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Roms vergessenser Feldzug. Fundplatz Northeim

2009

FORSCHUNG Abb. 1: Grabungsteilnehmer der Freien Universität Berlin am Fundort (Bild: Christa Fuchs, NLD). ROMS VERGESSENER FELDZUG FUNDPLATZ NORTHEIM Entdeckungsgeschichte Zwei Heimatforscher, Rolf Peter Dix und Winfried Schütte, fanden bereits im Jahre 2000 auf der Suche nach einer sagenhaften Burg am westlichen Harzrand einige eiserne Objekte, die sie für mittelalterlich hielten. Erst Jahre später erkannten sie eines der Stücke als „Hipposandale“ – also einen Hufschutz für Pferde oder Maultiere, wie er von den Römern verwendet wurde (Abb. 2). Die Northeimer Kreisarchäologin Dr. Petra Lönne bestätigte den Verdacht und erkannte auch die anderen Objekte als römisch: Eiserne Speerspitzen, Spitzen von Katapultgeschossen (Abb. 4) und eine Pionierschaufel. Eine Überprüfung im Gelände bestätigte die Angaben der Finder und zeigte, dass noch weitaus mehr Fundstücke im Waldboden oft nur wenige Zentimeter unter der Oberfläche lagen. Aus Angst vor Raubgräbern leitete die Kreisarchäologie Northeim zusammen mit dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege (NLD) ein ungewöhnliches Projekt ein: Abgeschirmt von der Öffentlichkeit wurde das Gelände mehrfach systematisch mit Metalldetektoren prospektiert. Gelingen konnte das nur, weil eine Gruppe von zuverlässigen Metallsondengängern, die seit mehreren Jahren eng mit der Bezirksarchäologie Braunschweig zusammenarbeiten, intensiv in das Projekt einge16 VARUS-KURIER bunden wurde: Erfahrene Sondengänger des NLD setzten bis zu elf Metalldetektoren gleichzeitig ein. Hunderte Funde wurden zentimetergenau eingemessen, sorgfältig freigelegt, im Detail dokumentiert und behutsam geborgen. Alle erdenklichen konservatorischen Maßnahmen wurden sofort eingeleitet. Dabei zeigte sich schnell, dass es sich nicht – wie anfangs vermutet – um ein weiteres römisches Lager handelt, sondern um ein ausgedehntes Gefechtsfeld zwischen römischen Truppen und Germanen. In Teilen des weitläufigen Geländes sind die Funde so gut erhalten, dass es möglich ist, Teilereignisse des Kampfgeschehens nachzuvollziehen wie etwa den Einschlag gezielter Pfeilsalven oder einzelne Infanterieangriffe. Der Schauplatz Die Fundstelle liegt am Harzhorn bei Kalefeld, Ldkr. Northeim, auf der östlichen Spitze eines kilometerlangen, West-Ost verlaufenden Höhenzuges, der als eine natürliche Barriere auf den Westrand des Harzes zuläuft (Abb. 3). Die Nord-Süd-Verbindungen entlang des Harzrandes müssen dort einen engen Pass überqueren, wo noch heute die Autobahn 7, die Bundesstraße 248 und die historische Heerstraße auf einem nur 300 m breiten Streifen dicht nebeneinander verlaufen. Die nach Norden steil abfallenden Hänge der im Westen anschließenden Kuppen sind nur an wenigen Stellen passierbar; genau dort finden sich die größten Konzentrationen an Waffen. Bisher liegen zwei Hauptfundkonzentrationen vor, die auf ein sehr heftiges Aufeinandertreffen der Gegner deuten. In anderen Bereichen des insgesamt ca. 1,5 km breiten Fundgebietes sind die Ergebnisse weniger eindeutig: Entweder war das Kampfgeschehen hier weniger intensiv oder diese Bereiche sind nach der Schlacht stärker geplündert worden. Rätselhaft bleibt allerdings, warum die Germanen nicht die Gelegenheit nutzten, das Schlachtfeld im Bereich der heutigen Hauptfundkonzentrationen systematisch zu plündern. Zertrümmerte Wagen, hunderte aus dem Boden ragende Geschossschäfte und verlorene Ausrüstungsteile müssen noch jahrelang sichtbar gewesen sein, bevor der Wald sie unter sich bedeckte. Möglicherweise verhinderte die Vegetation ein leichtes Einsammeln der Geschossspitzen, möglicherweise