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3 Methodik und Vorgehensweise Die hier zugrunde gelegte sozialkonstruktivistische Epistemologie der CCO-Perspektive und auch des narrativen Ansatzes (vergl. Czarniawska 1991, 1997; dazu mehr in Abschnitt 3.2.) hat: ...eine induktive/abduktive Methodologie zu eigen: Das Entstehen, die Veränderung und die Verfestigung von Organisation wird über einzelne Kommunikationen und sprachliche Interakte zu beschreiben und zu verstehen gesucht. Methodisch bedeutet das eine Hinwendung zu qualitativer Feldforschung: Kommunikationssituationen in Organisationen werden beobachtet, aufgezeichnet und z.B. mit Blick auf Regeln, Regeladaptierung oder Regelveränderung ausgewertet. (Nothhaft und Wehmeier 2013: 323). Im Grundsatz geht es in diesem Verständnis nicht darum für die PR-Praxis „Howto“ Regeln und Guidelines zu entwickeln, sondern um ein wirkliches tiefes und ganzheitliches Eintauchen und Verstehen, der mit der Institutionalisierung von CSR verbundenen Diskurse Prozesse, Strukturen und Regeln - also einem interpretativen gegenüber einem funktionalistischen Ansatz (vergl. Putnam 1983:34ff.). Damit erfüllt die [auch hier als Leittheorie gewählte, Anm.d.V.] CCO-Forschung wichtige Kriterien der von Flyvbjerg angesprochenen phronetischen Wissenschaft. Praktische Klugheit erwächst aus dieser Forschung dadurch, dass die Forscherpersönlichkeit ein tiefes Verständnis über die Funktionsweise von Kommunikation, von kommunikativ erzeugten Regeln und deren Interpretation entwickelt. Befreit von der Suche nach gültigen Gesetzen oder Modellen für die Praxis, kann eine solche Forschung vor allem deshalb Relevanz für Gesellschaft haben, weil sie den kommunikativen Alltag von Organisationen analysiert und darüber z.B. der Praxis aufzeigt, wie sie funktioniert. (Nothhaft und Wehmeier 2013:325). Dieser grundsätzliche methodische Ansatz wird auch aus dem Blickwinkel der narrativen Analyse und des Sensemaking unterstützt. So sieht auch Weick die Sensemaking-Forschung als einen Ansatz, der vor allem darum bemüht ist, der situativen und individuellen Bedingtheit des Sensemakingprozesses Rechnung zu tragen. Dies bedeutet, der Forscher stellt das ins Zentrum, was die Teilnehmer zu sagen haben: „Die Texte der Teilnehmer sind zentral.“ (Weick 1995:173), weswegen in der Auswertung der empirischen Daten die Orginalzitate ein wesentlichen Raum einehmen werden. Gleiches gilt in noch stärkerem Maße für die empirische Umsetzung der SMM nach Dervin. Für Weick bedeutet das, dass der Forscher eher in der Nahdistanz, als vom Schreibtisch aus agiert, die Teilnehmer/Mitarbeiter das Arbeitsumfeld bestimmen und nicht der Forscher, was über Konversations- und Diskursanalysen bis hin zu ethnographisch orientierten Vorgehensweisen und freien narrativen Interviews, Analysen und Darstellungen führen kann. Für Weick (aber auch Dervin und Snowden) und somit auch für diese Arbeit steht nicht die Hypothesenbildung und der Hypothesentest im Vordergrund, sondern das Finden und Beschreiben von Mustern. Die Dichte und Lebendigkeit der Beschreibung © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 R. Wagner, Effektive interne CSR-Kommunikation, Sustainable Management, Wertschöpfung und Effizienz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27145-9_3 158 Methodik und Vorgehensweise ist dabei nicht weniger wichtig, als die sonst als maßgeblich beschriebenen Qualitätskriterien qualitativer Forschung beschriebenen Parameter wie Präzision und Wiederholbarkeit. In der Summe führt dies eher zu einer intensiven Untersuchung einer kleinen Anzahl von Fällen, bei denen bei der Auswahl der Forschungssettings der Zugang zum Sensemaking Phänomen wichtiger ist, als deren Repräsentativität. (vergl. ebd.). So kann das scheinbar unverbindliche Gespräch mit einem Mitarbeiter über die neuen CSR-Strategie wesentlich fruchtbarer sein, als das Leitfadeninterview mit dem Vorstandsvorsitzenden. Praktisch bedeutet dies beispielsweise die Teilnahme an Meetings und Diskussionen zwischen unterschiedlichen Personen, wie etwa Teammitarbeiter und externer Berater oder auch Teamleiter. Die Gespräche werden aufgezeichnet und anschließend ausgewertet. Die einzelnen Gesprächssequenzen und -verläufe zeigen, wie die Organisation sich über das Wechselspiel aus Text (etwa formalisierte Anleitungen, Anweisungen) und Konversation (Kommentierung der Anleitung, Auslegung der Anleitung, Änderung der Anleitung in der Praxis) immer wieder fortschreibt und dabei stabilisiert und/oder verändert. Was sich [hier] offenbart ist das kommunikative Aushandeln von Regeln und das Aushandeln von Macht und Widerspruch. Genau von dieser Perspektive, die intensiv auf Kommunikation zwischen unterschiedlichen Individuen oder Gruppen von Menschen schaut und in die Tiefe Prozesse begleitet… (Nothhaft und Wehmeier 2003:323). Bei der Konzentration auf CSR als soziales Konstrukt kann dadurch ein weniger normatives und mehr realistisches Verständnis der damit verbundenen Kommunikationsprozesse erreicht werden (vergl. Schultz und Wehmeier 2010). CSR Communication should be visualized in a general model, covering communication processes at all levels. In the micro dimension, CSR communication has to be analyzed from a reception-oriented perspective