf dem Altar ist im Zeitraum von 625 bis 500 v. Chr.
auf zwölf Vasen erkennbar: LIMC 359, 359a, 360–377.
Achilleus hält Troilos kopfüber am Bein: LIMC 359 (?), 359a (?), 361, 365, 366.
Achilleus schleudert den Kopf des Troilos: LIMC 359a, 360, 363, 364.
Troilos und Lykaon
37
in den Fluss und hebt hervor, dass er dadurch die rituelle Bestattung
seines Opfers verhindere.
• Achilleus demonstriert, dass Apollon den schutzsuchenden Troilos
nicht retten kann, und wird vom Gott durch den Pfeil des Paris getötet. / Achilleus erinnert daran, dass auch er selbst im Kampf fallen
werde – getroffen von Lanze oder Pfeil (v. 113). Danach wirft er Lykaons Leichnam in den Skamander und prahlt, dass selbst der von ihnen
verehrte Flussgott die Troer nicht vor der Vernichtung bewahren könne
(v. 130–2). Der Gott versucht daraufhin erzürnt (v. 136), Achilleus zu
ertränken.
Die Parallelen machen sichtbar, dass Achilleus auch in der Lykaon-Szene
im ‚Troilos-Modus‘ operiert, jedenfalls was bestimmte Aspekte seiner
Handlungsweise betrifft: Wenn er den wehrlosen Lykaon aus dem Fluss
kommen sieht, nimmt er ihn zunächst nur als Feind schlechthin wahr, der
in kollektiver Rache für das erlittene Unrecht (die Tötung des philos hetairos) vernichtet werden muss. Das Prinzip der Rache, also der Ersatzleistung für einen erlittenen Verlust (poinē), rechtfertigt die Ermordung
des Wehrlosen sowie seine Auslöschung über den Tod hinaus, indem seine rituelle Bestattung verhindert wird.109 Die offene Herausforderung der
Gottheit dient als Beweis für die (vermeintliche) eigene Allmacht und ruft
die Empörung und Gegenaktion (nemesis) des Gottes hervor. Auch wenn
deren Konsequenzen in der Ilias durch das Eingreifen der griechenfreundlichen Götter verhindert werden, erinnern die Parallelen zur TroilosGeschichte daran, dass Achilleus im traditionellen Mythos wegen eben eines solches Verhaltens, das dort als hybris zu werten ist, von Apollon mit
dem Tod bestraft wurde.
Die Unterschiede zwischen Troilos- und Lykaon-Geschichte lassen
jedoch zugleich erkennen, dass Achills Handlungsweise in der Ilias und
deren Motivation differenzierter beurteilt werden müssen. Dabei lassen
sich zwei Aspekte unterscheiden: einerseits die religiöse Komponente (die
quasi-rituelle Opferung), andererseits die emotionale Einstellung gegenüber dem Feind.
Für die Frage, warum Achilleus Lykaon in einer quasi-rituellen Opferung tötet, indet sich der entscheidende Hinweis im Kontext unserer Szene
selbst. Unmittelbar bevor Achilleus Lykaon begegnet, nimmt er im Skamander zwölf junge Trojaner gefangen, um sie als Entschädigung (poinē, 21, 28)
für den Tod des Patroklos bei dessen Bestattung zu töten. Achilleus hat diese Aktion bereits gegenüber dem toten Patroklos angekündigt (18, 336–7),
109
Auch bei Troilos bewirkt die Enthauptung des Getöteten (die primär wohl darauf abzielt, die heranstürmenden Troer aus ritueller Scheu aufzuhalten), dass die Leiche nicht
mehr rituell korrekt bestattet werden kann.
