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Das Danewerk in Schleswig – Ein dänischer Limes? Matthias Maluck Einleitung Der römische Limes erschien in vielen früheren wissenschaftlichen Betrachtungen vor allem als militärische Barriere, etwa einer modernen Grenzbefestigung wie die ehemalige Deutsch-Deutschen Grenze ähnlich. Der große Unterschied zwischen den römisch-kaiserzeitlichen Auffassungen von Staat, Territorium und damit auch von Grenzen wurde oft nicht oder nur unzureichend wahrgenommen. Im Prinzip ähnlich verhält es sich beim Danewerk. Auch dieses Wallsystem wirkt wie eine befestigte Grenzanlage im modernen Sinne und kann damit dem heutigen Betrachter ein falsches Bild von der zeitgenössisch-historischen Vorstellung und der Bedeutung der südlichen Grenze Dänemarks sowie von der Funktion des Danewerks im Mittelalter geben. Danewerk ist eine Bezeichnung für ein System aus Wällen, Gräben, einer Seesperre aus dem frühen bis hohen Mittelalter, das in der Neuzeit erneut ausgebaut wurde und Gewässer und Niederungen als natürliche Hindernisse integriert. Heute liegen ca. 26 Kilometer der Wälle noch gut erkennbar im Gelände zwischen der Schlei, einer fjordartigen Ostseebuch, und den Niederungen der Nordsee im nördlichen Schleswig-Holstein. Unter dem Danewerk werden mehrere Wallabschnitte und Bauphasen zusammengefasst, die sich zum Teil abgelöst aber auch ergänzt haben. Jüngste naturwissenschaftliche Datierungen früher Phasen weisen auf einen Baubeginn der ersten Wallanlagen noch vor dem 6. Jahrhundert n. Chr. hin. Damit wurde das Bauwerk, mit längeren Pausen, über 1500 Jahre genutzt. Mit der Fokussierung auf die baulichen Anlagen, die archäologischen Fundstellen in ihrer Umgebung und die historische Quellenlage ließ sich in der bisherigen Forschung die historischen und militärischen Funktionen des Danewerks nur eingeschränkt erfassen.1 Ebenso stießen Rückschlüsse auf den gesellschaftlichen Hintergrund schnell an ihre methodisch fundierten Grenzen und gingen in den Bereich der metaphysische Deduktion über. Demgegenüber hat die Limesforschung der letzten Jahrzehnte das Bild der römischen Grenzanlage von einer militärischen Barriere zwischen Zivilisati1 Herbert Jankuhn: Die Wehranlagen der Wikingerzeit zwischen Schlei und Treene (= Die Ausgrabungen in Haithabu, Bd. 1). Neumünster 1937; Hans Hellmuth Andersen: Danevirke og Kovirke : arkæologiske undersøgelser 1861–1993. Århus 1999. 74 MATTHIAS MALUCK Abb. 1: Übersicht über das Danewerk. (Übersicht_Danewerk) © Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein DAS DANEWERK IN SCHLESWIG 75 on und Barbaricum zu einer gesellschaftlich weitaus offeneren und geographisch weitreichenderen Interaktionszone verschoben.2 Auch im Falle des Danewerks ist es daher angebracht, den Blick von den archäologischen Fundstellen und Strukturen und den dort stattgefundenen militärischen und politischen Geschehnissen auf die umliegenden Regionen Holstein und Dänemark zu weiten und weitere Entwicklungen wie das Siedlungsgeschehen, Handel und Kommunikation sowie großräumige politischen Ereignisse mit einzubeziehen. Dieser Weg wurde in jüngeren Veröffentlichungen durch Andres Dobat3 und Thorsten Lemm4 beschritten. Mit dem römischen Limes im Hintergrund sollen an dieser Stelle daher diskutiert werden, welche Rolle das Danewerk als Ausdruck historischer Grenzvorstellungen und als Agent zeitgenössischen Territorialverhaltens spielte. Dazu bedarf es zuerst einiger grundsätzlicher Überlegungen zum menschlichen und schließlich mittelalterlichen territorialen Praxis und zur Definition des Begriffs der Grenze im historischen Kontext. Georg Simmel beschrieb 1908 in seiner Einführung zur Soziologie das menschliche Raum- und Territorialverhalten. Demnach ist eine Grenze eine sozial konstruierte Tatsache, die sich räumlich formt. Erst die menschliche Interaktion führt zu einem Raumbegriff, Raum wird erst durch die Wechselwirkung menschlicher Beziehungen belebt. Neben der physischen Ausschließlichkeit des Raumes erzeugen gesellschaftlichen Wechselwirkungen soziale Fragmente oder Einheiten des Raumes, die sich auch beliebig überlappen können und die von sozialen Gruppen mit Sinne erfüllt und als Einheit getragen werden. Beispiele dafür sind etwa soziale Konstrukte wie Staat, Gemeinde, Dorf, die sich durchaus denselben Raum teilen können. Simmel sieht daher Grenzen als wichtige Konstante im menschlichen Sozialverhalten, das sich über die räumlich-territorialen aber auch über abstraktere soziologische Grenzen bedingt. Territorialität soll im Rahmen dieser Untersuchung als geographischer Ausdruck von Machtstrukturen verstanden werden, die Gesellschaft und Raum verbinden. Robert Sack sieht dabei als Triebfeder hinter jeder Form der Territorialität der erwartete Vorteil des Individuums, der sozialen Gruppe oder der Gesellschaft als Handlungsmotiv. Territoriales Verhalten 2 3 4 Florin Curta: Introduction. In: Florin Curta (Hg.): Borders, barriers, and ethnogenesis: frontiers in Late Antiquity and the Middle Ages (= Studies in the Early Middle Ages 12). Turnhout 2005, Ohne Seitenangabe. Andres S. Dobat: Danevirke Revisited: An Investigation into Military and Sociopolitical Organisation. In South Scandinavia (c AD 700 to 1100). Medieval Archaeology, 52 (2008), S. 27–67; Andres S. Dobat: Hedeby/Schleswig – a process of urbanisation and its context. Studies into socio-political structures in Early Medieval South Scandinavia (ca. 700–1000). Århus 2008. Thorsten Lemm: Die frühmittelalterlichen Ringwälle im westlichen und mittleren Holstein (=Schriften des Archäologischen Landesmuseums Band 11). Neumünster 2013; Ders: Graf Egbert und Esesfelth. In. Babette Ludowici (Hg.): Individual and Individuality? Stuttgart 2013. 