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FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR — HEFT 52 // DEZEMBER 2011 — STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N). TEXTILE KUNSTMATERIALIEN IM TRANSKULTURELLEN VERGLEICH — HERAUSGEBERINNEN Birgit Haehnel (Gastherausgeberin) Marianne Koos — REDAKTION Sigrid Adorf Kerstin Brandes Silke Büttner Maike Christadler Hildegard Frübis Edith Futscher Kathrin Heinz Jennifer John Marianne Koos Anja Zimmermann — Gefördert durch das Mariann Steegmann Institut Kunst & Gender FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 1 Impressum Redaktionsanschrift FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur, c/o Kathrin Heinz, Langeooger Str. 31, D–28219 Bremen, www.frauenkunstwissenschaft.de, infoFKW@FrauenKunstWissenschaft.de Abonnement Einzelheft: 13 Euro, Jahresabonnement: 22 Euro (Ausland zzgl. Porto). Hefte 1– 43 erschienen unter dem Titel FrauenKunstWissenschaft. Bestellnummer ISSN 0935–6967 2 Bezugsadresse Jonas Verlag für Kunst und Literatur GmbH, Weidenhäuser Str. 88, D–35037 Marburg, Tel.: +49–(0)6421–25132, Fax: –210572, jonas@jonas-verlag.de, www.jonas-verlag.de Umschlaggestaltung ZwoAcht: Tini Pittasch & Jens Schulz, Bremen Layoutkonzept & Herstellung Simone Tavenrath, Jonas Verlag STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Inhalt Marianne Koos Birgit Haehnel text 6 Editorial 4 Textilien im globalen Kon- Beiträge Elke Gaugele Fashion & Textile Studies, [dt.:] Mode- & textilwissenschaftliche Studien – kulturwissenschaftliche und künstlerische Studien zu Moden und Textilien. Positionen und Perspektiven eines neuen transdisziplinären Fach- und Forschungsprofils 17 Lisbeth Freiß Die Regentschaft nach der Wiener Mode. Herrschaftsansprüche Kaiser Maximilians I. von Mexiko und das Regime der Wiener Mode 24 Ines Doujak Webschiffe, Kriegspfade / Telares, Senda Guerrera / Loom Shuttles, Warpaths 38 Willemijn de Jong Kleidung als Kunst: Porträt einer Ikatdesignerin in Ostindonesien 55 Kerstin Pinther, Kerstin Schankweiler Verwobene Fäden: Textile Referenzen in der zeitgenössischen Kunst Afrikas und der Diaspora 72 Verena Kuni Yo Logo! Zur künstlerischen Auseinandersetzung mit Markenpolitiken unter Netzbedingungen 88 Edition Agnes Achola Leftover & Ornamental Structures 103 Birgit Haehnel Migrationsskizzen 108 Rezensionen Denis Daum Stitch reloaded. Rezension zu Matilda Felix: Sticken in der Kunst der Gegenwart 110 Irene Tischler Die Hüllen des Harems. Rezension zu Silke Förschler: Bilder des Harem. Medienwandel und kultureller Austausch 113 Edith Futscher Rezension zu Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Ästhetik der Differenz 116 Nachruf auf Angela Rosenthal Angela Rosenthal Distinguished Lecture 119 Viktoria Schmidt-Linsenhoff Angela Rosenthal 120 Nachruf Christina Threuter Im Gedenken an Angela Rosenthal – a rose is a rose is a rose is (still) a rose 122 Christiane Keim Remembering Angela. Eine persönliche Erinnerung an Angela Rosenthal 123 AutorInnen 125 Bildnachweise 128 FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 3 Editorial Liebe LeserInnen, mit dem Themenheft Stoffe weben Geschichte(n) – Textile Kunstmaterialien im transkulturellen Vergleich, das die Gastredakteurin Birgit Haehnel konzipiert hat, möchten wir unter einem veränderten Blickwinkel ein Medium in den Fokus rücken, das seit Bestehen einer geschlechterkritischen Kunstwissenschaft zu den zentralen Gegenständen der Auseinandersetzung gehört und auch in dieser Zeitschrift mehrfach bereits in den Mittelpunkt gestellt worden ist (vgl. etwa H. 17 [1994], Mode; H. 40 [2005], Verkleiden – Enthüllen). Im Thema des Textilen laufen die Fäden der jeweils aktuellen methodologischen Reflexion und wissenschaftlichen Theoriebildung über die Produktion von Kunst zusammen. Demgemäß verschiebt auch das hier vorliegende Heft den Fokus auf eine verstärkt ethnologische und anthropologische Perspektive und öffnet den Blick auf einen globalen Kontext. Textilien hinterfragen nicht nur die traditionellen Hierarchien im europäischen Kanon der Künste, sondern auch die Konzentration auf eine ausschließlich europäische Kunstproduktion. In den Beiträgen dieses Heftes werden Textilien als eine Technologie im Zentrum menschlicher Kulturen begriffen; als ein Gewebe, das – als wandernde Gabe oder privilegiertes Handelsgut eingesetzt – festgefahrene Grenzen überschreitet, Netzwerke knüpft und unterschiedliche Kulturen verbindet. Zugleich sind Textilien Medien, in die durch spezifische Praktiken, Materialien oder Zeichensysteme Bedeu- 4 tung eingewoben wird, was sie zu den wichtigsten Instrumenten in den Prozessen der Konstitution von Identitäten macht (sei dies im Sinne von Stoffen, die als von Gottheiten bewohnt begriffen werden und als Ort der Erinnerung der eigenen kulturellen Vergangenheit dienen, sei dies im Sinne von Stoffen, die durch Schnitt oder Farbe die soziale Zugehörigkeit ihrer TrägerInnen kommunizieren und so Macht subversiv unterlaufen oder aber generieren). Entsprechend der angestrebten Perspektiverweiterung sind die Beiträge interdisziplinär angelegt: Sowohl Kunsthistorikerinnen als auch Ethnologinnen, Künstlerinnen und Modewissenschaftlerinnen tragen aus dem Blickwinkel ihres jeweiligen Feldes zu diesem Themenheft bei. Nach der Edition und den Rezensionen enthält dieses Heft einen zusätzlichen Teil: Es ist der Redaktion ein besonderes Anliegen, auf die Gründung der Angela Rosenthal Distinguished Lectures zu Ehren unserer am 11. November 2010 verstorbenen ehemaligen Redakteurin von FKW aufmerksam zu machen. Wir nehmen diese Initiative des Dartmouth Colleges zum Anlass, drei Nachrufe abzudrucken, die von Kolleginnen und Freundinnen verfasst wurden. Die Redaktion möchte hiermit nochmals ihre tiefe Trauer über den Tod von Angela Rosenthal bekunden, der sowohl in menschlicher wie in fachlicher Hinsicht einen unfassbaren Verlust bedeutet. STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Der besondere Umfang dieses Heftes konnte mit Unterstützung des Institute for Cultural Studies in the Arts der Züricher Hochschule der Künste (ZHDK) realisiert werden. Wir danken der Leiterin des Instituts, Prof. Dr. Sigrid Schade sehr herzlich. Nicht zuletzt sei auf unsere Homepage hingewiesen, wo die künstlerische Edition in Farbe eingesehen werden kann. Dort finden sich auch die englischen Abstracts der Beiträge dieses Heftes (www.frauenkunstwissenschaft.de). Für die nächsten beiden Ausgaben sind folgende Themen geplant: Heft 53, Frühjahr 2012, hg. v. Kerstin Brandes, widmet sich dem derzeit vor allem in den Sozialund Politikwissenschaften vieldiskutierten Thema des Prekären. Unter dem Titel „Sicherheitslos. Prekarisierung, die Künste und ihre Geschlechterverhältnisse“ wird es Beiträge zu medialen Facetten des Prekär-Seins als Zwang, aber auch als Chance und Möglichkeitsbedingung für eine radikalere Demokratie diskutieren. Heft 54, Herbst 2012, hg. v. Silke Büttner, geht dem Othering im 12. Jahrhundert nach. FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 5 Birgit Haehnel Textilien im globalen Kontext Nur allzu bekannt ist die Metapher von dem Gewebten als zweite Haut, das dem Körper so nah ist wie kaum ein anderes Material. Das Textile ruft auf die eine oder andere Weise immer den Menschen in Erinnerung, auch wenn dieser nicht mehr anwesend ist. Textile Materialien in der Kunst leben von diesem Effekt, Spur oder auch Fetisch des abwesenden Körpers zu sein. Sie repräsentieren den Menschen ohne sein Antlitz zu zeigen. Möglicherweise bergen sie ein subversives Potential zur Inszenierung neuer Repräsentationsformen des Menschen, die sich von den etablierten, hegemonialen und hierarchisierenden Körperbildern zu distanzieren vermögen. Aber nicht nur das Textile selbst, sondern auch seine Herstellung unterliegt ganz spezifischen diskursiven Verflechtungen, die kunstwissenschaftliche Betrachtungsweisen prägen. So markieren textile Herstellungsverfahren eine wertende Trennlinie zwischen hoher und niederer Kunst, Technologie und Handwerk, Moderne und Tradition. Es muss nicht extra betont werden, dass hierdurch auch ethnisierende und geschlechtsspezifische Kodierungen verhandelt werden. Maike Christadler betrachtete bereits in der Dezemberausgabe 2005 von FrauenKunstWissenschaft die Bedeutung von Kleidung als Substitut der Haut aus einer transkulturellen Perspektive am Beispiel der Kostümierung mit Indianerhäuten am Württembergischen Hof um 1600. Die Verkleidung Herzog Friedrichs I. als weibliche Amerika-Allegorie inszeniert eine Travestie von Geschlecht und ethnisch identifiziertem Leib in Form eines cross- dressing zur Stabilisierung seiner Macht. Christadler erkennt darin sehr überzeugend den subversiven Zug in Hinblick auf essentialistische Körperbilder, nämlich mit der Kleidung die Zivilisation abzulegen, um die Hülle eines fremden und wilden Volkes überzustreifen. 1 Das vorliegende Heft schließt mit dem Schwerpunkt Textilien im globalen Kontext daran an. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts irritiert die Verwendung von Stoffen in der Kunst die tradierten geschlechtsspezifisch definierten Gattungsgrenzen und Künstlerimages. Es soll an das kreative Potential dieses oft marginalisierten Materials zur 6 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Aufhebung von Grenzziehungen angeknüpft werden. Darüber hinaus wird in Hinblick auf ihre Funktion sowohl als Metapher sozialer und politischer Beziehungen im globalen Kontext, als auch als Metonym oder Substitut geschlechtlich codierter Körper zur Herstellung ethnischer Differenz in der Kunstgeschichtsschreibung und visuellen Kultur gefragt. Postkoloniale KünstlerInnen nutzen diese Materialeigenschaften, um in die hegemoniale Bildkultur zu intervenieren und/oder selbstbestimmte visuelle Repräsentationen ihrer Erfahrungen sowie sozial-politische Muster und ökonomische Prozesse der Globalisierung zu reflektieren. Damit übermalen sie nicht zuletzt den noch heute vorherrschenden euroamerikanischen, von kolonialen Sichtweisen fest durchdrungenen Bilddiskurs. 2 In diesem Sinn argumentiert auch Virginia Gardner Troy, wenn sie Textilien von der Kunstgeschichtsschreibung neu bewertet sehen möchte, weil sie auf vielen verschiedenen Ebenen funktionieren und als ideales cross-over medium sehr wohl soziale und visuelle Grenzen zu überwinden vermögen, und dies nicht nur in Hinblick auf Gender, sondern auch auf ethnisierende Differenzierungen. 3 Diesem Desiderat haben sich die Fashion & Textile Studies angenommen. Elke Gaugele gibt im vorliegenden Heft einen Überblick über die wichtigsten Entwicklungen und Perspektiven innerhalb des deutschsprachigen Raums. Sie verleihen dem Fach Textiles Gestalten ein innovatives transkulturelles Forschungsprofil, das den Schwerpunkt auf Mode, Kleidung und Textilien legt. Mode kann mittels eines kritischen Designs gegen Rassismus vorgehen. Beispielsweise entwirft die Designcompany 21MC hybride Straßenkleidung für die heutige Nachfolgegeneration ehemaliger Schwarzer Sklaven und Sklavinnen. Deren spezifische Lebensstile, Kultur und Vergangenheiten fließen in die Schnittmuster ein, um den TrägerInnen ein positives Image zu geben. 4 In der europäischen Malerei kam der Bekleidung zur Inszenierung von Identitäten seit jeher eine große Bedeutung zu. Welche Rolle dabei fremdkulturelle Einflüsse spielen, zeigen sehr eindringlich Analysen zur orientalisierenden Bildnismaskerade seit dem frühen 17. Jahrhundert und zu Künstlerselbstporträts der Vormoderne. 5 Lisbeth Freiß legt in ihrem Aufsatz dar, wie die Herrschaftsansprüche Kaiser Maximilians I. von Habsburg in Mexiko auch von der Wiener Mode mitgetragen werden. Mode erscheint hier als soziales und politisches Ordnungsinstrument, das entsprechend der Strategie des Othering in Anlehnung an Homi K. Bhabha ein ästhetisches Regime mit klassen-, geschlechts- und rassenspezifischen Differenzierungen ausbildet und so Herrschende und Untertanen sichtbar macht. Die spezifischen Materialeigenschaften des Gewebten widersprechen der weißen männlichen Logik und eignen sich insofern wunderbar, um gegen das Gesetz des Vaters, der phallogozentrischen Ordnung, zu rebellieren. Die feministische Kunst nutzte in den FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 7 1970er und ’80er Jahren dieses Potential der Grenzüberschreitung, das bereits eine wichtige Rolle in den Reformbewegungen der Avant-Garden um 1900 spielte. Impressionismus und abstrakte Kunst orientierten sich bei ihren Flächengestaltungen am Textilen als eine „unreine Quelle der Moderne“. 6 Henri Matisse als einer ihrer wichtigsten Vertreter entwickelte seinen Stil entlang der außereuropäisch und weiblich konnotierten Textilien und Ornamente. Neben der nur allzu bekannten geschlechterstereotypen Konstruktion von hoher und niederer Kunst wurde auch zwischen westlichem und nicht-westlichem Kunsthandwerk unterschieden. So verbindet sich aufs engste Weiblichkeit, Kunsthandwerk, Ornament und Primitivität bzw. Volkskunst in den Kunstdiskursen, etwa auch um das Bauhaus. 7 Bekannt sind die Arbeiten der Bauhauskünstlerin Anni Albers. Ihre von der Virtuosität der Andentextilien inspirierten Innovationen im Bereich der Webtechnik und des Designs fordern den kunsthistorischen Kanon gleich auf mehreren Ebenen heraus und sind wichtige Meilensteine in der Entwicklung der Modernen Kunst in Europa. 8 Ines Doujak sammelt innerhalb ihres künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsprojekts Andentextilen von Beginn bis in die heutige Zeit für ihr ex-zentrisches Archiv, aus dem sie Teile in ihrem hier vorliegenden Beitrag vorstellt. Neben Produktion, Zirkulation und Konsum der Andentextilien werden auch deren interkulturelle und geschlechtsspezifische Bedeutungsvielfalt aufgezeigt, um so eingefahrene Sichtweisen auf Folklore, indianische Bevölkerung und Kolonialgeschichte zurechtzurücken. In den 1970er Jahren nutzte die feministische Kunstkritik dezidiert die enge Verkettung von Textilem und Textuellem zur Reformierung des kunsthistorischen Wertekanons und seiner Sinngebungsprozesse. Noch in jüngster Zeit schrieben Elke Gaugele und Verena Kuni über die Neubesetzung von Handarbeit, der einst wirkmächtigen „Technologie patriarchaler Domestizierung“ 9, nicht ohne auch einen kurzen Rückblick auf die feministischen Diskussionen um Kunst und Handarbeit zu geben. Nadel und Faden avancieren heutzutage zu konkreten politischen Instrumenten der Neubestimmung von Subjektpositionen im Kontext des 3rd-Wave-Feminismus. Verbindet sich damit zusätzlich eine postkoloniale Perspektive, so gilt „[...] that texts derive many of their signifying components from textile traditions, and that because of colonialist expansions, both media have circulated across time and place, changing their meanings in the process and accumulating stories around, as well as within them.“ 10 Über die zeit- und raumabhängigen Verflechtungen von Textilproduktion und der Textur einer Gesellschaft durch Diskurse schrieb in den 1990er Jahren Gayatari Spivak. Sie entwirrt den Filz der Macht strukturierenden Textur transnationaler Gesellschaften im Dis- 8 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 kurs über Mode und Design. „The web of text-ility“ 11 ist aus ethnisierenden genderspezifischen Begriffen und der Realität der Bekleidungsindustrie gleichermaßen gesponnen. Sie erkennt die Zusammenhänge und Widersprüche zwischen dem einerseits aufwendigen self-styling der wohlhabenden Bevölkerungsschichten, die ins Museum gehen und ein kritisches Bewusstsein pflegen, und andererseits den ausgebeuteten Textilarbeiterinnen, die diese Kleidung produzieren. 12 Janis Jefferies fasst diesen Gedanken weiter und zieht Analogien in Hinblick auf Handeln und Habitus der Personen im fabric-shop und Künstleratelier, sweat-shop und Kunstgalerie, die im Stadtraum unter Umständen nahe beieinander liegen. Im Zusammendenken dieser Räume kommt es zu neuem Wissen über die Axiome des globalen Kapitals. 13 Die Künstlerin Agnes Achola deutet in der abgedruckten Edition mit ihrer Arbeit Ornamental Structures in Sarajevo subtil diese Zusammenhänge an. In den 1990er Jahren enttarnten Yinka Shonibares Arbeiten die kulturellen Verstrickungen der Textilien als Grundlagen von Kolonialismus und Imperialismus durch die Zirkulation von Waren und Menschen, womit er im Rahmen postkolonialer Kritik eine breite Aufmerksamkeit findet. Shonibare nutzt das Potential der metaphorischen und strukturellen Überlagerung von Textur und Textilien zur Sichtbarmachung komplexer sozialer und politischer Sinnzusammenhänge. Die verwendeten Batikstoffe verwandeln sich in seinen Installationen zu mobilen Zeichen von (Kolonial-)Handel, Ursprung und Authentizität, Gender, Ethnizität und Kulturalismus. 14 Es folgten zahlreiche kunstwissenschaftliche Publikationen und Ausstellungen zur kulturpolitischen Bedeutung insbesondere der Herstellung und Zirkulation sogenannter afrikanischer Batikstoffe im Prozess der Globalisierung sowie Kritik an deren unangemessener Rezeption als genuin afrikanische Folklore. Beispielsweise untersuchte die zum Jahreswechsel 2010/11 gezeigte Ausstellung African Lace in Wien die Wirtschaftsbeziehungen insbesondere zwischen Nigeria und Österreich als Teil einer wichtigen internationalen Modegeschichte, versäumte jedoch die hegemonialen Strukturen zwischen den Ländern und Geschlechtern nachdrücklich aus einer kritischen postkolonialen Perspektive herauszuarbeiten. 15 Kleider können über ihre Muster visuelle Botschaften vermitteln und so Frauen eine Stimme geben, wo sie ihnen verwehrt wird. Ein Beispiel hierfür sind etwa die in Zimbabwe gefertigten Weya appliqués. Sie übermitteln Botschaften von weiblicher Diskriminierung und Unterdrückung am Arbeitsplatz und zu Hause. Themen, über die niemand gerne spricht, wie etwa Abtreibung und Kinderhandel, werden visuell sichtbar und damit öffentlich gemacht. Die malerischen Motive zeigen Wünsche und Ängste, aber auch Rassifizierungsprozesse. Frauen, die mit der Stoffproduktion ihr Einkommen sichern, unterstehen FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 9 diesen Restriktionen, die letztendlich auch auf die Kolonialzeit zurückgehen. 16 In Australien dienen den Aborigines textile Stoffe zur Kommunikation. Die geometrischen Muster unterliegen im Laufe der Zeit Veränderungen, so dass sie traditionelle Bedeutungen in eine hybride postkoloniale Gesellschaft transferieren und so auch heute noch Botschaften übermitteln. Diana Wood Conroy vergleicht sie sogar mit Literatur, sieht sie als sprechende Objekte. 17 Willemijn de Jong argumentiert in diesem Heft aus einer ethnologischen Perspektive, wieso Ikatkleidung in Ostindonesien durchaus als Kunst aufgefasst werden kann. Am Beispiel der handgewebten Ikattextilien von Mama Ango erörtert sie die feministisch geführten Diskussionen über die verschiedenen Formen der Orientalisierung asiatischer Kleidung, wobei sie in Aussicht stellt, dass die Strategie des counter-orientalism noch am ehesten hegemoniale Zuschreibungen durchbricht. Der Aufsatz von Kerstin Pinther und Kerstin Schankweiler verdeutlicht, wie gewinnbringend die Zusammenarbeit von Ethnologie und Kunstgeschichte gerade in Hinblick auf den Themenschwerpunkt dieses Heftes ist. Sie betrachten Gegenwartskunst aus afrikanischen Ländern vor dem Hintergrund der ihnen eigenen Textilgeschichte mit ihren je spezifischen Technologien. Das textile Medium dient den KünstlerInnen als ästhetische Ressource, deren Qualitäten und Eigenschaften sie nicht nur in andere künstlerische Medien übertragen, sondern auch zur Reflexion über Geschlechteridentität, (Kolonial-)Geschichte und Rassifizierungsprozesse nutzen. Gerade im interkulturellen Kontext zeigt sich deutlich, wie sehr textile Materialien eurozentrische Definitionen von Kunst in Frage stellen und damit hegemoniale Strukturen im Kunstbetrieb offenlegen. So gelten beispielsweise selbstgesponnene Textilien in Indien als Kunst, während die gleichen Arbeiten in England weder in Ausstellungen gezeigt, noch einer Kunstkritik unterworfen und deswegen nicht als Kunst anerkannt werden. 18 Verband sich in den 1970er Jahren die Bedeutung von Textilien eng mit den vereinheitlichenden Bestrebungen der Frauenbewegung zur Befreiung der Frau schlechthin, schärften postkoloniale Ansätze schon früh, besonders dann aber in den 1990er Jahren den Blick für die vielschichtigen Operationen zur Herstellung wie auch Dekonstruktion geschlechtsspezifisch definierter Ethnifizierungen und Rassifizierungen. Beispielsweise gestaltet Faith Ringgold kritische Szenen in ihren Story Quilts, um weiße, heterosexuelle und männliche Kunstgeschichte bzw. den kunstkritischen Apparat generell zu parodieren. Ihre zwölfteilige Serie The French Collection aus den 1990er Jahren ist eine Montage aus Malerei mit textilen Materialien, aus Wort und Bild, um widerständige Repräsentationen von Kultur, Ethnizität und Geschlecht zu formulieren und sich dadurch dem kunsthistorischen Kanon zu entziehen. 19 10 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Die sture Weigerung seitens europäischer Kulturinstitutionen, Textilien in der Kunst als würdiges Material zu akzeptieren, ist als koloniales Erbe zu verstehen, als sich Europa mit der Malerei an der Spitze der Zivilisation definierte. Eine vollwertige Anerkennung könnte den hegemonialen Kanon des Kunst- bzw. Kulturapparates zu Fall bringen und damit auch seine geschlechtsspezifischen und ethnisierenden Differenzierungen. Auf diese Weise würde eine im europäischen Dominanzdiskurs bisher unakzeptable Veränderung kultureller Überlegenheitsfantasien eingeleitet und die Vormachtstellung in Frage gestellt werden. Sowohl genderkritische als auch postkoloniale Theorien und Methoden heben aber genau auf diese Kritik ab. So wird es verständlich, warum gerade hier Textilien zu einem wichtigen visuellen Bedeutungsträger avancieren. Alte Webtechniken und Stoffdrucke werden von ehemals kolonisierten und unterdrückten Gesellschaften erinnert, um sich so der eigenen Geschichte zu bemächtigen und etwa negative Erfahrungen durch das Nachwirken kolonialer Konflikte in der Gegenwart zu überwinden. 20 Der versperrte Blick auf das Gemeinsame von textilen Stoffen und Gemälden, die ja im Grunde nichts anderes sind als bebildertes Leinen, brach dann gänzlich mit der documenta 12 auf. Teppiche und gewebte Hochzeitsschleier irritierten die konventionellen Perspektiven und Bewertungen und gaben so Anlass, über textile Materialien im internationalen Kunstbetrieb generell zu reflektieren und nach ihren geschlechtsspezifischen und auch ethnisierenden Konnotationen zu fragen. 21 In kaum einem anderen Stück Stoff treffen so unterschiedliche Bereiche wie Religion, Politik, Erotik, Feminismus, Debatten zu Kolonialismus und Imperialismus aufeinander wie im Kopftuch bzw. dem Schleier der muslimischen Frau. GegenwartskünstlerInnen fühlen sich zu Recht herausgefordert, den exotisierenden, rassifizierenden und fetischisierenden Konnotationen, die dieser zum Zeichen geronnene Gegenstand visualisiert, nachzuspüren und zu bearbeiten. 22 Aber auch die Faltenwürfe der Burkas entwickeln in der Konstruktion des Orients ein Eigenleben, das Empfindungen von Begehren und Abwehr, Assoziationen von Fremdheit und Kriminalität beim europäischen Publikum hervorrufen kann. Ein Beispiel dafür sind die Fotografien des französischen Psychiaters Clérambault. 23 Sowohl das Text-ile, das durch Metaphorisierungen, Repräsentationen und (Re-)Inszenierungen gesellschaftliche Texturen prägt, als auch der textile Gegenstand selbst können Aufschluss geben über Bedingungen und Wissensproduktionen hegemonialer Herrschaftsverhältnisse, wie hier im Diskursfeld des Orientalismus. Interessanterweise verwenden postkoloniale KünstlerInnen weiße Tücher in ihren Arbeiten, um die Dominanz weißer Normen und Werte metaphorisch zu inszenieren. Ein FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 11 1 Gülsün Karamustafa: Etiquette. Die Zähmung des Ostens, 2011, raumgreifende Installation, ifa-Galerie Berlin. Foto: Birgit Haehnel Beispiel zeigte jüngst die ifa-Galerie in Berlin mit der Installation Etiquette von Gülsün Karamustafa (Abb. 1). Quer durch den Raum erstreckt sich ein festlich mit weißen Tischtüchern gedecktes Buffet mit Blattgold verziertem weißem Porzellan, silbernem Besteck und kristallklaren Gläsern. Unübersehbar strahlt uns die weiße Tischdecke ihre Autorität entgegen. Die ästhetische Wirkmacht der weißen Tischdecke ruft die Umgangsformen der Etikette schlagartig in Erinnerung. „Ein Tischtuch ist eben nicht nur Tafelzier, sondern zugleich Exerzierplatz.“ 24 In einem unveröffentlichten Aufsatz analysiert Karen Meetz sehr überzeugend das mit der Materialität weißer Tischtücher verbundene Reinheitsgebot, entstanden aus der christlichen Symbolik der Transzendenz, überführt in einen Gebrauchsgegenstand, der nun als Repräsentationsstück betuchter Europäer den gesellschaftlichen Rahmen adelt. Das unbefleckte weiße Tafelkleid transformiert im 19. Jahrhundert zum weiblich konnotierten Tugendtuch, das vor allem Baudelaire mit der Beschreibung „femininer Weißwaren“ in Aux Bonheur des Dames (1883) über den sublimen Effekt heller Tücher zum Mythos des kapitalistischen Warenrausches und der global agierenden Finanzwelt wendet. 25 12 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Karamustafa setzt die Semantik weißer Tischtücher in ihrem Ensemble sehr wirkmächtig ein und analogisiert sie mit einem französischen Ratgeber für Tischmanieren von 1910. Dieser in die türkische Sprache und arabische Schrift übersetzte Kodex sollte einst der türkischen Oberschicht europäische Etikette beibringen. Offensichtlich thematisiert die Künstlerin damit nicht nur die subtile Europäisierung der Türkei, sondern auch die Idealisierung westlicher Normen und Werte in Abgrenzung zu dem, was als orientalisch im eigenen Land abgewehrt wurde. Damit eng verbunden war auch das Einüben geschlechtsspezifischer Verhaltensweisen, die das Ansehen des Staates Türkei steigern sollten. Diese Werte vergegenständlichen sich nicht nur im Dekor, sondern vor allem in den blendend weißen Tischdecken als Ausdruck von whiteness. 26 In der abstrakten Kunst, insbesondere dem Suprematismus, manifestieren sich Reinheit und Immaterialität einer weißen Welt, die sich gegen Schmutz und Unreinheit behaupten will, paradoxerweise gerade in einem Stück Stoff – der Leinwand. Hinsichtlich dieser für die Moderne so grundlegenden Diskursfiguren des Reinen und der Entmaterialisierung nimmt das Textile eine zentrale Funktion ein. Diente es zunächst als Inspirationsquelle zur Reformierung der Kunst durch Überwindung von (Gattungs-)Grenzen, so fungierte es dann doch wieder in der Bedeutung des Materiellen, Primitiven, Außereuropäischen und weiblich Kodierten als Abgrenzungsmedium zur Erhaltung des männlich definierten Künstlergenies. 27 Doch gleichzeitig nutzen weiterhin vor allem feministisch orientierte Künstlerinnen seit den 1970er Jahren, aber auch KünstlerInnen im Kontext des Pat- tern & Decoration Movement, indische Saris, koloniale Quilts oder persische Kilims, um sich gegen das Reinheitsgebot à la Clement Greenberg zu wehren und damit den eurozentrischen weißen Kunstkanon aufzubrechen. Diese Ansätze bestimmen sehr stark auch die Verwendung von Stoffen in der Kunst im Zeichen postkolonialer Kritik seit den 1990er Jahren. 28 Dem Körper so nah – wie eine zweite Haut – eignen sich weiße Stoffe für rassenanthropologische Visualisierungen gerade dort, wo es gar keine körperlichen Unterschiede gibt. Das weiße Tuch erhellt den gebräunten biopolitischen Gesundheitskörper des 20. Jahrhunderts. Als Substitut für weiße Haut räumt es jeden Zweifel über mögliche Verwechselungen mit sogenannten Mischlingskörpern aus. Die an das Körperorgan der hel- len Haut gebundenen Werte von der Überlegenheit Europas bzw. der europäischen Kultur werden auf das weiße Tuch übertragen. Letzteres entfaltet seine metonymische Wirkung von Reinheit, Reinrassigkeit und reinem Gewissen, wodurch das Körperbild nobilitiert und der weißen Überlegenheitskultur zugearbeitet wird. Angela Rosenthal verwies bereits in ihrem Aufsatz über die Darstellung des Errötens in den Porträts angesehener Damen des FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 13 18. Jahrhunderts auf das malerische Ineinanderfließen der weißen Kleidung mit dem hellen Inkarnat zur Steigerung der Strahlkraft weißer Hautfarbe. 29 Seit April 2011 untersucht ein DFG-Projekt am CePoG der Universität Trier, in welchem Kontext die Semantik weißer Textilien als visuelles Signal von whiteness und damit als rassifizierendes Definitionssymbol gelesen werden muss. Von besonderem Interesse ist, wie durch kulturelle Übersetzungsarbeit diese Materialien erst in den ethnisierenden Diskurs Weißsein eingebunden und in geschlechtsspezifischen Bildern adaptiert werden. 30 Textilien besitzen ein semantisches Potential wie kaum ein anderes Material aufgrund ihres alltäglichen Gebrauchs. Ihre historische Dimension verbindet Zeiten, Menschen und Erinnerungen. Sie vermitteln bestimmte Lebensumstände wie etwa die der Migration, Diaspora, des Traumas bzw. von Identitäten generell. Textiles Material formt einen Raum für vielfältige Analogiebildungen, wo Geschichten verwebt, Erfahrungen, aber auch zukünftige Visionen mitgeteilt werden können. Über die auch subversive Rolle des Internet – wenn etwa Markenzeichen kritisch verstrickt werden – informiert der Beitrag von Verena Kuni. Besonders spannend ist ihre Konfrontation des virtuellen Betätigungsraums von KünstlerInnen mit den globalen Produktions- und Handelsbedingungen von Textilien. Gabriele Mentges formulierte bereits treffend, wie sehr die Auseinandersetzungen mit textilen Materialien und ihrer ästhetischen Repräsentation in nahezu alle Bereiche hinreichen: „Im Bild der textilen Kette, das den Weg der natürlichen Textilien, beginnend mit dem Anbau, der Faserherstellung, über die Produktion samt der hochkomplexen Bearbeitungstechnologien hin zum Handel, Konsum, Verschleiß und Entsorgung beschreibt, findet sich dieser Zusammenhang zwischen ökonomischen, technisch-naturwissenschaftlichen Aspekten und den kulturwissenschaftlichen Feldern widergespiegelt.“ 31 Mit ihrem kulturanthropologischen Ansatz fordert sie dezidiert nicht nur die einseitige Betrachtung der Bildhaftigkeit von Textilien, sondern auch die Analyse ihrer Materialität, d. h. wie die dreidimensionalen Dinge mit uns in Beziehung treten und kommunizieren. Die hier vorgestellten Beiträge lösen diese Forderungen teilweise ein und zeigen damit gleichzeitig, was für ein großer Forschungsbedarf sich auftut. Diese Vielfältigkeit macht eine interdisziplinäre Zusammenarbeit notwendig, was sich schließlich im wissenschaftlichen Profil der hier versammelten Autorinnen zeigt, die eben nicht nur aus der Kunstgeschichte kommen. Auf welche Weise Textilien über ihre Form, Farbe und bedruckte Oberfläche mit uns kommunizieren, darüber sollen die folgenden Beiträge einen kleinen Einblick geben. 14 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 1 Maike Christadler, Indigene Häute. Indianerkos- 10 Paul Sharrad, Anne Collett, Introduction, in: tüme am Württembergischen Hof, in: FrauenKunst- Paul Sharrad, Anne Collett (Hg.), Postcolonialism and Wissenschaft 40 (2005), S. 18–26. Dieses Heft legte Creativity, Bristol 2004, Bd. 3, S. VII. den Schwerpunkt auf die Symbiose von Kunst und 11 Mode zur Produktion auch widerständiger Körperdis- colonial Reason: Toward a History of a Vanishing Pre- kurse. sent, Cambridge, Massachusetts and London 1999, 2 S. 337. Vgl. Sue Rowley (Hg.), Tradition and Innovation. Gayatri Chakravorty Spivak, A Critique of Post- Reinventing Textiles, Bristol 1999, Bd. 1. Der Band 12 handelt vom kritischen Potential der Textilkunst und ih- vak (wie Anm. 11), bes. S. 338–347. res kulturübergreifenden Dialogs in der Gegenwarts- 13 kunst. man Rushdie and the Translations of Hybridity in the 3 Vgl. insbesondere Kapitel 4: „Culture“ in: SpiVgl. Janis Jefferies, Midnight’s Children: Sal- Vgl. Virginia Gardner Troy, The Modernist Textile. Artworks of Zarina Bhimji, Hew Locke and Yinka Shoni- Europe and America 1890–1940, Hampshire (UK) und bare, in: Sharrad-Collett (wie Anm. 10), S. 1–14, hier Burlington (USA) 2006. S. 9. 4 14 Vgl. Zoe Whitley, Reflecting Slavery in Design. To- Vgl. ebd., S. 1–14. Siehe insbesondere Shoni- wards a contemprary View, in: Birgit Haehnel, Melanie bares Arbeiten auf der Documenta 11. Ulz (Hg.), Slavery in Art and Literature. Approaches to 15 Trauma, Memory and Visuality (= Kulturwissenschaf- schichte des Handels, der Kreativität und der Mode in ten; 6), Berlin 2010, S. 147–161. Nigeria, Museum für Völkerkunde Wien, KHM und Na- 5 Vgl. Nina Trauth, Maske und Person. Orientalis- tional Commission for Museums and Monuments, Ni- mus im Porträt des Barock, München und Berlin 2009; geria, hg. von Barbara Plankensteiner, Nath Mayo Marianne Koos, Kleidung als zweite Haut. Funktionen Adediran, Gent und Wien 2010. Weitere Beispiele: Je- der transkulturellen Maskerade im Künstlerselbstpor- an Allman (Hg.), Fashioning Africa. Power and the Poli- trät der Vormoderne, in: Philipp Zitzlsperger (Hg.), tics of Dress, Indianapolis 2004; Vera Bendt, Textilien Kleidung im Bild. Zur Ikonologie dargestellter Gewan- aus Europa in Afrika – Afrikanische Textilien in Europa, dung (= Textile Studies; 1), Emsdetten und Berlin in: Gabriele Mentges (Hg.), Kulturanthropologie des Vgl. den Ausst.-Kat. African Lace. Eine Ge- 2010, S. 137–152. Textilen (= Sonderband zu Textil – Körper – Mode der 6 Dortmunder Reihe zu kulturanthropologischen Studien Sigrid Schade, Zu den „unreinen“ Quellen der Mo- derne. Materialität und Medialität bei Kandinsky und des Textilen), Bamberg 2005, S. 363–370. Malewitsch, in: Jennifer John, Sigrid Schade (Hg.), 16 Grenzgänge zwischen den Künsten. Interventionen in Weya Appliqué Project of Zimbabwe, in: Sharrad-Col- Gattungshierarchien und Geschlechterkonstruktionen lett (wie Anm. 10), S. 97–111. (= Studien zur visuellen Kultur; 9), Bielefeld 2008, 17 S. 35–62. Postcolonial. An Aboriginal Silk-Screen Workshop on 7 Bathurst Island, Northern Territory, in: Sharrad-Collett Vgl. Marjan Groot, Geschlechtlich konnotierte Vgl. Jessica Hemmings, Emerging Voices: The Diana Wood Conroy, Between Colonial and Sphären im niederländischen Galeriebetrieb der Mo- (wie Anm. 10), S. 141–166. derne. Die Rezeption von Arts and Crafts, außereuro- 18 päischem Kunsthandwerk und Volkskunst, in: John- Anm. 2), S. 46–58. Schade (wie Anm. 6), S. 15–34. 19 8 Vgl. Virginia Gardner Troy, Anni Albers and An- useful to scale Facades (translated by Paula Larkin), cient American Textiles. From Bauhaus to Black Moun- in: Rowley (wie Anm. 2), S. 95–110, hier S. 108; Bar- tains, Aldershot und Burlington 2002. bara Paul, Die Kunst der Parodie. Rassismus und Se- 9 Elke Gaugele, Verena Kuni, Embrace Domestici- xismus in Faith Ringgolds „Story Quilts“ und Kara Wal- ty – Freundschaft schließen mit der Häuslichkeit? Von kers Scherenschnitten, in: Annegret Friederich u. a. der schönen neuen Welt der Handarbeit und Katharina (Hg.), Die Freiheit der Anderen. Festschrift für Viktoria Krenkels Welt in Heimarbeit, in: FKW 46 (2008), Schmidt-Linsenhoff, Marburg 2004, S. 232–238. S. 70–78, hier S. 70. 20 Nima Poovaya-Smith, Kapda, in: Rowley (wie Vgl. Julián Ruesga Bono, All Ornaments are Ich verweise hier auf Andreas Huyssen, der im FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 15 Umgang mit Objekten „Vehikle der Erinnerung“ er- 25 kennt. So können vergangene Erfahrungen in die Ge- me/Mahlströme. Weißeinbrüche in der Literatur des genwart vermittelt werden. Vgl. Andreas Huyssen, Twi- 19. Jahrhunderts, in: Wolfgang Ullrich, Juliane Vogel, light Memories: Making Time in a Culture of Amnesia, Weiß, Frankfurt a. M. 2003, S. 168–192. Vgl. ebd. Siehe auch Juliane Vogel, Mehlströ- Informationen zur Installation siehe Solo für ... New York und London 1995. 26 21 Gülsün Karamustafa ETIQUETTE (Ausst.-Kat.), ifa-Gale- Vgl. Silke Radenhausen, A Keepsake I cannot give away. Überlegungen zu einigen Arbeiten zwi- rie Berlin und Stuttgart 2011, Nürnberg 2011. schen Kunst und Handwerk auf der documenta 12, in: 27 Vgl. Schade (wie Anm. 6). John-Schade (wie Anm. 6), S. 151–167. 28 Vgl. Nadine Monem (Hg.), Contemporary Tex- 22 tiles. The fabric of fine art, London 2008. Vgl. hierzu die Diskussion künstlerischer Posi- tionen bei Viktoria Schmidt-Linsenhoff, Ästhetik der 29 Differenz. Postkoloniale Perspektiven vom 16. bis Kosmetik rassischer Differenz, in: Herbert Uerlings, 21. Jahrhundert, Bd. 1, Marburg 2010, S. 219–242. Karl Hölz, Viktoria Schmidt-Linsenhoff (Hg.): Das Sub- Grundlegend für die Debatte ist das Standardwerk von jekt und die Anderen: Interkulturalität und Geschlech- Christina von Braun und Bettina Mathes, Verschleierte terdifferenz vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Wirklichkeit. Die Frau, der Islam und der Westen, Berlin Berlin 2001, S. 95–117. 30 2007. 23 Vgl. Gen Doy, Drapery. Classicism and Barba- Angela Rosenthal: Die Kunst des Errötens. Zur Der Titel des Projekts lautet Weiße Umhüllun- gen – Weiße Verblendungen. Zur Bedeutung des wei- rism in Visual Culture, London und New York 2002. ßen Tuchs in der visuellen Kultur seit dem 20. Jahrhun- 24 Karen Meetz, Die Tischdecke als Rahmen des dert, CePoG – Kunstgeschichte Universität Trier, Begehrens. Unveröffentlichter Aufsatz anlässlich ihres http://www.uni-trier.de/index.php?id=37547 (07.10. Vortrags auf der von ihr organisierten Tagung Das Ge- 2011). bot der Dinge – Eine Alltagsarchäologie textiler Wohn- 31 kultur, FB Textiles Gestalten, Universität Osnabrück des Textilen, in: Mentges (wie Anm. 15), S. 11–53, 2007, S. 3. hier S. 38. 16 Gabriele Mentges, Für eine Kulturanthropologie STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Elke Gaugele Fashion & Textile Studies, [dt.:] Mode- & textil- wissenschaftliche Studien – kulturwissenschaftliche und künstlerische Studien zu Moden und Textilien. Positionen und Perspektiven eines neuen transdisziplinären Fach- und Forschungsprofils Textile und Fashion Studies haben seit den 1980er Jahren in den anglo-amerikanischen Wissenschaften ein neues Fach- und Forschungsprofil etabliert. Als Folge entstanden internationale Fachzeitschriften wie Fashion Theory 1 (gegr. 1997) oder Textile. The Journal for Cloth and Culture 2 (gegr. 2003), die dem neuen, transdisziplinären Forschungsfeld zu Mode, Kleidung und Textilien ein Forum bieten. Während Fashion Theory programmatisch das Verhältnis von Mode und Körper ins Zentrum rückt, um den Fokus auf die kulturelle Konstruktion verkörperter Identitäten zu richten, bündelt Textile multiperspektivische Ansätze zu einem innovativen textilwissenschaftlichen Diskurs. 3 Auch deutschsprachige Forscher_innen aus den Kunst- und Kulturwissenschaften, Literaturwissenschaften 4, aus Geschichte, Soziologie und Design entwickelten eine neue Forschungslandschaft mit innovativen theoretischen Ansätzen und Methoden zu Kleidung, Mode und Textilem. Bewegung in diese transdisziplinäre Diskussion brachten zudem Zeitschriften zur Kunsttheorie, die seit Mitte der 1990er Jahre Schwerpunkthefte zur Mode publizierten: Texte zur Kunst 5, Kunstforum international 6, FrauenKunstWissenschaft 7. Vom Fachverband der Gesellschaft für Historische Waffen- und Kostümkunde (gegr. 1920) sagten sich 2008 die Gründerinnen vom Netzwerk Textil e. V. los, die sich als Interessenvertretung der kulturwissenschaftlichen Textil-, Kleider- und Modeforschung verstehen. 