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Rezension zu Friedrich Sieburg von Harro Zimmermann

A ALLGEMEINES AR MEDIEN ARA Pressewesen, Journalismus, Publizistik Personale Informationsmittel Friedrich SIEBURG BIOGRAPHIE 15-4 Friedrich Sieburg - Ästhet und Provokateur : eine Biographie / Harro Zimmermann. - Göttingen : Wallstein-Verlag, 2015. 360 S. ; 23 cm. - ISBN 978-3-8353-1722-2 : EUR 34.90 [#4326] Der Literaturkritiker Friedrich Sieburg (1883 - 1964) war ein brillanter journalistischer Kopf und in der Nachkriegszeit einer der einflußreichsten Feuilletonisten. Es ist auffällig, daß sich in letzter Zeit gleich mehrfach ein Interesse an dieser Persönlichkeit artikuliert, das auch zu biographischen Darstellungen führte.1 Nun legt der Bremer Germanist Harro Zimmermann eine weitere Biographie vor, die von der nachwirkenden Faszinationskraft Zeugnis ablegt, die mit Leben und Werk Sieburgs verbunden sind. Weil Sieburg indes durchaus Teil des eher konservativen Establishments in der Adenauerzeit war, fiel er bald in weitgehende Vergessenheit, sieht man vom gelegentlichen Nachdruck seiner auch heute noch lesenswerten Literaturkritiken ab.2 Der Doktorand Tilman Krause stieß noch in den achtziger Jahren bei seinem Doktorvater zunächst auf wenig Interesse, als er seine Idee vortrug, über Sieburg arbeiten zu wollen.3 In den letzten Jahren erschien dann aber 1 Siehe bereits die kürzlich erschienene Biographie Friedrich Sieburg (1893 1964) : ein Leben zwischen Frankreich und Deutschland / Klaus Deinet. - Berlin : NoRa, 2014. - 631 S. : Ill. ; 22 cm. - ISBN 978-3-86557-337-7 : EUR 39.00 [#3615]. - Rez.: IFB 14-3 http://ifb.bsz-bw.de/bsz403773334rez-1.pdf - Zuvor erschien außerdem Friedrich Sieburg (1893 - 1964) : ein deutscher Journalist vor der Herausforderung eines Jahrhunderts / Cecilia von Buddenbrock. Mit einer Einl. von Jürg Altwegg. Übers. von Barbara Damidot. - Frankfurt am Main : SocietätsVerlag, 2007. - 311 S. : Ill. ; 23 cm. - ISBN 978-3-7973-1031-6 : EUR 19.90. 2 Zur Literatur 1924 - 1956 / Friedrich Sieburg. Hrsg. von Fritz J. Raddatz. Frankfurt am Main ; Berlin : Ullstein, 1987. - Zur Literatur 1957 - 1963 / Friedrich Sieburg. Hrsg. von Fritz J. Raddatz. - Frankfurt am Main ; Berlin : Ullstein, 1987. 3 Mit Frankreich gegen das deutsche Sonderbewußtsein : Friedrich Siegburgs Wege und Wandlungen in diesem Jahrhundert / Tilman Krause. - Berlin : Akademie-Verlag, 1993. - 330, [9] S. : Ill. ; 25 cm. - Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1990. - ISBN 3-05-002385-6. sogar ein Sieburg-Band in der Anderen Bibliothek, herausgegeben von Thea Dorn.4 Harro Zimmermann, der selbst als Journalist eng mit dem Radio Bremen verbunden ist,5 hat nun eine weitere Biographie zu Sieburg vorgelegt,6 die dieser brillante Journalist auch eindeutig verdient hat. Sieburg war nicht eigentlich ein literarischer Schriftsteller, auch wenn er sich am Anfang seiner Laufbahn als Lyriker versuchte, aber er war doch mit einer hochgradig literarischen Sensibilität ausgestattet. Er war, wie auch sein Zeitgenosse Walter Benjamin, als Übersetzer an der Balzac-Ausgabe der zwanziger Jahre beteiligt, zu der er den Band beisteuerte – was aber in der