Original
Original
Neuropsychiatrie, Band 20, Nr. 3/2006, S. 174–185
Psychische Gesundheitsversorgung in
Österreich – Eine Beurteilung durch
unterschiedliche Gruppen von Psychiatriebetroffenen auf Grundlage der Empfehlungen
der Weltgesundheitsorganisation
Ullrich Meise1,2, Hubert Sulzenbacher1, Bianca Eder1, Günter Klug2,3,
Werner Schöny2,4 und Johannes Wancata2,5
1 Universitätsklinik für Psychiatrie, Medizinische Universität Innsbruck
2 Institut für Mental Health Promotion und Mental Disorder Prevention,
pro mente austria, Linz
3 Gesellschaft zur Förderung seelischer Gesundheit, Graz
4 Wagner-Jauregg-Krankenhaus, Linz
5 Universitätsklinik für Psychiatrie, Medizinische Universität Wien
Schlüsselwörter:
World Health Report 2001 – Europäische
Ministerielle WHO-Konferenz – Österreich
– psychiatrische Versorgung – Befragung
Key Words:
World Health Report 2001 – European
Ministerial WHO Conference on Mental
Health – Austria – mental health care –
survey
Psychische Gesundheitsversorgung
in Österreich – Eine Beurteilung
durch unterschiedliche Gruppen
von Psychiatriebetroffenen auf
Grundlage der Empfehlungen der
Weltgesundheitsorganisation
Anliegen: Es sollte untersucht werden, wie verschiedene Gruppen von
„Psychiatrie-Betroffenen“ die psychiatrische Versorgung in Österreich
beurteilen. Methodik: Insgesamt
wurden im gesamten Bundesgebiet
181 Personen befragt, die sich zu
© 2006
Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle
ISSN 0948-6259
etwa gleichen Teilen aus TherapeutInnen, VertreterInnen der Gesundheitspolitik bzw. -verwaltung, PatientInnen und Angehörigen rekrutierten.
Der Fragebogen umfasste 151 Fragen
basierend auf den Handlungsempfehlungen für die 10 Aktionsbereiche des „World Health Report
2001“. Ergebnisse: Insgesamt wurde
die Umsetzung jener Empfehlungen,
die sich auf die erforderlichen Ressourcen beziehen, als durchwegs
positiv beurteilt. Auch die Fragen zur
Umsetzung der Empfehlungen für
Mental Health Promotion sowie Einbeziehung von Patienten bzw. Angehörigen in Entscheidungsprozesse
erhielten eine ausreichende Zustimmung. Die Integration der psychiatrischen Versorgung in die medizinische
Grundversorgung sowie die Umsetzung Gemeindepsychiatrischer Versorgung wurden als unzureichend
beurteilt. Die Umsetzung der gesundheitspolitisch relevanten Empfehlungen wurde von den Befragten – bis
auf die VertreterInnen aus Politik und
Verwaltung – negativ beurteilt. Ebenso negativ fiel die Be-urteilung von
Prävention, Gesundheitsberichterstattung und Forschung aus. Die vier
Gruppen von Befragten unterschieden sich hinsichtlich des Grades ihrer
Zustimmung zum Teil signifikant
(generell positive Beurteilung durch
VertreterInnen aus Politik und Verwaltung, negativste Beurteilung
durch die Angehörigen). Schlussfolgerungen: Im Vergleich zu den
Empfehlungen der WHO und der EUMinisterInnen dürfte die psychiatrische Versorgung in Österreich Defizite aufweisen. Auch die Umsetzung
von Bereichen, für die seit Jahren ein
breiter Konsens besteht (z.B. Gemeindepsychiatrische Versorgung), wurde
negativ beurteilt.
Mental Health Care in Austria – An
Evaluation Based on the Recommendations of the World Health
Organisation by Mental Health
Professionals, Health Politicians
and -Administrators, Patients and
Relatives
Objective: The aim of the present
study was to investigate how several
groups of those in contact with psychiatry assess the mental health care
system in Austria. Methods: Overall,
Psychische Gesundheitsversorgung in Österreich
181 persons (about equal numbers of
psychiatric professionals, health policy makers, patients, relatives) from
all Austrian provinces participated in
this survey. The questionnaire consisted of 151 questions based on the
recommendations for the 10 areas of
action suggested by the „World
Health Report 2001“. Results: The
realization of recommendations
concerning the resources necessary
for mental health care were consistently assessed as positive. Recommendations concerning mental health
promotion as well as the involvement
of patients and relatives were judged
to be realized to a sufficient degree.
The integration of mental health care
into the general medical care system
as well as the implementation of community psychiatric services were
assessed to be not satisfactory. The
establishment of national policies,
programmes and legislation was criticised by study participants (except by
health policy makers) to be insufficient. Similarly, prevention, health
information systems and research
were judged to be unsatisfactory. The
four groups of study participants
were (in part) significantly different
concerning their opinions. Overall,
health policy makers had the most
positive view, while relatives reported a very negative rating of the mental health care system. Conclusions:
Using the recommendations of the
World Health Organisation and of the
European Ministerial Conference as a
yardstick, the mental health care system in Austria seems have several
shortcomings. Similarly, the implementation of targets which are agreed
since a long time by all players in the
mental health field (e.g. implementation of community psychiatric services) was assessed to be insufficient.
Einleitung
Zwei Ereignisse, die von der Öffentlichkeit – aber auch weitestgehend
von der Psychiatrie – kaum wahr-
genommen wurden, markieren einen
sich ändernden politischen Stellenwert der psychiatrischen Gesundheitsversorgung. Diese zwei Schlüsselereignisse lassen hoffen, dass sich
die an der Reform der Psychiatrie
Beteiligten nicht mit jenen Erfolgen
zufrieden geben müssen, die bislang
schon erreicht wurden. Es handelt
sich bei diesen „Meilensteinen“ um
den World Health Report 2001 und
um die Europäische Ministerielle
WHO-Konferenz, die Anfang 2005 in
Helsinki veranstaltet wurde.
„Wir, die bei der Ministeriellen WHOKonferenz von 12. bis 15. Jänner 2005
in Helsiniki versammelten GesundheitsministerInnen der Mitgliedstaaten der Europäischen Region..., erklären, dass psychische Gesundheit und
psychisches Wohlergehen grundlegend für die Lebensqualität des einzelnen Menschen sowie von Familien,
Gemeinschaften und Nationen sind
und es den Menschen ermöglichen, ihr
Leben als sinnvoll zu erfahren und
sich als kreative und aktive Bürger zu
betätigen. Wir erkennen an, dass die
Förderung der psychischen Gesundheit und die Prävention sowie die
Behandlung, Pflege und Rehabilitation bei psychischen Gesundheitsproblemen für die WHO und die Europäische Union... ein vorrangiges Anliegen darstellen ... In diesen Resolutionen werden die Mitgliedsstaaten
eindringlich gebeten, Maßnahmen zu
ergreifen, um die durch psychische
Gesundheitsprobleme
bewirkte
Krankheitslast zu verringern und das
psychische Wohlergehen zu steigern.“
Psychische Erkrankungen werden
zunehmend als schwerwiegendes
Problem erkannt.