8 Die aktuell größte deutschsprachige Web-Datenbank historischer und zeitgenössischer Texte zur Modetheorie wurde 2006 unter http://www.modetheorie.de/ installiert. Sucht man an deutschsprachigen Hochschulen nach einem Pendant zu den Entwicklungen in den anglo-amerikanischen Textile und Fashion Studies, so liegt dieses insbesondere in den Studiengängen für Textilgestaltung/Textilwissenschaften. In Deutschland war Textilgestaltung im Zuge der Reformen der Lehrer_innenausbildung Ende der 1970er Jahre zum Universitätsfach geworden. 9 In den darauf folgenden Jahrzehnten wurde das Fach durch neue Professuren und wissenschaftliche Mitarbeiter_innen insbeson- FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 17 dere aus der Europäischen Ethnologie, bzw. den Empirischen Kulturwissenschaften, der Kunstgeschichte sowie aus Ansätzen feministischer Theorien und Gender Studies heraus neu profiliert und programmatisch in Textilwissenschaften umbenannt. 10 Beiden Seiten, dem Fach Textil und dem Standort Universität, schreibt Karen Ellwanger rückblickend, habe diese Entwicklung gut getan: In etablierten Disziplinen wurde dadurch die Frage nach Forschungsdesideraten in Bereichen historisch-kulturwissenschaftlicher Textil- und Bekleidungsforschung sowie in der Modetheorie wachgerufen und im Fach Textil die Entwicklung von Theorien, Fragestellungen und Methoden aktiviert. 11 Anfang der 1990er Jahre startete der erste textilwissenschaftliche Magisterstudiengang Vergleichende Tex- tilwissenschaft (kulturgeschichtlich) an der Universität Dortmund, gefolgt von der Universität Oldenburg, die 1997 am Fach Textilgestaltung den ersten Promotionsstudiengang kulturwissenschaftliche Geschlechterstudien einrichtete. 12 Alle universitären Textil-Studiengänge standen im bildungspolitischen Kräftefeld nicht wirklich auf stabilem Grund, da sie auf der allgemein an Universitäten eher gering geschätzten Lehrer_innenausbildung basierten und sich zudem durch den größten Prozentsatz an weiblichen Lehrenden und Studierenden auszeichneten. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts geriet das Fach denn auch im gesamten deutschsprachigen Raum ins Gemenge unterschiedlicher bildungspolitischer Interessenskonstellationen. PISA und andere Schulleistungsstudien übten Druck auf die Bildungssysteme, Fächer, Schulen und Hochschulen aus, so dass das Textile als Schulfach immer stärker unter einen Legitimationszwang geriet, dem Streichungen und teilweise fragwürdige Fächerfusionen folgten. 13 Parallel dazu führten die Bologna-Reform und der damit verbundene innenpolitische Druck auf die Umstrukturierung der Universitäten zu Verteilungskämpfen, die die Hierarchien von Disziplinen und Gattungen in Kunst und Wissenschaft revitalisierten. Als Rektorate und Dekanate unter dem Zwang standen, neoliberale Kürzungs- und Profilbildungsprozesse sowie Leistungsvereinbarungen zu forcieren, wurden die Schließungen des Dortmunder Magisterstudiengangs (ausgelaufen 2004/05), des Studiengangs Textilgestaltung an der Universität Münster (ausgelaufen 2007/08), an der Akademie der bildenden Künste Wien (ausgelaufen 2010/11) sowie an der Universität zu Köln (auslaufend 2013/14) vorangetrieben. Die verbleibenden Seminare entwickelten ihre Fachprofile zu Mode, Kleidung und Textil weiter und setzten auch veränderte Fach-, Abteilungs- und Institutsbezeichnungen durch. Parallel dazu bauten sie mit innovativen Konzepten neue fach- und lehramtsspezifische sowie transdisziplinäre Bachelor-, Master- und Promotionsstudien auf. Beispiele hierfür sind das Seminar für Kulturanthropologie des Textilen am Institut für Kunst und ma- terielle Kultur der Universität Dortmund und das Seminar für Materielle und Visuelle Kultur 18 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 am Kulturwissenschaftlichen Institut Kunst-Textil-Medien der Universität Oldenburg, die beide in enger Beziehung zur materiellen und visuellen Kulturforschung sowie ethnographisch-kulturwissenschaftlichen Theorien und Methoden stehen. 14 Der Schwerpunkt liegt in Oldenburg auf Kleidung, die hier „im Spannungsfeld zwischen Sachkultur und ihrer Visualität, Körpertechnik, Medien und Design“ definiert wird. 15 Dies schließt Positionen der Konsumkulturforschung und die Analyse transkultureller Prozesse in Jugendkulturen und im Modedesign ein. 16 Aktuelle Forschungsprojekte und Tagungen am Seminar untersuchen die vestimentären Repräsentationen des Politischen und des Nationalen, Konstruktionen von Tod und Geschlecht sowie Trachten als Kleidungsverhalten und Repräsentationsformen bäuerlicher Schichten. 17 Die Dortmunder Kulturanthropologie des Textilen legt ihren Fokus stärker auf kulturelle Praktiken in der Alltagsästhetik, Mode und Körpergeschichte. 18 Das Studium zielt dabei auf die transdisziplinäre Verbindung von kulturwissenschaftlicher Forschung und gestalterischem Arbeiten. Inhaltlich beschäftigt sich das Seminar mit der Geschichte und Gegenwart textiler Praktiken, Materialien und Funktionen im Kontext von Produktion, Kommunikation, Kunst, Mode und Konsum. Zentrale Parameter hierfür bieten genderkritische Ansätze kultureller Heterogenität und sozialer Differenz. Weitere Analysen widmen sich den Gebrauchsformen der Kunst (Mode, Werbung, Fotografie), jugendkulturellen Moden und neuen Medien sowie der Beziehung von Moden, Medien und Moderne. 19 In Forschungsprojekten zur Visualität und Materialität der Kultur untersucht das Dortmunder Institut Prozesse der Uniformierung von Körper und Kleidung, die Soziologie von Selbstbild und Person in der Bilderwelt, Grundlagen der Museumsforschung, sowie das Verhältnis von Modernität und Tradition am Beispiel der usbekischen Textilkultur. Sie arbeiten damit an den Grundlagen eines modewissenschaftlichen Ansatzes, der auch auf eine neue postkoloniale Perspektivierung von Mode als Fusions- kultur jenseits von Orientalismus und Okzidentalismus abzielt. 20 Demgegenüber behielten die Universitäten Flensburg, Osnabrück, Paderborn und auch das Mozarteum in Salzburg die traditionellen Fachbezeichnungen Textiles Gestalten, bzw. Textil in Anlehnung an das Schulunterrichtsfach bei. 21 Auf der Tradition angewandter Künste basierend, sind in Österreich die Studienangebote für Textil und Mode an Kunstuniversitäten verortet. Genauer gesagt existiert in Österreich ein Doppelmodell für die Textillehrer_innenausbildung: im Rahmen eines Bacholorstudiums an den Pädagogischen Akademien und als künstlerisch-wissenschaftliches Diplomstudium an vier Kunstuniversitäten des Landes. 22 Historisch gesehen definieren sich die Fachpositionen der Kunstakademien aus der künstlerisch-gestalterischen Praxis heraus. In Folge der Umstrukturierungen hin zu Kunstuniversitäten wurden diese nun ver- FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 19 stärkt mit kunst- und kulturwissenschaftlichen Ansätzen und Forschungsperspektiven verknüpft. In dieser transdisziplinären Verschränkung künstlerisch-gestalterischer und kulturwissenschaftlicher Perspektiven richtete die Akademie der bildenden Künste Wien 2008 ein neues Studium für Moden und Styles ein, das Kleidung inhaltlich um aktuelle Themen aus Alltags-, Pop- und Jugendkulturen zentriert. 23 Der den Cultural Studies entlehnte Begriff des Style verschränkt künstlerische, design-, textil-, alltags- und popspezifische zu multimedialen Gestaltungspraktiken. Als strategischer Gestaltungsbegriff, der sich kritisch mit Fragen der Gegenwart auseinandersetzt, rekurriert Style nicht nur auf die Schnittmengen künstlerischer und ethnographischer Verfahren, sondern auch auf ein Re- sistance through Style, das die eigensinnigen Artikulationen und Praktiken alltagskultureller Akteur_innen in den Blick nimmt. Diskursfelder des Ordinariats sind die Produktionsökonomien und Biopolitiken der Mode in ihren jeweiligen Darstellungs- und Präsentationsformen, Körper- und Identitätskonstruktionen, die hier unter den Parametern von Gender, Begehren, Klasse, Nation und Rassifizierung analysiert werden. Der Bereich Science Fashion untersucht die Beziehung von Moden, (Life-)Sciences und neuen Technologien. Weitere Studienfelder analysieren die Beziehung von Mode und Kunst, Mode und visuellen Kulturen, Moden und Kommunikation sowie den Bereich des Craftivism, d. h. aktivistische Handarbeits- und Do-it-Yourself-Praktiken. Genderkritische postkoloniale Perspektiven sind hierbei zentral, auch bei der Analyse der Gattungshierachien von Textil, Mode und Kunst. Um diesbezüglich neue Grundlagen für eine kulturwissenschaftliche Theoriebildung zu gewinnen, ist aktuell ein Forschungsschwerpunkt im Aufbau, der die Episteme der Mode und des Textilen als Regime der Verstofflichung untersucht und sie wissenschaftshistorisch einer genderkritischen postkolonialen Revision unterzieht. 24 Das Studium an der Universität für angewandte Kunst in Wien definiert demgegenüber Textil als freie, angewandte, experimentelle und künstlerische Gestaltung. 25 Diese ist Teil interdisziplinärer Lehre, die einen Schwerpunkt auf transkulturelle Projekte legt, wie z. B. den Aufbau einer Lehr- und Lerngemeinschaft mit einer Sticker_innen-Kooperative in Marrakesh (2008–2010) oder mit ugandischen Künstler_innen und Kunstpädagog_innen (2007–2009). 26 Die Abteilung Textil/Kunst & Design (vormals Meisterklasse Textil) an der Kunstuniversität Linz bietet zwei verschiedene Studienformen an: das Diplomstudium Textiles Gestalten (Lehramtsstudium) und die künstlerischen Bachelor- und Masterstudien Textil/Kunst & Design. 27 In der deutschsprachigen Schweiz sind kunst- und kulturwissenschaftliche Forschungsaktivitäten und Studienangebote zu Mode und Textilien 28 als Schwerpunkte von Kunstgeschichte und -wissenschaften verankert: an der Universität Bern mit einem Mas- 20 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 terprogramm zur Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Geschichte der textilen Künste 29 oder mit Gegenwartsbezug an der Zürcher Hochschule für Künste am Institut für Cultural Studies in the Arts oder dem Studium Style & Design und deren aktuellen Symposien zu Rethinking Needlework. Diskursive Fäden in aktuellen Kunst- und Designproduktionen (Mai 2011) oder zu Mode und Bewegung (September 2011). 30 Auch am Kunsthistorischen Institut der Universität Zürich wurde ein Forschungsschwerpunkt zur Ikonologie des Textilen in Kunst und Architektur eingerichtet. 31 Die Entstehung dieses neuen transdiziplinären Forschungsfeldes zu Mode, Kleidung und Textilien wird sowohl von feministischen als auch postkolonialen Kritiken an den Gattungshierarchien und Geschlechterkonstruktionen der Künste vorangetrieben, die die historischen Spaltungen von Kunst, Handwerk, Textil, Mode, Design und Alltagskultur hinreichend dekonstruiert haben. Für künstlerisch-gestalterische Positionen bedeutete dieser Paradigmenwechsel zum einen den Abschied von der obsolet gewordenen Materialkategorie der Textilkunst und die Wende hin zu konzeptionellen multimedialen Verfahren wie den Positionen der Conceptual Fashion, des Re-Design, des D. I. Y. oder anderen zeitgenössischen künstlerischen Perspektiven. Zum anderen geht es vielen der oben dargestellten Abteilungen aktuell darum, Kunst, Forschung und Wissenschaft in ein transdisziplinäres Verhältnis zueinander zu setzen, bei dem kulturwissenschaftliche und künstlerischgestalterische Forschung in einer konkreten Beziehung zueinander stehen. Die Postcolonial Studies machen den Perspektivwechsel hin zu kritischen aktuellen wie wissenshistorischen Analysen der westlichen Episteme von Modetheorie und Textilforschung dringend notwendig. Sowohl Kostümgeschichten als auch Modetheorien sind epistemologische Produkte der europäischen Moderne, die sich als Teil nationalstaatlicher wie kolonialer Bestrebungen und deren Prozesse innerer und äußerer Kolonisierung formierten. Genderkritische Forschungen zu Mode und Moderne haben die Rolle der Mode im Modernisierungsprozess im Hinblick auf die Herausbildung moderner Subjekte, Genderkategorien, Räume und Medien beispielhaft theoretisiert, jedoch ohne die Kategorie der Moderne/Modernisierung selbst kritisch in postkolonialer Perspektive zu reflektieren. 32 Dieses Wechselverhältnis von Coloniality und Modernity zu perspektivieren und bei einer Dekolonisierung des eigenen Wissensfeldes neu zu gewichten, ist aktuell eine der zentralen Herausforderungen genderkritischer kunst- und kulturwissenschaftlichen Grundlagenforschung zu Mode und Textilien. FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 21 1 Fashion Theory erscheint vierteljährlich, hrsg. von Valerie Steele im Berg Verlag. senschaft (kulturgeschichtlich) Universität Dortmund von 1992 bis WS 2004/05 unter Konzeption/Leitung Textile. The Journal for Cloth and Culture er- von Heide Nixdorff; Kulturwissenschaftliche Ge- scheint dreimal jährlich, hrsg. von Catherine Harper, schlechterstudien Carl von Ossietzky Universität Ol- Doran Ross, Pennina Barnett, Janis Jefferies, Mary Lit- denburg Konzeption/Leitung Karen Ellwanger und Sil- 2 trell im Berg Verlag. ke Wenk als Kooperation von Kunst und Medien und 3 Textilgestaltung/-wissenschaft. Vgl. url: http://www.bergpublishers.com/?Ta- bId=524 [15.08.2011] http://www.bergpublishers. 13 com / BergJournals / Textile / tabid / 518 / Default.aspx dung – Editorial, in: Becker (wie Anm. 10), S. 5–12, [11.08.2011]. hier S. 5. 4 Barbara Vinken am Lehrstuhl für Allgemeine und 14 Vgl. Christian Becker, Perspektiven textiler Bil- Vgl.: http://www.fb16.tu-dortmund.de/textil/; Französische Literaturwissenschaften der Ludwig-Ma- http://www.materiellekultur.uni-oldenburg.de/ [11.08. ximilian-Universität München: http://www.barbaravin- 2011]. ken.de [15.08.2011]; Gertrud Lehnert am Lehrstuhl 15 für Allgemeine und vergleichende Literaturwissen- 2330.html [11.08.2011]. schaften der Universität Potsdam, Institut für Künste 16 und Medien: http://www.uni-potsdam.de/avl/ [15.08. Materielle Kultur, in: Becker (wie Anm. 10), S. 27–32, 2011]. hier S. 28. 5 17 Isabell Graw, Stefan Germer (Hg.), Mode. Texte http://www.materiellekultur.uni-oldenburg.de/ Vgl. Karen Ellwanger, Textilwissenschaft und http://www.materiellekultur.uni-oldenburg.de/ zur Kunst 7 (1997), H. 25; Mode (2004) 56, hg. von 2330.html: Bachelor-Studiengang: Materielle Kultur: Isabell Graw; Mode für alle 20 (2010), H. 78, hg. von Textil [11.08.2011]. Isabell Graw. 18 6 Kunstforum International: Die Hüllen des Selbst. der Reihe zu kulturanthropologischen Studien des Tex- Mode als ästhetisch-medialer Komplex 141 (Juni – tilen, hg. von Gudrun König, Gabriele Mentges und Hei- September 1998), hg. v. Birgit Richard. Dressed! Art de Nixdorf. en Vogue 197 (Juni – Juli 2009), hg. von Claudia Banz, 19 Barbara Til, Heinz-Norbert Jocks. des Seminars für Kulturanthropologie des Textilen 7 2011, verfasst von Gudrun König et al. Ich danke für Bettina Brand-Claussen, Sigrid Gensichen u. a. Seit 2001 publiziert das Seminar die Dortmun- Siehe das unveröffentlichte Positionspapier (Hg.), Mode, H. 17 v. FrauenKunstWissenschaft die freundliche Überlassung des Manuskripts. (1994); Maike Christadler, Daniela Mondini, Verklei- 20 den – Enthüllen, H. 40 von FrauenKunstWissenschaft Culture: Fashion beyond Orientalism and Occidental- (2005). ism. International Conference at the University of Pots- 8 dam, November 2009. Oxford publication forthcom- Gegründet von Jutta Beder, Elisabeth Hackspiel und Gundula Wolter, vgl.: http://www.netzwerk-modetextil.de; http://www.waffen-kostuemkunde.de/ver- ein.php [11.08.2011]. Vgl. Gabriele Mentges, Gertrud Lehnert, Fusion ing. 21 Textil ist an der Universität Flensburg eine Ab- teilung des Instituts für ästhetisch-kulturelle Bildung Jedoch in einem Nord-Süd-Gefälle: Textil wurde und bietet ein Bachlor-Studium in Textil + Mode und ei- mit der Lehrer_innenausbildung von Norddeutschland nen Master für Lehramt Textillehre an, vgl. http:// bis Nordrhein-Westfalen in die Universitäten integriert, www.kunst-textil-medien.de/textil.html. Textiles Ge- während es im Süden weiter an den Pädagogischen stalten (Lehramt) an der Universität Osnabrück wird Hochschulen verblieb. als Fach der Kulturwissenschaften und der ästhetisch- 10 Vgl. Karen Ellwanger, Textilwissenschaft und technischen Kompetenzvermittlung mit einer Verzah- Materielle Kultur, in: Christian Becker (Hg.), Perspekti- nung von Theorie und Praxis definiert, vgl. http:// ven textiler Bildung, Baltmannsweiler 2007, S. 27– www.uni-osnabrueck.de/160_11815.html 32, hier S. 27. 2011]. Am Textil Seminar der Universität Paderborn 11 Vgl. ebd. wurde 2009/10 neben den Lehramtsstudien auch ein 12 Magisterstudiengang Vergleichende Textilwis- Bachelorstudium Mode-Textil-Design eingerichtet, vgl. 9 22 [11.08. STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 http: / / kw.uni-paderborn.de / institute-einrichtungen / 28 institut-fuer-kunst-musik-textil / textil / studiengaenge / an Kunstakademien (Österreich) oder Universitäten Eine vertiefte Ausbildung von Textillehrer_innen mode-textil-design [11.08.2011]. Textiles Gestalten (Deutschland) gibt es in der Schweiz nicht, sie ist tradi- ist am Mozarteum/Salzburg eine Fachabteilung des tionell an den pädagogischen Hochschulen verortet Instituts für Bildende Künste, Kunst- und Werkpädago- und wird dort mit einem sehr geringen Umfang von 5.5 gik, vgl. http://www.moz.ac.at/department.php?o= ECTS in der Primarstufe und mit 30 ECTS in der Se- 14008 [11.08.2011]. kundarstufe unterrichtet. Ich danke Pia Aeppli, Fachko- 22 Dieses befindet sich aktuell im Kreuzfeuer der ordinatorin Sek. I in Design & Technik – Textil (Werken Umstrukturierungsdebatten um die Pädagog_innenbil- Textil) an der Pädagogischen Hochschule Zürich für ih- dung Neu. re detaillierte Auskunft zur Schweizer Situation. 23 29 Moden und Styles ist dort ein Ordinariat am Insti- Vgl. http://www.ikg.unibe.ch/content/institut/ tut für das künstlerische Lehramt (IKL) und qualifiziert abteilungen/tk/index_ger.html [11.08.2011]. als Magisterstudium für das Lehramt im Unterrichts- 30 fach Textiles Gestalten; kulturwissenschaftliche Promo- [05.09.2011]. tionen sind dort möglich, vgl.: http://www.akbild.ac.at/ 31 Portal/studium/institute/kunstlerisches-lehramt/texti- 2012 siehe: http://www.researchportal.ch/unizh/ les-gestalten [11.08.2011]. p12184.htm [05.09.2011] 24 32 Siehe hierzu den Beitrag von Lisbeth Freiß in Vgl. http://www.styleanddesign.ch/projekte/ Unter der Leitung von Tristan Weddingen 2009- Vgl. u. a. Julia Bertschik, Mode und Moderne. dieser Ausgabe. Kleidung als Spiegel des Zeitgeistes in der deutsch- 25 Vgl. http://www.dieangewandte.at/jart/prj3/ sprachigen Literatur (1770–1945), Köln 2005; Chris- angewandte / main.jart ? rel=de&content-id=1229508 topher Breward, Caroline Evans (Hg), Fashion and Mo- 257480&reserve-mode=active [11.08.2011] dernity, Oxford 2005; Ulrich Lehmann, Tigersprung: 26 Fashion in modernity, Cambridge/Mass. 2000; Ger- Vgl. http://ugatra.pbworks.com/w/page/742 2007/FrontPage [11.08.2011]. trud Lehnert (Hg.), Mode, Weiblichkeit und Modernität, 27 Berlin 1998. Vgl. http://www.ufg.ac.at/?id=1433 [11.08. 2011]. FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 23 Lisbeth Freiß Die Regentschaft nach der Wiener Mode. Herrschaftsansprüche Kaiser Maximilians I. von Mexiko und das Regime der Wiener Mode In der europäischen Moderne tritt der Modediskurs seit Beginn des 19. Jahrhunderts als zentrale Agency von Nation, Kultur und Raum auf. Mode und moderne westliche Kleidung fungieren nicht bloß als Träger einer symbolischen Projektion, die soziale und politische Handlungsverläufe abbildet, vielmehr werden diese Verläufe von der Aktivität der Mode (mit)evoziert und wirkmächtig modifiziert. 1 Im Sinne von gegenwärtig, neu und vorübergehend definiert Baudelaire Mode im Vergleich mit Modernität und verwendet diese Begriffe synonym. 2 Der folgende Text stellt die Wirksamkeit der Mode als soziales und politisches Ordnungsinstrument am Gegenstand der Wiener Mode und ihrer Gegenbewegungen vor. Im Zuge der staatspolitischen Neuordnung Europas im 19. Jahrhundert aktiviert die Wiener Mode soziale und räumliche Grenzziehungen: „Politiken der Erscheinungen“ 3 bedingen zum einen die binnenkoloniale Konturierung des Vielvölkerstaates Habsburgermonarchie am Körper seiner StaatsbürgerInnen, aber auch außerhalb die Grenzziehung und Positionierung in Europa. Beiträge aus Modezeitschriften und der Kostümgeschichte sollen beispielhaft aufzeigen, wie das Regime und die Politiken der Wiener Mode die Regentschaft Kaiser Maximilians I. von Mexiko (1864–1867) mitregieren. Konzeption und Entwicklung einer Wiener Mode erfolgen zeitgleich mit inner- und außerkolonialen Grenzziehungen, die imperiale Bestrebungen in der Politik der Habsburgermonarchie im Verlauf des 19. Jahrhunderts dominieren: Innerkoloniale Grenzziehungen konzentrieren sich auf den Erwerb süd- und osteuropäischer Territorien, während der Bruder des Kaisers der k. u. k. Monarchie, Erzherzog Maximilian Ferdinand von Habsburg, die Regentschaft über Mexiko anstrebt. Im k. u. k.-Staat gefährdet jedoch die Nationalitätenfrage die Bekundung eines einheitlichen habsburgischen Imperiums. Der imperiale Status wird für das schwach integrierte Vielvölkerreich zum Grenzfall. Während das Imperium Heterogenität und Unterschiede aller Art betont, repräsentiert der k. u. k.-Staat eine von der Hauptstadt Wien ausgehende, einheitsstiftende Politik, die jedoch die horizontale 24 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 gesellschaftliche Integration begrenzt. 4 Um eine Klammer zwischen imperialer Elitenbildung und nationalstaatlichen Bestrebungen zu bilden, tritt die Wiener Mode als Agency des Nationalen auf. Als Medien und Produzenten der Mode vereinnahmen Wiener Modejournale neben Volkstrachten und vestimentären Eigenarten auch Modeneuheiten aus Paris oder London, um daraus eine eigene Wiener Mode zu entwerfen. Zur Herstellung und Repräsentation homogener Nationalstaatlichkeit, „modelt [die Wienerin] [...] so lange [an den vestimentären Andersartigkeiten] [...] bis das fremde Kind gut wienerisch geworden ist.“ 5 Die Konzeption der Wiener Mode zwischen Ausgrenzung und Aneignung Vom Adel und der wohlhabenden Gesellschaft Wiens ausgehend etabliert sich die Wiener Mo- de 6 ab dem Wiener Kongress (1815) und von der Hauptstadt des Habsburgerreiches ausgehend. Bereits 1805 ernennen Fachjournale Wien zur Metropole der Mode. Artikel wie beispielsweise Revoluzion der Toilette 7 fordern die Entwicklung einer repräsentativen Kleidung nach dem Bild der Mode, deren kunstvolle Beschaffenheit nicht nur die „phantasievollen [...] Putzgeräthe“ 8 der barbarischen Völker aller Weltteile überbiete. Im Auftrag der Nationenbildung und im Kontext nationaler Geschmacksbildung soll das Modediktat für die Wienerin vor allem die Rückständigkeit der Kreationen aus der führenden Modemetropole Paris aufzeigen und überschreiben. Mit der Regentschaft von Schönheit und Eleganz aus Wien strebt die Habsburgermonarchie eine Festigung ihrer staatspolitischen Position innerhalb Europas an. Um die nationale Überlegenheit gegenüber anderen Völkern und Ländern zu behaupten, etablieren die Wiener Zeitschriften einen Diskurs von Fortschritt, Bildung, Kulturalisierung und Nationenbildung entlang der Mode. Das Journal Charis erschafft die Mode als Teil einer Geistes- und Geschmackskultur. 9 In dieser Definition zeigt das Erscheinungsbild nach der Mode den Fortschritt der kulturellen Entwicklung einer Nation auf. Der fehlende Modebegriff im Vokabular einer Sprache hingegen, die „kein Wort für das was wir Mode nennen“ 10 hat, wird zum Indikator für kulturelle Rückständigkeit. Das Titelblatt des Wiener-Modejournals für das Jahr 1805 (WMJ 1805) verfestigt den Zusammenhang zwischen Mode und Kulturalisierung. Das einleitende Zitat des deutschen Dichters Friedrich Schiller ortet in der Mode ein Merkmal von Kultur. 12 Die Vertreter „des gebildeten Welttheils“ 13, denen das WMJ (1805) alleinig den Besitz von Bildung und Kultur zuspricht, werden zu Produzent_innen der Mode ermächtigt. Um mit einer eigenen Modeproduktion aus Wien über die Vielfalt der vestimentären Erscheinungsbilder zu triumphieren, verweist die Zeitschrift auf das kunstvoll gestaltete prächtige Auftreten indigener Völker Nord- und Südamerikas. Die bemerkenswerten Leistungen des „kühnen Wil- FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 25 den [und seiner] regsamen Phantasie [...] auf der Oberfläche seiner tatuierten Haut“ verleiten den unbekannten Autor des Beitrags Revoluzion der Toilette nahezu „ein ModenJournal der Wilden“ zu verfassen. 14 „Der kühne Wilde! Er hat schon alle Gränzen der Malerei umschritten. Sie können auf seiner Haut die Arabesken, das Historische und die Landschafts-Malerei bewundern, während Sie mit dem simplen Roth in Weiß und etwas Tusch in den Augenbrauen, uns eine ewige Langeweile unterhalten“. 15 Von den Politiken der Erscheinung als Andersartigkeit postuliert ist die Mode aufgefordert, sich in einer Strategie des „Othering“ 16 zwischen Aneignung und Ausgrenzung des Anderen zu erschaffen. Ausgrenzungen zeigt das WMJ, das als Massenmedium zu einem wesentlichen Modeproduzenten wird, in der Fortsetzungsreihe Das gesellschaftliche Leben in Istrien beispielhaft auf. 17 Der Artikel definiert die Vorgaben eines modischen Erscheinungsbildes, das die Bekleidungspraktiken des „Provinzadels“ an den Rändern der Monarchie genauso wie die der „gemeinen Istrier, [...] und ihrer schwarzbraunen Weiber“ als kulturlos und rückständig klassifiziert und vom Modegeschehen ausschließt. 18 Die deutschsprachigen Modejournale und ihre wohlhabende deutschösterreichische Leserschaft installieren in der Wie- ner Mode ein koloniales und binnenkoloniales Ordnungsinstrumentarium, das nach der Strategie der Ausgrenzung Bekleidungspraktiken an den Rändern der Monarchie als Andersartigkeit ausschließt. Der Einschreibung französischer Modehegemonie in Kreationen aus Paris setzt die Wiener Toilette den Anspruch auf eigene Originalität entgegen. 19 Die Medien der Mode knüpfen ihre Herkunft an den Begriff des Originals und aktivieren mit eigenen Modellen ein vestimentäres Ordnungsinstrumentarium im Prozess der Nationenbildung. Um den Status der Ursprünglichkeit für sich behaupten zu können, ernennt sich Die Wiener- Moden-Zeitung 1816 (WMZ) selbst zur Produzentin einer Wiener Mode und die Hauptstadt der Habsburgermonarchie zur führenden Modemetropole Europas. 20 Die Journale installieren ein Regime der Mode, das zur Unterstützung der binnenkolonialen und europäischen Positionierung des Habsburgerreiches bei der Neuordnung Europas auftritt. Die deutschösterreichische Herrschaft der Modeproduzent_innen ruft sogar ihre Regentschaft über Frankreich aus. „Pariser Moden gehen von Deutschen aus. [...] Die französischen Schneider erkennen aber auch die Überlegenheit ihrer deutschen Collegen so vollständig an, dass sie sich gar nicht selten deutsche Namen beilegen, um sichere Kundschaft zu erhalten“. 21 Der Zusammenschluss aus Herkunft und Originalität zu einer Wiener Modekreation reguliert die einheitsbildende nationale Identifikation für die Staatsbürger eines Vielvölkerreiches. Umbenennungen in den Titeln der Journale spiegeln zum einen die Instrumentalisierung von Kleidung und ihrer Aufgabe wider, kollektive Identifika- 26 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 tionen des Nationalen herzustellen. Zum anderen bewirken die Änderungen die Verortung des Moderegimes in der Hauptstadt Wien. Forderungen nach nationaler Eigenständigkeit spitzen im Revolutionsjahr 1848 die vestimentären Politiken im Auftrag nationaler Homogenisierung erheblich zu. Von der Übernahme des Pariser-Moden-Journals 22 durch die Deutsche National-Moden-Zeitung 23 1849 ausgehend, bekräftigt die Titelabänderung in Wiener (!) National-Moden-Zeitung 24 im Jahre 1856 die zentrale Rolle Wiens in der Nationenbildung. Nach Benedict Anderson produzieren Massenmedien jene „vorgestellte Gemeinschaft“ 25, die letztlich die Erfindung der Nation 26 maßgeblich prägt. Massenmedial verbreitete Beiträge der Modezeitschriften haben einen großen Anteil am Entwurf von „Gesellschaftsgeografien“ 27, die mit sorgfältiger Kennzeichnung von allgemeinen Details durch Sprache, Printmedien und Massenproduktion entstehen. Die Mode tritt dabei als ein ästhetisches Regime mit klassen, geschlechts- und rassenspezifischen Differenzierungen auf, das TrägerInnen als gebildet und kultiviert ausweist und somit die Untertanen als überlegene, weil (nach der Mode) angezogenen Elite regiert. Außerdem schließen Modejournale anthropologische Abhandlungen über die Physiognomie der Bewohner_innen einer Nation in den Modediskurs mit ein. Im Artikel „Der Teint der Frauen“, der in der Wiener Eleganten 28 erscheint, definiert die Hautfarbe nationalstaatliche Zugehörigkeit: „(Der Teint der Frauen) entspricht gewöhnlich dem Boden ihres Vaterlandes. Die Italienerinnen und Spanierinnen haben dagegen die sonnengebräunte Farbe, die man wegen ihrer unverkennbaren Ähnlichkeit mit dem Boden terra siena nennt. Die Negerinnen kommen alle aus Ländern, deren Erde schwarz und pechartig ist. Die türkischen Frauen, welche auf weißem Sande, auf einem Boden der ein Rosenbett ist, wohnen, kommen alle weiß und rosig auf die Welt“. 29 Physiognomie und Hautfarbe treten als ein maßgebender Akteur zur „Verortung der Kultur“ 30 auf. In diesem Prozess verschränkt sich die Modeproduktion nicht nur mit der Typologisierung so genannter „Nationalphysiognomien“ 31, sondern sie nimmt auch Abhandlungen über die Nationalkleidung 32 und die Kostümgeschichte in den Modediskurs auf. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt die Verwissenschaftlichung des Bekleidungsfaches über die Kostümgeschichte. Historische Kleidungsformen, die Heinrich Klemm im „Versuch einer Urgeschichte der Bekleidung vom technischen Standpunkte“ 33 beispielhaft aufzeigt, führen den Begriff der Tradition in die akademisch geführte Reflexion des Bekleidungsfaches ein. Die Wirksamkeit aus Geschichte und Herkunft des Erscheinungsbildes eines Volkes / einer Kultur fungiert als Garant für nationale Authentizität. In diesem „System sinnlicher Evidenz“ 34 dient moderne Kleidung der Klassifikation von Kultur genauso wie den Konstruktionen von FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 27 Raum, Zeit, Geschlecht, Klasse und Rasse. Über die Verfügbarkeit von modischer Kleidung zu einem Privileg erklärt, eröffnet die Mode jene Differenzperspektiven, die ihre Wirkungsmacht im Erscheinungsbild einfordert. Wiener Moden in Mexiko Während imperiale Eliten in Österreich die Wiener Mode zur Herstellung einer nationalen und innerkolonialen Ordnung vereinnahmen, dient das Konzept der Wiener Mode der Regentschaft Erzherzog Ferdinand Maximilians zum Kaiser Maximilian I. von Mexiko als außerkoloniales Ordnungsinstrumentarium. Auf Drängen Napoleons III. ermächtigt sich der österreichische Erzherzog im Jahre 1864 zur Annahme der mexikanischen Kaiserkrone. Von Beginn an scheint das Chaos des Bürgerkrieges zwischen Monarchisten und Liberalen die Regentschaft zu gefährden. Als Kaiser Maximilian I., dessen Proklamation von der Republik Mexiko nicht anerkannt wird, gelingt es der neuen Kolonialherrschaft weder die spanischen Kolonialherren noch die Masse der indigenen Bevölkerung für seine liberal gesinnte Politik zu gewinnen. Nach Abzug der französischen Truppen und ohne Unterstützung Napoleon III., der die französische Besatzung an die Front des nord-amerikanischen Unabhängigkeitskrieges verlegt hat, scheitert die koloniale Machtübernahme des Habsburgers in Mexiko. Ausgehend von Bekleidungsstilen, der Physiognomie und dem Verhalten der Bewohner_innen Mexikos dehnen Wiener Modezeitschriften und die Kostümgeschichte die Wirkungsmacht des Regimes der Wie- ner Moden auf Mexiko aus, um den Machtanspruch Kaiser Maximilians I. zu bekräftigen. Nach der Strategie eines Otherings übertragen Wiener Modejournale den Diskurs über die Art, wie die Elite sich zu kleiden hat, in die Neue Welt. Die Kostümgeschichte hingegen konzipiert die Bekleidungsart für die indigene Bevölkerung entlang einer vestimentären Urgeschichte. Ein Artikel in Die Wiener Elegante. Original-Modeblatt 35 (DWE) unterwirft 1844 mit einem geschickten Vergleich den Kleidungsstil Mexikos den Wiener Modegesetzen: Franz Kratochwill, der Herausgeber des Blattes, unterstellt die Alameda sowie auch alle anderen Promenaden in Mexiko-Stadt den „herrschenden Modegesetzen“ 36 aus Wien. Das Blatt erklärt den modischen Kleidungsstil des Wiener Praters zum Normativ für den Auftritt der kolonialen Elite in Mexiko. In einem „Überblick der verschiedenen Volksklassen“ 37 und ihrer Kleidungsstile erstellt das Wiener Modediktat die Kriterien zur sozialen und rassischen Kategorisierung der Bewohner_innen. Aus der Tracht der spanischen Kolonialherren des 16. Jahrhunderts, die der „Kleidung des Spanisch-Mexikanischen Reiters [...] aus einer kurzen Ärmelweste und weiten [an der Seite offenen] Pantaleons“ 38 entspricht, (er)findet die DWE eine Nationaltracht für die mittleren und niederen ländlichen Klassen. 28 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 1 „Maniquí que representa a un guerilliero mexi- cano. Foto de autor anónimo“, in: Arturo Aguilar Ochoa, La Fotografia durante el Imperio de Maximiliano. Mexico City 1996, S. 117 Im Gegensatz zur Aufmachung der herrschenden Klasse von Kolonialherren, die von der „sonderbaren Mischung aus französischer Eleganz mit altspanischen Sitten und Gebräuchen“ 39 gekennzeichnet ist, verweist die Charakteristik dieser Nationaltracht auf den untergeordneten Rang ihrer Träger und deren Kampfgeist für liberale Reformen (Abb. 1). Das Regime der Wiener Mode organisiert die Neuordnung aller „verschiedenen mexikanischen Volksklassen“ 40 mit den Politiken der Erscheinung. Auf eine ganz spezifische Weise verbinden die Wiener Modegesetze die Kleidung mit Beschreibungen des Charakters, der Physiognomie, von Sitten und Gebräuchen, um derart die nationale Eigenart von Mexikos Bewohner_innen herzuleiten und zu definieren. Zuschreibungen von Disziplinlosigkeit, Trägheit, Vernachlässigung und Gleichmut produzieren eine stereotype, mexikanische Eigenart. Dabei erklärt der (unbekannte) Autor des Artikels Moden in Mexiko „Schnürleiber [...] für überflüssig, [...] da die Mexikanischen Damen die Schönheit und Regelmäßigkeit der Formen bis gegen das höhere Alter hin bewahren, obwohl alle, selbst die jüngsten, eine gewisse Neigung zur Dickleibigkeit haben“. 41 Erst im Vergleich mit der Wiener Mode FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 29 entsteht der Mangel hinsichtlich der „Korrektheit und des tadellosen Sitzes“ 42 von Rock und Bluse der Mexikanerin. Die Kritik richtet sich sowohl auf den Auftritt in der Öffentlichkeit als auch auf das häusliche Erscheinungsbild. „Zu Hause [...] sind sie [die mexikanischen Damen] immer im Negligé ohne Strümpfe und mit ungekämmten Haaren. Bei Visiten sitzen sie auf kleinen, niedrigen Tabaurets, und rauchen Zigarren, welche sie um den Finger nicht zu besudeln, mit kleinen, am Hals mittelst einem kleinen hangenden silbernen Zängelchen halten“. 42 Bekleidung, Gebräuche und das Verhalten der herrschenden Schicht der Kolonialherren bestimmen die Typologisierung von Mexikanern und Mexikanerinnen. Beispielsweise verleiht in der Festlegung der mexikanischen Eigenart die Zigarre, zum Männlichkeitssymbol erklärt, rauchenden Mexikanerinnen maskuline Züge. Im Jahre 1844 spezifiziert die DWE mit einem Beitrag über gesellschaftliche Zusammenkünfte in Mexiko, genannt Tertulia 43, den Entwurf des sogenannten mexikanischen Nationalcharakters nach den Gesetzen der Wiener Mode. Der Bericht über Eine Tertulia in Mexico 44 ermächtigt alleinig den österreichischen Gesandten, der Kolonialherr und damit zugleich Fremder im Land ist, zum Studium des mexikanischen Charakters. Dieser allein besitzt 2 „Eine Tertulia in Mexiko“, in: Franz Kratochwill (Hg.), Die Wiener Elegante. Original-Modeblatt. Nr. 1, 15.3.1844, Jg. 3, Wien 1844, S. 23 30 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 3 „Sra. Guadelupe Morán de Gorozpe, dama de palacio. Foto Cruces y Campa“, in: Arturo Aguilar Ochoa, La Fotografia durante el Imperio de Maximiliano. Mexico City 1996, S. 73 die dafür notwendige Perspektive des Außenstehenden, die ihn dazu legitimiert. Er selbst sieht sich auch in dieser Position und spitzt nun die bereits zugeschriebenen Eigenschaften wie Disziplinlosigkeit, Trägheit, Gleichmut, Vernachlässigung zu. Der Autor rühmt „den glücklichen Moment, welcher uns die mexikanischen Damen in einer ihrer vielgeliebten Tertulias versammelt vorstellt und in den nur [sic] der Fremde die beste Gelegenheit hat, den mexikanischen Charakter zu studieren“ (Abb. 2). 45 Die Mode tritt als ein maßgebender Akteur in der sozialen und rassischen Hierarchisierung bei der Erfindung der mexikanischen Nation auf. Im Zusammenspiel von Kleidung und Physiognomie legt der Bericht des österreichischen Gesandten die Kriterien zur Kategorisierung der feinen und der mexikanischen Gesellschaft fest. Eine dunkle Hautfarbe, ein kräftiger Körper, Barfüssigkeit sowie die einfache, schmucklose Bekleidung der Dienerin / Sklavin aus langem weitem Rock, einfacher heller Bluse und Kopftuch werden zu Aktanten, die im System der Mode ein hierarchisches Ordnungsmuster konzipieren. Während das Signifikat rassischer Andersartigkeit die Klassifizierung der untersten Gesellschaftsschicht aus der Physiognomie und der Einfachheit der Bekleidung festlegt, repräsentiert sich der Hof im Auftritt nach der Wiener Mode (Abb. 3). Aus der Perspektive des FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 31 Eigenen / des österreichischen Gesandten differenziert das Wiener Modediktat die Formen vestimentärer Andersartigkeit, um die Wirkungsmacht der Wiener Mode für den kolonialen Ordnungsprozess aufzubereiten. Der Bericht organisiert den Triumph der Wiener Mode über den Pariser Chic, der einer in Europa regierenden Dynastie den Herrschaftsanspruch in der Neuen Welt sichern soll. Im Jänner 1864, wenige Wochen vor der Proklamation Maximilians von Habsburg zum Kaiser von Mexiko, bekräftigt die Pariser & Wiener Original Damen-Moden-Zeitung Iris 46 die Forderung nach der nationalen Prägung im repräsentativen Auftritt der österreichischen Kolonialmacht. Das Original Pariser Modebild 47 wird zur Kostümierung für die Karnevalssaison. In der Verkleidung für die Wiener Ballsaison verwirft das Organ der Wiener Mode die Identifikation mit den Hegemonien Frankreichs oder Spaniens in der Neuen Welt. Unter der Maske „aus der Zeit König Louis XVI. [sowie] der spanischen Zigeunerin“ 48 zelebriert die feine Wiener Ballgesellschaft jene mimetische Übung, die den Machtanspruch über Mexiko in der vestimentären Beherrschung einstudiert. Zum Auftakt der kolonialen Herrschaft erproben am Vorabend der Proklamation des österreichischen Erzherzogs zum Kaiser von Mexiko der Adel und das wohlhabende Bürgertum Wiens die Regentschaft über Frankreich und Spanien. In der Verkleidung des französischen Königs widersetzt sich das Regime der Wiener Mode der Macht Frankreichs. Die spanische Maskerade ruft das Scheitern der spanischen Kolonialherren in Mexiko auf, das im Chaos des Bürgerkriegs zu versinken droht. 