76 MATTHIAS MALUCK umfasst demnach üblicherweise drei Kernmerkmale: das Gebiet selbst, die Kommunikation des Gebietes, oft durch Grenzmarkierungen, und der Versuch Kontrolle über Gebiete auszuüben. Formen der Kontrolle umfassen dabei die Raumorganisation innerhalb der Territorien, die in soziale Strukturen und Handlungsweisen eingebettet ist.5 Grenzen als sozial konstruierte Instrumente zur Gestaltung von territorialem Verhalten finden sich in vielfältiger Form und variieren je nach kulturellem Kontext. In der politischen Geographie gibt es dabei bis heute zwar zahlreiche empirische Beschreibungen aber wenig klaren Definitionen von Grenzen. Im englischsprachigen Raum stehen für den Deutsche Begriff Grenze mehrere Bezeichnungen wie frontier, border und boundary. Aber auch der englische Begriff frontier kann für unterschiedliche Kategorien wie Grenzlinien, Expansionsräume, Kontaktzonen oder Grenzländer stehen.6 Prescott unterscheidet daher zwischen frontiers als Grenzräume, oft am Übergang von besiedeltem und unbesiedeltem Land oder zwischen unterschiedlichen Kulturräumen liegen, borders als die politischen Grenzen zwischen Staaten und boundaries als Grenzlinien.7 Neure Forschungsansätze sehen Grenzen heute eher als interkulturelle Nahtstelle denn als Abgrenzung und betonen den einenden gegenüber dem trennenden Charakter. Selbst als stark trennend angesehene Grenzen wie etwa zwischen dem katholischen und dem muslimischen Spanien der Zeit der Reconquista waren teilweise sehr durchlässig, d.h. weniger Abgrenzung von als Grenze zwischen Kulturen8. Richard White sieht daher in Grenzen eher einen „middle ground“, mit einem vom Kernland verschiedenen Charakter.9 Gemäß diesen Einordnungen kann das Danewerk daher als eine zeitliche und räumliche Abfolge unterschiedlicher Grenzlinien mit noch zu diskutierender Funktion betrachtet werden. Sie sind ähnlich dem römischen Limes eingebunden in einen erweiterten Grenz- und Kontaktraum mit durchaus weiteren Grenzlinien und spezifischen gesellschaftlich-politischen Strukturen und Prozessen, die diese Grenzsituation prägen und die von ihr wiederum beeinflusst werden. Die politischen, kulturellen und geographischen Bedingungen dieses Grenzraumes sollen im Folgenden näher betrachtet werden. 5 6 7 8 9 Robert David Sack: Human Territoriality: Its theory and history. Cambridge u. a. 1986. Nora Berend: Preface. In: David Abulafia and Nora Berend (Hg.): Medieval frontiers: concepts and practices. Colloquium at St. Catherine College Cambridge November 1998. Cambridge 2002. John Robert Victor Prescott: Boundaries and Frontiers. New Jersey 1978. Prescott (wie Anm. 7); David Abulafia: Introduction: Seven types of Ambiguity c. 1100–c. 1500. In: Abulafia, Berend (wie Anm. 6), S. 1-34; Klaus Herbers (Hg.): Grenzräume und Grenzüberschreitungen im Vergleich: der Osten und der Westen des mittelalterlichen Lateineuropa. Kongress: Internationale Tagung „Grenzen und Grenzüberschreitungen an den Peripherien Europas im Mittelalter: West und Ost im Vergleich“ Berlin 2007. Nach Nikolas Jaspert: Grenzen und Grenzräume im Mittelalter, In: Herbers (wie Anm. 8), S. 58. DAS DANEWERK IN SCHLESWIG 77 Das Danewerk und sein Umfeld im Spiegel historischer Quellen Das Danewerk liegt in einer historischen Grenzlage zwischen Dänemark und Deutschland und ist mit der wechselvollen Geschichte beider Länder eng verbunden. Die Entwicklung des Landes südlich des Danewerks bis zum Fluss Eider als Grenzgebiet zwischen Dänemark im Norden und dem karolingischen bzw. deutschem Reich im Süden wurde von Henning Unverhau in seiner Arbeit von 1990 umfangreich historisch untersucht.10 Danach lässt sich eine Sonderstellung dieser Region von den frühesten schriftlichen Quellen bis in das 13.-15. Jahrhundert ablesen. Nach Unverhau ist die möglicherweise älteste Erwähnung der Region das altenglische Widsith-Lied, das vom Kampf des Angelner Königssohns Offa auf einer Eiderinsel gegen zwei suebische Gegner berichtet. Die Wahl des Austragungsortes für einen Zweikampf lässt auf eine Grenzlinie zwischen unterschiedlichen Stämmen an der Eider schließen. Die Sage ist aus zahlreichen jüngeren Quellen, wie etwa von Saxo Grammaticus, bekannt, wir aber in ihren Ursprüngen in das 6. Jahrhundert datiert. Das Danewerk als Bauwerk und Grenzbefestigung wird aber in Schriftquellen des 9. Jahrhunderts erstmals erwähnt, darunter vor allem in den fränkischen Reichsannalen. Darin unterwirft Karl der Große 804 endgültig die Sachsengaue und droht die Elbe zu überschreiten. Der dänische König Göttrik erschien daraufhin zweimal mit einer Flotte bei Haithabu, das hier erstmals erwähnt wird, und verstärkt 808 das ebenfalls an dieser Stelle gelegene Danewerk. Unterhändler beider Herrscher treffen sich zu Verhandlungen bei Beidenfleth an der Elbe11, was die damaligen territorialen Ansprüche beider Seiten reflektiert. Die Fränkischen Annalen erwähnen 808 auch eine Kriegergruppe mit Fußsoldaten unter einem Gluomi, die zur Bewachung des Danewerks eingesetzt wurden. Verhandlungen durch Abgesandte beider Seiten bleiben anfangs ohne Ergebnis und führen schließlich zur Besetzung Nordelbiens durch Karl den Großen und die Errichtung der Burg Esesfelth 810. Erst Göttriks Nachfolger Hemming und Göttriks Söhnen gelingt es 811, 813, 817 und 825 von Karl dem Großen und dann auch von Ludwig dem Frommen die Eider als Grenze (confinium) zwischen dem fränkischen Reich und den Dänen anerkannt zu bekommen. Die Verhandlungen dazu finden schon nicht mehr an der Elbe sondern an der nördlicher gelegenen Eider statt12. Die Bezeichnung confinium wird dabei in anderen zeitgenössischen Quellen eher für ein Grenzgebiet, etwa im Ausdruck „in confinio Germaniae Raetiaeque“, genutzt. Als Mark (marchio, marca) wird das Gebiet in den Annalen bezeichnet als Dänen fränkische Unterhändler südlicher der Eider überfielen. Die 10 11 12 Henning Unverhau: Untersuchungen zur historischen Entwicklung des Landes zwischen Schlei und Eider im Mittelalter. Offa Bd. 69 , Neumünster 1990. Lemm (wie Anm. 4), S. 265. Lemm (wie Anm. 4). 78 MATTHIAS MALUCK Bezeichnung Mark wird nach Unverhau jedoch eher im Sinne eines limes verwendet, statt sich auf den Bereich zwischen Danewerk, Schlei und Eider im Sinne eines fränkischen Grenzlandes zu beziehen. In anderen Grenzzonen des Frankenreichs waren auch dux, praefectus oder marchio als Begriffe noch nicht klar definiert. Nach der Quellenlage wird also als Grenze zwischen Dänen und zuerst Sachen, dann Franken und später Deutschen das Danewerk einerseits als Befestigung, die Eider andererseits als limes genannt. Fränkische Quellen weisen dabei durchaus den Schlei-Eider Grenzraum Göttrik zu und sehen ihn als fränkisch-dänische und nicht sächsisch-dänische Grenze, übertragen dabei aber ihre eigene Begrifflichkeit von Staatswesen auf die Situation am neuen Rand des Reiches.13 Nach Unverhau finden sich in diesen Erwähnungen die militärische Grenzlinie mit dem Danewerk einerseits und die politische Grenzlinie mit der Eider andererseits gespiegelt. Dennoch sind diese Linien noch keine dauerhaften und klaren Begrenzungen eines Territoriums. Von beiden Seiten werden sowohl früher als auch später Ansprüche an die Regionen südlich und nördlich der Eider gestellt. 