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Wirtschaft

Erzählen

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Zudem dienen ökonomische Erzählungen dazu, Wissen didaktisch aufzubereiten und in der Wirklichkeit zu verankern – etwa in Jahresberichten von Unternehmen, in wirtschaftswissenschaftlichen Lehrbüchern, Wirtschaftsprognosen oder in der ökonomischen Ratgeberliteratur. Dabei verfährt ökonomisches Erzählen häufig intermedial und bedient sich spezifischer diagrammatischer Darstellungsformen zur Visualisierung von Wissen. Obwohl ihre Formen und Funktionen ähnlich heterogen sind wie wirtschaftswissenschaftliche Ansätze (z. B. Marxismus, Neoklassik, Institutionenökonomie, Verhaltensökonomik), scheint ökonomischen Erzählungen eine normative, teleologische Dimension gemeinsam zu sein, die in ihrem Charakter als Wirklichkeitszurichtungsaufforderungen besteht; und sie verstehen sich auch dann als Geschichten vom ökonomisch richtigen rationalen Verhalten, wenn sie die Rationalität des Homo oeconomicus im Sinne einer bounded rationality einschränken, denn solche (emotionalen, sozialen) Begrenzungen werden selbst wieder ökonomisch modelliert. Überblick über das Phänomenfeld Erzählungen strukturieren und organisieren den ökonomischen Diskurs, sie setzen ihn zu anderen Diskursen und zu Wirklichkeitsfeldern in Bezug, indem sie kommunikative, epistemologische und ontologische Grenzen erzählerisch überformen. Sie können der Herstellung von Kompatibilität mit anderen Ansätzen und insbesondere der Verankerung von Prozess- und Entwicklungstheorien in der Realität dienen, da sie einen semantischen Überschuss produzieren, der die Möglichkeit eröffnet, Theorien mit einer Vielzahl von Referenzpunkten auszustatten und sie so zwar nicht zu verifizieren, aber doch zu plausibilisieren. Diese Funktion von Erzählungen ist zentral für den öko- 204 III Soziale Felder des Erzählens nomischen Diskurs, denn Polysemie und narrative Uneindeutigkeit sorgen für die Vagheit, die Bedingung der Möglichkeit der Anwendung des modernen, auf Eindeutigkeit angelegten, mathematisch formalisierten ökonomischen Kalküls auf die Wirklichkeit ist (Morgan 2001, 2012). Damit sind Erzählungen in einem generellen Sinne konstitutiv für ökonomische Modelle, ergänzen deren Abstraktionspraktiken komplementär, indem sie Handlungsgrammatiken erzählerisch verflüssigen. Sie überführen ihre eigenen Formalisierungstendenzen, ihre über Quantifizierung erreichte Präzision in eine erzählerische Offenheit, die ihre Anschlussfähigkeit an die Wirklichkeit allererst garantiert, darin ähnlich mythischen Erzählungen und Märchen (McCloskey 1991a). Dabei können Erfolgs- und Wachstumsnarrative, Krisen- und Gleichgewichtsnarrative als Idealtypen beziehungsweise Modelle verstanden werden, die die Elemente, Grenzbedingungen und Entwicklungstendenzen der erzählten Welt festlegen. Sie können ökonomischen Modellen vorgängig sein, oder sich aus diesen ergeben: Dann dienen Erzählungen dazu, logisch-deduktive Sequenzen in eine chronologische Abfolge von Handlungen und Ereignissen zu überführen. Im engeren Sinne unterscheiden lassen sich (1) Modellerzählungen, die als hybride Erzählungen zwischen Präskriptivität des Modells und Wirklichkeitsreferenz oszillieren und eine explikativ-didaktische Funktion haben. Solche fingiert faktualen Erzählungen sind wissenschaftliche Fiktionen, deren Referenz im (formalen) Modell selbst liegt: Um dessen Plausibilität zu stärken, werden fiktive Szenarien entworfen, die alle Gesetzmäßigkeiten und Variablen eines Modells in sich vereinen und den Strukturmomenten der durch das Modell vorgegebenen histoire folgen. Modellerzählungen haben oft den Charakter von Fabeln, in denen alle relevanten Charaktertypen versammelt sind, die Welt überschaubar geordnet ist