38
GeorG Danek
wird diese Ankündigung wiederholen, nachdem er Hektor getötet hat (23,
22–3), wird die Tötung im Rahmen der Bestattungszeremonie durchführen
(23, 175–6) und ihren Vollzug in seiner letzten Anrede an Patroklos bestätigen (23, 181–2). Die Tötung der „Troer-Söhne“,110 bei der auch durch das
Verbum apodeirotomeō (ʻdie Kehle durchtrennenʼ) die rituelle Schlachtung
eines Opfertieres evoziert wird, erfolgt direkt nach der Schlachtung typischer
Opfertiere (Schafe/Ziegen, Rinder), aber auch untypischer Tiere (Pferde,
Haushunde aus dem persönlichen Besitz des Achilleus); das bekräftigt, dass
dieses Menschenopfer eine Intensivierung des charakteristischen Blutopfers
im Rahmen des Bestattungsrituals darstellt, das die Seele des Verstorbenen
entsühnen und ihren Übergang in den Hades befördern soll.
Indem Achilleus den wehrlosen Lykaon also unmittelbar nach der Gefangennahme der zwölf jungen Trojaner wie ein Opfertier tötet, gewinnt
die (stellvertretende) Blutrache den Charakter der rituellen Entsühnung
des verstorbenen Freundes; dieser Aspekt liegt ja wohl auch dem Prinzip
der Blutrache zugrunde. Die Tötung des Lykaon nimmt damit gleichsam
bereits einen Teil der Bestattungszeremonie des Patroklos vorweg und
wird so rituell sanktioniert. Aus der Schlachtung des Troilos am Altar des
Apollon als Provokation des Gottes ist also in der Lykaon-Szene die Besänftigung der Seele des geliebten Freundes geworden. Die Abfolge der
zwei Szenen „Gefangennahme von Gegnern zwecks Opferung zu einem
späteren Zeitpunkt“ – „Tötung eines wehrlosen Gegners“ erinnert unmissverständlich an die Abfolge „Aulauerung und Entkommen der Polyxena
– „Tötung des wehrlosen Troilos“ –„Opferung Polyxenas an Achills Grab
zu einem späteren Zeitpunkt“.
Auch bei der Schändung von Hektors Leiche ist der rituelle Aspekt,
nämlich die unmittelbare Bezugnahme auf das Grabmal des Patroklos und
somit die Stilisierung zur Entsühnung der Seele des Verstorbenen, nicht zu
übersehen. Erst das Eingreifen der Götter wird dieses Verhalten als unverhältnismäßig markieren, zugleich aber korrigieren und damit seine Bewertung als hybris ohne Konsequenzen bleiben lassen.111
Fragen wir nach der emotionalen Einstellung Achills zu Lykaon als
‚Feind‘, so müssen wir den Dialog zwischen den beiden betrachten, den
wir bislang ausgeklammert haben. Lykaon, der bereits den Bittgestus eines
hiketēs eingenommen hat, spricht Achilleus mit folgenden Worten an (21,
74–7):
110
111
An allen drei Stellen werden die Geopferten explizit als „Kinder von …“ markiert. Es
hat sich gezeigt, dass es für die Tötung des Troilos wichtig ist, dass er der erste im Krieg
getötete Sohn des Priamos ist. Bei der Tötung des Lykaon hebt Achilleus hervor, dass
vor allem die Söhne des Priamos (stellvertretend für Hektor!) keine Gnade erhalten
werden.
Dazu ausführlich Danek 2014.
Troilos und Lykaon
39
„γουνοῦμαι σ᾿, Ἀχιλεῦ· σὺ δέ μ᾿ αἴδεο καί μ᾿ ἐλέησον·
ἀντί τοί εἰμ᾿ ἱκέταο, διοτρεφές, αἰδοίοιο·
πὰρ γὰρ σοὶ πρώτῳ πασάμην Δημήτερος ἀκτὴν
ἤματι τῷ, ὅτε μ᾿ εἷλες ἐϋκτιμένῃ ἐν ἀλωῇ.“
„Ich leh dich an, Achill! Du scheue mich und erbarme dich meiner!
Ich bin für dich wie ein hiketēs, du Zeusgenährter, der Scheu verdient!
