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Ritter, Heinrich

Lebensdaten
1791 – 1869
Geburtsort
Zerbst
Sterbeort
Göttingen
Beruf/Funktion
Philosoph ; Theologe
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 116571721 | OGND | VIAF: 44379593
Namensvarianten

  • Ritter, August Heinrich
  • Ritter, Heinrich
  • Ritter, August Heinrich
  • Ritter, Aug. Henr.
  • Ritter, August H.
  • Ritter, H.
  • Ritter, Heinrich A.
  • Ritter, Heinrich August
  • Ritther, Heinrich
  • Ritther, August Heinrich
  • Ritther, Aug. Henr.
  • Ritther, August H.
  • Ritther, H.
  • Ritther, Heinrich A.
  • Ritther, Heinrich August

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Zitierweise

Ritter, Heinrich, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd116571721.html [10.11.2024].

CC0

  • Ritter, Heinrich August

    Philosoph, * 21.11.1791 Zerbst, 3.2.1869 Göttingen. (evangelisch)

  • Genealogie

    B Carl (s 1);
    M Sophie Dorothea Oelschläger;
    – ⚭ Bertha Cornelia Liborius;
    K u. a. Franz Ernst (1836–1907), Kaufm. in Bremen (s. Gen. 3);
    E Hermann (s. 3).

  • Biographie

    Nach dem Besuch des Gymnasiums in Zerbst studierte R. seit 1811 Theologie und Philosophie in Halle/Saale, Göttingen und Berlin, wo er bei Schleiermacher, Fichte und Solger hörte. 1815 nahm er als Freiwilliger an den Freiheitskriegen teil. Nach der Promotion 1817 mit „De inscitia humana“ in Halle habilitierte er sich noch im selben Jahr in Berlin und wurde hier Privatdozent, 1823 ao. Professor. Er hielt Vorlesungen über Logik, Ethik und Geschichte der Philosophie und stand in freundschaftlichem Verkehr mit Schleiermacher, Savigny und Ranke. 1833 wurde er Ordinarius für Philosophie in Kiel, 1837 in Göttingen.

    Bereits seine ersten Schriften zeigen, daß R. Begriff und Gliederung der Philosophie weitgehend von Friedrich Schleiermacher (1768–1834) übernahm. In seinen großen systematischen Hauptwerken (System d. Logik u. Metaphysik, 2 Bde., 1856; Enc. d. phil. Wissenschaften, 3 Bde., 1862–64) und in vielen weiteren Publikationen arbeitete er – in Auseinandersetzung mit fast allen Positionen der Philosophiegeschichte – den übernommenen Grundriß zu einem originären, geschlossenen Ganzen aus. „Logik und Metaphysik“ sollen als „Erkenntnislehre“ zeigen, wie das Denken zum Erkennen und schließlich zum Wissen wird. R.s „Physik“ entwirft einen phil. Naturbegriff, der Atomismus und Dynamismus verbindet: Die Natur müsse aus der Wechselwirkung von organisierten Substanzen begriffen werden. Seine „Ethik“ oder die „moralischen Wissenschaften“ nehmen in den Blick, was aus der Freiheit menschlicher Individuen hervorgeht: die Gesamtheit des vernünftigen Lebens, die sich realisierende „Weltordnung“, die „Kulturgeschichte“. Diese Ordnung wird als höchstes Gut im Sinne der Einheit aller sittlichen Güter begriffen, nämlich von Eigentum, Arbeit, Handel, Sprache, Religion, Kunst und ihren Institutionen Familie, Staat, Schulwesen usw. Diese Konzeption hat R. kritisch u. a. gegen Kommunismus und Sozialismus ins Feld geführt.