49 Die Inthronisierung Maximi- lians und seiner Gemahlin Charlotte in Mexiko-Stadt wird zum Ereignis, das prachtvoll von der Kleidung untermalt wird. Ihr kommt die Funktion zu, die künftige Regentschaft des Herrscherpaares maßgeblich zu unterstützen. Modejournale haben einen einflussreichen Anteil am Entwurf von „Gesellschaftsgeografien“ 50, der mit vestimentären Vorstellungen die Erfindung der mexikanischen Nation anleitet. Kretschmers und Rohrbachs Ausführungen über Die Trachten der Völker (1864) 51 intervenieren für ein hierarchisches vestimentäres Ordnungsmuster, das die Gesellschaft räumlich strukturiert. Nach der Kostümgeschichte soll „was im Laufe der Zeit nacheinander an Kleidung erschienen ist, auch heute noch im Raume nebeneinander“ 52 auftreten. Um die parallel existierenden Bekleidungsformen, die zum einen die Mode anleiten und die zum anderen vom Wandel der Mode unbeeinflusst scheinen, in all ihrer Vielfalt zu klassifizieren, kategorisieren die Kostümgeschichtsschreiber vestimentäre Andersartigkeit auf der Grundlage kultureller Bewertung. Die einleitende kulturhistorische Betrachtung definiert, „was einem Volke zur Erscheinung kommt“ als Produkt „seiner Abstammung, seines Wohnsitzes und seiner Geschichte“. 53 Der Modus von Bekleidung bewertet die geschichtliche Bedeutsamkeit der Völker und fasst sie in einer universellen Kostümgeschichte zusammen. Dabei verbinden die Kos- 32 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 4 „Vendedores de pollo. Foto F. Aubert“, in: Arturo Aguilar Ochoa, La Fotografia durante el Imperio de Maxi- miliano. Mexico City 1996, S. 121 FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 33 tümhistoriker Bekleidungsstile einzelner Völker mit Ländern und Territorien und erstellen aus der Kultur des Bekleidens eine neue Kartographie der Welt. Als Teil der Kulturgeschichte schreibt sich die Kostümgeschichte in den wissenschaftlich geführten Diskurs ein. 54 Die Differenzierung zwischen Putz und Kleidung polarisiert zwischen dem nackten, mit Naturprodukten wie Blättern, Federn und Bemalung „geputzen“ 55 Körper und dem bekleideten Körper. Als Resultat von Kenntnissen und Techniken, die Naturprodukte in speziellen Verfahren verarbeiten, bewertet Kleidung nicht nur den kulturellen Status der Trägerinnen, sondern produziert zudem über ihre Art und Weise soziale und rassische Zuordnungen bzw. Ausschlüsse. Interessanterweise wird Mexiko unter dem Kapitel Neuzeit 56 in die Kostümhistorie aufgenommen. Aus (kostüm)geschichtlicher Perspektive aktiviert erst der Auftritt der Spanier die Geschichtsschreibung Mexikos. Aus dem Rückblick auf Bekleidungspraxen sogenannter präkolumbianischer (sic!) Kulturen generieren die Autoren eine vestimentäre Urgeschichte Mexikos. Unter Berufung auf Jahrhunderte lange und somit als traditionell erachtete Bekleidungsformen wird die indigene Bevölkerungsgruppe als unterste Klasse der Gesellschaft von der ständigen Erneuerung des sich wandelnden Modegeschehens ausgeschlossen. Die Autoren plädieren für die einheitliche Einkleidung der indigenen Völker Mexikos, obwohl sich diese im Jahre 1864 aus „acht bis neun ganz verschiedenen Sprach- und Völkerfamilien“ 57 zusammensetzen, nach einer sogenannten aztekischen Urtracht (Abb. 4). Die Uniformierung der indigenen Bevölkerung ergänzt das vestimentäre Spektrum der Bekleidung nach der Mode und vervollständigt die Kategorisierungen von Rasse, Klasse und Geschlecht. Während Maximilian und seine Gemahlin Charlotte am Kaiserhof die Wiener Mode zum Signifikat der Kolonialmacht erheben, (er)findet die Kostümgeschichte den Urtypus der Bekleidung zur Charakterisierung der indigenen Bevölkerung. Ein einfaches Webstück mit einem Halsloch in der Mitte, das Faza- da oder Sherape 58 genannt wird und nahezu den ganzen Körper verhüllt, aktiviert die Zuteilung zur indigenen Schicht (Abb. 5). Zur vestimentären Kennzeichnung der niedrigsten Klasse reiht der Entwurf unterschiedliche Bekleidungsarten und charakteristische Elemente der aztekischen Tracht aus der Zeit der spanischen Eroberung aneinander. „Original-Sculpturen [aus der Sammlung] [...] des ethnografischen Kabinetts des Berliner Museums“ 59 sowie die „Verwandtschaft der alten mexikanischen Tracht mit der heutigen mancher Indianerstämme Amerika’s“ 60 inspirieren den kostümhistorischen Entwurf. Aus der Einfachheit, mit der sich die herrschende Klasse der Azteken einst kleidete, ziehen die Autoren den Schluss, dass alle übrigen Stämme „sich kaum anders haben tragen können“ 61. In Referenz auf die Tracht einstiger Priester und Könige überschreibt die mexikanische Nationaltracht die Diversität der indigenen Bevölkerung und schließt sie in nationaler Ver- 34 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 5 „Mexicanisch“, in: Albert Kretschmer, Carl Rohrbach, Die Trachten der Völker. Leipzig 1864, Bildtafel einheitlichung zusammen. Ein von aztekischen Herrschern hergeleitetes Vorrecht, das die „Verhüllung des ganzen [sic!] Körpers vom Hals bis zu den Füßen“ 62 einräumt, sichert die Aufwertung der indigenen Bevölkerungsklasse. Durch das Zitat des Herrschers und Priesters zum ‚edlen Wilden‘ erhoben, dient sie künftig unter einem Herrscher aus dem Hause Habsburg. Das Postulat der Kostümgeschichte verortet ihre Erscheinung im Ausdruck einer „symbolischen Beziehung der Gemeinschaft, der Herrschaft“ 63. Die Reaktivierung und Konzeption von ursprünglichen Bekleidungsformen durch die Kostümgeschichte gestaltet nicht nur die Symbolik des Verhältnisses zwischen Herrscher und Beherrschten. Die Synergie aus der Kostümgeschichte und dem System der Mode entfaltet in der Kategorisierung der Erscheinungsbilder eine Handlungsmacht, die als Agency staatspolitischer Interessen auftritt. FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 35 1 Vgl. Bruno Latour, Eine neue Soziologie für eine und Schnitt = Tafeln aus der Europäischen Moden = neue Gesellschaft, Frankfurt a. M. 2007. Zeitung für Herrengarderobe, technischem Organ der 2 allgemeinen deutschen Bekleidungs-Akademie, Dres- Vgl. Charles Baudelaire, Der Künstler und das moderne Leben, Leipzig 1990. „Die Modernität ist das den und Wien 1856. Vorübergehende, das Entschwindende, das Zufällige, 25 ist die Hälfte der Kunst, deren andere Hälfte das Ewige Frankfurt a. M. und New York 1991 [zuerst 1983], und Unabänderliche ist.“ Ebd., S. 301. S. 39. 3 Richard Wrigley, The politics of appearances: re- 26 Ebd. presentations of dress in revolutionary France, Oxford 27 Anderson (wie Anm. 25), S. 38. u. a. 2002. 28 „Mannigfaltiges aus der Modewelt. (Der Teint 4 der Frauen)“, in: Die Wiener-Elegante. Original-Mode- Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt, Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation, München 2009, S. 626. blatt 4 (15. Februar 1844), 3. Jg., S. 14. 5 29 Ebd. Mode 1 (1888), S. 25. 30 Bhaba (wie Anm. 16). 6 31 Vgl. Heinbucher Edlen Joseph von Bikkessy, Jenny Neumann, Wiener Modebericht, in: Wiener Vgl. Gerda Buxbaum, Mode aus Wien. 1815– 1938, Salzburg und Wien 1986. Pannoniens Bewohner in ihren volksthümlichen Trach- 7 ten auf 78 Gemälden dargestellt nebst ethnographi- „Revoluzion der Toilette“, in: Wiener Moden-Jour- nal für das Jahr 1805, 4 (1805), S. 37–39. scher Erklärung, Wien 1820. 8 Ebd., S. 38. 32 9 Charis. Ein Magazin für das Neueste in Kunst, deutsche Frauen, Freyburg und Constanz 1815. Karoline Pichler, Über eine Nationalkleidung für Geschmack u. Mode, Lebensgenuss u. Lebensglück, 33 Leipzig 1806, S. 10. der Bekleidung vom technischen Standpunkte, in: Wie- 10 „Revoluzion der Toilette“ (wie Anm. 7), S. 39. ner-National-Moden-Zeitung (wie Anm. 24) 1 (1858), 12 Ebd., S. 39 Jg. 1858, o. S. 13 Ebd., S. 38. 34 14 Ebd. chen, Berlin 2006. 15 Ebd. 35 16 Vgl. Homi K. Bhabha, Die Verortung der Kultur. ginal-Modeblatt 1 (1. Januar 1844), 3. Jg., S. 3. Heinrich Klemm, Versuch einer Urgeschichte Vgl. Jaques Ranciere, Die Aufteilung des Sinnli„Moden in Mexiko“, in: Die Wiener-Elegante. Ori- Mit einem Vorwort von Elisabeth Bronfen, Tübingen 36 Ebd. 2000. 37 Ebd. „Das gesellschaftliche Leben in Istrien“, in: Wie- 38 Ebd. ner Moden Journal für das Jahr 1805, 1 (1805), 39 Ebd. S. 2–5; 2 (1805), S. 13–16. 40 Ebd. 18 41 Ebd. Anm. 17), S. 2 und S. 14. 42 Ebd. 19 Wiener-Moden-Zeitung 52 (1816), Ankündi- 42 Ebd. gung, die Fortsetzung dieser Zeitschrift auf das Jahr 43 „Eine Tertulia in Mexico“, in: Die Wiener Elegan- 1817 betreffend, o.S. te. Original-Modeblatt 6. (15. März 1844), S. 23. 20 Ebd. 44 Ebd. 21 „Mannigfaltiges aus der Modewelt. (Pariser Mo- 45 Ebd. den gehen von Deutschen aus)“, in: Die Wiener-Elegan- 46 Iris. Original-Pariser-Moden-, Muster- und Klei- te. Original-Modeblatt 17 (1. September 1844), 3. Jg., der-Magazin für Damen 3 (15. Januar 1864), 16. Jg. S. 66. 17 „Das gesellschaftliche Leben in Istrien“ (wie 47 Ebd., S. 19. 22 Pariser-Moden-Journal, Wien 1848. 48 Ebd. 23 Deutsche National Moden Zeitung, Wien 1849. 49 Vgl. Wolf Middendorf, Maximilian, Kaiser von 24 Wiener-National-Moden-Zeitung. Mit deutschen, Mexiko. Sein Leben und sein Prozess in historischer französischen und englischen Original = Modekupfern und psychologischer Sicht (= Veröffentlichungen der 36 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Gesellschaft Hamburger Juristen; 13), Köln 1981, 56 Ebd., S. 266–268. S. 11ff. 57 Ebd., S. 267. 50 Anderson (wie Anm. 25), S. 38. 58 Ebd., S. 268. 51 Albert Kretschmer, Carl Rohrbach, Die Trach- 59 Ebd., S. 266. ten der Völker, Leipzig 1864. 60 Ebd. 52 Ebd., S. 3. 61 Ebd., S. 267. 53 Ebd., S. 1. 62 Ebd. 54 Ebd., S. IV. 63 Ebd. 55 Ebd., S. 3. FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 37 Ines Doujak Webschiffe, Kriegspfade / Telares, Senda Guerrera / Loom Shuttles, Warpaths Ein exzentrisches Archiv Das auf zwei Jahre angelegte künstlerische Forschungsvor- haben Webschiffe, Kriegspfade nimmt seinen Ausgangspunkt in einer subjektiven Sammlung von Textilien aus dem andinen Raum. Die Sammlung beinhaltet so unterschiedliche Stoffe wie die Schürzen der Marktfrauen von La Paz oder die rituellen Ponchos von amazonischen SchamanInnen und umspannt einen Zeitraum von fast 2000 Jahren. Das Projekt entstand aus einer lang andauernden Beziehung zu lateinamerikanischen Ländern mit zahlreichen Reisen; die ausgedehnteste erstreckte sich über ein Jahr und liegt 34 Jahre zurück. Damals begann mein Interesse an der Webkunst als der zentralen Ausdrucksform der Anden, die dort seit jeher das Leben in allen Aspekten strukturiert und sich immer verknüpft mit symbolischen und angewandten Funktionen. Textilien, im Westen gefangen in einem Netz von Archäologie und Ethnografie, erschienen mir als feministischer Künstlerin, die darüber hinaus schwerpunktmäßig zu Kolonialismen und Postkolonialismen arbeitet, das geeignete Medium zu sein, um die nach wie vor stark asymmetrischen Verhältnisse zwischen Europa und Lateinamerika einer weiteren Betrachtung zu unterziehen. Darüber hinaus ermöglichen Textilien als Überbringer von zahlreichen Formen des transkulturellen Transfers die Verknüpfung zu weltweiten, gegenwärtigen und historischen Strukturen der Ausbeutung, aber auch der Auflehnung. Aus der Zeit der ersten Reise stammen auch die ältesten Teile des Archivs, weitere Sammlungsgegenstände wurden bei einer zwei Jahre zurückliegenden Forschungsreise, die sich bereits spezifisch mit dem Thema befasste, bzw. dieses Jahr hinzugefügt. Die 48 Sammlungsgegenstände sollen allerdings nicht nur dokumentiert, sondern visuell interpretiert werden. Dazu wurden Archivkarten entworfen, auf denen jeweils ein fotografiertes und collagiertes Archivstück zu sehen ist. Dieses Bild wird durch zwei Inschriften durchkreuzt. Die eine beschreibt jeweils einen Begriff zu der Kolonialität von Farben und Stoffen, wie z. B. Baumwolle oder Indigo. Zusätzlich markiert eine Zahl einen bestimmten Tag oder ein Jahr eines emanzipatorischen Kampfes, der im Zusammenhang mit Textilien 38 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 und Textilproduktionen steht, wie z. B. 0406, dem Tag des Aufstandes der Schlesischen WeberInnen 1844. Oder 0803, dem Internationalen Frauen / Lesben / Mädchen Kampftag, der aufgrund eines Streiks von Textilarbeiterinnen in New York 1908 ausgerufen wurde, bei dem die Streikenden in die Fabrik eingesperrt wurden und darauf folgend bei einem Feuer ums Leben kamen. Aktuell sind die Sammlungsgegenstände an 48 ExpertInnen aus den unterschiedlichen Wissensfeldern weltweit verteilt. Diese haben ein spezifisches Textil für eine begrenzte Zeit mit der Aufforderung erhalten, mit diesem in einen Dialog zu treten und die Ergebnisse der Auseinandersetzung textuell oder visuell zu übermitteln. Diese Kartografien, Umarbeitungen und Erweiterungen sind quasi die Rückseiten der Archivkarten und der Versuch eines unordentlichen und durchmischten Inventariums. Um das Archiv zu dynamisieren, es möglichst weit zu verbreiten und zugänglich zu machen, wurden die unterschiedlichsten Verbreitungsformen überlegt wie beispielsweise Plakate, die in öffentliche Räume gehängt werden sollen, Postkarten, die verschickt und in die weitere Einschreibungen erfolgen können. Die Archivkarten werden weiters auf der projekteigenen Web-site sowie in einer abschließenden Publikation veröffentlicht. Webschiffe, Kriegspfade will damit ein ungesehenes, marginalisiertes, ex-zentrisches Archiv bereitstellen, dessen Konsultation eine notwendige Voraussetzung für das Entwickeln neuer politischer und ästhetischer Phantasien zu sein hofft. Anhand des ex- zentrischen Archivs und entlang von indigenen Wissensbeständen wird Webschiffe, Kriegspfade Anknüpfungspunkte zu weltweiten Kolonialismen erstellen und Verbindungen zwischen ihrer vergangenen und gegenwärtigen Geschichte beschreiben. Denn Textilien sind Träger von Übermittlungen, die lange vor dem Globalismus die Welt durchquert haben und die die gewaltförmige und identitäre Politik des Kolonialismus in sich bergen. Die Produktion, der Austausch sowie der Konsum, der Gebrauch und das Benutzen von Textilien und Kleidung war seit jeher ein markantes Feld für Aushandlungen von Differenz. Textilien sind Dreh- und Angelpunkte für die kulturelle, soziale und politische Organisation, die Geschlecht, ethnische Zuschreibung und soziale Position miteinander verstricken. Textilien stehen jedoch auch für das strukturell unterbewertete Weibliche. Das war nicht immer so: Indigene Gruppen in Borneo zuerkannten den Weberinnen den gleichen sozialen Status wie den Kopfjägern, nämlich den höchsten. Es hieß, der Webstuhl ist ihr Kriegspfad. Textilien im andinen Raum Die Textilien der Sammlung kommen aus dem Gebiet des heutigen Perus und aus Bolivien, wo die ersten identifizierbaren Besiedlungen auf 10.000 v. u. Z. datiert werden können. Zu den aufgrund ihrer herausragenden materiellen Zeugnis- FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 39 se bekanntesten gehören die Kulturen der Chancay, Nazca, Paracas, Chavin, Chimú, Huari, Mochica und der Tiwanaku. Der physische und kulturelle Raum, den die spanischen InvasorInnen 1531 betraten, war eine multiethnische und vielsprachige Region, die sich entlang der Anden vom jetzigen Südkolumbien bis zum nördlichen Argentinien erstreckte. Dort trafen die SpanierInnen auf das zentralistische Imperium der Inkas, eine Bevölkerungsgruppe, die von 1440 bis 1532 in einem straff hierarchisch strukturierten Reich über 200 Völker auf einer Fläche von etwa einer Million Quadratkilometer regierte. Um sich die Herrschaft über eine Bevölkerung zu sichern, die einen außerordentlichen Grad an ethnischer, linguistischer und kultureller Differenzierung aufwies, erhoben sie, anstelle des anfangs geförderten Aymará, das Quechua zur Staatssprache. Die SpanierInnen fanden ein geschwächtes, in einen Bürgerkrieg verstricktes Reich vor und sicherten sich die Unterstützung ethnischer Gruppen, die vom Inka-Regime unterworfen waren und die hofften, so ihre Unabhängigkeit zu erreichen. Die Inkas, die vielfältigen Vor-Inka-Kulturen sowie die Kolonisierung prägen die bolivianischen und peruanischen Gesellschaften bis heute. Von den Menschen Nordperus wurden die ersten Spanier als bärtige Männer beschrieben, die auf weißen Stoff starren, während sie Selbstgespräche führen. In den Anden waren Textilien die Artefakte mit dem höchsten Ansehen. Kein politisches, militärisches, soziales oder religiöses Ereignis war denkbar ohne Gewebe, die angeboten und verschenkt, verbrannt, ausgetauscht oder geopfert wurden. Textilien definierten sowohl individuelle als auch Gruppenidentität. Das Tragen spezifischer Kleidung legt die Position des Einzelnen über den Einschluss in eine soziale Gemeinschaft fest, während das Fehlen derselben Textilien die Position des Anderen beschreibt, der ausgeschlossen ist. Eine Bezeichnung von Quechua Sprechenden für EuropäerInnen ist taksa k’ala, was soviel wie kleine Nackte bedeutet und Individuen bezeichnet, die wenig Einfluss in ihrer Gemeinschaft haben. Eine andere Übersetzung von k’ala ist geschält und meint Personen, die mit dem Ablegen traditioneller Kleidung auch ihre Gruppenzugehörigkeit abgelegen. Die spanischen InvasorInnen stießen also auf eine hoch entwickelte Gesellschaft mit einer textilen Tradition, auf eine Kultur, in der Gewebe das wichtigste materielle Gut war. Das Medium des Textils diente der Darstellung kosmologischer Inhalte, der rituellen Nutzung und drückte sozialen Rang und Besitzverhältnisse aus. Darüber hinaus hatte das Textil aber auch Modellfunktion inne, mit dessen Hilfe wesentliches abstraktes Gedankengut, wie Mathematik und Philosophie, konzeptualisiert und studiert wurde. Zwischen 300 v. u. Z. und 1540 u. Z. wurden in den Anden einzigartige Textilien mit unterbrochener Webkette und Durchschuss hergestellt, die sonst zu keiner Zeit und in keiner Kultur weltweit zu finden sind. Ihre ProduzentInnen sahen Webkette und Durchschuss 40 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 als gleichrangige sichtbare PartnerInnen an. Diese visuelle Metapher verdeutlichte das Prinzip des Gleichgewichts und der Wechselseitigkeit, die in den indigenen Gemeinschaften der Anden bis heute eine Grundlage der Organisation des Lebens darstellen. In der dynamischen Weltbetrachtung dieser Völker hatte der Herstellungsprozess die gleiche Wichtigkeit wie das fertige Produkt. Alle Dinge waren beseelt und besaßen dieselbe Lebensenergie. Die dem Stoff inhärente Wesenheit musste Teil seines Gefüges sein, damit sie sich darin verwirklichen kann und an der Oberfläche sichtbar wird, d. h. das Außen eines Stoffes ist immer ein Spiegelbild des Inneren. Die kreative Animierung des Textils erfolgte durch die Anstrengungen sowohl des Produktionsprozesses als auch der verschiedenen beteiligten Individuen. Diese belebten Textilien verfügten darüber hinaus über bedeutende Wirkungen auf andere Wesen, da sich die animierten Energien nicht nach Fertigstellung der Produktion oder dem Tragen des Gewebes verflüchtigen. Ein solches wesenhaftes Textil darf niemals zerschnitten werden, dies würde nicht nur seinen Tod bedeuten, seine Zerstörung oder Beschädigung wird auch als massive Bedrohung seiner EigentümerInnen aufgefasst. Die spanischen InvasorInnen erkannten das subversive Potenzial indigener Webereien, die u. a. auf politische Ordnungen vor ihrer Ankunft verwiesen und verbaten die Verwendung bestimmter Textilien und die damit verbundenen Rituale, welche in der Folge im Geheimen durchgeführt wurden. In der merkantilen Kolonialgesellschaft wurden Textilien und Kleidung zu Waren, zu einem Teil von Austauschprozessen innerhalb lokaler, regionaler und globaler Wirtschaftskreisläufe. Der bisher einzige bekannte Fall von Restitution wurde 2002 nach vier Jahre dauernden Rechtsstreitigkeiten und Verhandlungen beendet. 56 von mindestens 200 gestohlenen und illegal in die USA importierten antiken Textilien gab die nordamerikanische Zollbehörde an Coroma, ein bolivianisches Dorf mit 6.000 EinwohnerInnen, zurück. Die BewohnerInnen Coromas konnten nachweisen, dass ihre Geschichte in den Textilien niedergeschrieben ist und dass sie mit deren Verlust auch ihre Vergangenheit und ihre Erinnerung verlören. Sorgsam in q’ipis (Bündeln) aufbewahrt, sind sie gemeinschaftlicher Besitz und haben sowohl die spanische Invasion als auch die brutale anti-indigene Politik vieler bolivianischer Regierungen überlebt. Die Menschen in Coroma konsultieren die Webereien regelmäßig und werden auf diese Weise von ihren AhnInnen geführt, welche die Textilien letztendlich besitzen und ihnen innewohnen. Darüber hinaus haben die Textilien jedoch auch schlicht einen materiellen Wert: Eine dieser andinen Webereien erzielte in den USA bis zu 14.000 US$, die lokalen Diebe hatten sie um 100 US$ verkauft. FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 41 Inka- und Prä-Inka-Kulturen im andinen Raum Durch die Berichte der Götzenver- brennerInnen erfahren wir ab Beginn des 17. Jahrhunderts etwas über die lokalen Glaubenssysteme, als die katholische Kirche einen umfassenden Feldzug gegen den traditionellen indigenen Glauben begann. Die Verehrung von AhnInnen (Mumien) wurden von den SpanierInnen verboten und Huacas (heilige Schreine) größtenteils zerstört. Bei einer Vorfahrin beinhaltete der Schrein eine Spindel, einen Webstuhl und eine Handvoll Baumwolle. Diese Arbeitsgeräte mussten für den Fall einer Mondfinsternis geschützt werden. Denn dann würde der als Frau angesehene Mond von einem Kometen bedroht – dabei könnten sich die Spindel in Giftschlangen, der Webstuhl in Bären und Tiger verwandeln. Nicht nur die Gewebe, auch die Webutensilien wurden als Gefäße von sami (Lebensenergie) gesehen, die ihre Kräfte übertragen können. Bevor die Inkas im 16. Jahrhundert ein zentralistisches Reich errichteten, lebten die Frauen und Männer der von ihnen kolonisierten Völker in unabhängigen Parallelwelten, mit jeweils eigenem Besitz und eigenen Gottheiten. Die Inkas raubten den Frauen ihre Autonomie, spalteten sie von sakralem Wissen ab und verdrängten sie aus dem öffentlichen Leben. Die Neuorganisation der Geschlechterrollen wurde für die Staatenbildung wesentlich. Die bis dahin dynamischen Beziehungen wurden in feste Hierarchien umgeformt, um so die Eroberten zu kontrollieren und zu regieren. In Bezug auf die Weberei forcierten die Inkas eine geschlechtsspezifische Spezialisierung: Die Männer produzierten die luxuriösen Stoffe, während die Frauen nur noch gewöhnliche Alltagsgewebe fertigen durften. Inkaische Gewebe standen so im Dienste der sozio-politischen Kennzeichnung von Unterschieden, die von den spanischen InvasorInnen beim Aufbau ihres terroristischen Zwangsregimes genutzt wurden. Die Figur der Forschenden Christoph Kolumbus hatte bereits ein klare Vorstellung von dem, was er in Amerika finden würde. Aus westlichen Mythologien und Philosophien suchte er sich die Bilder aus, die seine Wahrnehmung der fremden Welten formten. Er glaubte nicht nur an das christliche Dogma, sondern auch an Meerjungfrauen, Zyklopen und Amazonen. Dieser felsenfeste Glaube ermöglichte ihm, diese auch zu finden, insbesondere dann, wenn er fremde Dinge und Wesen sah. Er erkannte zwar, dass die Meerjungfrauen keine schönen Frauen waren, wie ihm ursprünglich erzählt wurde, doch statt zu dem Schluss zu gelangen, dass es keine gibt, ersetzte er ein Vorurteil durch ein anderes: Meerjungfrauen sind eben nicht so schön wie behauptet. Kolumbus betrachtete die Realität Amerikas durch die Brille europäischer Denkmuster. Die Neue Welt wurde so zu einer Projektionsfläche der Wahnvorstellungen der Alten, welche die Sichtweisen der indi- 42 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 genen Bevölkerung verstümmelte und bagatellisierte. Allerdings gab die Neue Welt von Anbeginn an ein störrisches und rebellisches Spiegelbild ab. So beschwerte sich Hernán Cortés bei Karl V. über seine Unfähigkeit, die großartigen, in den Kolonien wahrgenommenen Dinge zu beschreiben, da er keine Worte für das fand, was er sah. 1 Ausgestattet mit dem Wort Gottes war das koloniale Denken nicht in der Lage, die neuen, facettenreichen Gegebenheiten adäquat zu beschreiben. Sie wurden den europäischen Wahrnehmungsmustern und Denkschablonen angepasst, was zwangsläufig zu Verzerrungen und Ausblendungen führte. Zwei der vielen Kapitel von Webschiffe, Kriegspfade werden in diesem Text beschrieben: einerseits das exzentrische Archiv, das Ausgangspunkt aller Überlegungen war, und andererseits die Figur der Forscherin, ein bereits realisierter Teil des Gesamtprojektes, der in diesem Artikel mit beigefügten Bildmontagen veranschaulicht wird. Bei solch einem Forschungsvorhaben, das fremde Länder bereist, erschien es wesentlich, die Figur des Forschenden zu thematisieren, eine Figur, die üblicherweise als beobachtendes Subjekt verschwindet. Diese Forscherin sollte Bilder von sich selbst erzeugen, in denen sie sich nicht erkennen würde und die dadurch eine für sie beunruhigende Autonomie beinhalten. Um die Figur angreifbar zu machen, wurde ein Kostüm für sie produziert, das extreme Sichtbarkeit herstellt. Durch die Kostümierung sollte sie im eigenen und durch das eigene Bildnis gefährdet sein und im Erkunden des Fremden nicht das Andere, sondern – durch die Umkehrung der eigenen Blickrichtung – vor allem sich selbst zerstören. Der hautfarbene Stoff des Ganzkörperanzugs wurde in Anlehnung an die materielle Monstrosität des nackten Körpers der KannibalInnen gewählt, um das beobachtende Subjekt so in eine Art der Verkörperlichung zu zwingen: als ein Versuch der Umformulierung der Bilderarchive, die die ikonographischen Beziehungen zwischen Europa und der Neuen Welt gestaltet haben und noch gestalten. Durch die am Körper angebrachten Augen wird sowohl der Blick des forschenden Subjekts thematisiert als auch der forschende Körper quasi durchlöchert, um dadurch die Figur betretbar zu machen. Im Februar 2011 fand ein Workshop zum Begriff der Maskerade mit einer Gruppe von Schuhputzern in La Paz statt. Diese sind auf der untersten Gesellschaftsstufe angesiedelt, viele von ihnen leben seit der Kindheit auf der Straße oder sind überhaupt noch Kinder. Um der sozialen Ächtung zu entgehen, müssen sie ihre Identität hinter einer Maske verbergen – eine Form von Armut, die kein Gesicht hat. Gemeinsam mit der Hip Hop Gruppe FM 11, mit zwei Sängerinnen traditioneller Volksmusik und der Forscherin wurde ein Lied komponiert und eine Performance erarbeitet, die am Ethnografischen Museum von La Paz anlässlich der Ausstellungseröffnung Das Potosi Prinzip aufgeführt wurde. FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 43 Ines Doujak, Ankündigungsplakat für die Performance „Fünf Schuhputzer und eine Forscherin“ im Ethnografischen Museum, La Paz, 2011 44 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Ausgehend vom Museum begann die Forscherin dann, das Land filmisch begleitet zu bereisen. Sie ließ sich unter anderem die Zukunft aus Bier lesen, wurde von einer Textilverkäuferin in die Kunst des Bekleidens unterwiesen, interviewte Menschen auf der Straße und nahm am Karneval teil. Diese Figur war bei allen ihren Unternehmungen von einer Melancholie befallen – die Art von Melancholie, die bei dem Versuch entsteht, etwas verstehen zu wollen, von dem man ausgeschlossen bleibt. Im Gegensatz zu der Verunsicherung der Figur schienen alle, denen sie begegnete, ganz genau zu wissen, wer sie war und was sie tat. Ein Kupferstich aus dem 17. Jahrhundert mit dem Bildtitel: Die bevorzugte Art die Anden zu bereisen diente als Inspiration für das Kostüm. Darauf ist ein stämmiger Europäer zu sehen, der auf einem umgeschnallten Stuhl am Rücken eines viel kleineren Indigenen bei strömenden Regen einen steilen Hang hinaufgetragen wird. Unter dem Bild steht weiter: „Sollte es nicht regnen, wird empfohlen, sich die Zeit angemessen mit einem Buch zu vertreiben“. Diese Abbildung überzeugte mich von der Notwendigkeit des physischen und psychischen Betretens des Forschungsgegenstandes – hundertemale fotografiert, umarmt, geküsst, angelacht, zwecks Überprüfung des Geschlechts zwischen die Beine gegriffen, mit Wasser beworfen, schwitzend heiß, immer verlegen und falsch am Platz. Gleichzeitig waren all diese Begegnungen von bezaubernder Freudigkeit, Zigaretten wurden angezündet und der Forscherin in den Mund gesteckt, Kokablätter wurden überreicht, die Musik spielte für sie ein Ständchen, unzählige Daumen wurden gereckt und Fragen über Fragen: Woher kommst du? Wer bist du? Warum bist du alleine, wo ist deine Gruppe? Das Kostüm zwang die Forschungsreisende zum Eintritt in den unheimlichen Index, den die Vergangenheit mit sich führt, aber stattete sie auch mit der Fähigkeit aus, das Leben anderer zu betreten. Dinge, die mir als Person verweigert wurden, sind der Figur der Forscherin erlaubt worden. So wurde sie eingeladen, an der hoch ritualisierten Parade des Karnevals von Oruro teilzunehmen, als bis dato einzige Nicht-Bolivianerin. Weiters erlaubte eine Schamanin das Filmen der Unterweisung in eine spezifische Heilkunst, bei der u. a. links gesponnene Fäden über dem Körper zerrissen werden, nur im Falle der Anwesenheit der Forscherin, die sie darüber hinaus im Gespräch immer als weitere Anwesende adressierte. Aus der Dokumentation der bolivianischen Reise und weiterer in Österreich gedrehter Szenen entsteht derzeit ein Film. Weiters gestaltet Webschiffe, Kriegspfade für die monatlich in einer Auflage von 6.000 Stück erscheinende Straßenzeitung „Hormigón Armado“ (Stahlbeton) der SchuhputzerInnen von La Paz eine Ausgabe, in der das Thema des Workshops weiter vertieft werden soll. FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 45 Ines Doujak, Plakat in 4 Teilen, TEIL 1. Veröffentlichung der Teilnahme der Forscherin am Karneval von Oruro, 2011 46 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Folgende Beispiele, die sich in der einen oder anderen Form auch in den Textilien manifestieren, sollen das ausdifferenzierte, hoch kultivierte Gewebe der andinen Kulturen veranschaulichen und damit auch das Feld beschreiben, in dem sich die vorliegende Forschung bewegt. Taxonomisches System: 20.000 beschreibende Wortkombinationen für südamerikanische Kamelide Die Existenz vieler peruanischer und bolivianischer Hoch- landindigener ist bis heute in hohem Maße von den Lamabeständen abhängig. Neben ihrer Bedeutung für die wirtschaftliche Unabhängigkeit sind diese Kamelide für indigene Glaubenssysteme wesentlich. Im 16. Jahrhundert wurden sie von den SpanierInnen innerhalb von wenigen Jahrzehnten auf zehn Prozent ihres präkolonialen Bestandes dezimiert, obwohl ihre Wolle der des kolonial eingeführten Schafs überlegen ist. Die andinen TierhüterInnen entwickelten eine volkstümliche Taxonomie, die jedes Herdentier individuell beschreiben kann. Dieses hierarchisch ungeordnete System ist extrem flexibel und weist eine breite Palette an Anwendungsmöglichkeiten auf. Tiere werden nicht nur in weiblich und männlich, sondern in mehrere Geschlechterkategorien unterteilt, da z. B. ein sich reproduzierendes Tier ein anderes Geschlecht haben muss. Für die Bestimmung des Alters sind die tatsächlichen Lebensjahre unwesentlich. Dieses wird anhand der Beschaffenheit des Weidelandes, dessen Höhe, der Zahl der Nachkommen, von Krankheiten, des Zustands der Zähne, von Qualität und Quantität der Wolle, der Tragfähigkeit und anderer Einflussgrößen determiniert. Bei der Benennung wird zuerst angegeben, ob das Tier ein Lama oder ein Alpaka ist. Im nächsten Schritt werden die Verteilung der Farben und die Art der Musterung erhoben, anschließend werden Unterschiede anhand des Geschlechts, des Alters und der Wollqualität gemacht. Sollten Tiere sich ähneln, werden weitere Begriffe angefügt. Wenn bei einem Tier helle Farben überwiegen, wird es gewöhnlich als alqa bezeichnet. Die 53 Bezeichnungen für alqa und die vier für dunkle Grundfarben ergeben 212 Varianten. Diese Grundfarben können zirka 19 Farbschattierungen haben: daraus folgen 4.028 mögliche alqa Arten. Kommt das Geschlecht als Referenz dazu, kann diese Zahl auf 12.084 verdreifacht werden, da die Tiere immer mehr als zwei Geschlechter haben. Mit dem Hinzufügen des Altersfaktors können daher mehr als 20.000 beschreibende Namen in Erwägung gezogen werden, die die TierhüterInnen benennen können. FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 47 Ines Doujak, Plakat in 4 Teilen, TEIL 2. Veröffentlichung der Teilnahme der Forscherin am Karneval von Oruro, 2011 48 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Die wechselseitige Bedingung ethnischer und sozialer Klassifikation: Ethnische Performanz als Ausdruck sozialer Transformation Im Hinblick auf die Handlungs- mächtigkeit von Frauen wird immer noch mit Konstrukten gearbeitet, die von der hegemonialen europäischen und androzentrischen Geschichtsschreibung geschaffen wurden. Anders beschreibt es Marisol de la Cadenas Studie zu den Marktfrauen von Cuzco in der Zeit von 1930–1960, in der die Kategorisierungen der Indigenen und der Mestiza nicht mit einem Entwicklungsprozess vom Primitiven zum Zivilisierten hin analogisiert werden. In dieser Studie reflektieren indigene Sichtweisen vielmehr unterschiedliche soziale Beziehungen mittels unendlicher relationaler Klassifizierungen. Marisol de la Cadena legt dar, wie Ethnifizierungen in spezifischen Interaktionen verhandelt werden, obgleich rassifizierende Klassifikationen die Grundlage dafür bilden. Mestizas etwa beanspruchen dadurch Autorität, dass sie im Gegensatz zu den indigenen Frauen keine Bediensteten sind, dass sie in der Stadt leben und sich meist als Händlerinnen, ein respektables Einkommen verdienen. Anhand der Stoffqualität, der Form der Bluse, der Art wie ein Schal getragen wird, des Materials des Hutes usw. ordnen sich Mestizas und ihre Kundinnen entlang eines Klassifikationssystems ein, das die india (die Indianerin) und die buen mestiza (die gute Mestiza) jeweils an dessen niedrigste respektive höchste Stelle setzt. Die Frauen werden so als india (oder mujercitas, kleine Frauen), als mestizas simples (einfache Mestizinnen), buenas mestizas (gute Mestizinnen), als casi damas (fast Damen) und damas (Damen) wahrgenommen. Mit der jeweils spezifischen Bekleidung werden Machtverhältnisse beschrieben, die in der Regel auf unterschiedliche wirtschaftliche Umstände hinweisen und nicht zwangsläufig ethnische sind. Die Rangfolge erlaubt aber auch eine situationsbezogene Interpretation von Interaktionen, denn diese kann ständig wechseln. Beispielsweise kann durch eine Veränderung in der Kleidung aus einer India eine Dama werden oder umgekehrt. Das Wechseln der Kleider drückt so eine soziale Transformation aus, dem ein langer Lernprozess des Kleidertragenlernens vorangeht. Die neue Mestiza Die Vorstellung von der Festigkeit und Beständigkeit identitärer Kate- gorien wird auch in der in Gloria Anzaldúas einflußreichem Buch La conciencia de la mesti- za: Towards a New Consciousness eingeführten Figur der Mestiza aufgebrochen. Diese Mestiza ordnet sich nicht ein, sie situiert sich jenseits binärer Klassifikationen, an einem durchlässigen Zwischenort. „Soy un amasamiento, I am an act of kneading, of uniting, and joining that not only has produced both a creature of darkness and a creature of light, but also a creature that questions the definitions of light and dark and gives them new meanings.