waren diese eisernen Objekte für die Germanen ohne großen Wert oder das Gelände war zumindest teilweise tabuisiert und niemand wagte, es zu betreten. Die Datierung Das Fundmaterial zeigt klar, dass sich das Ereignis ca. 200 Jahre nach der Varusschlacht abspielte. Einen konkreten Datierungshinweis lieferte eine stark abgegriffene, aber sehr gut FORSCHUNG Abb. 2: Ein Hufschutz, wie er von den Römern für Pferde oder Maultiere verwendet wurde - eine sogenannte „Hipposandale“ (Bild: Christa Fuchs, NLD). anzusprechende Münze des Kaisers Commodus, der von 180 bis 192 n. Chr. regierte. Weitere Münzen aus der Regierungszeit der Kaiser Alexander Severus und Septimius Severus konkretisieren die Zeitstellung des Ereignisses, das im 2. Viertel des dritten Jahrhunderts stattgefunden haben muss. Auch der Endbeschlag eines Messerfutterals kann nicht vor dem ausgehenden 2. Jahrhundert nach Christus entstanden sein. Das gesamte Waffenspektrum fügt sich in diesen Horizont ein. Eine erste C14-Analyse anhand von Holzresten in den Tüllen der Waffen durch das Kieler Leibniz-Labor für Altersbestimmung und Isotopenforschung erbrachte ein kalibriertes Alter von 130-250 AD (1808 +/- 32 BP) und bestätigt trotz der für diese Zeitstellung typischen Spannbreite in der Datierung den durch das Fundspektrum gewonnenen zeitlichen Ansatz. Damit ist das Gefecht nach bisherigem Kenntnisstand etwa in das 2. Viertel des 3. Jahrhunderts einzuordnen. Sind die Ereignisse rekonstruierbar? Ein konkretes Ereignis anhand archäologischer Befunde zu rekonstruieren, ist fast immer problematisch. Dies gilt ganz besonders für den ungewöhnlichen Fall, dass es sich um ein Ereignis handelt, für das es so gut wie keine historische Überlieferung gibt. Anhand archäologi- scher Beobachtungen lassen sich nur Modelle entwickeln, die immer wieder neu geprüft werden müssen. Zudem befindet sich die Erforschung des Schlachtfeldes am Harzhorn wissenschaftlich gesehen noch im Vorbereitungsstadium. Die weitere Auseinandersetzung damit wird mit Sicherheit zu zusätzlichen Erkenntnissen und zu Korrekturen an den vorhergehenden führen. Das sehr umfangreiche Fundmaterial mit inzwischen über 700 Einzelfunden belegt zunächst unstrittig eine starke römische Militärpräsenz. Zu dieser Zeit diente eine große Anzahl von germanischen Auxiliarsoldaten in der römischen Armee. Darüber hinaus fanden sich Söldner aus den Provinzen und den Randbereichen des Imperiums. So setzte Kaiser Maximinus Thrax 235 n. Chr. bei seinem Feldzug gegen die Germanen unter anderem persische Bogenschützen und maurische Speerwerfer ein. Allerdings verwendeten auch die Germanen zu dieser Zeit Waffen aus römischer Produktion. Es ist daher anhand der Waffen kaum möglich zu entscheiden, ob sie von einem „Römer“ oder einem Germanen geführt wurden. Vom Harzhorn liegen allerdings eindeutige Spuren römischer Militärtaktik vor: So wurden die dort gefundenen Pfeile nach bisherigem Kenntnisstand kaum, die indirekt durch die massiven Katapultprojektile fassbaren Torsionsgeschütze überhaupt nicht von Germanen eingesetzt. Diese leicht transportablen hölzernen Pfeilgeschütze, die wohl als Carroballistae auf zweirädrigen Karren montiert waren, gewinnen ihre Kraft aus der Energie, die beim Verdrehen von Seilbündeln entsteht. Die kurzen Holzpfeile mit den massiven Geschossspitzen erreichten über große Distanzen bei hoher Präzision eine enorme Durchschlagskraft. Möglicherweise lässt eine Vielzahl dreiflügeliger Pfeilspitzen auf die Anwesenheit orientalischer Bogenschützen schließen, die Reflexbögen benutzten. Speerund Lanzenspitzen ergänzen das Spektrum der Waffen. Auf den Tross deuten Teile von Wagen, wie Achsnägel, Radnaben und