825 etwa bemühen sich Göttriks Söhne um Ausgleich bei Ludwig dem Frommen, der daraufhin anordnete Frieden zu schließen, der jedoch nur von kurzer Dauer war, da Ludwig damals den dänischen Thronherausforderer Harald Klak unterstützte. So wurden drei Jahre später die Verhandlungen erneut aufgenommen.14 Auch religiös spielt sich im Grenzraum um das Danewerk und Haithabu der zeitgenössische Zusammenstoß zwischen dem christlich-lateinischen Europa und den nicht-christlichen oder heidnischen Religionen an seiner Periperie ab. Diese fundamentalen kulturellen Unterschiede sind wesentliche Voraussetzungen für die Herausbildungen der großen mittelalterlichen Grenzräume im Sinne wandernden Christianisierungsgrenzen in Spanien, im Nahen Osten und in Nord- und Mitteleuropa.15 Der Grenzraum am Danewerk ist demgegenüber in seiner geographischen Ausdehnung eher klein. Der Mönch und Missionar Ansgar reiste 827 im Gefolge des Thronanwärters Harald Klak und noch einmal 850 nach Haithabu, wo im der König Horich I erlaubte eine Kirche in Haithabu zu errichten, die erste in Dänemark, die bis heute allerdings nicht identifiziert werden konnte.16 Für das 10. Jahrhundert dann werden wiederholt Vorstöße und die Einnahme Haithabus durch deutsche Könige berichtet. So erwähnen die Korveyer Annalen und Wiedukind von Korvey in seiner Sachsengeschichte einen Sieg Heinrich I 934 über die Dänen. Der unterlegene König Gnupa, der auf zwei Runensteinen bei 13 14 15 16 Unverhau (wie Anm. 10). Unverhau (wie Anm. 10). Nikolas Jaspert: Grenzen und Grenzräume im Mittelalter, In: Herbers (wie Anm. 8). Birgit Maixner: Haithabu – Fernhandelszentrum zwischen den Meeren. Begleitband zur Ausstellung im Wikinger Museum Haithabu. Schleswig 2010. DAS DANEWERK IN SCHLESWIG 79 Haithabu erwähnt wird, lässt sich taufen. 948 wurde schließlich in Haithabu, neben Ribe und Aarhus, ein Bistum durch den Erzbischof von HamburgBremen eingerichtet, wovon die Synode in Ingelheim berichtete.17 Erst durch die Übernahme des Christentums durch Haralds Blauzahn von Jelling um 960, die engere Verknüpfung mit der Englischen Kirche durch Knud den Großen (etwa 995 bis 1035) und der Verbindung Svend Estridsen (+ 1074/76) ändert sich die Situation langfristig, nicht jedoch ohne Widerstand, wie der Aufstand von Haralds Sohn Sven Gabelbart deutlich zeigte.18 Adam von Bremen, Thietmar von Merseburg und weitere zeitgenössische Quellen berichten in der Folge des Siegs Heinrich I 934 von einem dänischen Aufstand, worauf der deutsche König, je nach Quelle Otto I oder 974 Otto II, den dänischen König Harald Blauzahn bei Haithabu unter großen Schwierigkeiten besiegt, dort eine Burg errichtet und dann sogar bis zum Limfjord in Nordjütland vorstößt. Die deutsche Burg ist zwar bis heute nicht identifiziert, eventuell hat sich aber die Mark der damaligen sächsischen Herzöge, der Billunger, kurzzeitig nach Norden über die Eider ausgedehnt. Bereits 983 eroberte Haralds Sohn Sven Gabelbart Haithabu und das Danewerk wieder zurück. 1025 oder spätestens 1035 mit der Verlobung Heinrichs III mit der Tochter des dänischen Königs Knud des Großen verzichtete der deutsche König dann formal auf das Gebiet zwischen Eider und Schlei. Damit ist das Ringen um die Länder von der Schlei bis zur Elbe aber keinesfalls beendet. Die Sonderstellung des Gebietes südlich des Danewerks im dänischen Königreich wird durch die Einrichtung des Schleswiger Grenzjarltums noch einmal hervorgehoben. Snorri berichtet ihn seiner Heimskringla, dass zum Schutz gegen die zahlreichen Slawenüberfällen der damals über Dänemark herrschende norwegischer König Magnus der Gute (regierte von 1042–47) erstmals Sven Estridsen zum Jarl über Dänemark machte, der als sein Stellvertreter die Überfälle abwehren sollte. Snorri berichtet auch von der Zerstörung Haithabus durch Schweden 1050. Nach der erneuten Zerstörung durch Slawen 1066 nach Adam von Bremen wird Haithabu nicht mehr erwähnt und Schleswig nimmt den Platz in den historischen Quellen ein. Das früheste Stadtrecht ist aus dem 13. Jahrhundert überliefert, reicht aber in einigen Passagen bis ins 12. Jahrhundert zurück.19 Unter den nachfolgenden dänischen Königen reduzierte sich das Aufgabengebiet der Jarle dann auf Schleswig und die Umgebung. In dieser Zeit wurden neben Schleswig besonders in einem anderen Grenzgebieten des Dänischen Reiches Jarle eingesetzt: auf Halland, das Grenzgebiet zu Dänemark 17 18 19 Maixner (wie Anm. 16). Kurt Villads Jensen: Danmark some en korsfarerstat. In: N. Koefoed (Red), Krig, korstog og kolonisiering, Den Jyske Historiker, 89 (2000), S. 48–67. Unverhau (wie Anm. 10). 80 MATTHIAS MALUCK und Schweden war20. Nach Saxo wird die Reihe der Schleswiger Jarle durch Olaf, Bruder von Knud dem Heiligen (1080–86) und zuerst Eilif und schließlich Knud Lavard (1119 bis 1130) unter Niels (1104–1134) fortgesetzt. Knud ließ entlang der Schlei Burgen bauen, um den Grenzraum gegen die Slawen besser sichern zu können. Er besaß demnach offenbar das Befestigungs- und Zollregal. Er verfügte zudem über das Danewerk und hatte das Nutzungsrecht (dominium utile) über die zahlreichen Königsgüter zwischen Schlei und Eider. Das Erdbuch des Königs Waldmar II. von 1231 weist auf eine hohe Dichte an Gütern des Königs hin, die sich sonst in dieser Konzentration nirgendwo im dänischen Reich finden und seiner Meinung nach die Sondersituation als dünn besiedelter Grenzraum unterstreicht. Es bleibt aber unklar, wie weit sich die Jarlsherrschaft nach Norden erstreckte, sicher umfasst sie aber Schleswig und das südliche Grenzgebiet. Dieses wird dann als Land zwischen Eider und Schlei erstmals in der Slawenchronik Helmold von Bosaus in den 1170ern erwähnt.21 Unter Knud Lavards Sohn Waldemar I und dessen Sohn Waldemar II. (Sejr – der Sieger) geht dann das Grenzjarltum im Herzogtum Schleswig auf, das anfangs bevorzugt dem zweitgeborenen Sohn des Königs übertragen wird. Waldemar I befestigt noch einmal das Danewerk mit einer Mauerfront aus Ziegelsteinen neu und errichtet zudem auf den dänischen Inseln zahlreiche Burgen. Die politische Lage in diesem Gebiet hatte sich damit seit der Wikingerzeit grundlegend verändert. Waldemars Handlungen geschahen vor dem Hintergrund seiner Einigung des dänischen Reiches nach langen Bürgerkriegsjahren 1157, den folgenden Kriegs- und Kreuzzügen gegen die slawischen Abodriten, dem innerdänischen Widerstand der ersten Regierungsjahre aber auch der Unterwerfung Waldemars unter die Lehnsherrschaft Heinrichs des Löwen 1162 und noch einmal 1181 unter die Herrschaft Kaiser Friedrichs I., sowie den mehrfachen Kriegszügen deutscher Herrscher im Laufe des 12. Jahrhunderts (1131 Lothar III., Adolf II. 1147, Heinrich der Löwe 1156, Adolf III. 1193)22. Waldemar gestaltete in dieser Zeit zusammen mit seinem treu verbundenen Bischof Absolon und der Siegerpartei des Bürgerkriegs, dem Hvidischen Adelsgeschlecht, sein Reich nach westeuropäischen Vorbildern bezüglich Hofhaltung