Denn bei dir hab ich als erstem die Frucht der Demeter gekostet
an dem Tag, da du mich gefangen nahmst im gut angelegten Garten.“
Lykaon postuliert also, dass Achilleus mit seiner Aufnahme in sein ‚Haus‘
eine rituelle Verplichtung eingegangen sei, die ihm dem Status eines
hiketēs auch innerhalb der Schlacht garantiere. Lykaon beansprucht damit
den Status eines ‚Eigenen‘ statt den eines ‚Feindes‘: eleēson („erbarme
dich!“) sagt man nicht zu einem Fremden, sondern zu einem Mitglied der
eigenen Gemeinschaft, mit dem man gesellschaftlich und emotional verbunden ist.112 Mit denselben Worten spricht Hekabe ihren Sohn Hektor an,
wenn sie ihn bittet, sich nicht dem Kampf mit Achilleus zu stellen, und
dabei ihre Brüste vorzeigt (22, 82):
„Ἕκτορ, τέκνον ἐμόν, τάδε τ᾿ αἴδεο καί μ᾿ ἐλέησον …“
„Hektor, mein Sohn, hab davor Scheu und erbarme dich meiner …“
Wir erinnern uns auch daran, dass Aias während der Bittgesandtschaft
Achilleus als „erbarmungslos“ (nēlēs, 9, 632) bezeichnet und ihn dann
aufgefordert hat (9, 640):
„… αἴδεσσαι δὲ μέλαθρον· ὑπωρόφιοι δέ τοί εἰμεν …“
„… hab Scheu vor dem Haus; denn wir sind unter deinem Dach …“
Aias hat in dieser Rede ausdrücklich auf das Prinzip verwiesen, erlittenes
Unrecht durch eine poinē abzugelten und somit zu annullieren. Lykaon
zielt mit seiner Anrede darauf ab, dass Achilleus ihn gefangen nehmen
und anstelle der poinē für Patroklos apoina (Lösegeld) akzeptieren solle. Achilleus verweigert in seiner Antwort zwar diesen Anspruch (21, 99,
μή μοι ἄποινα πιφαύσκεο, „sprich mir nicht von Lösegeld!“), begründet
das aber damit, dass er vor dem Tod des Patroklos sehr wohl Gegner im
Kampf verschont und stattdessen gefangen genommen habe; erst der Tod
des Patroklos habe bewirkt, dass er alle Troer töten wolle, insbesondere
alle Söhne des Priamos. Mit den Worten „… bis dahin war es mir lieber,
Troer zu verschonen“ (τόφρα τι μοι πεφιδέσθαι … φίλτερον ἦεν / Τρώων,
112
Vgl. kiM 2000, 57: “‘to pity’ someone implies to consider that person as a φίλος to
yourself; one does not pity one’s adversary.” Das bestätigt sich in der Ilias allerdings
nur bis zur Lykaon-Szene; danach wird Achills Verhalten gegenüber den Troern hingegen mehrfach als (Verweigerung von) eleos (und aidōs) charakterisiert: 20, 465 (Tros,
die ‚anticipatory doublet‘ von Lykaon!); 21, 174 (die im Fluss Getöteten); 22, 123; 24,
44 (Hektor); 22, 419; 24, 207; 24, 503 (Priamos).
40
GeorG Danek
21, 101–2) erinnert Achilleus an das, was in der Ilias als seine hervorstechende Eigenschaft vor dem Einsetzen der mēnis gezeichnet ist, seine
philotēs,113 die vor allem seinen Gefährten gegolten hat, sich aber auch
auf die Feinde erstrecken konnte.114 Hier indet Achilleus jedoch zu einer
paradoxen Schlussfolgerung. Mit der Begründung, dass ja auch Patroklos
gestorben sei und sogar er selbst, der Sohn einer Göttin, im Kampf fallen
werde, verkündet er (21, 106):
„… ἀλλά, φίλος, θάνε καὶ σύ …“
„… jedoch, Lieber, stirb auch du!“
Achilleus erkennt somit gleichsam Lykaons Anspruch an, als philos behandelt zu werden, verweigert ihm zugleich aber jene Behandlung, die nach
gesellschaftlichem Einverständnis einem philos geschuldet wird, so wie er
früher gegenüber Aias die Ansprüche der philtatoi (9, 642) zwar anerkannt
hat, ihnen aber nicht nachgekommen ist. Stattdessen schickt er Lykaon
in den Tod – in den ihm Patroklos schon vorangegangen ist und in den
er selbst ihm bald nachfolgen wird – und signalisiert damit, dass seine
philotēs genau darin, und eben nur darin, bestehe.115 Achilleus ist in dieser
Szene nicht nur ein blindwütiger Berserker. Er agiert nicht nur im ‚TroilosModus‘, sondern ist sich der Dimensionen seines Handelns bewusst, sieht