that not only draws on traditional research on media effects, but includes approaches to sensemaking and reception coming from various disciplines such as social psychology and linguistics. Such a perspective could uncover how individuals interpret corporate and other stories and how they construct meaning in a specific situation based on personal knowledge and experiences. (Wehmeier und Schultz, 2011:482). Die hier vorliegende Arbeit folgt diesem Verständnis sehr weitgehend, vor allem mit Blick darauf, dass das Verständnis von CSR außerordentlich von der SensemakingPerspektive profitieren kann, da viele Annahmen über Ursachen und Wirkungen zu oft als selbstverständlich akzeptiert werden (vergl. Nijhof und Jeurissen 2006), aber letztlich, wie auch zentral bei Dervin dargelegt, allein der jeweilige Sensemaking-Moment des Mitarbeiters und die Geschichten, die diesen Prozess im Unternehmen symbolisieren relevant sind. Zu einem ähnlichen Schluss und auch erste Vorschläge auf mögliche methodische Vorgehensweisen kommen auch Wehmeier und Röttger: Researchframework 159 Kulturelle Schemata (Institutionen, Anm.d.V.) werden nicht einfach reproduziert, sondern vor dem Hintergrund des sachlich, zeitlich und räumlich lokalen Kontextes reinterpretiert. Institutionalisierung auf der Mikroebene mit Hilfe des theoretischen Konzeptes des Sensemaking zu untersuchen, führt zu qualitativen Methoden. Leitfadeninterviews können ebenso dazu dienen (sic) das retrospektiv sinngebende zu erfassen wie Beobachtungsstudien. Mit Hilfe von Case Studies, in denen die Institutionalisierung von CSR innerhalb einzelner Organisationen dicht beschrieben wird (Wehmeier und Röttger, 2011:211). Und auch Schultz und Wehmeier argumentieren in eine ähnliche Richtung, indem sie schreiben, dass: Gerade die Berücksichtigung der Rezeptionsprozesse und des Zusammenspieles der drei Ebenen [Makro, Meso und Mikrobene, Anm.d.V.] erlaubt, zukünftig stärker auf die dysfunktionalen Wirkungen von CSR, die Prozesse der Delegitimation und dadurch bedingten Institutionalisierung und Bedeutungsveränderung von CSR zu analysieren. Hier könnte die Kommunikationswissenschaften ihre Stärken ausspielen: Indem sie ihre Forschungsanstrengungen nicht so sehr auf die kommunizierende Organisation konzentriert, sondern die Ebene der Bedeutungsaushandlung einbezieht und den Diskurs über CSR auf den Ebenen der Organisation, der Gesellschaft und der Individuen empirisch mit Hilfe geeigneter Methoden (z.B. Diskursanalyse, Interview, quantitative und qualitative Inhaltsanalyse, narrative Methoden) erforscht (Schultz und Wehmeier 2011:388). In der Summe führt dies bei den hier intendierten Forschungsfragen, siehe Kapitel 2.9., zur Untersuchung und ausführlichen Darstellung eines Fallbeispieles (vergl. Eisenhardt 1989), welche ganz im Sinne einer „well done process-study“ nach Gioia & Patvardhan (2012:58) vor allem eines leistet: „it would tell a story“, denn „stories are process theories in waiting“, so die Autoren. Praktisch bedeutet dies für das vorliegende Fallbeispiel einen Methodenmix aus ethnographisch orientierter Beobachtung, teilstrukturierten, narrativ orientierten Interviews und einer umfassenden Dokumentenund Textanalyse (dazu mehr in Kapitel 4.) 3.1 Researchframework In der CCO-Sichtweise werden zwei zentralen Kommunikationsmodalitäten „Text“ und „Konversation“ unterschieden. Als Konversationen werden beobachtbare Interaktionen bezeichnet, in denen die Organisation sich ausbildet und erfahrbar ist (auch als „site“ der Organisation bezeichnet). Die Texte bzw. vertextlichte Kommunikation einer Organisation bildet die „surface“ der Organisation, auf und durch die sich Konversationen entwickeln. Durch sie können Organisationsformen identifiziert, beschrieben und dargestellt werden (vgl. Koschmann et. al. 2012 sowie Schoeneborn et.al.2014). Texte sind dabei von zentraler Bedeutung, denn sie sind gleichzeitig Input und Outcome von Konversation und bilden einen sogenannten „self-organizing loop“ (Koschmann et. al. 2012: 336) und können so eine vollständig eigenständige Dynamik entwickeln (vgl. ebd.). Organisationen können demnach verstanden werden, als „fortwährendes Wechselspiel aus Konversations- bzw. Interaktionsereignissen einerseits [...] und deren 160 Methodik und Vorgehensweise Verschriftlichung bzw. „Vertextlichung“ andererseits“ (Schoeneborn 2013: 100, Herv. i. Orig.). Die vorliegende Arbeit versucht diesem Gedanken auch im Untersuchungsaufbau, siehe Abbildung 23, gerecht zu werden und sowohl die Site als auch die Surface des empirischen Fallbeispieles ausreichend zu berücksichtigen. Praktisch bedeutet dies, dass sowohl Interviews und Beobachtungen zur Erkenntnis beitragen sollen, also Momente der Konversation, wie auch Texte bzw. vertextlichte Kommunikation, in der Regel durch Dokumente aus der internen und externen Unternehmenskommunikation rund um das Thema CSR, Nachhaltigkeit und Unternehmenskultur, dazu mehr in Kapitel 4. Abbildung 23: Researchframework, eigene Darstellung Auch wenn es das Ziel dieses Untersuchungsaufbaues ist, entsprechend des Forschungszieles, eine möglichst dichte und ganzheitliche Beschreibung des organisationalen Diskurses112 zum Thema CSR in dem empirischen Fallbeispiel zu erreichen, muss man jedoch