Diese Äußerungen in der Präambel
zur „Helsinki-Konferenz“, die unter
das Motto „Herausforderungen annehmen, Lösungen schaffen“ gestellt
wurde, setzen zweifelsohne neue
Maßstäbe. Ein Aktionsplan [1] sowie
das nachfolgende Grünbuch [2] über
Strategien, die die psychische Gesundheit der Menschen in der EU ver-
25175
bessern sollen, lassen keinen Zweifel,
dass diese Absichten ernsthaft
gemeint sind. Innerhalb der nächsten
10 Jahre sollen nachstehende Prioritäten verfolgt werden. Dabei gilt es:
•
•
•
•
•
das Bewusstsein von der Bedeutung des psychischen Wohlbefindens zu fördern,
gemeinsam gegen Stigma, Diskriminierung und Ungleichbehandlung anzugehen, Menschen mit
psychischen Gesundheitsproblemen und ihre Angehörigen zu
stärken und zu unterstützen und
sie an diesem Prozess aktiv zu
beteiligen,
umfassende, integrierte und effiziente psychiatrische und psychosoziale Versorgungssysteme zu
entwerfen und jene zu implementieren, welche die Förderung,
Prävention, Behandlung und Rehabilitation, Pflege und Genesung
vorsehen,
dem Bedürfnis nach kompetenten
und in allen diesen Bereichen leistungsfähigen Mitarbeitenden zu
entsprechen,
die Erfahrungen und das Wissen
der Betroffenen und der Betreuenden (damit sind auch die Angehörigen gemeint) als wichtige
Grundlage für die Planung und
Entwicklung von Diensten anzuerkennen.
Die für die Umsetzung empfohlenen
Maßnahmen wurden zu zwölf Aktionsbereichen zusammengefasst [1].
Diese Initiative der finnischen EUPräsidentschaft – die als ein erster
Schritt für eine gemeinsame europäische Politik für die psychische
Gesundheit bezeichnet werden kann
– hat ihre Wurzeln in dem von der
WHO im Weltgesundheitsbericht des
Jahres 2001 formulierten Empfehlungen [3]. Dieser Bericht mit dem
Titel „Mental Health: New Understanding, New Hope“ – der sich
selbst wiederum an den vor einer
Dekade von der UN-Hauptversammlung aufgestellt Grundsätzen orien-
Meise, Sulzenbacher, Eder, Klug, Schöny, Wancata
tiert [4] – kann als ein Meilenstein für
das sich ändernde Verständnis von
psychischen Gesundheitsproblemen
bezeichnet werden. Es besteht breite
Übereinkunft, dass die menschliche,
soziale und wirtschaftliche Dimension der psychischen Gesundheit
mehr Aufmerksamkeit durch Politik
und Öffentlichkeit bedarf.
Aufbauend auf einem bio-psychosozialen Verständnis für psychische
Gesundheit und – Krankheit werden
in diesem WHO-Gesundheitsbericht
für zehn Aktionsbereiche Empfehlungen zur Umsetzung formuliert.
Wie im Grünbuch der EU-Kommission ausgeführt [2], besteht eine
höchste Priorität darin, eine für alle
psychisch Erkrankten zugängliche,
wirksame und qualitativ hochwertige
psychiatrische Behandlung und Versorgung bereitzustellen. Ärztliche
Interventionen tragen zwar erheblich
zur Problemlösung bei, können alleine jedoch nicht die psycho-sozialen
Determinanten verändern. In der
WHO- und der EU- Strategie und den
Empfehlungen ist ein umfassender
Ansatz vorgesehen, der zum einen die
Behandlung und Rehabilitation von
Einzelpersonen umfasst, zum anderen sich auch an die Gesamtbevölkerung richtet in dem Bestreben, die
psychische Gesundheit zu fördern,
psychische Erkrankungen zu verhüten und gegen Stigmatisierung und
Verletzungen der Menschenrechte
anzugehen [5-10] .
Das Interessante am Aufbau der
Handlungsempfehlungen im World
Health Report 2001 ist, dass sie in
Abhängigkeit von den in einem Land
verfügbaren Ressourcen – insbesondere dem Zustand der Gesundheitsversorgung – an die Situation
jedes Staates der Welt angepasst werden können. Da diese Forderungen
wichtige gesundheitspolitische und
gesetzliche Voraussetzungen beinhalten, besteht somit auch die Chance, dass die psychiatrische Gesundheitsversorgung in jedem Land verändert und weiterentwickelt werden
kann [11-14]. Im Schlusskapitel des
World Health Report mit der ermutigenden Überschrift „The Way Forward“ werden für drei Szenarien
(Szenarium A: Staaten mit sehr geringen Ressourcen; Szenarium B: Staaten mit mittleren Ressourcen; Szenarium C; Staaten mit vielen Ressourcen) jeweils 10 Aktionsbereiche,
die konkrete Empfehlungen für Interventionen beinhalten, festgelegt.
Ziele der Befragung
Im November 2005 fand in Linz die
Österreichische Psychiatrieenquete
unter dem Titel „Die Zukunft der
Österreichischen Psychiatrie“ [15, 16]
statt. Sie wurde von pro mente Austria
gemeinsam mit der Österreichischen
Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie im Auftrag des BM für
Gesundheit und Generationen veranstaltet. Für diese Tagung wollten wir in
Erfahrung bringen, wie vier unterschiedliche Gruppen von Betroffenen
(TherapeutInnen, politisch oder administrativ für die psychische Gesundheit Verantwortliche, PsychiatriepatientInnen und Angehörige von psychisch Erkrankten) die Situation der
psychiatrischen Gesundheitsversorgung in unserem Land beurteilen.
Dazu wurden die von der WHO in
ihrem Gesundheitsbericht empfohlenen Interventionen herangezogen und
dafür als Benchmarks für die Bewertung verwendet. Da diese Handlungsempfehlungen weitestgehend mit jenen, die im Europäischen Aktionsplan
für psychische Gesundheit 2005 formuliert wurden, übereinstimmen, sollte diese Befragung einen Hinweis
geben wie die psychiatrische Gesundheitsversorgung – bezogen auf diese
WHO- und EU-Anforderungen – in
Österreich beurteilt wird. Auch interessierte uns, wie bei dieser tetralogisch
ausgerichteten Befragung, die einzelnen Gruppen von “Psychiatriebetroffenen“ den Ist-Zustandes der psychiatrischen Versorgung ähnlich bewerten.
26176
Methodik
Für diese Befragung wurde ein Fragebogen konzipiert der sich an den
Handlungsempfehlungen der WHO
[3, Seite 114] „Minimum actions
required for mental health, based on
overall recommendations“ orientierte. Dazu wurden die Empfehlungen,
die in zehn Aktionsbereichen jeweils
für die Szenarien A, B und C getrennt
angegeben wurden, in Fragen formuliert. Dieser Fragenkatalog wurde
von den Autoren nur marginal
ergänzt. Im Anhang ist dieser Fragebogen dargestellt.