und das Verhalten und Handeln entsprechend berechnet und vorausgesagt werden kann. Typischerweise verbinden sie sich also mit anthropologisch-tropologischen Narrativen, etwa Geschichten vom rationalen Handeln. (2) Fallsimulationen werden in explorativ-prognostischer Funktion auf die Zukunft hin entworfen, oder dienen in verifikatorischer Funktion der Rahmung prognostizierter Ereignisse und Prozesse, deren (Nicht-)Eintreten auch als pragmatischer Test ökonomischer Modelle fungiert. Fallsimulationen sind hybride Wirklichkeitserzählungen, haben oft präskriptiven Charakter und verfahren kontrafaktisch: Indem einzelne Variablen in einem realen Ausgangs- szenario verändert werden, können innerhalb des Modells unterschiedliche Abläufe induziert und alternative Ergebnisse deduktiv abgeleitet werden. Realität wird im Rahmen solcher Als-ob-Erzählungen dadurch simuliert, dass die Ausgangsbedingungen, Variablen und die innere Logik des Modells durch »exogene Variablen« ergänzt werden, mit deren Hilfe Prognosen präzisiert werden. Dabei werden Handlungsoptionen vor dem Horizont von Zukunftserwartungen ausgebreitet und so für Risikokalküle zugerichtet, wird ökonomisch richtiges/rationales von falschem/irrationalem Handeln abgegrenzt, indem Handlungskonsequenzen vorgeführt werden. So legen kontrafaktische Erzählungen zuweilen nur ein mögliches Zukunftsszenario nahe, folgen Narrativen der Unausweichlichkeit, wenn Prognosen als echte Prolepsen präsentiert werden, die die Unvermeidbarkeit bestimmter Entscheidungen auf das Wissen ökonomischer Experten zurückführen. Gleichzeitig eröffnen sie die Möglichkeit der Selbstimmunisierung, denn treffen Vorhersagen nicht zu, können externe Irritationen im Rahmen der Residualkategorie der exogenen Variablen aufgehoben werden. Das Modell muss also nicht verworfen werden, sondern es kann auf fehlende Informationen verwiesen werden, deren Berücksichtigung zu einer zutreffenden Prognose geführt hätte. Die narrative Reformulierung ökonomischer Prognosen erleichtert eine solche Vorgehensweise, da die Grenze zwischen kausal relevanten (histoire) und erzählerisch schmückenden (discours) Elementen der Geschichte verschoben werden kann. (3) Fallgeschichten greifen demgegenüber reale Entwicklungen gegenwartbezogen auf. Sie dienen der ökonomischen Theoriebildung, als Beispiele in der Wirtschafts- und Dogmengeschichte, oder sind ganz konkret Bestandteil ökonomischer Analysen. In diesem Falle stellen sie – etwa im Rahmen deduktiv-nomologischer Ansätze – die neben dem Gesetz notwendigen empirischen Beobachtungen zur Verfügung, um zur Erklärung eines Sachverhaltes zu gelangen, haben also den Status faktualer Erzählungen in explanativer Funktion. Im Rahmen von Dogmengeschichten oder Lehrbüchern erzählen Fallgeschichten in explikativ-didaktischer Funktion Geschichten vom Erfolg oder Misserfolg ökonomischer Handlungen, um so mögliche Strategien im Sinne eines Modells zu verdeutlichen. Fallgeschichten werden auch retrospektiv in legitimatorischer Absicht verwendet. Hier werden Geschichten ausgewählt, um Positionen im Sinne abduktiver post-hoc-Erklärungen zu untermauern – oder sie werden zumindest so erzählt: Oft 30 Wirtschaft durch die Strukturmuster von Modellen prädisponiert, präsentieren solche just-so-stories (Kipling) Entwicklungsergebnisse als unausweichlich (Goldschmidt/Szmrecsanyi 2008) und lassen zudem den Autor nicht in Erscheinung treten, was aperspektivische Objektivität suggeriert. Erzählungen nach dem just-so-Muster finden sich oft in Begründungszusammenhängen, zumeist in intermedial verfasste argumentative Zusammenhänge eingepasst, wo sie die Begründungsmodi mathematischer Ableitungen, Tabellen oder Diagramme ergänzen und als eindeutig faktuale Erzählungen beanspruchen, auf reale Ereignisse zu referieren. Die