festhalten, dass auch in diesem Fall dennoch immer eine gewisse Distanz und Stichpunktartigkeit gegeben ist. Einen Prozess umfassend zu beschreiben und zu analysieren, der jeden Tag, und in dem vorliegenden Fallbeispiel inzwischen über zehn Jahre lang in einem Unternehmen stattfindet, auch wenn der Untersuchungszeitraum gut ein Jahr umfasst hat, muss hier einfach Einschränkungen erwarten lassen. Dennoch soll das gewählte Forschungsdesign dafür sorgen, dass durch eine umfassende Datenaufnahme ein, in möglichst vielen Belangen realistisches Bild gezeichnet werden kann. 112 im vorliegenden Fall eher mit einem großen D geschrieben, da hier mehr der Fokus auf der generellen Aushandlung eines Themas liegt, vergl. Cooren 2015:4ff. Narrative Forschung und Analyse 161 3.2 Narrative Forschung und Analyse Geschichten113 und Erzählungen sind basale menschliche Kommunikationsmittel. Sie sind unter anderem wesentlich dafür, dass wir als Menschen uns ein Gefühl der Zeitlichkeit schaffen (Ricœur, 1984). Durch die chronologische Aufbereitung von Geschehnissen geben die Erzählungen den Erzählern, wie den Zuhörern oder Lesern einen Sinn für Zeit - wobei sie diese Ausdehnen oder Verdichten können (vergl. Corvellec 2012). Durch die Vermittlung eines Sinnes von Zeit und Kausalität, helfen die Erzählungen den Menschen Sinn zu machen aus der oben erwähnten ausgehandelten Ordnung des organisationalen Lebens. Organisieren ist demnach gleich dem Konstruieren eines Plots einer Geschichte (Barbara Czarniawska, 1997), und Manager sind die praktizierenden Autoren (Cunliffe, 2001), die die Erfahrung ihres Lebens in ihrer Organisation retrospektiv konstruieren und neben der zeitlichen Komponente, damit einen Sinn für Kausalität erlangen. „A plot organizes one’s understanding of how, in the narrative, past conditions the present and influence the future.“ (Corvellec 2012:4). Narrative sind somit von großer Wichtigkeit, um Sinn aus organisationalen Ereignisse zu machen, Identität zu konstruieren, strategischen Wandel zu induzieren und voranzutreiben oder auch ganz pragmatisch um politische Vorteile zu erzielen (Boje 1991), aber auch, um Risiken zu erkennen, zu definieren und im Zweifel Helden und Schuldige zu finden (vergl. Gephardt 1993). Selbst bei dem in der Managementlehre und Exzellenz-PR so hochgeschätzten Schmieden von Strategien, zeigt sich auf den zweiten Blick, dass dies nicht das alleinige Machwerk kongenialer Führungskräfte ist, sondern, wie Corvellec (2012:5) unter Berufung auf Barryand und Elmes (1997) schreibt „ad-hoc, conflictual and multi-voiced process of negotiating convincing narratives.“ (ebd.) Methodologisch bedeutet dies sinnvollerweise eine Hinwendung zu den Mitgliedern einer Organisation, denn es sind die „organizational actors who create organizations, and therefore they are the main resource for understanding what organizations truly are and what they are like“ (Czarniawska-Joerges 1992:37). Der auch hier verfolgte interpretative Ansatz zielt also nicht allein darauf ab, die „organisatorischen Strukturen zu erfassen und in ihren Wirkungen zu analysieren, vielmehr stehen die sozialen Konstruktionsleistungen der Akteure im Vordergrund, um erfassen zu können, wie sich aus ihrem Handeln, ihren Deutungen und den vielfachen Wechselwirkungen die Organisation in ihrer sozialen Gesamtheit ergibt.“ (Aljets 2015:15). 113 Die historischen Entwicklung und Strömungen der narrativen Forschung sollen an dieser Stelle nicht erneut nacherzählt werden. Dafür siehe u.a. Czarniawska 1998, 2010, 2015 162 Methodik und Vorgehensweise Die hier angewendete Methodologie ist somit bestrebt, auch ganz im Sinne bspw. von Czarniawska-Joerges (1992) und Czarniawska (1997) eine holistische Perspektive auf die soziale Bedingtheit und der Kontextbezogenheit von Kommunikation und damit der Konstruktion von Unternehmen umzusetzen (vergl. a. Groddeck 2015). Damit es in der Analyse von Organisationen immer um den prozesshaften Nachvollzug interaktiver Bedeutungszuschreibung. Und Organisationen sind somit nicht als Entitäten zu begreifen, sondern als action nets, die in organisationale Felder eingebettet sind und deren kollektiv geteilte, beziehungsweise zu verhandelnde narrative Handlungen zu organisationalen Verweisungsketten führen (vergl.Aljets 2015:215.). Methodologisch führt dies zu einer Vorgehensweise der empirischen Datenaufnahme, die allein im direkten Kontakt mit dem Feld geschehen kann. Ziel der Forschenden müsse es sein, eigene Narrative über organisationale Felder zu konstruieren. Diese sind zwar nicht deckungsgleich mit den Narrativen des Feldes und in diesem Sinne aktiv, gleichsam sind sie realistisch, weil sie sich ebenso wie jedes andere narrative Element in Praxen bewähren müssen (ebd.). Grundsätzlich sieht Czarniawska in den kollektiv narrativ hergestellten Identitäten eines Unternehmens eine Entsprechung in den autobiographischen Erzählungen, wie sie auch bei Personen zu finden sind (vgl.Czarniawska 1997: 41 ff und 142 ff.). Kollektiv bedeutet in diesem Fall keineswegs nur innerhalb eines Unternehmens, sprich physisch in der Arbeitszeit oder auf die jeweilige In-Group des Unternehmens bezogen (vergl. Czarniawska 2015:82), sondern wie Boje feststellt: „…each story is an intertextual framing of reality being chased by wandering and fragmenting groups of spectators.