In allen neun österreichischen Bundesländer wurden aus den vier Gruppen von Betroffenen (TherapeutInnen, politisch oder administrativ
für die psychische Gesundheit Verantwortliche, PsychiatriepatientInnen
und Angehörige von psychisch Erkrankten) jeweils 5 Personen mit diesem Fragebogen telefonisch oder persönlich konfrontiert. Die 51 Fragen
sollten dabei entweder mit „ich stimme zu“, „ich stimme nicht zu“ oder
„ich weiß nicht“ beantwortet werden.
Die Rekrutierung der InterviewpartnerInnen, die über ein ausreichenden
Wissen bezüglich der psychiatrischen
Versorgungssituation in ihrem Bundesland verfügen sollten, erfolgte
durch die Mitgliedsorganisationen
von pro mente austria. Die telefonischen Interviews wurden von ein und
derselben Person durchgeführt.
Die statistische Auswertung der Ergebnisse wurde mit Hilfe des SPSS
11.0 durchgeführt. Die Signifikanztestung von Gruppenunterschieden
erfolgte mit dem Chi-Quadrat-Test
sowie mit dem t-Test für unabhängige
Gruppen.
Psychische Gesundheitsversorgung in Österreich
Ergebnisse
denten konnten die Fragebögen ausgewertet werden. Das Alter der Befragten
lag zwischen 23 und 84 Jahren (Mittelwert 48,9 Jahre). Die Befragten
stammten aus allen Bundesländern
(Abbildung 1). Sie lassen sich den vier
Gruppen – TherapeutInnen, Politik
und Verwaltung, PatientInnen und
Angehörige – zu etwa gleichen Teilen
zuordnen (Tabelle 1). Die Gruppe der
VertreterInnen aus Politik und Verwaltung fiel zahlenmäßig etwas geringer
aus, da sie am schwierigsten erreichbar
war. In der Gruppe der Angehörigen,
die sich zumeist aus Mitgliedern der
HPE-Selbsthifeorganisationen rekrutierten, überwogen die Frauen. Nur im
Bundesland Niederösterreich gestaltete
sich die Befragung aus organisatorischen Gründen schwierig.
Beschreibung der befragten Gruppen:
Aus den von den einzelnen pro mente
austria Mitgliedsorganisationen übermittelten Personenlisten konnten 108
„Betroffene“ telefonisch befragt werden. 73 Personen wurden entweder
face to face befragt oder es wurde
ihnen – oft auf Wunsch – der Fragebogen zugeschickt. Lediglich 3 lehnten ein Interview ab; von 17 Personen
wurde der Fragebogen nicht retourniert.
An der Untersuchung nahmen
181 Personen (männlich : weiblich =
47% : 53%) teil. Von 177 Respon-
Einschätzung
des Wissens
der Befragten:
18
Burgenland
Insgesamt schätzten die Befragten
ihr Wissen über
die Situation der
psychiatrischen
Versorgung
in
ihrem Bundesland mit einem
Durchschnittswert von 2,19
(auf einer Skala
von 1 bis 5 dem
Schulnoten-System entsprechend) als recht gut
ein. Die einzelnen
Gruppen unterschieden sich allerdings dabei:
Während Thera-
21
Kärnten
Niederösterreich
27177
6
18
Oberösterreich
20
Salzburg
19
Steiermark
38
Tirol
19
Vorarlberg
22
Wien
Abbildung 1: Regionale Zusammensetzung des
Untersuchungssamples
Befragte
Anzahl
% Frauen
Alter
Wissen (1-5)
TherapeutInnen
52
32,7
47,0 (± 7,6) Jahre
1,73
Politik/Verwaltung
32
40,6
47,5 (± 6,8) Jahre
1,97
PatientInnen
45
48,9
42,6 (± 9,8) Jahre
2,64
Angehörige
48
85,4
57,7 (± 10,7) Jahre
2,41
Tabelle 1: Soziodemographie des Untersuchungssamples
peuten ihr Wissen mit der Note 1,73
und die für Politik und Verwaltung
Verantwortlichen mit 1,97 beurteilten, waren PatientInnen mit der Note
2,64 und Angehörige mit 2,41 von
ihrem Wissen weniger überzeugt.
Beurteilung der psychiatrische
Versorgungssituation in Österreich gemäß den im „World Health
Report 2001“ formulierten Handlungsempfehlungen:
In diesem Bericht der WHO wurden für
zehn Aktionsbereiche Empfehlungen
formuliert, die jeweils den drei Szenarien (Szenarium A: Staaten mit sehr
geringen Ressourcen; Szenarium B:
Staaten mit mittleren Ressourcen; Szenarium C: Staaten mit vielen Ressourcen) angepasst wurden. Für diese Befragung wurden die Handlungsempfehlungen in Fragen gefasst und konnten
entweder mit „ich stimme zu“, „ich
stimme nicht zu“ oder „ich weiß nicht“
beantwortet werden.
Abbildung 2 stellt dar, inwieweit alle
Respondenten zustimmten, dass die
51 in Fragen gefassten Empfehlungen
in Österreich bereits in irgend einer
Art und Weise umgesetzt wurden. Es
zeigt sich, dass zu einigen Aktionsbereichen (I, VI, VIII, X) lediglich
etwa die Hälfte der Befragten dem
zustimmten; in zwei Bereichen (III
und IX) lag die Zustimmung deutlich
unter 50%. Für vier Aktionsbereiche
(II, IV, V, VII) waren etwa zwei Drittel aller Befragten der Meinung, dass
diese Empfehlungen in Österreich
bereits verwirklicht wurden.
In der Abbildung 3 wird der Prozentsatz an Zustimmung aller Befragten
für die drei Szenarien (A, B und C)
getrennt dargestellt. Besonders für die
Empfehlungen für die Szenarien B
und C (die eigentlich für Österreich
gelten sollten) ist für manche Aktionsbereichen ein deutlicher Abfall in der
Zustimmung zu beobachten.