aber als einzig verbliebene Perspektive des Lebens seinen eigenen Tod und
weitet diese Perspektive auf alle Menschen aus. Er wird in der Konfrontation mit Hektor wieder ganz auf seinen blindwütigen Hass zurückgeworfen
werden, und es wird der Begegnung mit Priamos bedürfen, damit er seiner
philotēs wieder ihren eigentlichen Sinn verleiht. Erst wenn er die Ansprüche des toten Hektor und des noch lebenden Vaters anerkannt und erfüllt
hat, wird er zu Priamos sagen können (24, 650):
„ἐκτὸς μὲν δὴ λέξο, γέρον φίλε …“
„Leg dich jetzt draußen hin, lieber Alter …“
Resümee: Achilleus in der Ilias
Die Darstellung von Achilleus in der Ilias zitiert ein traditionelles Bild
des Helden als Verkörperung elementarer Gewalt, und sie tut das, indem
113
114
115
Zu Achilleus als Verkörperung von philotēs vgl. sinos 1980; Muellner 1996; kiM
2000; besonders aber scHein 1984, 89–167.
Das ist nicht so außergewöhnlich, wie es erscheinen mag: Auch der Feind Glaukos erweist sich in der Schlacht für Diomedes als xeinos philos (6, 224); und Hektor und Aias
trennen sich nach ihrem formellen Zweikampf en philotēti (7, 302).
Vgl. scHein 1984, 148f.: “He does not speak sarcastically when he addresses Lykaon
as ‘friend’ (philos, 21.106). Rather, he invites the Trojan youth to join him in the only
solidarity of their shared mortality, the solidarity of death.”
Troilos und Lykaon
41
sie eine konkrete Geschichte evoziert, die dem ursprünglichen Publikum
bekannt war, nämlich die Troilos-Episode.116 Das Zitat ist markiert durch
zwei auffällige Details in der Darstellung der Lykaon-Episode, die innerhalb der Ilias singulär sind, aber identische Details in der Troilos-Episode
evozieren. Vor dieser Folie zeichnet sich nun das Bild eines völlig andersgearteten Helden ab, der geradezu als Verkörperung von philotēs erscheint
und dessen Verlust der philotēs durch seine mēnis, die Entrüstung über den
von Agamemnon zugefügten Ehrverlust, und durch den Schmerz über die
Tötung seines Freundes Patroklos erklärt wird. Achilleus indet innerhalb
der Ilias aber in einem schrittweisen Prozess wieder zu seinem ‚wahren‘
Charakter zurück, wird sich auch der Problematik seines Berserkertums
bewusst117 und kann zuletzt seine philotēs in eine neu gewonnene tiefere
Einsicht in die conditio humana integrieren.
Krieg gehört innerhalb der archaischen Gesellschaft zur conditio humana, so wie Geburt, Leben und Tod. Krieg führt aber nicht per se zur
Aufhebung sämtlicher gesellschaftlicher Kontrollmechanismen, sondern
gestattet sehr wohl die respektvolle Behandlung des Feindes nach ungeschriebenen Regeln. Es ist erst die Verletzung dieser Regeln, sowohl zwischen Gegnern als auch innerhalb der eigenen Reihen, die dazu führt, dass
die Kontrolle über die eigenen Emotionen sukzessive verloren geht und
die Gewalt eskaliert. Der Achilleus der Ilias verachtet nicht seine Feinde,
nur weil sie Feinde sind; aber er verfolgt Agamemnon mit seinem überdimensionierten Hass, weil dieser seine timē, also seinen gesellschaftlichen
– und damit existenziellen – Status, beschädigt hat; und er verfolgt Hektor
und alle Troer erst nach dem Tod des Patroklos mit seiner blindwütigen
Rache.118 In der griechischen Heldenwelt sind diese Prozesse jedoch reversibel: Achilleus kann sich wieder mit sich selbst versöhnen, in seine eigene
Gemeinschaft zurückkehren und zu einem respektvollen Umgang mit den
Feinden zurückinden.119 Die Lykaon-Episode bildet den ersten Schritt auf
Achills Weg zurück zu seinem ‚eigentlichen‘ Wesen. Dieses Signal wird
innerhalb der Ilias durch den Verweis auf die intertextuelle Bezugsfolie der
traditionellen Troilos-Geschichte noch prägnanter.