“ Anzaldúa beschreibt die Mestiza, als ob sie an einer Kreuzung steht, dort, wo FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 49 Ines Doujak, Plakat in 4 Teilen, TEIL 3. Veröffentlichung der Teilnahme der Forscherin am Karneval von Oruro, 2011 50 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Phänomene dazu tendieren, aufeinander zu prallen. Nachdem die Mestiza erkannt hat, dass sie Konzepte oder Ideen nicht in rigiden Grenzen belassen kann, entscheidet sie sich dafür, sich von der dominanten Kultur loszulösen, sie gänzlich als verlorene Sache abzuschreiben und die Grenze in ein völlig neues und eigenes Territorium zu überschreiten. Weberei als Text: Der Zwischenraum in Taschen Eine traditionelle Weberei ist kei- ne Dekoration und auch keine Illustration von Wirklichkeiten, die außerhalb des gewebten Tuches angesiedelt sind, sondern sie ist eine spezifische Information, hinter der eine erklärende Anordnung liegt. Kann dieser Kode außerhalb der Gemeinschaft, in der er ausgearbeitet wurde, nachvollzogen werden? In den talegas, den gewebten Taschen einer traditionellen Aymará-Gemeinde in Isluga, wird Differenz etwa durch das Ausarbeiten gebrochener Symmetrien vermittelt. Das Design der talegas ist aus länglichen, farbigen Streifen geformt. Diese Farbbänder wiederholen sich bei näherer Betrachtung und haben jeweils eine Entsprechung auf der gegenüberliegenden Taschenseite. Da die Zahl der Streifen jedoch immer ungerade ist, hat einer kein Gegenstück. Dieser ambivalente Streifen, eine verdächtige Achse in einer Welt komplementärer Paare, wird als chhima bezeichnet, als Herz. In der Übersetzung aus dem Aymará bedeutet es Bewusstsein, Erinnerung, Einsicht, Verstand und Intelligenz. Gleichbedeutend mit einer Art magischer Mitte definiert es alles, was zu ihrer inneren Beschaffenheit gehört, Tugenden wie auch Laster. Chhima ist sowohl vereinend als auch trennend, der Treffpunkt und die Trennlinie der beiden Seiten des gewebten Raumes. Es stellt diese zwei Hälften her und dient gleichzeitig als deren zentrales Verbindungsglied. Die Anordnung der Farbstreifen auf den Taschen dieser Aymará ist folglich ein Text, der einen dritten Raum, einen Zwischenraum schafft und damit einen Ort zwischen maximaler Dunkelheit und Tageslicht beschreiben will. Das künstlerische Forschungsprojekt Webschiffe, Kriegspfade betritt gewissermaßen eine Kontaktzone, einen transkulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Raum, in dem verschiedene AkteurInnen, Materialitäten, Praktiken und Diskurse interagieren. Webschiffe, Kriegspfade will verschiedene Wissenssysteme vergleichen und miteinander verknüpfen und ein Denken entwickeln, dass eine Auseinandersetzung mit Kommunikationsformen außerhalb von schriftlichen Technologien ermöglicht, die eben nicht von westlichen Denktraditionen geprägt sind. „Mit normalen Wörtern würde ich mit den Dingen zusammenkrachen, mit der verdrehten Sprache kann ich sie umkreisen und sehe sie klar“, so beschrieb mir ein Yaminahua-Schamane seine Vorgehensweise. Die „Haltetaue schießen lassen“, nannte es Arthur Rimbaud, „speaking nearby“, nahe an etwas entlang sprechen, Trinh Minh-ha. Die Limi- FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 51 Ines Doujak, Plakat in 4 Teilen, TEIL 4. Veröffentlichung der Teilnahme der Forscherin am Karneval von Oruro, 2011 52 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 nalität, ein von dem Ethnologen Victor Turner geprägter Begriff, beschreibt einen Schwellenzustand, in dem sich Individuen oder Gruppen aufhalten, die herrschende Ordnungen verlassen haben und sich dadurch in einem uneindeutigen Zustand befinden, wie z. B. nach Initiationsriten oder Revolutionen. Damit einher geht der Verlust der Klassifikationssysteme von Sozialstrukturen. Da europäisch geprägte Denkkategorien, wie alle anderen auch, keine universalen sind, können sie auch nicht als Modell verwendet werden, das auf alle Wissensformen der Welt angewendet wird. Das Projekt Webschiffe, Kriegspfade versucht sich jenseits der totalisierenden Makroerzählungen des euro-amerikanischen Dominanzdiskurses und jenseits des habgierigen Schlagwortes von Differenz anzusiedeln. Es will einen Handlungsraum als Forschungsstandpunkt begreifen, der einem liminalen Dazwischen entspricht und von dem aus entlang der eigenen Einschreibungen in koloniales Erbe gedacht und agiert werden kann. „Mit meiner Sprache will ich sehen, singend untersuche ich sorgfältig die Dinge. Die verdrehte Sprache bringt mich nahe heran, aber nicht zu nahe“, so der Schamane weiter. Indigenes Wissen formiert sich, wie in diesem Text beschrieben, prozessual über Bewegungen und Ereignisse, mehr in der Art des Tuns, und nicht so sehr im Tun als solchem. In Bezug auf die Interpretation des exzentrischen Archivs von Webschif- fe, Kriegspfade bedeutet dies: Wenn wir die andinen Textilien als autonome Wesen begreifen bzw. verstehen wollen, die eine eigene Agenda und eine eigene Intelligenz besitzen, bedarf es einer eigenen, einer paradoxen und zwiespältigen Sprache, um die in ihnen enthaltenen Zeichen zu interpretieren. In der Kommunikation mit diesen vieldeutigen Wesen, die „sowohl gleich, als auch nicht gleich“ sind, könnte die verdrehte Sprache der Schamanen, die nie direkt ist, die sich immer in Bildern, Geschichten und Mythen äußert, eine Methode darstellen, das in den Textilien enthaltene Wissen zu entschlüsseln. Das ist die Hoffnung an das besondere Potential der bildenden Kunst, die ungezügelte Sprachen eben nicht zähmt (was im Übrigen dieser Text gerade mit der Autorin versucht). In dem Verständnis von Zeitlichkeit der Aymará liegt die Vergangenheit in der Anschauung vor und die Zukunft hinter den Sprechenden. Mit dem Wort nayra das für Auge, Stirn oder Sicht steht, meinen die Aymará die Vergangenheit. Der Ausdruck qhipa, hinten, wird für die Zukunft verwendet. Wenn nun die Zukunft hinter und die Vergangenheit vor uns liegen würde, könnten wir vielleicht unseren eigenen Anteil an der kolonialen Ordnung präziser wahrnehmen und die Vergangenheit als etwas Entstehendes begreifen? Könnten wir, indem wir diese reflexiv betreten, unser Bild der Welt verschieben und damit auch Vergangenes und Kommendes? Denn die Zukunft hängt vom Einreißen der Paradigmen ab. Und sie wird der Mestiza gehören. FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 53 1 Hernán Cortés besiegte 1521 die Azteken, das Die im Text nicht näher gekennzeichneten Zitate ent- bedeutendste Ereignis der europäischen Expansion in stammen den folgenden Büchern: Amerika. In den Jahren von 1521 bis 1530 war Hernán Verónica Cereceda, The Semiology of Andean Texti- Cortés Generalgouverneur von Neuspanien. Karl V. les. The Talegas of Isluga, in: John V. Murra u. a. war ab 1519 Römischer König und künftiger Kaiser (Hg.), Anthropological History of Andean Polities, des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Cambridge 1978/1986. Jorge A. Flores Ochoa, The classification and naming Ines Doujak ist bildende Künstlerin, leitet das Forschungsvorhaben und dankt Hildegund Amanshauser, of South American camelids, in: Murra (1978/ 1986). die den ersten Entwurf dieses Textes sinnig kommen- Gloria Anzaldúa, La conciencia de la mestiza: Towards tiert hat, John Barker und Carola Platzek für inspirie- a New Consciousness, in: Dies., Borderlands/ La rende Diskussionen, Dagmar Fink, deren sorgfältiges Frontera. The New Mestiza, San Francisco 1987. Lektorat das Geschriebene wesentlich verbesserte Rosario Montoya, Lessie Jo Frazier, Janise Hurtig und Birgit Haehnel für die kluge Herausforderung. (Hg.), Gender’s Place: Feminist Anthropologies of Latin America, Palgrave 2002. Das Projekt wird gefördert vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF): AR 19-G21. Margot Blum Schevill, Janet Catherine Berlo, Edward B. Dwyer (Hg.), Textile Traditions of Mesoamerica and the Andes: An Anthology, Texas 1996. Mary Louise Pratt, Imperial Eyes. Travel Writing and Transculturation, London 1992. Irene Silverblatt, Moon, Sun, and Witches: Gender Ideologies and Class in Inca and Colonial Peru, New Haven und London, 1998. 54 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Willemijn de Jong Kleidung als Kunst: Porträt einer Ikat- designerin in Ostindonesien Selbst gewobene Sarongs und Schultertücher mit Ikatdesigns 1 gelten in Ostindonesien als wertvollste Stücke des Kleidungsrepertoires und als prestigeträchtige Artefakte. Sie werden an Festen und anderen öffentlichen Ereignissen getragen, als Gaben getauscht und ebenso an Einheimische wie an Tourist_innen, Anthropolog_innen und Museen verkauft. Eine Besonderheit bilden mittels Kettikat reich gemusterte Bildersarongs (lawo gamba). Im folgenden wird die These vertreten, dass diese figürlichen, von Meisterweberinnen geschaffenen Textilien in Ostindonesien und namentlich in Flores eine einzigartige Kleidungskunst darstellen, die ihre künstlerische Qualität durch eine besondere Verflechtung von lokalen, nationalen sowie transnationalen Prozessen und sozialen Interaktionen erhält. Dabei spielt die Wirkmächtigkeit (agency) der Ikattücher durch Technik, Ästhetik und motivische Intentionalität (nach Gell) eine entscheidende Rolle. Am Beispiel der lawo gamba von Mama Ango, einer im Liogebiet der Insel Flores lebenden Ikatdesignerin und Meisterweberin, wird den folgenden Fragen nachgegangen: Weshalb kann diese Ikatkleidung als Kunst verstanden werden? Welche lokalen, nationalen und transnationalen Prozesse fördern bzw. erschweren die künstlerischen Ausdrucksformen? Bei meinen Überlegungen gehe ich mit Susanne Küchler und anderen Sozial- und Kulturanthropolog_innen von der Annahme aus, dass Textilien durch ihre Materialität in Form von Oberflächen, Texturen und Motiven Wirkungen erzielen, die wiederum soziale Beziehungen und Lebensweisen mit konstituieren. 2 Meine Interpretation von Ikatkleidung als Kunst baut auf der sozialanthropologischen Kunsttheorie von Alfred Gell auf. 3 Gell postuliert, dass Kunstobjekte in sozialen Beziehungen eine besondere Wirkmächtigkeit (agency) entfalten. Die Bewertung der Kleidung von Schöpferinnen in peripheren Regionen sollte – vor allem aufgrund ihres künstlerischen Potentials – nicht ethnisiert oder kulturalisiert und somit als Folklore marginalisiert werden; in meiner Argumentation versuche ich die feministisch orientierte Debatte zur Orientalisierung asiatischer Kleidung einen Schritt weiter zu führen. Diese Debatte wurde von Sandra Niessen, Ann Marie Leshkowich und Carla Jones angestoßen. 4 FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 55 Mit der Verknüpfung der genannten Ansätze plädiere ich für eine Neuorientierung in der Erforschung ostindonesischer Ikattextilien, in ähnlicher Weise wie Niessen es für die Erforschung von Bataktextilien in Sumatra, Westindonesien, macht. Während Niessen jedoch die Inklusion des einheimischen Kleidungssystems der Batak in Sumatra in das globale Modesystem thematisiert, 5 geht es mir hier um eine Inklusion bestimmter Formen von einheimischer Ikatkleidung in Flores in das globale Kunstsystem. Die Untersuchung der lawo gam- ba einer Meisterweberin ist ein erster Schritt dazu, denn sie fallen als textile Unikate am ehesten auf – und somit stellt sich die Frage nach ihrem künstlerischen Potential am vordringlichsten. 6 Die Ikatkreationen von Mama Ango: wirkmächtige Kunstobjekte Wer ist Mama Ango, und weshalb kann ihre Ikatkleidung als Kunst verstanden werden? Um diese Fragen zu beantworten, beziehe ich mich auf fünf Sarongs mit figürlichen Ikatdesigns, entworfen zwischen 1995 und 2011, und auf ethnographische Daten, die durch zahlreiche Beobachtungen und Gespräche mit ihr und anderen Weber_innen über mehr als zwanzig Jahre gewonnen wurden. 7 Dieses Material analysiere ich im Hinblick auf einige wichtige Kriterien, die aus sozial- und kulturanthropologischer Sicht die künstlerische Qualität eines Objektes ausmachen. Mama Ango ist eine von rund einem Dutzend Meisterweber_innen, 8 die im kulturellen Zentrum von Nggela im Liogebiet in Flores leben und arbeiten. In diesem Dorf mit gut tausend Einwohner_innen werden in fast jedem Haushalt Ikattextilien gewoben. 9 Mama Ango ist 1951 geboren. Sie lebt mit Ehemann, Tochter und Schwiegersohn in einem kleinen Haus aus Backsteinen und Bambus. Ausser den üblichen einfachen Möbeln besitzt die Familie ein paar stattliche Schränke und ein Fernsehgerät. Diese hat Mama Ango sich leisten können, weil sie ihre Tücher in guten Zeiten zu Höchstpreisen verkauft – was gegenwärtig allerdings nicht mehr so einfach ist. Nach sechs Jahren Primarschule fing Mama Ango an zu ikatten und zu weben. Ihre Mutter konnte ihr nur die einfachen Ikatdesigns beibringen, die komplizierten eignete sie sich selbst an. Im Laufe der Jahre kreierte sie vor allem viele geometrische und figürliche Muster neu. Heute gilt sie als eine der drei besten Meisterweberinnen im Dorf. Sie bedauert es, dass ihre Tochter nicht über ihre Präzision und Kreativität in der Herstellung von Ikattextilien verfügt. Weshalb nun können wir Mama Angos Werk als Kunst bezeichnen? Um diese Frage zu beantworten, bedarf es eines kurzen Exkurses über grundlegende Ideen der handlungszentrierten Kunsttheorie von Alfred Gell, an welche ich mich anlehne. Gell vertritt in 56 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 seinem Buch Art and Agency eine genuin sozialanthropologische Grundthese, nämlich dass Kunst ein System sozialen Handelns sei, bestehend aus Kunstobjekten, Künstler_innen, Rezipient_innen und Dingen, die in den Kunstobjekten repräsentiert werden. Provokativ bemerkt er: „In place of symbolic communication, I place all emphasis on agency, in- tention, causation, result, and transformation. I view art as a system of action, intended to change the world rather than encode symbolic propositions about it“. 10 Ein Kunstobjekt definiert er nicht etwa ausgehend von vermeintlich universalen ästhetischen Kriterien, da diese meist in einem westlichen Kontext gebildet würden: Ein Objekt erhält seinen künstlerischen Wert durch die Matrix der sozialen Beziehungen von Personen und Gegenständen, in welche es eingebettet ist. Als Beispiel erwähnt Gell Malangan-Schnitzereien aus Neuirland, Papua Neuguinea, deren während der Todesfeier aufgeladene Lebenskraft als Resultat der lebenslangen sozialen Aktivitäten der verstorbenen Person angesehen wird. Die technischen Verfahren, durch welche die Schnitzerei immer mehr an Lebenskraft gewinnen, sind das Erhitzen, Brennen und Bemalen des rohen Holzes durch den Schnitzer, der von den Ahnen inspiriert wird. 11 In einem viel beachteten früheren Artikel hatte Gell bereits die von bestimmten Objekten ausgehende Faszination aufgrund von Wissen, Könnerschaft (skill ) und technisch präzise ausgeführter Arbeit diskutiert. Die „soziale Technologie“ der „Verzauberung“ 12, in die uns ein solches Objekt durch seine schwer nachvollziehbare und deshalb oft als magisch begriffene Entstehung versetzt, betrachtet Gell als ein zentrales Kriterium für das Verständnis von dessen künstlerischem Gehalt. 13 Ein weiteres wichtiges Kriterium zur Einschätzung eines Objektes als Kunst ist dessen komplexe „Intentionalität“, wie es Gell nennt. Er definiert Kunstobjekte als Vehikel von komplizierten Ideen mit interessanten, aber auch schwer entzifferbaren Bedeutungen. 14 Der in technischer und intentionaler Hinsicht vielfältige agentische Charakter eines Kunstobjektes kommt in folgender Umschreibung besonders deutlich zum Ausdruck: „Where [sic!] indexes [materielle Entitäten, die kognitive Interpretationen auslösen] are very recognizable works of art, made with technical expertise and imagination of a high order, which exploit the intrinsic mechanisms of visual cognition with subtle psychological insight, then we are dealing with a canonical form of artistic agency which deserves special discussion“. 15 Schließlich möchte ich noch auf den Aspekt der Ästhetik eingehen. Die visuelle Attraktivität und Wirkmächtigkeit eines Objektes beruht auf der Absicht des Künstlers ästhetisch zu Gestalten, liegt aber auch in der Rezeption der Betrachtenden begründet. Gell räumt ein, dass Kunstwerke manchmal als Objekte ästhetischer Wertschätzung inten- FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 57 1 Mama Ango am Ikatrahmen (ugo), 2011 (© Willemijn de Jong) diert sind und als solche wahrgenommen werden, aber er meint dezidiert, dass dies keineswegs immer der Fall sei. 16 Im Folgenden beziehe ich die hier vorgestellten Aspekte von agency durch Technologie, Intentionalität und Ästhetik auf die lawo gamba von Mama Ango. Technologische Wirkmächtigkeit: Herstellungsprozess und motivische Transformationen Die technologische Virtuosität, die einen wichtigen Teil der Wirkmächtigkeit der Sarongs von Mama Ango ausmacht, hängt in erster Linie von ihrer besonderen Könnerschaft beim Ikatten (tégé) ab (Abb. 1). 17 Mama Ango achtet darauf, dass sie nicht zu viele Fäden pro Ikatbündel (gami ) und nicht zu viele Schichten (lapis) auf einmal ikattet, und sie berechnet geschickt die Proportionen der Motive und das Verhältnis derselben zueinander. Dann färbt sie das geikattete Garn mit verschiedenen chemischen Farbstoffen (sumba) möglichst dunkel, so als hätte sie es mit den natürlichen Farbstoffen Indigo (nggi- li) und Mengkudu (kembo) behandelt. 18 Nachher fixiert sie das Muster sorgfältig mit mehreren dünnen Stäben (tu’é) und webt (seda) achtsam die drei meist gleichen Motivteile ei- 58 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 nes Sarongs am Boden sitzend mit einem Rückenjochwebgerät. 19 Schließlich näht sie die Teile zu einem rund 165 cm langen schlauchförmigen Rock zusammen. 20 An diesen komplizierten Vorgang, der hier nicht detailliert behandelt werden kann, wird deutlich, was Gell aus technologischer Perspektive als charakteristisch für Kunstwerke in nichtwestlichen Lokalgesellschaften hält: eine radikale Transformation von Material, in diesem Fall Garn und Farbstoff, mit Hilfe von einfachen Werkzeugen, mit denen ein aus lokaler Sicht prestigeträchtiges Objekt hergestellt wird, das auf dem Markt einen vergleichsweise hohen Preis erzielt. 21 Mama Angos technisches Können und Wissen zeigen sich auch darin, dass sie ein breites Spektrum an verschiedenen Typen von Ikatdesigns beherrscht: So finden sich bei ihr erstens vorgegebene, stilisiert florale und geometrische Designs, welche von früheren indischen Handelstextilien, patola, übernommen wurden (Abb. 2 Mitte); zweitens neue, variantenreiche geometrische Designs, die nur eine Minderheit der Weber_innen herzustellen in der Lage ist (Abb. 2 links und getragener Sarong); und drittens die figürlichen Designs der lawo gamba, welche technisch noch anspruchsvoller und seltener sind (Abb. 2 rechts) – mit ein Grund, weshalb ich mich auf diese in meinen Ausführungen konzentriere. Generell werden die narrativ orientierten lawo gamba noch nicht lange herge- 2 Mama Ango, drei Sarongtypen, 2009 (© Sabine Wunderlin) FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 59 3 Mama Ango, lawo gamba, 1995 (© Sabine Wunderlin) 60 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 4 Mama Ango, lawo gamba, 2010 (© Sabine Wunderlin) FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 61 stellt. Bis in die 1980er Jahren hinein wurden im Liogebiet fast ausschliesslich geometrische und florale Motive und vereinzelt stilisierte zoologische und anthropomorphe Motive gestaltet. Tendenziell lassen sich zwei Typen von lawo gamba unterscheiden: solche mit mythologisch-rituellen Motiven und solche mit Motiven aus dem Alltag. Mama Ango allerdings trennt nicht in diesem Sinne, sondern kombiniert die unterschiedlichen Motive. Sie beherrscht es meisterhaft, Vorbilder für figürliche Motive aufs Garn zu übertragen. Bei den abgebildeten Darstellungen werden keine naturgetreuen Dimensionen eingehalten. Einige Elemente mögen formal-technischen Ikatkriterien gehorchen, andere weisen kulturelle oder soziale Bedeutung auf. Mama Ango lässt sich von Bildern in Atlanten und anderen Schulbüchern, von Darstellungen auf Alltagsgegenständen wie Zündholzschächtelchen und Geldscheinen, aber auch durch die eigene Fantasie inspirieren. Manchmal „fotokopiert“ sie, wie sie sagt, gewisse Motive von den Sarongs anderer Frauen. Kleine Motive und solche, die sie bereits kennt, ikattet sie auswendig. Wenn wir einen älteren Sarong mit einem neueren vergleichen (Abb. 3, Abb. 4), fällt auf, dass die Motive und Motivkombinationen formal betrachtet interessante Transformationen durchlaufen: erstens gewinnen die Motive generell mehr an technischer Präzision und Klarheit, zweitens werden gewisse Motivkombinationen im Laufe der Zeit vielfältiger und komplexer, drittens erfahren verschiedene Motive immer wieder leichte Abwandlungen und zum Teil auch Verkleinerungen, d. h. sie sind schwieriger und zeitaufwändiger zum Ikatten, und viertens ist die Gesamtstruktur der Motive zunehmend vertikal ausgerichtet, mit ornamentalen Grenzlinien. Als spannendes Beispiel, wie Mama Ango ihre Muster immer wieder ein wenig abwandelt, je nach ihrer momentanen Eingebung, ist die Motivkombination des Goldschmucks zu erwähnen. Diese setzt sich zusammen aus einer grösseren Kette mit ein oder zwei verzierten Goldplatten (gebé rajo) und mehreren vulvaförmigen goldenen Ohrhängern (omé mbulu) in verschiedenen Grössen, manchmal verbunden mit einer oder zwei kleineren Tänzerinnen. Als Ganzes ist der Goldschmuck eine fantasierte Motivkombination, deren beide Teile in Wirklichkeit in unterschiedlichen Kontexten vorkommen. Ketten mit Goldplatten schmücken hochrangige ältere Frauen beim Ritual zur Erneuerung der Dächer bestimmter Zeremonialhäuser. Die Fruchtbarkeit symbolisierenden Ohrhänger zirkulieren als Teil des Brautpreises und werden beim Regentanz von hochrangigen jungen Frauen getragen. Auf einem bereits etwas älteren Sarong (2003) gelingen die Goldschmuckmotive Mama Ango technisch in besonders differenzierter und fantasievoller Weise (Abb. 5 rechts oben). Damit kommt auch deren Wirkmächtigkeit voll zum Ausdruck. 62 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 5 Mama Ango, lawo gamba, unterster Motivteil, 2003 (© Sabine Wunderlin) Intentionale Wirkmächtigkeit: kulturelles Erbe, Alltag und der fremde Blick Inhaltlich zeichnen sich die Motive und Motivkombinationen auf Mama Angos lawo gamba tatsächlich durch „komplexe Intentionen“ aus. 22 Sie reichen von der mythologischen Darstellung der Tötung der Reisgöttin über rituelle Objekte wie der gerade erwähnte Goldschmuck (Abb. 5 oberer Teil) und das adat-Haus als Ort für Zeremonien und Alltagsleben (Abb. 5 links unten) bis zu Darstellungen von und Anspielungen auf Arbeitstätigkeiten (häusliche und bäuerliche Arbeit, Fischverkauf) sowie Szenen, die Helden zeigen und durch Schiffe eine frühere Herkunft von Übersee andeuten (Abb. 5 rechts unten). Die mythologisch-rituellen Motive vermitteln zentrale lokal- und regionalspezifische kulturelle Ideen und Wünsche nach Fruchtbarkeit, Prosperität und Reichtum. Als erstes Beispiel für komplizierte, teils rätselhaft bleibende Ideen, welche die Sarongs als Kunstobjekte verkörpern, möchte ich die Motivkombination der Tötung und Auferstehung der Reisgöttin „Iné Mbu-Iné Paré“, wie sie lokal genannt wird, hervorheben. Es ist das wichtigste Motiv vieler Bildersarongs und einem in Indonesien weit verbreiteten Mythos entlehnt. 23 In der lokalen Version wird die Reisgöttin von den beiden Brüdern Ndale und Sipi beim Berg Keli Ndota im nördlichen Liogebiet zerstückelt (Abb. 5 links Mitte). Aus den vergrabenen Körperteilen wachsen der Reis und andere Kulturpflanzen, und die FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 63 Reisgöttin selbst scheint auch wieder aufzuerstehen, im Schutze der sakralen Schlange – sprich der Ahnen (Abb. 5 links oben). Viele mythologisch-rituelle Motive sind den illustrativen Zeichnungen der bekannten Publikation des einheimischen Paters Piet Petu zum kulturellen Erbe der Insel Flores entnommen. 24 Pater Petu, auch Orin Bao genannt und Mitglied des Ordens Societas Verbi Divini (SVD), war offensichtlich von den ethnographischen Studien westlicher SVD-Missionare über Flores inspiriert worden. 25 Er unterrichtete Geschichte und verteilte in den 1980er Jahren sein Buch zu Mythen, Schlangen-Ahnen (nipa, naga) und sakralen Gegenständen in den Webereidörfern des Liogebietes. Zum einen wollte er die alten Mythen in der Ikatkleidung aufleben lassen. 26 Zum anderen beabsichtigte er – im Sinne des Ordens – den Weberinnen durch attraktive Motivdesigns zu besseren Einkommensmöglichkeiten zu verhelfen. Er stieß damals damit eine regionale Erinnerungskultur an, die bis heute insbesondere im Webereizentrum von Nggela grosses Echo findet und den Sarongs neue Wirkungsmöglichkeiten verleiht. Mama Ango fand zufällig ein paar Blätter mit Abbildungen aus dem Buch von Pater Petu auf der Strasse und nutzte sie als Vorlage für ihre Sarongs. Motive wie diese haben durch ihre vielschichtigen Bedeutungen einen künstlerischen Charakter im Sinne Gells und gleichzeitig sind sie Teil einer kulturellen Identitätspolitik. Beides ist durch die Geschichte der Mission transnational und regional sowie durch die spezifische Übernahme lokal bedingt. Ein zweites, besonders anschauliches Beispiel von vielfältiger, nicht ganz auflösbarer Intentionalität ist der Fremde (orang asing), der Tourist (turis) oder der Fotograf (tu- kang potrét), den Mama Ango auf all ihre lawo gamba abbildet. Vorbild ist eine Darstellung aus einem Schulbuch, auf der ein Mann einen Dinosaurier bzw. dessen Spuren fotografiert. Mama Ango gestaltet die Figur klein, in verschiedenen Variationen, kniend oder stehend, und plaziert sie quasi zufällig an verschiedenen Orten im textilen Raum – meist am Rand (Abb. 3, 4 und 5). Auf dem letzten Sarong aus dem Jahr 2011 (ohne Abb.) kommt er sogar in zwei unterschiedlichen Kontexten vor. Er repräsentiert, so meine These, den fremden Blick oder eine fremde Perspektive, eine Umkehrung oder zumindest eine Distanzierung von lokalen Sichtweisen. Durch die Inklusion dieser fremden Perspektive vollzieht Mama Ango den spannungsreichsten Bruch mit ihrer lokalen Lebenswelt. Ihre Ikatarbeit repräsentiert in einer äusserst interessanten Art und Weise nicht eine geschlossene Konzeption der lokalen Lebenswelt, sondern eine Collage von unterschiedlichen translokalen und transnationalen Perspektiven des Jetzt mit verschiedenen mythischen Geschichten der Tradition vor Ort. 64 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Ästhetische Wirkmächtigkeit: „Süsse“ Motive und Farben Mama Ango verfügt über ein stark lokal geprägtes wie auch sehr individuelles ästhetisches Vorstellungsvermögen. Grössere Tiere wie die Komodo-Warane, die immer mehr Touristen nach Flores locken, waren ihr bisher zu wenig „süss“ (manis) für Sarongs. Diese ikattet sie eher auf Schultertüchern. Sie ist immer auf der Suche nach neuen Anregungen, und auch mich fragt sie, ob ich neue Vorlagen mitbringen kann, um ihren Motivschatz zu vergrössern. Wenn im Dorf über die beste Ikatarbeit gesprochen wird, nennt man den Namen Mama Angos und die zweier weiterer Meisterweberinnen. Anders als Mama Ango leiten die beiden anderen ihre – mit Gell und den Informanten gesprochen – „magischen“ Ikatfähigkeiten von der besonderen Clanabstammung mütterlicherseits ab. Die unerklärliche Begabung von Mama Ango wird manchmal mit einem magischen Wissen in Verbindung gebracht, das auch negativ gedeutet wird. Wie dem auch sei, die besondere Ästhetik ihrer Sarongs wird im Dorf jeweils lobend – und mit einem Anflug von Neid – hervorgehoben, indem diese in der Lokalsprache, im Lio, als nggiku bezeichnet werden oder in der Einheitssprache Bahasa Indonesia als seni, kunstvoll, und manis, süss – zwei starke Qualitätskriterien. Dies betrifft das Gesamtbild ihrer Sarongs, die Motive und deren Anordnung sowie die als ruhig bewertete dunkle Farbe. Die Motive sind nicht zu gross, und die Flächen weisen keine leeren Stellen auf. Mama Ango folgt in dieser Hinsicht der lokalen textilen Ästhetik, in bezug auf die Ikatdesigns ist sie aber innovativ. Die Ankäufe der teuersten Sarongs von Mama Ango und von anderen Meisterweberinnen durch zahlungskräftige Händler_innen aus nächst gelegenen Städten und aus Bali sowie durch Anthropolog_innen für Privat- und Museumssammlungen bestätigen die künstlerische Qualität der vielfältigen und fantasievollen Ikattextilien. Auch in Publikationen zur Textilforschung Indonesiens wird Ikatkleidung manchmal Kunstcharakter zugestanden, allerdings eher implizit. 27 Eingehende Erforschungen aus dieser Perspektive stehen noch aus. Mit Gell stimme ich überein, dass sich der Kunstcharakter von Artefakten – in diesem Fall der lawo gamba – nicht durch universale ästhetische Kriterien begründen lässt. Er beruht vielmehr auf einer Verknüpfung von verblüffender technischer Meisterschaft, komplexer Intentionalität der Motivdesigns, die sich letztlich nicht immer restlos rekonstruieren lässt, und lokaler Ästhetik. Ikatkleidung als Kunst: hinderliche und förderliche Mechanismen Zu den wichti- gen Prozessen, die eine Betrachtung von Ikatkleidung als Kunst erschweren oder gar verhindern, gehören die Ethnisierung und das Gendering dieser Art von Kleidung. Dies ist im FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 65 Zusammenhang mit postkolonialen Debatten über die Orientalisierung asiatischer Kleidung problematisiert worden. Die Diskussion und die grundlegenden theoretischen Gedanken hierüber möchte ich in einem kleinen Exkurs zusammenfassen. In der Einleitung des Sammelbandes Re-Orienting Fashion: The Globalization of Asian Dress entwerfen Carla Jones und Ann Marie Leshkowich eine postkoloniale feministische Sicht auf heutige asiatische Kleidung. 28 Sie möchten zu Untersuchungen anregen, die zeigen, wie Akteur_innen in verschiedenen asiatischen Kontexten sich entscheiden, Kleidung zu fertigen, zu tragen, zu kaufen oder zu verkaufen. Ein genauerer Blick auf diese performativen Praktiken des self-fashioning erlaubt, den beiden Autorinnen zufolge, orientalisierende Stereotypen asiatischer Kleidungsstile als traditionell zu entkräften. Self-fashioning als Teil des self-making ist nach Jones und Leshkowich im asiatischen Kontext unweigerlich mit self-orientalism oder auch Selbstexotisierung verbunden. Dies meint „producing and consuming an exotized image of one’s own cultural identity“. 29 Jones und Leshkowich verstehen dies als eine – eher unbewusste – Strategie, um diskursive Kontrolle über das negative Narrativ des westlichen Orientalismus zu erhalten, das mit einer tendenziellen Abwertung und Feminisierung asiatischer Kleidung, wie zum Beispiel indonesischer Sarongs, verbunden ist. Für die bewusste Strategie, den Orientalismus zu bekämpfen, wurde der Begriff counter-orientalism geprägt. 30 Zum Beispiel zeigt Lise Skov im erwähnten Sammelband, wie urbane Designer – es handelt sich nur um Männer – in Hong Kong durch ihre Entwürfe bewusst eine kritische Reflexion der kulturellen Debatten in ihrer Gesellschaft anstreben. 31 Weiter ist gemäss Jones und Leshkowich die Strategie des internal orientalism von Seiten des Nationalstaates zu beachten. 32 Auch diese prägt die Kleidungspraktiken in der Peripherie Asiens, vor allem von Frauen. Sie werden mit ihrem Kleidungsstil im staatlichen Diskurs oft als rückständig und als exotische Andere repräsentiert, im Kontrast zum angeblich zivilisierten, fortschrittsorientierten Staat. Ich möchte hier auf die verschiedenen Strategien des self-fashioning eingehen, mit einem Seitenblick auf die Einflüsse des Nationalstaates. Anders als die meisten Autor_innen im Buch Re-Orienting Fashion fokussiere ich auf die Kreation von Kleidungsmustern anstatt Kleidungsformen, auf eine Frau als Designerin anstatt auf einen Mann und auf einen ruralen anstatt auf einen urbanen Kontext. Damit erweitere ich den Geltungsbereich dieses Ansatzes. Self-fashioning: ein offenes Universum an Ikatdesigns Im Fall der Ikatarbeit von Mama Ango handelt es sich um äußerst kreative performative Praktiken des self-fashion- ing. Sie lassen sich als eine direkte Antwort auf externe globale und regionale Einflüsse 66 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 durch Kirche und Tourismus – und in gewissen Belangen durch den Kontakt mit einer Sozial- und Kulturanthropologin – seit den 1980er Jahren interpretieren. Ausserdem können sie als eine indirekte Antwort auf politische Veränderungen Ende der 1990er Jahre seit dem Sturz von Präsident Suharto interpretiert werden. All diese Entwicklungen haben in ausgeprägter Weise lokale Prozesse kultureller Revitalisierung und Neuerfindung angeregt. 33 Das self-fashioning von Mama Ango beinhaltet teils tradierte motivische Repräsentationen der eigenen Gruppe, regional, ethnisch, dörflich-örtlich und bildungsmässig bedingt, teils selber kreierte. Durch diese Art des self-fashioning werden gleichzeitig kollektive und persönliche Abgrenzungen vollzogen. Ausserdem sind die Repräsentationen stark geschlechtsspezifisch bestimmt, zum Beispiel in der weiblichen Motivik der Opferung der Reisgöttin, der Brautpreisgüter, des Goldschmucks und der Zeremonialhäuser und in der männlichen Motivik des Helden, Bauern und Fischverkäufers. Weiter ist für einen geübten Blick die örtliche Herkunft dieser textilen Kreationen sofort ersichtlich, was oft ethnisch gedeutet wird. Wie bereits erwähnt, repräsentieren die Ikatdesigns ein soziales und kulturelles Universum, inspiriert durch Mythen, Riten und Alltag. Für westliche Augen ist die Intentionalität einer solchen Ikonographie zunächst unzugänglich. Sie wirkt fremd und bleibt das bis zu einem gewissen Grad. Erst durch ein vertieftes lokales und regionales Wissen lässt sie sich stückweise erschliessen. So lässt sich sagen, dass Mama Ango mit ihrer besonderen Produktion von Ikatdesigns durchaus eine Selbstexotisierung für westliche Betrachter_innen betreibt. Das Universum der Ikatdesigns von Mama Ango ist jedoch keineswegs ein abgeschlossenes Terrain. Es ist überaus offen für Variationen, und neue Elemente werden problemlos integriert, wenn sie nach Mama Ango „süss“ genug sind. Auch nationale Elemente sind vorhanden, zum Beispiel der wehrhafte Held des Tausend-RupienGeldscheins. Internal orientalism: gebrochene Ethnisierung und Traditionalisierung von Ikatkleidung Weiter sei daran erinnert, dass diese textilen Kreationen im Kontext der natio- nalen Einheit bedeutsam sind. Die Einheit der im Grunde äusserst vielfältigen Nation Indonesien wird nicht selten durch folkloristische Ethnisierungen hergestellt, wodurch der kulturelle Reichtum bagatellisiert wird. Carla Jones erinnert in einem Beitrag zu Kleidung, Nationalität und das urbane Indonesien daran, dass es für postkoloniale Bürger_innen nicht unüblich ist, „to embrace a form of self-Orientalizing that represents the national collective through women’s ‚traditional‘ dress in ways that make both the particular outfit and FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 67 the connection between women’s bodies and the national body appear to be natural and timeless“. 34 Die Ethnisierung und Traditionalisierung bestimmter Kleidung geschieht einerseits für ein indonesisches Publikum im Dienst der Kohärenz der modernen Nation und andererseits für ein ausländisches Publikum im Dienst der internationalen Vermarktung. Mama Ango arbeitet mit ihren Ikatdesigns auf den ersten Blick im Einklang mit einer bestimmten Form des internal orientalism und der Ethnisierung von Kleidung. Für beide Arten von Publikum spielt der Tourismus eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dieser trägt dazu bei, dass kulturelle Artefakte von Häusern über Rituale und Tänze bis zu Handwerk eine neue, teils auch folkloristische Bedeutung erlangen – nicht zuletzt bewirkt er eine Traditionalisierung bestimmter handgewobener Kleidungsstücke. Aber Mama Angos Tücher lassen sich hier nur bedingt einordnen. Counter-Orientalism und Kunst: Reflexivität und Ironie im Motiv des Fremden Wenn man das verfremdende Element der fotografierenden Figur betrachtet, kann man sogar von einer Gegen-Orientalisierung (counter-orientalizing) sprechen. Mama Ango nimmt den fremden Blick vorweg, sie eignet ihn sich selber an. Wie kaum eine andere Weberin versucht sie zu entdecken, welche figürlichen Motive westliche Besucher_innen anziehen und stellt so einen transnationalen Bezug her. Dabei unterwirft sie sich dem fremden Blick, aber immer nur ein Stück weit. Mama Angos Ikatarbeit zeigt in besonderer Weise eine eigene Auswahl an exotischen Elementen zur Erschaffung einer eigenen kreativen Welt und einer eigenen ökonomischen Existenz und bestätigt damit die folgende These von Jones und Leshkowich: „Just as indigenous bourgeoisies used selective strategies of ‚tradition‘ and ‚modernity‘ to resist colonial identities, so too are postcolonial populations selectively embracing elements of exoticism that serve their own purposes of self-orienting. Gender can figure centrally in this regard around questions of both masculinity and femininity. [...] Women’s choices to attempt counter-Orientalisms by playing with images that might otherwise be seen as if one were orientalizing oneself contrast with stereotypes of passive, docile Asian women, while nonetheless still reinscribing difference“. 35 Mama Ango macht als Ikatdesignerin letztlich strukturell Ähnliches, wie es asiatische Designer_innen auf der globalen Bühne in Orten wie Hong Kong tun: Mit der Art ihrer kulturellen Produktion schafft sie eine reflexive Distanzierung zur Repräsentation von Kultur, wie sie in ihrem lokalen Kontext vorherrscht. Dies enthält sogar einen Aspekt der Neutralisierung von Geschlecht (degendering) oder der geschlechtlichen Ambivalenz, denn je nach Zusammensetzung des fremden Publikums interpretiert sie interessanterweise die 68 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 fotografierende Person als männlich oder weiblich. So fällt nach Meinung von Mama Ango die Identifizierung mit dem Tuch leichter – und die Kauflust wird angespornt. Skov bezeichnet die Kleidung, welche die von ihr untersuchten Designer in Hong Kong durch ihre Strategie des counter-orientalizing kreieren, als „kritische Form von Kunst“. 36 Auch im Fall von Mama Ango lässt sich eine entsprechende Strategie feststellen. Sie verstärkt die Komplexität der Intentionalität und trägt somit wesentlich zum künstlerischen Potential ihrer Ikatkleidung bei. Man kann meines Erachtens behaupten, dass Mama Ango in ihren figürlichen Ikatdesigns eine neue, offene Sicht der lokalen, regionalen, nationalen und transnationalen Lebenswelt kreiert – eine visuelle Collage verschiedener Perspektiven, die auf unterschiedliche Art und Weise interpretiert werden können. Die visuellen Ikatcollagen ihrer Sarongs stellen eine Form von wirkmächtiger und reflexiver Kleidungskunst dar, weniger radikal als etwa die von Colchester analysierte pazifische T-Shirt-Kunst, 37 aber doch mit einer gehörigen Prise Ironie. Schlussbemerkungen Es darf nicht übersehen werden, dass Mama Ango als rurale Weberin von der „global hierarchy of value“, wie es Michael Herzfeld in seinem Buch über Handwerk nennt, 38 betroffen ist, die mit Prozessen ökonomischer und kultureller Globalisierung einhergeht. Dies bedeutet, dass sie aufgrund ihrer ländlichen Herkunft sozial und ökonomisch niedriger eingestuft wird als urbane Modedesigner. Ihre Kreationen, so eigenständig, technisch gekonnt, originell und innovativ sie auch immer sind, können dadurch allzu schnell traditionalisiert und damit abgewertet werden, wovor Jones und Leshkowich anhand anderer Beispiele warnen. Ich meine, Mama Angos Ikatkreationen sind mehreren Orientalisierungsprozessen unterworfen und zwar in ambivalenter Weise: einerseits selbstorientalisierend, dann orientalisierend durch staatlich verordnete Imagebildung im Sinne einer vor allem auf weibliche Kleidung bezogene Traditionalisierung und Ethnisierung, andererseits distanzieren sich ihre ideenreichen Motive in subtil-kreativer Weise wieder davon. Doch besteht – provokant gefragt – nicht auch die Gefahr, dass Ansätze zu Orientalisierungen generell durch ihre Wirkmächtigkeit eine Traditionalisierung und Abwertung asiatischer Kleidung befördern? Zumindest fällt es auf, dass Wissenschaftler_innen an den Kreationen von Akteurinnen, die in peripheren Regionen mit einfachen Werkzeugen arbeiten, mit Ausnahme von Niessen, eher wenig Interesse haben. Mit Gell argumentiert, lässt sich jedoch feststellen, dass die Ikatentwürfe Mama Angos im Zusammenspiel mit einer „verzaubernden“ Machart ungewohnter Motive und Mo- FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 69 tivkombinationen, mit komplexen narrativen Intentionen und mit einer besonderen lokalen Ästhetik, ausgeprägte künstlerische Qualitäten aufweisen. Nicht zuletzt bilden sie spannungsvolle visuelle Collagen aus neu kreierten lokalen, nationalen und transnationalen Elementen, die sich in der Wirkmächtigkeit der immer wieder anders gestalteten und anders platzierten – oft randständigen – fotografierenden fremden Person verdichten. Für äusserst wertvolle Anregungen und Hinweise dan- 5 ke ich Paola von Wyss-Giacosa, Sozial- und Kultur- Clothing History: Designing Participation in the Global Sandra Niessen, Three Scenarios from Batak anthropologin an der Universität Zürich, sowie Birgit Fashion Trajectory, in: Niessen u. a. (wie Anm. 4), Haehnel, Herausgeberin dieses Heftes der Zeitschrift S. 49–78. FKW. 6 Siehe Beispiel in Willemijn de Jong, Geschlech- tersymmetrie in einer Brautpreisgesellschaft. Die 1 Das indonesische Wort „ikat“ bezeichnet eine Stoffproduzentinnen der Lio in Indonesien, Berlin aufwändige Art der Musterung, eine sog. Reserve- 1998, S. 193. technik, durch Abbinden des Garns vor dem Färben 7 und vor dem Weben. Für eine genaue Beschreibung längere Feldforschungen von insgesamt fast zwei Jah- siehe Alfred Bühler, Die Ikat-Technik, in: Ciba-Rund- ren 1987/88 und 1990/91. schau 51 (1941), S. 1850–1860. In Indonesien ist 8 diese Technik vor allem in der östlichen Provinz Nusa- gestellt. Aber es gibt auch immer wieder einzelne Män- tenggara Timur (NTT) verbreitet. Studien zu Ikatde- ner, die in meisterhafter Art ‚wie Frauen‘ die Kunst des signs gibt es über Sumba, Savu und Ostflores, aber Ikattens beherrschen. noch nicht über Zentralflores. Für einen Überblick über 9 die Entwicklung der Textilforschung in Indonesien sie- Zentralflores umfasst ungefähr zwanzig Dörfer. Ngge- he Paola von Wyss-Giacosa, Vom Gewebe zur Webe- la ist das wichtigste Webereizentrum, mit rund dreis- rin. Zum Wandel ethnologischer Blicke auf indonesi- sig Textiltypen mit eigenen Namen, darunter zwanzig sche Textilien, in: Monika Glavac, Anna-Katharina Höpf- Sarongtypen. Siehe Willemijn de Jong, Cloth Producti- linger, Daria Pezzoli-Olgiati (Hg.), Second Skin. Körper on and Change in a Lio Village, in: Roy Hamilton (Hg.), und Kleidung im Spannungsfeld von Religion, Göttin- Gift of the Cotton Maiden. Textiles of Flores and the So- gen 2012 (im Druck). lor Islands, Los Angeles 1994, S. 210–227. 