Hansische
Geschichtsblätter
Herausgegeben vom
Hansischen
Geschichtsverein
Sonderdruck
aus dem 134. Jahrgang 2016
Zuiderzeestädte an der Ostsee
‚Vitten‘ und ‚Vögte‘ – Raum und städtische Vertreter
im spätmittelalterlichen Schonen
von Louis Sicking
c a l l i d u s .
Die Hansischen Geschichtsblätter sind ein refereed journal. Eingereichte Beiträge unterliegen
einem anonymisierten Begutachtungsverfahren (Double Blind Review), das über die Aufnahme in die Zeitschrift entscheidet.
Redaktion:
Prof. Dr. Rolf Hammel-Kiesow
Umschlagabbildung nach:
Hanseraum und Sächsischer Städtebund im Spätmittelalter in: Hanse, Städte, Bünde. Die sächsischen Städte zwischen Elbe und Weser, Bd. 1 hg. von Matthias Puhle, Magdeburg 1996, S. 3
Verlag /Gesamtherstellung:
callidus. Verlag wissenschaftlicher Publikationen, Wismar, www.callidusverlag.de
Printed in the EU, 2017
ISSN 0073-0327
ISBN 978-3-940677-03-7
Zuiderzeestädte an der Ostsee
‚Vitten‘ und ‚Vögte‘ – Raum und städtische Vertreter
im spätmittelalterlichen Schonen
von Louis Sick ing
Abstract: Zuiderzee towns in the Baltic. ‘Vitten’ and ‘Vögte’ – Space and urban
representatives in late-medieval Scania
The Scania peninsula in the southwest of present-day Sweden was one of the
most important trading centres of medieval Northern Europe due to the seasonal presence of immense swarms of herring which attracted large numbers
of fishermen and traders. Streching back from the beach of Scania were the
so-called vitten, which the traders, grouped by region or city, held as their
own, legally autonomous trade settlements, from the Danish King. Initially,
these were seasonal trading colonies that were occupied only for the duration
of the fair, which began in August and ended in November. In the late Middle
Ages the vitten developed into miniature towns, modest off-shoots from the
traders‘ mother city. The presence on a small peninsula (c 50 km2) of so many
fishermen and merchants who did business together and came from different
cities could easily have led to tensions and conflict.
What was the relationship between the spatial arrangement of the vitten
at Scania and the urban representatives of the vitten, the so-called vögte
or governors? This question is addressed by focusing on the vitten of the
Zuiderzee towns. Their vitten, among which were numbered those of eastern
Zuiderzee cities like Kampen and Zutphen as well as those of western cities
like Amsterdam, Brielle and Zierikzee, were part of the Hanse. However,
the vitten of these cities have been virtually neglected in historiography. The
territorial or local-topographical development of these vitten was characterized
by regional concentration: the Zuiderzee vitten were located close or adjacent
to one another. The new vitten of Zierikzee and Amsterdam bordered on that
of Kampen. Traders from cities and towns without their own vitte were housed
in a vitte of a neighboring city: those of Deventer and Zwolle, for instance, in
the vitte of Kampen, those of Enkhuizen and Wieringen in the Amsterdam
vitte and those from Schouwen island in the vitte of Zierikzee.
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Louis Sicking
The vitten of the eastern Zuiderzee towns were founded at the beginning of
the fourteenth century, that is on average half a century earlier than those of
the western Zuiderzee towns. The count of Holland and Zealand initially appointed the Zierikzee vogt or governor for all his subjects. Later on, the cities
in his counties then had their own governors, first appointed by the count,
later by the city (with or without the count‘s approval). The development of
the representation of Holland and Zeeland towns in Scania differs from what
was characteristic of the eastern Zuiderzee towns. Neither the Count / Duke
of Guelders nor the bishop of Utrecht (as overlord of the Oversticht) attempted to interfere with the individual towns‘ governors or the vitten.
The trend towards territorialisation in Scania was unmistakable. Although
foreign traders, by reason of their origins, were subject to the jurisdiction of
their mother city (the personality principle), a fact reflected in the responsibility
of the vogt for the citizens in question, they were also increasingly spatially
limited in Scania. This was a consequence of the limited space available, of
the pursuit of control over one’s own community, and of the goal of allowing
different urban groups to live together peaceably, prevent conflicts and guarantee
the conduct of international trade. In this way the vitten, in particular those
of the Zuiderzee towns that were further away from their mother cities, can
be understood as urban colonies overseas.
Einleitung
Die Halbinsel Falsterbo in Schonen im Südwesten des heutigen Schwedens,
die im Mittelalter unter dänischer Verwaltung stand, war eines der wichtigsten
Handelszentren des mittelalterlichen (Nord-)Europas. Jedes Jahr tauchten
große Heringsschwärme vor der schonischen Küste auf. Am Drehkreuz zwischen Ost und West, zwischen Ost- und Nordsee, kamen zu jeder Fangsaison
Fischer und Händler zusammen, letztere um den gefangenen Hering zu
kaufen. Auf diese Weise verwandelte sich die Halbinsel zu jeder Fangsaison
in ein belebtes Handelszentrum, das in der Region einmalig war. Weil die
Kaufleute auch Handelsgüter aus verschiedenen Städten mitbrachten, die
sie in Schonen zum Verkauf anboten, war der schonische Markt weit mehr
als ein einfacher Fischmarkt, was seine Attraktivität weiter steigerte. In
jeder Region oder Stadt standen den Händlern eigene, gesetzlich autonome
Handelssiedlungen zur Verfügung, die hinter der schonischen Küste lagen
und Vitten genannt wurden. Zu Beginn waren dies Handelskolonien, die
für die Dauer der Messe, die im August begann und im November endete,
genutzt werden konnten. Die besagten Vitten oder Handelskolonien entwickelten sich im Spätmittelalter zu Miniaturstädten, kleinen Spiegelbildern
der Heimatstädte, aus denen die Händler kamen.
Zuiderzeestädte an der Ostsee
41
Die Bedeutung der Vitten für den Heringshandel ist ausführlich von Carsten
Jahnke untersucht worden, der dabei sowohl auf hansische als auch auf dänische Quellen zurückgriff.1 Nach Jahnke hat sich die Schonenmesse aus einem
lokalen Markt entwickelt, bei dem die Versorgung mit dem Nahrungsmittel
Hering ausschlaggebend dafür war, dass internationale, hansische Kaufleute
angezogen wurden. Die Händler wussten, dass sie von ihren Städten unterstützt wurden und dass diese ihre Rechte in Schonen ausweiteten und konsolidierten. Die Vitten und ihre Vögte, die als Repräsentanten ihrer Heimatstädte
auf den Vitten fungierten, spielten in dieser Entwicklung eine wichtige Rolle.
Vor Jahnke bemühte sich der schwedische Archäologe Lars Ersgård darum,
durch archäologische Untersuchungen die Entstehung des schonischen Heringsmarkts zu rekonstruieren. Er beschäftigte sich unter anderem genauer
mit den Merkmalen und Eigenheiten der beiden Städte der Halbinsel, Skanör im Norden und Falsterbo im Süden. Ersgårds Arbeit fügte den Studien
des schonischen Heringsmarkts eine lokale, topographische Dimension hinzu. Auch schenkte er den Veränderungen Aufmerksamkeit, denen die Küste
Schonens unterlag.2
Die Anwesenheit vieler Fischer und Händler, die Handel miteinander trieben
und aus verschiedenen, manchmal weit auseinander liegenden Städten kamen, konnte – auf einer kleinen Halbinsel die heute ca. 50 km² misst3 – leicht
zu Spannungen und Konflikten führen. Aber auch Menschen aus derselben
Stadt konnten miteinander in Konflikt geraten. Händler aus der Danziger
Vitte gerieten beispielsweise 1373 miteinander in Streit, weil sie aufgrund
der Überbevölkerung der Vitte nicht genügend Platz hatten.4 Wie wurde mit
1
2
Carsten Jahnke, Das Silber des Meeres. Fang und Vertrieb von Ostseehering zwischen Norwegen und Italien (12.–16. Jahrhundert), Köln, Weimar, Wien 2000. Siehe auch: Angelika
Lampen, Fischerei und Fischhandel im Mittelalter. Wirtschafts- und sozialgeschichtliche
Untersuchungen nach urkundlichen und archäologischen Quellen des 6. bis 14. Jahrhunderts
im Gebiet des Deutschen Reiches, Husum 2000, S.149 –163. Ich danke den anonymen Gutachtern für die Begutachtung einer früheren Version dieses Aufsatzes und Stephan Strunz
für die Übersetzung. Es gilt die übliche Ausschlussklausel. Ich danke den Studierenden des
Bachelor-Seminars Funduqs, Vitten, Factorijen, Koopliedengemeenschappen en de organisatie van internationale handel tot 1600, welches ich im Wintersemester 2014 –2015 an der
Universität Leiden unterrichtet habe, für ihre Unterstützung, insbesondere Geeske Bisschop
und Jurriaan Wink.