116
117
118
119
Der Achilleus des ‚Troilos-Modus‘ verdient zweifellos das Etikett ‚Achill das Vieh‘.
Vgl. scHMiDt 1999, gegen latacz 1995.
In der Ilias ist es zweifellos Lykaon, der am ehesten zu Achilleus sagen könnte: “I
thought you are a dumb brute …”
In diesem Sinne sHay 1994.
Vgl. scHMiDt 1999, 115f., gegen sHay 1994.
42
GeorG Danek
Bibliographie
aHl, F. M. (1982): Amber, Avallon, and Apollo’s Singing Swan. In: American Journal of
Philology 103, 373–411.
aManDry, P. (1973): Note sur l’aryballe Canellopoulos 1319. In: Bulletin de correspondance
hellénique 97, 195–200.
aMeis, k. f. / Hentze, c. (1905): Homers Ilias. Bd. 2.3 (19–21). 4. Aul. Leipzig / Berlin
[Nachdruck Amsterdam 1965].
BarsBy, J. (1986): Plautus Bacchides. Warminster.
Beazley, J. D. (1951): The Development of Attic Black-Figure. Berkeley.
BroMMer, F. (1972): Vier mythologische Vasenbilder in Griechenland. In: Athens Annals
of Archaeology 5, 451–462.
BrüGGer, C. (2009): Homers Ilias. Gesamtkommentar. Bd. 8: 24. Gesang. Faszikel 2:
Kommentar. Basel / New York.
BurGess, J. S. (2001): The Tradition of the Trojan War in Homer and the Epic Cycle.
Baltimore / London.
BurGess, J. S. (2009): Achilles’ Heel: The Historicity of the Film Troy. In: K. MyrsiaDes
(Hg.): Reading Homer: Film and Text. Madison, NJ, 163–185.
clay, J. S. (2011): Homer’s Trojan Theatre. Space, Vision, and Memory in the Iliad.
Cambridge.
Danek, G. (1998): Epos und Zitat. Studien zu den Quellen der Odyssee. Wien.
Danek, G. (2002): Traditional referentiality and Homeric intertextuality. In: F. Montanari
(Hg.): Omero tremila anni dopo. Atti del Congresso di Genova 6–8 luglio 2000. Roma,
3–19.
Danek, G. (2005): Antenor und die Bittgesandtschaft: Ilias, Bakchylides 15 und der
Astarita-Krater. In: Wiener Studien 118, 5–20.
Danek, G. (2006): Heldenepos als Medium historischer Erinnerung: Homer und das
südslawische Heldenlied. In: A. eBenBauer / J. keller (Hg.): Das Nibelungenlied und
die Europäische Heldendichtung. Wien, 39–56.
Danek, G. (2007): The Story of Troy through the Centuries. In: Winkler 2007, 68–84.
Danek, G. (2010a): Der homerische Held zwischen heroischer Monomanie und gesellschaftlicher Verantwortung. In: Meyer / von Den Hoff 2010, 55–70.
Danek, G. (2010b): The Homeric Epics as Palimpsests. In: P. S. alexanDer / A. lanGe /
R. J. pillinGer (Hg.): In the Second Degree. Paratextual Literature in Ancient Near
Eastern and Ancient Mediterranean Culture. Leiden / Boston, 123–136.
Danek, G. (2012): The Doloneia Revisited. In: Ø. anDersen / D. T. T. HauG (Hg.): Relative
Chronology in Early Greek Epic Poetry. Cambridge, 106–121.
