FORSCHUNG
Abb. 1: Grabungsteilnehmer der Freien
Universität Berlin am Fundort
(Bild: Christa Fuchs, NLD).
ROMS VERGESSENER FELDZUG
FUNDPLATZ NORTHEIM
Entdeckungsgeschichte
Zwei Heimatforscher, Rolf Peter
Dix und Winfried Schütte, fanden
bereits im Jahre 2000 auf der Suche
nach einer sagenhaften Burg am
westlichen Harzrand einige eiserne
Objekte, die sie für mittelalterlich
hielten. Erst Jahre später erkannten
sie eines der Stücke als „Hipposandale“ – also einen Hufschutz für
Pferde oder Maultiere, wie er von den
Römern verwendet wurde (Abb. 2).
Die Northeimer Kreisarchäologin Dr.
Petra Lönne bestätigte den Verdacht
und erkannte auch die anderen Objekte als römisch: Eiserne Speerspitzen, Spitzen von Katapultgeschossen
(Abb. 4) und eine Pionierschaufel.
Eine Überprüfung im Gelände bestätigte die Angaben der Finder und
zeigte, dass noch weitaus mehr
Fundstücke im Waldboden oft nur
wenige Zentimeter unter der Oberfläche lagen. Aus Angst vor Raubgräbern leitete die Kreisarchäologie
Northeim zusammen mit dem
Niedersächsischen Landesamt für
Denkmalpflege (NLD) ein ungewöhnliches Projekt ein: Abgeschirmt
von der Öffentlichkeit wurde das
Gelände mehrfach systematisch mit
Metalldetektoren prospektiert. Gelingen konnte das nur, weil eine
Gruppe von zuverlässigen Metallsondengängern, die seit mehreren
Jahren eng mit der Bezirksarchäologie Braunschweig zusammenarbeiten, intensiv in das Projekt einge16
VARUS-KURIER
bunden wurde: Erfahrene Sondengänger des NLD setzten bis zu elf
Metalldetektoren gleichzeitig ein.
Hunderte Funde wurden zentimetergenau eingemessen, sorgfältig
freigelegt, im Detail dokumentiert
und behutsam geborgen. Alle erdenklichen konservatorischen Maßnahmen
wurden sofort eingeleitet.
Dabei zeigte sich schnell, dass es sich
nicht – wie anfangs vermutet – um
ein weiteres römisches Lager handelt,
sondern um ein ausgedehntes Gefechtsfeld zwischen römischen Truppen
und Germanen. In Teilen des weitläufigen Geländes sind die Funde so
gut erhalten, dass es möglich ist,
Teilereignisse des Kampfgeschehens
nachzuvollziehen wie etwa den
Einschlag gezielter Pfeilsalven oder
einzelne Infanterieangriffe.
Der Schauplatz
Die Fundstelle liegt am Harzhorn bei
Kalefeld, Ldkr. Northeim, auf der
östlichen Spitze eines kilometerlangen, West-Ost verlaufenden Höhenzuges, der als eine natürliche Barriere
auf den Westrand des Harzes zuläuft
(Abb. 3). Die Nord-Süd-Verbindungen entlang des Harzrandes müssen
dort einen engen Pass überqueren,
wo noch heute die Autobahn 7, die
Bundesstraße 248 und die historische
Heerstraße auf einem nur 300 m
breiten Streifen dicht nebeneinander verlaufen. Die nach Norden steil
abfallenden Hänge der im Westen
anschließenden Kuppen sind nur an
wenigen Stellen passierbar; genau
dort finden sich die größten
Konzentrationen an Waffen. Bisher
liegen zwei Hauptfundkonzentrationen vor, die auf ein sehr heftiges
Aufeinandertreffen der Gegner deuten. In anderen Bereichen des insgesamt ca. 1,5 km breiten Fundgebietes
sind die Ergebnisse weniger eindeutig:
Entweder war das Kampfgeschehen
hier weniger intensiv oder diese
Bereiche sind nach der Schlacht
stärker geplündert worden. Rätselhaft bleibt allerdings, warum die
Germanen nicht die Gelegenheit
nutzten, das Schlachtfeld im Bereich
der heutigen Hauptfundkonzentrationen systematisch zu plündern.
Zertrümmerte Wagen, hunderte aus
dem Boden ragende Geschossschäfte und verlorene Ausrüstungsteile müssen noch jahrelang sichtbar
gewesen sein, bevor der Wald sie
unter sich bedeckte. Möglicherweise
verhinderte die Vegetation ein leichtes
Einsammeln der Geschossspitzen,
möglicherweise waren diese eisernen
Objekte für die Germanen ohne
großen Wert oder das Gelände war
zumindest teilweise tabuisiert und
niemand wagte, es zu betreten.