L. Ersgård, “Vår marknad i Skåne”: bebyggelse, handel och urbanisering i Skanör och
Falsterbo under medeltiden, Stockholm 1988. T. Hill und L. Ersgǻrd, Der Schonenmarkt
– die grosse Messe im Norden, in: Die Hanse. Lebenswirklichkeit und Mythos, hg. von
J. Bracker, V. Henn und R. Postel, Lübeck 1999, S.721–732. O. Rydbeck, Den medeltida
borgen i Skanör: histork undersökningar och fynd, Stockholm 1935.
3
H.Hanson, Falsterbo peninsula (Sweden), Eurosion casestudy (http://copranet.projects.eucc-d.
de/files/000160_EUROSION_Falsterbo_peninsula.pdf, zuletzt aufgerufen am 16.Mai 2015.
4
HR I, 2, 61d, S.459 – 460.
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Louis Sicking
Abb.1: Karte der schonischen Halbinsel mit Skanör und Falsterbo.
© J. Liemburg, T. van Dodewaard, J. Wink und L. Sicking.
Zuiderzeestädte an der Ostsee
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solchen Spannungen und Konflikten umgegangen? Wie wurden Streitigkeiten zwischen Kaufleuten beigelegt oder gelöst? Welche Rolle spielten die
Heimatstädte in diesen Konflikten? Wie wurden die Heimatstädte vor Ort
repräsentiert? Bis zu welchem Ausmaß konnten Händler auf Unterstützung
ihrer Herkunftsstadt zählen? Wie war das Verhältnis zwischen der räumlichen Ordnung, der Topographie der schonischen Vitten, und den städtischen
Repräsentanten der Vitten?
Da die Beantwortung aller dieser Fragen den Rahmen dieses Aufsatzes übersteigen würde, wird der Fokus hier auf Raumplanung, städtische
Repräsentation und deren mögliche Verflechtungen gelegt. Die Organisation des
Raums war von Bedeutung, da die Halbinsel klein war, teilweise nicht bebaut
werden konnte und die Anzahl der Fischer und Händler während der Fangsaison bedeutend gewesen sein muss, auch wenn Philippe de Mézières Schätzung
von 300.000 Menschen aller Wahrscheinlichkeit nach eine Übertreibung ist.5
Sogenannte Vögte oder (auf Niederländisch) voogden agierten als städtische Repräsentanten der Vitten. Ihre Herkunft führt möglicherweise auf
den sogenannten Hansegraf zurück. Ursprünglich war dies ein königlicher
Beauftragter, der den Handel überwachen und schützen sollte und auch
rechtliche Befugnisse hatte. Mit dem Verfall königlicher Macht formierten
die Kaufleute selbst Gruppen, um Handel außerhalb des Geltungsbereichs der
eigenen Gerichtsbarkeit zu treiben. Da sie in kleinerer oder größerer Entfernung ihrer Heimatstadt operierten und dabei allen Arten von Streitigkeiten,
Vertragswidrigkeiten, Erpressungen oder Raubüberfällen ausgesetzt waren,
bildeten Kaufleute mit einem gemeinsamen Ziel sogenannte Hansen um
einander zu helfen. Um Mitglied einer Hanse zu werden, musste man einen
Mitgliedsbeitrag entrichten, der ebenfalls Hanse genannt wurde und der im
Falle Valenciennes bis ins elfte Jahrhundert zurückverfolgt werden kann. Die
Grundlage für die Abgabe zur Erlangung des Hanserechts war die kollektive
Verantwortung aller für die Schulden eines assoziierten Kaufmanns oder
Bürgers im Ausland.
Der Mitgliedsbeitrag wurde entweder von der Händlergruppe selbst oder
von der örtlichen Händlergilde eingenommen. Während die Hansen ursprünglich privatrechtliche Organisationen waren, wurden sie im Laufe des 13. Jahrhunderts von den Stadtregierungen übernommen, was für Städte wie SaintOmer, Rostock und Lübeck belegt ist. Von da an erhoben Letzere die Abgaben
5
Lampen, Fischerei (wie Anm.1), S.149. Die Anzahl der Boote, die auf der Halbinsel genutzt wurden, ist auf circa 10.000 geschätzt worden; s. Carsten Jahnke, The Medieval
Herring Fishery in the Western Baltic, in: Beyond the Catch. Fisheries of the North Atlantic, the North Sea and the Baltic, 900 –1850, hg. von L. Sicking und D. Abreu-Ferreira,
Leiden und Boston 2009, S.157–186, 176.
44
Louis Sicking
zur Hanse-Mitgliedschaft, deren Erträge jetzt in die Stadtkasse flossen.6 Der
Hansegraf oder Vogt entwickelte sich von einem von der Gruppe gewählten
Vertreter zu einem städtischen Vertreter. Diese Vögte können auch mit den
Konsuln der funduqs oder Handelsnationen oder mit Faktoreiverwaltern verglichen werden.
Der vorliegende Aufsatz wird sich auf die beiden Aspekte der Raumplanung und der Vertretung durch die Vögte der Zuiderzeestädte konzentrieren.
Deren Vitten haben bisher weniger Aufmerksamkeit erhalten als die Vitten
der anderen Hansestädte wie Lübeck oder Danzig. Wie Volker Henn, Dieter
Seifert und Job Weststrate gezeigt haben, können die Zuiderzeestädte als eine
Gruppe von Hansestädten angesehen werden, die Teil des Hanse-Netzwerks
waren. Diese Gruppe wurde in zeitgenössischen Quellen als solche angegeben
und schloss mehr Städte ein, als diejenigen die an die Zuiderzee grenzten. So
gehörte etwa auch Zierikzee in der Provinz Seeland zu den Zuiderzeestädten.7
Die Erforschung der Bedeutung der Vitten für die Organisation des
Fernhandels ist eng verbunden mit drei aktuellen Debatten in der Geschichtsforschung: der Neuen Institutionenökonomik8, der Beziehung zwischen internationalem öffentlichen und privatem Recht und Konfliktlösung9, und
der Globalgeschichte10. Wie die mittelalterlichen funduqs und fundacos im
Mittelmeer, die ausländischen Nationen und die frühneuzeitlichen Überseefaktoreien, gehören die Vitten zu den Institutionen, die Händlern im Ausland
alle möglichen Rechte und Einrichtungen boten. Abgesehen von dem physischen und rechtlichen Schutz, den sie ebenfalls boten, umfassten diese Institutionen Lagerräume, Kapellen, Gasthäuser, Bäder und/oder Bordelle. Die Betrachtung der Vitten im Vergleich mit den funduqs, fundacos und Faktoreien
6
7
8
9
10
W.P. Blockmans, Metropolen aan de Noordzee. De geschiedenis van Nederland, 1100 –1560,
Amsterdam 2010, S.113–114. Für den Vogt Rostocks in Schonen in 1287, MUB III, Nr.1926,
S.277f., und für den Lübecks in Norø, UBStL II, S.1041. Die beiden letzeren Referenzen verdanke ich Carsten Jahnke.