    Große Anerkennung fand R. als Philosophiehistoriker. In seinen beiden Hauptwerken, „Geschichte der Philosophie“ (12 T., 1829–53, ²1836-39 [nur T. 1-4]; engl., 4 Bde., 1838–46, franz., 9 Bde., 1835–61) und „Geschichte der christl. Philosophie“ (2 Bde., 1841–53, Nachdr. 1991), stellte sich R. mit dem Ziel, die gesamte Philosophie erzählend zu vergegenwärtigen, in die Nähe der Historiker des 19. Jh., v. a. Leopold v. Rankes (1795–1886). Gleichwohl hielt er es für unmöglich, ohne Einmischung des eigenen Urteils die Geschichte ganz für sich selbst sprechen zu lassen. Der Historiker solle zwar von gesicherten Tatsachen und Quellen ausgehen, dann aber die gesetzliche Entwicklung des menschlichen Geistes aufzufinden versuchen. Um die Stoffmenge der Philosophiegeschichte zu strukturieren, gliederte R. die antike Philosophie weitgehend nach dem Modell der natürlichen Entwicklung (Wachstum, Blüte, Verfall), die christl. Philosophie aber durch den Gedanken, daß Einseitigkeiten – theologische und säkulare – sich ausgleichen. Dadurch konnte er Geschichte als vor- und rückläufigen Prozeß betrachten. In Opposition zu Hegel betonte R. stärker die enge Verflechtung von Philosophie, Gesellschaft und Kultur. R. bekräftigte Ernest Renans (1823–92) Gedanken eines universalen Werdeprozesses, in welchem Natur- und Menschheitsgeschichte nur Stufen sind, und wandte sich kritisch gegen seinen Freund Ranke, der dazu tendiert habe, die Geschichte methodisch auf Empirie und inhaltlich auf Staatshistorie einzuengen.|

  • Auszeichnungen

    Mitgl. d. Ak. d. Wiss. Berlin (o. 1832, ausw. 1834) u. Göttingen (1840, Dir. d. hist.-phil. Kl. 1843).

  • Werke

    u. a. Welchen Einfluß hat d. Philos. d. Cartesius auf d. Ausbildung der des Spinoza gehabt …, 1817;
    Gesch. d. Jon. Philos., 1821, Nachdr. 1991;
    Vorlesungen z. Einl. in d. Logik, 1823;
    Abriß d. phil. Logik, 1824, ²1829;
    Gesch. d. Pythagor. Philos., 1826, Nachdr. 1991;
    Die Halbkantianer u. d. Pantheismus, 1827;
    Bemerkungen über d. Philos. d. Megar. Schule, in: Rhein. Mus. 2, 1828, S. 295-335;
    Allg. Betrachtungen über d. Begriff u. d. Verlauf d. christl. Philos., in: Theol. Stud. u. Kritiken 6, 1833, S. 251-334 (franz. 1851);
    Zusätze zu meinen allg. Betrachtungen über d. Begriff u. d. Verlauf d. christl. Philos., ebd. 20, 1847, S. 557-643;
    Über d. Verhältnis d. Philos. z. wiss. Leben überhaupt, 1835;
    Über d. Erkenntniß Gottes in d. Welt, 1836;
    Über das Böse, 1839;
    Kl. phil. Schrr., 3. Bde., 1839 f.;
    Über unsere Kenntnis d. arab. Philos. u. bes. über d. Philos. d. orth. arab. Dogmatiker, 1844, Nachdr. 1971;
    Ueber Lessing's phil. u. rel. Grundsätze, in: Göttinger Stud., 1847, 2. Abt., S. 151-221 (separat 1847);
    Über d. Emanationslehre im Übergange aus d. alterthüml. in d. christl. Denkweise, in: Abhh. d. Kgl. Ges. d. Wiss., Göttingen, hist.-philol. Cl., III, 1845, S. 243-80 (separat 1847);
    De Stoicorum, praesertim de eorum logica, 1849;
    Unsterblichkeit, 1851, ²1866;
    Versuch z. Verständigung über d. neueste dt. Philos. seit Kant, 1853;
    Kurze Übersicht über d. Gesch. d. scholast. Philos., in: Hist. Tb., 3. Folge, Jg. 7, 1856, S. 269-347;
    Die christl. Philos. nach ihrem Begriff, ihren äußern Verhältnissen u. in ihrer Gesch. bis auf d. neuesten Zeiten, 2 Bde., 1858 f.;
    Ernest Renan über d. Naturwiss. u. d. Gesch. mit d. Randbemerkungen e. dt. Philosophen, 1865;
    An Leopold v. Ranke über dt. Gesch.schreibung, 1867;
    Phil. Paradoxa, 1867;
    Ueber d. Böse u. seine Folgen, 1869, ²1876.