Die Datierung
Das Fundmaterial zeigt klar, dass
sich das Ereignis ca. 200 Jahre nach
der Varusschlacht abspielte. Einen
konkreten Datierungshinweis lieferte
eine stark abgegriffene, aber sehr gut
FORSCHUNG
Abb. 2: Ein Hufschutz, wie er von den Römern für Pferde oder Maultiere verwendet wurde - eine
sogenannte „Hipposandale“ (Bild: Christa Fuchs, NLD).
anzusprechende Münze des Kaisers
Commodus, der von 180 bis 192 n.
Chr. regierte. Weitere Münzen aus der
Regierungszeit der Kaiser Alexander
Severus und Septimius Severus konkretisieren die Zeitstellung des
Ereignisses, das im 2. Viertel des
dritten Jahrhunderts stattgefunden
haben muss. Auch der Endbeschlag
eines Messerfutterals kann nicht vor
dem ausgehenden 2. Jahrhundert
nach Christus entstanden sein. Das
gesamte Waffenspektrum fügt sich
in diesen Horizont ein. Eine erste
C14-Analyse anhand von Holzresten
in den Tüllen der Waffen durch das
Kieler Leibniz-Labor für Altersbestimmung und Isotopenforschung
erbrachte ein kalibriertes Alter von
130-250 AD (1808 +/- 32 BP) und
bestätigt trotz der für diese Zeitstellung typischen Spannbreite in der
Datierung den durch das Fundspektrum gewonnenen zeitlichen
Ansatz. Damit ist das Gefecht nach
bisherigem Kenntnisstand etwa in
das 2. Viertel des 3. Jahrhunderts
einzuordnen.
Sind die Ereignisse rekonstruierbar?
Ein konkretes Ereignis anhand
archäologischer Befunde zu rekonstruieren, ist fast immer problematisch. Dies gilt ganz besonders für
den ungewöhnlichen Fall, dass es
sich um ein Ereignis handelt, für das
es so gut wie keine historische Überlieferung gibt. Anhand archäologi-
scher Beobachtungen lassen sich nur
Modelle entwickeln, die immer wieder
neu geprüft werden müssen.
Zudem befindet sich die Erforschung des Schlachtfeldes am Harzhorn wissenschaftlich gesehen noch
im Vorbereitungsstadium. Die weitere Auseinandersetzung damit wird
mit Sicherheit zu zusätzlichen
Erkenntnissen und zu Korrekturen
an den vorhergehenden führen.
Das sehr umfangreiche Fundmaterial
mit inzwischen über 700 Einzelfunden belegt zunächst unstrittig
eine starke römische Militärpräsenz.
Zu dieser Zeit diente eine große Anzahl von germanischen Auxiliarsoldaten in der römischen Armee.
Darüber hinaus fanden sich Söldner
aus den Provinzen und den Randbereichen des Imperiums. So setzte
Kaiser Maximinus Thrax 235 n. Chr.
bei seinem Feldzug gegen die Germanen unter anderem persische
Bogenschützen und maurische Speerwerfer ein. Allerdings verwendeten
auch die Germanen zu dieser Zeit
Waffen aus römischer Produktion.
Es ist daher anhand der Waffen
kaum möglich zu entscheiden, ob
sie von einem „Römer“ oder einem
Germanen geführt wurden. Vom
Harzhorn liegen allerdings eindeutige Spuren römischer Militärtaktik
vor: So wurden die dort gefundenen
Pfeile nach bisherigem Kenntnisstand kaum, die indirekt durch die
massiven Katapultprojektile fassbaren
Torsionsgeschütze überhaupt nicht
von Germanen eingesetzt. Diese leicht
transportablen hölzernen Pfeilgeschütze, die wohl als Carroballistae
auf zweirädrigen Karren montiert
waren, gewinnen ihre Kraft aus der
Energie, die beim Verdrehen von
Seilbündeln entsteht. Die kurzen
Holzpfeile mit den massiven Geschossspitzen erreichten über große
Distanzen bei hoher Präzision eine
enorme Durchschlagskraft. Möglicherweise lässt eine Vielzahl dreiflügeliger
Pfeilspitzen auf die Anwesenheit orientalischer Bogenschützen schließen,
die Reflexbögen benutzten. Speerund Lanzenspitzen ergänzen das
Spektrum der Waffen.