Volker Henn, ‚… de all tyd wedderwartigen Suederseeschen stedere …’ Zur Integration des
niederrheinisch-ostniederländische Raumes in die Hanse, in: HGbll. 112, 1994, S.39 –56;
Dieter Seifert, Kompagnons und Konkurrenten. Holland und die Hanse im späten Mittelalter, Köln 1997; Job Weststrate, ‘Abgrenzung durch Aufnahme. Zur Eingliederung der
Süderseeischen Städte in die Hanse, ca. 1360 –1450’, in: HGbll. 121, 2003, S.13 – 40. Job
Weststrate, In het kielzog van moderne markten. Handel en scheepvaart op de Rijn, Waal
en IJssel, ca. 1360 –1560, Hilversum 2008, S.34 –36.
Z. B. Stephan Selzer and U.C. Ewert, Die Neue Institutionenökonomik als Herausforderung an die Hanseforschung, in: HGbll. 123, 2005, S.7–29.
Z. B. Eine Grenze in Bewegung: Private und öffentliche Konfliktlösung im Handels- und
Seerecht, hg. Von A.Cordes und S. Dauchy, München 2013.
Z.B. Rolf Hammel-Kiesow, Europäische Union, Globalisierung und Hanse. Überlegungen
zur aktuellen Vereinnahmung eines historischen Phänomens, in: HGbll. 125, 2007, S.1– 44.
Zuiderzeestädte an der Ostsee
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könnte Ähnlichkeiten und Unterschiede zutage fördern und damit Aufschlüsse
über die Erfolge und Herausforderungen europäischer Kaufleute geben, die in
größerer oder kleinerer Entfernung von ihren Herkunftsstädten aktiv waren.
I Räume und Grenzen – Die Topographie der Vitten in Schonen
Die Vitten der Zuiderzeestädte lagen nahe der Stadt Skanör im nördlichen Teil
der Halbinsel (s. Abb.1). Die wichtigste Vitte bei Skanör war die von Rostock
(s. Abb. 2). Die Führungsrolle der Vitte Rostocks spiegelte sich in ihrer Lage
wider. Sie grenzte im Westen an die Travnegade, die Hauptstraße zum Markt
von Skanör, die auch eine Verbindung zwischen den dänischen und hansischen Händlern war. Die Vitte von Kampen, die sich nördlich der Rostocker
Vitte befand, war eine der wichtigsten Vitten der Zuiderzeestädte. Die Vitte
Kampens soll als Ausgangspunkt für die Untersuchung der Topographie
der schonischen Vitten dienen.11 Es sei darauf hingewiesen, dass die Rechte
der geldernschen Städte Zutphen, Nijmegen, Doesburg und Harderwijk auf
Schonen bis vor 1300 zurückgingen.12
Bereits 1307 hatten die Bürger Kampens die Erlaubnis des dänischen Königs Erik VI. erhalten, ein Gebiet in Skanör zu nutzen, das sich zwischen
der Burg und dem Hööl befand. Der Hööl bildet die Bucht von Fodevik13
und liegt im Nordosten der Halbinsel (s. Abb.1). Diese Zuweisung war noch
relativ vage, was darauf hinweisen könnte, dass zu der Zeit noch viel Siedlungsraum verfügbar war.
Die Vitten wurden zunehmend genauer beschrieben, wie die präzise
Aufzeichnung der Vermessungsergebnisse der Breite und Länge der Vitte von Zutphen im Jahr 1316 belegt. Der dänische König ließ über die
Felder der verschiedenen Vitten Buch führen; dabei wurden sogar die
,Buden‘ jeder Vitte verzeichnet, was von Jahnke als eine Art ‚Vittenkataster‘ bezeichnet wurde.14
Die Vitten konnten auch ausgebaut werden. 1368 genehmigte König Albrecht
von Schweden die Erweiterung der Kampener Vitte in südliche Richtung um
ein Grundstück, dat stre[c]t westwerd an die Zuytphensche Vitte, daer die
grumkerles plaghen te sitten voer desse[r] tyt. Die Aufgabe der „Grumkerles“
11
Jahnke, Silber (wie Anm.1) ,S. 81. Ersgård, Vår marknad (wie Anm. 2), S.69.
12
Diplomatarium Danicum II, 5, (1299 –1305) (Kopenhagen 1943) Nr.68 –171, S.169 –173.
13
HUB 2, Nr.115, S.48. Jahnke, Silber (wie Anm.1), S.75.
14
… unum locum qui fyt dicitur in nundinis nostris Skanør in latitudine et longitudine prout
per dominum Johannem Kanne dilectum fidelem nostrum presentibus ciuibus nostris Lundensis et Traeleburgh mesuratum est, Diplomatarium Danicum II, 7, Nr.390, S. 288. Jahnke,
Silber (wie Anm.1), S.75.
46
Louis Sicking
Abb. 2: Lage der Vitten in Skanör und Falsterbo.
Zuiderzeestädte an der Ostsee
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war es, Abfall von den Vitten und den Orten zu entsorgen, an denen der Hering
verarbeitet wurde. Diese Müllsammler Skanörs führten ihre Arbeit offenbar
woanders weiter. Der Ausbau der Vitte Kampens gelang aufgrund der guten
Dienste und Freundschaften des Kampener Vogts Willem Morren.15
Wie wurden die Vitten vermessen? An der Südseite der Kampener Vitte
lagen ein Wassergraben und ein Schutzwall, der Richtung Osten zum zuvor
erwähnten Hööl verlief. Es ist klar, dass diese bestehenden Geländemarken als
Ausgangspunkt für die Begrenzung der Vitte dienten. Zudem wurde 1307 das
Gelände, das der Kampener Vitte zugesprochen wurde, ebenfalls mit Pfählen
markiert.16 Auf dem Friedhof nahe der Kirche der Rostocker Vitte stand ein
Pfahl, der die Grenze zur Kampener Vitte, der Staverener Vitte und einem
Gebiet, das dem dänischen König gehörte, markierte.17
Die Vermessung und Markierung der Vitten geschah im Beisein von Zeugen.
Wenn eine neue Vitte vermessen wurde, waren oft Kaufleute aus anderen
Vitten anwesend. Sie überprüften, ob die Vermessung korrekt durchgeführt
wurde und ob das ausgewiesene Gebiet nicht größer war als erlaubt. So wurden
beispielsweise die Vitten von Zutphen und Harderwijk 1316 in der Anwesenheit von Händlern aus Lund und Trelleborg, den Nachbarn, vermessen.18 Das
zeigt, dass die Grenzen genau und in Absprache festgelegt wurden und mit
deren Bestimmung und Einhaltung nicht leichtfertig umgegangen wurde.
Einige Vitten, die im Laufe der Zeit Zuiderzeestädten zugesprochen wurden,
lagen auf demselben Feld wie die Vitte von Kampen. Dies traf auf die Vitte von
Zierikzee19 zu, aber auch auf die von Brielle und von Amsterdam. Die Vitte, die
1368 Zierikzee zugesprochen wurde, wurde auf demselben Boden errichtet, dar
de van Selande van oldinghes alle jar up gheleghen hebben.20 Hier ist Seeland
15
HR I, 1, Nr.465, S.417. Bronnen tot de geschiedenis van den Oostzeehandel, hg. von
H. A. Poelman, Den Haag 1917, I, Nr. 330, S.76. Jahnke, Silber (wie Anm.1), S.79, 431.
Die Erweiterung der Kampener Vitte und die Verleihung von Vitten-Privilegien an Städte
wie Zierikzee, Amsterdam und Brielle im Jahr 1368 kann man als Kompensation für die
militärische Unterstützung zur See verstehen, die diese Städte als Teil der Kölner Konföderation im Kampf gegen Waldemar IV. von Dänemark leisteten; Seifert, Kompagnons
(wie Anm. 8) 53 –57. Weststrate, In het kielzog (wie Anm.7), S. 34.
16
HUB 2, Nr.115, S.48.
17
Tha wysdae the hanum eeth kors hoos Rostoks kyrkegordh ok een paeael, af oldynges
haftae stondat ok skyldae aat Kampaere fyyd ok Stowaerskae fydd ok konyngens jordh,
hwilkaen paeael som Kampaerae fogyth lood uupgrawae i Guutmund Dyaekens thyth,
[…]; HUB 5, Nr.945, S.495.