“ (2001:42). Ebenso für die Betrachtung der individuellen Identitätsarbeit der Mitarbeiter, beispielsweise in einem Interview, bedeutet das, dass „identity constructions are viewed as ongoing negotiations of meaning. Narrative interviews can thus be treated as site for narrators` identification process rather than as a textual object for the study of identities as products.“ (Søderberg 2006:400). Um sich diesem Entstehungsprozess und dem Prozess des Geschichtenerzählens zu nähern, sind insgesamt nach Czarniawska drei grundsätzliche Schritte notwendig. Zum einen, das Auffinden und Sammeln von Geschichten. Zweitens, das Lesen der Geschichten und drittens, dass Schreiben der Geschichten. Von ganz wesentlicher Bedeutung für diese Untersuchung ist der erste Punkt das Aufstöbern und Sammeln der Unternehmensgeschichten. Insofern muss eine der wesentlichen Anforderungen sein, ein grundlegendes Gefühl für den internen Diskurs zu diesem Thema im Unternehmen zu erhalten Der Weg dorthin führt über ein möglichst dichtes Erleben des dreidimensionalen Untersuchungsraumes, wie Clandinin und Connelly schreiben. Die Autoren verstehen darunter in Anschluss an John Dewey, aus Narrative Forschung und Analyse 163 den Faktoren „personal and social [Hervorh. i. O.] (interaction); past, present, and future (continuity); combined with the notion of place (situation).“ (Clandinin und Connelly 2000:50). Und weiter: „This set of terms creates a metaphorical threedimensional narrative inquiry space…“ Dieser Rahmen führt, auch unter Rückgriff auf die zuvor erläuterten theoretischen Fundierungen aus der CCO und Sensemaking-Perspektive zur Anwendung von zwei zentralen qualitativen Methoden (vergl. Bell 2003). Zum einen, der teilnehmenden Beobachtung (siehe zum methodischen Vorgehen Abschnitt 3.3.3. und zur operativen Umsetzung 4.4.) und Interviews mit den beteiligten Personen (siehe zum methodischen Vorgehen Kapitel 3.3.2 und zur operativen Umsetzung 4.3.), die zusammengenommen einen intensiven Kontakt mit dem: dreidimensionalen Untersuchungsraum“ erlauben und genügend Gelegenheit bieten Geschichten zu entdecken, Geschichten zu erzählen, zu beobachten und zur Geschichtenproduktion anzuregen. Der Forscher sollte hier also eine gewisse Zeit damit verbringen, zuzuhören, Fragen zu stellen, denn der sicherste Weg Geschichten zu hören ist, „ ganz einfach um Stories zu bitten (Czarniaswska 2015:88). Der zweite oben angesprochene Schritt, des Lesens der Geschichten ist für diese Untersuchung ebenfalls, wenn auch von nachgelagerter Bedeutung. Da es hier um die ganzheitliche Beschreibung des Institutionalisierungsprozesses geht, steht die MikroAnalyse der einzelnen Geschichten nicht im Zentrum der Betrachtung. Gleichwohl ist es aber in jedem Fall so, dass im Zuge der Kodierung, Auswertung und Zusammenfassung der Ergebnisse eine grundsätzliche hermeneutische Interpretation der Texte erfolgt. Hier ist es wichtig zu erkennen, dass auch eine Geschichte, je nach Modellierung, drei oder vier Interpretations- oder Bedeutungsebenen besitzt. Beispielsweise wie im bekannten „Vier-Ohren-Modell“ von Schultz von Thun (2009), die Ebenen des Sachinhaltes, der Beziehung, des Appells und der Selbstoffenbarung oder nach Kohler-Riessman, der „ideational function“, was wurde gesagt, der „interpersonal function“, in welchem Beziehungskontext und der „textual function“, wie wurde etwas gesagt? (KohlerRiessman 1993:21, vergl. auch Czarniawska 2015, Andrews et.al. 2013). Grundsätzlich bleibt vor allem die Frage nach dem wie oder wie es zu der Geschichte kam, ein subjektiver Akt des Forschers, was aber keineswegs automatisch ein Problem oder ein Kritikpunkt sein muss, denn es ist im Kern die professionelle Pflicht des Forschers „eine neue Leseart vorzuschlagen“ (Junne 2015:119). Genau dies soll in der hier vorliegenden Untersuchung geschehen. 164 Methodik und Vorgehensweise 3.3 Empirische Untersuchung In den vorangehenden Abschnitten konnte gezeigt werden, dass es zweckmäßig sein kann, die hier verfolgten und in Kapitel 2.9. beschriebenen Forschungsfragen, mittels eines Methodenmix qualitativer Ansätze zu verfolgen. Diese stützen sich im Wesentlichen auf Interviews, Beobachtungen und Text- und Dokumentenanalyse. Das hier verfolgte Vorgehen läßt sich somit eher als ethnographisch orientierter Ansatz verstehen, der möglichst dicht an das Untersuchungsobjekt herantritt und eine Vielzahl von Quellen nutzt, aber eben dennoch keinen ethnomethodologischen Zugang darstellt (zur Diskussion und Abgrenzung siehe Eberle 2007). Ziel des ethnographischen Vorgehens ist es, möglichst eng an die konkreten Lebens- und Arbeitsumstände des untersuchten Personenkreises heranzukommen (hierzu mehr bei Breidenstein et.al. 2013). Dafür stellt die Ethnografie nicht per se ein festes Methodenset zur Verfügung, was in der konkreten Durchführung die Entwicklung eines gewissen „feldspezifischen Opportunismus“ (ebd.:39) offen läßt, bei dem man zunächst versucht sich weniger auf konkrete Methoden festzulegen, sondern eher im Wechselspiel mit dem Untersuchungsgegenstand versucht den „eigensinnigen Strukturen“ (ebd.) des Untersuchungsfeldes gerecht zu werden. Die methodische Vorgehensweise Grundsätzlich folgt der hier