Insgesamt positiv beurteilt wurde die
Umsetzung jener Empfehlungen, die
Meise, Sulzenbacher, Eder, Klug, Schöny, Wancata
28178
,54
A1
A1
A2
,71
A2
,39
A3
A3
A4
,67
A5
A4
,78
A5
,51
A6
A6
A7
,85
A7
,52
A8
A9
A8
,36
A9
LEVELA
A10
A10
,57
LEVELB
LEVELC
0
0,5
1
0
0,5
1
Abbildung 2: Mittelwerte der Zustimmung aller Befragten
zu den zehn Aktionsbereichen für die Szenarien A, B, und C gemeinsam
Abbildung 3: Mittelwerte der Zustimmung aller Befragten
zu den zehn Aktionsbereichen für die Szenarien A, B, und C getrennt
Szenarium A = Länder mit sehr geringen Ressourcen, Szenarium
B = Länder mit mittleren Ressourcen, Szenarium C = Länder mit
sehr guten Ressourcen
A= Aktionsbereich; 0 = „Ich stimme nicht zu“, 1 = „Ich stimme zu“
A = Aktionsbereich; 0 = „Ich stimme nicht zu“,
1 = „Ich stimme zu“
LEVEL A; Szenarium A = Länder mit sehr geringen
Ressourcen, LEVEL B; Szenarium B = Länder mit mittleren
Ressourcen, LEVEL C; Szenarium C = Länder mit sehr guten
Ressourcen
,77
,79
,57
TherapeutInnen
,37
TherapeutInnen
,49
,40
,80
,78
,62
Politik/Verwaltung
,41
Politik/Verwaltung
,60
,53
,70
,68
,59
PatientInnen
,42
PatientInnen
,46
,45
,63
,61
Szenarium A
,49
Angehörige
Szenarium A
,24
Angehörige
,42
Szenarium B
,37
Szenarium B
Szenarium C
0
0,5
1
Abbildung 4: Mittelwerte der Zustimmung zu den 10
Aktionsbereichen gemeinsam, getrennt nach
den vier Gruppen von Befragten und den
Szenarien A, B, und C
Szenarium A = Länder mit sehr geringen Ressourcen,
Szenarium B = Länder mit mittleren Ressourcen,
Szenarium C = Länder mit sehr guten Ressourcen
0 = „Ich stimme nicht zu“, 1 = „Ich stimme zu“
Szenarium C
0
0,5
1
Abbildung 5: Mittelwerte der Zustimmung zu dem Aktionsbereich I („Den Zugang zu einer guten Primärversorgung für psychische Gesundheitsprobleme schaffen“), getrennt nach den vier Gruppen
von Befragten und den Szenarien A, B, und C
Szenarium A = Länder mit sehr geringen Ressourcen,
Szenarium B = Länder mit mittleren Ressourcen,
Szenarium C = Länder mit sehr guten Ressourcen
0 = „Ich stimme nicht zu“, 1 = „Ich stimme zu“
Psychische Gesundheitsversorgung in Österreich
sich auf die für die psychiatrische Versorgung erforderlichen Ressourcen
beziehen. Diese sind in den Aktionsbereichen II und VII beinhaltet
(II = Die Verfügbarkeit von Psychopharmaka und Psychotherapie sicherstellen; VII = Humanressourcen und
Ausbildung für die psychischen Versorgung bereitstellen). Die geringe
Zustimmung zum Aktionsbereich II
für das Szenarium C ist vor allem darauf zurückzuführen, dass der Zugang
zur psychotherapeutischen Behandlung als nicht flächendeckend vorhanden angesehen wurde.
Auch die Fragen zu den Aktionsbereichen IV und V (IV = Psychische
Gesundheit fördern, gegen Stigma
und Diskriminierung vorgehen; V =
Betroffene und ihre Familien einbeziehen) erhielten für alle drei Szenarien eine zufrieden stellende
Zustimmung, die durchgängig über
60 % lag.
Die Zustimmung zum Aktionsbereich
I (Den Zugang zu einer guten Primärversorgung für psychische Gesundheitsprobleme schaffen) lag für die
Szenarien B und C deutlich unter
50 %. Dafür ist die Meinung verantwortlich, dass psychiatrische Aspekte
in der Ausbildung von Gesundheitsberufen keinen großen Stellenwert hätten und dass z.B. Ärzte selten
psychiatrierelevante Fortbildung in
Anspruch nähmen. Besonders für
diesen Aktionsbereich konnte ein
deutlich höherer Prozentsatz von „ich
weiß nicht“-Antworten beobachtet
werden; es besteht dabei vor allem
Unklarheit, ob und in welchem Ausmaß praktische Ärzte in psychiatrischen Belangen aus- und fortgebildet werden.
Für den Aktionsbereich III (Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen durch gemeindenahe
Dienste behandeln) ist ebenfalls die
Zustimmung zu den Empfehlungen,
wie sie für die Szenarium B und C
formuliert wurden, gering. Dafür
waren vor allem jene Empfehlungen
verantwortlich, die sich auf geforderte Veränderungen für das psychiatrische Krankenhaus bezogen. Erstaunlich ist in diesem Kontext, dass
etwa ein Drittel der Befragten der
Ansicht waren, dass die psychiatrischen Krankenhäuser nicht verkleinert worden seien und sich auch
hinsichtlich ihrer Behandlungsqualität nicht verbessert hätten. Auch der
Ausbaugrad der gemeindenahen Einrichtungen und Dienste für die psychiatrische Versorgung wurde als
unzureichend erachtet; etwa ein Drittel war der Ansicht, dass nicht einmal
20 % der erforderlichen Ressourcen
vorhanden seien.
Der für die Entwicklung der psychiatrischen Versorgung als besonders
wichtig anzusehende Aktionsbereich
VI (Eine nationale Psychiatriepolitik,
Versorgungsplanung und Gesetzgebung etablieren) wurde ebenso nicht
positiv beurteilt. Bis auf die Befragten aus der Gruppe Politik und Verwaltung, die eine höhere Zustimmung aufwiesen, waren über die
Hälfte der Befragten aus den übrigen
drei Gruppen (jedoch immerhin auch
ein Fünftel der VertreterInnen aus
Politik und Verwaltung ) der Ansicht,
dass den psychischen Erkrankungen
von der Politik kein besonderer Stellenwert eingeräumt würde. Ähnlich
negativ wurde die Frage beurteilt, ob
sich die Politik für die Menschenrechte und Partizipation psychisch
Kranker einsetze. Die Fragen, ob die
Mittel für die psychiatrische Versorgung erhöht bzw. sie anderen Bereichen der Gesundheitsversorgung
gleichgestellt worden seien, erhielten
von allen Gruppen von Befragten
eine geringe Zustimmung. Weniger
als 40 % der Respondenten waren der
Meinung, dass – im Falle einer bestehenden Reformplanung – diese
bereits zu 40 % umgesetzt wurde.
Auch die Aktionsbereiche VIII, IX und
X (VIII = Die Zusammenarbeit mit
anderen Bereichen sicherstellen; IX =
Daten über den psychischen Gesundheitszustand der Bevölkerung erheben;
X = Die Forschung verstärkt fördern)
29179
zeigten hinsichtlich ihrer Zustimmung
geringe Werte, die zudem für die Szenarien B und C abnahmen. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist,
dass die für eine Planung erforderlichen
Bereiche der Gesundheitsberichterstattung (IX) sowie präventive Ansätze
(VIII) in Schulen und in Betrieben negativ beurteilt wurden.
Unterschiede in den Beurteilungen zwischen den vier Gruppen
von Befragten:
In Abbildung 4 ist die Zustimmung
(in Prozent) für jede der vier befragten Gruppen zu allen 10 Aktionsbereichen gemeinsam, jedoch getrennt für die drei Szenarien, dargestellt. Signifikante Unterschiede
hinsichtlich ihrer Zustimmung zu den
Empfehlungen zeigten sich zwischen
Therapeuten und Angehörigen (p ≤
0,05) sowie zwischen den Vertretern
aus Politik und Verwaltung gegenüber PatientInnen (p ≤ 0,05) und
Angehörigen (p ≤ 0,01). Dabei sind
die „Professionisten“ häufiger der
Meinung, dass die Empfehlungen
umgesetzt wurden, als die Befragten
aus den Gruppen der PatientInnen
und Angehörigen.