und Verwaltung um (Kirchenbau, Burgenbau, Neuordnung des Ledings- und Steuerwesens etc.). Waldemars Nachfolger Knud weigerte sich dann den Lehnseid dem Kaiser gegenüber zu erneuern. In der Fortsetzung seines Vaters betrieb Waldemar II eine Expansionspolitik nach 20 21 22 Kurt Villards Jensen: The Blue Baltic Border of Denmark in the High Middle Ages: Danes, Wends and Saxo Grammaticus. In: Abulafia, Berend (wie Anm. 6), S. 173–194. Unverhau (wie Anm. 10). Hans Schultz Hansen, Lars N. Henningsen, Carsten Porskrog Rasmussen (Hgg.): Sønderjyllands historie [Bind] 1: Indtil 1815. Aabenrae 2008. DAS DANEWERK IN SCHLESWIG 81 Holstein und in die Slawischen Gebiete entlang der Ostseeküste. Eine goldene Bulle des Kaisers bestätigt 1214 die Eroberungen.23 Der Versuch seinen Herrschaftsbereich auf Holstein auszudehnen scheiterte allerdings mit seiner Niederlage bei Bornhöved 1227. Gleichzeitig wird aber nach dem Sieg Heinrich von Badwides über die Abodriten und Polaben sowie die deutsche Ostkolonisation die Gefahr durch slawische Überfälle an der Grenze deutlich reduziert, was zunehmend die Schutzaufgaben eines Jarls überflüssig machte. Waldemar II. ernannte schließlich 1241 seinen Sohn Abel zum Herzog in Schleswig und verheiratete ihn mit Mechtild, Tochter des Grafen Adolf IV. von Holstein. Mechthild und ihr Sohn übertrugen 1261 und 1288 großenteils das königliche Land zwischen Eider und Schlei an die Schauenburger Grafen, Landesherren in Holstein, für ihre Unterstützung in Streitigkeiten und Kriegen um die dänische Königskrone24, was die Besitzungen holsteinischer Adliger nach Norden über die Eider ausweiteten und in der Folge eine zunehmende deutsche Kolonisation der immer noch spärlich besiedelten Gegend anstieß. Dänemark war in dieser Zeit durch die weitreichenden politischen Reformen der Waldemaren auch kulturell immer mehr zu einem Teil des christlichen mittelalterlichen Europas geworden, wodurch der Grenzraum um das Danewerk schließlich seine Puffer- und Sonderfunktion verlor. Die Kämpfe und Kriegszüge im Gebiet um das Danewerk hörten deshalb nicht unbedingt auf, 1261 kam es etwa zu einer Schlacht südlich des Danewerks um die Dänische Krone, nunmehr allerdings zwischen einem südjütischen und holsteinischem Heer auf der einen Seite und einem königlich-dänischen Heer auf der anderen. Diese Streitigkeiten fanden nun bereits im Rahmen der Machtkämpfe mittelalterlicher Adliger um Einflussbereiche und Lehnsrechte statt und weniger zwischen Vertretern unterschiedlicher Kulturen. Die archäologische Fundsituation Eine dichte Besiedlung in Angeln und Schwansen der jüngeren römischen Eisenzeit ist anhand zahlreicher archäologischer Fundstellen bekannt. Ein Abbruch bzw. eine starke Reduzierung der Besiedlung zeigt sich im Fundmaterial für das späte 4. und 5. Jahrhundert, was mit einem Bericht Bedas aus der angelsächsischen Kirchengeschichte von um 730 über den Ursprung der Angeln verbunden wird. Auch aus den zwei folgenden Jahrhunderten sind aus dem Gebiet zwischen Eider und Flensburger Förde kaum Funde bekannt. Man ging daher lange von einer Siedlungslücke aus. Interessant ist hier der sogenannte Brakteatenhorizont aus der 2. Hälfte, der die Funde 23 24 Hansen, Henningsen, Rasmussen (wie Anm. 22). Hansen, Henningsen, Rasmussen ( wie Anm. 22), S. 120ff. 82 MATTHIAS MALUCK Abb. 2: Archäologische Funde aus der Wikingerzeit im Umfeld des Danwewerks. Aus Maixner 2013, Abb. 29. © Stiftung Archäologische Landesmuseen Schloss Gottorf (WMH Abb 29) DAS DANEWERK IN SCHLESWIG 83 von sieben Goldbrakteaten zwischen Eider und Schlei bezeichnet, sowie Fundplätze in Angeln und Schwansen aus dem späten 7. Jahrhundert und frühen 8. Jahrhundert, die auf eine, wenn auch ausgedünnte Siedlungskontinuität hindeuten.25 Neue Datierungen des Danewerks und aus Haithabu stützen diese Ansicht. Dem dendrochronologisch sicher datierten Ausbau des Danewerk um 737 26waren mehrere Phasen vorausgegangen. Die nachfolgende Phase um 737 umfasste neben dem Ausbau des Hauptwalls, den Bau des Nordwalls und einer vermutlich mehrere hundert Meter langen Holzkastenkonstruktion in der Schlei, die als Sperrwerk interpretiert wird sowie die Anlage des Osterwalls. Dieser liegt am Zugang zur Halbinsel Schwansen südlich der Schlei und konnte bisher nur über die bauliche Ähnlichkeit mit dem Nordwall datiert werden. Bei allen Wällen handelt es sich um Erdwälle mit Soden oder Palisadenfronten und mit z.T. vorgelagertem Graben. Die Anlage einer ca. 3,5 Kilometer langen neuen, Holz verkleidet Wallfront aus Feldsteinen, die mit Lehm vermörtelt waren, wird bald danach angesetzt27. Der 808 erwähnte Wall des Göttrik konnte bislang allerdings nicht damit in Verbindung gebracht werden. Ein jüngst lokalisierter Durchgang war scheinbar über 500 Jahre bis zum Bau der Waldemarsmauer gegen Ende des 12. Jahrhunderts in Nutzung und stellte den vermutlich einzigen Durchgang nach Norden in dieser Zeit dar.28 Neben den Datierungen vom Danewerk deuten neue Untersuchungen aus Husby bereits auf eine Zeitstellung aus dem 7. Jahrhundert hin29. Davon abgesehen sind erst Siedlungsplätze bekannt, die wieder ab der der Mitte des 8. Jahrhunderts datiert werden. Dazu gehören eine Siedlung direkt südlich des späteren Halbkreiswalls von Haithabu und Siedlungsfunde 25 26 27 28 29 Karl-Heinz Willroth: Untersuchungen zur Besiedlungsgeschichte der Landschaften Angeln und Schwansen von der älteren Bronzezeit bis zum frühen Mittelalter. Eine Studie zur Chronologie, Chorologie und Siedlungskunde. Offa 72, Neumünster 1992; Andres S. Dobat: „angulus non desertus!“ – Kontinuität und Zentralität in der jüngeren Eisenzeit Südschleswigs. In: Silke Eisenschmidt, Lilian Matthes, Mette Nissen, Archäologie in Schleswig, 10, Symposium Jarplund 21.-22.3.2003 (2007), S. 113–139; Andres S. Dobat: angulus non desertus! II. Erste Ergebnisse der Suche nach Siedlungen des 6. Bis 7. Jahrhunderts in Südschleswig. In: Sunhild Kleingärtner, Lilian Matthes, Mette Nissen (Hgg.): Archäologie in Schleswig, 11, Symposium Jarplund 21.-22.4.2006 (Haderslev 2008) S. 87–94. Andersen (wie Anm. 1). Andersen (wie Anm. 1) Astrid Tummuscheit: Das neu entdeckte Tor im Danewerk – Einer der geschichtsträchtigsten Orte Schleswig-Holsteins. Archäologische Nachrichten aus SchleswigHolstein 18, (2011) S. 84–87. Thorsten Lemm: ‘Husby in Angeln – Ein königlicher Hof der späten Wikingerzeit?’, Praehistorische Zeitschrift, 88,(2014/2, im Druck). 