18
… in nundinis nostris Skanor in latitudine et longitudine, prout per dominum Johannem
Kanne dilectum fidelem nostrum presentibus civibus nostris Lunden et Traeleburgh mensuratus est; HUB 2, Nr. 289, 290, S.120.
19
HUB 4, Nr. 276, S.113 –114.
20
HUB 4, Nr. 276, S.113 –114.
48
Louis Sicking
gemeint, das Archipel und die Grafschaft in den Niederlanden. Wie später
gezeigt werden wird, war die Vitte von Zierikzee vermutlich die älteste Vitte
für die Untertanen des Grafs von Holland und Seeland. Die Amsterdamer Vitte
erstreckte sich in nordwestliche Richtung und war deshalb weiter von der Hauptstraße entfernt.21 Wie die verschiedenen Vitten der Zuiderzeestädte zueinander
lagen, ist nicht ganz klar, aber die Vitten der holländischen und seeländischen
Städte waren weiter von der Hauptstraße entfernt als die Kampener Vitte.
Wie die Lage der Vitte von Elburg zeigt, die auf zwei verschiedene Felder
verteilt war, wurde mit der Zeit der Raum knapp. Die eine Hälfte der Vitte lag
vor der Burg von Skanör, dar de Vlamynghe pleghen tó liggende (wobei nicht
überliefert ist, ob die Flamen eine Vitte hatten), die andere Hälfte lag in der
Nähe der Vitte von Den Bosch. Das Feld von Elburg vor der Festung muss klein
gewesen sein, da es 1444 als die luttike vitte bezeichnet wurde.22
Während die Halbinsel immer geschäftiger und mit jeder Saison bebauter
wurde und man die Vitten genauer definierte, wurden Regeln erlassen, die
festlegten, wer bleiben durfte, wo man unterkam und wo der Zutritt oder der
Aufenthalt verboten war. Aus einer Verordnung Kampens aus dem Jahr 1365
geht zum Beispiel hervor, dass sowohl die Bürger von Kampen als auch diejenigen, die mit einem Schiff, das ein Kamper Bürger (oder mehrere) besaß(en)
und /oder führt(en) nach Skanör-Falsterbo kamen, sich in keiner anderen Vitte
außer der Kampener Vitte aufhalten durften.23 Johann III. von Bayern, Elekt
von Lüttich und Herr von Voorne, erließ ähnliche Regeln im Jahr 1406: diejenigen, die von Brielle und dem Land Voorne nach Skanör-Falsterbo kamen,
durften nur auf der Vitte Brielles leben und mussten dessen Vogt gehorchen.24
Dies deutet auf eine Tendenz zur Territorialisierung hin. Es trifft zu, dass man
aufgrund seiner Herkunft der Gerichtsbarkeit seiner Heimatstadt unterstand
(Personalitätsprinzip), was sich in der Zuständigkeit des Vogts für die Bürger
(und diejenigen die mit Schiffen aus dieser Stadt kamen) niederschlug. Zudem
wurden die Bürger in Schonen zunehmend räumlich eingeschränkt. Dies hing
zweifelsohne mit dem begrenzt verfügbaren Raum, dem Streben nach Kon21
22
23
24
… ene Vitten up unsem velde tŏ Schonøre … desse Vitten, de dar licht van dem osten in
westen und van dem suden int norden als se in erer schede begrepen is, … dar de van Campen ere Vitten, de se up demsulven velde hebben, aldervryest und allervullenkomlikest
mede besitten … Oorkondenboek van Amsterdam tot 1400, hg. von P. H. J. Van Der Laan,
Amsterdam 1975, Nr. 257, S.176.
HUB 4, Nr. 273, S.112 –113. Bronnen Oostzeehandel II (wie Anm.15), Nr.1752, S. 518.
Streekarchivariaat Noordwest-Veluwe (Elburg-Ermelo-Harderwijk-Nunspeet-Oldebroek),
Archief stadsbestuur Elburg, Nr. Inv. 254.
Item ghebede wi, dat nyman van onsen borgheren oft de in onser borger scip vaert in nemans
Vitten sitten sal anders dan op de onse, bii eene pene van 40 ponden; HUB 4, Nr.132, 157.
Bronnen Oostzeehandel I (wie Anm.15), Nr. 815, S. 204 –205.
Zuiderzeestädte an der Ostsee
49
trolle der eigenen Bevölkerung und mit der bestmöglichen Organisation zur
Konfliktvermeidung und damit einer friedlichen Koexistenz zwischen verschiedenen städtischen Gruppen zusammen.
Darauf verweist auch, dass Kaufleute aus Städten, die keine eigene Vitte
hatten, in die Regulierungen einbezogen wurden. Weder Deventer, noch anfangs (bis 1461?) Zwolle hatten eine eigene Vitte; ihren Bürgern war es jedoch
gestattet die Kampener Vitte zu nutzen. Bürger aus Enkhuizen und Wieringen
konnten die Amsterdamer Vitte nutzen.25 Die Vitte Zierikzees stand nicht
nur Bürgern der Stadt offen, auch Einwohner Schouwens, der Insel auf der
Zierikzee liegt, konnten die Vitte Zierikzees nutzen.26 Vermutlich entsprach
diese regionale Aufteilung am ehesten den bestehenden Städtepartnerschaften
und /oder den Partnerschaften zwischen Händlern und Schiffern dieser Städte
und denen des Umlands.
Eine Sichtung der verstreuten und begrenzt zur Verfügung stehenden Daten
über die Lage der Zuiderzee-Vitten zeigt, dass sie anscheinend alle nah beisammen lagen, einige sogar in unmittelbarer Nachbarschaft. Die Vitten der
Städte Hollands und Seelands, die später als die Vitten der Städte der östlichen
Zuiderzee entstanden (Tabelle 1), lagen auf dem oder nahe des Geländes der
Kampener Vitte. Neben dieser regionalen Konzentration der Vitten der Städte
Hollands und Seelands nördlich und westlich der Kampener Vitte ist auffallend,
dass auch innerhalb dieser Vitten Regionalisierung herrschte, da Händler aus
Städten ohne eigene Vitte eine Vitte aus der Nachbarstadt nutzen konnten.
II Vögte: Verwaltung der Vitten und städtische Vertretung in Schonen
Wie wurde die Verwaltung der Vitten organisiert und wie wurden die gegenseitigen Beziehungen zwischen den Vögten und den Einwohnern geregelt? Die
wichtigste Persönlichkeit innerhalb einer Vitte war der Vogt. Dieser war auf
einer Vitte der Vertreter der Stadt. Er handelte im Namen der Stadtverwaltung
und war nach innen für Leitung der Vitte seiner Stadt und nach außen für
die Repräsentation seiner Stadt im Kontakt mit anderen Vitten oder Parteien
verantwortlich. Die Aufgaben des Vogts waren vielfältig. Ihm oblag was man
heutzutage Innen-, Außen- und Wirtschaftspolitik nennen würde. Er war auch
für die Verwaltung der Justiz zuständig, insbesondere für Angelegenheiten
25
26
Jahnke, Silber (wie Anm.1), S. 80, 88; Oorkondenboek van Amsterdam (wie Anm. 21),
Nr. 257 und 258, S.175 –180.
Wie aus der Ernennung eines neuen Vogts für die Vitte Zierikzees durch Wilhelm VI.,
Grafen von Holland, im Jahr 1414 ersichtlich wird: allen onsen poirteren, meesteres, cooplude en scipmans van Zerixe ende voirt alle die gene, die in onse lande van Scouwen
geseten zijn ende in der voirseiden Vitte behoren of die daarin wesen willen …; HUB 5,
Nr.1138 , S. 591.