2 Regelmässiger Besuch der Region seit 1985, Ikattextilien werden in der Regel von Frauen her- Die Webereiregion des südlichen Liogebietes in 10 Gell 1998 (wie Anm. 3), S. 6. Material Culture, Oxford und New York 2005. 11 Gell 1998 (wie Anm. 3), S. 225–226. 3 Alfred Gell, Art and Agency. An Anthropological 12 Gell 1998 (wie Anm. 3), S. 74. Theory, Oxford 1998; Alfred Gell, The Technology of 13 Vgl. Gell 1999 [1992] (wie Anm. 3), S. 166, Enchantment and the Enchantment of Technology, in: 169. ders., The Art of Anthropology. Essays and Diagrams. 14 Gell 1999 [1996] (wie Anm. 3), S. 211. London 1999 [zuerst: 1992], S. 159–186; Alfred 15 Gell 1998 (wie Anm. 3), S. 68. Gell, Vogel’s Net: Traps as Artworks and Artworks as 16 Gell 1998 (wie Anm. 3), S. 66. Traps, in: ders., The Art and Anthropology 1999 [zu- 17 Der Arbeitsschritt des Ikattens zweier Bildersa- erst 1996], S. 187–214. rongs, die meist zusammen geikattet werden, beträgt 4 ungefähr einen Monat. Susanne Küchler, Daniel Miller (Hg.), Clothing as Sandra Niessen, Ann Marie Leshkowich, Carla Jones (Hg.), Re-Orienting Fashion. The Globalization of 18 Asian Dress, Oxford und New York 2003. (Abb. 3) ist mit Indigo und Mengkudu gefärbt. 70 Der älteste der fünf untersuchten Sarongs STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 19 Siehe Abbildungen von Webgeräten in Hamilton 29 Ebd., S. 28. (wie Anm. 9), S. 228–229, und de Jong (wie Anm. 6), 30 Dorinne Kondo hat diesen Begriff in einer Stu- S. 161 und 199. die 1997 zum japanischen Männerkostüm geprägt. Zi- 20 tiert in Jones/Leshkowich (wie Anm. 28), S. 28. Der Sarong wird zum Tragen meist in der Taille gebunden oder über eine oder beide Schultern ge- 31 schlungen. zation Experience and a Hong Kong Dilemma, in: Nies- 21 Gell 1999 [1992] (wie Anm. 3). sen u. a. (wie Anm. 4), S. 215–242. 22 Gell 1999 [1996] (wie Anm. 3), S. 211. 32 Jones/Leshkowich (wie Anm. 28), S. 17. 23 Gera van der Weijden, Indonesische Reisritua- 33 Maribeth Erb, Adat Revivalism in Western Lise Skov, Fashion–Nation: A Japanese Globali- le, Basel 1981. Flores: Culture, Religion, and Land, in: Jamie S. David- 24 son, David Henley (Hg.), The Revival of Tradition in In- Siehe P. Sareng Orin Bao, Nusa Nipa. Nama Pri- bumi Nusa Flores, Ende 1969, hier S. 180. donesian Politics. The Deployment of Adat from Co- 25 lonialism to Indigenism, London und New York 2007, Die Bewohner_innen der Insel Flores sind zu rund neunzig Prozent katholisch und zu rund zehn Pro- S. 247–274. Carla Jones, Dress for Sukses: Fashioning zent muslimisch. 34 26 Femininity and Nationality in Urban Indonesia. In: Nies- Es ist auffallend, dass Missionare und Priester auch in anderen Gesellschaften im asiatisch-pazifi- sen (u. a.) (wie Anm. 4), S. 185–213, hier S. 186. schen Raum einen wichtigen Einfluss auf die Kleidung 35 Jones/Leshkowich (wie Anm. 28), S. 29. der Bevölkerung ausgeübt haben. Siehe z. B. Graeme 36 Skov (wie Anm. 31), S. 239. Were, Pattern. Efficacy and Enterprise: On the Fabri- 37 Chloë Colchester, T-Shirts, Translation and Hu- cation of Connections in Melanesia, in: Küchler/Miller mour: On the Nature of Wearer-Perceiver Relation- (wie Anm. 2), S. 159–174. ships in South Auckland, in: Chloë Colchester (Hg.), 27 Clothing the Pacific, New York 2003, S. 167–191. Vgl. z. B. Alison Fisher, Decorative Arts of Sum- ba, Amsterdam 1999. 38 28 and Artifice in the Global Hierarchy of Value, Chicago Carla Jones, Ann Marie Leshkowich, Introducti- on: The Globalization of Asian Dress: Re-Orienting Michael Herzfeld, The Body Impolitic. Artisans und London 2004, S. 2–5. Fashion or Re-Orientalizing Asia?, in: Niessen (u. a.) (wie Anm. 4), S. 1–48. FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 71 Kerstin Pinther, Kerstin Schankweiler Verwobene Fäden: Textile Referenzen in der zeitgenössischen Kunst Afrikas und der Diaspora Die Grace Kwami Sculpture von Atta Kwami aus dem Jahr 1993 (Abb. 1) ist Künstlerbuch, Skulptur und Hommage an seine Mutter, die Keramikerin und Textildesignerin Grace Kwami. 1 Gleichsam als Mini-Ausstellung kann die Arbeit in einer handgefertigten und mit einer Batik überzogenen Kiste transportiert werden. Bei Aufstellung erinnern die acht gefalteten und mit Fotografien, Entwürfen und Zeichnungen der Mutter beklebten Seiten des Buches an eine Spinne. Den Worten des 1956 in Accra, Ghana, geborenen Künstlers zu Folge handelt es sich um die in der oralen Literatur weit verbreiteten mythologischen Spinne Ananse, der in Westafrika, aber auch der Karibik bekannten Trickster-Gestalt. 2 Das als männlich imaginierte Tier ist Weltenspinner und zugleich Sinnbild des Schöpferischen. 3 Atta Kwamis Werk vereint nicht nur unterschiedliche künstlerische Medien – Fotografie, Textilien, Skulptur –, es verweist auch auf die Bande, die zwischen dem Geschichtenerzählen, den Sprichwörtern und dem Weben, dem Textilen in Westafrika besteht. In der Einleitung zu Nadelstiche. Sticken in der Kunst der Gegenwart konstatiert Mathilda Felix eine besondere Hinwendung der zeitgenössischen Kunst zu textilen Techniken. 4 Die Stickerei, so die Autorin weiter, entfalte dabei ihr künstlerisches Potential auf Grund ihrer spezifischen Genealogie zwischen „reputierlicher Handarbeit“ 5 und subversiver Künstlerinnen-Praxis. Als solche spielt sie auch in Teilen Afrikas eine Rolle für die Gegenwartskunst, um auf unterschiedliche kulturelle, historische und geschlechtsspezifische Problematiken zu verweisen. Die Arbeit von Atta Kwami verweist bereits auf weitere kulturspezifische Konnotationen und Praxen des Textilen. Wie also gestaltet sich eine Genealogie des textilen Mediums im afrikanischen Kontext? Und welche Bedeutung kommt ihm in der zeitgenössischen Kunstproduktion zu? 6 Zur kulturellen Praxis des Textilen in Afrika Anders als in Europa, wo das Textile in einer Hierarchie der Gattungen der Künste oftmals marginalisiert und aus dem Kunstbetrieb ausgeschlossen wurde, 7 ist die Textilproduktion in fast allen Gesellschaften Afrikas 72 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 1 Atta Kwami, Grace Kwami Sculpture, 1993, Künstlerbuch, Papier, Pappe, Stoff, 7,5 × 27 × 37,5 cm, Besitz des Künstlers ein hochgeschätztes und spezialisiertes Metier und diejenigen, die es ausführen, genießen großes Ansehen. Im Gegensatz zu Europa, wo textile Techniken zumeist mit Weiblichkeit verknüpft sind, gelten sie (v. a. das Weben) im westafrikanischen Kontext eher als männlich konnotiert und stehen für Prestige und Macht. 8 Dies ist jedoch nicht ausschließlich der Fall, wie es das Beispiel des Stickens im Folgenden deutlich macht. Eine Verkomplizierung erfahren Geschichte und Bedeutung dieser Tätigkeit vor dem Hintergrund des Kolonialismus. In dieser Zeit tritt die repressive Wirkung von textilem Arbeiten hervor, wie sie Mathilda Felix und Dagmar Ladji-Teichmann für den europäischen Zusammenhang herausgearbeitet haben 9, und zwar durch die Überführung in den Bereich der Mädchenerziehung in den Missionsschulen. 10 Die körperlich disziplinierende Tätigkeit versprach eine gewisse Innerlichkeit, Keuschheit und Sittlichkeit zu fördern, zumindest waren die Mädchen während des Arbeitsprozesses „sinnlich, gedanklich und physisch gebunden“ 11. Diese erzieherische Maßnahme diente der ‚Zivilisierung‘ der Kolonisierten und tat den eu- FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 73 ropäischen Fantasien über ungezügelte (weibliche) Sexualität von AfrikanerInnen Genüge. Vorstellungen von Weiblichkeit verflechten sich hier mit denen von Ethnizität und führen zu Verschiebungen und Verstärkungen der strukturellen Diskriminierung. Es zeigt sich einmal mehr die Notwendigkeit, Medien in ihren unterschiedlichen Dispositiven zu verstehen, die gleichsam eine Palette an möglichen Praktiken bereithalten, die ganz unterschiedlich ausgeschöpft werden, das heißt spezifische kulturelle Konkretisierungen und Konnotationen erfahren. So sind Textilien nicht per se als randständiges Medium zu verstehen, wie der Vergleich Europa mit Afrika zeigt. Ebenso müssen auch Techniken wie das Sticken in ihren lokalspezifischen gesellschaftlichen Bezügen analysiert werden – ohne jedoch kulturelle Differenz in essentialistischer Weise festzuschreiben. Die besondere Bedeutung und zentrale Funktion von Textilien in Afrika manifestiert sich in einer Vielzahl von Referenzen – eine der wichtigsten verweist auf das Gewebe als Urbild des Sozialen und ist für verschiedene Gesellschaften belegt. 12 Aber auch als Technik, soziale Bedeutung zu kodieren, zu speichern und zu verarbeiten geht sie anderen Medien, etwa der Fotografie, voraus. Textilien sind in Praxen der Erinnerung, in Übergangsriten, Statuszuschreibungen und Identitätskonstruktionen eingebunden; mitunter werden sie bewusst als Kommentare eingesetzt, als eine ins Visuelle gemünzte Form des Sprechens oder des silent talk. 13 Auch ihre heilenden und beschützenden Funktionen sind geschätzt. In manchen Teilen Nigerias dient nach dem Tod eines Menschen ein kleines Stück Stoff seinem Andenken, haben sich doch darin seine unverwechselbaren Spuren festgesetzt: Stoffe und Kleider werden als Emanation des Menschen angesehen. Durch Stoffe hat der menschliche Körper Teil am ewig Bedeutungsvollen: „Cloth does not die!“ – diese Redensart der Yoruba verweist auf Textilien als ultimative Referenz für Kontinuität angesichts von Unsicherheit und Tod. 14 Die Wertschätzung von Textilien zeigt sich auch darin, dass sie seit Jahrhunderten sowohl im lokalen wie auch im (transkontinentalen) Fernhandel als Zahlungs- und Tauschmittel eingesetzt wurden. 15 Textilien als flexible, leicht zu transportierende Güter waren so auch Vehikel für einen transkulturellen und überregionalen Transfer von Ideen. Gleichzeitig ist bereits ihre Produktion vom Kulturkontakt geprägt, denn oftmals wurden einzelne Materialien für die Herstellung importiert. Das Medium des Textilen ist besonders geeignet, Veränderungen und Neues zu adaptieren: „Textile design fluidly absorbs innovation and transcends cultural boundaries.“ 16 Diese Qualitäten lassen eine so typisch mit afrikanischen Kulturen verbundene dichotome Vorstellung von Tradition in Abgrenzung zur Moderne obsolet erscheinen. Die transkulturelle Geschichte und Anpassungsfähigkeit 74 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 sind zentrale Aspekte, die das Medium für die Gegenwartskunst so reizvoll machen und kulturelle Übersetzungsprozesse geradezu befördern. Als Teil der visuellen Kultur sind die diversen Textiltraditionen des Kontinents den bildenden KünstlerInnen wichtige Ressource und ästhetische Referenz. Vier künstlerische Positionen, die in unterschiedlicher Intensität auf ältere afrikanische Textiltraditionen oder aber auf feministische Kunststrategien rekurrieren, sollen hier schlaglichtartig in ihren je spezifischen Bezügen beschrieben werden. Auch in technischer Hinsicht ist die Bandbreite weit und reicht vom Weben (in anderen als textilen Materialien), Applizieren, Sticken hin zur Verwendung textiler Produkte wie Kleidung. Vom Amulett zur Abstraktion: Abdoulaye Konaté Abdoulaye Konaté (geb. 1953) lebt und arbeitet in Bamako, Mali, wo er als Direktor der Kunstschule Conservatoire des Arts et Métiers multimédias Balla Fasséké Kouyaté ein wichtiger Akteur der lokalen Kunstszene ist. 17 Unter anderem war er vier Jahre lang der Direktor der Foto-Biennale in Bamako. Der international renommierte Künstler ist in Deutschland vor allem durch seine Teilnahme an der Ausstellung Afrika Remix und der documenta 12 bekannt. Konaté produziert großformatige textile Wandbehänge, die mit Amuletten, so genannten gris-gris, bestückt sind: Diese meist viereckigen Applikationen oder tropfenförmig gestopften Stoffwulste fungieren bei den Mandé in Mali als Talisman. Üblicherweise werden sie auf die Hemden von Jägern appliziert und mit magisch aufgeladenen Gegenständen oder Substanzen zu seinem Schutz gefüllt, wie mit Kräutern oder kleinen Zetteln mit Versen aus dem Koran. 18 Die Kleidung ist sichtbares Zeichen für den Status als Jäger, für ihre Kraft und Macht, sowie durch die narrative Komponente für ihre Taten. Die Hemden berichten von den individuellen Erlebnissen während des Jagens und werden deswegen ständig modifiziert – so gibt etwa die Anzahl an Antilopenhörnern Aufschluss über die Anzahl getöteter Tiere. 19 In einer Serie von Arbeiten aus den frühen 1990er Jahren mit dem Titel Hommage aux chasseurs du Mandé bezieht sich Konaté explizit auf diese männlich konnotierte Tradition und würdigt sie durch die Übertragung ihrer Symbolik und Ästhetik in die Gegenwartskunst. Erinnert Hommage aux chasseurs du Mandé mit den aufgenähten Amuletten, den langen Lederbändchen und den applizierten Kaurimuscheln visuell und konzeptuell stark an die Hemden der Mandé-Jäger, so abstrahieren spätere Arbeiten aus der gris-gris Serie davon. In ihrer Farbigkeit und ihren Applikationen sind sie auf eine rein formal-ästhetische Wirkung hin angelegt, während andere Arbeiten, mit teils piktogramm-ähnlichen ikonischen Symbolen bestückt, oftmals politisch aufgeladen sind. Gris-gris pour Israël et la Pa- FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 75 2 Abdoulaye Konaté, Gris-gris pour Israël et la Palestine, 2006, Textilie, documenta 12 76 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 lestine (2006, Abb. 2) zählt zur letzteren Kategorie und besteht aus vier großen hellen Baumwoll-Leinwänden. Neben den gris-gris wurden Fahnen Israels sowie Palästinensertücher appliziert: ein offensichtlicher Verweis auf den israelisch-palästinensischen Konflikt, dessen Geschichte – ähnlich der narrativen Komponente der Jägerhemden – in die Textilie eingeschrieben ist. Der untere Rand der Wandbehänge ist unregelmäßig rot eingefärbt und scheint an die gewalttätigen Auseinandersetzungen zu gemahnen, denn die Gestaltung evoziert Blut, mit dem der Stoff getränkt ist bzw. das der Stoff von unten her aufgesogen hat. Die israelische Flagge und das Palästinensertuch, selbst textile und auf Identitätspolitiken verweisende Symbole, tauchen auf den vier Leinwänden in unterschiedlicher Gewichtung auf, was auf verschiedene Phasen und Intensitäten des Konflikts selbst hindeutet. Die gris-gris verleihen den Wandbehängen einen eigenen Rhythmus und scheinen in ihrer heilenden und schützenden Funktion positiv auf den Konflikt einwirken zu wollen. Während Konaté hier das machtvolle Konzept des Talismans auf einen politischen Konflikt anwendet, interessieren ihn in anderen weniger explizit politisch motivierten Arbeiten vor allem die ästhetischen und formalen Qualitäten der Amulette. In gris-gris blanc (2006) stehen die material-ästhetischen, haptischen und strukturierenden Eigenschaften der tropfenförmigen Stoffwulste im Vordergrund. 20 In Symphonie Bleue (2007) werden die Amulette in schlichte Stoffstreifen überführt, die die gesamte Leinwand übersäen und ihr einen flirrenden, bewegten Charakter verleihen. Beide Arbeiten heben auf die Farbigkeit ab und gewinnen so eine fast schon malerische Komponente. Hier transferiert die textile Tradition zu einer ästhetischen Ressource, deren Inhalte die BetrachterInnen nicht kennen müssen, um ihren Reiz zu erfahren und zu genießen. Textile Ästhetik in anderen Medien: El Anatsui El Anatsui überführt textile Qualitä- ten in ein gänzlich anderes Medium: Aus Kronkorken und Flaschenverschlüssen, die zunächst platt gewalzt oder gefaltet und dann mit Kupferdraht massenweise miteinander verknüpft werden, fertigt er monumentale Skulpturen oder Wandbehänge. Das Material, eigentlich ein Wegwerfprodukt, erhält durch diese originelle Verarbeitung einen überraschenden ästhetischen Reiz, wirkt äußerst pracht- und wertvoll, und wird so eher mit Gold und Brokat assoziiert denn mit Altmetall. Mit diesen spektakulären Arbeiten wurde der Künstler international bekannt, spätestens nach seiner Teilnahme an der 52. Biennale von Venedig 2007. El Anatsui wurde 1944 in Anyako, Ghana, geboren und studierte in Kumasi Bildende Kunst. Seit 1975 ist er Professor für Skulptur an der renommierten Universität von Nigeria in Nsukka, an der eine der wichtigsten Kunstschulen Afrikas angegliedert ist. 21 FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 77 Die raumgreifenden Assemblagen seiner Cloth-Serie erinnern jedoch nicht nur in ihren formalen Qualitäten an Textilien, sondern beziehen sich auch ganz konkret auf ghanaische Kente-Tücher, deren Muster und Farbigkeit in der Kombination der Flaschenverschlüsse anklingen. Wie bei Atta Kwami finden sich auch bei Anatsui, dessen Vater und Bruder Kente-Weber sind, biografische Bezüge zum Textilhandwerk. Kente wurde ursprünglich bei den Akan und Ewe in Ghana und Togo hergestellt. Als Material diente zunächst lokal vorkommende Baumwolle, ab dem 19. Jahrhundert auch importierte Ware und Seidenfäden, die aus eingeführten und aufgetrennten Kleidern stammte. Kente steht somit auch für transkulturelle Austauschprozesse und das Anpassungs- und Aneignungspotential von Textilien. Die Stoffe werden in einem sehr spezifischen Verfahren auf sogenannten Schmalbandwebstühlen gefertigt, wobei die entstehenden Stoffbahnen anschließend zusammengenäht werden. Dass die Herstellung eine männliche Domäne war, deutet bereits auf die kulturellen Codierungen des Textilen, die damit verbundenen StatusZuweisungen und Machtstrukturen hin. So war Kente auch nicht frei verfügbar; es existierte eine Hierarchie der Textur, Musterung und Farben, die an Geschlecht, Personen und Ämter gebunden war. 22 Viele Textilien in Westafrika, besonders aber Kente, teilen bestimmte ästhetische Prämissen: Anders als in der Skulptur, wo die Darstellung des Körpers weitgehend durch Symmetrien und Balance bestimmt ist, überwiegen in den Stoffen Asymmetrien, durch Farbe und Bewegung gebrochene Serialität und Diskontinuität. Die Kunstwissenschaftlerin Monni Adams hat auf ähnliche ästhetische Vorlieben für das Fragmentarische und Heterogene in der Polyrhythmik afrikanischer Musik verwiesen, 23 und Herbert Ross unterstreicht das kinetische Moment des Stoffes: „Kente was made for movement.“ 24 Anatsui macht sich sowohl die spezifische Ästhetik wie auch die eigene Technik der Kente-Stoffe zu Nutze und überträgt sie auf seine Arbeiten. Diese sind von visuell komplexen Unregelmäßigkeiten durch die Kombination der Einzelteile geprägt. Anatsui fertigt zunächst Versatzstücke, die später, wie bei der Kente-Weberei, zu einer Gesamt-Komposition verknüpft werden. Er legt zudem besonderes Augenmerk auf Installation oder Hängung, die er stets persönlich vornimmt oder anleitet. Die Werke entwickeln dabei ihre spezifischen Faltenwürfe, die der Künstler wohl komponiert, sodass die textile Qualität besonders hervortritt. So achtet er bereits bei der Produktion der einzelnen Teile – er unterhält dazu eine ganze Werkstatt mit zahlreichen Mitarbeitern – insbesondere auf die Beweglichkeit: Die flexibel miteinander verbundenen Metallteile müssen in alle Richtungen „fallen“ können, um einen tatsächlich stoffähnlichen, organischen Faltenwurf zu erzielen. 25 Über seine Technik sagt er: „In effect, the process was subverting the stereotype of 78 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 3 El Anatsui, Ozone Layer and Yam Mound(s), 2010, Aluminium und Kupferdraht, Installation an der Fassade der Alten Nationalgalerie Berlin im Rahmen der Ausstellung Who Knows Tomorrow. Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie. Foto: Jens Ziehe metal as a stiff, rigid medium and rather showing it as a soft, pliable, almost sensuous material capable of attaining immense dimensions and being adapted to specific spaces.“ 26 Für die Berliner Ausstellung Who knows tomorrow (2010) fertigte Anatsui einen monumentalen Behang, der die Fassade der Alten Nationalgalerie zu großen Teilen verhüllte (Abb. 3). 27 Hier spielte der Aspekt der Bewegung eine besondere Rolle, denn durch die Anbringung im Außenraum flatterte die Arbeit geradezu, immer wieder mobilisiert durch Windstöße. Auf die explizite Erinnerungsfunktion von Textilien in Afrika spielt El Antsui an, wenn er mit Bezug auf Sonya Clark sagt, dass sie der Funktion von Monumenten in Europa entsprechen: „Indeed their capacity and application to commemorate events, issues, persons and objectives outside of themselves are so immense and fluid it even rubs off on other practices.“ 28 Diese Eigenschaft von Textilien verknüpft er mit seinem Material, denn die Flaschenverschlüsse bergen für den Künstler eine historische Referenz, weil sie gleichsam die Essenz des Alkohols verkörpern. Alkohol und Textilien waren wichtige Han- FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 79 delswaren im Kontakt zwischen Europäern und Afrikanern – und erinnern damit auch an die später aus diesem Kontakt resultierende Geschichte von transatlantischem Sklavenhandel und Kolonialismus. „The most important thing for me is the transformation. The fact that these media, each identifying a brand of drink, are no longer going back to serve the same role but are elements that could generate some reflection, some thinking, or just some wonder. This is possible because they are removed from their accustomed, functional context into a new one, and they bring along their histories and identities.“ 29 Vielfach Bezüge zu Textilien finden sich auch in Anatsuis früherem Schaffen, wie etwa in seinen Holzskulpturen und der Malerei. 30 Ähnlich wie Anatsui übertragen auch andere Künstler die ästhetischen und konzeptuellen Qualitäten von Stoffen in ihre künstlerischen Medien. Beispielsweise verbindet Atta Kwamis abstrakte Farbfeldmalerei das Vokabular von Kente-Stoffen mit der europäischen und US-amerikanischen abstrakten Malerei des 20. Jahrhunderts. Der ebenfalls aus Ghana stammende Owusu-Ankomah bezieht sich, wie im Übrigen auch El Anatsui in anderen Werkgruppen, in seiner Movement-Serie auf die so genannte adinkra-Symbolik, die für Textilien der Akan zentral ist. 31 Diese verknüpft er mit Körperkonzepten der italienischen Renaissance zu etwas Neuem. Beide Künstler kombinieren also kulturell ganz unterschiedliche Repertoires, wobei sie das Potential der Textilien zu Anpassung und Interaktion für ihre Arbeit nutzen. Auch in der Fotografie spielt die ältere Textilkunst als ästhetische Referenz eine besondere Rolle: So sind viele Aufnahmen des malischen Fotografen Seydou Keita (1921–2001) oder des Ghanaers Philip Kwame Apagya (geb. 1958) von textilen Kompositionsmodi geprägt: Das betrifft die Verknüpfung von Figur und Grund, die oft zu einem dichten Gewebe aus bewegten Flächen und Linien, aus Muster und Farben verschmelzen. 32 Das gilt ebenso für Francis K. Honny (1914–1998) aus Elmina, Ghana, einem Meister der textilen Bildkomposition. Seine Arrangements greifen nicht nur die Rhetorik der Adinkra- und Wachsstoffe auf, sondern orientieren sich auch an dem textilen Prinzip der Ausgewogenheit (balancing) von Formen und Flächen. 33 Sticken als Übersetzungsprozess: Ghada Amer Bestickte Leinwände, Skulpturen und Installationen, zunächst figürlich, ab Mitte der 1990er Jahre auch mit Schrift versehen, machen einen wichtigen Teil des multimedialen künstlerischen Schaffens von Ghada Amer aus. In Kairo 1963 geboren und in Frankreich, Libyen, Marokko und Algerien aufgewachsen, wandte sie sich nach einem Studium der Sprachen und Mathematik der Kunst zu: Sie studierte in Nizza, Boston und Paris und lebt heute in New York. Bereits ihre erste gestickte Serie Cinq femmes au travail (1991), die Frauen in stereotypen Posen bei der 80 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Hausarbeit zeigt, kreist um das Thema weiblicher Rollenmuster und Konventionen. 34 Seitdem sind textile Techniken fester Bestandteil ihrer künstlerischen Praxis, auf deren weibliche Konnotation sie hinweist: „I occupy this territory aesthetically and politically because I create materially abstract paintings, but I integrate in this male field a feminine universe: that of sewing and embroidery. By hybridizing those worlds, the canvas becomes a new territory where the feminine has its own place in a field dominated by men [...].“ 35 Ab Mitte der Neunziger Jahre tauchen in Amers Arbeiten Frauen in erotischen, oft auch pornografischen Posen auf. Die nachgestickten Umrisse der Frauenkörper wiederholen sich und ihre schablonenhafte fast schon ornamentale Darstellung verweist einmal mehr auf Stereotype und „klischeehafte Weiblichkeit“ 36. Zugleich haftet den Bildern eine gewisse Ambivalenz und Uneindeutigkeit an, denn statt die verschieden farbigen Garnenden auf der Rückseite der Bilder zu verweben, lässt Ghada Amer sie – gleichsam einer zweiten Bildebene – über den Körpern hängen und entzieht diese damit dem Blick der BetrachterInnen. Prozesse des Übersetzens und Transfers sind wichtige Fixpunkte im Werk der Künstlerin. Besonders evident ist dies in ihren textilen Installationen, die an Stelle der Bildvorlagen auf Texte und kanonisierte Schriften, etwa Lexikoneinträge oder Koransuren, rekurrieren. Private Rooms (1998, Abb. 4 a+b) hat zunächst die Anmutung von freihängenden Kleiderstangen, an die mehrere, eigentlich zur Aufbewahrung von Kleidern und Schuhen bestimmte Hüllen aus verschieden eingefärbtem Satin angebracht sind. In einem aufwendigen maschinellen Verfahren wurde der Stoff mit feinen Großbuchstaben in regelmäßigem Abstand bestickt. In französischer Übersetzung erscheinen die ursprünglich in Arabisch verfassten Textstellen aus dem Koran, die sich auf Frauen und auch auf Sinnlichkeit beziehen. Dabei ist dem schimmernden Material der an sich prosaischen Kleider- und Aufbewahrungshüllen selbst bereits eine sinnliche Komponente zu Eigen. Ghada Amer hat in einem Interview die zunehmende Islamisierung der ägyptischen Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten kritisch kommentiert: „When I go home I feel conscious of my body, every time, conscious of the relationship to the body of everything I wear. Everything is so hidden that if you have a finger out, it becomes the focus of sexuality.“ 37 Indem sie auf vernachlässigte und vieldeutige Textpassagen zu Weiblichkeit verweist, soll ihre Arbeit ein Korrektiv zu den konservativen und einseitigen Auslegungen des Korans bilden. 38 Auch für Encyclopedia of Pleasures (2001) dient Ghada Amer ein fast in Vergessenheit geratenes Manuskript eines arabischen Gelehrten aus dem 11. Jahrhundert, das von sexueller und spiritueller Erfüllung handelt. Auf insgesamt 57 mit weißem Stoff bespannten Boxen, deren jeweils sechs Seiten mit goldenen Lettern bestickt sind, entfalten sich Fragmente jenes philosophisch-wissenschaftlichen Textes. Wie auch in den frühen nachgestickten FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 81 4a Ghada Amer, Private Rooms, 1998, Installation mit Textilien, Rhona Hoffman Gallery (Chicago 2001) Frauenbildern die herabhängenden Fäden Verwirrung stiften, so erzeugen hier bewusst undeutlich angebrachte Wörter und Auslassungen im englischen Text Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen. 39 Ghada Amer greift in ihren textilen Installationen im öffentlichen Diskurs in Ägypten ausgeblendete Themen von Erotik und Körperlichkeit auf, indem sie sich auf in der arabischen Welt bekannte textile wie kalligrafische Gestaltungstraditionen bezieht. Dabei ist ihr Vorgehen von einer aufwendigen, beinahe schon wissenschaftlichen Recherche und Suche nach vergessenen islamischen Texten bestimmt, denen sie dann durch die ebenso arbeitsintensive, in diesen Ländern weiblich konnotierte Technik des Stickens Gewicht und Sichtbarkeit verleiht. So erweist sich ihre Stickarbeit als ein Prozess des wörtlichen wie auch metaphorischen Übersetzens. Bemerkenswert in diesem Kontext erscheint die Analogie, wie sie zwischen der Praxis des Schreibens, insbesondere der Kalligrafie und des Stickens besteht. Wie das Sticken ist die traditionell von Männern ausgeführte Schreibkunst zeitintensiv und von Repetition geprägt. 40 Ebenso wie die religiös konnotierte Tätigkeit des Kalligrafen, wertet auch Amer mit den aufwendigen Stickarbeiten jene marginali- 82 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 4 b Ghada Amer, Private Rooms, 1998, Installation mit Textilien, Rhona Hoffman Gallery (Chicago 2001) FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 83 sierten liberaleren Texte des Islams auf. Damit assoziiert, so könnte man aus den in einen neuen Gebrauch überführten Kleider- und Umzugsboxen schließen, ist die Suche nach anderen Traditionen, nach neuen Behausungen und neuen weiblichen Identitäten. Sticken als Erinnerungsarbeit und Suche nach neuen Identitäten: Senzeni Marasela Die Künstlerin Senzeni Marasela wurde 1977 in Thokoza, Südafrika, geboren und lebt heute in Johannesburg, wo sie in den 1990er Jahren an der Witwatersrand Universität Kunst studierte. Ähnlich wie in den Werken anderer südafrikanischer Künstlerinnen – etwa bei Tracey Rose oder Leora Farber –, die sich mit den Folgen der Rassentrennung und Identitätszuschreibungen während der Apartheid auseinandersetzen, erscheinen auch in Maraselas Arbeiten offizielle Geschichte und individuelle Narrationen miteinander verwoben 41: In der Assemblage Our Mother von 1998 überwiegen zunächst die autobiografischen Bezüge. Auf einem schwarz-weißen Hintergrund von kopierten, teils seriell angeordneten Fotos, die die Künstlerin als Jugendliche mit ihren Geschwistern zeigen, sind gefundene Objekte aus ihrem Elternhaus angebracht: Ein altes Kleid der Mutter legt sich schwer und breit über die Aufnahmen; der Schlagstock des Vaters, eines ehemaligen Polizisten, begrenzt das Objekt am unteren Rand. Wegen des väterlichen Berufs war die Familie heftigen Anfeindungen im Township ausgesetzt, so dass die Kinder schulische Einrichtungen in privilegierten weißen Vierteln besuchten. In einem Interview mit dem südafrikanischen Kunsthistoriker Rory Bester beschreibt Senzeni Marasela ihre im Nachhinein als verstörend, fast kompromittierend empfundene Ausbildung in einer katholischen Mädchenschule. 42 „I believe that by revisiting the past, by giving myself a place in it, I’ll be able to forgive myself for my indifference.“ 43 Ein Korpus von Arbeiten der Künstlerin rekurriert auf die Geschichte von Saartjie (auch Sarah) Baartman, jener um 1810 nach Europa verschleppten San-Frau, die wegen der ihr attestierten Steatophygie auf Weltausstellungen und Jahrmärkten in England und Frankreich zur Schau gestellt wurde. Sarah Baartman Redressed (2010) ist eine – als Reminiszenz an die Handarbeiten der Mutter – mit rotem Faden gestickte Serie, in der die bereits aus früheren Werken bekannten Protagonistinnen Sarah (Baartmann), Theodorah (die psychisch kranke Mutter der Künstlerin) und die Künstlerin selbst auftauchen. 44 Im ersten Bild der Serie verhüllen Theodorah und Senzeni die nackte Sarah mit einem großen Stück Stoff. Diesem ‚Ritual‘ wohnt eine aufmerksam beobachtende Menschenmenge bei, was einerseits die historische Situation, in der Baartman als exotisiertes Objekt wissenschaftlicher und populärer Neugierde vorgeführt wurde, evoziert; zugleich erschafft die Künstlerin eine alternative Geschichte für sie. Damit verbindet sich ihre eigene Suche 84 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 nach einer Schwarzen weiblichen Identität innerhalb der umkämpften Geschichte Südafrikas. Sarah und Theodorah mit ihren problematischen Biografien sind der Künstlerin Gefährtinnen und Projektionsfläche in Einem. Als künstlerische Technik nutzt sie das auch im südafrikanischen Kontext weiblich konnotierte Sticken, welches sie einerseits in Erinnerung an die Mutter ‚wiederholt‘, andererseits verbindet sich damit auch die Suche nach spezifisch weiblichen künstlerischen Ausdrucksformen. Wie die Bandbreite der hier aufgegriffenen Arbeiten zeigt, existiert in der zeitgenössischen Kunst Afrikas keinesfalls ein einheitlicher Umgang mit dem Textilen. Künstler wie Atta Kwami, Abdoulaye Konaté und El Anatsui beziehen sich stärker auf die formal-ästhetischen Prämissen konkreter Textilen aus Westafrika. Damit schließen sie zugleich an die älteren, genuin männlichen Tätigkeiten des Webens und Nähens an, deren Genealogie sie scheinbar tradieren und zugleich aktualisieren. Künstlerinnen wie Ghada Amer oder Senzeni Marasela dagegen knüpfen an die gesellschaftlichen und historischen Konnotationen des Materials und der Technik des Stickens an und überführen diese in eine kritische Praxis feministischer Kunst. Sind die unterschiedlichen Bezüge wie Traditionen, Techniken und historische Kontexte an sich bereits von transkulturellem Austausch geprägt, so aktualisieren die künstlerischen Positionen jene Verflechtungen und verdichten sie – die ‚Fäden der Geschichte‘ werden aufgegriffen und weiter miteinander ‚verwoben‘. 1 Vgl. Elsbeth Joyce Court, Da Grace Salome Abra Ausst.-Kat. The Essential Art of African Textiles. De- Kwami. 1923–2006 (In memoriam), in: African Arts sign without End, hg. von Alisa LaGamma, Christine 41 (2008), H. 2, S. 10–11. Giuntini, The Metropolitan Museum of Art, New York, 2 Vgl. ebd., S. 10. Zu Atta Kwami siehe auch http:// New Haven 2008; Ausst.-Kat. The Poetics of Cloth. www.themojogallery.com/asitis/artist-atta-kwami.php, African Textiles, Recent Art, hg. von Lynn Gumpert, Zugriff am 06.07.2011. Grey Art Gallery, New York University, New York 2008. 3 7 Vgl. Christopher Vecsey, The Exception who Natürlich sind auch Ausnahmen bekannt. In eini- Proves the Rules: Ananse the Akan Trickster, in: Jour- gen künstlerischen Bewegungen wie etwa der des nal of Religion in Africa 12 (1981), H. 3, S. 161–177. Bauhauses, waren Textilien fester Bestandteil der 4 Mathilda Felix, Nadelstiche. Sticken in der Kunst künstlerischen Produktion, wenn auch dadurch nicht der Gegenwart, Bielefeld 2011. Siehe hierzu die Re- weniger geschlechtlich markiert. Vgl. Sigrid Wort- zension von Dennis Daum Stich reloaded in der vorlie- mann-Weltge, Bauhaus-Textilien. Kunst und Künstlerin- genden Ausgabe von FKW. nen der Webwerkstatt, Schaffhausen 1993. 5 Ebd., S. 7. 8 6 Vgl. exemplarisch zwei Ausstellungen zu Texti- Ausst.-Kat. The Art of African Textiles. Technology, Tra- lien und zeitgenössischer Kunstproduktion in Afrika: dition and Lurex, hg. von John Picton, Barbican Art Gal- Für einen Überblick zu Textilien in Afrika vgl. den FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 85 lery, London, London 1995. Außerdem die westafrika- Mande Hunters Wear, in: African Arts 15 (1982), H. 3, nischen Textilien gewidmete Ausgabe von African Arts S. 54–58, 91. 25 (1992), H. 3, hg. von Lisa Aronson. 20 9 tics of Cloth (wie Anm. 6), S. 60 f. Vgl. Felix (wie Anm. 4), S. 24 ff.; Dagmar Ladj- Zu dieser Arbeit vgl. den Ausst.-Kat. The Poe- Teichmann, Erziehung zur Weiblichkeit durch Textilar- 21 beiten. Ein Beitrag zur Geschichte der Frauenbildung Anatsui. When I Last Wrote to You about Africa, hg. von im 19. Jahrhundert, Weinheim und Basel 1983. Lisa M. Binder, Museum for African Art, New York, Uni- 10 versity of Michigan Museum of Art, Ann Arbor u. a. Vgl. Silke Strickrodt, African Girls’ Samplers Vgl. die aktuelle Retrospektive: Ausst.-Kat. El from Mission Schools in Sierra Leone (1820s to 2010–2013, New York 2010. 1840s), in: History in Africa 37 (2010), S. 189–245. 22 11 Felix (wie Anm. 4), hier S. 25. rex. The Art of Textiles in Africa. Introduction, in: 12 Vgl. John Picton, Technology, Tradition and Lu- Vgl. Lisa Aronson, The Language of West Afri- Ausst.-Kat. The Art of African Textiles (wie Anm. 8), can Textiles, in: African Arts 25 (1992, H. 3, S. 9–30, hier S. 21. Vgl. außerdem den Ausst.-Kat. S. 36–40, 100, hier: S. 40; Filip de Boeck, Kinshasa. Wrapped in Pride. Ghanaian Kente and African Ameri- Tales of the Invisible City, Ghent 2004, hier S. 259 f. can Identity, hg. von Doran H. Ross, UCLA Fowler Mu- 13 seum of Cultural History, Los Angeles 1998. Vgl. Kerstin Pinther, On the Parallel History of Cloth and Photography in Africa, in: Critical Interventi- 23 ons. Journal of African Art History and Visual Culture African Design, in: African Arts 23 (1989), H. 1, 11 (2007), H. 1, S. 113–123. S. 34–43, 102–103. 14 24 Vgl. Elisha P. Renne, Cloth that Does Not Die: The Meaning of Cloth in Bùnú Social Life, Seattle Doran H. Ross, Foreword, in: Ausst.-Kat. Wrap- ped in Pride (wie Anm. 22), S. 9. 25 1995. Vgl. Monni Adams, Beyond Symmetry in Middle In Susan Vogels Film über El Anatsui fold crum- Vgl. Barbara Plankensteiner, Schlesische Lei- ple crush (2011) sieht man den Künstler, wie er die Be- nentücher, englischer Wollflanell, farbenfrohe Wax- weglichkeit einiger Teile prüft und seine Mitarbeiter da- prints. Eine kurze Geschichte des europäischen Textil- zu anhält, darauf besonders zu achten. handels nach Westafrika, in: Ausst.-Kat. African Lace. 26 Eine Geschichte des Handels, der Kreativität und der sui. Contexts Textiles and Gin, in: Ausst.-Kat. El Anat- Mode in Nigeria, hg. von Barbara Plankensteiner, Nath sui, David Krut Projects, New York, October Gallery, Mayo Adediran, Kunsthistorisches Museum Wien, Na- London, Johannesburg 2006, o.S. tionalmuseum Lagos, Wien 2010, S. 57–69, hier 27 S. 57 f. v. Udo Kittelmann, Chika Okeke-Agulo, Britta Schmitz, 16 Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Berlin, 15 Alisa LaGamma, The Poetics of Cloth, in: El Anatsui, zitiert nach: Polly Savage, El Anat- Vgl. den Ausst.-Kat. Who knows tomorrow, hg. Ausst.-Kat. The Essential Art of African Textiles (wie Köln 2010. Anm. 6), S. 9–23, hier S. 9. 28 17 o. S. Vgl. Joëlle Busca, Un établissement de formati- El Anatsui, zitiert nach: Savage (wie Anm. 26), on artistique de haut niveau à Bamako. Le Conser- 29 vatoire des Arts et Métiers Multimédias Balla Fasseke Materials, and the Human Hand – An Interview with El Kouyaté, in: Africultures [Onlinemagazin], 20.06. Anatsui, in: Art Journal 67 (2008), H. 2, S. 36–53, hier 2007, http://www.africultures.com/php/index.php? S. 42. nav=article&no=6632, Zugriff am 01.06.2011. 30 18 Vgl. Sarah Brett-Smith, Cloth as Amulet, in: von 2001, vgl. Robert Storr, The Shifting Shapes of Ausst.-Kat. Inscribing Meaning. Writing and Graphic Things to Come, in: Ausst.-Kat. El Anatsui (wie Systems in African Art, National Museum of African Anm. 21), S. 51–62, hier S. 58, Fig. 30. Art, Washington, UCLA Fowler Museum of Cultural His- 31 tory, Los Angeles, Washington 2007, S. 70–82, hier Adinkra among the Akan of Ghana, Indiana 1987; so- S. 74. wie Ablade Glover, Adinkra Symbolism, Kumasi 1992. 19 Vgl. Patrick R. McNaughton, The Shirts That 86 32 Laura Leffler James, Convergence: History, Sehr explizit etwa in der Arbeit Kente Rhapsody Vgl. Daniel Mato, Clothed in Symbol. The Art of Vgl. Pinther 2007 (wie Anm. 13). STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 33 Zu Francis K. Honny vgl. Tobias Wendl, Francis www.unc.edu/depts/europe/conferences/islam/ar- K. Honny, in: Ausst.-Kat. Snap me One! Studiofotogra- ticle.htm, Zugriff am 10.07.2011. fen in Afrika, hg. von Tobias Wendl, Heike Behrend, 40 Stadtmuseum München, Städtisches Museum Abtei- im Islam, München 2007, besonders S. 63 ff. berg, u. a., 1998–1999, München 1998, S. 74–83, 41 hier S.74. blic Memory in a Democratic South Africa, Durham 34 2003, hier S. 259–262. Vgl. Chika Okeke-Agulu, Politics by Other Me- Siehe hierzu Silvia Naef, Bilder und Bilderverbot Vgl. Annie E. Coombes, Visual Culture and Pu- ans. Two Egyptian Artists, Gazbia Sirry and Ghada 42 Amer, in: Meridians: feminism, race, transnationalism sela, in: Ausst.