vorliegende Untersuchungsablauf im Wesentlichen der prototypischen Abbildung eines qualitativen Forschungsablaufes in der Kommunikationsforschung, wie er bspw. bei Meyen et.al. 2011: 54 zu finden ist. Dieser besteht erstens aus einer Alltagsbeobachtung, die Widersprüche und Kenntnislücken offenbart, zweitens, der theoretischen Arbeit, drittens der empirischen Arbeit, die sich wiederum in die Schritte Methodendefinition, Auswahl der Untersuchungsinstrumente und Untersuchungseinheiten, der Rekrutierung und Materialsammlung sowie der Erhebung und Auswertung zusammensetzt, und viertens der Darstellung der Ergebnisse. Im Detail lässt sich der erste Schritt der empirischen Datenaufnahme der hier vorliegenden Untersuchung als zweitstufige Exploration verstehen. Am Beginn der gesamten Untersuchung stand zunächst der aus der Berufspraxis des Autors entstandenen Impulses, dass es häufig eine praktische Herausforderung darstellt Mitarbeiter für das Thema CSR und Nachhaltigkeit zu interessieren und diese darin zu involvieren114. Im Anschluss bestätigte eine kursorisch angelegte Vorrecherche des Schrifttums zu CSR 114 Insofern relativ klassisch, wie von Meyen et.al.2011:55 beschrieben von der Alltagsfrage zur Forschungsfrage Empirische Untersuchung 165 und IK, dass es hier auch auf wissenschaftlicher Seite noch viele offene Fragen gibt und dieses Thema nur in Ansätzen bisher untersucht wurde. Darauf aufbauend begann die Exploration des Themas mit zwei Schritten: Zum einen der Befragung von Experten aus verschiedenen Unternehmen, die das Thema CSR und/oder das Thema IK operativ und strategisch verantworten und dann etwas nachgelagert, nachdem ein passendes Fallbeispiel gefunden war, mit der Dokumentenanalyse, die sich in abnehmender Intensität jedoch fast über den gesamten Untersuchungszeitraum von insgesamt gut 18 Monaten erstreckte. Aufbauend auf dieser Exploration folgte dann die empirische Datenaufnahme bei dem untersuchten Fallbeispiel. Grundsätzlich hat sich der Autor hier für eine methodische Triangulation115 durch die Kombination von Interview, Beobachtung und Dokumentenanalyse entschieden. Es macht hier Sinn von Triangulation zu sprechen und diese auch anzuwenden, da die Mehrmethodenanwendung in diesem Fallbeispiel in der Tat einen zunehmenden Erkenntnisgewinn versprach und auch liefern konnte. Vor allem, weil der Anspruch den Institutionalisierungsprozess möglichst ganzheitlich zu untersuchen und sowohl die Sensemaking als auch die Sensegivingprozesse zu untersuchen, es notwendig macht in den Prozess des Organisierens und Kommunizierens von CSR einzutauchen, diese in der freien Entfaltung zu erleben und nicht nur retrospektiv über Interviews oder Verschriftlichungen nachzuempfinden. Dies gilt umso mehr, als dass es grundsätzlicher Anspruch der hier verfolgten rekonstruktiv-interpretativen Vorgehensweise ist, dass der Forscher durch möglichst wenige Eingriffe eine höhere methodische Kontrolle erreichen will und die Betroffenen ihr Relevanzsystem möglichst frei entfalten können (Bohnsack 2014:22). In diesem Sinne haben die Beobachtung von Meetings des Nachhaltigkeits-Steuerungskreises, von Mitarbeiterveranstaltungen und Workshops zum Thema CSR einige wertvollen Facetten und Erkenntnisse zu dem Gesamtbild hinzuaddiert. In den nachfolgenden Abschnitten erfolgt dazu eine genauere methodologische Einordnung der einzelnen Maßnahmen. 3.3.1 Text- und Dokumentenanalyse Wie beschrieben sollte die Dokumenten- und Textanalyse vor allem der Exploration des Themas und der internen Kommunikation des Unternehmens dienen. Dokumente sollen hier nach Salheiser (2014:813) als „natürliche Daten“ verstanden werden, die als verschriftlichte Texte vorliegen, wie beispielsweise Nachhaltigkeitsberichte, In- 115 Vergl. hier auch Meyen et.al. 2011:66 zur kritischen Reflektion des Begriffs der Triangulation und seiner eigentlichen Abstammung aus der Naturwissenschaft 166 Methodik und Vorgehensweise tranet-Meldungen, Mitarbeiterzeitungen, aber auch verschriftlichte Mitteilungen, beispielsweise Ansprachen und Reden von Führungskräften. Wesentlicher Unterschied und deshalb auch die Begrifflichkeit natürliche Daten ist, dass diese Informationen nicht zu Forschungszwecken und ohne Beteiligung des Forschers entstanden sind. Diese sind als prozessproduzierte Daten zu verstehen, die „als Aufzeichnung öffentlicher und privater Organisationen im Rahmen ihrer Tätigkeit und nicht nur zum Zwecke wissenschaftlicher bzw. statistischer Auswertung gesammelt werden bzw. wurden.