Danek, G. (2014): Achilles Hybristēs? Tisis and Nemesis in Iliad 24. In: M. cHristopoulos /
M. païziapostolopoulou (Hg.): Crime and Punishment in Homeric and Archaic Epic.
Proceedings of the 12th International Symposium on the Odyssey. Ithaca, 137–152.
Dué, C. / eBBott, M. (2010): Iliad 10 and the Poetics of Ambush. A Multitext Edition with
Essays and Commentary. Washington, D. C.
Dunkle, R. (1997): Swift-footed Achilles. In: Classical World 90, 227–234.
fiscHer G. / MoraW s. (Hg.) (2005): Die andere Seite der Klassik. Gewalt im 5. und 4. Jh.
v. Chr. Stuttgart.
Gantz, T. (1993): Early Greek Myth: A Guide to Literary and Artistic Sources. Baltimore /
London.
Genette, G. (1982): Palimpsestes. La littérature au second degré. Paris.
Giuliani, L. (1996): Laokoon in der Höhle des Polyphem. Zur einfachen Form des Erzählens
in Bild und Text. In: Poetica 28, 1–47.
Troilos und Lykaon
43
Giuliani, L. (2003): Bild und Mythos. Geschichte der Bilderzählung in der griechischen
Kunst. München.
Giuliani, L. (2010): Helden-Hybris. In: Meyer / von Den Hoff 2010, 193–214.
GottscHall, J. (2008): The Rape of Troy. Evolution, Violence, and the World of Homer.
Cambridge.
Hall, E. (1989): Inventing the Barbarian. Greek Self-Deinition through Tragedy. Oxford.
Hall, J. M. (2002): Hellenicity. Between Ethnicity and Culture. Chicago / London.
HeDreen, G. (2001): Capturing Troy. The Narrative Function of Landscape in Archaic and
Classical Greek Art. Ann Arbor.
HeDreen, G. (2012): Vase-painting and Narrative Logic: Achilles and Troilos in Athens
and Etruria. In: S. scHierup / B. B. rasMussen (Hg.): Red-Figure Pottery in its Ancient
Setting. Acts of the International Colloquium Copenhagen 2009. Aarhus, 133–146.
HoelscHer, u. (1990): Die Odyssee. Epos zwischen Märchen und Roman. 3. Aul. München.
von Den Hoff, R. (2002): [Rezension zu knittlMayer 1997]. In: Gnomon 74, 36–42.
von Den Hoff, R. (2005): ‘Achill, das Vieh’? Zur Problematisierung transgressiver Gewalt
in klassischen Vasenbildern. In: fiscHer / MoraW 2005, 225–246.
De JonG, I. J. F. (2012): Homer. Iliad. Book XXII. Cambridge.
kakriDis, i. tH. (Hg.) (1987): Ελληνική Μυθολογία. Bd. 5: Τρωικός πόλεμος. Athen.
kefaliDou, E. (2010): Dead Man Face Down: Homer, Art and Archaeology. In: E. WalterkaryDi (Hg.): Myths, Texts, Images. Homeric Epics and Ancient Art. Proceedings of
the 11th International Symposium on the Odyssey (15–19 September 2009). Ithaca,
121–151.
kelly, G. P. (2014): Battleield Supplication in the Iliad. In: Classical World 107, 147–167.
kiM, J. (2000): The Pity of Achilles. Oral Style and the Unity of the Iliad. Lanham, MA.
kitts, M. (1992): The Sacriice of Lycaon. In: Mètis 7, 161–176.
kitts, M. (2005): Sanctiied Violence in Homeric Society: Oath-Making Rituals and
Narratives in the Iliad. Cambridge.
knittlMayer, B. (1997): Die attische Aristokratie und ihre Helden. Untersuchungen zu
Darstellungen des trojanischen Sagenkreises im 6. und frühen 5. Jahrhundert v. Chr.