84 MATTHIAS MALUCK Abb. 3: Ausbausituation des Danewerks im 8. Jahrhundert (Phase_2_kl). © Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein von Selk und Füsing30. Zahlreiche Grabfunde, die ab dem 8. Jh. datieren, stammen zudem von beiden Seiten der Schlei31. Das Gebiet südlich des Danewerks dürfte also nicht menschenleer gewesen sein. Diese Angaben relativieren Aussagen Adams von Bremen, wonach bei Haithabu das dänische Siedlungsgebiet aufhörte, während das sächsische erst südlich der Eider begann. Ab dem frühen 9. Jahrhundert entsteht am Ufer Haithabus die neue Siedlung, welche im 9. und 10. Jahrhundert stark ausgebaut wird. Die Uferzone wird von anfänglichen einfachen Schiffsländen zu Stegen und schließlich großen Plattformen ausgebaut, auf denen auch intensive Marktaktivitäten nachgewiesen sind. In Haithabu, aber auch in neuen Umlandsiedlungen wie Kosel-West, deuten zahlreiche Funde von Werkzeug, Rohmaterialien sowie Halb- und Fertigfabrikaten auf eine intensive handwerkliche Produktion sowie weitreichenden Fernhandel hin. Die Handelsgüter zeugen dabei von Kontakten nach England, dem Frankenreich, Russland und Byzanz bis in weit entfernten Regionen wie dem Kalifat und belegen die herausragende Rolle Haithabus als Handelszentrum32. 30 31 32 Andres S. Dobat: „angulus non desertus!“, 2007, und Andres S. Dobat „angulus non desertus!“ II, 2008, wie Anm. 25 Silke Eisenschmidt: Grabfunde des 8. bis 11. Jahrhunderts zwischen Kongeå und Eider, zur Bestattungssitte der Wikingerzeit im südlichen Altdänemark: Neumünster 2004 Maixner (wie Anm. 16); Claus von Carnap-Bornheim und Volker Hilberg: Recent archaeological research in Haithabu. In: Wolfram Brandes, Alexander Demandt, DAS DANEWERK IN SCHLESWIG 85 Ein Höhepunkt der Siedlungsverdichtung um die Schlei ist das 10. Jahrhundert mit zahlreichen reich ausgestatteten Grabfunden. Reiter und Waffengräber wie Thumby-Bienebek und reich ausgestattete Siedlungsplätze wie bei Füsing werden dabei als Anzeiger für Eliten bzw. Gefolgsleute von Königen gedeutet.33 Mit Schuby und Kosel-West entstanden neue Siedlungen in der Nähe von Haithabu, die weniger auf landwirtschaftliche Produktion als auf saisonale handwerkliche Produktion mit vielen Grubenhäusern ausgerichtet waren.34 Einfachere ländliche Siedlungen, wie etwa Grubenhäuser bei Brekendorf 35und Langhäuser des 11. und 12. Jahrhunderts bei Tüdal an der mittleren Treene sind dagegen wenig bekannt.36 In Hollingstedt ist erst für das 12. Jahrhundert eine Handelsstation an der Treene fassbar. Haithabu wuchs in dieser Zeit weiter an und wurde schließlich Anfang des 10. Jahrhunderts mit einem Erde-Sodenwall zur Landseite umgeben und um 968 durch einen weiteren Erdwall mit dem westlichen Danewerk verbunden. Kurz darauf wurde um 980 die Danewerklinie mit dem Bau des Kograbens weiter nach Süden verschoben.37 Diese Entwicklung deutet nach Dobat auf eine veränderte Bedeutung Haithabus von einem Handelsplatz zu dem wichtigsten dänischen Handelszentrum hin. Die einphasige Wall-Palisadenkonstruktion des Kograbens mit vorgelagertem Spitzgraben ist konstruktiv und zeitlich eng mit den dänischen Ringburgen des Trelleborgtyps verbunden und wird im Zusammenhang mit der Expansion der Jelling-Dynastie und dem Versuch der der Etablierung eines institutionalisierten Königtums gesehen.38 Nach zweimaliger Zerstörung wird Haithabu gegen Ende 11. Jahrhundert verlassen, was sich vor allem an Streufunden ablesen lässt, da archäologische Horizonte der jüngsten Zeitstufe durch landwirtschaftliche Nachnutzungen weitgehend gestört wurden. Zeitgleich entstand mit Schleswig auf dem nördlichen Ufer der Schlei ein neuer Handelsplatz der die Funktion Haithabus übernimmt. Auch hier datieren die frühesten bekannten Funde in das ausgehende 11. Jahrhundert. 33 34 35 36 37 38 Helmut Krasser, Hartmut Leppin, Peter von Möllendorf. Post-Roman Towns, Trade and Settlement in Europe and Byzantium. Volume 1. The Heirs of the Roman West. Millenium-Studien zur Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr. Band 5/1 (Berlin, New York 2007), 199-219 Ute Arents, Silke Eisenschmidt: Die Gräber von Haithabu. Neumünster 2010; Dobat (wie Anm. 25), S. 113–139 Maixner (wie Anm. 17). Lemm (wie Anm. 4), S. 360. Astrid Tummuscheit: Eine Siedlung mit Langhäuser des 11./12. Jahrhunderts n. Chr. an der Treene bei Tüdal. Archäologische Nachrichten aus Schleswig-Holstein 18 (2012) S. 72-75 Andersen (wie Anm. 1). Andres S. Dobat: Danevirke Revisited: An Investigation into Military and Sociopolitical Organisation in South Sacandinavia (c AD 700 to 1100). Medieval Archaeology, 52, (2008). S. 27–67. 86 MATTHIAS MALUCK 4a 4b Abb. 4a/b: Ausbausituation des Danewerks in der Mitte des 10. (Mitte10.Jh_kl) und am Ende des 10. Jahrhunderts (mm_phase3_neu). © Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein DAS DANEWERK IN SCHLESWIG 87 Das Danewerk und Nordelbien Die fränkische Expansion Richtung Elbe beginnt bereits im frühen 8. Jahrhundert als Karl Martell und Pippin der Jüngere zeitgleich mit der Unterwerfung der Friesen zwischen 718 und 738 ihre Macht in die sächsischen Gebiete auszudehnen beginnen. Ab dem späten 7. Jahrhundert kolonisieren slawische Stämme Ostholstein und errichten Burgen in Oldenburg-Starigard und später Alt-Lübeck (819) als befestigte Residenzen einer Elite. Beide Entwicklungen deutet A. Dobat als Ursache für den Danewerkausbau um 737.39 798 siegt ein fränkisch–slawisches Heer bei Bornhöved gegen nordelbischsächsische Truppen. Nach der endgültigen Unterwerfung durch Karl den Großen 804 wurde ganz Nordelbien zuerst den slawischen Verbündeten überlassen, dann aber, als die Abodriten vom dänischen König Göttrik besiegt wurden, 810 von fränkischer Seite übernommen.40 Der fränkische Übertritt der Elbe zeigt den beginnenden territorialen Machtkonflikt mit den dänischen Königen, der sich in den Berichten der Fränkischen Annalen widerspiegelt. Im Rahmen seiner Expansionspolitik lässt Karl der Große Burgen westlich und östlich entlang der Elbe errichten. Diese Burgen wurden wohl nur wenige Jahrzehnte während seiner Herrschaft und der seines Nachfolgers Ludwig dem Frommen genutzt.41 In Nordelbien bauen die Franken dabei 810 an der Stör die Burg Esesfeldt als civitas unter Graf Egbert und 822 nördlich der Elbe das bis heute nicht lokalisierte Delbende. Besonders Esesfelth war in der Anfangsphase gegen die Dänen gerichtet. Göttrik überfiel daraufhin wohl als Reaktion auf das Vordringen Karls das fränkische Friesland. 