-Kat. Democracy’s Images. Photogra- 6 (2006), H. 2, S. 117–149, hier S. 139 f. phy and Visual Art After Apartheid, hg. von Katarina 35 Pierre, Jan-Erik Lundstrom, Bildmuseet, Umeå, Umeå http: / / www.brooklynmuseum.org / eascfa / fe- Vgl. Rory Bester: Interview with Senzeni Mara- minist_art_base/gallery/ghada_amer.php, Zugriff am 1998, S. 118–120, hier S. 119. 03.07.2011. 43 36 Felix (wie Anm. 4), S. 98. in: Artthrob [Onlinemagazin], Februar 2000, http:// 37 Laura Auricchio, Works in Translation: Ghada www.artthrob.co.za/00feb/artbio.html, Zugriff am Zitiert nach Kathryn Smith, Senzeni Marasela, Amer’s Hybrid Pleasures, in: Art Journal 60 (2001), 03.07.2011. H. 4, S. 26–37, hier S. 30. 44 38 Vgl. ebd., hier S. 32. ry.com/Axis_Gallery/Marasela_Albums/Pages/Sen- 39 Ghada Amer selbst verweist auf die in Mo- zeni_Marasela_Theodorah,_Senzeni_%26_Sarah_I-IV, scheen angebrachten kalligraphischen Inschriften, die Abbildungen siehe URL http://www.axisgalle- _2010.html#0, Zugriff am 01.10.2011. ebenfalls nicht einfach zu entziffern sind. Vgl. http:// FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 87 Verena Kuni Yo Logo! Zur künstlerischen Auseinander- setzung mit Markenpolitiken unter Netzbedingungen „CDU“ und „CSU“ als Schriftzug am Goldkettchen im HipHop-Bling-Bling-Style am Hals zweier Blondinen in eleganter Haute Couture. Jean Baudrillards als Merve-Büchlein erschienenes Pamphlet Lasst Euch nicht verführen als Schaufenster-Deko neben teurem Markenparfum. Eine Kopie seiner Agonie des Realen, die zwischen auf einem Spiegelwürfel stehenden Birkenstock-Schuhen und unter einem mit passend gemusterter Krawatte kombiniertem Karostoffquadrat in Brusthöhe quasi die Körpermitte eines imaginären Acé- phale abgibt: Das ist – „natürlich“ – Kunst. 1 Allerdings beziehen Josephine Mecksepers Fotoarbeiten und Installationen einen Gutteil ihres ästhetischen und intellektuellen Potentials aus ihrem Realismus. In der Tat ist im Mainstream der Minderheiten 2 Vieles möglich. Der/die VeganerIn in den biologisch abbaubaren Recycling-Espandrilles (handgemacht und übers Netz vertrieben von einer chilenischen Projekt-Kooperative) und der/die FreiberuflerIn in den Customized MarkenSneakers (Made in Vietnam, von der chinesischen Underground-Stardesignerin finalisiert und handsigniert im Berliner PopUp-Flagship-Store) treffen sich am 1. Mai zum Demo- Rave und trinken anschließend ihre Bionade 3 und ihren Cuba Libre auf Bacardi-Basis 4 in der Szene-Bar. No Logo 5 oder gar gravierende Allergieerscheinungen, wie sie die Protagonistin in William Gibsons Pattern Recognition beim Anblick von Markenzeichen plagen 6: Das war offenbar gestern. Mit den Ich AGs der Ära Hartz IV haben ganze Generationen gelernt, was es bedeutet, den kreativen Imperativ des „Mach Dich Selbst!“ systematisch durchzukonjugieren. Unter den ersten Lektionen: Sei Dein eigenes Label. Individualität als Marke steht hoch im Kurs – und sie braucht ihr eigenes Branding, um auf dem Markt zu bestehen. 7 Eine neue Erkenntnis ist das natürlich nicht. Jedenfalls nicht im kulturellen Feld, in dem sich schon seit Jahrhunderten KünstlerInnen als UnternehmerInnen bewähren und in diesem Zuge eben auch ihre eigenen Markenzeichen kreieren müssen. 8 Wenn es indessen um die Auseinandersetzung mit jenen Logos geht, die als eingetragene Warenzei- 88 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 chen so genannter Global Brands nicht nur die visuelle Alltagskultur, sondern auch – und zwar weit über die Konsumgütermärkte hinaus – die Ökonomien des Alltags prägen, wird von den AkteurInnen in diesem Feld eine kritisch-reflexive Haltung erwartet. Tatsächlich lässt sich mühelos eine eigene Kunstgeschichte der kritischen Auseinandersetzung mit diesem Komplex schreiben, wie der Blick auf Arbeiten bzw. ganze Werkkonvolute von Öyvind Fahlström bis 0100101110101101.ORG sowie inzwischen auch zahlreiche Ausstellungen und Publikationen belegen können, die in den vergangenen Jahren entstanden sind. 9 Dass in diesem Kontext gerade in jüngerer Zeit die Praktiken von Konzernen verstärkt ins Visier geraten, die im Bereich Mode und Textilien agieren, verwundert nicht: Stellt doch dieser Bereich ein in der Alltags- und Popkultur omnipräsentes, materiell wie medial bestens repräsentiertes Feld dar, in dem Marken und ihre Bildzeichen eine denkbar prominente Rolle spielen. 10 Da einerseits Markenpräferenzen bei vielen Menschen den individuellen Zugriff auf Mode prägen, andererseits dank zahlreicher Berichterstattungen in den Medien auf ein wie auch immer rudimentäres Grundwissen über die internationalen Strukturen der Textilproduktion und des Textilhandels unter den Konditionen einer globalisierten Wirtschaft gesetzt werden bzw. dieses vergleichsweise leicht vermittelt werden kann, scheint er sich für eine Auseinandersetzung besonders anzubieten. Welche Rolle spielen dabei nun elektronische Netzwerke die ihrerseits nicht nur im Hinblick auf die weltweite respektive globale Kommunikation, Repräsentation und Distribution der Waren und der Labels, sondern zunehmend auch in ihren Potentialen als Vehi- FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 89 kel für kritische Information und politische Intervention an Bedeutung gewonnen haben? Inwieweit eignen sie sich als Werkzeuge und Plattformen für Projekte von KünstlerInnen, die eine kritische Auseinandersetzung mit Global Brands verfolgen? Wie werden sie speziell im Bezug auf ein Feld genutzt, das zwar von immateriellen Informations- und Kapitalströmen reguliert werden mag, zugleich aber einen Gegenstand hat, der sich nach wie vor über Materialqualitäten, händische Arbeit, manufakturelle Fertigung und industrielle Produktion sowie eine an diesen Qualitäten orientierte Konsumption definiert? Gerade diese Frage scheint angesichts der Parallelen, die sich zur eingangs angesprochenen Situation von AkteurInnen im kulturellen Feld und namentlich von KünstlerInnen ziehen lassen, besonders interessant. Haben sich ihre Herangehensweisen, Strategien und Verfahren unter Netzbedingungen verändert – auch, was die eigene Position bzw. Positionierung in Bezug auf Markenbildung und Labeling betrifft? Dieser Komplex und die vorausgehend aufgeworfenen Fragen sollen im Folgenden am Beispiel von zwei Projekten diskutiert werden, die ihrerseits für die Auseinandersetzung mit Markenpolitiken global agierender Textilkonzerne textile Techniken und digitale Netzwerke miteinander verknüpfen. Sollte etwa doch mit einem Häkeldeckchen Politik zu machen sein? 11 Ja und nein. Das Textil ist zwar in der entsprechenden Technik gefertigt – und es handelt sich, wie das unregelmäßige Maschenwerk signalisiert, um Handarbeit. Indessen weist es stolze Maße auf: über 4,50 Meter lang, über 1,50 Meter breit. Kein Deckchen also, sondern eine Decke, aus Quadraten zusammengefügt. Auf leuchtend rotem Grund prangt ein blendend weißes Zeichen – von jenen, die an den globalen Warenkreisläufen und/oder den diese befeuernden Medienangeboten partizipieren, unschwer als die prominenteste Bildmarke bzw. das Logo von Nike Inc., der so genannte Swoosh zu identifizieren. Rings gesäumt ist das gehäkelte Textil von einem bunten Patchwork aus mit unterschiedlicher Wolle gestrickten Quadraten. Nicht zuletzt mit Blick auf die Zeit, die hier in Handarbeit investiert wurde, könnte man fast meinen, man habe es mit einem Stück Fan Art zu tun. 12 Einer solchen Interpretation dürfte freilich der Rahmen entgegen stehen, in dem der Decke zu begegnen ist: Primär nämlich im Netz, auf einer Webseite des Projekts mi- croRevolt, welche das Textil als Kernstück der Nike Blanket Petition identifiziert. 13 Hier informiert nicht nur ein Text über Hintergrund und Entstehungsgeschichte, zudem ist die digitale Fotografie des Werkstücks mit Skripten unterlegt, die beim Mouseover Texte und Fenster mit weiteren Informationen und Bildern aufrufen. Die Häkel- und Strick-Quadrate für das von der Künstlerin Cat Mazza initiierte Netzwerk-Projekt wurden zwischen 2003 und 2008 von Beteiligten aus über dreißig Ländern gefertigt und anschließend von Mazza 90 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 zusammengefügt. Jedes patch soll dabei als bzw. stellvertretend für die Signatur einer Petition für gerechte Arbeitsbedingungen in den von Nike betriebenen Produktionsstätten stehen. Nach der Fertigstellung der Decke ging das Projekt auf Tour durch verschiedene Ausstellungshäuser, während die Webseite über die gesamte Laufzeit hinweg weiter ausgebaut wurde. 14 Für eine klare Positionierung des Projekts sorgte zudem von Anfang an auch die Plattform microRevolt, deren Widmung bereits die Stoßrichtung vorgibt: „microRevolt projects investigate the dawn of sweatshops in early industrial capitalism to inform the current crisis of global expansion and the feminization of labor.“ 15 Beispielhaft für diese Untersuchungen ist nicht zuletzt eine Reihe von Video-Interviews mit Sweatshop-ArbeiterInnen, die Mazza mit einer selbst geschriebenen Software bearbeitet hat, welche das Bild in textile Texturen übersetzt, so dass die ästhetische Transformation zugleich die Anonymität der InterviewpartnerInnen sichert. 16 Seit 2006 betreibt Mazza zudem einen (Re-)Blog, in dem sie regelmäßig über ähnlich orientierte künstlerische und aktivistische Projekte berichtet. 17 Die kritische Auseinandersetzung mit den Markenzeichen global agierender Konzerne und Modelabels stand ebenfalls schon früh auf dem Programm. So findet man auf der Seite des von Mazza programmierten online-Strickmuster-Generators knitPro Fotos von freizügig für die Gestaltung selbstgestrickter Accessoires verwendeter, abgewandelter und rekombinierter Logos, während zugleich dazu aufgefordert wird, eigene Strickmuster nach dem Vorbild früherer Generationen frei miteinander zu teilen 18 – eine Praxis, die dem Selbstverständnis der Netzkultur denkbar näher steht als die Politik des Copyrights und der registered trademark bzw. des eingetragenen Warenzeichens, die unter Netzbedingungen gerade von großen Firmen mitunter erbitterter verfolgt wird denn je zuvor. In ebendieser Kampfzone ist auch das von der Künstlerin und Designerin Stephanie Syjuco betriebene Counterfeit Crochet Project angesiedelt. 19 Auf dem Foto ist eine It-Bag zu sehen, wie man sie unter den mageren Armen von Models in jenen Modestrecken sieht, die zwar das Begehren der BetrachterInnen wecken sollen, zugleich aber von einer gewissen Unerreichbarkeit umflort sind bzw. nur in Magazinen der gehobenen Preisklasse von entsprechenden Hochglanz-Anzeigen begleitet werden. 20 Schon das Logo mit den ineinander geblendeten Initialen LV weist sie als solche aus. 21 Erst recht aber die kleinen stilisierten Margeritenblüten, in deren dottergelbem Rund ein kleines Comic-Gesicht lacht und die von KennerInnen unschwer als Zugaben des japanischen Star-Künstlers Takashi Murakami zu identifizieren sind, der 2002 einer Einla- FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 91 dung des Mode-Designers Marc Jacobs folgte, Taschen für Louis Vuitton zu entwerfen. 22 Etwas kann allerdings irritieren: Anders als sonst glänzt die Tasche nicht in Leder und teurem Gewebe. Sie ist, einschließlich der kleinen Nieten und dem Schlösschen, die sie zieren, aus gewöhnlichem Garn gefertigt. Genauer gesagt: In groben Maschen gehäkelt bzw. gestrickt. Als Fälschung könnte sie also kaum reüssieren – eher steht zu vermuten, dass sich hier eine modeaffine Craftista betätigt hat. 23 Ähnlich wie im Fall der mit Swoosh veredelten Häkeldecke signalisiert der Publikationskontext des Bildes freilich: Es handelt sich wohl weniger um Fan Art als um ein kritisch motiviertes Kunstprojekt. 2006 legte Syjuco eine Webseite an, auf der sie dazu einlud, Taschen begehrter Luxus-Labels in Handarbeit zu kopieren. Ausgangspunkt war zunächst einmal die unter weniger betuchten Fans schon länger gängige, spätestens seit der Punk-Bewegung der 1980er Jahre mitunter auch unter kritischen Vorzeichen erprobte Praxis, unerschwingliche Designerstücke selbst nachzuarbeiten oder auch genuinen Eigenkreationen durch Kopien bekannter bzw. verehrter Labels den letzten Schliff zu verleihen – mithin ein bekanntes Phänomen, das über die seit einigen Jahren sprunghaft wachsende Szene von Blogs und Webseiten zur Handarbeitskultur zu verstärkter visueller Präsenz und Prominenz gelangt ist. Im weiteren Verlauf des Projekts veranstaltete Syjuco mehrere Counter- feit Crochet -Workshops in Ländern, die als Orte der Massenproduktion und des Vertriebs gefälschter Designer-Waren gelten. Zudem wurde die Webseite nicht nur mit Foto-Dokumentationen der entstandenen Objekte bestückt, sondern auch um eine Seite ausgebaut, von der sich Strick- bzw. Häkelmuster-Vorlagen für verschiedene Labels herunterladen lassen. 24 Auf den ersten Blick scheinen beide Projekte – Cat Mazzas Nike Blanket Petition und Stephanie Syjucos Counterfeit Crochet Project – einander in mehrfacher Hinsicht verwandt. Beide sind in einem Zeitfenster entstanden, für das sich eine Reihe markanter Koordinaten benennen lassen: Nach 2000 beginnt der unaufhaltsame Aufstieg der neuen Maschen: Einer vornehmlich von jüngeren Frauen getragenen Handarbeitskultur, die traditionelle textile Techniken für sich entdeckt und sie in diesem Zuge nicht nur per se positiv belegt, sondern zudem auch für unkonventionelle Mode- und Designprojekte einzusetzen beginnt. Häkeln, Stricken und Sticken sind auf einmal radikal chic – und taugen dementsprechend für die unterschiedlichsten Projekte, darunter bevorzugt auch solche an der Schnittstelle von Aktivismus und Kunst. 25 Mit vorbereitet und entscheidend befördert wird diese Entwicklung indessen von verschiedenen Impulsen, die sie aus der digitalen Medien- und Netzkultur erhält: Um 2000 ist Software, die es auch weniger technikaffinen Menschen ermöglicht, Webseiten und -beiträge zu erstellen und zu publizieren sowie sich 92 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 93 insgesamt zu vernetzen bzw. in Netzwerken zu bewegen, auf breiter Basis angekommen. 26 In der Szene jener wiederum, die bereits seit den 1990er Jahren oder länger mit digitalen Medien arbeiten, hat sich derweil eine gewisse Ernüchterung eingestellt. Nicht nur, weil schon nach dem Platzen der ersten dot.com-Blase viele, die mit oder in StartUpUnternehmen gearbeitet hatten, entweder arbeitslos geworden waren oder auf dem sogenannten freien Markt wesentlich schlechtere Arbeitsbedingungen hinnehmen mussten – was in der Tat für einige digerati zum Anlass wurde, Abstand zu nehmen und sich, in vielen Fällen durchaus unternehmerisch orientiert, nach Alternativen umzusehen. 27 Auch hatte sich in dieser Generation die unschöne Erkenntnis durchzusetzen begonnen, dass man in einer Welt, in der sich unter anderem Dank der elektronischen Informations- und Kommunikationsströme auch Handel und Märkte weltweit vernetzten neu sortierten, auch selbst schnell einmal zu den Verlierern zählen kann. Wohl kaum zufällig waren es nicht zuletzt jene medientheoretisch und -praktisch geschulten (Netz-)KünstlerInnen und (Medien-)DesignerInnen, welche diese Entwicklungen aus nächster Nähe beobachten bzw. am eigenen Leibe hatten erfahren können, die sich zeitgleich zusammen mit AktivistInnen in eben jenem Feld zu engagieren begannen, in dem sich die problematischen Konstellationen besonders prägnant abzuzeichnen schienen und dementsprechend besonders leicht nachvollziehbar (be-)greifbar machen ließen: Dort nämlich, wo sich die Kapital- und Warenströme wie auch die mit ihnen verbundenen Konditionen von Produktion und Konsumption gleichsam ikonisch abbildeten und zugleich materialisierten – bei jenen Global Players, die in Sweatshops billig produzieren lassen, um die durch ihr Label veredelten Waren andernorts mit maximalen Gewinnspannen zu vertreiben. Eben deshalb ist es auch kein Zufall, dass beide Projekte Anfang ins erste Jahrzehnt des neuen Millenniums datieren – ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Petition Blanket von mikroRevolt an Nike adressiert ist. Nicht nur hat sich der Konzern mit seiner aggressiven Markt- und Markenpolitik einen Namen gemacht und genießt einen zweifelhaften Ruf als Betreiber von Sweatshops. Zugleich gehört er auch zu jenen Firmen, die beizeiten mit e-Marketing-Maßnahmen und auf die neue Prosumer-Kultur ausgerichteten Strategien nach vorn gegangen sind. 28 Auch insofern verwundert es kaum, dass Nike zu den Firmen zählt, die bevorzugt ins Visier netzbasierter Kritik geraten. Zu den prominentesten Beispielen zählt neben dem Fall des MIT-Studenten Jonah Peretti, der 2001 die personalized sneakers-Kampagne des Konzerns hackte, indem er den Schriftzug Sweatshop bestellte und die auf die Verweigerung des Auftrags folgende E-Mail-Kommunikation komplett im Netz publizierte 29, das von dem italienischen Künstlerpaar Eva und Franco 94 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Mattes a.k.a. 0100101110101101.org in Kooperation mit der österreichischen Netzplattform t0 lancierte Projekt Nike Ground: In Kombination mit einer Fake-Webseite und einem auf dem Karlsplatz temporär installierten Firmenpavillon wirkte die Ankündigung, Nike habe den Platz erworben und werde in diesem Zuge eine entsprechende Umbenennung vornehmen, derart glaubwürdig, dass die Aktion denkbar hohe Wellen schlug. 30 Speziell im Feld der Textilproduktion formiert sich in dieser Zeit aber nicht nur Widerstand gegen die sogenannten die breite Masse bedienenden Großkonzerne wie Nike, die allein schon aufgrund ihrer Produktions- und Absatzraten nachgerade zwangsläufig dazu prädestiniert scheinen bzw. den Verdacht auf sich lenken, einen Teil ihres Profits durch Sweatshop-Arbeit abzusichern. Vielmehr ist längst auch die High End-Modeindustrie ins Blickfeld geraten. Einmal ganz abgesehen davon, dass sich die Geschichte der Textilbranche insgesamt gleichsam lehrbuchartig als Geschichte der Ausbeutung lesen lässt, die sowohl durch Kolonialismus als auch durch die Mechanisierung bzw. Industrialisierung noch weiter forciert wurde, bildet sich diese nach wie vor auf ihre Weise auch im Hochpreissektor ab. Dabei sind es nicht zuletzt die zunehmende Popularität des Modesektors und die damit verbundene Medienpräsenz, die dafür sorgen, dass die Problematik als solche und diese aufgreifende kritische Zugänge ebenfalls mehr Aufmerksamkeit erfahren. Die Spanne reicht dabei von populären Bearbeitungen wie The Devil wears Prada 31 bis hin zu von AkteurInnen innerhalb dieses Feldes, KulturproduzentInnen und AktivistInnen gemeinsam lancierte Initiativen wie Serpica Naro oder P(i)lotki Fashion. 32 Über die direkte Verstrickung in auf prekären Beschäftigungsverhältnissen und Sweatshop-Arbeit basierende Geschäfte hinaus gibt es indessen noch eine weitere Verbindung, die sich unter den Vorzeichen von Textil Global zwischen Konzernen wie Nike und primär über Haute Couture bekannten Modehäusern wie Vuitton ziehen lässt – und diese hat unmittelbar mit den Politiken der Marke(n) zu tun. Zwar lässt sich der Einsatz von Text- und Bildmarken bzw. Logos 33 zu Werbezwecken allgemein und speziell auch zur Herstellung einer Produktidentifikation, die zugleich als Herstellernachweis und Vehikel der Kundenbindung funktioniert, bis ins neunzehnte Jahrhundert zurück verfolgen. Namentlich im Bereich der Luxusmarken geht damit nicht nur ein Qualitätsversprechen einher, sondern auch die Option auf ästhetische und ökonomische Distinktion, durch welche sich der oder die TrägerIn von anderen abheben respektive mit seines- bzw. ihresgleichen zu identifizieren trachtet. Auf diesen Mechanismus bauen, wenngleich unter etwas anderen Vorzeichen, natürlich auch Marken auf, die sich anderen Preissegmenten bewegen und andere KonsumentInnen bzw. Motivationen adressieren – etwa im Bereich der Sport- und Freizeitmode. FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 95 Indessen hat sich diese Gemengelage in den vergangenen Jahrzehnten – nicht allein, aber besonders markant gerade in Mode-Design und Bekleidungsindustrie – auf durchaus entscheidende Weise verändert. Einerseits sahen sich die großen Modehäuser gezwungen, Maßnahmen zu entwickeln, um auf den globalen Märkten weiter zu bestehen. Einige begannen in diesem Zuge, mit einzelnen Produkten, Sublabels oder Linien gezielt auch breitere Kundenkreise anzusprechen. Andererseits rückten erfolgreiche Sportmarken nicht nur ökonomisch und im Ansehen auf, sondern nutzen diese Position auch, um mit neuen, als exklusiv markierten Produktlinien auf den Markt zu gehen. Beides, wie auch das gezielte Platzieren von Flagship-Stores und Boutiquen – zunehmend weltweit und teilweise auch in jenen Ländern, in denen man bis dato eher den Einkauf von Ressourcen und/oder die Auslagerung von Produktionseinheiten lokalisiert hätte – sowie die Nutzung des Netzes für Werbung und Vertrieb haben sich dabei als unternehmerische Strategien bewährt. Auf die kulturellen Traditionen und Horizonte der jeweiligen Zielgruppen zugeschnittene Medienkampagnen tragen ein Weiteres dazu bei, die Marken und ihre Produkte um so nachdrücklicher im Begehrenshorizont selbst jener einzutragen, die vom Erwerb der Originalprodukte ausgeschlossen sind. Allerdings reichen die hieraus resultierenden Verschiebungen in der Regel nicht so weit, dass die Originalprodukte der jeweiligen Labels tatsächlich für breitere Bevölkerungsgruppen erschwinglich werden. Ist es doch neben der suggerierten auch die tatsächliche Exklusivität, welche im Hochpreisbereich den Wert bestimmt und die Gewinnmargen absichert. Yo logo! unter den Vorzeichen von Textil Global heißt also nicht, dass jede/r eine Vuitton-Tasche oder eine Gucci-Brille tragen, Nike-Designer-Sneakers oder 96 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 auch nur Sportschuhe des Labels erwerben kann oder soll. Es geht vielmehr um das Ha- ben wollen – ein Begehren, dessen Befriedigung oder Nicht-Befriedigung auch deshalb einander gegenüber stehen müssen, weil sich über ihr sich wechselseitig verstärkende Komplementär ganze Klassengesellschaften definieren. 34 Indessen sind längst ganze Industrien entstanden, die von einer ersatzweisen Befriedigung besagten Begehrens durch Surrogate leben, indem sie Markenware fälschen und die Fälschungen in Umlauf bringen. Nun müssen sich Plagiate von ihren Vorlagen nicht zwangsläufig qualitativ unterscheiden. In großen Margen werden sie jedoch in der Regel ihrerseits unter Sweatshop-Konditionen und oftmals unter Verwendung minderwertiger Materialien produziert – und es sind diese Produkte, die direkt in jene Länder exportiert werden, in denen der Großteil der Bevölkerung zwar von der Werbung erreicht werden mag, selbst jedoch keine Mittel hätte, die Originalprodukte zu erstehen. Die Folge sind Produktions- und Warenkreisläufe, die für einen Gutteil der Beteiligten und für die betroffenen Länder mehr Probleme als Vorteile generieren. Während in den Medien vor allem vom wirtschaftliche Schaden berichtet wird, den Konzerne durch Plagiate erleiden, und mitunter auch von betrogenen Kunden die Rede ist 35, bleiben die Folgen, die dieser zweite und dritte Markt für die Länder haben, weitgehend undiskutiert. 36 Die beiden vorgestellten Projekte, Cat Mazzas bzw. microRevolts Nike Blanket Peti- tion und Stephanie Syjucos The Counterfeit Crochet, setzen ihre Auseinandersetzung mit Markenpolitiken unter den Vorzeichen von Textil Global vor dem Horizont des eigenen Lebens- und Arbeitsumfeldes an. Dies gilt allem voran für die Wahl der medialen und materialen Strategien sowie deren spezifische Kombination. So scheint sowohl bei Cat Mazza als auch bei Stephanie Syjuco die Entscheidung, auf traditionelle textile Handarbeitstechniken zurückzugreifen, unmittelbar von den bereits geschilderten aktuellen Entwicklungen motiviert: Dem neuerlichen Interesse am Häkeln, Sticken und Stricken sowie der Um- und Neubewertung, welche die Handarbeit im Kontext von Aktivitäten an der Schnittstelle von Do It Yourself-, Mode-Design, Kunst und Protestkultur erfährt – sowie der Tatsache, dass für diese Entwicklung die Kommunikation und Kooperation über digitale Netzwerke bzw. die Nutzung von Netzwerktechnologien eine wichtige Rolle spielen. Während bei beiden der Werkkontext eine umfassendere Beschäftigung mit den in den Projekten behandelten Komplexen belegt, bleibt indes zunächst einmal offen, inwieweit die Motivation, selbst zu Nadel und Faden zu greifen und andere dazu aufzufordern, das gleiche zu tun, mit einer Reflexion der eigenen Position verknüpft wird. Deutlich belegen jedoch beide Projekte das Interesse daran, über die aktive Einbeziehung von Netz- FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 97 werken den jeweiligen Aktions- und Reflexionshorizont zu erweitern: Beide Künstlerinnen publizieren ihre Projekte im World Wide Web und laden offen zur Beteiligung ein. Der Beteiligungsrahmen ist allerdings bei beiden vergleichsweise eng gestrickt. Bei Mazza können bzw. konnten lediglich die Patches eingereicht werden, bei Syjuco gehäkelte Modelle von Markentaschen. Man könnte also aus kritischer Perspektive feststellen: Im Grunde geht es um Zuarbeit, für die als Lohn der Dank einer namentlichen und visuellen Repräsentation auf der jeweiligen Projektseite winkt. Obwohl es sich um Netzwerk-Projekte handelt, deren Erfolg die Beteiligung anderer als wesentliche Voraussetzung hat, wird das Primat der künstlerischen Autorschaft als solches nicht bzw. nur bedingt in Frage gestellt; eine entsprechende Hierarchie zwischen der Initiatorin/Künstlerin und den Beteiligten bleibt weitgehend bestehen; das Surplus einer weiterführenden Reflexion, insbesondere was den eigenen Status im Kontext der vom Projekt adressierten Konstellationen betrifft, bleibt weitgehend der individuellen Auseinandersetzung überlassen. Dem wäre freilich entgegenzuhalten: Nicht nur schaffen beide Künstlerinnen mit den angelegten Projekt- bzw. Netzwerk-Plattformen – microRevolt.org und thecounterfeit- project.org – ein Umfeld, in dem singuläre Autorschaft hinter die Gemeinschaft zurücktritt. Sie schaffen und betreuen – konzeptuell und inhaltlich, aber auch organisatorisch und finanziell – ein Umfeld, das die gemeinschaftliche Arbeit an den Projekten ermöglicht und sowohl die unmittelbar Beteiligten als auch jene, welche über den Besuch der Webseiten mit den Projekten in Berührung kommen, zur Reflexion über den bzw. die adressierten Komplexe einlädt. Tatsächlich lässt sich vor diesem Hintergrund auch weiterführend argumentieren, wenn es um die Frage nach den Potentialen künstlerischer Kritik an der Markenpolitik global agierender Textilkonzerne im Spannungsfeld von Produktion und Konsumption geht: Bleibt es nicht auch in diesem Fall bzw. diesen beiden Fällen bei einer Symbolpolitik, deren Energien letztlich im Kunstkontext verpuffen? Sicherlich wäre zunächst einmal festzustellen: Weder Nike Inc. noch Louis Vuitton scheint es zu bekümmern, wenn Petitionen in Form von Häkeldecken oder gehäkelte Taschen mit ihren Markenzeichen produziert und diese Aktivitäten im Netz publiziert werden. Sollte es um Provokation bzw. Aufmerksamkeitsökonomien gehen, so dürften andere Strategien erfolgreicher sein – wie nicht nur das weite Feld des „Adbusting“ und „Urban Hacking“ 37, sondern auch die jüngere (Kunst-)Geschichte belegen können: Auf ein Projekt wie Nike Ground, das ein professionell angelegtes Webseiten-Fake mit einer ebenso professionell gestalteten Event-Architektur im öffentlichen Raum kombinierte, reagierte der Sporthersteller unmittelbar. 38 Aber auch konzeptionell und technisch vergleichsweise 98 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 konventionell angelegte sowie primär im Kunstkontext publizierte Kritik kann Konzerne zu entblößenden Reaktionen (ver-)führen, wie der Fall der dänischen Künstlerin Nadja Plesner belegt: Auf eines ihrer Bilder, das ein afrikanisches Kind mit einer It-Bag zeigt, die das als Marke geschützte Multicolore Canvas-Design ziert, antwortete der Vuitton-Konzern mit einer Klage, nachdem das Motiv zugleich für Poster und T-Shirts verwendet worden war, deren Verkaufserlös an Hilfsorganisationen gespendet werden sollte. 39 Ähnlich schwach scheinen auch die Versuche beider Projekte, über Verortungen im Raum einen direkten Konnex zur Realität existierender Sweatshop-Produktion bzw. zu Herstellung von und Handel mit gefälschten Markenprodukten herzustellen: Dass die Nike Blanket Petition in unmittelbarer Nähe eines türkischen Flagship-Stores vollendet und in der Nähe der zentralen Firmenniederlassung ausgestellt wurde bzw. dass Counterfeit Crochet-Workshops in der Türkei sowie Ausstellungen in Manila und Bejing stattfanden 40, hat weder etwas an den jeweiligen Politiken der kritisierten Marken geändert, noch auch nur zu Stellungnahmen oder Reaktionen geführt. Warum auch – fanden doch alle diese Aktivitäten ausschließlich im Schutzraum von Kunstorten statt. 41 Gerade hier lässt sich freilich auch ein Zusammenhang ausmachen, der bei beiden Projekten den konzeptuellen Rahmen, die gewählten Mittel, Techniken und Strategien mit den Adressen der Projekte sinnfällig und schlüssig verknüpft: Es ist nicht zuletzt der Einsatz der textilen Handarbeit, welcher sowohl über die zeitintensive Praxis als auch das Wissen um die traditionell von Geringschätzung geprägte gesellschaftliche Wahrnehmung dieser Tätigkeit einen Reflexionsraum eröffnet, in dem sich die Frage nach der eigenen Position und Positionierung in Komplexen stellt, die sonst souverän aus der Distanz heraus bearbeitbar erscheinen. Das gilt nicht nur für jene, die als unmittelbar an den jeweiligen Kunstprojekten Beteiligte im Netzwerk und in Workshops gemeinsam an etwas häkeln und stricken, das als Objekt eben durchaus mit Fan Art verwechselt werden kann. 42 Sondern – mindestens potentiell – für alle, die im Netz auf die Projekte stoßen und sich die Zeit nehmen, den von ihnen eröffneten Reflexionsraum abzuschreiten und nachzuvollziehen. Und möglicherweise denkt dabei der eine oder die andere auch an die NikeDesigner-Sneakers, die etwas billiger erstandene (Fake-)It-Bag im eigenen Schrank – oder auch nur den letzten Bar-Besuch auf der coolen Guerilla-Flagship-Store-Party während der letzten Kunstmesse, die ©Murakami-Ausstellung im Museum, die vielen kleinen Lädchen, in denen junge DesignerInnen (bzw. -innen) und Kunsthochschul-AbsolventInnen mit handgefertigten Einzelstücken und Kleinst-Editionen ihren Lebensunterhalt zu bestreiten versuchen ... „Yo Logo!“ könnte man sagen, „Think global, act local“. Textil Global geht uns alle an. FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 99 Alle Abbildungen: Verena Kuni. teils ohne Rücksprache, anonym und unhonoriert abdruckten. Vgl. Ausst.-Kat. Just Do It. Die Subversion 1 Vgl. Ausst.-Kat. Josephine Meckseper, hg. v. Ma- der Zeichen von Marcel Duchamp bis Prada Meinhof, rion Ackermann, Kunstmuseum Stuttgart, Ostfildern hg. von Thomas Edlinger, Stella Rollig u. a., Lentos Mu- 2007; für die angesprochenen Arbeiten ebd. Kat. 20, seum Linz, Wien 2005. S. 60–61: CDU – CSU (2001), Kat. 54, S. 95: Selling 10 Out (2004) und Kat. 53, S. 94: Der Spießer und die lerInnen zu nennen, die sich schon früh dezidiert mit Agonie des Realen (2004). diesem Komplex beschäftigt haben, die Arbeiten von 2 Sylvie Fleury oder die Fotoarbeiten der Serie Looking Vgl. Tom Holert, Mark Terkessidis (Hg.), Main- Vgl. etwa, um nur zwei der bekanntesten Künst- stream der Minderheiten. Pop in der Kontrollgesell- for Love (1996–2001) von Daniele Buetti; Ausst.-Kat. schaft, Berlin 1996. Sylvie Fleury – 49000, hg. v. Götz Adriani, Museum 3 Die ursprünglich von einer kleinen Brauerei in der Neue Kunst/ZKM Karlsruhe u. a., Ostfildern-Ruit 2001; Rhön Kräuterlimonade wurde nach ihrem kometenhaf- Ausst.-Kat. Daniele Buetti, hg. v. Christoph Doswald, ten Aufstieg in der Gunst der KonsumentInnen zeitwei- Kunstverein Freiburg u. a., Ostfildern-Ruit 2003; ein- se von einer Tochtergesellschaft von Coca Cola ver- schlägige Abb. auch unter http://www.sylviefleu- trieben, inzwischen hat der Konzern Radeberger den ry.com u. http://www.daniele-buetti.de letzter Zugriff Vertrieb übernommen. am 15.09.2011. 4 11 Die Firma Bacardi Ltd. engagiert sich seit ihrer Vgl. Verena Kuni, Cyberfeminismus ist kein grü- entschädigungslosen Enteignung durch die kubani- nes Häkeldeckchen. Zur kritischen Netzpraxis von sche Regierung im Oktober 1960 aus dem Exil gegen Künstlerinnen, in: kritische berichte 26 (1998), H. 1, letztere; 1996 beförderte sie maßgeblich die Verab- S. 65–72. schiedung des Helms-Burton Acts durch den US-ame- 12 rikanischen Senat, eines umfassenden Handelsembar- arbeitstechniken gefertigten Stücken auch die jeweili- gos gegen Kuba, das erhebliche Konsequenzen für gen Schrift- und Bildmarkenzeichen zu verwenden den kubanischen Exporthandel hatte. bzw. nachzuempfinden; der aktuelle Handarbeits- 5 boom hat hier zu einem weiteren Aufschwung geführt, Naomi Klein, No Logo. No Space No Choice No In der Fankultur ist es seit je üblich, in mit Hand- Jobs, London 2000. der sich auch in der Netzkultur abbildet. Zu Schnittstel- 6 len von Handarbeit, Objekt- und Netzkultur vgl. weiterf. William Gibson, Pattern Recognition, New York 2003. auch Verena Kuni, Wenn aus Daten wieder Dinge wer- 7 Vgl. Ausst.-Kat. Be Creative! Der kreative Impera- den – From Analog To Digital And Back Again?, in: Eli- tiv, hg. von Marion von Osten, Peter Spillmann, Mu- sabeth Tietmayer u. a., Die Sprache der Dinge. Kultur- seum für Gestaltung Zürich, Zürich 2003; weiterf. Ul- wissenschaftliche Perspektiven auf die materielle Kul- rich Bröckling, Das unternehmerische Selbst. Soziolo- tur, Münster u. a. 2010, S. 185–193. gie einer Subjektivierungsform, Frankfurt a. M. 2007. 13 8 htm, letzter Zugriff am 15.09.2011. Svetlana Alpers, Rembrandt’s enterprise. The Vgl. http://www.microrevolt.org/web/blanket. studio and the market, London 1988. Weiter haben 14 Vgl. ebd. sich mit diesem Komplex seither eine große Anzahl so- 15 Vgl. http://www.microrevolt.org/mission.htm, wohl künstlerischer Projekte und Ausstellungen als letzter Zugriff am 15.09.2011. auch wissenschaftliche Publikationen befasst. 16 9 Das Spektrum reicht dabei von direkt auf Praxis- www.microrevolt.org/video.htm. Die Knitoscope-Soft- perspektiven fokussierende Titel wie das Buch des Ad- ware wurde im Rahmen einer Projektförderung durch busters-Intiators Kalle Lasn, Culture Jam, New York Turbulence/New Radio and Performing Arts entwi- 2000 bis zu Ausstellungen in Kunstinstitutionen wie ckelt, ebd. sind auch die Clips einzusehen; vgl. http:// Just Do It im Lentos Museum Linz, für deren Katalog www.turbulence.org/Works/microRevolt/index.html, die KuratorInnen die als kritisch geflaggten Appropria- letzter Zugriff am 15.09.2011. tionsstrategien allerdings auch gegen engagierte Kol- 17 legInnen wendeten, indem sie deren Texte größten- ter Zugriff am 15.09.2011. 100 Vgl. Knitoscope Testimonies (2006), http:// Vgl. http://www.microrevolt.org/reblog, letz- STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 18 Vgl. http://www.microrevolt.org/knitPro.htm, res.org / wpmu / portal / publications / inc-readers/my- letzter Zugriff am 15.09.2011. creativity, letzter Zugriff am 15.09.2011. 19 28 Vgl. http://www.counterfeitcrochet.org, letz- ter Zugriff am 15.09.2011. Vgl. Prosumer revisited. Zur Aktualität einer De- batte, hrsg. von Birgit Blättel-Mink, Kai-Uwe Hellmann, Der Begriff „It-Bag“ wurde um 1990 von Fendi Wiesbaden 2010; speziell mit Blick auf kritische Inter- eingeführt, um die hauseigenen Accessoire-Linie wei- ventionen von KünstlerInnen und AktivistInnen auch Ve- ter nach vorn zu bringen. Inzwischen geben nahezu al- rena Kuni, Happy Prosumer. Do-it-yourself or Die 2.0., le großen Modelabels zur It-Bag erklärte Handtaschen in: Birgit Richard, Alexander Ruhl (Hg.), Konsumgueril- heraus. la. Widerstand gegen Massenkultur?, Frankfurt a. M., 20 21 LV steht seit 1896 für das Signet bzw. Logo New York 2008, S. 97–116. Louis Vuitton. 29 22 shey.net/niked.html, letzter Zugriff am 15.09.2011. Vgl. weiterführend Ausst.-Kat. ©Murakami, hg. Vgl. die Dokumentation unter http://www. von Paul Schimmel, Museum of Contemporary Art Los 30 Angeles u. a., Los Angeles 2007. 110101101.org/home/nikeground/index.html sowie 23 http://www.t0.or.at/nikeground, letzter Zugriff je- Die Bezeichnung „Craftista“ steht für Frauen, Vgl. die Dokumentation unter www.0100101 die sich enthusiastisch mit Handarbeit und Mode-De- weils am 15.09.2011. sign befassen bzw. in der entsprechenden Do It Your- 31 self-Szene engagieren. Je nach Selbstverständnis da. A Novel, New York 2003. Breite Bekanntheit er- kann dies auch kritische Position(ierung)en einschlie- langte der Roman, der auf den eigenen Erfahrungen ßen – letzteres wird jedoch oft durch die (Selbst-)Be- der Autorin im Mode-Business bzw. als Produktionsas- zeichnung als Craftivista signalisiert. Vgl. weiterf. sistentin bei der VOGUE basiert, durch die Verfilmung Craftista!, hg. vom Critical Crafting Circle / Elke Gau- (USA 2006, R. David Frankel) mit Meryl Streep in der gele / Sonja Eismann / Verena Kuni / Elke Zobl, Mainz Rolle der Chefredakteurin. 2011. 32 24 http: / / www.counterfeitcrochet.org / patterns. Vgl. Lauren Weisberger, The Devil Wears Pra- Vgl. http://www.serpicanaro.com, letzter Zu- griff 15.09.2011 (aktuell ist nur die Startseite akti- html, letzter Zugriff am 15.09.2011. viert) sowie http://www.plotki.com, letzter Zugriff 25 Vgl. hierzu Verena Kuni, Not Your Granny’s 15.09.2011; weiterf. (inkl. Literatur u. Links): Feminis- Craft. Neue Maschen – Alte Muster. Ästhetiken und Po- tische Uniformen. Das Plotki Fashion Projekt. Elke litiken von Nadelarbeit zwischen Neokonservatismus, Zobl im Gespräch mit Nikole Doerr, in: Critical Crafting New Craftivism und Kunst, in: Jennifer John, Sigrid Circle u. a. (wie Anm. 23), S. 214–223. Der Begriff Logo, der ursprünglich nur Textmar- Schade (Hg.), Grenzgänge zwischen den Künsten. In- 33 terventionen in Gattungshierarchien und Geschlech- ken meinte, wird inzwischen auch in der Fachliteratur terkonstruktionen, Bielefeld 2008, S. 169–191 und synonym für Text- und Bildmarken von Unternehmen weiterf. Verena Kuni, Verstrickt und zugenäht? Die verwendet. Handarbeit, die Kunst, die Mode und ihre LiebhaberIn- 34 nen, in: Critical Crafting Circle u. a. (wie Anm. 23) niert die Kosumkultur?, Frankfurt a. M. 2010. S. 74–87. 