50
Louis Sicking
zwischen Einwohnern seiner Vitte.27 Jahnke hat darauf verwiesen, dass der
Posten des Vogts einigen Bürgern der Hansestädte als Karrieresprungbrett
diente. Die Vitte diente sozusagen als Übungsplatz um Verwaltungserfahrung zu sammeln, obwohl es manchmal auch vorkam, dass man zuerst eine
Verwaltungsfunktion in der Stadt innehatte und dann zum Vogt einer Vitte
ernannt wurde.28 Die Rolle des Vogts weist starke Ähnlichkeit mit den Konsuln der funduqs und fondacos im mittelalterlichen Mittelmeerraum auf, die
dort ihre Heimatstädte oder Stadtstaaten vertraten.29
Der Vogt scheint also vor allem ein städtischer Beamter gewesen zu sein.
Jahnke ist davon ausgegangen, dass die Stadtverwaltungen die Vögte ernannten. Ein näherer Blick auf die Zuiderzeestädte zeigt jedoch, dass der Graf
von Holland und Seeland auf den Vitten der von ihm beherrschten Städte
manchmal in die Ernennung der Vögte eingriff. Seine Interventionen waren
von Stadt zu Stadt unterschiedlich. So wurden die Vögte der seeländischen
Stadt Zierikzee mindestens seit 1359 vom Grafen ernannt. Zumindest für
die durch Daten bezeugten Jahre 1394, 1406 und 1408 ernannte der Graf von
Holland auch den Vogt für die Vitte Brielles und (des Landes) Voorne.30 Für
die friesische Stadt Staveren ist nur eine Ernennung eines Vogts durch den
Grafen aus dem Jahr 1397 bekannt.31 Für die Amsterdamer Vitte sind zwar
die Namen einiger Vögte bekannt, aber es ist nicht klar, von wem sie ernannt
wurden. Die Tatsache, dass der Graf Amsterdam 1392 die Freiheit zugestand,
den Vogt selbst zu ernennen, könnte auf sein vorheriges Eingreifen hindeuten.32
Wie kann man sich die Ernennung der Vögte durch den Grafen von Holland
und Seeland vorstellen? Die besten Informationen liegen über die Ernennung
der Vögte der Vitte von Zierikzee vor. Am 30. Januar 1359 verlieh Albrecht von
Bayern, der als ruwaard oder Regent des Grafen Wilhelm V. handelte, die Vogtei
der Vitte von Zierikzee an Jan de Hond Janszoon. Ihm wurde auferlegt, seine
Pflichten in genau dem Maße zu erfüllen, wie es seine Vorgänger, die Vögte
Aernd Willem Ockensoen und Hughen Pieter Yensoen, bereits getan hatten.33
27
28
29
Jahnke, Silber (wie Anm.1), S. 207–212. Siehe auch Dietrich Schäfer, Das Buch des Lübeckischen Vogts auf Schonen, Lübeck 1887.
Jahnke, Silber (wie Anm.1), S. 211.
Olivia Remie Constable, Housing the Stranger in the Mediterranean World. Lodging, Trade
and Travel in Late Antiquity and the Middle Ages, Cambridge 2003; Nikolas Jaspert und Sebastian Kolditz, Christlich-muslimische Außenbeziehungen im Mittelmeerraum. Zur räumlichen und religiösen Dimension mittelalterlicher Diplomatie, in: ZHF 41, 1, 2014, S.1– 88.
30
Nach der Liste der Vögte, die Jahnke, Silber (wie Anm.1), S.400 – 414, vorlegte.
31
HUB 4, Nr.978; HUB 5, Nr. 269, S.142.
32
HUB 5, Nr.4, S.4.
33
HUB 3, Nr.435, S. 203.
Zuiderzeestädte an der Ostsee
51
Die Ernennung Pieter Dyrexoens am 14. Juni 1406 gibt etwas mehr Aufschluss
über die Instruktionen des Grafen. Der neue Vogt sollte wie een voecht schuldich
is te doen handeln. Er wurde zu alle recht ende saken ermächtigt. Ihm wurde
außerdem aufgetragen over alle die ghene zu wachen, die auf der Vitte sein
sollten und die, die dairin wesen willen, was darauf hindeutet, dass der Vogt,
außer für die Bürger Zierikzees, auch eine gewisse Zuständigkeit für andere
Menschen auf der Vitte hatte.34
Die Einflussnahme des Grafen auf die Vitte Zierikzees nahm im Falle Claes
van Ruvens eine persönliche Dimension an. Dieser Vogt war zugleich auch der
Kämmerer des Grafen und er hatte noch verschiedene andere Funktionen im
Dienst des Grafen. Anscheinend waren die Funktionen schwer vereinbar, denn
im Juni 1414 ernannte der Graf mit Huge Thyemanssoens einen vorübergehenden
Stellvertreter für die Vogtei der Vitte Zierikzees.35 Dies geschah in Übereinkunft
mit Claes van Ruven. Es war jedoch keine sonderlich gute Idee, denn weniger
als ein Jahr später, im März 1415, war die Vogtei Zierikzees in Skanör (aufgrund
von Misswirtschaft) beinahe zugrunde gegangen: bi quaden regimente alte zeer
verdwaelt ende bina te nyete. Die Quellen führen keine Gründe für den raschen
Niedergang der Vitten-Verwaltung an, aber Graf Wilhelm VI. traf eine beherzte
Entscheidung. Er ersuchte die Stadt Zierikzee darum, einen neuen, passenden
Vogt zu ernennen. Die Stadt konnte jeden auswählen, der geeignet erschien
und musste keine Rücksprache mit dem Grafen halten. Allerdings musste Claes
van Ruvens Anrecht auf das Amt gewahrt werden, also lange, als hi leven sal.36
Kurzum, Claes konnte seinen Posten zwar weiterhin beanspruchen, aber es war
eindeutig eine neue Richtung vorgegeben.
Zierikzee nahm in der Verwaltung und Vertretung der Untertanen des Grafen
von Holland und Seeland (zu Land und zu See) in Schonen eine Vorreiterrolle ein. Dies wird bereits aus der Bestätigung der Ernennung des Vogts von
Zierikzee, eines gewissen Hughe Pieterszoons, durch Graf Wilhelm V. am
6. Juli 1355 ersichtlich. Der Graf ordnete an, dass der Vogt auch die Zuständigkeit für die voechdie van allen onsen poerteren ende allen onse luden van
Holland, van Zeeland ende van Vriesland in Skanör-Falsterbo übernehmen
sollte. Ihm wurde auch befohlen sie (d.h.: luden van Holland, Zeeland)] so gut
als möglich te rechte houde ende te beware ende bescherme van onrechte.37
Mit anderen Worten: der Vogt von Zierikzee, der eigentlich von der Stadt ernannt wurde, erhielt dadurch die rechtliche und administrative Zuständigkeit
für alle Untertanen des Grafen in Skanör-Falsterbo. Diese Bestätigung durch
34
HUB 5, Nr.724, S. 374; Bronnen Oostzeehandel I (wie Anm.15), Nr. 813, S. 204.
35
HUB 5, Nr.1138, S. 591; Bronnen Oostzeehandel I (wie Anm.15), Nr.907, S. 228.
36
HUB 6, Nr.14, S. 8.
37
HUB 3, Nr. 332, S.145; Bronnen Oostzeehandel I (wie Anm.15), Nr. 224, S.48.
52
Louis Sicking
den Grafen im Jahr 1355 könnte der Beginn des gräflichen Eingreifens in die
Ernennung der Vögte Skanörs sein. In jedem Fall ist das Dokument das erste
schriftliche Zeugnis eines solchen Eingreifens.
Die Ernennung eines Vogts war nicht notwendigerweise an eine Vitte
geknüpft. Mehr als einmal werden in den Quellen Vögte ohne Bezug zu
einer Vitte erwähnt. Obwohl beispielsweise die Stadt Dordrecht keine eigene
Vitte besaß, ernannte sie zur Vertretung ihrer Bürger in Skanör-Falsterbo
den Kapitän Willem Elwouterszoon, der 1368 und 1378 erwähnt wird, zum
Vogt.38 Eine solche Ernennung ging manchmal der (offiziellen) Bestätigung
der Vitte durch den lokalen Herrscher, den König von Dänemark, voraus.