Auf den Tross deuten Teile von Wagen, wie Achsnägel, Radnaben und
Abb. 3: Harzhorn in Richtung Norden. Links
das Harzhorn, rechts das hohe Rott.
Der Pass durch diese massive ost-westverlaufende Wegesperre zeichnet sich
noch heute durch den Verlauf der
Bundesstraße und die Autobahn ab, die
sich tief in den Gebirgszug einschneiden
(Bild: Henning Haßmann, NLD).
VARUS-KURIER
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FORSCHUNG
Abb. 4: Unter den Fundobjekten waren viele eiserne Spitzen von Katapultgeschossen
(Bild: Christa Fuchs, NLD).
Anschirrungszubehör, aber auch Zeltheringe hin (Abb. 5). Die Fundverteilungsmuster von Sandalennägeln
ermöglichen es, den Weg des römischen Heeres über den Pass nach
Süden nachzuvollziehen. Die Einschläge römischer Geschossspitzen
zeigen die germanischen Stellungen an.
Nach den bisherigen Beobachtungen handelt es sich am Harzhorn
um den Schauplatz eines offenen
Feldgefechts. Ob darüber hinaus
Befestigungen oder Verhaue errichtet
wurden, wird durch Ausgrabungen
überprüft, die insbesondere durch
die Freie Universität Berlin durchgeführt werden (Abb. 1).
Ein Jahrhundertfund?
Mit diesem Neufund eines antiken
Schlachtfeldes ist in Niedersachsen
ein weiterer wichtiger Fundplatz zur
Frage des Mit-, Neben- und Gegeneinanders von Römern und Germanen lokalisiert. Das Römerlager in
Hedemünden an der Werra markiert
den Beginn des römischen Zugriffs
auf das germanische Barbaricum
kurz vor Christi Geburt, mit dem
Fundort Kalkriese verbindet sich die
Niederlage der römischen Militärmacht im Jahre 9 n. Chr., die sich
nach den Feldzügen der Jahre 15/16
n. Chr. aus diesem Teil Germaniens
weitgehend zurückzieht. In der
Folge konsolidierte sich die nördliche Außengrenze des römischen
Reiches am Rhein. Vor allem mit
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VARUS-KURIER
diplomatischen Mitteln wirkte Rom
weiterhin auf die rechtsrheinischen
Gebiete ein.
Im 3. Jahrhundert veränderten sich
die Verhältnisse massiv. Germanen
drängten in großen Gruppen nach
Süden über den ObergermanischRaetischen Limes und nach Westen
über den Rhein, um von den wirtschaftlich blühenden römischen Gebieten zu profitieren. Diese Gebiete
waren ihnen wohl bekannt, da sie
bereits intensive wirtschaftliche und
familiäre Beziehungen zu den provinzialrömischen Grenzregionen
pflegten. Angehörige germanischer
Stämme leisteten als Soldaten Dienst
im römischen Heer oder trieben
Handel mit den Bewohnern provinzialrömischer Gebiete. Germanische
Plünderer erreichten auf ihren
Zügen aber auch die zentralen
Regionen des Reiches in Gallien
und bedrohten Italien.
und Raetien ein, d. h. im heutigen
Hessen, Baden-Württemberg und
Bayern. Im selben Jahr überschritt
Kaiser Caracalla den Limes, um eine
militärische Expedition gegen die
Alamannen zwischen Limes und
Main zu starten. 233 verheerten die
Alamannen wiederum die blühenden Grenzgebiete insbesondere im
Umfeld von Mainz. Kaiser Maximinus Thrax führte deshalb im Jahr
235 n. Chr. sein zum Teil aus orientalischen und nordafrikanischen
Einheiten bestehendes Heer weit
nach Germanien hinein, um – wie
bei Herodian und in der Historia
Augusta überliefert – im Zuge der
„Schlacht im Moor“ einen großen
Sieg zu erringen. In der historischen
Forschung wurde dieses Ereignis
gerne in der Nähe der römischen
Außengrenzen lokalisiert, da ein
Vordringen viele hundert Kilometer
weit ins Barbaricum unwahrscheinlich erschien.
Im letzten Drittel des 2. Jahrhunderts kam es zu den ersten großen
Kriegen, die durch Wanderungsprozesse nach Süden ausgelöst worden
waren. Auseinandersetzungen, insbesondere mit den Markomannen
an der mittleren Donau, banden
lange die Kräfte Roms und des
Kaisers Marc Aurel. 213 n. Chr. fielen zum ersten Mal die Alamannen,
ein neu entstandener Verband
unterschiedlicher
germanischer
Gefolgschaften in Obergermanien
Der Fundplatz wird zu neuen, weitreichenden archäologischen und
historischen Überlegungen führen.