“ (Müller 1977:1, zitiert nach Salheiser 2014:813f.). Als Artefakte kommunikativer Praxis, sind diese Aufzeichnungen für die hier vorliegende Forschungsfrage von großer Bedeutung, da sie dazu beitragen, die im Unternehmen vorliegenden sozialen Prozesse und Strukturen zu rekonstruieren. Vor allem mit Blick auf die strategischen Dokumente, wie etwa den Nachhaltigkeitsbericht des Unternehmens oder die Rede des Vorstandes zur Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens. Diese sind als das Ergebnis eines iterativen und rekursiven, kommunikativen Prozesses zu verstehen (vergl. Spee und Jarzabkowski 2011), in dem das Thema CSR im Unternehmen mutmaßlich in mehreren Abstimmungsrunden aus Vorlagen von Sachverantwortlichen, inhaltlichem Feedback von Vorgesetzten und weiteren Fachverantwortlichen verhandelt und mehr oder weniger konsensual bestimmt wird. Basierend auf Ricœurs (1981) Konzept der De- und Rekontextualisierung wird durch Verschriftlichung von organisationalem Gespräch (Talk) ein Text, der sich durch eine Distanzierung vom Entstehungskontext (Dekontextualisierung) auszeichnet und von diesem Startpunkt aus auch auf andere bzw. veränderte Kontexte durch die Rücküberführung in Talk (Rekontextualisierung) überführen lässt und dort im veränderten Umfeld mit neuer Bedeutung und Information aktualisiert wird. Das schlussendliche Artefakt als Ergebnis dieses ggf. auch mehrfach ablaufenden Prozesses beinhaltet somit eine Vielzahl von Einflüssen, die einem „realen“ Bild bzw. einem genaueren Abbild der innerbetrieblichen Willensbildung und Diskurs näherkommen. Wie bereits im Abschnitt 2.3. ausführlicher erläutert, haben diese Artefakte auch die Fähigkeit „einen Unterschied zu machen“, sprich Agency im Sinne Coorens: „Analyzing nonhuman agency (whether textual or non-textual) enables us to reconceptualize organizational ontology; that is, the mode of being and doing of organizational forms.“ (Cooren 2004:380). Sie sind damit ein wesentlicher Bestandteil der internen und externen Kommunikation und damit auch für den ganzheitlichen Überblick der hier angestrebten Untersuchung. Art und Umfang der tatsächlich berücksichtigten Dokumente und Texte wird in Kapitel 4.2. noch näher erläutert. Zusammenfassend: „Bei Dokumentenanalysen geht es nicht um Wirkung auf Dritte […], sondern um die Rekonstruktion von Strukturen und Sinn.“ (Meyen et.al.2011:63). Empirische Untersuchung 167 Dabei kann die Dokumentenanalyse andere Verfahren vorbereiten und ergänzen (vergl. ebd.:65). Genau das ist hier passiert, die Dokumente wurden zur fallbezogenen Exploration, aber auch zur Erweiterung und Ergänzung der anderen empirischen Zugänge und Perspektiven gewählt, wobei die inhaltliche argumentative Analyse und nicht die formale oder gar quantitative Betrachtung im Mittelpunkt stand. 3.3.2 Interviews Insgesamt wurden für die hier vorliegende Untersuchung zwei Arten von Interviews geführt (zur operativen Umsetzung, siehe Kapitel 4.3.). Zum einen zur Exploration und Reflexion Interviews mit Experten aus mehreren Unternehmen, zum anderen als zentrale Maßnahme Leitfadeninterviews innerhalb des Fallbeispielunternehmens. Ergänzend dazu z.T. spontane Gespräche mit zentralen Personen und spontane und strukturierte Zufalls-Gespräche mit weiteren Mitarbeitern des Fallbeispielunternehmens (siehe dazu 4.3.3.). 3.3.2.1 Experteninterviews Die Experteninterviews tragen in mindestens zweifacher Weise dazu bei für die hier vorliegende Fragestellung einen besseren Gesamtblick zu erhalten und eine validere Analyse leisten zu können. Zum einen ist es aus Sicht des Autors, besonders als langjährig mit dem Untersuchungsthema befasster Experte notwendig, die eigenen Erwartungen und Einstellungen nochmal auf den Prüfstand zu stellen und auch mit anderen abzugleichen. Nur so lässt sich die Gefahr mindern, zu stark geprägt in die empirische Untersuchung zu starten. Zum anderen können die Experteninterviews sehr gut dazu beitragen, etwaige Erkenntnisse aus dem Fallbeispiel zumindest in einer ersten Reflexion mit denen aus den Interviews gegenüberzustellen und daraus einen Abgleich zu generieren, der möglicherweise hilft erste Übereinstimmung Auffälligkeiten und Abweichungen festzuhalten und in wissenschaftlich und praktisch relevanten Anschlussfragen zu überführen. Methodologisch fügen sich die Experteninterviews nahtlos in den hier vorgegebenen Rahmen ein, dass sie Untersuchungen darstellen, die dort eingesetzt werden, „in denen soziale Situationen oder Prozesse rekonstruiert werden sollen, um eine sozialwissenschaftliche Erklärung zu finden.“(Gläser und Laudel 2010: 13). Experten sind in ihrer spezifischen Rolle als Interviewpartner somit eine Quelle von Spezialwissen über die zu untersuchenden sozialen Sachverhalte. Sie sind damit das Medium und nicht das Objekt (vergl. ebd.) Dabei ist immer wieder Gegenstand intensiver Diskussion (Helfferich 2014, Meuser und Nagel ), wer nun genau den Status eines Experten innehaben 168 Methodik und Vorgehensweise kann und wer nicht. Hier ist unter anderem von spezifischem Rollenwissen (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2008) oder Sonderwissensbeständen (Pfadenhauer 2007) die Rede, das „im Zuge fortschreitender Arbeitsteilung proportional zum Allgemeinwissen an Umfang und Gewicht (im Sinne von Gewichtigkeit) zunimmt.“ (ebd.:451). „Experteninterviews sind eine geeignete Methode zur Analyse von Phänomenen und Prozesse auf der Meso- und Makroebene“, so Blöbaum et.al. (2016:175). Und weiter: „Das Experteninterview, das in der Regel [wie auch in diesem Fall, Anm.d.V.] entlang eines Leitfadens geführt wird, zielt auf spezifische Wissensbestände und adressiert dabei spezifische Gesprächspartner.