Grenzen zwischen Fallgeschichten und übergeordneten Entwicklungsgeschichten sind fließend. Dienen entsprechende Erzählungen der Legitimierung beziehungsweise Kritik ökonomischer Strömungen oder Paradigmen, so verbinden sie sich zumeist mit Anthropologisierungs- und Naturalisierungsfiguren und treten als Ursprungs-, Fortschritts-, oder Heilsgeschichten auf. Sie integrieren Systemgrenzen und Übergangsstadien, entfalten den normativ-anagogischen Sinn ökonomischer Erzählungen, rufen also zum Beispiel eingedenk der selbstregulativen Kräfte des Marktes zu (neo-)liberalem Attentismus oder angesichts einer Finanzkrise zu staatlicher Intervention auf. In ihrer wirtschaftsgeschichtlichen Form treten Entwicklungserzählungen etwa als Universalgeschichte der Steigerung des Lebensstandards oder als Geschichten vom Durchbruch der wahren Natur des Menschen mit Anbruch der Moderne (des rational kalkulierenden Homo oeconomicus) auf. Im Rahmen von Optimierungserzählungen der Ratgeberliteratur finden sie sich als Wirklichkeitszurichtungserzählungen mit imperativischer Sprache und auktorialer Erzählsituation. Beispielanalyse Der didaktischen Explikation ökonomischer Theorien und Modelle dienen Erzählungen, die als Mediatoren zwischen Ansatz und Wirklichkeit fungieren sollen. Sie finden sich sowohl in der Forschungsliteratur wie in Handbuchtexten oder Managementmagazinen. Entscheidend ist gerade nicht die Frage, ob sich ein Fall tatsächlich so zugetragen hat, sondern die Anschlussfähigkeit, Identifikationsmöglichkeit und Nachvollziehbarkeit des Gesagten, die die Glaubwürdigkeit der theoretischen Ausführungen sichert – die Modellhaftigkeit des Falls unterstreicht die Geltung der Theorie. 205 So präsentiert Stocker (1995) in seinem Lehrbuch zur Mikroökonomie Geschichten zur Verdeutlichung des ökonomischen Rationalitätskalküls. Gemäß ihrer Funktion, das Handlungsmodell des unternehmerischen Homo oeconomicus zu explizieren und als Ideal zu etablieren, vereint die hier erzählte Welt all jene strukturellen Elemente, die vor dem Hintergrund des neoklassischen Menschenbilds für anthropologischtropologische Narrative beziehungsweise Erzählungen vom rationalen Verhalten entscheidend sind: Beobachtung und Sammeln von Information, Innovation, Streben nach Nutzen- beziehungsweise Gewinnmaximierung, rationale Kosten-/Nutzenanalyse und Risikokalkulation, gezielter Einsatz von Ressourcen, den Kreislauf von Angebot und Nachfrage, der sich aufgrund des Marktmechanismus zum Vorteil aller auswirkt. Es handelt sich um kurze Szenarien, die formal und substantiell rationales Verhalten auf Basis eines Wenn-dann-Schemas beschreiben: »Wird die Firmenleitung einer Aktiengesellschaft tatsächlich versuchen, den Gewinn zu maximieren? Tut sie es nicht oder gelingt es ihr nicht [...], dann wird sie entweder von den Aktionären abberufen und durch eine Führungsmannschaft ersetzt, die den Gewinn maximiert. Oder die Kurse der Aktien sinken aufgrund der schlechten Gewinnsituation: Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Unternehmung von einer anderen übernommen wird und die Firmenleitung durch eine andere, eine, die den Gewinn maximiert, ersetzt werden wird. Oder – im schlechtesten Fall – scheidet die Firma aus dem Markt aus. Damit verbleiben erst diejenigen, die den Gewinn maximieren.« (Stocker 1995, 24). Während aber Unternehmen optimalerweise ein Gewinnmaximierungsverhalten zeigen, dessen Angemessenheit in Form einer Wenn-dann-Geschichte mit klarem Ausgang beschrieben werden kann, weisen individuelle Akteure (Haushalte) ein Nutzenmaximierungsverhalten auf, das sich (auch) an subjektiven Präferenzen bemisst und sich somit nicht ohne weiteres beobachten lässt. Entsprechende Modelle werden daher narrativ veranschaulicht und die so fingierte Erzählung mit einer unmittelbar anschließenden Moral – einer ökonomischen Erklärung – versehen. So heißt es in der Modellerzählung »Es geschah an einem Sommertag ...