Heidelberg.
kossatz-DeissMann, A. (1981): Achilleus. In: LIMC I.1, 37–200.
kossatz-DeissMann, A. (1997): Troilos. In: LIMC VIII.1, 91–94.
kraus, W. (1983): Aischylos als Erotiker betrachtet. In: Wiener Studien 96, 5–22.
krauskopf, I. (1974): Der thebanische Sagenkreis und andere griechische Sagen in der
etruskischen Kunst. Mainz.
kreuzer, B. (2005): Zurück in die Zukunft? ‚Homerische‘ Werte und ‚solonische‘
Programmatik auf dem Klitiaskrater in Florenz. In: Jahrbuch des Österreichischen
Archäologischen Instituts 74, 175–224.
kullMann, W. (1960): Die Quellen der Ilias (Troischer Sagenkreis). Wiesbaden.
kunze, E. (1950): Archaische Schildbänder. Olympische Forschungen II. Berlin.
latacz, J. (1995): Achilleus. Wandlungen eines europäischen Heldenbildes. Stuttgart /
Leipzig.
latacz, J. u. a. (Hg.) (2008): Homer. Der Mythos von Troia in Dichtung und Kunst.
München.
liMc = Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae
loWenstaM, S. (2008): As Witnessed by Images. The Trojan War Tradition in Greek and
Etruscan Art. Baltimore.
Meyer, M. / von Den Hoff, R. (Hg.) (2010): Helden wie sie. Übermensch – Vorbild –
Kultigur in der griechischen Antike. Freiburg i. Br. / Berlin / Wien.
44
GeorG Danek
MitcHell, L. (2007): Panhellenism and the Barbarian in Archaic and Classical Greece.
Swansea.
Montanari, F. / renGakos, A. / tsaGalis, C. (Hg.) (2012): Homeric Contexts. Neoanalysis
and the Interpretation of Oral Poetry. Berlin.
Muellner, L. (1996): The Anger of Achilles. Mênis in Greek Epic. Ithaca.
Mylonopoulos, J. (2013): Gory Details? The Iconography of Human Sacriice in Greek
Art. In: P. BonnecHere / R. GaGné (Hg.): Human Sacriice. Cross-Cultural Perspectives
and Representations. Liège, 61–85.
overBeck, J. (1853): Gallerie heroischer Bildwerke der alten Kunst. Bd. 1: Die Bildwerke
zum thebischen und troischen Heldenkreis. Braunschweig.
rankeGraves, R. von (1960): Griechische Mythologie. Übers. von H. seinfelD. Reinbek
bei Hamburg [= The Greek Myths, London 1955].
reaDy, J. L. (2005): Iliad 22.123–128 and the Erotics of Supplication. In: Classical Bulletin
81, 145–164.
reaDy, J. L. (2007): Toil and Trouble: The Acquisition of Spoils in the Iliad. In: Transactions
of the American Philological Association 137, 3–43.
ricHarDson, N. (1993): The Iliad: A Commentary. Vol. VI: Books 21–24. Oxford.
roBertson, M. (1990): Troilos and Polyxene: Notes on a Changing Legend. In:
J.-P. DescoeuDres (Hg.): Eumousia. Ceramic and Iconographic Studies in Honour of
A. Cambitoglou. Sydney, 63–70.
ross, S. A. (2005): Barbarophonos: Language and Panhellenism in the Iliad. In: Classical
Philology 100, 299–316.
scHein, S. (1984): The Mortal Hero. An Introduction to Homer’s Iliad. Berkeley.
scHMiDt, E. A. (1999). Achill. In: H. HofMann (Hg.): Antike Mythen in der europäischen
Tradition. Tübingen, 91–125.
sHay, J. (1994): Achilles in Vietnam: Combat Trauma and the Undoing of Character. New
York.
sinos, D. S. (1980): Achilles, Patroclus and the Meaning of Philos. Innsbruck.
stäHli, a. (2005): Die Rhetorik der Gewalt in Bildern des archaischen und klassischen
Griechenland. In: fiscHer / MoraW 2005, 19–44.
stoevesanDt, M. (2004): Feinde – Gegner – Opfer. Zur Darstellung der Troianer in den
Kampfszenen der Ilias. Basel.
taplin, O. (1992): Homeric Soundings. The Shaping of the Iliad. Oxford.
WacHter, R. (2001): Non-Attic Greek Vase Inscriptions. Oxford.
van Wees, H. (1992): Status Warriors. War, Violence, and Society in Homer and History.
Amsterdam.