Stellt man die drei Aktionsbereiche,
die wir als besonders wichtig erachten (I, III, VI) gesondert dar
(Abbildungen 5-7) zeigte sich, dass
die Umsetzung der Empfehlungen in
der Gruppe aus Politik und Verwaltung mehr Zustimmung findet als in
jener der Angehörigen und jener der
TherapeutInnen; diese Unterschiede
waren jeweils signifikant (p ≤ 0,05).
Zu den Fragen für den Aktionsbereich III stimmten die Vertreter aus
Politik/Verwaltung stärker zu als die
Gruppe der Angehörigen (p ≤ 0,05),
während der Unterschied zur Gruppe
der TherapeutInnen hier nicht das
Signifikanzniveau erreichte. Für den
Aktionsbereich VI zeigte sich in der
Gruppe Politik und Verwaltung eine
signifikant stärkere Zustimmung als
in den Gruppen der TherapeutInnen
Meise, Sulzenbacher, Eder, Klug, Schöny, Wancata
30180
,63
,70
,37
TherapeutInnen
,64
TherapeutInnen
,41
,18
,84
,74
,29
Politik/Verwaltung
,74
Politik/Verwaltung
,58
,29
,46
,58
PatientInnen
,33
PatientInnen
,52
,24
,18
,45
,61
Szenarium A
,24
Angehörige
Angehörige
Szenarium A
,43
,27
Szenarium B
Szenarium B
Szenarium C
Szenarium C
0
0,5
1
Abbildung 6: Mittelwerte der Zustimmung zu dem Aktionsbereich III („Menschen mit psychischen
Gesundheitsproblemen durch Gemeindenahe
Dienste behandeln“), getrennt nach den vier
Gruppen von Befragten und den Szenarien A,
B, und C
Szenarium A = Länder mit sehr geringen Ressourcen,
Szenarium B = Länder mit mittleren Ressourcen,
Szenarium C = Länder mit sehr guten Ressourcen
0 = „Ich stimme nicht zu“, 1 = „Ich stimme zu“
(p ≤ 0,01), PatientInnen (p ≤ 0,01)
und Angehörigen (p ≤ 0,01); aber
auch die Gruppe der TherapeutInnen
stimmte den Fragen des Aktionsbereichs VI signifikant stärker zu als
PateitentInnen (p ≤ 0,05) und Angehörige (p ≤ 0,01).
Insgesamt waren die VertreterInnen
aus Politik/Verwaltung häufiger als
die VertreterInnen aus den Gruppen
der TherapeutInnen, PatientInnen
und Angehörigen der Ansicht, dass
die seitens der WHO aufgestellten
Empfehlungen in Österreich bereits
umgesetzt seien. Insbesondere die
Gruppe der Angehörigen war am
geringsten der Meinung, dass diese
Handlungsempfehlungen bereits umgesetzt wurden.
0
0,5
1
Abbildung 7: Mittelwerte der Zustimmung zu dem
Aktionsbereich VI („Eine nationale Psychiatriepolitik, Versorgungsplanung und Gesetzgebung etablieren“), getrennt nach den vier
Gruppen von Befragten und den Szenarien A,
B, und C
Szenarium A = Länder mit sehr geringen Ressourcen,
Szenarium B = Länder mit mittleren Ressourcen,
Szenarium C = Länder mit sehr guten Ressourcen
0 = „Ich stimme nicht zu“, 1 = „Ich stimme zu“
Diskussion
In deutschsprachigen Fachzeitschriften haben Untersuchungen, die für
die Entwicklung der psychiatrischen
Versorgung relevant sind, nach wie
vor einen hohen Stellenwert [ z.B.1726]. Die vorliegende Arbeit erachten
wir in diesem Kontext als wichtig, da
sie neben dem Versuch, die Situation
der psychiatrischen Versorgung in
Österreich zu beleuchten, auch jene
innovativen Aspekte der psychischen
Gesundheitsversorgung in das Blickfeld rückt, auf die sich die Gesundheitsminister der EU im Jahre 2005
einigen konnten [27]. Dieser Aktionsplan der Europäischen Ministeriellen
WHO-Konferenz, der mit der Erklärung beginnt, dass Gesundheit ohne
psychische Gesundheit nicht möglich
ist, könnte ein wichtiger Impuls sein,
dass sich die psychiatrische Versorgung auch in Österreich – ihrem Stellenwert entsprechend – weiterentwickelt.
Die vorliegende Studie beschreibt,
wie vor dem Hintergrund dieser neuen Entwicklungen die psychiatrische
Versorgung in Österreich von jenen
eingeschätzt wird, die davon betroffen sind. Bezüglich der vorliegenden
Untersuchung muss einschränkend
angemerkt werden, dass die verwendete Methodik natürlich nicht erlaubt,
die Qualität der psychiatrischen Versorgung in Österreich direkt zu messen, sondern nur indirekte Schlüsse
zulässt.
Bevor wir die Ergebnisse dieser
Österreichweiten Befragung weiter
kommentieren, muss hinterfragt werden, ob die für diese Untersuchung
gewählte Form der Befragung, eine
Exploration der psychiatrischen Gesundheitsversorgung überhaupt zulässt.
Ein wichtiger Gesundheitspolitiker
lehnte seine Teilnahme an dieser Befragung mit der nachstehenden Begründung ab: „…Durch die Heran-
Psychische Gesundheitsversorgung in Österreich
gehensweise an das Thema anhand
der aufgelisteten Fragestellungen
kann meines Erachtens davon ausgegangen werden, dass lediglich der
Kenntnisstand über das Wissen betreffend die psychiatrische Versorgung
der befragten Person widergespiegelt
wird. Aus diesen subjektiven Wissensständen lässt sich aber kein objektives
Spiegelbild erarbeiten, welches die
tatsächliche Versorgungssituation in
… wiedergeben würde…“.
Dieses Argument wäre dann mit
Sicherheit berechtigt, wenn Personen
befragt worden wären, die über die
Situation der psychiatrischen Gesundheitsversorgung in ihrem Bundesland uninformiert waren. Aus diesem Grund forderten wir für die
Rekrutierung der Befragten, dass es
sich um Personen handeln sollte, die
darüber ausreichend Bescheid wissen. Auch wurden die Befragten aufgefordert, ihr Wissen selbst einzuschätzen. Diese Selbstbeurteilung fiel
mit einem Notendurchschnitt von
2,19 gut aus und kann für die Beantwortung der gestellten Fragen als
ausreichend erachtet werden. Grundsätzlich lässt es sich wie in jeder
Befragung nicht vermeiden – und ist
es ja auch Intention einer solchen
Umfrage – die subjektive Sicht, das
heißt, wie betroffene Personen die
psychiatrische Versorgung beurteilen,
zu erfahren.