«: »Claudio Gelatino ist Student an einer Wirtschaftsuni. Als Abkömmling einer italienischen Einwandererfamilie ist er alles andere als mit finanziellen Mitteln gesegnet. [...] Um seine wie immer angespannte finanzielle Situation etwas zu entschärfen, arbeitet Claudio Gelatino in den Sommer- 206 III Soziale Felder des Erzählens ferien – wie könnte es anders sein – in einem Eissalon eines guten Bekannten. Da er hauptsächlich abends im Einsatz ist, hat er tagsüber viel Zeit, den Sommer zu genießen. Das tut er auch« (ebd., 53). Es folgt die ausgeschmückte Aufzählung seiner Hobbies und die Erzählung, wie er mit seiner Freundin regelmäßig den Tag an einem Stausee verbringt, von wo aus er zu einem einige Kilometer entfernten Strandcafé fährt, dort Eis zu einem Wucherpreis kauft und bei seiner Rückkehr die gierigen Blicke der anderen Badegäste bemerkt. Claudios Freundin aber ist während seiner Abwesenheit mit einem Surfer durchgebrannt, er ist fassungslos, beruhigt sich wieder, beginnt »über die Sache mit dem Eis nachzudenken« und hat ein ökonomisches Konversionserlebnis, das ihn in einen Unternehmer verwandelt: »Der Geschäftssinn macht sich in seinem Denken breit, er beginnt zu rechnen [...]«, holt Eis aus seinem Salon und verkauft es am Strand zum dreifachen Preis: »Die Taschen voll Geld tritt Claudio – nicht ohne vorher ein besonders genüßliches Bad im kühlenden See genommen zu haben – die Heimreise an. Er hat ein gutes Geschäft gemacht [...] spielend ein Vielfaches von dem verdient, wofür er jeden Abend bei seinem Bekannten für einige stressige Stunden Eisportionen verkaufen muß« (ebd., 53). Die semantischen Konzepte der histoire – Bedürfnisse, Beobachtung, Ressourcen, Innovation, usw. – werden hier in einen discours überführt, auf dessen Ebene Erzähltechniken zum Einsatz kommen, die die affektive Wirkung der Geschichte erhöhen sollen. Dies geschieht u. a. über das Erzählmoment der verlorenen Liebe des studentischen Protagonisten und indem die umgangssprachlich erzählte mittelbare Darstellung immer wieder von direkter Rede im dramatischen Modus durchbrochen wird, wobei gleichzeitig die Deutungshoheit des heterodiegetischen Erzählers mittels Nullfokalisierung untermauert wird. Die Individualisierung des Akteurs, die mit der Übersetzung der Theorie in ein individuelles Aufstiegsnarrativ einhergeht und Identifikationspotential enthält, legt nicht nur nahe, dass ›jeder es schaffen kann‹, sondern auch, dass es irrational, sprich: unökonomisch wäre, anders zu handeln. An die Erzählung schließt sich dann – »Was wirklich geschah ...« – eine ökonomische Deutung an, die die kausale Motivierung der Sinnstruktur der erzählten Welt und die Anlehnung des Protagonisten an das Figurenmodell des Homo oeconomicus offen legt. Da die histoire nach den Maßgaben der Theorie konstruiert wurde, kann der Autor dabei feststellen: »So simpel der Fall hier auch liegen mag, er enthält fast alle entscheidenden Aspekte, auf die es für einen erfolgreichen Unternehmer ankommt« (ebd., 55). Gerade die Simplizität der Erzählung, ihre aus nur wenigen Geschehensmomenten bestehende Struktur verbürgt ihre hohe Anschlussfähigkeit – einzelne Parameter mögen sich ändern, doch die Grundstruktur ist basal genug, um in jedem konkreten Einzelfall wieder erkannt zu werden: Im vorliegenden Fall tritt uns Claudio zunächst als Haushalt entgegen (Konsum/Nachfrage), später als Unternehmer (Produktion/Angebot), er weiß aufgrund »aufmerksamer Beobachtung« um seine »latenten Bedürfnisse« und hat eine Idee, »um einen Gewinn zu machen.« Er setzt »seine Ressourcen« dort ein, »wo sie das meiste erwirtschaften«, produziert etwas »das die Leute [...] auch kaufen wollen.