“ (ebd.:176). Im vorliegenden Fall, weniger zur Theoriegenerierung oder Systematisierung (vergl. Bogner und Menz 2009:64ff.), sondern, wie beschrieben, zur Exploration und Schärfung des Problembewusstsein, das vor allem das „Betriebswissen“ (Blöbaum et.al. 2016: 181) nutzbar machen will und in diesem Fall auch ganz explizit auf die persönlichen Erfahrungen zur Institutionalisierung von CSR im eigenen Unternehmen, subjektiven Eindrücken des Sensemakings und Sensegiving der Kollegen und das ganz persönliche Sensemaking abstellt.116 3.3.2.2 Teilstrukturierte Leitfadeninterviews Als zentrales Element der empirischen Datenaufnahme wurden teilstrukturierte Leitfadeninterviews mit Mitarbeitern und Führungskräften des Unternehmens durchgeführt. Das Interview wurde teilstrukturiert angelegt, um einerseits eine Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Interviews zu gewährleisten und sicherzustellen, dass auch alle relevanten Themen behandelt wurden, andererseits sollte auch genug Freiraum gelassen werden (Loosen 2016), um auch die mit dem Sensemaking verbundenen narrativen Elemente genügend zur Geltung kommen zu lassen. Die Umsetzung durch rein narrative Interviews schien bei genauem Blick auf die forschungsleitenden Fragestellungen nicht die zweckmäßigste Form zu sein.117 Zudem kommt hinzu, dass aus der persönlichen Erfahrung und aus den ersten Eindrücken in den Experteninterview heraus zu vermuten ist, dass das Thema ein sehr spezielles ist, welches nicht di- 116 Für die Erläuterungen zum Leitfaden und der Durchführung der Experteninterviews siehe Abschnitt 4.3.1. 117 Wie sich auch später durch die Schwierigkeiten bei der Durchführung der MMT-Interviews bestätigt hat, siehe dazu 6.5.1. Empirische Untersuchung 169 rekt zu dem Eindrucksvollsten gehört, was die Mitarbeiter in der täglichen Arbeit beschäftigt.118 Und hier auch nicht, wie beschrieben, die feinsprachliche narrative Analyse einzelner Storys im Mittelpunkt steht, sondern die ganzheitliche Abbildung des Institutionalisierungsprozesses von CSR und den innerbetrieblichen Diskurs. Insofern ist eine gewisse narrative Rekonstruktion (Wattanasuwan et. al. 2007) ein Ziel - aber eher in der Form eines teilstrukturierten Leitfadeninterviews mit konkreten narrativen Bestandteilen, die dann allerdings nicht zu Lasten der anderen Fragestellungen gehen. Vor allem durch direkte Bitten, um das Erzählen und Erinnern von konkreten Momenten (Czarniawska 2004) oder auch durch die Integration der von Brenda Dervin vorgeschlagenen Micro-Moment-Timeline-Interview (MMTI)-Methode. Mögliche Fragestellungen und methodische Ansätze nach Brenda Dervin Das zuvor beschriebene dialogische Verständnis von Sensemaking (Kapitel 2.7.) legt, wie beschrieben, einen narrativen Fokus nahe, da die Interviewten bei einer Befragung versuchen werden ihre Erlebnisse durch Plots und Stories zu organisieren, die ihre kognitiven und affektiven Motivationen freilegen wird und ihr Informationsverhalten kontextualisieren wird. (Chun 2014, Küsters 2014). Hier bietet die Verbindung von narrativer Analyse und Sensemaking großes Potenzial, welche Dervin durch ein umfassendes Methodenset innerhalb der SMM zu realisieren versucht hat. Beispielhaft sei hier kurz das so genannte Micro-Moment-Timeline Interview (MMTI) vorgestellt (dazu ausführlicher u.a. Dervin und Foreman-Wernet 2003). Im MMTI wird der Teilnehmer gebeten eine bestimmte Situation zu rekonstruieren. Beispielsweise: Erinnern Sie sich, als Sie das erste Mal durch Ihren Vorgesetzten mit dem Thema CSR konfrontiert wurden? Der Teilnehmer wird dann gebeten jeden einzelnen Teilschritt der darauf folgte im Detail zu erläutern. Der Fokus des Interviews liegt dabei auf dem Sensemaking-Dreieck (s. Abb.24) mit dessen Hilfe die Situation umkreist und eingeengt wird. 118 Was letzlich ja auch der Grundimpuls für das Forschungsvorhaben darstellte, siehe Kapitel 1. 170 Methodik und Vorgehensweise Abbildung 24: Das Sense-Making-Dreieck nach Reinhard und Dervin, nach Reinhard und Dervin 2011:37, eigene Darstellung So wird, für jeden identifizierbaren Teilschritt explizit und in möglichst gleichartiger Weise nach den situativen Umständen, den Fragen und Herausforderungen (Gaps) sowie den Hilfen, Hinderungsgründen und Ergebnissen gefragt. Der Teilnehmer wird dabei so wenig wie möglich unterbrochen oder durch das Einbringen fremder Kategorien/Substantive beeinflusst. Das MMTI „erlaubt es den Teilnehmern nach eigenen Bedingungen ihre Situationen und ihre Gaps zu definieren und zu beschreiben, wie sie diese überbrückt haben und wie sie neuen Sinn für sich in Anwendung gebracht haben.“ (Dervin1984/2003:256f.). Als exemplarischen Fragenkatalog hat Dervin folgenden (wiederkehrenden) Ablauf vorgeschlagen (vergl. Cheuk und Dervin 2011:128): • Was hat zu dieser Situation geführt? • Worauf wollten Sie in der Situation hinaus? • Welche Fragen (Gaps) hatten Sie? • Welche Hilfen haben Sie erhalten? • Inwiefern haben diese ihnen geholfen? • Was hat Sie (wie) behindert/zurückgehalten? • Welche Emotionen/Gefühle haben Sie erlebt? • Wenn Sie einen Zauberstab gehabt hätten, was hätten Sie sich gewünscht? Die Fragen sind in der empirischen Umsetzung beliebig ausweit- und austauschbar, sollten sich aber immer ausdrücklich an dem Sense-Making-Dreieck orientieren, gleiches gilt auch für die nachfolgende Kodierung und Analyse der Interviews. Empirische Untersuchung 171 Eine wesentliche Gefahr des teilstrukturieren Leitfadeninterviews ist, neben den bekannten Interviewereffekten (vergl. Glantz und Michael 2014), dass es statt der als mehrwertstiftenden angesehen Kombination aus