Wie gerade gezeigt wurde, hatte Zierikzee bereits 1355 einen eigenen Vogt,
der in Skanör-Falsterbo tätig war, während hingegen die früheste Erwähnung
der Vitte Zierikzees auf das Jahr 1368 zurückgeht.39 Der Begriff Vitte wurde
in dem Dokument von 1355 nicht angeführt. Die Stellung Huge Pieterzoons
wird als Vogt in Schonen opten lande ende in den watere angegeben.40 Angesichts der bereits angeführten Zuständigkeit des vom Grafen ernannten
Vogts von Zierikzee für alle Untertanen des Grafen, scheinen die anderen
Städte Seelands und Hollands zu dem Zeitpunkt noch keine eigenen Vögte
gehabt zu haben.
Wie außergewöhnlich ist das Eingreifen des Grafen von Holland und Seeland
in die Ernennung der Vögte in Schonen? Ein Vergleich mit anderen Städten
außer denen Hollands und Seelands bzw. der Zuiderzee kann möglicherweise
für mehr Klarheit sorgen. Die Grafen bzw. Herzöge von Geldern (Geldern
wurde erst 1339 Herzogtum), die Herzöge von Brabant und die Bischöfe von
Utrecht als säkulare Herrscher des Stifts und des Oberstifts, scheinen sich
nicht mit der Ernennung von Vögten befasst zu haben. Nur Herzog Wenzel
und Herzogin Johanna von Brabant stellten 1362 ein Dokument aus, in dem sie
Den Bosch das Recht zusprachen, den Vogt in Schonen zu ernennen. Dieser
war bevollmächtigt über die Bewohner Den Boschs in Skanör-Falsterbo zu
richten. Der Herzog und die Herzogin verlangten allerdings einen Teil der
38
39
40
Kapitän Willem Elwouterszoon wird in einem Brief vom 5. August 1371 der Stadt Dordrecht
an Lübeck als für die Erhebung des Pfundgelds verantwortlich genannt. W. Mantels, Der
im Jahre 1372 zu Köln beschlossenen zweite hanseatische Pfundzoll, Lübeck 1862, S.7, 24.
J. van Herwaarden et al, De geschiedenis van Dordrecht tot 1572, Hilversum 1996, S. 202;
HUB 4, Nr.394, S.166. Die Stadtverwaltung von Dordrecht verweist auf Elwouterszoon als
noster advocatus Wilhelmus filius Eliwoldi; HR I, 3, Nr.309, S. 293. Advocatus entspricht im
Kontext Schonens einem Vogt; Jahnke, Silber (wie Anm.1), S.400 und 407.
Bronnen Oostzeehandel I (wie Anm.15), Nr. 224, S.48; HUB 3, Nr. 332, S.145; Jahnke,
Silber (wie Anm.1), S.401, 413.
HUB 3, Nr. 332, S.145.
Zuiderzeestädte an der Ostsee
53
Summe, die durch Bußgelder eingenommen wurde, für sich.41 Im folgenden
Jahr, 1363, erkannte der dänische König die Privilegien Den Boschs in Skanör-Falsterbo an.42 1366 gewährten der Herzog und die Herzogin von Brabant
Den Bosch das Recht, vom dänischen König einen permanenten Stützpunkt,
d.h. eine Vitte, zu kaufen und dort jedes Jahr einen Vertreter zu ernennen.43
Das deutet darauf hin, dass sich der Vogt vom Vertreter einer Gruppe von
Menschen (Personalitätsprinzip) zum Vertreter einer Gruppe von Menschen
in einem bestimmten Gebiet, d. h. einer Vitte (Territorialitätsprinzip), entwickelte. In die gleiche Richtung weist auch die bereits erwähnte Referenz
auf die Zuständigkeit des Vogts von Zierikzee für diejenigen, die zur Vitte
gehörten (d. h. Bürger Zierikzees), sowie diejenigen, die sich auf der Vitte
Zierikzees aufhalten wollten, aber noch nicht zu ihr gehörten (d.h. Leuten
die nicht aus Zierikzee stammten), aus dem Jahr 1406.
Tabelle 1 listet die Zuiderzeestädte mit einer Vitte in Schonen (und/
oder Dragør) in chronologischer Reihenfolge der ersten Erwähnung der
jeweiligen Vitte in den Quellen auf.44 Die Städte Gelderlands – Doesburg,
Harderwijk, Nimwegen, Zutphen und die Stiftsstadt von Kampen – besaßen
im Durchschnitt ein halbes Jahrhundert früher Vitten in Skanör-Falsterbo
als die Städte Hollands und Seelands und als das brabantische Den Bosch.
Fürstliche Eingriffe in die Ernennung der Vögte sind für die ältesten Vitten
der Zuiderzeestädte nicht verzeichnet; aus chronologischer Sicht stellt dabei
die hansische Stadt Staveren die erste Ausnahme dar. Hier griff der Fürst, in
diesem Fall der Graf von Holland, tatsächlich in die Ernennung des Vogts der
Vitte ein.45 Außerdem fand die einzige bekannte Ernennung eines Vogts für
die Staverener Vitte im Jahr 1397 statt, während das Recht zur Errichtung
einer Vitte bereits 1326 erworben wurde.46 Die Vögte der ältesten Vitten
der Zuiderzeestädte wurden in der Tat ohne Einflussnahme ihres Herrschers
ernannt. Erst ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts griff der Fürst in
die Ernennung der Vögte ein. Das Beispiel Den Boschs passt nicht nur in
diese Entwicklung, sondern zeigt auch, dass die Einflussnahme des Grafen
von Holland auf die Ernennung der Vögte keine einzigartige Ausnahme war.
41
42
Bronnen Oostzeehandel I (wie Anm.15), Nr. 250, S.54; J. Hoekx und V. Paquay, Inventaris van
het archief van de stad ’s-Hertogenbosch 1262–1810, Den Bosch 2004, S.746, Nr.5699; Diplomatarium Danicum III, 6, Nr.191, S.171–172; HUB 4, Nr.53, S. 28; HUB 4, Nr.978, S.427.
Hoekx und Paquay, Inventaris (wie Anm.41), S.747, Nr. 5700.
43
Hoekx und Paquay, Inventaris, S.748, Nr. 5701.
44
Jahnke, Silber (wie Anm.1), S.400 – 414; HR, HUB, Bronnen Oostzeehandel (wie Anm.15).
45
HUB 4, Nr.978, S.427; HUB 5, Nr. 269, S.142 –143.
46
HUB 2, Nr.451, S.192.
54
Louis Sicking
Erste Erwähnung der Vitten der jeweiligen Zuiderzeestadt
in Schonen (und Dragør),1302-1461
Zuiderzeestadt
Jahr
Fürst
Doesburg
1302
Graf von Geldern
Harderwijk
1302
Graf von Geldern
Nijmegen
1302
Graf von Geldern
Zutphen
1302
1346 Dragør
Graf von Geldern
Kampen
1307
1342 Dragør
Bischof von Utrecht
Staveren
1326
Graf von Holland und Zeeland
Amsterdam
1360
Graf von Holland und Zeeland
Den Bosch
1363
Herzog von Brabant
Zierikzee
1368
Graf von Holland und Zeeland
Brielle
1368
Herr von Voorne;
Graf von Holland und Zeeland
Elburg
1368
Herzog von Geldern
Dordrecht
1371?
Graf von Holland und Zeeland
Deventer
1396 Dragør
Bischof von Utrecht
Maastricht
1437
Herzog von Burgund /
Fürstbischof von Lüttich
Zwolle
1461
Herzog von Geldern
Quellen: Jahnke, Silber, S.400 – 401; J.Hoekx und V.Paquay, Inventaris,
S.746 –748, Nr. 5699 –5701.
Tab.1: Ersterwähnung der Vitten der Zuiderzeestädte.
Zuiderzeestädte an der Ostsee
55
Zwischen den Zuiderzeestädten scheint dennoch weniger eine zeitliche Differenz als eine regionale Unterscheidung existiert zu haben. Diese Annahme
wird durch eine Verfügung der Stadt Deventer vom 24. März 1396 belegt. Sie
besagt, dass alle Bürger Deventers die nach Kopenhagen oder Dragør, das
auf der nahegelegenen Insel Amager lag, segelten, von einem „olderman“
begleitet werden mussten, den sie selbst auswählen und ernennen durften.