Sekundärliteratur nur wenig Interesse hervorruft.7 Zimmermann schildert eindrücklich die Beziehungen Sieburgs zum GeorgeKreis mit seinen merkwürdigen Eigenheiten, die ihn auch heute noch zu einem irgendwie faszinierenden und gleichzeitig befremdlichen Phänomen machen. Es kam jedoch zum Bruch, wohl weil Sieburgs Persönlichkeit den Maßstäben des Meisters letztlich nicht gerecht werden konnte – die genauen Ursachen bleiben trotz der überlieferten Briefe eher vage. Dennoch ist mit Stefan George ein wichtiger Einfluß auf Sieburg namhaft gemacht, der noch nachwirkt, als die Verbindung zum Kreis unwiderruflich gekappt war. George blieb ein unhintergehbarer Punkt, aber Zimmermann zeigt sehr schön anhand einer ausführlichen Diskussion der Dissertation Sieburgs,8 wie sehr diese gerade zum Schluß hin auch einen Abschied von George bedeutet, der durchaus im Widerspruch zum Tenor des Hauptteils der Arbeit steht. Sieburgs frühe Literaturlektüren, über die Zimmermann durch das längere Zitat aus einem Brief an den Bruder mit Leseempfehlungen informiert, zeigen, wie umfassend er sich in der Literatur seiner Zeit auskannte (S. 49 - 50). Zimmermann schildert sodann ausführlich Sieburgs Karriere als Journalist, der über eine Zwischenstation in Kopenhagen schließlich Paris-Korrespondent der Frankfurter Zeitung wird und dort Joseph Roth ablöst und ver4 Die Lust am Untergang : Selbstgespräche auf Bundesebene / Friedrich Sieburg. Mit einem Vorw. und einem Nachw. von Thea Dorn. - 1. - 7. Tsd. - Frankfurt am Main : Eichborn, 2010. - 417 S. ; 22 cm. - (Die Andere Bibliothek ; 305). - ISBN 978-3-8218-6229-3 : EUR 32.00. 5 Siehe auch das Gespräch im Radio Bremen mit Zimmermann über sein SieburgBuch: http://www.radiobremen.de/nordwestradio/sendungen/buchpiloten/audio152246popup.html [2015-09-14]. 6 Inhaltsverzeichnis: http://d-nb.info/1071149091/04 7 Es handelte sich dabei, auch entgegen einer Verschreibung meinerseits in der IFB-Rezension des Sieburg-Buches von Klaus Deinet, um den Roman Modeste Mignon. 8 Man findet die literaturwissenschaftliche Arbeit als Aufsatz in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. - 14 (1920), S. 356 - 396, im Internet im digitalisierten Volltext unter: http://digi.ub.uniheidelberg.de/diglit/zaak1920/0360?sid=b9d1a8a958a30b12eb2e7768d4a67051 [2015-11-25]. drängt. Sieburg stürzt sich in das Leben der Stadt, hat außerordentlich gute Kontakte zu allen möglichen Kreisen und genießt das Leben. Er erzielt mit seinem Buch Gott in Frankreich? einen phänomenalen Bestseller und wird zum aufstrebenden Star des Journalismus. Mit diesem Buch trifft er offensichtlich einen Nerv, da sich das Buch sehr gut verkauft und intensiv diskutiert wird. Wenn es auch als ein Buch über den französischen Nationalcharakter gelesen werden konnte, so war es doch zugleich auch eines über Deutschland, so daß sich Eigenes und Fremdes auf merkwürdige Weise vermischen. Die intensive Beziehung zu Frankreich kennzeichnet Sieburgs Werk und seine berufliche Laufbahn, weshalb dies in Zimmermanns Darstellung alles ausführlich rekapituliert wird. Sieburg war nach Zimmermanns Darstellung trotz mancher Anpassungen nie ein Nationalsozialist. Angesichts der lange Zeit