815 wird eine Expedition von den fränkischen Statthaltern Richtung Dänemark durchgeführt, auf die 817 ein dänisch-abodritischer Gegenangriff auf Esesfelth folgt42. Der Angriff erfolgte laut den Fränkischen Reichsannalen durch eine dänische Flotte und durch Truppen Gluomis, der als Befehlshaber des Grenzbezirks am Danewerk erwähnt wird. Mit der Verteidigung Esesfeldts wurde Nordelbien in der Folge fester Teil des fränkischen Reiches und von diesem politisch und militärisch erschlossen. Lemm sieht daher sowohl Delbende und Esesfeldt wie auch die für das 9. Jahrhundert belegte Hammaburg als fränkische Brückenköpfe, die militärische wie administrative Aufgaben hatten und damit der Integration Nordelbiens in das fränkische Reich dienten43. Alle diese Burgen lagen strategisch günstig an 39 40 41 42 43 Dobat (wie Anm. 38), S. 27–67. Lemm (wie Anm. 4). Joachim Henning: Civilisation versus Barbarians? Fortification Techniques and Politics in the Carolingian and Ottonian Borderlands, In: Curta (wie Anm. 2), S. 23–34. Matthias Hardt: The Limes Saxoniae as part of the Eastern Borderlands of the Frankish and Ottonian-Salian Empire, In: Curta (wie Anm. 2), S. 35–49. Lemm (wie Anm. 4). 88 MATTHIAS MALUCK Abb. 5: Historische Orte und Daten wichtiger Ereignisse in der Geschichte Nordelbiens. (Abb.: Thorsten Lemm: Die frühmittelalterlichen Ringwälle im westlichen und mittleren Holstein. Neumünster 2013) DAS DANEWERK IN SCHLESWIG 89 Kreuzungen von Fernwegen und Elbezuflüssen und waren als Verwaltungszentren zur Konsolidierung von Herrschaft gedacht und hatten einen expansiven Charakter. Im Rahmen des dänisch-fränkischen Grenzkonfliktes sieht Lemm daher auch den dänischen Angriff 845 auf die Hammaburg als militärischen Schlag gegen das Zentrum der ostfränkischen Herrschaft in Nordelbien. Mit der Etablierung der fränkischen Burgen folgte die Übernahme des lex saxonum der südelbischen Sachsen und die Christianisierung. Den fränkischen Landesausbau interpretiert Lemm auch als Anlass, die östliche Burgenkette in Holstein anzulegen, die in das 9. Jahrhundert datiert wird. Von den Burgen des 9. und 10. Jahrhunderts liegen nur die Stellerburg und eine vermutete Burg in Rendsburg an oder in der Nähe der Eider. Die Stellerburg sperrte einen von der Eider nach Süden führenden Weg. Auch andere holsteinische Burgen wurden an Verkehrswegen positioniert (Kaaksburg, Willenscharen) beziehungsweise sind in Zusammenhang mit der neuen Grenzlage der Holsteiner Sachsen zu Dänen und Abodriten zu interpretieren.44 Im 9. und 10. Jahrhundert erfolgte der fränkische und später deutsche Landesausbau über wenige adlige Zentralburgen, die in Zusammenhang mit der Stabilisierung des deutschen Reiches unter den Ottonen vielfach wieder verlassen wurden.45 Durch neue Konflikte mit den Abodriten entstanden im 11. Jahrhundert vermutlich durch die Billunger Herzöge erneut Burgen in Itzehoe und in Hamburg, die damit ihrem Machtanspruch im Norden wieder stärker Ausdruck geben wollten. Spätestens ab dem 11. Jahrhundert sind dabei schon sächsische Adelsgeschlechter als Herrschaftsträger mit ihren Gütern nördlich der Elbe fassbar. In der Folgezeit ab dem 12. und 13 Jahrhundert ist der weitere Landesausbau mit dem Bau von Turmhügelburgen in Verbindung zu bringen.46 Die Grenzlage Nordelbiens wird nicht nur durch den Konflikt zwischen Dänen und Franken beziehungsweise Deutschen sondern auch mit Blick auf die in Ostholstein ansässigen Slawen deutlich. Die frühesten Hinweise eines „limes saxonicus“ wurden bislang oft auf Adam von Bremen aus dem 11. Jahrhundert zurück geführt, der eine genaue Beschreibung des Grenzverlaufs zwischen Sachsen und Slawen in Holstein gibt. Hardt führt diese Beschreibung dabei aber auf den Rückgriff auf eine ältere Charta Karls des Großen zurück. 1062 wurde der „limes saxoniae“ dann in einer Urkunde des sächsi44 45 46 Thorsten Lemm, Frank Wilschewski: Die Ringwälle im westlichen Holstein. In: Martin Segschneider (Hg), Ringwälle und verwandte Strukturen des ersten Jahrtausends n. Chr. an Nord- und Ostsee. Internationales Symposium, Utersum auf Föhr, 29.9.– 1.10.2005. (= Schriften des archäologischen Landesmuseums Ergänzungsreihe. Bd. 5). Neumünster 2009, S. 159–184. Lemm (wie Anm. 4), S. 370-380 Lemm (wie Anm. 4) 90 MATTHIAS MALUCK schen Herzogs Otto zusammen mit der Errichtung der Burg Ratzeburg erwähnt. Daraus wird deutlicher, dass er weniger als Grenzlinie denn als Grenzregion aufzufassen ist. Dennoch bleibt unklar wie sich die Herrschaft im Grenzbezirk gestaltete. Als slawisch gedeutete Siedlungen wurden zumindest für eine frühere Zeit westlich des Limes nachgewiesen.47 Das Danewerk als Teil des Grenzraumes: Funktion und Kontext Das Danewerk als über Jahrhunderte aus- und umgebautes fortifikatorisches System zeigt sich im Spiegel der historischen und archäologischen Quellenlage als eine Grenzlinie und damit als ein Element eines komplexen und weitreichenden Grenzraumes zwischen Dänen, Friesen und Skandinaviern im Norden und Sachsen, Franken und Slawen im Süden dieses Gebietes. Dieser Raum reflektiert zugleich in der weiteren geografischen und historischen Perspektive die Grenzentwicklung zwischen dem fränkisch-christlichen Europa und den anfangs noch heidnischen Gesellschaften in Skandinavien und nord-östlich der Elbe. Die Siedlungsentwicklung in der Schleiregion spiegelt die Grenzlage und ihre Veränderung im Kontext der historischen Entwicklung deutlich wieder. Als die frühen Wallphasen des Danewerks im 5.-8. Jahrhundert aufgeschüttet beziehungsweise errichtet wurden, war das weitere Umfeld der Schlei bis weit nach Jütland und Holstein insgesamt sehr siedlungsarm.48 Siedlungen etwa in Form von Husby, der Südsiedlung von Haithabu und von Füsing sind dann zwar schon für das 7. und 8. Jahrhundert nachweisbar. Die Landschaft wird aber erst in der Wikingerzeit intensiver erschlossen, besonders durch die gezielte Förderung von Haithabu als Handelszentrum sowie möglicherweise durch die Ansiedlung von Gefolgsleuten der dänischen Könige entlang der Schlei im 10. Jahrhundert. Diese Eliten profitierten dadurch einerseits vom Handelsverkehr und konnten andererseits den wichtigen Verkehrsweg vor Überfällen schützen. Als die Region im 12. Jahrhundert historisch greifbarer wird, baut Waldemar I. das Danewerk zum letzten Mal aus, bevor es danach über Jahrhunderte nicht mehr genutzt wird. Für diese Zeit sind die vielen Krongüter und die fehlende Einteilung in sogenannte Harden, dänische Verwaltungsregionen, noch einen deutlicher Hinweis auf eine ältere Sonderstellung. Das im 11. Jahrhundert erstmals eingerichtete Grenzjarltum für Haithabus Nachfolgesiedlung Schleswig und das Grenzland südlich des Danewerks wird durch Waldemar I und seinen Sohn schließlich in das neue Herzogtum Schleswig eingeschlossen und 47 48 Matthias Hardt: The Limes Saxoniae as part of the Eastern Borderlands of the Frankish and Ottonian-Salian Empire, In: Curta (wie Anm. 2), S. 35–49. Willroth (wie Anm. 25). DAS DANEWERK IN SCHLESWIG 91 