Abb. 3: Harzhorn in Richtung Norden. Links das Harzhorn, rechts das hohe Rott. Der Pass durch diese massive ost-westverlaufende Wegesperre zeichnet sich noch heute durch den Verlauf der Bundesstraße und die Autobahn ab, die sich tief in den Gebirgszug einschneiden (Bild: Henning Haßmann, NLD). VARUS-KURIER 17 FORSCHUNG Abb. 4: Unter den Fundobjekten waren viele eiserne Spitzen von Katapultgeschossen (Bild: Christa Fuchs, NLD). Anschirrungszubehör, aber auch Zeltheringe hin (Abb. 5). Die Fundverteilungsmuster von Sandalennägeln ermöglichen es, den Weg des römischen Heeres über den Pass nach Süden nachzuvollziehen. Die Einschläge römischer Geschossspitzen zeigen die germanischen Stellungen an. Nach den bisherigen Beobachtungen handelt es sich am Harzhorn um den Schauplatz eines offenen Feldgefechts. Ob darüber hinaus Befestigungen oder Verhaue errichtet wurden, wird durch Ausgrabungen überprüft, die insbesondere durch die Freie Universität Berlin durchgeführt werden (Abb. 1). Ein Jahrhundertfund? Mit diesem Neufund eines antiken Schlachtfeldes ist in Niedersachsen ein weiterer wichtiger Fundplatz zur Frage des Mit-, Neben- und Gegeneinanders von Römern und Germanen lokalisiert. Das Römerlager in Hedemünden an der Werra markiert den Beginn des römischen Zugriffs auf das germanische Barbaricum kurz vor Christi Geburt, mit dem Fundort Kalkriese verbindet sich die Niederlage der römischen Militärmacht im Jahre 9 n. Chr., die sich nach den Feldzügen der Jahre 15/16 n. Chr. aus diesem Teil Germaniens weitgehend zurückzieht. In der Folge konsolidierte sich die nördliche Außengrenze des römischen Reiches am Rhein. Vor allem mit 18 VARUS-KURIER diplomatischen Mitteln wirkte Rom weiterhin auf die rechtsrheinischen Gebiete ein. Im 3. Jahrhundert veränderten sich die Verhältnisse massiv. Germanen drängten in großen Gruppen nach Süden über den ObergermanischRaetischen Limes und nach Westen über den Rhein, um von den wirtschaftlich blühenden römischen Gebieten zu profitieren. Diese Gebiete waren ihnen wohl bekannt, da sie bereits intensive wirtschaftliche und familiäre Beziehungen zu den provinzialrömischen Grenzregionen pflegten. Angehörige germanischer Stämme leisteten als Soldaten Dienst im römischen Heer oder trieben Handel mit den Bewohnern provinzialrömischer Gebiete. Germanische Plünderer erreichten auf ihren Zügen aber auch die zentralen Regionen des Reiches in Gallien und bedrohten Italien. und Raetien ein, d. h. im heutigen Hessen, Baden-Württemberg und Bayern. Im selben Jahr überschritt Kaiser Caracalla den Limes, um eine militärische Expedition gegen die Alamannen zwischen Limes und Main zu starten. 233 verheerten die Alamannen wiederum die blühenden Grenzgebiete insbesondere im Umfeld von Mainz. Kaiser Maximinus Thrax führte deshalb im Jahr 235 n. Chr. sein zum Teil aus orientalischen und nordafrikanischen Einheiten bestehendes Heer weit nach Germanien hinein, um – wie bei Herodian und in der Historia Augusta überliefert – im Zuge der „Schlacht im Moor“ einen großen Sieg zu erringen. In der historischen Forschung wurde dieses Ereignis gerne in der Nähe der römischen Außengrenzen lokalisiert, da ein Vordringen viele hundert Kilometer weit ins Barbaricum unwahrscheinlich erschien. Im letzten Drittel des 2. Jahrhunderts kam es zu den ersten großen Kriegen, die durch Wanderungsprozesse nach Süden ausgelöst worden waren. Auseinandersetzungen, insbesondere mit den Markomannen an der mittleren Donau, banden lange die Kräfte Roms und des Kaisers Marc Aurel. 