wenig differenzierten Auseinandersetzungen um die „Verstrickungen“ zahlreicher Menschen und damit auch Persönlichkeiten des Kulturlebens in den Nationalsozialismus, ist es zu begrüßen, daß Zimmermann sich in seinem Buch um eine nüchterne Bestandsaufnahme bemüht und auch reflektiert, in welchen Konstellationen sich Sieburg in den dreißiger und vierziger Jahren befand, in denen Nähe und Distanz zum Nationalsozialismus bei vielen Geistern zu beobachten waren. Sieburg hatte sich rechtsintellektuellen Positionen angenähert, sich aber zugleich eine kritische Haltung zur Massengesellschaft bewahrt und so etwa in Werken wie seinem Buch über Robespierre Zeitkritik im Gewande des Historismus geübt, was in jenen Jahren ein probates Mittel der Mimikry war. Zimmermann schreibt: „Nähe und Distanz Sieburgs zum Nationalsozialismus bleiben letzten Endes nicht vollkommen aufklärbar, ein gewiefter, oft ergebener Mitläufer ist er gewesen, ein genuiner Nazi zu keiner Zeit“ (S. 266). Das habe auch Zuckmayer in seinem bekannten Geheimreport bestätigt. Sieburg sei auch, so Zimmermann, kein Antisemit (S. 272), obwohl das, „was er 1942/43 im antisemitischen Tonfall über den deutschen Juden Heinrich Heine verbreitet (...) die moralische Integrität dieses Geistesmenschen für Momente in einem trüben Licht erscheinen“ lasse (S. 271). Zimmermann geht auf die Bücher Sieburgs, seine Kontakte, seine Reisen etwa nach Portugal, Afrika oder Asien und die daraus resultierenden Reiseberichte ein, behandelt seine journalistischen Stellungnahmen, wobei vor allem letztere in den dreißiger Jahren immer mehr berichtend auszufallen hatten und weniger Kommentare gewünscht waren. Dennoch dominiert in dieser Zeit insgesamt aus naheliegenden Gründen die Zeitgeschichte mit ihren Verwerfungen, was dann vor allem in der Okkupationszeit in Frankreich spürbar wird. Schon zuvor ist Sieburg in einer distanzierten Stellung zu den deutschen Exilanten – er wird so etwa auch sehr kritisch unter einem anderen Namen im Roman Exil von Lion Feuchtwanger traktiert.9 9 Zu Feuchtwanger siehe zuletzt Lion Feuchtwanger : die Biographie / Wilhelm von Sternburg. - Überarb. und erw. Neuausg., 1. Aufl. - Berlin : Aufbau-Verlag, 2014. - 543 S. : Ill. ; 22 cm. - ISBN 978-3-351-03275-3 : EUR 26.00. - Lion Feuchtwanger : die Biographie / Wilhelm von Sternburg. - Berlin : Aufbau, 2014. Des weiteren ist zu verweisen auf: Lion Feuchtwanger : Münchner - Emigrant - Höchst aufwühlend sind die Tagebuchaufzeichnungen Sieburgs von 1944 und 1945, aus denen Zimmermann zitiert und die nicht nur die fatale Haßliebe zu seiner geschiedenen Frau Dorothee dokumentieren, sondern auch die Mentalität dieser Zeit des Zusammenbruchs und die Sorge Sieburgs um eine deutsche Zukunft angesichts des zerstörten Landes und der Okkupation durch die Alliierten. Bald löst sich Sieburg aber von manchen zeitbedingten Vorstellungen und wird nach 1945 ein Anderer, auch wenn er Ästhet und Provokateur bleiben sollte (S. 289). Nach und nach kann Sieburg wieder als Journalist Fuß fassen, obwohl er teilweise übel als „Nazi in Reinkultur“ beschimpft worden war (S. 293). Ab 1953 schreibt Sieburg dann für die Frankfurter Allgemeine und in den verbleibenden