freiem narrativen Erzählen und konsequenter Behandlung und Abfrage aller relevanten Forschungsfragen, genau durch diesen Kombinationsversuch zu einem substanziellen Verlust auf beiden Seiten des Spektrums kommt und am Ende keine der intendierten Richtungen wirklich relevant zum Zuge gekommen ist. Diese Gefahr ist real und die Wahrscheinlichkeit des Eintretens von jeder neuen Interviewsituation, dem Verhalten und der Einstellung des jeweiligen Interviewpartners und dem Geschick und der Erfahrung des Forschers abhängig. Dennoch hat der Autor sich für diese Vorgehensweise entschieden. Zum einen, weil von dem grundsätzlichen Wohlwollen und der positiven Einstellung zur Forschung der Interviewpartner ausgegangen werden kann, die allesamt freiwillige an den Interviews teilnehmen, zum anderen, weil der Autor davon überzeugt ist, dass dieser Aufbau dem ganzheitlichen Ansatz seiner Forschung am gerechtesten wird und weil er zunächst davon ausgeht, dass er durch seine bisherigen Erfahrungen u.a. als Journalist in der Lage ist auch längere Interviews sinnvoll zu strukturieren und auch zu überblicken. Ein wesentlicher Punkt, durch den versucht wurde die Interviewsituation so offen und entspannt wie möglich zu gestalten, war der wiederholte Hinweis an die Interviewpartner, dass es sich bei der Erhebung in keiner Weise um eine Auftragsarbeit des Vorstandes und ebenso nicht um eine normativ ausgerichtete Untersuchung handelt. Es also in keiner Weise darum ging, die Arbeit der Interviewpartner, Ihr Engagement oder Verständnis von und für das Thema CSR zu bewerten, sondern lediglich zu verstehen, wie, was und warum in diesem Zusammenhang Ihre Gedanken und Erfahrungen waren und dass zudem die Interviews vertraulich seien und anonymisiert weiterverarbeitet würden und selbstverständlich auch das Unternehmen keinen Einfluss auf die Untersuchung nimmt und auch die Interviewdaten nicht zur Verfügung gestellt bekommt. 3.3.3 Beobachtung Einer der wesentlichen Unterschiede einer ethnographisch orientierten Untersuchung gegenüber anderen Methoden ist, dass in dieser der Forscher nicht davon ausgeht, automatisch zu wissen, was die zweckmäßigsten Antworten sind und sowohl Fragen als auch Antworten der jeweiligen sozialen Situation entspringen müssen (Schwartzman 1993). Ein wesentlicher Bestandteil einer solchen Untersuchung muss es also sein, zuzuhören und zu beobachten. Dennoch gehört die Beobachtung zu den eher weniger angewendeten Methoden in der Kommunikationswissenschaft und ge- 172 Methodik und Vorgehensweise nießt einen zweigespaltenen Ruf (Vicari 2016), obwohl sie sich sehr gut für die explorative Forschung eignet und weit weniger Wissen über den Gegenstand erfordert. Die Entscheidung für diese Methode war rein inhaltlich getrieben. Aus Sicht des Autors war es notwendig, auch durch längere physische Präsenz in das organisationale Umfeld, die persönlichen Beziehungen, Abläufe und Strukturen einzutauchen, wenn es am Ende gelingen soll ein ganzheitliches Bild vom Institutionalisierungsprozess von CSR im Unternehmen zu erhalten und ein belastbares Gespür für die Verhandlung und Übersetzung des Themas im Unternehmen zu erhalten. Inhaltlich wurde in den Beobachtungen der Fokus auf die kommunikative Verhandlung und Übersetzung von CSR in der innerbetrieblichen und interpersonalen Diskussion und Kommunikation und die damit verbundenen Hinweise auf Prozesse, und Strukturen sowie Stories und Narrative gerichtet. In der Durchführung wurden die Beobachtungen als offene, passive teilnehmende Beobachtung (Diekmann 2010:564) durchgeführt, um das Feld so wenig wie möglich zu verändern und auch neutral beobachten zu können (Thierbach und Petschick 2014). Im Großen und Ganzen wurde die passive Beobachterrolle von den Teilnehmer akzeptiert und man konnte bereits nach wenigen Stunden feststellen, dass der Autor in gewisser Weise als Teil der Gruppe bzw. wenigstens als vertrauenswürdiger Gast akzeptiert wurde. Selbstverständlich unterliegt aber auch diese Methode einigen Gefahren durch Verfälschungen, durch den Bias des Forschenden, aber auch allein durch die Auswahl der zu beobachtenden Situationen (vergl. Ruso 2007). So wurden, aufgrund eines beschränkten Zugangs zum Unternehmen, beispielsweise eher punktuelle Ereignisse beobachtet, statt des normalen Arbeitsalltags und die Alltagskonversation, beispielsweise durch ein Shadowing bestimmter handelnder Personen. Diese Netzwerkevents, wie Arbeitskreissitzungen, die mit vorbereiteter Agenda und (oft vorher abgestimmten) Präsentationsmedien alle paar Wochen abgehalten werden, oder vorbereitete und moderierte Workshops und Aktionstage. Hier ist keine normale Arbeitssituation vorzufinden, da das Setting entweder durch den Rhythmus oder die Durchführungsart zur besonderen Situation wird, die für alle Beteiligten zumindest keine normale Alltagssituation und auch keinen geschützten Raum, wie eines vertraulichen persönlichen Gespräches, darstellt. Die Entscheidung dafür war, Einschränkungen im Feldzugang von Seiten des Unternehmens, aber auch der zeitlichen Beschränkung des Autors geschuldet. Dennoch stellten diese Events als Netzwerkevents eine gute Möglichkeit dar, das abteilungsübergreifende Zusammenarbeiten und das Zusammenspiel mehrerer Hierarchieebenen zu beobachten.