213 n. Chr. fielen zum ersten Mal die Alamannen, ein neu entstandener Verband unterschiedlicher germanischer Gefolgschaften in Obergermanien Der Fundplatz wird zu neuen, weitreichenden archäologischen und historischen Überlegungen führen. Einige Schriftquellen werden neu zu bewerten sein. Zum ersten Mal sind weitreichende Militäroperationen Roms nach Germanien hinein, wie für Maximinus Thrax bezeugt, archäologisch belegt. Weitere Feldzüge nach 235 n. Chr. sind zwar historisch nicht überliefert, aber aufgrund der Befunde und Funde am Harzhorn ebenfalls denkbar. FORSCHUNG Abb. 5: Wagen-/Jochaufsatz (Bild: Christa Fuchs, NLD). INFORMATIONEN Adressen und Ansprechpartner Ein methodischer Vergleich des Gefechtsplatzes am Harz mit dem Schlachtfeld von Kalkriese lässt vermutlich weiterführende Schlüsse auf die Vorgänge vor Ort zu, so dass beide Fundplätze im Vergleich als Schlüssel für die Rekonstruktion der Ereignisse im Bereich des jeweils anderen dienen können. Die Neuentdeckung belegt ein dramatisches Ereignis im Rahmen der Beziehungen zwischen Germanen und Römern, durch das viele seit langem bekannte archäologische Phänomene wie der auffallende römische Importstrom in die Germania magna um 200 n. Chr. oder das Auftreten von römischen Waffen auf Opferplätzen dieser Zeit in neuem Licht erscheinen. Dass es der Archäologie damit gelungen ist, ein historisches Ereignis zu greifen, das in den vermeintlich verlässlichen historischen Quellen offenbar keinen oder einen falsch eingeschätzten Niederschlag gefunden hat, lässt den Neufund zu einer spannenden Entdeckung werden, die viel Stoff für die begonnenen historischen und archäologischen Diskussionen liefert. Diese komplexen Erkenntnismöglichkeiten unterstreichen die außerordentliche wissenschaftliche Bedeutung des neu entdeckten Gefechtsfeldes, das Gegenstand eines neuen Forschungsprojektes ist. Für die Kernarbeit im Gelände zeichnen die Kreisarchäologie Northeim und das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege, (Bezirksarchäologie Braunschweig und Bezirksarchäologie Hannover) verantwortlich. Die Archäologie der Römischen Provinzen der Universität Osnabrück bringt die provinzialrömische Expertise ein, das Institut für prähistorische Archäologie der Freien Universität Berlin hat die germanische Facette im Fokus und das Niedersächsische Institut für historische Küstenforschung koordiniert die naturwissenschaftlichen Untersuchungen. Das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur fördert das mit zahlreichen weiteren Institutionen vernetzte Harzhornprojekt mit Forschungsfördermitteln. So konnte die Kontinuität in der laufenden Geländearbeit sichergestellt werden. Auch 2010 werden die Geländearbeiten fortgesetzt werden können. Das wissenschaftliche Team des Harzhornprojekts bedankt sich deshalb ganz herzlich für die Unterstützung, die von verschiedener Seite erfolgt. Ohne das Land, den Landkreis, das Wohlwollen der Grundstückseigentümer, der seriösen Berichterstattung von Journalisten in den Medien und weiteren Unterstützern wäre vieles nicht möglich! Dr. Michael Geschwinde, Dr. Henning Haßmann, Dr. Petra Lönne Landkreis Northeim Kreisarchäologie Medenheimer Straße 6/8 37154 Northeim Dr. Michael Geschwinde Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege Bezirksarchäologie Braunschweig Husarenstraße 75 38102 Braunschweig PD Dr. Günther Moosbauer Universität Osnabrück Alte Geschichte: Archäologie der Römischen Provinzen Schloßstraße 8 49069 Osnabrück Dr. Henning Haßmann Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege Scharnhorststraße 1 30175 Hannover Prof. Dr. Michael Meyer Freie Universität Berlin Institut für Prähistorische Archäologie Altensteinstraße 15 14195 Berlin Internetadresse www.archaeologieportal. niedersachsen.de/harzhorn Dr. Petra Lönne, Prof. Dr. Michael Meyer, PD Dr. Günther Moosbauer VARUS-KURIER 19