erst seit dem 13. Jahrhundert, vor allem nach der Übernahme großer Ländereien durch holsteinische Adlige, stärker kolonisiert. In der neusten Forschung wird zunehmend die Kommunikationsfunktion von Grenzen betont49. Gerade die Danewerksregion bietet dafür ein hervorragendes Beispiel. Die militärstrategische Lage des Danewerks an der schmalsten Übergangsstelle nach Norden steht in engster Verbindung mit der Entwicklung Haithabus als Handelszentrum, das diese geografische Lage nutzt, um als Kontenpunkt für den Handel durch die jütische Halbinsel und den OstWest-Handel zu dienen. Die Schlei war von der Ostsee bis Haithabu befahrbar. Im nur ca. 15 Kilometer entfernten Hollingstedt konnte man bereits über die Treene die Nordsee erreichen. Seit der Wikingerzeit und besonders für das 12. und 13. Jahrhundert und damit für die Schleswiger Zeit ist hier eine Hafennutzung belegt.50 Der immer wieder aufflammende Kampf um die Herrschaft über Haithabu zwischen dänischen und ostfränkischen Königen, die herausragende Position der Siedlung als Handelsplatz und Produktionszentrum im Spiegel archäologischer Funde, die Einrichtung des Jarlsitzes und schließlich des Herzogtums Schleswig bezeugen die wichtige Funktion dieses Ortes für den Handel und die Kommunikation für die ganze jütische Halbinsel und Südskandinavien bis weit darüber hinaus. Die Schleiregion verliert ihren Sondercharakter als Übergangs- und Kontaktzone daher auch zu einer Zeit, als Lübeck im 13. Jahrhundert Schleswig in der Rolle des Handelszentrums zwischen Ost und Westeuropa ablöst. Langläufig wurde die militärische Funktion des Danewerks als Verteidigungswälle gegen Angreifer von Süden nie bezweifelt. Zuletzt hat A. Dobat den Ausbau mit der Furcht vor Bedrohungen durch Franken, Slawen und Sachsen im Rahmen einer sich verändernden Herrschaftsstruktur in Dänemark interpretiert. Demnach wurden die frühen Wälle als einmalige Maßnahme charismatischer Führer erbaut, die nur im Krieg die für diesen Zweck die nötigen Ressourcen an Arbeitskräften mobilisieren konnten, während die jüngeren Bauphasen mit Halbkreiswall, Verbindungswall und Waldemarsmauer auf eine regelmäßige Reparatur und damit auf eine institutionalisierte Macht des Königs schließen lassen51. T. Lemm hat die Ringwallburgen in Schleswig-Holstein 2013 u. A. anhand der militärtheoretischen Arbeiten von 49 50 51 Nikolas Jaspert: Grenzen und Grenzräume im Mittelalter. In: Herbers (wie Anm. 8). Klaus Brandt: Archäologische Untersuchungen in Hollingstedt (Kr. Schleswig-Flensburg), dem „Nordseehafen“ von Haithabu und Schleswig. In: Klaus Brandt (Hg.), Hollingstedt an der Treene. Ein Flusshafen der Wikingerzeit und des Mittelalters für den Transitverkehr zwischen Nord- und Ostsee. Neumünster 2012, S. 11–114. Andres S. Dobat: Danevirke Revisited: An Investigation into Military and Sociopolitical Organisation in South Sacandinavia (c AD 700 to 1100). Medieval Archaeology, 52, (2008). S. 27–67 92 MATTHIAS MALUCK Abb. 6: Die Ruine der Waldemarsmauer in der Gemeinde Dannewerk. Sie ist die späteste mittelalterliche Ausbauphase des Danewerks im späten 12. Jahrhundert. (Abb. Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein) Clausewitz hinsichtlich ihrer Funktion analysiert.52 Die Wirkfähigkeit der Anlagen des Danewerks kann zudem über einen Vergleich mit ähnlichen militärischen Anlagen und ihrer bekannten Verwendung bzw. wissenschaftlichen Interpretation betrachtet werden. So findet die Symbolwirkung von Militärbauten, bei der sogar effektive Funktion hinter zur Schau gestellten formalen, aber wirkungslosen Funktionsmerkmalen zurücktreten lässt, einen zeitnahen Vergleich im Burgenbau des europäischen Mittelalters. Hier zeigt sich, dass viele Burgen ihre offenbare militärische Funktion für den Betrachter weiterhin mit wichtigen Merkmalen wie Mauer, Graben, Wehrgang etc. signalisieren, sie diese Funktion praktisch aber kaum erfüllen können. Umberto Eco unterscheidet hier in seiner Semiotik der Architektur zwischen der ersten, der denotierten offenbaren Funktion und der zweiten, der konnotierten, aus den sozialen Verabredungen abgeleitete Funktion, die wichtiger für die Bedeutung einer Architektur werden kann als die erste.53 Bei einem Großteil der mittelalterlichen Burgen tritt etwa die primär signalisierte Funktion der Kontrolle und Verteidigung hinter anderen Funktionen zurück, die sich vor allem als Zuschaustellung von Macht und Herrschaftsanspruch zusammenfassen lassen. Die mangelhafte militärische Effektivität zeigt sich oft durch ihre strategische Lage, die keine sinnvolle Kontrolle eines Gebietes oder eines Weges zulässt und die Burg und ihre Insassen oft sogar gefährlich benachteiligt. Sie wird auch bei den architektonischen Zeichen deutlich, die stellvertretend die Burg als ganze symbolisierten aber häufig so ausgeführt waren, dass sie ihre Funktion nur eingeschränkt oder gar nicht mehr wahrnehmen konnten, wie besonders falsche Schießscharten oder Zinnen am eindrucksvollsten zeigten. 52 53 Lemm (wie Anm. 4). Umberto Eco: Einführung in die Semiotik. Deutsch 1972. München 1994. DAS DANEWERK IN SCHLESWIG 93 Schließlich war die Mehrzahl der Burgen personell nur gering besetzt, was sie selbst bei guter Lage und ausreichender Schutzfunktion der Architektur in ihrer militärischen Bedeutung entscheidend schwächte.54 Eine ähnliche Situation lässt sich einige Jahrhunderte vorher auch am germanischen Limes oder am britannischen Hadrianswall beobachten. Diese konnten eine Defensivfunktion nur deshalb erfüllen weil im Hinterland in regelmäßigen Abständen Wachtürme, Kastelle und Legionslager mit erheblichen Mengen an Legionären und Hilfstruppen standen, die für eine effektive militärische Verteidigung sorgten.55 Dieser Vergleich zeigt das militärische Problem aller Anlagen am Danewerk. Sie bedurften nicht nur der stetigen Instandhaltung sondern auch einer großen Anzahl von Kämpfern, um eine echte Defensivfunktion gegen eine größere Anzahl von Angreifern erfüllen zu können. Die noch auf charismatischer Herrschaft und Tradition statt auf institutionalisierte Macht basierenden dänischen Kleinkönige und Stammesoberhäupter in der frühen Wikingerzeit waren aber wahrscheinlich nur zeitweise in der Lage größere Mengen an Arbeitern, Material und Kämpfern zu mobilisieren, wie etwa zum Bau der Anlagen. Es bleibt unklar, wenn auch unwahrscheinlich, ob diese ausgereicht hätten, die gut zugänglichen über fünf Kilometer des Hauptwalles auf ihrer ganzen Länge gegen einen Angriff zu verteidigen. Diese Feststellung gilt damit auch für alle späteren Phasen bis hin zu Waldemarsmauer. Auch für sie wäre zur effektiven Verteidigung ein