Funktion, Auswahl und Ernennung des „oldermans“ stimmen im Wesentlichen mit denen des zuvor erwähnten „Hansegrafen“ überein. Die Befugnisse
dieses „oldermans“ waren praktisch deckungsgleich mit denen eines (Vitten-)
Vogts: er sollte über Angelegenheiten zwischen Bürgern Deventers und über
solche, die seinem Urteil vorgelegt wurden, entscheiden.47 Obwohl dies keinen Vogt in Schonen einschloss, stimmt diese Sachlage mit der bestehenden
Praxis der Hansestädte der östlichen Zuiderzee überein, die ihre Vögte ohne
Einflussnahme des Fürsten ernannten.
Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts schlossen sich die Zuiderzeestädte unter
der Herrschaft des Grafen von Holland und Seeland der bestehenden Praxis
der Städte östlich der Zuiderzee an. Fortan durften sie ihre eigenen Vögte
ernennen: Amsterdam im Jahr 1392, Staveren im Jahr 1401 und Zierikzee,
wie bereits erwähnt, im Jahr 1415.48 Am 6. April 1392 gewährte Albrecht von
Bayern der Stadt Amsterdam das Recht tot ewighen daghen jaerlix den Vogt
opten lande te Schonen für die Vitte und das Land, das sie bereits hatte (dat
si nu hebben) oder in Zukunft vom König von Dänemark erhalten würde
(vercrigen moghen van den coninck), zu ernennen. Der Vogt von Amsterdam
war verantwortlich für alle saken ende recht van onser stede.49 Wie bereits
erwähnt, hatte Amsterdam bis zu diesem Zeitpunkt anscheinend kein Recht
gehabt Vögte zu ernennen, obwohl dies aufgrund des Fehlens von genaueren
Daten nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann.
Staveren folgte am 6. Dezember 1401 nach, als der Graf der Stadt befahl, vier
gute Männer (goede knapen) zu ernennen, um onser sted goide in Schonen im
Namen des Grafen und der Stadt zu bewachen. H.A.Poelman, der die Publikation
der Quellen mit Bezug auf den Ostseehandel besorgt hat, spricht davon, dass
Staveren die Macht erlangte, seine eigene Verwaltung in Skanör-Falsterbo zu
errichten.50 Die Vogtei war Teil der Besitztümer und Rechte, die die vier ‘guten
Männer’ verwalten sollten. Sie waren dem Grafen Rechenschaft schuldig und
47
48
HUB 5, Nr. 226, S.119 –121; Bronnen Oostzeehandel I (wie Anm.15), Nr.611, S.154.
HUB 6, Nr.14, S. 8; Bronnen Oostzeehandel I (wie Anm.15), Nr.913, S. 229; HUB 5, Nr 4,
S.4. Groot placaat- en charterboek van Vriesland I, Leeuwarden 1768, hg. von G. F.Thoe
Schwartzenberg En Hohenlandsberg, S. 329.
49
HUB 5, Nr.4, S.4.
50
Bronnen Oostzeehandel I (wie Anm.13), Nr.733, S.185.
56
Louis Sicking
mussten zu diesem Zweck die Verwaltung leiten (goide rekeninge ende bewisinge doen). Dabei ging es insbesondere um Einkünfte aus allerlei Rechten.51 Um
deren Erhalt möglichst effizient zu gewährleisten, konnten diese vier Männer
Unterstützung von onser Capiteynen ende bi onser gerechte erhalten.52 Diese Kapitäne waren für die Verteidigung Staverens verantwortlich. Die Stadtverwaltung
musste diesen vom Grafen ernannten Offizieren Folge leisten.53 Die Vorschriften
für die Staverener Vitte sind weitaus umfassender als für die Vitte Amsterdams.
Höchstwahrscheinlich war die Staverener Vitte nicht nur älter, sondern auch größer
und weiter entwickelt als die Amsterdams. Das Engagement des Grafen auf der
Staverener Vitte kann nicht losgelöst von den Problemen betrachtet werden, die
die nachfolgenden Grafen von Holland bei den erfolglosen Versuchen hatten,
ihre Macht auf Friesland auszuweiten. Im Gegenteil zum restlichen Friesland
erkannte Staveren aufgrund seiner wirtschaftlichen Interessen seit 1292 wiederholt
die Autorität des Grafen von Holland an. Staveren, das der Graf von 1398 bis
1411 ununterbrochen kontrollierte, fungierte als ein Brückenkopf des Grafen in
Friesland. Obwohl die Mehrheit der Bürger Staverens dem Grafen wohlgesonnen
war, war permanente militärische Präsenz nötig, da die Stadt beinahe ständig von
feindlichen Friesen aus dem Umland bedroht wurde.54 Der Graf war bestrebt,
die Stadt unter seiner Kontrolle zu halten und muss außerdem Interesse daran
gehabt haben, den Ausbau ihres Außenhandels zu fördern.
In diesem Zusammenhang ist es interessant hervorzuheben, dass der Vogt
Steven Janszoen, den der Graf 1397 für die Staverener Vitte ernannte, zuvor,
im Jahr 1389, Vogt von Brielle war.55 Durch die Ernennung einer Person,
die nicht aus Staveren kam und Erfahrung als Verwalter aufweisen konnte,
wollte der Graf seine Kontrolle über die Vitte Staverens festigen. Bei seiner
Ernennung erhielt Steven Janszoon die Verfügungsgewalt über alle Einnahmen, die mit seiner Stellung verbunden waren als dairtoe behoirt ende andere
51
Die Verwaltung der Verbrauchszölle, das Wiegen und Abmessen von Gütern, boedambocht
(verbunden mit der Verwaltung); het stocgelt (dies war entweder Geld, das von einem Gefangenen an einen stockmeester gezahlt wurde, oder eine Steuer, die auf den Bau von Gebäuden
erhoben wurde), dat schryfambocht (Angestellter), die scole, die dobbelscole (Spielhalle?),
ende die baken verhueren (die Beleuchtung der Vitten-Grenze mit Fackeln); Urkunde von
1402, Mai 10: Diplomatarium Danicum, Nr 14020510002 (besucht 1 Dezember 2016); Groot
placaat- en charterboek van Vriesland I (wie Anm.47), S.329 und 332.
52
Groot placaat- en charterboek van Vriesland I (wie Anm.48), S. 329, 332.
53
A. Janse, Grenzen aan de macht. De Friese oorlog van de graven van Holland omstreeks
1400, Den Haag 1993, S. 286 –287.
54
J. A.Mol, Graaf Willem IV, de Hollands-Friese oorlog van 1344/1345 en de Friese kloosters,
in: Negen eeuwen Friesland-Holland. Geschiedenis van een haat-liefdeverhouding, hg. Von
Ph.H. Breuker und A. Janse, Zutphen 1997, S.94 –108, 95; Janse, Grenzen (wie Anm.53),
S.45 – 46, 60, 283 –284.
55
HUB 4, Nr.978, S.427; HUB 5, Nr. 269, S.142 –143.
Zuiderzeestädte an der Ostsee
57
voechden in anderen vitten hebben. Der Graf von Holland versuchte damit, die
Administration der Staverener Vitte an die der anderen Vitten anzupassen.56
Dies traf auch auf die Rechte zu, die der dänische (oder schwedische) König
verlieh. Die Rechte, die beispielsweise König Albert von Schweden 1368 an
die Amsterdamer Vitte verlieh, waren ausdrücklich von denen der Kampener
Vitte abgeleitet.57 Tatsächlich waren sie ähnlich. Dies trug zu Einheitlichkeit
und zum Zusammenhalt bei, was einige Vorteile bot: es stärkte Normen,
erleichterte Geschäfte unter Händlern und trug zur Konfliktlösung bei.58
Wie sich zeigen ließ, war die Ernennung zum Vogt in Schonen für Händler
und Seefahrer, die aus vom Grafen von Holland verwalteten Städten kamen,
keine ausschließlich städtische Angelegenheit. Für die Städte der östlichen Zuiderzee mit Ausnahme Staverens scheint dies hingegen nicht der Fall gewesen
zu sein. Die Einmischung des Grafen war nicht einzigartig; auch der Herzog
von Brabant griff beispielsweise in die Ernennung des Vogts der Vitte von Den
Bosch ein. Es ist interessant festzustellen, dass der Graf von Holland die Zuständigkeit zur Ernennung der Vögte in zweiter Instanz an die Städte übertrug.