West, M. L. (2003): Greek Epic Fragments: From the Seventh to the Fifth Centuries BC.
Cambridge, MA / London.
West, M. L. (2011): The Making of the Iliad. Disquisition and Analytical Comment. Oxford.
West, M. L. (2013): The Epic Cycle. A Commentary on the Lost Troy Epics. Oxford.
Wilson, D. F. (2002): Ransom, Revenge, and Heroic Identity in the Iliad. Cambridge.
Winkler, M. M. (Hg.) (2007): Troy: From Homer’s ‘Iliad’ to Hollywood Epic. Oxford.
Wolf, C. (1984): Cassandra, trans. by J. van Heurck. New York.
Wolf, C. (2008 [1983]): Kassandra. Erzählung. Frankfurt a. M.
WullscHleGer, M. (2011): Achille e Troilo su un’hydria etrusca inedita. Alcune osservazioni
sull’imagerie del Pittore del Vaticano 238. In: Mediterranea 8, 241–266.
zinDel, C. (1974): Drei vorhomerische Sagenversionen in der griechischen Kunst. Basel.
Troilos und Lykaon
45
Abb. 1: Attische Amphore (Vulci), 570–560 v. Chr., München (LIMC 230)
(nach kakriDis 1987, 88)
Abb. 2: Attische Hydria, 560–550 v. Chr., New York Metropolitan Museum (LIMC 234)
(nach LIMC)
46
GeorG Danek
Abb. 3: Attische Hydria, ca. 530 v. Chr., Boston MFA (LIMC 216)
(nach LIMC)
Abb. 4: Etruskische Hydria, Ende 6. Jahrhundert v. Chr., Genf
(nach WullscHleGer 2011, 242)
Troilos und Lykaon
Abb. 5: Lakonischer Dinos, 560–540 v. Chr., Louvre (LIMC 256)
(nach LIMC)
Abb. 6/7: Siana-Schale, 570–560 v. Chr., Louvre (LIMC 310)
47
48
GeorG Danek
Abb. 8: Siana-Schale, 570–560 v. Chr., New York Metropolitan Museum (LIMC 303)
(nach kakriDis 1987, 88)
Abb. 9: Attische Hydria, ca. 540 v. Chr., Leipzig (LIMC 298)
(nach latacz u. a. 2008, 354)
Abb. 10: Etruskische Amphore, 540–530 v. Chr., Louvre (LIMC Achle 17)
(nach krauskopf 1974, Tafel 14.2)
Troilos und Lykaon
Abb. 11a/b: Rotigurige Kylix, ca. 490 v. Chr., Perugia (LIMC 370)
(© MCAD Library)
49
50
GeorG Danek
Abb. 12: Schildband-Bronzeblech, ca. 600 v. Chr., Olympia
(LIMC 376) (nach LIMC)
Abb. 13: Schildband-Bronzeblech, ca. 580 v. Chr., Olympia
(LIMC 377) (nach LIMC)
Troilos und Lykaon
Abb. 14: Attische Hydria, ca. 510 v. Chr., British Museum (LIMC 363)
(nach latacz u. a. 2008, 355)
Abb. 15: Attische Amphore (Vulci), ca. 570 v. Chr., München 1426 (LIMC 364)
(nach kakriDis 1987, 89)
51
52
GeorG Danek
Abb. 16: Etruskische Amphore, ca. 530 v. Chr., Louvre (LIMC Polyxene 16)
(nach LIMC)
Abb. 17: Attische Amphore, 570–550 v. Chr., British Museum (LIMC Polyxene 26)
(nach kakriDis 1987, 161)
Troilos und Lykaon
Abb. 18: Protokorinthischer Aryballos, 650–625 v. Chr., Athen (LIMC 331)
(nach BurGess 2001, 29)
Abb. 19: Klazomenai, Drachme, 387–360 v. Chr., Kunstmarkt
53
54
GeorG Danek
Abb. 20: Tyndaris, Bronze, um 344 v. Chr., Kunstmarkt
Abb. 21: Frühprotokorinthischer Aryballos, ca. 700 v. Chr., British Museum (LIMC 332a)
(nach latacz u. a. 2008, 352)