35 26 Ebd. zum Thema Markenpiraterie im globalen Kontext, die 27 Vgl. für eine kritische Auseinandersetzung mit bislang von wirtschaftswissenschaftlicher Seite vorge- Vgl. Wolfgang Ullrich, Habenwollen. Wie funktioDies gilt auch für das Gros der Publikationen diesem Komplex das Amsterdamer Konferenz-Projekt legt worden sind. TulipomaniaDotCom bzw. dessen noch in Teilen erhal- 36 tene online-Dokumentation http://www.balie.nl/tulipo- erhellende Weise das von den Wiener KünstlerInnen mania, letzter Zugriff am 15.09.2011; weiterf. das und KulturwissenschaftlerInnen Coelestine Engels und von Organisatoren der Konferenz mit initiierte Konfe- Markus Hafner / Ren Fah in Zusammenarbeit mit Chris- renz- und Publikationsprojekt MyCreativity; s. den My- toph Bertold entwickelte Projekt mitumBACK, vgl. Creativity Reader, hg. von Geert Lovink, Ned Rossiter, http://mitumback.net, letzter Zugriff 15.09.2011; Amsterdam 2007, online unter: http://networkcultu- weiterf. Reverse global. mitumBACK antwortet auf Diese Problematik fokussiert auf pointierte und FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 101 Vgl. für die Nike Blanket Petition die entspre- Fragen von Verena Kuni, in: Critical Crafting Circle u. a. 40 (wie Anm. 23), S. 170–185. chenden Verweise unter http://www.microrevolt.org/ Einblick in die aktuellen Entwicklungen geben web/blanket.htm; für das Counterfeit Crochet Project neben Zeitschriften wie Adbusters (und mittlerweile zu- die Dokumentation unter http://www.counterfeitcro- nehmend auch Bildbände bzw. Coffeetable-Books, die chet.org/imagegallery.html, letzter Zugriff jeweils den „radical chic“ des Genres belegen) unzählige Web- 15.09.2011. seiten und Blogs, für die stellvertretend auf das von 41 Alain Bieber betriebene rebelart.net verwiesen sei; Plesners Dafurnica, sondern auch zahlreiche Abmah- vgl. http://www.rebelart.net/diary, letzter Zugriff nungen und Verfahren zeigen, die sich auf im Web pu- 15.09.2011. blizierte Kunstprojekte und Fan Art richten, ist – wenn 38 es um von Unternehmen reklamierte Markenschutz- 37 Vgl. die bereits angegebene Projektdokumen- Wie nicht zuletzt die Auseinandersetzungen um tation unter www.0100101110101101.org/home/ rechte geht – der Begriff Schutzraum relativ. nikeground/index.html sowie http://www.t0.or.at/ni- 42 keground, letzter Zugriff jeweils am 15.09.2011. chen der boomenden Handarbeits- und Bastelkultur Tatsächlich sind gerade auch unter den Vorzei- Vgl. Nadja Plesner: Darfurnica (2009) und den professionelle Kunst, Design und Do It Yourself-Kultur zugehörigen Werkkomplex; hierzu weiterf. die Web- einander auf vielfache Weise näher gerückt, woraus seiten der Künstlerin unter http://www.nadiaples- Verschiebungen im Spannungsfeld von Produktion und ner.com sowie insb. http://www.nadiaplesner.com/ Rezeption resultieren, die wiederum Konsequenzen Website/darfurnica.php, wo neben den Arbeiten auch für die gesellschaftliche und ökonomische Wertschät- der gesamte Rechtsstreit dokumentiert ist, letzter Zu- zung haben können. Vgl. weiterf. hierzu Kuni (wie griff jeweils 15.09.2011. Anm. 25), S. 74–87, S. 80 f. 39 102 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Edition Agnes Achola Leftover, 2010, wire mesh and textiles, 150 cm, exhibited during the project and book presentation at Secession, Vienna. The leitmotif of this art- work is the idea of defining oneself, which can be viewed as a process of self-definition and self-empowerment of women, women artists, women migrants. This proceeded in collective continuous discussions, wherein reminiscing about experiences, strategies and detours of one’s own life and that of the migrant communities in Vienna – in parallel with reflecting one’s own creative work – played the most important role. The questions posed in the background of this retrospective view were: What does migration mean to female artists – who have migrated – in their work practice and everyday experiences? What role do social and cultural background and gender play in the distribution of power and access to resources? How much power do female artists have for a representative political impact? Dealing with the term migrant was also given a priority: How much is defined and by whom? The definition involves complex socio-political power relations, because the migrant is a constructed identity that indicates the inequality concerning civil rights and (daily) discrimination in the conditions of the nation state. The project’s basic aim is to lead this debate on a democratic and participatory level. This approach aims to dissociate from the frequent practice of exploiting far away and exotic cultures for the amusement of mainstream society. In the field of culture there is in fact often the need for specific attributes based on one’s origin or background which leads to the reproduction and consolidation of cliches and stereotypes. As a counter position, this project is willing to create its own cultural space and develop strategies against exoticism, discrimination and inequality. My work, titled Leftover, refers to the mechanism of othering and concepts of alterity: Leftover, a figurative sculpture made completely out of rags of second-hand clothing, not only makes an issue of the lived experience of black people - the confrontation with everyday racism, which I address. But materiality also points to the globalised economies FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 103 Agnes Achola, Leftover, 2010, wire mesh and textiles, 150 cm, exhibited during the project and book presentation at Secession, Vienna 104 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 and the western domination of and threat to local markets, for example in Uganda. Thus the European textile leftovers, which are exported to be re-used in Africa increasingly drive out the traditional clothing producers and have a long-term damaging effect on whole industries. This continuation of colonial rule and exploitation relationships expresses itself both in Africa and Europe in view of tightened border regime and asylum policy. In my artistic practice, I react with forms of making-visible and forms of resistance through the identity of the post-colonial subject. Agnes Achola Ornamental Structures – Figure and Ground Installation, hand stamp print on khaki textile, 250 cm, exhibition 12.02.2011 – 15.02.2011 in the Charlama Depot Gallery, Sarajevo My intention of using the khaki fabric and the printing stamp is that, first, the khaki fabric reminds me of Ugandan prisons because my father worked as a prison officer and we lived with him in the barracks. I was confronted with the situation of seeing prisoners in their daily activities, for example, working in the farms dressed in the khaki fabric. This reminds me of the history of colonisation in East Africa; the Askari is a Swahili word that originates from the Arab slave traders. Back then, it was used to refer to the soldiers, but it is still in use. The khaki uniform worn by the regular German Schutztruppe on an active service in South Africa, East Africa and Cameroon was originally issued in 1896. The stamp print I used to create the Sarajevo-Project (see page 107) was found by myself at the flea market Naschmarkt in Vienna. This type of stamp was used between 1930 and 1950 for newspapers or books; at the same time it reminds me of the Yoruba textiles created by stamping the Adinkra cloth. The symbols in these clothes are linked to proverbs, stories, songs, beliefs and everyday expressions, including insults. In my pictorial work, the information and the circumstances that I bring forward represents the minority people in general and the situation in our world today. In the work, one sees that – where the stamps are boldly or strongly visible and some parts not clearly printed – this was intentional. There are certain situations that as human beings we do not want to be confronted with. There are things that we should take action upon and react immediately upon. Unfortunately, these situations become so normal that we become used to them in our daily lives, or is it too unpleasant to talk about them? So it is placed swept under the rug, hidden because we do not want to face reality. In the stamp print, body language plays an important role as well as human interaction, the permanent discussions about human race, discriminations and gender. Such FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 105 Agnes Achola, Ornamental Structures, Figure and Ground Installation, hand stamp print on khaki textile, 250 cm, exhibition 12.02.2011 – 15.02.2011 in the Charlama Depot Gallery, Sarajevo 106 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Agnes Achola, Ornamental Structures, Figure and Ground Installation, hand stamp print on khaki textile, 250 cm, exhibition 12.02.2011 – 15.02.2011 in the Charlama Depot Gallery, Sarajevo drama! There has always been repeated suppression of Africans that dates back to history of slavery, colonization and Christian missionaries in Africa. And not to mention the gender part! The women were completely invisible during these times. In my work one recognizes how times have changed. We are now on a different level of discussions but still facing the past, the communication or discussion going between the two men of different origin and the topless woman looking surprised or in shock like the man on the far right with a similar expression on his face. The surroundings in the picture look like a typical African homestead with the hut, palm trees and a fence made out of wooden sticks. Moreover, the three topless people are all barefoot and the man dressed in black is wearing shoes. Both men have swords besides them, this reminds me of the history of the Scramble for Africa. The dominance of other races over the Africans since the time of slavery has taken another level but these situations are still alive. FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 107 Birgit Haehnel Migrationsskizzen 1 In den letzten Jahren hat das emanzipatorische und antidiskriminatorische Engagement von Frauen mit Migrationserfahrung in der (österreichischen) Gesellschaft stark zugenommen. Hierzu zählt auch die Künstlerin Agnes Achola. 1974 wurde sie in Kampala, Uganda, geboren. Derzeit lebt und arbeitet sie in Wien, wo sie an der Universität für Angewandte Kunst den Schwerpunkt ihrer Ausbildung auf das Gestalten mit Textilien im Kontext einer dezidiert pädagogisch ausgerichteten Kunstpraxis legte. Sie dekonstruiert rassifizierende sowie geschlechtsspezifische Klischees und Stereotypisierungen, um so zu einer politisch-kritischen Bilder- und Forschungspolitik in der Migrationsdebatte beizutragen. Auf diese Weise durchbricht sie die notorisch verhängte Sprachlosigkeit über Schwarze Frauen und kratzt an den Privilegien der weißen Dominanzkultur. Eine nahezu lebensgroße Puppe aus bunten Stofffetzen platziert sie im Schnee, an einem Ort der Kälte und Einsamkeit. Das textile Material ruft zugleich die verschiedensten Assoziationen ins Bewusstsein und verbindet sie zu einem rhizomatischen Gedankengeflecht. Die übereinanderlappenden Lumpenteile aus Second-Hand-Kleidung stehen in engem Zusammenhang mit je unterschiedlichen menschlichen Schicksalen und den wirtschaftlichen Strukturen der Warenzirkulation. Im Kontext von Migration entfremdet uns die etwas unheimliche und doch anrührende Gestalt dem Bild von den exotisierten sowie diskriminierten Anderen und ruft Aufmerksamkeit hervor. In der Atmosphäre von Einsamkeit, Not und Traurigkeit glühen die Augen und signalisieren eine Stärke trotzdem. Diese Kraft findet sich auch in der Karikatur des Stempels für den Buchdruck, wenn klar wird, wer hier die entwaffnenden Argumente besitzt. Das Bild befragt die Position von Kolonisierten und Kolonisierern ebenso wie die Zweckentfremdung des Stempels als Holzmodel für den Stoffdruck, der den tradierten Kanon der europäischen Kunstgeschichte aufbricht. Agnes Achola benutzt bedruckte Stoffe als Kommunikationsmedium, das dem bedruckten Papier nicht unähnlich ist, und parallelisiert so die europäische Kunst 108 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 der Buchillustration zur Verbreitung von Wissen mit der kulturellen Praxis bebildeter Stoffe in afrikanischen Ländern. Den so gemusterten Stoff drapiert sie gleich einer Tunika um eine Schaufensterpuppe, die sich in Sarajevo in einer spezifischen Ausstellungssituation befindet. Die Galeriefenster transformieren zur Auslage von Verkaufsräumen und kommunizieren nun mit den Schaufenstern der Einkaufspassage. Auf diese Weise entsteht eine Analogisierung von Kunstmarkt und Bekleidungsindustrie, deren Verbindung Janis Jefferies in der Fluktuation des globalen Kapitals sieht. Es durchdringt Produktion und Verkaufshow von Textilien und Kunst gleichermaßen. 2 1 Gleichnamiger Titel ihrer Ausstellung in Buch- 2 Janis Jefferies, Midnight’s Children: Salman form, siehe Agnes Achola, Carla Bobadilla, Petja Dimi- Rushdie and the Translations of Hybridity in the Art- trova, Nilbar Güres, Stefania Del Sordo (Hg.), Migrati- works of Zarina Bhimji, Hew Locke and Yinka Shoni- onsskizzen – postkoloniale Verstrickungen, antirassis- bare, in: Paul Sharrad, Anne Collett (Hg.), Postcolonial- tische Baustellen, zweisprachig Deutsch/Englisch, ism and Creativity. Reinventing Textiles, Bd. 3, Bristol Wien 2010. 2004, S. 1–14, hier S. 9. Agnes Achola 2011 Ausstellungen/Projekte Ornamental Structures – Figure and Ground Installation – Untitle, Sarajevo Interaktives Projekt – Giant Cloud Kinder, Biennale Venedig 2008 Sober Reflection, Permanent Waiting Room, Bologna, Ljubjana, Vienna, London 2006– Initiatorin und Koordinatorin des interkulturellen Projektes Ugatra / Initiator and 2008 Coordinator of the intercultural Project Ugatra, Universität für Angewandte Kunst in Wien und Makerere University in Kampala, Uganda 2006 Wir Machen das schon wieder, Galerie Andreas Huber, Wien 2005 Dead Talents, Permanent Waiting Room, Bologna, Ljubjana, Vienna, London 2004 Performance Geiseln, SIDY Zum Kolonialen Kulturgutraub, Werftgalerie, Wien FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 109 Rezensionen Denise Daum Stitch reloaded Rezension zu Matilda Felix: Sticken in der Kunst der Gegenwart, Bielefeld: transcript Verlag 2010 Die handwerkliche Tätigkeit des Stickens evoziert Vorstellungen von Biederkeit, Häuslichkeit und Altmodischsein.1 Damit sind wiederum Konstruktionen von bürgerlicher Weiblichkeit wie etwa Tugendhaftigkeit und Moral verknüpft. Mathilda Felix entfernt sich in ihrer Untersuchung des Stickens in der Kunst der Gegenwart, die 2008 von der Universität Marburg als Dissertation angenommen wurde, von dieser klischeehaften Besetzung des Stickens. Felix konstatiert eine zunehmende Popularität von Stickereien in der Kunst seit den 1990er Jahren und arbeitet heraus, wie diese Kunstproduktion „die Kategorisierungen der Kunstgeschichte ebenso wie die bipolare Geschlechterordnung der bürgerlichen Gesellschaft“ (8) in Frage stellt. Zu diesem Zweck wählt sie einschlägige, breit gefächerte Arbeiten aus, die sie methodisch einleuchtend in fünf Kapiteln als chronologisch angeordnete Typologien des Stickens vorstellt. Dabei richtet sie, wie in der Einleitung erörtert, das Augenmerk auf die Vielfältigkeit des Mediums Stickerei im aktuellen Kunstbetrieb. Im ersten Kapitel Die Stickerin als Leitbild des bürgerlichen Interieurs schlägt Felix den Bogen vom Bild der stickenden Frau in der bürgerlichen Erziehung des 19. Jahrhunderts als konstitutiv für den weiblichen Geschlechtscharakter über 110 die feministischen Interventionen der 1970er Jahre hin zu Annette Messagers Ma collection de proverbes, die sie „als Referenzfeld für die aktuelle Kunstproduktion“ (66) versteht. Felix arbeitet heraus, dass erst durch die feministische Thematisierung des bis dahin dem weiblichen Geschlecht im privaten Raum vorbehaltenen Stickens, diese Tätigkeit überhaupt als Kunst – nicht als häusliche Handarbeit – wahrgenommen werden konnte. Das Kapitel bildet die Grundlage der Untersuchung, denn die kritische Hinterfragung binärer Geschlechterrollen schwingt in der Mehrzahl der aktuellen Stickereien mit und zieht sich als roter Faden durch das ganze Buch. Das Kapitel Konversationen widmet sich dem Rückgriff zeitgenössischer KünstlerInnen auf historische Stickereien. Elaine Reichek rekurriert auf Musterbücher, die sie mit Zitaten der Künstlerinnen Jenny Holzer und Barbara Kruger ergänzt und verändert. Dadurch geht der ursprünglich edukative Charakter der Musterbücher verloren und es stellt sich eine gewisse Orientierungslosigkeit ein. Mit dem Teppich von Atlanta zeigt Felix, wie Jochen Flinzer die Rezeptionsgeschichte des Teppichs von Bayeux umdeutet und aktualisiert, indem er Wilhelm den Eroberer durch einen Hochleistungssportler ersetzt und selbst als Sticker auftritt. Fetischisierenden Elementen in der zeitgenössischen Stickkunst geht das Kapitel Doing and Undoing nach. Francesco Vezzoli inszeniert sich als Fan der Operndiva Maria Callas und bestickt Fotografien von ihr, wodurch er den Fetisch-Cha- STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 rakter dieser Bilder exponiert. Ghada Amers Pinup-Girls evozieren das Fetischhafte durch die Vervielfältigung und Wiederholung der gestickten Figuren. Ungewohnte Einsatzmöglichkeiten von Stickereien thematisiert das Kapitel Ausschweifungen in den Raum mit dem Besticken von Beton bei Mariann Imre und von Pflanzen und Erde bei Barbara Nemitz. Felix arbeitet heraus, wie das Garn in diesem Kontext zu einem Fremdkörper avanciert und Bestandteil skulpturaler Installationen wird. So erscheint etwa das großflächige Aufbringen von Stickereien auf einen Rasen als „materialungerechte Verfahrensweise“ (117), die sich von der kleinformatigen, auf den Stoff gebrachten Stickerei entfernt und derart tradierte Gattungsordnungen der Kunstgeschichte in Frage stellt. Im letzten Kapitel Mediale Interferenzen analysiert Felix die Funktion von Stickereizitaten in Fotografien, Videos und computergenerierten Grafiken. Sie interpretiert Marion Strunks bestickte Fotografien, die durch das Besticken die unendliche Reproduzierbarkeit von Fotografien breche, als „intermediale(n) Erinnerungsort“ (149). Auch Francesco Vezzolis Videoarbeit An Embroidered Trilogy spielt durch Überblendungen mit dem Thema Erinnerung. Der Künstler selbst platziert sich als Sticker, der einer melodramatischen Videoinszenierung beiwohnt. Als männlicher Sticker in nachlässiger Haltung tritt er jedoch als störendes Element auf, das die Konventionen des Stickens ironisch umdeutet. Die Bitmap-Grafiken der japanischen Künstlergruppe Delaware wiederum führen deutlich die Analogien in der Entstehung von Grafiken und Kreuzstichstickereien vor Augen, die beide auf quadratischen Grundflächen (Raster) basieren. Jedoch gehen in den in großer Schnelle stets wiederholbaren computergenerierten Bildern die Entschleunigung und die Singularität der Stickereien verloren. In ihren Schlussfolgerungen betont Felix die „antiquierten Konnotationen“ (212) des Stickens, eine Technik, die augenblicklich überholte Geschlechterrollen im (Bild-)Gedächtnis hervor ruft. „Bereits durch wenige Nadelstiche lässt sich der psychosoziale Ort des Privaten und Intimen abrufen, lassen sich Geschlechterperformanzen ebenso wie die Kategorisierungen des Kunstbetriebs thematisieren.“ (210) Die in der vorliegenden Arbeit vorgestellten künstlerischen Positionen stören diese tradierten Vorstellungen durch inhaltliche oder formale Aspekte, wodurch sie „gedankliche Spielräume hinsichtlich normativ vorgeschriebener Geschlechterrollen eröffnen“ (213). Mathilda Felix’ Studie zum Sticken in der Gegenwartskunst greift die Tatsache auf, dass die Stickerei im Kunstkontext als niedere Kunst galt, die gattungshierarchisch abgewertet und ausschließlich an das weibliche Geschlecht delegiert war.2 Zentral für diese Argumentation ist der von der feministischen Kunstwissenschaft dekonstruierte Mythos vom männlichen Künstlergenie als Folie, vor der das kunsthandwerkliche Sticken abgewertet wird.3 Roszika Parker hat in ihrer 1984 erstmals erschienenen Publikation The subversive stitch. Embroidery and the making of the feminine gezeigt, dass sich der Konnex von Sticken und Weiblichkeit im 18. und 19. Jahrhundert fest als weibliches Bürgerlichkeitsideal etabliert hat. Felix widmet nun erstmals eine umfassende Untersuchung der Stickerei in der zeitgenössischen Kunst und wertet diese dadurch auf. Allerdings bleibt die Engführung von Stickerei und Weiblichkeit fast ungebrochen bestehen. Ein männlicher Künstler wie Jochen Flinzer, der stickt und sich damit einer genuin weiblichen Tätigkeit bedient, gilt in der Kunstkritik als eine kleine Sensation. Felix macht deutlich, dass damit jedoch keine Neubewertung der Stickerei in der Kunst einhergeht, sondern die Homosexualität Flinzers zur Aufrechterhaltung des Stickens als weibliche Beschäftigung instrumentalisiert wird (82). Häufig wird die Stickarbeit eines Künstlers aber auch meditativ umgedeutet und erhält dadurch einen anderen, gehobenen Stellenwert, der dem männlichen Sticker eine Sonderrolle zuweist. Wenn Felix behauptet, dass „das Bild der handarbeiten- FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 111 den Frau bis heute fast ungebrochen als gesellschaftliches Leitbild, das ‚weibliche‘ Fürsorgequalitäten vermittelt“ (28), funktioniert, läuft sie Gefahr, das Klischee ungewollt erneut festzuschreiben. Aus Sicht der Rezensentin ist fraglich, ob es sich nicht um eine überkommene Vorstellung handelt, was zahlreiche Webseiten verdeutlichen, die einen subversiven Umgang gerade der jüngeren Generation mit Stickereien zeigen.4 Felix schließt an die Forschung der feministischen Kunstwissenschaft an, hätte jedoch durch die Berücksichtigung kultureller Differenzen den Blickwinkel erweitern können. Ansatzweise leistet sie dies am Beispiel der japanischen Künstlergruppe Delaware, indem sie den ikonischen Charakter der japanischen Schrift und die besondere Bedeutung der Keitais (Handys) in der japanischen Kultur in ihre Analyse mit einbezieht, wodurch sich weitere Interpretationsmöglichkeiten ergeben. Am Beispiel von Ghada Amers Arbeit Red Diagonals beschreibt Felix den Rückgriff der Künstlerin auf den abstrakten Expressionismus (imaginiert als hyper-maskulin), den sie mit gestickten pornographischen Frauenkörpern (doppelt weiblich) kombiniert. Die Berücksichtigung des arabischen Hintergrunds der Künstlerin hätte die Lesart des Bildes noch erweitert. Denn die gestickten Körper als erotische Objekte scheinen sich durch die herablaufende Farbe und die herabhängenden Fäden den Blicken der Betrachtenden zu entziehen. Sie sind gleichsam verschleiert, was den Voyeurismus erschwert. Das Motiv des Schleiers hätte die Diskussion um die Frage bereichert, was zu sehen gegeben wird und was nicht. Ferner schließen sich daran Fragen zur Unterdrückung von Frauen, aber auch zu deren Selbstbewusstsein an. Hier schwingt aus postkolonialer Perspektive auch die Frage nach dem Widerstand gegen kolonialistische Strategien mit. 5 Felix’ Publikation benennt die vielfältigen künstlerischen Zugänge zum Medium der Stickerei in der Gegenwartskunst. Zugunsten der Heterogenität der künstlerischen Ansätze fallen jedoch die einzelnen Bildanalysen an mancher Stelle zu kurz 112 aus. Auch wäre eine noch stärkere Thematisierung der speziellen Haptik und Ästhetik des Stickens wünschenswert gewesen. Das formal sehr ansprechend gestaltete Buch leidet unter den zu kleinen Abbildungen, an denen die im Text beschriebenen Details nicht nachvollzogen werden können. Insgesamt handelt es sich aber um eine gut lesbare Studie, die mit den verschiedenen Typologien des Stickens einen anregenden Überblick über ein bislang vernachlässigtes Medium liefert und sich der Abwertung des Stickens als niedere Gattung plausibel entgegenstellt. 1 Den konservativ-angestaubten Charakter des Stickens unterstreicht auch heute noch die aktuelle Werbekampagne für das Münchner Oktoberfest 2011, die mit einem Stickbild eines tanzenden Trachtenpaares vor einem Riesenrad und einem Kettenkarussell im Hintergrund wirbt. Vgl. Harmloses Stickwerk. Werbung für die Wiesn 2011 erinnert an eine Handarbeit, in: Süddeutsche Zeitung 28 (4. Februar 2011), S. 48. 2 Vgl. Jennifer John, Sigrid Schade (Hg.), Grenz- gänge zwischen den Künsten. Interventionen in Gattungshierarchien und Geschlechterkonstruktionen, Bielefeld 2008. 3 Vgl. etwa Viktoria Schmidt-Linsenhoff, Die Le- gende vom Künstler. Eine feministische Relektüre, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 52 (2005), S. 191–201. 4 Vgl. http://www.subversivecrossstitch.com. Dort gibt es unzählige Vorlagen für Stickvorlagen, deren Texte in ironischem Kontrast zur biederen Stickästhetik stehen. Man kann von einem Handarbeiten-Hype im World Wide Web sprechen. Siehe auch den Beitrag von Elke Gaugele, Verena Kuni, Embrace Domesticity – Freundschaft schließen mit der Häuslichkeit? Von der schönen neuen Welt der Handarbeit und Katharina Krenkels Welt in Heimarbeit, in: FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur 46 (2008), S. 70–78. 5 In diesem Kontext wäre ein Blick auf die Sticke- reien der südafrikanischen Künstlerin Senzeni Marasela lohnenswert, die sich kritisch mit dem Motiv der sogenannten Hottentottenvenus auseinandersetzt. STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Irene Tischler Die Hüllen des Harems Rezension zu Silke Förschler: Bilder des Harem. Medienwandel und kultureller Austausch, Berlin: Reimer Verlag 2010 Mit großer Sorgfalt und kenntnisreich spürt Silke Förschler der langen Motivgeschichte des Harems als Funktion einer Orientalismuskonstruktion über kulturelle und geschlechtliche Differenzen nach. Dabei gelingt ihr eine kritische Auseinandersetzung mit Edward Saids generalisierenden Schlüssen über die „Art und Weise, wie das Andere [sic] im Orientalismus konstruiert wird“ (296). Ihre differenziertere Sicht auf das Konzept Orientalismus weist Wandlungsprozesse dessen nach, worauf sich der Begriff bezieht. Sie arbeitet erfolgreich den Wandel der Zeichen heraus, die auf das Fremde referieren und nimmt so eine Heterogenisierung und Historisierung des Orientalismus vor. Einleitend thematisiert Silke Förschler die Forschungsperspektive der Postcolonial Studies, die Fragestellung und Methode ihrer wissenschaftlichen Abschlussarbeit sowie die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen während des behandelten Zeitraumes. Im ersten Kapitel ihrer dreiteiligen Schrift widmet sie sich dem Wandel der Haremsphantasien und den variierenden Medien durch die Jahrhunderte. Somit untersucht die Autorin zuerst Darstellungen in der Grafik, die ab der Mitte des 16. Jahrhunderts einsetzen, verfolgt diese dann im Medium der Malerei bis ins erste Viertel des 20. Jahrhunderts weiter und nimmt schließlich die Technik der Fotografie seit ihren Anfängen Mitte des 19. Jahrhunderts in den Fokus. Nach diesem rasanten Einstieg folgt eine extensive Studie, die sich der Beantwortung eines klar gestellten Fragenkatalogs widmet. Welche Informationen euro-amerikanische Bilder des Orients über den Westen geben, interessiert Förschler ebenso wie die Suche nach den strukturierenden Merkmalen des Harems, die als augenfällige und bemerkenswerte Aspekte sowohl in bildender Kunst, als auch in Wissenschaft und Literatur transportiert wurden. Dreh- und Angelpunkt sind dabei die verwendeten Medien, da sie die Repräsentationen des osmanischen Reiches und nordafrikanischer Länder maßgeblich mitbestimmten. Daran schließt sich unmittelbar zum einen die Analyse des Verhältnisses zwischen Bild und rahmendem Text und zum anderen die Aufarbeitung der historisch-zeitgenössischen Rezeptionen an. Weniger an Konventionen als an den Transformationen in der Darstellung des Harems interessiert, richtet Förschler ihr kritisches Auge auch auf den intermedialen Transfer des Sujets. Als besonders spannend stellt sie in diesem Zusammenhang die wechselseitige Einflussnahme mit islamischen Haremsdarstellungen heraus, die zum Teil dezidiert Bezug auf die europäischen Vorgaben nehmen. Den Untersuchungsbedarf erklärt Förschler mit der bisher meist auf Gemälde und auf die Kolonialzeit fokussierten Forschung, die sie durch ihr recherchiertes Bildmaterial erweitert. Zugleich trifft sie eine Auswahl, indem sie sich auf den französischen Diskurs vor dem Hintergrund der frühen engen Handelsbeziehungen und der privilegierten Position Frankreichs in Nordafrika konzentriert. Zu den ausgewählten Text- und Bildquellen zählen Hof- und Reiseberichte inklusive Grafiken, Gemälde französischer Maler, die beispielhaft für die Umsetzung des Haremsmotivs stehen, sowie in nordafrikanischen Ateliers aufgenommene Fotografien. Für ihre Analyse greift sie zudem auf die historisch-zeitgenössischen Rezeptionen in Salonkritiken, malereitheoretischen Schriften und Werkbeschreibungen der ausgewählten Künstler zurück. Im ersten Teil untersucht Förschler sowohl die unterschiedlichen und der Wandlung unterworfenen Bildelemente, welche das Fremde repräsentieren als auch das Verhältnis zwischen Text und Bild bei Schilderungen des Harems. Als heiliger und verbotener Ort bezeichnet „haram“ im Arabischen die den Frauen vorbehaltenen Räumlich- FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 113 keiten. Von daher wurde den Mitteln, dieses Verborgene sichtbar zu machen, stets große Bedeutung zugemessen und zwar auf beiden Seiten, der der Kolonisierenden und der Kolonisierten. Für diese erste Periode der Wissensproduktion war der diplomatische Austausch wichtig. Ein besonderes Interesse galt den Schilderungen von Gewalt und den Hierarchien unter den Sklavinnen. Als Ausdruck kultureller Differenz sind die Repräsentationen von Kostümen zu sehen, wobei besonders die Kleidung der Haremsdamen und -sklavinnen Aufmerksamkeit erregte. Nicolas de Nicolay bringt sie in seinem Livres de navigations (1586) mit Wohlstand, Sinnlichkeit und Nacktheit in Verbindung, hingegen weisen sie bei Paul Rycaut (The Present State of the Ottoman Empire, 1666) eher auf Emotionalität hin. Der Recueil Ferriol (1714) beschreibt erstmals mehrere Interieurszenen, die jedoch weniger ethnografisch aufzufassen sind, als dass sie eine orientalische Weiblichkeit zu konstruieren versuchen. Anhand eines Kostümbuchs, das als Geschenk an Louis XV. 1720 nach Frankreich gelangte, erörtert Förschler die Zirkulation von Bildmotiven zwischen dem osmanischen und französischen Reich. Sie betont, dass Kleidung weniger die Erotik akzentuierte wie in europäischen Phantasien, sondern vielmehr materiellen Wohlstand und sozialen Status herausstellte. Lady Montagus Briefe über ihren Besuch des Harems in Konstantinopel (1716–18) gibt der europäischen Wahrnehmung dieses Raumes eine ganz neue Richtung: Im Austausch mit Frauen vor Ort erkennt Montagu die Ungleichheit der Geschlechter, die sie übrigens auch für den Okzident konstatiert, und fragt, mit welchen Maßnahmen dem entgegen gearbeitet werden könne. Zugleich mit einer zunehmend fiktiven Ausgestaltung des Themas in der Literatur findet eine schrittweise Einordung in ein anthropologisches Konzept statt, wie Förschler anhand von Jean-Antoine Guers Mœurs et Usages de Turcs (1745) belegt. Die hierarchische Klassifikation der Sklavinnen sollte nun an der Hautfarbe abgelesen werden und nicht 114 mehr an der Kleidung. Damit löste die Hautfarbe das Kostüm als primäres Merkmal der Leitdifferenz und Klassifikation ab. Die 23-bändige Description de l’Egypte (1809– 1828) von Vivant Denon, entstanden aus dem während des militärisch gescheiterten Ägyptenfeldzugs Napoleon Bonapartes gesammelten Material, wollte nichts Geringeres, als im Zeichen objektiver Wissenschaftlichkeit einen Gesamtüberblick geben. Durch verallgemeinernde Aussagen über ‚die Ägypterin‘ und ‚die Orientalin‘ im Kontext von Gewalt, Unterordnung, Unfreiheit, Arbeit und Nacktheit, konstruiert das Monumentalwerk ein Gegenbild zur Hochkultur des antiken Ägypten und zum aufgeklärten Europa. Förschler zieht ein erstes Resümee, indem sie die wichtigsten Topoi der Haremsbeschreibungen und ihre Wandlungen erörtert und in Bezug auf Leitdifferenz und Wissenstransfer analysiert. In Teil II setzt Förschler ihre Untersuchungen der Zusammenhänge zwischen geschlechtsspezifischen Hierarchiesierungen und Hautfarbe im Medium der Malerei fort. Vor dem Hintergrund des malereitheoretischen Diskurses über Linie und Farbe wird das Aufgreifen des Haremsmotivs, die Anknüpfung an die grafische Tradition, die Etablierung des Themas in der Salonmalerei und das Aufkommen von KünstlerInnenreisen besprochen. Jean-Auguste-Dominique Ingres schuf mehrere Darstellungen von Haremsfrauen, die als idealschöne, antikisierende Akte in orientalischem Ambiente nachhaltigen Einfluss auf die Malerei ausübten. Da mehrmals Rückenansichten (Kleine Badende, 1806, Badende von Valpinçon, 1808, Große Odaliske, 1814, Interieur eines Harems, 1828, Das türkische Bad, 1863) als zentrales Bildmotiv fungieren, kommt der dargestellten Haut eine besondere Bedeutung zu. Die Hellhäutigkeit der Odalisken wird zum bestimmenden Faktor kolonialer Hegemonie. Der Künstler kreiert kulturelle Differenz über seine malerischen Ausführungen und die Kombination von spezifischen Bildelementen wie die Hellhäutigkeit des Aktes, die Oberflächenvielfalt der Stoffe STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 oder das Spiel von Ver- und Enthüllen. Gemeinsam ist den Bildern eine voyeuristische Perspektive, die den Betrachtenden eine verborgene Position zuweist, um sich an materiellem Luxus und Schönheit zu ergötzen. Ganz im Gegensatz zu Ingres fertigte Eugène Delacroix Skizzen vor Ort in Marokko und Algerien an, so etwa für sein Gemälde Die Frauen von Algier in ihrem Gemach (1834). Seine Figurendarstellungen und Motivwahlen erzeugen kulturelle Differenz weniger über Hautfarbe als vielmehr über das Interieur, Farben und Kostüme. Mit der malerischen Darstellung Marokkos und Algeriens erweitert sich der Imaginationsraum Orient bzw. Harem auf das westliche Gebiet Nordafrikas. Mit Jean-Léon Gérômes detailrealistischer Zusammenfügung weiblicher, sinnlicher Figuren mit ethnografischen Zeichen und Motiven gewinnt auch das Sujet des SklavInnenmarkts an Bedeutung. Die mit ihm verbundenen Themen sexueller Verfügbarkeit, Gewalt, Passivität von Frauen und Geschlechterhierarchiesierungen generieren den Orient als unzivilisierten Raum. Mit Werken Osman Hamdis (1880er) und Abdülmecid Efendis (um 1920) zeigt uns Förschler Perspektiven des osmanischen Reichs. Der Harem ist hier Teil einer kulturellen Praxis und wird mit dem Modus von aktiven Frauen ins Bild gesetzt, wie etwa eine, die konzentriert den Koran liest. Bei Henri Matisse wiederum findet die malerische Umsetzung des Haremsmotivs ihre Reduktion auf Farben und Formen. Er definiert Nacktheit als typisch für den Orient und überträgt die Erotik auf die Umgebung der Dargestellten und vor allem die Ornamente. Förschler spricht von einer „Entlokalisierung“ des Harems, da weder Nordafrika noch Konstantinopel zitiert werden, statt dessen der Orient verschoben wird auf Gegenstände und das Aufrufen von Motivtraditionen. In Teil III bespricht Förschler eine Auswahl von fotografischen Einzel- und Gruppenportraits sowie Schwarz-Weiß-Aktfotografien aus Konstantinopel und Nordafrika. Das im 19. Jahrhundert neu entwickelte Medium Fotografie war aufgrund seines Abbildcharakters mit Wahrheit und Beständigkeit konnotiert. Zu bedenken gibt Förschler, dass der Siegeszug des Mediums zeitgleich mit einer enormen Popularisierung des Orients von statten ging. In den Ateliers wurden vornehmlich Inszenierungen bekannter Motive aus der Malerei angefertigt, die aufgrund der Pose der weiblichen Modelle als Haremsszenen lesbar waren. Zwischen Enthüllung und Verzierung bilden die Erotisierungen durch Posen den Mittelpunkt der Bedeutungsproduktion. Zunehmend wurde der braune Teint als sinnlich wahrgenommen und rückte die Nacktheit der Orientalin ins Zentrum. Immer bildwürdiger wurden die Körper junger Erwachsener. Sie galten als naturalisierter Beweis, dass der Orient tatsächlich erotisch ist. Mit Verweis auf die Kostümfotografien des Osmanischen Reichs für die Weltausstellung 1873 greift Förschler neuerlich eine osmanische Perspektive auf, die eine Reaktion auf die Repräsentation des Westens darstellt und zugleich eine Hinterfragung der westlichen Annahmen leistet. Silke Förschler legt eine solide Studie vor, die insbesondere für jene spannend sein wird, die sich bereits ein Bild von der Unterdrückung der Frau im Harem und ihrer visuellen Unterwerfung im Orientalismus gemacht haben. Sicher meistert sie die Materialfülle, abwägend und dicht fallen ihre Analysen aus und bedacht bis sparsam geht sie mit eigenen Urteilen um. Bedauerlicherweise liest sich der Text streckenweise umständlich, mehrere Namen wurden zudem falsch geschrieben und ein Index wäre sehr praktisch gewesen. Wie angenehm, dass an den passenden Textstellen das Bildmaterial in Grautönen und die Hauptwerke in der Mitte des Buches hochwertig und in Farbe abgebildet sind. Damit bleiben die teils langen Erörterungen zu einzelnen Werken gut nachvollziehbar. Für den besseren Überblick über den Status der Teilforschungsfragen hätten sich detailliertere Zusammenfassungen an den Enden der Kapitel und zum Abschluss der Studie angeboten. FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 115 Edith Futscher Rezension zu Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Ästhetik der Differenz. Postkoloniale Perspektiven vom 16. bis 21. Jahrhundert. 