Einige Schriftquellen werden neu zu
bewerten sein. Zum ersten Mal sind
weitreichende Militäroperationen
Roms nach Germanien hinein, wie
für Maximinus Thrax bezeugt,
archäologisch belegt. Weitere Feldzüge nach 235 n. Chr. sind zwar
historisch nicht überliefert, aber
aufgrund der Befunde und Funde
am Harzhorn ebenfalls denkbar.
FORSCHUNG
Abb. 5: Wagen-/Jochaufsatz (Bild: Christa Fuchs,
NLD).
INFORMATIONEN
Adressen und Ansprechpartner
Ein methodischer Vergleich des
Gefechtsplatzes am Harz mit dem
Schlachtfeld von Kalkriese lässt vermutlich weiterführende Schlüsse auf
die Vorgänge vor Ort zu, so dass
beide Fundplätze im Vergleich als
Schlüssel für die Rekonstruktion der
Ereignisse im Bereich des jeweils
anderen dienen können.
Die Neuentdeckung belegt ein dramatisches Ereignis im Rahmen der
Beziehungen zwischen Germanen
und Römern, durch das viele seit
langem bekannte archäologische
Phänomene wie der auffallende
römische Importstrom in die Germania magna um 200 n. Chr. oder
das Auftreten von römischen Waffen
auf Opferplätzen dieser Zeit in
neuem Licht erscheinen. Dass es der
Archäologie damit gelungen ist, ein
historisches Ereignis zu greifen, das
in den vermeintlich verlässlichen
historischen Quellen offenbar keinen
oder einen falsch eingeschätzten
Niederschlag gefunden hat, lässt den
Neufund zu einer spannenden Entdeckung werden, die viel Stoff für
die begonnenen historischen und
archäologischen Diskussionen liefert.
Diese komplexen Erkenntnismöglichkeiten unterstreichen die außerordentliche wissenschaftliche Bedeutung des neu entdeckten Gefechtsfeldes, das Gegenstand eines neuen
Forschungsprojektes ist. Für die
Kernarbeit im Gelände zeichnen die
Kreisarchäologie Northeim und das
Niedersächsische Landesamt für
Denkmalpflege, (Bezirksarchäologie
Braunschweig und Bezirksarchäologie Hannover) verantwortlich. Die
Archäologie der Römischen Provinzen
der Universität Osnabrück bringt
die provinzialrömische Expertise
ein, das Institut für prähistorische
Archäologie der Freien Universität
Berlin hat die germanische Facette
im Fokus und das Niedersächsische
Institut für historische Küstenforschung koordiniert die naturwissenschaftlichen Untersuchungen. Das
Niedersächsische Ministerium für
Wissenschaft und Kultur fördert das
mit zahlreichen weiteren Institutionen
vernetzte Harzhornprojekt mit
Forschungsfördermitteln. So konnte
die Kontinuität in der laufenden
Geländearbeit sichergestellt werden.
Auch 2010 werden die Geländearbeiten fortgesetzt werden können.
Das wissenschaftliche Team des
Harzhornprojekts bedankt sich deshalb ganz herzlich für die Unterstützung, die von verschiedener Seite
erfolgt. Ohne das Land, den Landkreis, das Wohlwollen der Grundstückseigentümer, der seriösen Berichterstattung von Journalisten in den
Medien und weiteren Unterstützern
wäre vieles nicht möglich!
Dr. Michael Geschwinde, Dr. Henning Haßmann,
Dr. Petra Lönne
Landkreis Northeim
Kreisarchäologie
Medenheimer Straße 6/8
37154 Northeim
Dr. Michael Geschwinde
Niedersächsisches Landesamt
für Denkmalpflege
Bezirksarchäologie Braunschweig
Husarenstraße 75
38102 Braunschweig
PD Dr. Günther Moosbauer
Universität Osnabrück
Alte Geschichte: Archäologie
der Römischen Provinzen
Schloßstraße 8
49069 Osnabrück
Dr. Henning Haßmann
Niedersächsisches Landesamt
für Denkmalpflege
Scharnhorststraße 1
30175 Hannover
Prof. Dr. Michael Meyer
Freie Universität Berlin
Institut für
Prähistorische Archäologie
Altensteinstraße 15
14195 Berlin
Internetadresse
www.archaeologieportal.
niedersachsen.de/harzhorn
Dr. Petra Lönne, Prof. Dr. Michael Meyer,
PD Dr. Günther Moosbauer
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