ca. zehn Jahren seines Lebens ist er weiterhin produktiv. Neben zahlreichen Literaturkritiken und Interventionen für eine „politisch bedeutungsvolle Gesprächskultur“ (S. 317) kämpft Sieburg gegen „Wortlitaneien und Klischeebildungen“ (ebd.) und möchte die Urteilskraft der Literaturleser stärken. All das geschieht bei Sieburg vor dem Hintergrund einer breiten Kenntnis deutscher und internationaler Belletristik der Gegenwart, aber eben auch der Vergangenheit, die immer wieder in die Erinnerung geholt werden muß. Es kann hier nicht weiter auf die Details von Sieburgs Wirken eingegangen werden, denn selbstverständlich wäre einiges zu sagen zu seinen Büchern über Napoleon und Chateaubriand, die von Zimmermann ausführlich gewürdigt werden. Auch seine Beziehungen zum Rundfunk und immer wieder die Frage nach der Vergangenheit im Nationalsozialismus kommen zur Sprache, vor allem aber der Literaturkritiker, von dem es heißt: „Kaum jemand in Westdeutschland hat das belletristische Feld damals so gelehrsam und scharfsinnig, so stilvoll und nicht selten so anmaßend bewirtschaftet wie der seit Anfang der Fünfziger aufgehende Kritiker Sieburg“, so daß ihn Enzensberger gar als Haupt einer literarischen Regierungspartei apostrophierte (S. 330). Zimmermann schreibt auf eine Weise, die es vermag, Sieburgs Leben und Wirken anschaulich und spannend zu schildern und vor allem auch deutlich zu machen, warum diese schillernde Persönlichkeit dieses Interesse heute noch verdient. Da fällt es nicht so stark ins Gewicht, daß an manchen Stellen der historische Kontext vielleicht etwas zu ausführlich dargestellt wird – wer sich überhaupt für Sieburg interessiert, wird derlei wohl in aller Regel kennen. Andererseits wird so aber auch deutlich, wie stark sich Sieburgs Wirken in Abhängigkeit von den geschichtlichen Bedingungen entfaltete und damit einen politischen Charakter hatte. Die Studie hat eine umfangreiche Bibliographie, wobei die Zeitungsartikel Sieburgs nur im Text erwähnt werden (S. 447); nicht alle von Sieburg publizierten Werke sind hier allerdings aufgeführt. So fehlt seine BalzacÜbersetzung ebenso wie Editionen der Gespräche mit Napoleon, die bei dtv erschien, sowie von Grabbes Napoleon-Dichtung (bei Ullstein). Auch die Weltbürger / Andreas Heusler. - St. Pölten ; Salzburg ; Wien : Residenz-Verlag, 2014. - 352, [12] S. : Ill. ; 22 cm. - ISBN 978-3-7017-3297-5 : EUR 24.90 [#3882]. Eine Rezension in IFB ist vorgesehen. verschiedenen Archive, die ausgewertet wurden, sind angeführt, vor allem Marbach ist hier zu nennen, wo der Sieburg-Nachlaß liegt. Für eine Geschichte der deutschen Literaturkritik im 20. Jahrhundert mit ihren vielen Querverbindungen nicht nur zu ästhetischen Bewegungen, sondern zu den Zeitläuften, ist Zimmermanns Buch über Sieburg ein wertvoller Baustein. Die Persönlichkeit des umtriebigen Literaturkritikers und Autors wird plastisch dargestellt – und vielleicht lohnt sich für den einen oder anderen Leser ja durchaus das Hineinblättern und Lesen in den Sammelbänden mit Sieburgs Literaturkritiken. Till Kinzel QUELLE Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft http://ifb.bsz-bw.de/ http://ifb.bsz-bw.de/bsz434738034rez-1.pdf