15 Fallstudien. Marburg: Jonas Verlag 2010 Auf Systematisierung und Synthese bewusst verzichtend stellt Viktoria Schmidt-Linsenhoff in fünfzehn, historisch beeindruckend weit gestreuten Fallbeispielen postkoloniale Perspektiven im Sinne ästhetisch geführter Gegendiskurse vor. Es sind Produkte aus unterschiedlichen Bereichen der visuellen Kultur unterschiedlicher Regionen, in deren detailgenauen Analysen die Autorin mehr oder weniger explizite Einsprüche und Widerstände gegen dichotome kulturelle und ethnisierende Zuschreibungen ortet und darin postkoloniale Handlungsfähigkeit ausmacht. Schmidt-Linsenhoffs langjährige Arbeit an der Verquickung von geschlechterkritischen und postkolonialen Fragestellungen im Rahmen der Kunstgeschichte und den Studien zur visuellen Kultur im deutschsprachigen Raum bis hin zu deren institutioneller Verankerung an der Universität Trier kann nicht genug wertgeschätzt werden – in der Ästhetik der Differenz hat sie nun eine ganze Reihe an über die Jahre erarbeiteten Analysen zusammengefasst und in drei Abschnitten gruppiert: Künstler- und Entdeckerblicke, Weibliche Perspektiven und Fremde Dinge, verdinglichte Fremde. In sich jeweils chronologisch geordnet lässt uns die Autorin nach – für mein Dafürhalten etwas knapp gehaltenen – theoretischen Entfaltungen der Fragestellungen und Begriffe in Beispielen durch die Frühe Neuzeit schweifen, um jeden Abschnitt mit einem Kapitel zu zeitgenössischer postkolonialer Kunst zu schließen. Neben der Fallstudien inhärenten und ausgewiesenen methodischen Problematik – sie lassen einen größeren Zusammenhang im Sinne einer Systematik erwarten ohne ihn herstellen zu wollen –, zeigt sich in dieser Struktur eine Paradoxie auch der postkolonialen historischen Praxis. Während KünstlerInnen, die den Kolonialmächten angehörten, in ihren ästhe- 116 tischen und politischen Strategien in ausführlichen Einzelanalysen historisch besprechbar sind, sind es für den außereuropäischen Bereich vornehmlich ZeitgenossInnen bzw. Arbeiten aus einem dekolonisierten, neokolonialisierten oder globalisierten Raum, die vermehrt in Zusammenschauen und mit Blick auf Diskursformationen analysiert werden. Dies ist auch dem unterschiedlich geprägten Künstlerstatus geschuldet, der durchgehend kritisch zur Debatte steht. Trotz herausgearbeiteter Reziprozität, beispielsweise in der sozialen Beziehung MalerIn-Modell, spiegelt die Gewichtung der Aufsätze unterschiedliche Geschichtsmächtigkeit wider. Mit viel Akribie und enormer Materialkenntnis schreibt Viktoria Schmidt-Linsenhoff punktuell gegen diese grundlegende Paradoxie an, die sich darin zeigt, wer historisch ausführlich gewürdigt wird. Sie nimmt Beispiele in den Blick, die Risse in der Konstruktion von da Eigenem, dort Fremden zu erkennen geben und damit die Selbstgewissheit eines von Visualität getragenen Eurozentrismus produktiv beeinträchtigen. Punktuelle „ästhetische Delegitimierung“ (9) als Befund soll dabei Gewalt/verhältnisse keineswegs relativieren – es soll vielmehr ein politisch interessierter Blick auf visuelle Erzeugnisse im Blick auf Differenzen selbst differenziert werden. Selbstreflexive Künstler- und Entdeckerblicke ortet die Autorin in Jean de Lérys ostentativem „Verzicht auf das Privileg Blick“ (29) in einem Holzschnitt von 1580 und in Jan van der Straets viel besprochenem Kupferstich America (um 1590) als Inszenierung eines strategisch motivierten Verzichts auf sexuelle Inbesitznahme auch der Allegorie. An Vivant Denons Voyage dans la basse et la haute Égypte (1802) wird das Bekenntnis zu einer subjektiven und partikularen Sichtweise im Gegensatz zur offiziell napoleonischen, enzyklopädisch angelegten Description de l’Égypte herausgearbeitet. Die unterschiedliche Körperhaftigkeit des Blicks und die Darstellung kranker Körper geben da einen vorsichtigen Gegendiskurs, dort einen ungewollten Subtext STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 verletzten Nationalstolzes zu erkennen. In Delacroix’ Die jüdische Hochzeit in Marokko (1837/ 39) ist es vor allem die Abwesenheit der Braut, in den Frauen von Algier (1834) die Ausgewogenheit ästhetischer Prinzipien zweier Kulturen, die als visuelle Einsprüche gelesen werden, in Victor Segalens Schriften ist es die Einführung zumindest der Diskursfigur eines postkolonialen Publikums (93), das potenziell den Blick verkehrt. Der Niederschlag dieser Verkehrung, der Ablehnung von Assimilierung des Fremden ins Eigene, wird mit aller gebotenen Vorsicht bei Gauguin gesucht. Das Kapitel abschließend fragt Viktoria Schmidt-Linsenhoff mit Blick auf Arbeiten von Samuel Fosso, Glenn Ligon, Iké Udé, Yinka Shonibare und anderen nach möglichen Künstlerbildern einer postkolonialen Männlichkeit: In Ablehnung identitärer Zuweisungen arbeiten sie, so die Autorin, mit einer double consciousness (Du Bois) vielfach gleichsam kulturwissenschaftlich: Zuschreibungen werden durchgearbeitet, Blickregime im Wechsel von Subjekt- und Objektpositionen und Marktstrategien, die whiteness des Modernismus, werden analysiert, Exotismen parodiert und überschritten. Es gelte, „eine doppelte Position zu besetzen, in der sie weder integriert, noch exotisiert werden können.“ (128) Im Rahmen der geteilten Erfahrung, sich sowohl innerhalb wie auch außerhalb des hegemonialen Diskurses wiederzufinden, was Beteiligtheit am kolonialen Projekt inkludiert, werden in einem zweiten Abschnitt individuelle weibliche Perspektiven versammelt. Es sind Maria Sybilla Merians um 1700 in Surinam entstandenen Grafiken, Marie Guilhelmine Benoists Portrait d’une négresse von 1800, Else Lasker-Schülers Grafiken ab den 1910er Jahren und Hannah Höchs Fotomontagen Aus einem ethnographischen Museum (1924–1967). Abschließend werden vor allem Arbeiten von Mona Hatoum und Gülsün Karamustafa diskutiert, die mit der Dekonstruktion des neo-orientalistischen „Superzeichens“ (10) ‚verschleierte Frau‘ gegen Ethnisierungen arbeiten. Strukturell Vergleichbares findet Schmidt-Linsen- hoff in einer tendenziellen Enthierarchisierung von Medien und Sinnen und einer Kritik an der destruktiven Plantagenwirtschaft bei Merian, in einer Reflexion über den Status ehemaliger Sklavinnen im nunmehr demokratischen Mutterland (166) bei Benoist, und im Denken von Differenzen im Inneren der Identität bei Lasker-Schüler, das auch als Einspruch gegen zionistische Nationalidentität verstanden werden kann (183 ff). An den Fotomontagen Hannah Höchs arbeitet die Autorin den Bezug zu musealen Kontexten und Präsentationsweisen von Negerkunst in der Weimarer Republik, von Völkerkundlichem und Abstraktion in postkolonialen Aneignungen heraus. Als effiziente Arbeit wider aufklärungsresistente Stereotypen (Bhabha) beschreibt Schmidt-Linsenhoff die Arbeiten von Hatoum und Karamustafa – wiederum ist es die Auffächerung von identitätslastigen Kategorien im Eigenen, sei es Generation, Geschlecht oder Kultur, sind es Verfahren wie Montage, Fragmentierung oder Serialisierung, die den Kreislauf ungewollter Bestätigung der Spaltung von Selbst und Anderen unterbrechen. Ein dritter und letzter Abschnitt ist dem Aufbrechen der radikal gesetzten Spaltung in Subjekt und Objekt gewidmet, dem „wahnhaften Charakter der Autonomie“ (243), und rückt in Anlehnung an thing theory Beispiele ins Licht, die von der Durchlässigkeit dieser Grenze, von den identitätsbildenden und sozialen Dimensionen des Dings zeugen. Wiederum stehen also Wechselverhältnisse, Interdependenzen, eine vermittelnde Dimension zur Debatte, die etwa auch in Beispielen des weitgehend kontrastierenden Genres Bildnis mit Mohrenpage gefunden werden. Es sind soziale Beziehungen, die in Bildern des 17. und 18. Jahrhunderts über Gesten, Gaben, dann über Affekte in Bezug auf Enteignung, über den Akt der Fetischisierung im Sammeln und die Konstruktion des Sammlers als Kompensation der verleugneten Subjektivität nicht-europäischer ProduzentInnen artikuliert sind. Besonders einprägsam ist hier die Analyse der Bedeutungsver- FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 117 schiebung von André Bretons Sammlung im Rahmen eines surrealistischen Primitivismus’ hin zu den Fotografien nach 1945 im Kontext der Nachgeschichte der Shoah und der Négritude-Bewegung als einem Verlust postkolonialer Perspektiven. Breton verwalte melancholisch die angehäuften Dinge der Kolonialkultur (336) und verharre in der Negierung schwarzer Subjektpositionen, beharre auf einer kulturellen Leere, gegen die seine Freunde Aimé und Suzanne Césaire längst angeschrieben hatten. Ein letzter Aufsatz ist der Postkolonialen Kunstkammer Georges Adéagbos gewidmet. Wiewohl es sich um migrierende Archive handelt, stellt Schmidt-Linsenhoff die überraschende Frage nach dem Ort seiner Sammlungen und nimmt eine Relokalisierung im städtischen und kulturellen Zusammenhang – unterstützt auch mit eigenem Fotomaterial – von Cotonou/Benin vor. Die zeitgemäße Internationalität der Arbeiten wird mit detailreichen Beobachtungen zu Analogien in Bezug auf die urbane Struktur und zu lokalen Zirkulationsformen von Gegenständen ergänzt und so werden Adéagbos Strategien als transkulturelle verstehbar. Differenzen werden darin nicht zum Verschwinden gebracht, aber vervielfältigt (357). Viktoria Schmidt-Linsenhoffs Begriffe von Differenz und Alterität scheinen hier auf, sie bleiben in der Ästhetik der Differenz aber eigentümlich unentfaltet, was umso mehr erstaunt, als sie doch Gelenkstelle zwischen gender und postcolonial studies sind. Selbstredend, dass durchgängig gegen ein Different-Machen (Spivak) gearbeitet wird. Welche theoretische Prägung aber der „differenztheoretische Rahmen“ (7) innerhalb der konstruktivistischen Ausrichtung hat, ist mir un- 118 klar geblieben. Es geht Viktoria Schmidt-Linsenhoff jedenfalls darum, polare Kategorien „durch eine prinzipiell unendliche Vielfalt im Konkreten zu differenzieren.“ (15) Hervorzuheben ist weiters, dass auch mittels eines gesonderten Bildbandes argumentiert wird, der postkoloniale Perspektiven freisetzen soll und dazu einlädt, selbständig weitere Verknüpfungen vorzunehmen und sich an der Operation wider verfestigte Wahrnehmungsweisen zu beteiligen: „Der Tafelband bietet Ausschnitte aus einem kolonialen Bildatlas, die zur Lösung fixierter Stereotype und Blickordnungen beitragen können.“ (19) Auch dieser luxuriöse Bildband macht sogleich deutlich, dass unter Postkolonialität weder eine Epochen-Zäsur politischer Unabhängigkeit noch ein fixierter Korpus an Theoriebildung verstanden wird, aber, mit Stuart Hall, ein Darüber Hinaus in unterschiedlichen historischen und politischen Räumen. Es geht demnach um „einen fiktiven Standpunkt, von dem aus eine postkoloniale Perspektivierung der europäischen Kunstgeschichte möglich ist. Dieser wissenschaftlich fingierte Ort bietet überraschende Rückblicke und Fundstücke, die sich wie verheißungsvoll glänzende Splitter in einem düsteren Geschichtspanorama kolonialer Gewalt ausnehmen und die Persistenz rassistisch/sexistischer Zeichenrepertoires unterbrechen.“ (13) Die Wirkkraft dieser vereinzelten Verheißungen mag fragwürdig bleiben – errichtet wird ja ein fiktives Podest künstlerisch artikulierten Einspruches aus heutiger, selbstkritischer Perspektive. Das Verdienst der Ästhetik der Differenz aber besteht in der weiteren Öffnung des Feldes auf Uneindeutigkeiten und Ambivalenzen. STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Nachruf auf Angela Rosenthal Angela Rosenthal In Memoriam http://www.dartmouth.edu/~arthistory/events/ rosenthal.html As a lasting tribute to her memory and her many outstanding contributions to the discipline of Art History, to eighteenth-century studies, to gender studies, we her colleagues at Dartmouth have created the annual Angela Rosenthal Distinguished Lecture. Each year the Department of Art History, collaborating with others at Dartmouth, will identify and invite exciting scholars and/or practitioners who will offer a public lecture. The lecture will speak not only to the ways in which Angela sought to enliven Dartmouth’s intellectual environment by organizing academic events of all kinds, but also to her trans-disciplinary interests. Thus, the annual lecture will address art historical topics, but will also seek to explore the territory between her discipline and other intellectual formations, such as those represented at Dartmouth by Women’s and Gender Studies, African and African American Studies, Latin American, Latino, and Caribbean Studies, Native American Studies, Studio Art. We all miss Angela every day. We are pleased to announce this annual event that will speak to her legacy. We hope that it will be, especially with the passage of time, not only an opportunity for remembrance, but also celebration. Should you wish to contribute to the fund, you can send a check to Janet Terp, 6045 Wentworth Hall, Dartmouth College, Hanover, NH 03755 USA. Michael Mastanduno Dean of the Faculty, Dartmouth College Adrian Randolph Associate Dean of the Faculty for the Arts and Humanities, Dartmouth College, Hanover, NH FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 119 Viktoria Schmidt-Linsenhoff Nachruf Angela Rosenthal Angela Rosenthal gehört der zweiten Generation von Kunsthistorikerinnen an, die das Problembewusstsein des Fachs mit Fragestellungen der Genderforschung und des Postkolonialismus erweitert hat und der ersten, die dies mit jener entspannten Selbstverständlichkeit tut, die erst Strukturen verändert. Ich habe Angela Rosenthal 1992 an der Universität Trier kennen gelernt als sie ihre Dissertation über Angelika Kauffmann schrieb, die von Andreas Haus betreut wurde. In einer Situation, in der sich andere zur Niederschrift langjähriger Recherchen von der Außenwelt abschotteten, begeisterte sie sich für den Aufbau eines neuen Schwerpunktes Interkulturalität und Geschlechterdifferenz an meinem Lehrstuhl. Sie engagierte sich in der Organisation der 6. Kunsthistorikerinnen-Tagung Ethnozentrismus und Geschlechterdifferenz (Trier 1995) und lud die afrobritischen Künstlerinnen Lubaina Himid und Maud Sulter ein, um den Beitrag der künstlerischen Praxis zur Theoriebildung deutlich zu machen. Gleichzeitig arbeitete sie mit an der Konzeption des Projektes Das Subjekt und die Anderen, dem Einstieg in ein neues Forschungsfeld, das mit dem interdisziplinären Centrum für Postcolonial und Gender Studies an der Universität Trier institutionalisiert wurde. Entscheidend für die Produktivität dieser Jahre waren die Lust an radikalen Theorien, an erbitterten Kontroversen (unvergesslich der Streit in überfüllten Räumen um Judith Butlers Körperkonzept) und ein politischer, alltagsbezogener Wissenschaftsbegriff. Angela Rosenthal teilte diese Stimmung, die keineswegs immer lustig war, und verband sie mit zwei Momenten, die für ihre Arbeit prägend blieben: die Liebe zu den kunstgeschichtlichen Gegenständen, die sich in einer Akribie äußerte, die dem finstersten Positivisten zur Ehre gereicht hätte, und die Fähigkeit, wissenschaftliche Freundschaften produktiv zu machen. Nach der Promotion und einem kurzen Zwischenspiel an der Stadtgalerie Saarbrücken be- 120 ginnt ihre akademische Karriere mit einer Assistenz an der Northwestern University in Chicago, wo sie Einführungskurse mit Überblicksdarstellungen von der Höhlenmalerei bis zur Gegenwartskunst geben muss, die sie zur Verzweiflung treiben und die sie dann doch mit einem bildwissenschaftlichen Curriculum bewältigt. 1997 wird sie Assistant und 2003 Associate Professor am Dartmouth College, Hanover (New Hampshire). Das Studium am Courtauld Institute und am University College in London (1986) hatte sie mit der anglophonen Kunstgeschichtsschreibung vertraut gemacht und einen persönlichen Kontakt zu David Bindman ermöglicht, dem sie eng verbunden bleibt. Als sie in den USA zu lehren beginnt, war der gendertheoretische Glanz der women’s und minority studies am verblassen; der politische Impetus von Frauen und ethnischen Minderheiten an nordamerkanischen Colleges war längst in eine Phase der wissenschaftlichen Differenzierung und einer nicht selten abgehobenen Reflexion übergegangen. Die kritische Auseinandersetzung mit diesen Prozessen und mit der Herausforderung des Fachs durch cultural und visual studies haben Angela Rosenthals Arbeit wesentlich geprägt. In der Dissertation über Angelika Kauffmann wendet sie sich gegen die Identitätspolitik einer problematischen Frauenkunstgeschichte und entwickelt statt dessen aus der KünstlerinnenForschung neue Ansätze zur Bildnismalerei, die sie in prägnante Begriffe fasst wie: das Porträt als Ereignis und Prozess, Blickwechsel im Atelier, der innere Orient etc. Ihre Forschungsschwerpunkte bleiben das 18. Jahrhundert und eine konzeptuelle Gegenwartskunst, mit der sie sich der Zeitgenossenschaft ihres eigenen Blicks vergewissert. Methodisch geht es ihr um die inhaltliche Bedeutung von künstlerischen Lösungen und formalästhetischen Phänomenen in einem kulturgeschichtlichen Kontext. In einer ganzen Reihe von Aufsätzen zur britischen Malerei des 18. Jahrhunderts (Hogarth, Reynolds, Gainsborough) gibt sie die nationale Perspektive zu Gunsten von trans- STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 nationalen bzw. transkulturellen Fragestellungen auf: weibliche Kreativität, Atelier-, Ausstellungsund Sammelbetrieb, malerische Semantisierung des Inkarnats, whiteness, Orientalismus, visuelle Stereotypenbildung des Rassismus und künstlerische Gegen-Strategien. Die Wechselbewegung zwischen großräumigen Streifzügen durch die Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts und einer kennerschaftlichen Leidenschaft für den Reichtum der Materialien führte sie zu faszinierenden Themen, wie z. B. Hair, dessen Brisanz sie mit einer überaus amüsanten Sektion in Los Angeles auf einer Tagung der Internationalen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts (2003) unter Beweis stellte. Methodisch ging sie jedoch oft auch den umgekehrten Weg und fokussierte einzelne Gemälde oder Motive, die eine neue Sicht auf vermeintlich abgegraste Diskursfelder erlauben – wie z. B. Elisabeth Vigée-Lebruns Bildnis ihrer Tochter Julie und Bouchers rätselhafte Kinder-Akademien, die Angela Rosenthal als kunsttheoretische Reflexion zum Thema Kindheit und Kunst erkannte. Die Zeitschriften, in denen ihre Aufsätze erscheinen, sind im Rückblick aufschlussreich für den unterschiedlichen Status der gender und postcolonial studies. Während Angela Rosenthal seit 1992 im anglophonen Raum in etablierten Organen wie Art History, 18th Century Studies und in Handbüchern wie der dreibändigen The New History of British Art publizierte, interessierten sich für ihre Themen im deutschsprachigen Raum nur Zeitschriftenredaktionen, die, wie die kritischen berichte in den neunziger Jahren, noch außerhalb des mainstreams standen oder wie Frauen Kunst Wissenschaft (heute FKW//Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur), deren Mitherausgeberin Angela Rosenthal von 1994 bis 2006 war. Die deutsche Kritik an der schematischen Begriffstrias race/class/ gender, die in den USA als stumpfsinnige political correctness praktiziert wurde, war ein in den neunziger Jahren geläufiges Argument von KollegInnen, die kein Interesse an einer Demokratisie- rung der Geschlechterverhältnisse oder postkolonialen Perspektiven hatten. Sie traf jedoch zugleich eine tatsächlich bedenkliche Tendenz, alle möglichen Texte und Bilder als Exempel für die immer gleichen theoretischen Modelle zu verwerten. Angela Rosenthals bahnbrechende Arbeiten über weibliche Kreativität, whiteness und Repräsentation von Sklaverei in der frühen Neuzeit, Rassismus und Humor, afrobritische und afroamerikanische Kunst des späten 20. Jahrhunderts steuern dieser Tendenz mit präzisen Einzelanalysen energisch entgegen. Angela Rosenthals Arbeit ist geprägt von ihrer Sozialisation zwischen deutschen, britischen und nordamerikanischen Wissenschaftskulturen, deren Unterschiede sie immer wieder reflektierte. „Lass uns mal wieder quatschen“ war die Formel, mit der sie lange Telefongespräche über aktuelle Tendenzen und theoretische Novitäten im Fach ankündigte, die sich – wie sie wusste – nicht nur aus Texten erschließen, weil es immer auch um Machtverhältnisse in den Institutionen und die Mentalitäten von Menschen geht, die Wissenschaft betreiben. Das Dartmouth College – abgelegen in den Wäldern des upper valley, aber in der Nähe von Boston und nicht allzu weit von New York – bietet Angela Rosenthal ein Umfeld, in dem sie ihr soziales Genie und ihre intellektuellen Interessen bestens entfalten kann. Sie initiiert zahlreiche internationale und interdisziplinäre Kooperationen, gründet das Leslie Center for the Humanities, ist im Beirat der Eighteenth Century Studies und des Centrums für Postcolonial und Gender Studies an der Universität Trier. Das gut ausgestattete und gut gelaunte Department für Kunstgeschichte ist jedoch zugleich auch ein Ort für interne Debatten über das disziplinäre Selbstverständnis, die vor allem in Hinblick auf die Lehre geführt werden. Angela Rosenthal bleibt in Kontakt mit dem zeitgenössischen Kunstgeschehen und kuratiert immer wieder Ausstellungen, u. a. am Hood Museum. Eine Gastprofessur in Dartmouth und die Teilnahme an Tagungen, die sie organisierte, gaben mir Gelegenheit, ihr Talent zur Organisation FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 121 von wissenschaftlichen und sozialen Prozessen und ihre Fähigkeit zu bewundern, die richtigen Leute im richtigen Augenblick zusammen zu bringen. Die Ergebnisse der denkwürdigen Tagung Invisible Subjects? Slave Portraiture in the Circum Atlantic World 1550–1890 wird in einem Band erscheinen, dessen Herausgabe Angela Rosenthal mit Agnes Lugo-Ortez noch abschließen konnte, ebenso wie ihre Publikation des internationalen Workshops mit GastwissenschaftlerInnen (u. a. Alexandra Karentzos aus Trier) zum Thema No Laughing Matter: Visual Humour in Ideas of Race, Nationality and Ethnicity. Ob ihr Buch The White of Enlightenment: Racializing Bodies in Eighteenth Century British Visual Culture zur Publikation kommen wird, ist ungewiss. Angela Rosenthal ist am 11. November 2010 in Dartmouth gestorben – die Fassungslosigkeit ihrer Kollegen und Kolleginnen angesichts dieses Verlustes spiegelt die Besonderheit ihrer Person wider. Vielleicht wird ihr Mann Adrian Randolph, Professor für Kunstgeschichte in Dartmouth, das Whiteness-Buch posthum herausgeben. Angela Rosenthal war ihm auf den nordamerikanischen Kontinent gefolgt und das Paar praktizierte einen akademischen Lebensstil, der auf seltene Art und Weise den wissenschaftlichen und politischen Anspruch im Privaten einlöste. Adrian Randolph hatte wesentlichen Anteil an Angela Rosenthals intellektueller Biographie und teilte ihr wissenschaftspolitisches Engagement, sodass es unmöglich ist, ihm an dieser Stelle nicht zu danken. Auf der Website des Dartmouth Colleges sind die bestürzten Äußerungen von Studierenden zu lesen. Ich möchte eine Bemerkung herausgreifen, die einen wichtigen Aspekt der Lehre und Forschung von Angela Rosenthal benennt: Sie hat mich gefordert und das Beste von mir verlangt, ohne mich einzuschüchtern oder mir Angst zu machen. Wer sie kannte, schwärmt von ihrem Humor, ihrem Charme und einer umwerfenden, sozialen und intellektuellen Energie. Ich werde die Großzügigkeit, mit der sie sich verausgabte, nicht vergessen. [Januar 2011] 122 Christina Threuter Im Gedenken an Angela Rosenthal – a rose is a rose is a rose is (still) a rose „... ich dachte gerade an die hippie-bewegung und an jugendstil und an weiblichkeitsmetaphern und an behaarte monsterfrauen und an kahlköpfige potenzler und an blonde langhaarige Frauen, wie z. b. cicciolina, und natürlich an die pelztasse und an maria magdalena, ludwig XIV. und natürlich an jesus und ein bisschen auch an gert ...“ (Angela Rosenthal in einer email an Christina Threuter über ein Projekt zur Kulturgeschichte des Haares) ... ein enthusiastisches Feuerwerk an Assoziationen, gefolgt von einer stringenten, weitsichtigen Analyse verbunden mit enormer Auffassungsgabe, großem Sachverstand und Intellekt sowie einer unbändig sinnlichen Lust und Freude an der Sache – so habe ich Angela Rosenthal in der wissenschaftlichen Zusammenarbeit kennengelernt, wunderbar und herrlich! Wir trauern um Angela Rosenthal, die am 11. November 2010 in den USA an einer Krebserkrankung gestorben ist. Für diejenigen, die sie kannten und mit ihr zusammen sein und arbeiten durften, scheint Sprache zu armselig, um die unsägliche Trauer zu beschreiben, die ihr früher Tod auslöst. Angela Rosenthal war Teil der Gruppe von so genannten Nachwuchswissenschaftlerinnen, die 1994 die Gründungsredaktion von FKW ablösten, um die Zeitschrift „als das einzige Forum im deutschsprachigen Raum für feministische Kunst- und Kulturwissenschaften“ fortzuführen und trotz permanenter Finanzierungsnot am Leben zu erhalten. Neben dem ersten Heft der neuen Redaktion mit dem Titel Kunst-Szenen. Zwischen Einspruch und Anspruch (18/1994) hat sie die Hefte Schwulen und Lesbenforschung in den Kunst- und Kulturwissenschaften (21/1996), xx | xy | xxl. Alternative Körper (29/2000) und Netz Haut Nah (30/2000) maßgeblich initiiert und mitgetragen. STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 Angela Rosenthal studierte Kunstgeschichte, Psychologie und Ethnologie an der Universität Trier und am Courtauld Institute of Art, University College London, sowie am Westfield College. Sie war Kuratorin für zeitgenössische Kunst an der Stadtgalerie Saarbrücken (1994–95) bevor sie ihre Tätigkeit als Andrew W. Mellon Assistant Professor of Art History an der Northwestern University (1995–97) in Chicago aufnahm. Seit 1997 war sie Assistant Professor und ab 2003 Associate Professor für Kunstgeschichte am Dartmouth College. Wir kannten sie als eine vitale, charismatische Person, die ihre Kraftressourcen, ihre Freude, ihre Kollegialität, ihr Engagement, ihre Eleganz, ihren Sachverstand und letztlich ihren großen Humor uneingeschränkt in ihre Arbeit einbrachte. Sie war eine verantwortungsbewusste und anregende Dozentin sowie brillante Wissenschaftlerin, deren Beiträge und Untersuchungen, insbesondere zur Kunst des 18. Jahrhunderts, sehr fehlen werden. Diejenigen, die sie gekannt haben, ihre Freundschaft und ihre Wissenschaft schätzten, werden sich diesen Schilderungen ihrer Person ohne Vorbehalt anschließen. Unsere Trauer um Angela ist groß! Schriften (Auswahl) Angelica Kauffman: Art and Sensibility, Yale 2006. „Visceral Culture: Blushing and the Legibility of Whiteness in Eighteenth-Century British Portraiture“, in: Art History, Special issue on Visual Culture 27 (Sept. 2004), H. 4, S. 562–592 (auch veröffentlicht als Buch, Oxford 2005). Eighteenth-Century Studies, Gastredakteurin des Themenheftes Hair, 38 (Fall 2004), H. 1, Einleitung „Raising Hair“, S. 1–16. The Other Hogarth: Aesthetics of Difference, hg. mit Bernadette Fort, Princeton 2001. Angelika Kauffmann: Bildnismalerei im 18. Jahrhundert, Berlin 1996. Christiane Keim Remembering Angela1 Eine persönliche Erinnerung an Angela Rosenthal Es war unmöglich, Angela Rosenthal zu übersehen. Und das lag keineswegs nur an ihrer Körpergröße, viel mehr noch waren es ihre Energie, ihr stets wacher Geist und ihre nie nachlassende Neugier, die sie wie selbstverständlich in den Mittelpunkt jeder Versammlung rückten. Ich lernte sie Anfang der 1990er Jahre kennen, als wir beide in das Team eintraten, das die Gründungsredaktion von FrauenKunstWissenschaft ablöste; fast gleichzeitig kandidierten wir für das Amt der Sprecherinnen der Frauensektion im Ulmer Verein. Die Spontaneität, mit der Angela stets auf die Dinge und die Menschen zuging, verwirrte mich zunächst und trieb mich ein wenig in die Defensive, bis ich erkannte, dass ihre Lebhaftigkeit und ihr Engagement frei von jeder Attitüde waren und ausschließlich den gerade anliegenden Fragestellungen oder den aktuell zu bewältigenden Aufgaben galten. Dieses Engagement brachte sie in die Arbeit für FKW ein. In die Redaktionssitzungen kam sie oft sprühend vor Ideen, die sie auch gegen Bedenken ihrer Kolleginnen unverdrossen zu verteidigen wusste. Kritik schreckte sie nicht, sie konnte gut damit umgehen, stieg sie doch selbst oft als temperamentvolle Streiterin für ein ihr wichtiges Anliegen in den Ring. Nie hat sie Kontroversen über unterschiedliche Standpunkte in persönliche Ressentiments umgemünzt, dazu war ihr der intellektuelle Austausch viel zu wertvoll. Angela gehörte, so erinnere ich es heute, zu denjenigen in unserem Kreis, die vor allem die Chancen und weniger die Schwierigkeiten eines Eintretens für die (damals mehr noch als heute) marginalisierte Geschlechterforschung sahen. Als Redakteurin hat sie einige der interessantesten Themenhefte mitgestaltet, darunter die Beiträge zur Schwulen- und Lesbenforschung in den Kunstund Kulturwissenschaften (Heft 21) oder das Heft Netz/Haut/Nah zu digitalisierten Räumen und medialisierten Erfahrungen (Heft 30). Ich hatte lei- FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 123 der nie die Gelegenheit, mit Angela an einer Ausgabe der Zeitschrift zusammenzuarbeiten. Dafür kam ich mehr als einmal in den Genuss ihrer Gastfreundschaft. Nach einem Vorbereitungstreffen für die Trierer Kunsthistorikerinnentagung 1995 lud sie mich umstandslos zum Übernachten in ihre kleine Wohnung ein. In der kurzen Zeit, die wir zusammen verbrachten, zeigte sie sich als die beste Art von Gastgeberin, eine nämlich, die Besucher wie selbstverständlich an ihrem Leben teilnehmen lässt, ohne sie mit gutgemeinten Gefälligkeiten zu belästigen. Im Sommer 2000, einige Jahre nachdem sie aus Trier in die Vereinigten Staaten übergesiedelt war, zog dann auf ihre Veranlassung sogar das halbe Redaktionsteam für ein Wochenende ins Haus ihrer Eltern in Leverkusen ein. Auch hier die gleiche unangestrengte Großzügigkeit, die eine entspannte Atmosphäre zum Arbeiten wie zu ausgelassenem Spaß schuf. Nach diesem Treffen und Angelas Rückkehr in die USA wurden die Kontakte sporadischer. Dennoch: Wenn man sich nach längerer Zeit einmal wieder bei ihr meldete, antwortete sie so spontan und anteilnehmend, als habe man sich gerade gestern erst getrennt. 2001 oder 2002 berichtete sie von dem „gruseligen“ Verfahren, dem sie sich nun zum Erreichen einer Festanstellung (tenure) am Dartmouth College zu unterziehen habe. Keiner zweifelte ernsthaft daran, dass sie diese Hürde überspringen würde. Einige Jahre später musste sie mit der Diagnose einer Krebserkrankung in einen ungleich schwereren Kampf eintreten, der ihr keine Chance ließ. Auch als Angela Rosenthal in die USA ging, war sie nicht wirklich weg. Im Grunde ist sie es auch jetzt nach ihrem Tode nicht, denn die starke Erinnerung an sie war mir bei der Erstellung dieses Textes stets gegenwärtig. Andere haben Angela sicher sehr viel besser gekannt als ich. Für mich, auch das ist einer der bleibenden Eindrücke, war sie einer der couragiertesten Personen, die ich je kennengelernt habe. Ich vertraue darauf, dass dieser Mut ihr auch im letzten Stadium ihres Lebens geholfen hat. Ich vermisse sie. 124 1 „Remembering Angelica“, so lautete der erste Teil des Titels für einen Vortrag über Angelika Kaufmann, den Angela Rosenthal im März 2008 in der Brooks Memorial Library in Brattleboro gehalten hat. STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 AutorInnen Denise Daum Dr. phil., Kunstwissenschaftlerin, Referentin für Berufungen an der Goethe-Universität Frankfurt. Seit 2004 Mitglied des Centrums für Postcolonial und Gender Studies (CePoG) an der Universität Trier. 2009 Promotion über Albert Eckhouts Brasilienbilder im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs „Identität und Differenz. Geschlechterkonstruktion und Interkulturalität“ an der Universität Trier. Forschungsschwerpunkte: Niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts, Exotismus und Primitivismus in der Malerei vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, KünstlerInnenreisen, Postcolonial und Gender Studies. Ines Doujak lebt als bildende Künstlerin in Wien und arbeitet derzeit hauptverantwortlich an dem künstlerischen Forschungsprojekt Webschiffe / Kriegspfade. Zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen u. a. 2010/11 am Principio Potosí / Das Potosi-Prinzip, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid; Haus der Kulturen der Welt, Berlin; Museo Nacional de Arte La Paz, Bolivien und 2007 an der documenta 12, Kassel. Lisbeth Freiß lebt in Wien. Senior Scientist an der Akademie der bildenden Künste / Wien. Diplomstudium Tapisserie, künstlerisches Lehramt, Dissertation zur Semiologie der Strickjacke im deutschen Spielfilm der 1930er bis 1950er Jahre. Mitglied des Critical Crafting Circles. Arbeitsschwerpunkte zu Mode und weiblicher Handarbeit und deren Medialisierung. Aktuelle Forschung zum Regime der Verstofflichung (Die Wiener Mode). Publikationen (Auswahl): Die Handarbeitsanleitung als Strategie zur weiblichen Produktion. Eine historische Studie bürgerlicher Frauenjournale des 19. Jahrhunderts, in: Elke Gaugele, Sonja Eismann u.a. (Hg.), Crafitsta! DIYAktivismus, Feminismus und Neue Häuslichkeit, Mainz 2010; Mythos und Mehrwert textiler Techniken. Von *an wiederholen? In: Christian Becker, Perspektiven textiler Bildung, Hohengehren 2007. Edith Futscher Kunsthistorikerin. Mitherausgeberin von FKW seit 2006. Seit 2008 Elise-Richter-Stelleninhaberin des ‚FWF. Der Wissenschaftsfonds‘ mit einem Projekt zu den Filmen der Marguerite Duras, angesiedelt an der Universität für angewandte Kunst, Wien. Zuvor Assistentin am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien und der Technischen Universität ebenda. Elke Gaugele (Dr. phil.) ist Empirische Kulturwissenschaftlerin und Professorin an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Hier leitet sie das Ordinariat Moden und Styles im künstlerischen Lehramt: ein künstlerisch-wissenschaftliches Studium, das die gestalterische Praxis künstlerischer und konzeptueller Positionen mit dem kulturwissenschaftlichen Studium kritischer Theorien zu Moden und Styles verbindet. Zuvor war sie Hochschulassistentin am Institut für Kunst und Kunsttheorie, Abt. Textil der Universität zu Köln (1998–2006); Mitglied des bildwis- FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 125 senschaftlichen Kollegs Bild, Körper, Medium an der HfG Karlsruhe (2002–2007), Research Fellow am Department for Visual Arts Goldsmiths/ University (2003–04); Lise Meitner Stipendiatin (2004/06); Parallel dazu arbeitet sie als Autorin und Kuratorin, aktuell erschien Craftista! Handarbeit und/als Aktivismus, hg. vom Critical Crafting Circle (= Elke Gaugele, Sonja Eismann, Verena Kuni, Elke Zobl). Mainz 2011. Birgit Haehnel Kunsthistorikerin mit den Forschungsschwerpunkten Postcolonial- und Gender Studies vom 20. Jh. bis in die Gegenwart. Projektleiterin des DFG geförderten Forschungsprojekt über weiße Textilien zur Herstellung von whiteness am CePoG (Centrum für Postcolonial und Gender Studies) Universität Trier von 2011– 2014. Lehre, Vorträge und Publikationen zur Kunst im 17., 19. und 20. Jh., Kritik an visuellen Stereotypenbildungen des Rassismus, Kunsttheorie, Biopolitik und Traumaforschung (Sklavereigeschichte). Diss. zu Nomadismuskonzepten in der Kunst nach 1945. Neuere Forschungen: Textilien, Migration und Critical Whiteness Studies. Willemijn de Jong 1949, ist Titularprofessorin am Ethnologischen Seminar der Universität Zürich. Ihre Publikationen betreffen Textilien / Kleidung, Rituale, Verwandtschaft und Gender in Indonesien, soziale Sicherheit, Alter und Gender in Indien sowie interkulturelle Kommunikation und Reproduktionsmedizin, Körper und Verwandtschaft in der Schweiz. Marianne Koos Privatdozentin für Kunstgeschichte an der Université de Fribourg, zur Zeit Research Fellow an der Columbia University, Italian Academy for Advanced Studies (NYC). Magister Univ. Wien, Promotion Goethe Univ. Frankfurt a. M. 2001 (Bildnisse des Begehrens. Das lyrische Männerporträt in der venezianischen Malerei des frühen 16. Jahrhunderts. Giorgione, Tizian und ihr Umkreis), Habilitation Univ. de Fribourg 126 2010 (Haut, Farbe und Medialität. Oberfläche im Werk von Jean-Étienne Liotard [1702–1789]). 2002–2010 Wiss. Assistentin Univ. Basel, Zürich u. Fribourg, Lehrtätigkeit an den Univ. Basel, Frankfurt a. M., Freiburg i. Br., Fribourg, Wien u. Zürich. Forschungsschwerpunkte: Ital. u. Franz. Kunst u. Kunsttheorie des 16.–18. Jh.s; Körper u. Materialgeschichte, Oberflächensemantik, Gender u. Postcolonial Studies, Geschichte u. Methoden der Kunstgeschichte / Bildwissenschaften. Aktuelle Forschungsprojekte: „Renaissance Love“ (Tagungsbd. hg. gem. m. Jeanette Kohl u. Adrian Randolph), Oberflächensemantik in Bildern kultureller Differenz (zuletzt zur agency von engl. Porträtminiaturen als wandernde Dinge), Haut, Fleisch, Farbe, Schminke (zuletzt am Beispiel von Manet). Kerstin Pinther geb. 1968, Juniorprofessorin für die Kunst Afrikas, Freie Universität Berlin, Kunsthistorisches Institut. Bis 2010 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Goethe-Universität Frankfurt/Main. Eine Tochter, geb. 1998. Arbeitsschwerpunkte: Zeitgenössische Kunst und visuelle Kultur Afrikas, insbesondere Ghana, Nigeria und Ägypten, Architektur- und Stadtforschung. Aktuelle (Forschungs)projekte widmen sich Festivals und neuen Kunstorten in afrikanischen Städten sowie der Herausgeberschaft einer speziell der Afrika-Kunstwissenschaft in Deutschland gewidmeten Ausgabe von Critical Interventions. Kerstin Pinther ist auch als Kuratorin tätig, zuletzt für Afropolis. Stadt Medien, Kunst, früher Black Paris. Kunst und Geschichte einer schwarzen Diaspora. Publikationen (Auswahl): Zus. mit Larissa Förster und Christian Hanussek Herausgabe des Ausstellungskatalogs Afropolis. Stadt, Medien, Kunst, Köln 2010 (mit eigenen Beiträgen); Architekturen der Migration. Migration der Architektur. Künstlerische Annäherungen. In: Die Kunst der Migration. Aktuelle Positionen zum europäisch-afrikanischen Diskurs. Material- Gestaltung – Kritik, hg. von Sissi Helff / Marie-Hélène Gutberlet, Bielefeld 2011, S. 169– STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011 181; On the Parallel History of Cloth and Photography in Africa. In: Critical Interventions: Journal of African Art History and Visual Culture, Jg. 1, 2007, S. 113–123. Kerstin Schankweiler geb. 1976, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin, Kunsthistorisches Institut, Abteilung für die Kunst Afrikas. Ein Sohn (geb. 2009). 2008–2010 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität zu Köln, Kunsthistorisches Institut. 2008 Abschluss der Promotion über den Künstler Georges Adéagbo aus Benin mit einem Stipendium des Graduiertenkollegs „Identität und Differenz. Geschlechterkonstruktion und Interkulturalität 18.–21. Jh.“, Universität Trier. Seit 2004 Mitglied im „Centrum für Postcolonial und Gender Studies“ (CePoG), Universität Trier. Arbeitsschwerpunkte: zeitgenössische Kunst aus Afrika, Postcolonial und Gender Studies, Kunstgeschichte und Transkulturalität, Künstlermythen. Aktuelles Forschungsprojekt zur récup-art (Recyclingkunst) in Westafrika. Publikationen (Auswahl): Zus. mit Sarah Maupeu: Ein Universalmuseum für Berlin? Über „Die Tropen – Ansichten von der Mitte der Weltkugel“ im Martin-GropiusBau, Berlin. In: Texte zur Kunst [Berlin], Jg. 19, 2009, H. 73, S. 253–257; Afrikanische Schildermalerei und die mediale Übersetzung im Kulturtransfer. In: off topic. Zeitschrift der Kunsthochschule für Medien Köln, H. 0, 2008, S. 36–44; Mitherausgeberin des Sammelbandes: Ethnizität und Geschlecht. (Post-)Koloniale Verhandlungen in Geschichte, Kunst und Medien. hg. v. Graduiertenkolleg Identität und Differenz, Universität Trier, Köln 2005. Irene Tischler (geb. 1980) arbeitet seit 2009 im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck/Österreich. Sie studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie an der LeopoldFranzens-Universität in Innsbruck, der Universität Wien und der Università degli Studi Roma Tre in Rom. Schwerpunkte ihrer Forschung sind Gender Studies, Kulturgeschichte der Renaissance und Erkenntnistheorie. Seit 2007 arbeitet sie außerdem als freie Kunsthistorikerin, publiziert journalistische und Fachartikel und ist im Bereich Kultur- und Wissenschaftsmanagement tätig. FKW // ZEITSCHRIFT FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG UND VISUELLE KULTUR 127 Bildnachweise Cover Umschlaggestaltung ZwoAcht: Tini Pittasch & Jens Schulz, Bremen Bildvorlage: Mama Ango, lawo gamba, 1995 (© Sabine Wunderlin) Doujak Haehnel 1 Birgit Haehnel De Jong 1 Willemijn de Jong 2–5 Sabine Wunderlin mit Genehmigung der Künstlerin Freiß 1 Arturo Aguilar Ochoa, La Fotografia durante el Imperio de Maximiliano. Mexico City 1996, S. 117 2 Franz Kratochwill (Hg.), Die Wiener Elegante. Original-Modeblatt. Nr. 1, 15.3.1844. 3. Jg. 3. Wien 1844, S. 23 3 Arturo Aguilar Ochoa, La Fotografia durante el Imperio de Maximiliano. Mexico City 1996, S. 73 4 Arturo Aguilar Ochoa, La Fotografia durante el Imperio de Maximiliano. Mexico City 1996, S. 121 5 Albert Kretschmer, Carl Rohrbach, Die Trachten der Völker. Leipzig 1864, Bildtafel 128 Kuni 1–5 Verena Kuni Pinther/Schankweiler 1 Inscribing Meaning. Writing and Graphic Systems in African Art (Ausst.-Kat.), National Museum of African Art, Washington / UCLA Fowler Museum of Cultural History, Los Angeles. Washington 2007, S. 218 2 Documenta Kassel 16/06–23/09 2007 (Ausst.-Kat.). Hrsg. von documenta und Museum Fridericianum Veranstaltungs-GmbH, Kassel. Köln 2007, S. 185 3 Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie. Foto: Jens Ziehe 4 Looking Both Ways – Art of the Contemporary African Diaspora (Ausst.-Kat.), Museum for African Art, New York, hg. von Laurie Ann Farrell, Gent 2003, S. 31 STOFFE WEBEN GESCHICHTE(N) // HEFT 52 // DEZEMBER 2011