großes Heer nötig gewesen, das aufzustellen auch für Waldemar I. schwierig gewesen wäre. Diese Untersuchung plädiert daher anhand der Quellenlage dafür, die militärische Funktion der Danewerkanlagen nicht zu hoch zu bewerten und ergänzend weitere Funktionen als möglicherweise gleichwertig, wenn nicht wichtiger zu betrachten. Welche Funktionen könnten dies sein? Es wurde zuvor bereits darauf hingewiesen, dass auch eine symbolische militärische Funktion durchaus beabsichtigt sein kann. Im Falle des Danewerks wird die symbolische Rolle insbesondere in der Waldemarsmauer greifbar. Auf einer Inschrift am Grab Waldemars I. von 1202 wird die Verwendung von Ziegeln als neuartigem Material hervorgehoben und der Bau mit dem „Schutz des ganzen Reiches erklärt“. Die Aussage unterstützt die Interpretation der Mauer als Zeichen für Waldemars Anspruch auf Herrschaft und Autorität über Dänemark. Die Mauer wäre demnach auch ein Signal nach Innen, den Schutz der Dänen gewährleisten zu können. Vor dem Hintergrund der offensiven Politik der Waldemaren bietet sich zudem die Interpretation an, die Waldemarsmauer wurde zusammen mit den zahlreichen neuen Burgen 54 55 Joachim Zeune: Burgen Symbole der Macht Ein neues Bild der mittelalterlichen Burg. Regensburg 1996. Wolfgang Moschek. Der Limes: Grenze des Imperium Romanum. Darmstadt 2010. 94 MATTHIAS MALUCK auf den dänischen Inseln eher zur Vorbereitung offensiver Operationen genutzt.56 Die dazu widersprüchlichen Beteuerungen zeitgenössischer Quellen, die Mauer diene der Abwehr und dem Schutz, offenbaren sich dann als Rechtfertigung der Angriffskriege mit der notwendige Verteidigung Dänemarks. Mit der Nutzung des neuen, teuren und aufwendigen Baumaterials stellten sich der Erbauer, der sich zuletzt noch Kaiser Friedrich I. unterwerfen musste, und sein Nachfolger auf Augenhöhe mit den mächtigen Herrschern Westeuropas. Die absichtlich monumental wirkende Ausführung unterstreicht einmal mehr die abschreckende Wirkung vor der tatsächlichen militärischen.57 Diese Interpretationen können aufgrund der fehlenden schriftlichen Quellen nicht ohne weiteres für die früheren Bauphasen übernommen werden. Dobat schlägt 2009 dafür eine Rolle als religiöse und ökonomische Demarkationslinie vor.58 Die Bedeutung von Grenzlinien im menschlichen Territiorialverhalten im Allgemeinen wurde eingangs bereits skizziert. Im mittelalterlichen Europa waren solche Markierungen als Signal für die Gültigkeit territorialer Autoritäten und für die Reichweite sozialer Gruppen und ihrer Regeln üblich, wie sich etwa in der Beschreibung des Limes Saxoniae von Adam von Bremen zeigt. Diese Grenzlinien mussten bewusst überschritten werden und dienten so der Kommunikation von Ansprüchen und Erwartungen der Territorialherren. Gegenüber dem südlich gelegenen Fluss Eider, der ebenfalls als Grenzlinie in Verträgen mit fränkischen und deutschen Herrschern mehrfach bestätigt wurde, haben die Danewerkswälle den Vorteil der unbedingten Wahrnehmbarkeit, der hohen Signalwirkung sowie des Belegs großer kollektiver Leistungsfähigkeit. Ein Vergleich mit ausgreifenden Wall- und Grabenanlagen des Frühmittelalters im heutigen Rumänien und Bulgarien zeigt eine weitere Interpretation auf. Paolo Squatriti begründet ihren Bau, der aus seiner Sicht militärische oder territoriale Funktionen nahezu ausschließt, mit der Notwendigkeit von Vorhaben, die es bulgarischen Khanen ermöglichten, ihre nur in besonderen Situationen gültige Autorität auszuüben und ausreichend Ressourcen mobilisieren zu können.59 Danach dienten sie als Symbol für diese Autorität und den Anspruch auf Herrschaft. Diese Situation ist durchaus vergleichbar mit der gesellschaftlichen Situation, wie sie für die frühe Wikingerzeit in Dänemark angenommen wird. Auch hier kann also der Bau 56 57 58 59 Kurt Villards Jensen: The Blue Baltic Border of Denmark in the High Middle Ages: Danes, Wends and Saxo Grammaticus. In: Abulafia, Berend (wie Anm. 6), S. 173-–94. Matthias Maluck: Danewerk und Haithabu: Bauwerke und Denkmale als Instrumente gesellschaftlicher Legitimation. Erscheinungsort 2014, (in Vorbereitung). Dobat (wie Anm. 39), S. 27–67. Paolo Squatriti: Moving Earth and Making Difference: Dikes and Frontiers in Early Medieval Bulgaria. In: Curta (wie Anm. 2), S. 59–90. DAS DANEWERK IN SCHLESWIG 95 einzelner Abschnitte in erster Linie dazu gedient haben, die Ausübung von Macht über Menschen und Material zu begründen. Das Danewerk kann also eine chronologische Abfolge von vor allem durch militärische Symbolik und Funktion determinierter Grenzlinien definiert werden. Ihm gegenüber stand die Eider als eine politisch ausgehandelte Grenzlinie. In dem Raum zwischen diesen Linien erstreckte sich ein siedlungsarmer Landstrich als Übergangsbereich zwischen sächsischer, slawischer und dänischer Besiedlung und als kulturelle Kontakt- und Handelszone. Politisch, militärisch und nicht zuletzt kulturell erstreckte sich der tatsächliche Grenzraum aber viel weiter nach Süden und Norden. Charakterisiert man einen Grenzraum als den Bereich am Rande eines Territoriums oder eines Kulturraums, der sich vom Zentrum durch eigene soziale Strukturen unterscheidet, so können wir ihn zeitweise auf ganz Holstein und Altdänemark ausdehnen. So zeugt der dänische Angriff auf Esesfelth 817 deutlich vom dänischen Anspruch auf das Gebiet bis an die Elbe, der auch durch zahlreich spätere Vorstöße erst im 13. Jahrhundert zum Erliegen kam. Gleiches gilt für die häufigen fränkischen, ostfränkischen und slawischen Vorstöße über die Danewerklinie hinaus. Auch der Burgenbau in Nordelbien, im slawischen Ostholstein und auf den heutigen Inseln Föhr, Amrum und Sylt sind deutlicher Beleg für die Ausdehnung des Grenzraums (frontier) des fränkischen und ostfränkischen Reiches und damit der Grenzen des lateinisch-christlichen Europas nach Norden und Osten. Ab dem 11. Jahrhundert sieht Jensen60 dann ganz Dänemark als Grenzgebiet (frontier zone) des lateinisch-christlichen Europas ohne feste Demarkationen. Aufgrund der für Skandinavien und Mittel-Osteuropa relativ frühen Christianisierung entwickelte sich Dänemark im hohen Mittelalter zu einer Frontier Society gegenüber den slawischen Gebieten. Programmatisch wurde dafür von Saxo Grammaticus argumentiert, der die Ostsee zu einer neuen Grenzlinie definierte. In dieser Zeit stritten dann die Dänischen Königen schon mit deutschen Königen, Herzögen und Grafen gleichermaßen um die Oberherrschaft im slawischen Gebiet. 60 Kurt Villards Jensen: The Blue Baltic Border of Denmark in the High Middle Ages: Danes, Wends and Saxo Grammaticus. In: Abulafia, Berend (wie Anm. 6), S. 173– 194.