MAARTEN ASSCHER
Das Haus meiner Kindheit
Übersetzt von Marlene Müller-Haas
Schlaflosigkeit, ein hilf-wie hoffnungsloser Zustand! Um ihm zu entkommen, imaginiert der Autor seine glücklichsten Kindheitserinnerungen, als er in den Sechzigern bei seinen Großeltern in Kew bei London den Sommer verbrachte. Akribisch beschwört er das stattliche Haus herauf, verwandelt sich in einen neugierig schauenden und lauschenden Jungen und lenkt unseren Blick auf den herrlichen Garten, die bilderreichen Räume und die Persönlichkeiten seiner sehr geliebten Großeltern. Doch das schlaflose ältere Ich beschwört nicht nur das Glück des Kindes, sondern weiß auch um die Geschichte der Großeltern: Nur knapp entgingen sie der Ermordung der niederländischen Juden, weil sie 1943 aus dem KZ Westerbork entkommen konnten und nach dem Krieg nach England zogen. Welchen Preis sie zahlten, rekonstruiert er aus Dokumenten, Briefen, Tagebüchern, denn auch in dieser Familie wurde über den Schrecken zumeist geschwiegen. Die unerzählten Geschichten tauchen auf wie in bösen Träumen, finden Platz zwischen Erinnerungsbildern. Zugleich problematisiert Asscher die Kraft des Gedächtnisses, das Erinnerungen überschreiben oder löschen kann. Virtuos nutzt er die Freiheiten des Romans, um eine vergangene Zeit zu retten. (lk)
Dauerhafte Lebensspuren – Ferien im Paradies und die Suche nach der verschwiegenen Familiengeschichte.
LUCHTERHAND, 256 Seiten, 24 Euro
INGER-MARIA MAHLKE
Unsereins
Deutsche Originalausgabe
In ihrem neuen Roman spielt Buchpreisgewinnerin Inger-Maria Mahlke („Archipel“) Pingpong mit Nobelpreisträger Thomas Mann. Dafür entrollt sie ein buntes, lebendiges und weitverzweigtes Tableau, das im Lübeck des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert spielt. Im Mittelpunkt steht besonders eine Familie: die Lindhorsts. Sie sind der Kontrapunkt zu den Buddenbrooks im Mann-Universum, in dessen Roman sie sich als Hagenströms dargestellt sehen. Sie sind zwar geschäftlich erfolgreich, gehören aber nicht zu den Insidern des fossilisierten Hanse-Klüngels. Und sie nehmen feine antisemitische Töne sehr genau wahr. Mahlke öffnet zudem die untere Schicht der Lübecker Gesellschaft für unsere Blicke. Detailliert schildert sie die Alltäglichkeiten von Dienstmädchen, Senatsdienern und anderen, die das Gemeinwesen am Laufen halten oder an den Konventionen zugrunde gehen. Den humorvollsten Seitenstrang bilden die Szenen, in denen „Tomy“ auftaucht, erst als Schüler („der Pfau“), später als entfremdeter Erfolgsautor eines vermeintlichen Schlüsselromans. Man merkt, wie viel Recherche in dem welthaltigen Buch steckt, aber die recht kurzen Kapitel sorgen für ein gleichbleibend hohes Lesetempo, -fieber und-vergnügen. (hk)
Das Buch