« Dies ist ein »innovativer Akt«, bei dem die »Ausführung der Produktion [...] in der Unternehmung« stattfindet, die letztlich den »Nutzen aller Marktteilnehmer erhöht« (ebd., 55 f.). Als Moral der Geschichte wird abschließend das ökonomische Axiom der Selbstregulation des Marktes im Sinne der Smithschen Metapher der Unsichtbaren Hand präsentiert. Forschungsüberblick Gängigerweise wird das Verhältnis von Literatur und Ökonomie beziehungsweise Ökonomik über die Fragen nach der Literatur in der Ökonomie beziehungsweise der Ökonomie (in) der Literatur bestimmt. Neben der ökonomischen Analyse von Literatur (klassisch Kuczynski 1954) beziehungsweise wirtschaftlicher Faktoren der Literaturproduktion (so bereits Scherer 1888; vgl. Jordan/Patten 1995; Wegmann 2011; Überblick in Rusch 2004) ist vor allem die literarische Verhandlung der Ökonomie beziehungsweise ökonomischen Handelns Thema (z. B. Binswanger 1985; Watts/Smith 1989; Wunderlich 1989; Schefold 1992; Watts 2003). Umgekehrt finden literarische Motive, Figuren und Szenarien im Rahmen ökonomietheoretischer Schriften Verwendung, wird die literarische Spiegelung wirtschaftlicher Zusammenhänge und Theorien analysiert und die didaktische und paradigmatische Rolle literarischer Beispiele diskutiert (vgl. exemplarisch Kish-Goodling 1998; Watts 2002). Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Frage nach Ökonomie als Literatur beginnt in den ausgehenden 1970er Jahren. So arbeitet Shell (1978) zur Poetik monetärer Inskriptionen, Gibbard und Varian (1978) deuten Erzählungen als integralen Bestandteil der Ökonomie und begreifen ökonomische Modelle, deren Variablen interpretiert werden müssen, um das 30 Wirtschaft Modell mit Wirklichkeitsreferenz zu versehen, als spezifische Formen der Erzählung. Insbesondere im Rahmen von Untersuchungen zur Wissenschaftsrhetorik hebt man seit Mitte der 1980er Jahre auf den funktionalen Charakter ökonomischer Textproduktion ab und analysiert diese hinsichtlich ihrer zentralen Metaphern und stilistischen Momente. Als locus classicus der Auseinandersetzung mit rhetorischen und narrativen Strukturen der ökonomischen Theorie kann McCloskeys The Rhetoric of Economics (1985) gelten. In einer Analyse schulbildender Texte u. a. von Paul Samuelson, Gary Becker, Robert Solow und Robert Fogel greift McCloskey das methodische Selbstverständnis der Wirtschaftswissenschaften an: Diese operierten nur vermeintlich falsifikationistisch und zudem selten auf empirisch-statistischer Basis, sondern legitimierten ihre Aussagen vielmehr mittels (esoterischer) mathematischer Virtuosität und sachferner Signifikanztests, sie verwiesen auf Autoritäten, verwendeten Analogien und verführen auf Basis von Introspektion. Mit ihrer Kritik der ökonomischen Theorie als im Kern rhetorisch und fiktional dekonstruiert McCloskey den epistemischen Status der Wirtschaftswissenschaften als Wirklichkeitswissenschaften: es handele sich um Überzeugungswissenschaften. Im Zentrum der weiteren Forschungen McCloskeys stehen u. a. ökonomische Metaphern und Erzählungen, die komplementäre Antworten auf ›Warum‹-Fragen anbieten und in Form von Allegorien auch gemeinsam auftreten (vgl. McCloskey 1987, 1990, 1991a/b; dies./Klamer 1989). Während ökonomisches Erzählen reale Ökonomien zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort zum Thema hätten, seien Metaphern auf hypothetische, zukünftige Ökonomien ausgerichtet. Erzählungen auf Basis solcher Modelle seien Bestandteil kontrafaktischer Argumentationen; je vager dabei das Modell, desto besser ließe sich die Erzählung mit der Realität verbinden, je exakter das Modell, desto absurder werde sie. Sogar die Differentialgleichung als ein bestimmter Typ von Modellen entspreche dem literarischen Denken und stehe