Er orientierte sich hier an der gängigen Praxis der Hansestädte der östlichen
Zuiderzee und anderenorts. Damit passte sich der Graf an die bereits in Schonen vorherrschenden Gepflogenheiten an und trug damit zur Vereinheitlichung
von Verwaltung und Gesetzgebung in Schonen bei. Dies hatte er bereits zuvor
dadurch getan, dass er die Befugnisse der von ihm ernannten Vögte an das
anglich, was in den bestehenden Vitten der Hansestädte üblich war.
Schluss
Zusammenfassend können wir die Entwicklung der Zuiderzee-Vitten und ihrer
Vögte folgendermaßen rekonstruieren. Die territoriale oder topographische
Entwicklung der Zuiderzee-Vitten ist, wie bereits erwähnt, durch regionale Konzentration gekennzeichnet: die Vitten lagen nah beisammen, teilweise grenzten
sie aneinander. Die neuen Vitten von Zierikzee und Amsterdam grenzten an
die Kampener Vitte. Händler aus Städten und Ortschaften ohne eigene Vitte
wurden auf der Vitte einer Nachbarstadt untergebracht: diejenigen aus Deventer
und Zwolle auf der Kampener Vitte, die aus Enkhuizen und Wieringen auf der
Amsterdamer Vitte und die aus Schouwen auf der Vitte Zierikzees.
56
HUB 5, Nr. 269, S.143.
57
Oorkondenboek Amsterdam (wie Anm. 21), Nr. 257, S.176.
58
Vergleiche die Hinweise verschiedener italienischer Stadtstaaten auf gegenseitige Verträge mit dem byzantinischen Kaiser und mit mehreren nordafrikanischen Herrschern. Die
Verträge sind durch mehr oder weniger feste Form und festen Inhalt gekennzeichnet; Louis
Sicking, De piraat en de admiraal, Leiden und Boston 2014, S.17 mit weiteren Referenzen.
58
Louis Sicking
Die Erwähnung eines Gebiets für Seeländer, auf die ich in den Quellen nur
einmal stieß und die sich auf eine frühere Situation bezog, könnte darauf hindeuten,
dass dieses Gebiet – das Wort ‚Vitte‘ wird nicht angeführt – ursprünglich allen
Seeländern und möglicherweise auch allen Holländern offenstand. Aufgrund
fehlender Informationen können diesbezüglich jedoch keine sicheren Aussagen
gemacht werden.59 In jedem Fall wurde der begrenzte Raum in Skanör-Falsterbo
zunehmend unterteilt. Die Grenzen der Vitten wurden genau ausgemessen und
festgelegt. Das Interesse an Vitten-Grenzen geht aus der relativ hohen Anzahl
an Streitigkeiten über Grundstücksgrenzen in Schonen hervor.60
Die Tendenz zur Territorialisierung ist jedenfalls unbestreitbar. Die Bürger
einer Stadt unterstanden der Gerichtsbarkeit dieser Stadt (d.h. der Heimatstadt) qua Personalitätsprinzip, was sich in der Zuständigkeit des Vogts in
Schonen für diese Bürger (und diejenigen, die mit einem Schiff aus der
fraglichen Stadt kamen) widerspiegelte. Zusätzlich wurden die Bürger auch
zusehends räumlich eingeschränkt. Dies hing zweifelsohne mit dem begrenzt
verfügbaren Raum, der angestrebten Kontrolle über die eigene Bevölkerung
und, im weitersten Sinne, mit der Organisation einer friedlichen Koexistenz
zwischen verschiedenen städtischen Gruppen zur Konfliktvermeidung und
größtmöglichen Handelsförderung zusammen. Einige Vitten lagen näher zu
ihren Heimatstädten, andere in größerer Distanz – insbesondere die Vitten
der Zuiderzee, die weiter von Schonen entfernt waren als viele Hansestädte,
vor allem Lübeck, Wismar und Rostock. Die Vitten können somit zusammenfassend als saisonale städtische Überseekolonien betrachtet werden,
die in mehrerlei Hinsicht den funduqs und fondacos des Mittelmeers und
den frühneuzeitlichen Handelsposten an den Küsten von Afrika, Asien und
Amerika ähnelten.
Anfangs setzte der Graf von Holland und Seeland den Vogt von Zierikzee für
alle seine Untertanen in Schonen ein. Später erhielten die Zuiderzeestädte der
Grafschaft ihre eigenen Vögte, die zunächst vom Grafen und danach von den
Heimatstädten mit oder ohne gräfliche Zustimmung ernannt wurden. Parallel
dazu, wenn auch nicht in völliger Übereinstimmung mit der Ernennung der
Vögte, bekamen zahlreiche Städte vom dänischen König ihre eigene Vitte. In
dieser Hinsicht unterscheidet sich die Entwicklung der Vertretung der Städte Hollands und Seelands von der gängigen Praxis der Städte der östlichen
Zuiderzee. In diesen scheint fürstliche Einflussnahme auf die Ernennung der
59
60
Die Erwähnung eines Orts auf der schonischen Halbinsel, in dem für gewöhnlich die Flamen lebten, deutet auf ein Gebiet für alle Flamen hin; HUB 4, Nr. 273, S.112 –113.
Von 52 Konflikten auf und um Vitten in Schonen handelten zwischen 1350 und 1550 ganze
20 (38%) von Grenzstreitigkeiten zwischen Vitten. Die Untersuchung dieser Streitigkeiten
wird erfolgen.
Zuiderzeestädte an der Ostsee
59
Vittenvögte keine Rolle gespielt zu haben. Das Beispiel Staverens steht für eine
spezielle Kombination von Praktiken der westlichen und östlichen Zuiderzee,
die mit Staverens Rolle als Brückenkopf oder „Grenzstadt“ in Friesland zusammenhängt. Denn dort war der Einfluss des Grafen von Holland begrenzt
und nicht beständig. Staveren gehörte zu den Zuiderzeestädten, die relativ
früh – im Jahr 1326 – eine Vitte erhielten. Dies hatte die Stadt mit den anderen
ostniederländischen Hansestädten gemein. Die Einflussnahme des Grafen auf
die Ernennung des Vogts von Staveren ist im Kontext der Kontrolle zu sehen,
die der Graf zu jener Zeit über Staveren auszuüben versuchte.
Das Verhalten des Grafen von Holland deutet darauf hin, dass er bereit war,
sich der in Schonen bereits üblichen Praxis anzupassen. Zunächst erhielten
die von ihm ernannten Vögte dieselben Rechte wie ihre Amtskollegen aus den
übrigen Hansestädten. Weiterhin überließ der Graf die Ernennung der Vögte
bald den Stadtverwaltungen. Wurde dem Grafen klar, dass die Interessen von
Händlern und Schiffern besser bei einem städtischen Repräsentanten aufgehoben waren? Oder wurde der Graf von den Umständen dazu gezwungen
seine politische Strategie zu ändern? Es bedarf weiterer Forschung um diese
Fragen zu beantworten. In jedem Fall wird deutlich, dass der Graf zunächst
extraterritoriale Ambitionen hegte und deswegen die Verantwortung für die
Sicherheit und Unversehrtheit seiner handelnden und seefahrenden Untertanen
im Ausland übernahm bzw. sich für diese zuständig fühlte. Dementsprechend
ergriff er Maßnahmen, die weit von seinem Land entfernt umgesetzt wurden.
Letztendlich gestattete er seinen Städten, die gängige Praxis der Kaufleute
und Städte der Hanse in Schonen zu übernehmen.
Aus dem Englischen übersetzt von Stephan Strunz