Um Verzerrungen durch die Meinungen einer selektierten Gruppe von
„Psychiatriebetroffenen“ zu vermeiden und um einer Einschätzung der
des Bereiches der „Psychischen Gesundheit“ näher zu kommen, befragten wir vier verschiedene Gruppen
von Betroffenen (TherapeutInnen,
VertreterInnen aus Politik/Verwaltung, PatientInnen und Angehörige),
da sie die psychische Gesundheitsversorgung von einem unterschiedlichen Standort aus erleben. Um ein
Meinungsbild zu erhalten, das für
ganz Österreich gilt, wurden aus den
vier Gruppen von Befragten in den
Bundesländern etwa gleich viele Personen interviewt.
In dieser Umfrage hatten die Respontenten nur die Möglichkeit, die Fragen mit entweder„ich stimme zu“,
„ich stimme nicht zu“, oder „ich weiß
nicht“ zu beantworten. Diese Einschränkungen wurden von einigen
Befragen kritisiert, da sie zusätzlich
qualitative Aussagen treffen wollten
(z.B. die Frage, ob das Gesundheitswesen Kampagnen gegen Stigma und
Diskriminierung psychisch Kranker
durchführt, wurde häufig in der Form
beantwortet: „ja schon ..., aber viel zu
wenig“). Da wir der Ansicht sind,
dass auf qualitative Aspekte aus der
Zustimmung zu den Fragen, die sich
in den Empfehlungen für die Szenarium B oder vor allem für das Szenarium C (für reichere Länder: Abbildung 3) finden, rückgeschlossen werden kann und uns auch interessierte,
ob die Empfehlungen, wie sie von der
WHO aufgestellt wurden, bereits
implementiert wurden, haben wir
bewusst auf z.B. eine Likertskalierung der Antwortmöglichkeiten verzichtet.
Bei den Fragen handelte es sich um
die Handlungsempfehlungen, die von
der WHO im „World Health Report
2001“ publiziert wurden. Wir zogen
die nach diesen Empfehlungen konstruierten Fragen (siehe Anhang)
existierenden Instrumenten, wie sie
z.B. von der IMHPA-Gruppe erstellt
wurden vor [28]. Dieses European
Mental Health Module Questionnaire, das subjektive Wissensstände
abfragt, legt seinen Fokus auf die
Politik für psychische Gesundheit
sowie auf die Mental Health Promotion und Mental Disorder Prevention.
Dem gegenüber decken die Fragen,
die nach den WHO-Empfehlungen
konstruiert wurden, das Handlungsfeld für die psychische Gesundheit
wesentlich umfassendere ab. Diese
Empfehlungen verwendeten wir als
Benchmarks, mit denen auf den
Zustand der psychiatrischen Versorgung in Österreich geschlossen werden sollte. Die WHO erstellte ihre
Empfehlungen auf der Grundlage
unterschiedlicher Evidenzniveaus.
31181
Zum einen berücksichtigte sie die
Erfahrungen, die verschiedene Länder im Rahmen des Auf- und Ausbaues ihrer psychiatrischen Versorgung sammeln konnten; einige dieser
Reformprogramme wurden von der
WHO unterstützt und begleitet. Zum
anderen basieren diese Empfehlungen auf der Evidenz wissenschaftlicher Untersuchungen, die heute für
die verschiedenste Aspekte der psychischen Gesundheit in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen. Dieses evidenzbasierte Wissen beinhaltet
biologische aber auch – was oft zu
wenig beachtet wird – psychosoziale
Grundlagen, die für die Genese und
Behandlung psychischer Störungen
relevant sind [29]. Weiters findet sich
ausreichend Evidenz, die z.B. den
Nutzen der Prävention [30], der
Behandlung oder die sozialen und
ökonomischen Folgen ,die durch eine
Nichtbehandlung von psychischen
Erkrankungen entstehen, belegt.
Die 10 Aktionsbereiche des „World
Health Report 2001“ und die dafür
formulierten Handlungsempfehlungen decken, wie gesagt, ein breites
Feld ab, das von der Politik für psychische Gesundheit bis hin zu wichtigen Aspekten für die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der psychiatrischen Versorgung reicht. Die
Empfehlungen der WHO bauen auf
einem breiten Begriff von psychischer Gesundheit auf, der als
„positive psychische Gesundheit“
bezeichnet wird. Psychische Gesundheit wird darin nicht nur durch das
Fehlen von psychischen Gesundheitsproblemen definiert. Die Psychische Gesundheit wird heute als integraler Teil von Gesundheit und Wohlbefinden angesehen. Sie wird, wie in
der Lissabon-Strategie der EU [31]
im Jahre 2000 ausgeführt, für das
Wachstum, die Produktivität und den
sozialen Zusammenhalt in Europa als
wesentlich erachtet. Aus diesem
Grund haben die allgemeine psychische Gesundheitsförderung, die
Integration der Behandlung psychischer Erkrankungen in die medizi-
Meise, Sulzenbacher, Eder, Klug, Schöny, Wancata
nische Grundversorgung, die Prävention von psychischen Erkrankungen
[32] wie auch die Gesundheitsberichterstattung oder die Forschung in
der psychiatrischen Versorgungsplanung einen hohen Stellenwert.
Die psychiatrische Versorgungsplanung musste sich in der Vergangenheit, auf Grund der massiven Defizite
in der Qualität der Versorgung psychisch Kranker, in erster Linie mit
den strukturellen Veränderungen, die
auf Grund der Deinstitutionalisierung für den Gemeindepsychiatrischen Verbund erforderlich waren
oder mit Anhaltszahlen, wie der
Messziffer für stationäre Betten,
beschäftigen. Im geringeren Ausmaß
fanden mit dem Personenzentrierten
Versorgungsansatz auch funktionale
Ansätze Eingang in die Planung.
besteht die Gefahr, dass sie sich ungeordnet und fragmentiert entwickelt.
Der Rolle der Politik, die eigentlich in
der Psychiatriereform die gestaltende
und treibende Kraft hätte sein sollen,
wurde in diesem Befragung kein gutes
Zeugnis ausgestellt. Dies erachten wir
als ein wichtiges Ergebnis dieser
Befragung. Zwar mag es sich dabei
um ein Phänomen handeln, mit dem
politisch Verantwortliche auch bei
Befragungen zu anderen Themen häufig konfrontiert werden; bedenkt man
jedoch den Umstand, dass in der psychischen Gesundheitsversorgung im
Vergleich zu den Kosten, die durch
mangelnde Prävention oder die Nichtbehandlung psychischer Erkrankungen entstehen [34, 35], nicht genügend investiert wird, erscheint diese
Kritik berechtigt zu sein.
In den Empfehlungen für die Aktionsbereiche VI, IX und X sind jene
Grundvoraussetzungen, die eine Politik und Strategie ermöglichen, ausgeführt. Das Vorliegen einer nationalen
Politik für psychische Gesundheit
wird von der WHO für eine psychiatrische Planung als essentiell erachtet.
Da vom Gesundheitsministerium bislang keine Politik für psychische
Gesundheit vorgegeben wurde,
stimmt das negative Ergebnis in dieser
Befragung mit den objektiven Gegebenheiten überein. Von den Mitgliedsstaaten der Europaregion der WHO
verfügen immer noch 30 % – so wie
auch Österreich – über keine nationale
Politik für psychische Gesundheit. Um
diesen Bereich zu fördern, hat die
WHO ein umfangreiches „Guidance
Package“ erarbeitet, das die Entwicklung von Leitlinien und Strategien
erleichtern könnte [33]. Nur dann,
wenn eine nationale Politik für psychische Gesundheit zur Verfügung
steht, können Benchmarks für Prävention, Behandlung, Rehabilitation und
Gesundheitsförderung
aufgestellt,
sowie der Auf- und Ausbau der
psychiatrischen Versorgung koordiniert erfolgen. Fehlt sie, ist eine Beurteilung der Qualität der psychiatrischen Versorgung schwierig; zudem
Einige Aktionsbereiche, die von der
WHO (und somit auch von den EUMinisterInnen) vorgeschlagen wurden, legen – wie schon bemerkt –
Wert auf Aspekte wie der allgemeinen psychische Gesundheitsförderung, der Integration der psychiatrischen Versorgung in die medizinische Grundversorgung, einer Politik
für psychische Gesundheit, der Gesundheitsberichterstattung
u.a.m.
Diese Ansätze werden in der Versorgungsplanung erst seit kurzem beachtet; ihre Implementierung steht
bestenfalls erst am Anfang. Innovative Aspekte, wie sie von der WHO
und den EU MinisterInnen gefordert
werden, haben noch wenig Eingang
in die Versorgungspraxis gefunden.
Dies ist ein Grund, warum in dieser
Befragung die Situation der psychiatrischen Versorgung in unserem Land
– auch gemessen an unserem Wohlstand (siehe die Beantwortung der
Fragen zu Szenarium C) – als unzureichend beurteilt wurde. Dass gerade
die Umsetzung der Gemeindepsychiatrie (Aktionsbereich II), die
ein Ziel der Psychiatriereformen war
und für die ein breiter Konsens besteht, so negativ beurteilt wurde,
stellt einen weiteren wichtigen Befund dar.
32182
Ein interessantes Ergebnis, das aber
auch zu erwarten war, ist, dass sich die
vier Gruppen von Befragten in ihrer
Beurteilung zum Teil signifikant voneinander unterschieden (Abb. 4-7).
Grundsätzlich beurteilten die VertreterInnen aus Politik und Verwaltung
die Umsetzung der WHO-Empfehlungen für die meisten Aktionsbereiche am positivsten, die Gruppe
der Angehörigen diese am negativsten.
TherapeutInnen und PatientInnen
unterschieden sich dabei nicht wesentlich. Dieses Ergebnis ist unseres
Erachtens nicht auf ein unterschiedliches Wissen zurückzuführen. Vor
dem Hintergrund des heute bestehenden Konsens, dass die psychiatrische
Versorgungsplanung „tetralogisch“ –
d.h. unter Einbeziehung von VertreterInnen von Selbsthilfeorganisationen
der Patienten und Angehörigen –
erfolgen soll, müssen solche Meinungsunterschiede hinterfragt und
berücksichtigt werden [36-39].
Diese Befragung war als ein Screening gedacht, das für die Psychiatrieenquete, die im Herbst 2005 in
Linz stattfand, erstellt wurde[16]. Auf
Grund vorhandener methodischer
Einschränkungen erachten wir die
Ergebnisse aus dieser Befragung, die
übrigens von vielen Respondenten
positiv aufgenommen wurde, als Hinweis, dass die Empfehlungen der
WHO in Österreich zum Großteil
noch nicht gegriffen haben. Darüber
hinaus bietet diese Umfrage für unser
Land Anhaltspunkte für Stärken und
Schwächen der psychiatrischen Versorgung. Um den aus dieser Studie
gezogenen Schlüssen genauer nachzugehen, bedarf es weiterführender
Studien. Dies wird auch in den Aktionsbereichen IX und X (Daten über
den psychischen Gesundheitszustand
der Bevölkerung erheben, Die Forschung verstärkt fördern) gefordert.
Dazu wäre es in einem ersten Schritt
notwendig, für Österreich eine einheitliche Methodik zu erarbeiten, die
für die Gesundheitsberichterstattung
im Bereich der psychiatrischen Versorgung herangezogen werden kann.
Weiters sollten entsprechende epide-
Psychische Gesundheitsversorgung in Österreich
miologische Untersuchungen in Auftrag gegeben und auch finanziert werden. Dies wurde vom Psychiatriebeirat bereits gefordert. Diese Studien
sollten jedoch hinsichtlich der Beurteilung der Qualität der psychiatrischen Versorgung aussagekräftig sein
und sich nicht mit der Darstellung
von z.B. ausschließlich administrativen Daten begnügen. Sie sollten vielmehr das Ziel verfolgen, die Hintergründe für mögliche Defizite und
Fehlentwicklungen aber auch die
Entwicklungspotentiale und Stärken
in der psychiatrischen Versorgung zu
identifizieren. Daraus könnten Informationen gewonnen werden, die für
eine rationale Planung sowie für die
Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgung in Österreich relevant sind.
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Univ.-Prof. Dr. Ullrich Meise
Universitätsklinik für Psychiatrie Innsbruck
Klinische Abteilung für Allgemeine
Psychiatrie
Medizinische Universität Innsbruck
ullrich.meise@uki.at
Univ.-Prof. Dr. Johannes Wancata
Universitätsklinik für Psychiatrie Wien
Klinische Abteilung für Sozialpsychiatrie und Evaluationsforschung
Medizinische Universität Wien
johannes.wancata@meduniwien.ac.at
Anhang: Fragebogen in Anlehnung an die Empfehlungen des „World Health Report 2001“
Aktionsbereich
Szenarium A
I.
Den Zugang zu
einer guten Primärversorgung für psychische Gesundheitsprobleme
schaffen
1. Enthalten die Lehrpläne für Gesund- 1. Sind in der Ausbildung von Gesund- 1. Ist im Rahmen der Ärzte- oder Pflegerheitsberufe die Themen psychische Geausbildung nach Erlangen des Diploms
heitsberufen Praktika im Bereich Psysundheit und psychiatrische Erkraneine praktische Tätigkeit in einer psychiatrie vorgeschrieben?
kungen?
chiatrischen Einrichtung vorgesehen?
2. Sind psychiatrische Themen in der Fort2. Sind psychiatrische Themen in der Fortbildung für praktische Ärzte zwingend 2. Gibt es spezifische Fortbildungs- und
bildung für praktische Ärzte enthalten?
Ausbildungscuricula, die praktischen
vorgeschrieben?
3. Nahmen innerhalb der letzten 5 Jahre 3. Nahmen innerhalb der letzten 5 Jahre
Ärzten ermöglicht, psychische Erkranetwa 20 % der praktischen Ärzte an
kungen effektiver zu behandeln?
etwa 50 % der praktischen Ärzte an
Fortbildung zu psychiatrischen Themen
Fortbildungen zu psychiatrischen The- 3. Nahmen innerhalb der letzten 5 Jahre
teil?
etwa 80 % der praktischen Ärzte an
men teil?
Fortbildungen teil?
Szenarium B
Szenarium C
1. Sind in allen Bereichen der Gesund- 1. Stehen alle wichtigen Psychopharmaka 1. Sind in allen Bereichen des GesundII.
heitsversorgung die 5 wichtigsten Psyheitssystems Psychopharmaka der
Die Verfügbarkeit
in allen Bereichen der Gesundheitsverchopharmaka verfügbar?
„neuen Generation“ verfügbar?
von Psychopharmasorgung zur Verfügung?
ka und Psychothe- 2. Stehen die wichtigsten psychothera- 2. Ist in den städtischen Ballungsräumen 2. Ist der Zugang zur Psychotherapie fläpeutischen Behandlungsverfahren zur
chendeckend ausreichend vorhanden?
rapie sicherstellen
der Zugang zur Psychotherapie ausVerfügung?
reichend vorhanden?
III.
Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen
durch gemeindenahe Dienste
behandeln
1. Wurden die psychiatrischen Kranken- 1. Wurden Psychiatrische Krankenhäuser 1. Wurden alle Psychiatrischen Krankenhäuser verkleinert und ihre Behandhäuser aufgelöst?
aufgelöst?
lungsqualität verbessert?
2. Wurden integrative Organisationsmo- 2. Wurde eine Individualisierung der
2. Wurden psychiatrische Abteilungen an
Behandlung und Rehabilitation (z.B.
delle (wie z.B. „der gemeindepsychiaAllgemeinkrankenhäusern eingerichtet?
nach dem Modell der „Personenzentrische Verbund“) für die Koordination
3. Stehen von den erforderlichen gemeintrierten Betreuung“) breiter umgesetzt?
gemeindenaher Versorgung breit eingedenahen Einrichtungen und Diensten
3. Stehen von den erforderlichen gemeinführt?
etwa 20 % der Ressourcen zur Verfü- 3. Stehen von den erforderlichen gemeindenahen Einrichtungen und Diensten
gung?
etwa 80 % der Ressourcen zur Verfüdenahen Einrichtungen und Diensten
gung?
etwa 40 % der Ressourcen zur Verfügung?
1. Werden vom Gesundheitswesen Kam- 1. Wird vom Gesundheitswesen via die 1. Werden vom Gesundheitswesen InforIV.
pagnen durchgeführt, die sich gegen das
mations- und Aufklärungsprogramme
Psychische GesundMedien über psychische GesundheitsStigma und die Diskriminierung psydurchgeführt, mit dem Ziel das Wissen
heit fördern; gegen
themen informiert?
chisch Kranker richten?
über die häufigsten psychischen ErStigma und Diskrikrankungen in der Bevölkerung zu verminierung vorgehen
Psychische Gesundheitsversorgung in Österreich
35185
Aktionsbereich
Szenarium A
V.
Betroffene und
ihre Familien
einbeziehen
1. Wird die Bildung von Selbsthilfegrup- 1. Werden Vertreter von Betroffenen- und 1. Werden Initiativen unterstützt die als
pen gefördert?
Fürsprecher für psychisch Kranke einAngehörigenverbänden in die psychiatreten?
trische Versorgungsplanung und politische Entscheidungsfindung eingebunden?
VI.
Eine nationale
Psychiatriepolitik,
Versorgungsplanung und
Gesetzgebung
etablieren
1. Berücksichtigt die Gesundheitspolitik, 1. Gibt es Versorgungsangebote, die auf 1. Gibt es Präventionsprogramme, die verdass psychische Erkrankungen einen
suchen vermeidbare Ursachen von psydie besonderen Bedürfnisse vulnerabler
wichtigen Stellenwert in anderen Polichischen Gesundheitsproblemen, CoPersonen zugeschnitten sind (z.B. Kintikbereichen (z.B. Sozialwesen, Bilmorbidität oder Suizid zu reduzieren?
des- und Jugendalter, ältere Menschen,
dung, Beschäftigung) haben?
Frauen in bestimmten Lebenssituatio- 2. Ist die Finanzierung der psychiatrischen
2. Sorgt die Politik, dass die MenschenGesundheitsversorgung anderen Benen ...)?
rechte und Partizipation psychisch 2. Wurden die finanziellen Mittel für die
reichen der Gesundheitsversorgung
Kranker gewahrt werden (z.B. durch
gleichgestellt?
psychiatrische Versorgung erhöht?
Gleichstellungs- und Antidiskriminie- 3. Wurde der Plan zur Reform der psychi- 3. Wurde der Plan zur Reform der psychirungsgesetze)?
atrischen Versorgung etwa zu 80 %
atrischen Versorgung etwa zu 50 %
3. Wurde für die Reform der psychiatriumgesetzt?
umgesetzt?
schen Versorgung ein Plan erstellt?
VII.
Humanressourcen
und Ausbildung für
die psychiatrische
Versorgung bereitstellen
1. Werden Psychiater und psychiatrisches 1. Gibt es Ausbildungen für Psychiater, 1. Gibt es Spezialausbildungen (z.B. für
Pflegepersonal ausgebildet?
Kinder- und Jugendpsychiatrie, GeronErgotherapeuten, psychiatrische Pfletopsychiatrie oder Suchterkrankungen)?
gepersonen, Psychologen, Psychotherapeuten und Sozialarbeiter?
VIII.
Die Zusammenarbeit mit anderen
Bereichen sicherstellen
1. Existieren in Schulen und in Betrieben 1. Wird psychische Gesundheitsförderung 1. Stehen in Schulen und in Betrieben
Projekte mit dem Ziel, die psychische
Möglichkeiten zur Integration psyin Schulen und in Betrieben angeboten?
Gesundheit von Schülern und Angechisch Kranker zur Verfügung?
stellten zu fördern?
Szenarium B
Szenarium C
1. Werden in der Gesundheitsinformation 1. Besteht ein Frühwarnsystem für spezi- 1. Wird in regelmäßigem Abstand der psyIX.
(des Ministeriums) die psychiatrischen
chische Gesundheitszustand der BevölDaten über den
fische psychische Erkrankungen (z.B.
Erkrankungen gesondert dargestellt?
kerung erhoben?
psychischen
Alkohol- und Suchterkrankungen, deGesundheitszustand
pressive Erkrankungen)?
der Bevölkerung
erheben
X.
Die Forschung
verstärkt fördern
1. Stehen Untersuchungen zur Verfügung, 1. Wird die Behandlung und das Manage- 1. Wird das psychiatrische Versorgungsdie Häufigkeit, Verlauf sowie Stellensystem durch eine Begleitforschung
ment psychischer Erkrankungen durch
wert psychischer Erkrankungen erheevaluiert?
Wirksamkeits- bzw. Kostenwirksamben?
keitsbeurteilungen untersucht?
Szenarium A = Länder mit sehr geringen Ressourcen
Szenarium B = Länder mit mittleren Ressourcen
Szenarium C = Länder mit sehr guten Ressourcen