zwischen der reinen Metapher und der reinen Erzählung, denn hier werde die Erzählung thematisch und die Metapher dynamisch (1991b). In Anknüpfung an McCloskey fragen diskursanalytische Studien seit den 1990er Jahren nach Regularitäten, impliziten Theorien und normativen Vorannahmen ökonomischer Begriffe und Symbole (Samuels 1990). Auch wendet man sich ökonomischen Erzählungen im engeren Sinne zu und untersucht den Einfluss übergeordneter Denkmuster und der jewei- 207 ligen Leitwissenschaften auf die sprachlichen Konventionen der Ökonomik (Nash 1990; Henderson u. a. 1993) – oft, wie im New Economic Criticism (Woodmansee/Osteen 1999), in kritischer Absicht. Wichtige Impulse für die Erforschung des Verhältnisses von Ökonomie und Literatur kommen auch aus der zunehmend kulturalistisch ausgerichteten und praxisund medientheoretisch verfahrenden Wissenschaftsgeschichte, die ihr Augenmerk seit den späten 1980er Jahren vermehrt auf die Wirtschaftswissenschaften gelenkt hat (vgl. den Überblick in Schabas 2002). Mit der Modellbildung ist dabei das Feld, das sich als besonders fruchtbar für narratologische Zugänge zur Ökonomietheorie erwiesen hat, wiederholt Objekt wissenschaftshistorischer Arbeiten geworden. Den Ansatz von McCloskey greift kritisch Morgan auf und argumentiert, dass ökonomisches Erzählen nicht von der statischen oder dynamischen Struktur des Modells abhängig ist, sondern generisch für die Anwendung von Modellen in der ökonomischen Praxis ist. Erzählungen seien mehr als bloße rhetorische oder heuristische Mittel, sie würden in der Ökonomietheorie als kognitive Werkzeuge verwendet, bildeten integrale Bestandteile des praktischen Umgangs mit Modellen: Ob sie von einer realen oder einer hypothetischen Welt erzählen – sie explizieren die zugrunde liegende Struktur eines Modells, das ohne sie nicht auf die Welt bezogen werden kann. Modelle generieren also Geschichten in konfigurationalem Modus (Morgan 2001) mit einer spezifischen Struktur, die diese begrenzt und formt, nicht aber komplett determiniert, und die ihrerseits das Modell in seinen Anwendungen nicht ersetzen kann. Um aus Modellen zu lernen, von ihrer internen Dynamik profitieren zu können, muss man eine externe Dynamik in Gang setzen, indem man sie befragt. Die Antworten, die dann mittels der deduktiven Ressourcen eines Modells bereitgestellt werden, haben typischerweise die Form von Erzählungen, deren Art durch die Frage, eine ad hoc Beobachtung oder die Modifikation einer Annahme generiert wird: Ein Element des Modells wird verändert, eine Sequenz weiterer Veränderungen läuft ab, eine andere Geschichte wird erzählt (Morgan 2001, 2007, 2012; Morgan/Morrison 1999). Gegenstand wissenschafts- und kulturhistorischer Forschung waren zudem zentrale Metaphern und Konzepte wie etwa ökonomisches Gleichgewicht und ›unsichtbare Hand‹ (Ingrao/Israel 1990; Sieferle 1990), ›Zirkulation‹ (Ménard 1988; Sandl/Schmidt 2002), ›Energie‹, Organismus (Mirowski 1994) oder Spekulation (Stäheli 2007). Auch die Wirtschaftsgeschichte hat 208 III Soziale Felder des Erzählens entsprechende Fragestellungen und Ansätze verstärkt aufgenommen, nachdem auch hier eine kulturalistische Wende ausgerufen wurde (Berghoff/Vogel 2004; Reinhard/Stagl 2007; Blümle 2007; dazu Dejung u. a. 2014, 7–10), und untersucht u. a. die historische Konstruktion und spezifische Rationalität des Homo oeconomicus als anthropologischer Grundfigur der neoklassischen Ökonomietheorie (Plumpe 2007). Literaturwissenschaftliche Untersuchungen zur Ökonomie beziehungsweise dem Verhältnis zwischen Ökonomie und Literatur entstanden und entstehen in teilweise engem konzeptuellen Austausch mit den genannten Arbeiten. Seit Mitte der 1990er Jahre etabliert sich eine kulturwissenschaftlich verfahrende »literarische Ökonomik« (dazu