  • Literatur

    ADB 28;
    E. Wendt, Rez. zu R.s „Gesch. d. Philos.“, in: Jbb. f. wiss. Kritik, 1831, Bd. 2, S. 101 ff., 113 ff., 1832, Bd. 2, S. 332-60;
    F. E. Beneke, Rez. zu R.s „Über d. Erkenntnis Gottes“, in: Allg. Lit.-Ztg., 1837, Bd. 3, S. 315-32;
    A. Schmidt, Rez. zu R.s „Gesch. d. christl. Philos.“, in: Jbb. f. wiss. Kritik, 1846, Bd. 1, S. 361-408, Bd. 2, S. 1-47;
    F. Ch. Baur, Der Begriff d. christl. Philos., in: Theol. Jbb. 5, 1846, S. 29-115, 183-233;
    J. Sengler, Rez. zu R.s „System d. Logik u. Metaphysik“, ebd. 38, 1861, S. 102-23;
    ders., Rez. zu R.s „Encyklopädie“, ebd. 48, 1866, S. 65-79, 253-60;
    I. H. Fichte, Rez. zu R.s „Unsterblichkeit“, ebd., 1867, S. 39-76;
    G. Thier, A. H. R. als Metaphysiker u. Naturphilosoph, Diss. Düsseldorf 1939 (W, L);
    P. Rohs, in: Gesch. d. Christian-Albrechts-Univ. Kiel, V/1, 1969, S. 57-59;
    Gedenktage d. mitteldt. Raumes, 1991, S. 225-27;
    Ziegenfuß;
    Kosch, Lit.-Lex.³.

  • Autor/in

    Gunter Scholtz
  • Zitierweise

    Scholtz, Gunter, "Ritter, Heinrich" in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 656-657 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd116571721.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Ritter, August Heinrich