Balint/Zilles 2014). Schwerpunkt sind literarische Verhandlungen des Ökonomischen (Hörisch 1996; Wegmann 2002; Volkmann 2003; Blaschke 2004; Schößler 2009a/b; Hempel/Künzel 2009; Klettenhammer 2010; Rakow 2013; Bergengruen 2011, 2015), wobei im Sinne der Poetologien des Wissens (Vogl 1999, 2002/2011) in wachsendem Maße auch die Rolle literarischer Strategien und rhetorischer Verfahren in wissenschaftlichen Texten reflektiert wird. Ausgangspunkt ist hier die Annahme, dass jeder epistemologischen Klärung eine ästhetische Entscheidung vorausgeht, dass das Fiktive alle Bereiche des Wissens durchzieht und die Erhebung und Verarbeitung von Daten ebenso beeinflusst, wie die Repräsentation und Inszenierung von Wissen. Gleich anderen Wissensformen stellen wirtschaftswissenschaftliche Texte Deutungsmuster bereit, die es erlauben, die ökonomische Sphäre mit ihren Gütern, Prozessen und Akteuren zu normieren und diese Operation zugleich durch rhetorische Verfahren unsichtbar zu machen. Nicht umsonst sind Rhetorik und Narrativik des Ökonomischen insbesondere seit der Finanzkrise 2008 wieder vermehrt Thema kritischer Studien (vgl. Vogl 2010, 2015; Künzel/Hempel 2011; Priddat 2014, 2015a). Angesichts einer neuerdings stark wachsenden Beschäftigung mit dem Ökonomischen fällt ein Überblick über Forschungsdesiderata schwer. Mehr noch als die von Hempel/Künzel (2009, 13) angemahnte Ausweitung der Untersuchungen auf die Gegenwartsliteratur, scheint eine Erweiterung des ökonomietheoretischen Gegenstandsbereichs narratologischer und wissenspoetologischer Forschungen angebracht zu sein. Entsprechende Studien müssten sich insbesondere solchen Figuren, Konzepten und Modellen widmen, die nicht umstandslos der Ökonomie zugerechnet werden können (z. B. ›Entscheidung‹: vgl. Priddat 2016), sondern zwischen verschiedenen Wissensfeldern, etwa der Ökonomie und den Neurowissenschaften, der Psychologie oder Pädagogik angesiedelt sind, und diese stärker mikrologisch in den Blick nehmen. Dies würde zum einen die verstärkte Anwendung eines ›technischen‹ – narratologischen, metaphorologischen, usw. – Instrumentariums auf verschiedenen Feldern beziehungsweise ökonomische Ansätze bedeuten. Wünschenswert wären Studien zu Typen und Dynamiken des Erzählens jenseits des Modells, zum Verhältnis von wirtschaftswissenschaftlichem und alltäglichem ökonomischen Erzählen beziehungsweise den unterschiedlichen Formen und Funktionen des Erzählens in volkswirtschaftlicher Theorie und betriebswirtschaftlicher Praxis, im Rahmen unterschiedlicher Textgattungen (Handbücher, wissenschaftliche Artikel, usw.) und Medien (Schrift, gesprochene Sprache), etwa zum Investmentnarrativ der Mikroökonomik und dem Bedienungsanleitungsnarrativ der ökonomischen Ratgeberliteratur (vgl. Bröckling 2007). Andererseits – und dabei könnte der Versuch hilfreich sein, »ökonomische Konzepte neu und vielleicht dezidiert anders [...] als in der neoklassisch ausgerichteten ökonomischen Theorie« zu fassen (Dejung u. a. 2014, 10) – müssten sich die Rekonstruktionen der imaginären Qualität des ökonomischen Erzählens stärker auch Ansätzen jenseits der Neoklassik widmen, insbesondere solchen einer heterodoxen Ökonomie. Einbetten ließen sich solche Analysen in eine Wissensgeschichte der Literatur, die Konjunkturen literarischer Figuren (etwa des Produzenten und Konsumenten), Konzepte (z. B. Kreativität und Leistung) und Narrative (z. B. des Erfolg oder des Wachstums) vor dem Hintergrund historischer Konstellationen untersucht und das dynamische Verhältnis und die etwaige Konvergenz literarischer und ökonomischer Zugänge zum Gegenstand macht. Literatur Balint, Iuditha/Zilles, Sebastian: Einleitung. In: Dies. (Hg.): Literarische Ökonomik. Paderborn 2014, 9–21. 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