  • Biographie

    Ritter: August Heinrich R., geboren in Zerbst am 21. November 1791, am 3. Februar 1869 in Göttingen, besuchte das Gymnasium seiner Geburtsstadt und studirte hierauf 1811—15 Theologie und Philosophie an den Universitäten Halle, Göttingen und Berlin, woselbst Schleiermacher einen entscheidenden Einfluß auf ihn ausübte. Im J. 1815 machte er als Freiwilliger den Befreiungskrieg mit und 1817 promovirte er in Halle mit einer Dissertation „De inscitia humana“, worauf er sofort sich in Berlin als Privatdocent habilitirte, wobei er an die Abhandlung „lieber die Bildung des Philosophen durch die Geschichte der Philosophie“ (1817) die Herausgabe einer von der Berliner Akademie gekrönten Preisschrift (über das Verhältniß des Cartesianismus zum Spinozismus) knüpfte, welche er noch als Student verfaßt hatte. Er las über Logik und über Geschichte der Philosophie und erhielt 1824 eine außerordentliche Professur; auch wurde er im Hinblick auf seine historische Richtung (1832) von der Berliner Akademie unter ihre Mitglieder aufgenommen. Im J. 1833 folgte er als Ordinarius einem Rufe nach Kiel und von dort ging er 1837 in gleicher Eigenschaft nach Göttingen, wo er bis an sein Lebensende wirkte. Seine litterarische Laufbahn begann er mit Einzeluntersuchungen, welche für die damalige Zeit ganz verdienstlich waren, nämlich: „Ueber die Lehre des Empedokles“ (1820 in Wolfs Analekten), „Geschichte der jonischen Philosophie“ (1821), „Geschichte der pythagoreischen Philosophie“ (1826), „Ueber die Philosophie der megarischen|Schule“ (im Rhein. Museum, Jahrg. 2). Daneben erschienen auch „Vorlesungen zur Einleitung in die Logik“ (1823), „Abriß der philosophischen Logik“ (1824, 2. Aufl. 1829), wobei der Standpunkt Schleiermacher's zu Grund gelegt ist, und ferner „Die Halbkantianer und der Pantheismus“ (1827). Hierauf aber folgte das große umfassende Werk „Geschichte der Philosophie“ (12 Bände. 1829—53; 2. Aufl. der vier ersten Bände 1836—38), welches mit der unmittelbar vor Kant vorhergehenden Zeit schließt und innerhalb dieser Beschränkung die ausführlichste Darstellung ist, welche wir besitzen; durch, das Ganze zieht sich eine gewisse Schleiermacher’sche Einseitigkeit, vermöge deren es R. nicht vermochte, irgend aristotelischen Strömungen gerecht zu werden, und auch im Einzelnen zeigen sich, besonders im Mittelalter, manche Flüchtigkeiten und schiefe Auffassungen, so daß für genauere Forschung noch Mancherlei zu thun übrig blieb. Gemeinschaftlich mit Preller, welcher aber den Hauptantheil hatte, bearbeitete er „Historia philosophiae graeco-romanae ex fontium locis contexta“ (1838, 5. Aufl. 1875). auch gab er (1839) aus Schleiermacher's handschriftlichem Nachlasse die Geschichte der Philosophie heraus. Unter dem Titel „Die christliche Philosophie nach ihrem Begriffe, ihren äußeren Verhältnissen und ihrer Geschichte bis auf die neuesten Zeiten“ (2 Bände 1858 f.) erschien ein Auszug aus den betreffenden Bänden des größeren Werkes nebst einer auf die Neuzeit fortgeführten Ergänzung und in Raumer's Historisches Taschenbuch (1856) lieferte R. eine „Kurze Uebersicht über die Geschichte der Philosophie". Zu diesen geschichtlichen Arbeiten kamen noch anderweitige Schriften, nämlich: „lieber das Verhältniß der Philosophie zum Leben" (1835), „Ueber die Erkenntniß Gottes in der Welt“ (1836), „Ueber das Böse“ (1839, veranlaßt durch Julius Müller „Ueber die Sünde"); unter dem Titel „Kleine philosophische Schriften" (2 Bände 1839) gab er eine Darlegung der Principien der Rechtsphilosophie und der Aesthetik; wenig Beifall fanden die drei kleineren Arbeiten „Ueber unsere Kenntniß der arabischen Philosophie" (1844), „Ueber Emanationslehre" (1847) und insbesondere „Ueber Lessing's philosophische und religiöse Grundsätze“ (1847). Es folgten noch „Versuch zur Verständigung über die neueste Philosophie seit Kant“ (1853), „System der Logik und Metaphysik" (1856), „Encyclopädie der Philosophischen Wissenschaften“ (3 Bde. 1862—64), ferner die populäre Schrift „Unsterblichkeit“ (1863, 2. Aufl. 1866), sodann „Ernst Renan über die Naturwissenschaft und die Geschichte mit den Randbemerkungen eines deutschen Philosophen" (1865) und „Philosophische Paradoxa“ (1867). worin er den Standpunkt vertrat, daß die Welt schlechthin gut sei. Aus seinem Nachlasse veröffentlichte Peipers „Das Böse und seine Folgen“ (1869, 2. Aufl. 1876). Die eigenen philosophischen Ansichten Ritter's weisen nicht auf ein einheitliches selbständiges Princip zurück, sondern ein gewisser Eklekticismus verträgt sich bei ihm mit seiner Neigung zu Schleiermacher, und es fehlt an fester Folgerichtigkeit des Ganzen und der einzelnen Zweige der Philosophie, indem er in theologisirender Weise eine Vereinbarung verschiedener Anschauungen versucht und hiebei nicht nur die Wirklichkeit einer göttlichen Offenbarung, sondern sogar das Auftreten der Wunder zu rechtfertigen unternimmt.

  • Autor/in

    Prantl.
  • Zitierweise

    Prantl, Carl von, "Ritter, Heinrich" in: Allgemeine Deutsche Biographie 28 (1889), S. 673-674 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd116571721.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA