Die Reise
Von Emma Traum
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Über dieses E-Book
Eine Odyssee quer durch Raum und Zeit beginnt. Welche ominöse Macht steuert diese Irrfahrt durch das Universum – und mit welchem Ziel? Die brillante junge Informatikerin Sophie und der geniale, aber unberechenbare Astrophysiker Christopher begeben sich mit ihrer Crew auf eine gefährliche Mission, um die Antwort auf diese Schicksalsfrage der Menschheit zu finden.
Ein spannender Sci-Fi-Roman – originell und höchst unterhaltsam!
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Die Reise - Emma Traum
32
1
Wie so häufig in der letzten Zeit lag ein schwach rötlich-ockerfarbener Schleier über unserer Lebensspenderin, unserem wundervollen und einzigartigen Stern – der Sonne. Ein Dunst waberte in der flirrenden Luft an diesem bereits weit fortgeschrittenen unsagbar heißen Julitag, ein unerklärlicher Nebel, der nahezu den gesamten Himmel bedeckte, insbesondere aber dessen »Zentrum«.
Die Sonne stand hoch im Zenit und dennoch war sie nicht gleißend. Es war möglich – entgegen allen üblichen Warnungen aus früheren Zeiten – nach oben zu blicken, die perfekte Rundung zu erkennen und sich dabei nicht die Augen zu verblenden. Es hatte eher den Anschein, man schaue in den hellweißen Vollmond. In der Tat kam es auch zu Verwechslungen der Gestirne in jenen Tagen, insbesondere in den frühen Abendstunden. Häufig ließen sich Kinder von den eigentümlichen Himmelserscheinungen täuschen, wenn sich wieder dieser unheimliche Nebel über den Horizont legte, die Luft zum Atmen schwerer wurde und die unerfahrenen Kleinen statt unserer Sonne den Mond zu erblicken glaubten. Eine Unvorstellbarkeit noch Jahre zuvor, doch ein Phänomen, das den Erdlingen, zumindest den Wachen und Aufmerksamen unter ihnen, immer häufiger auffiel und sie zum Nachdenken veranlasste.
Just an diesem glühend heißen Julitag ereignete sich etwas noch nie zuvor Geschehenes oder Beschriebenes, in keiner menschlichen Historie Erwähntes, von Menschen Erdachtes oder gar Erträumtes.
Etwas absolut Unvorstellbares vollzog sich an diesem Tag, etwas, was sich in das Kollektivgedächtnis der Menschheit auf der gesamten Erdkugel einbrennen würde, in ihre Seelen und in ihre Herzen.
Ein riesiges Etwas, ein schwarzes Objekt von perfekter Rundung und gewaltiger Größe erschien in großer Distanz wie aus dem Nichts am Himmel. Dieses riesenhafte Etwas schob sich lautlos ganz allmählich wie in Zeitlupe, doch mit konstanter Geschwindigkeit, aus östlicher Richtung über den Zenit und erreichte ohne erkennenswerte Beschleunigung oder Verlangsamung unsere Sonne.
Hannah schwitzte in ihrem kleinen Lädchen, das sich in einer nicht ganz so geschäftigen Nebengasse befand, und bereute zum x-ten Mal, den Rat ihrer klugen Luise noch immer nicht befolgt zu haben, sich endlich eine Klimaanlage anzuschaffen. Ihr schwarzes Haar kräuselte sich im Nacken. »Das ist meine bequeme Seite«, murmelte sie vor sich hin, und stimmte dann unbewusst eine aus Kindertagen bekannte Melodie an.
Doch an diesem Sommertag vermochten weder die Erinnerung an die beglückende letzte Nacht, noch eine Schachtel ›weißer Träume‹ ihre Stimmung zu heben.
Nichts wollte ihr heute glücken, nein, heute war definitiv nicht ihr Tag. Auch ließ sich kaum ein Kunde in ihrem mit viel Liebe zum Detail eingerichteten Souvenir-Laden blicken. Nur eine junge chinesische Touristin schien sich in ihre Gegend verirrt zu haben. Und obwohl Hannah sie äußerst freundlich und hocherfreut sogar auf Chinesisch begrüßte und ihr überdies ein Glas Limonade zur Erfrischung anbot, die sie übrigens selbst gern bei diesem Wetter trank, nippte die junge Frau nur ein Mal kurz an dem gereichten Glas und erstand lediglich eine bunte Postkarte, wohl eher aus Höflichkeit denn aus Interesse.
Vielleicht sollte sie doch auf Luise hören und entweder eine Klimaanlage installieren, oder … oder aber ihr Geschäftchen aufgeben und sich ihrem wahren Talent und ihrer wahren Leidenschaft zuwenden. Dann würde sie wohl auch leichter ihre inzwischen unübersehbaren überzähligen Pfunde verlieren, denn sie wäre an der frischen Luft, würde sich mehr bewegen und einfach glücklicher sein … vielleicht … ja, und vielleicht würde sie in ihrem neuen Leben gar ihren geliebten Pralinen, ihren ›weißen Träumen‹, leichter widerstehen können … apropos … sie müsste doch, fiel ihr ein, noch drei dieser Köstlichkeiten im Kühlschrank liegen haben. Bei diesem Wetter wäre es eine Sünde gewesen, die erlesenen Stückchen auf der Theke, in einer eigens dafür aufgestellten Vitrine, aufzubewahren, so wie sie es sonst immer tat, nein, heute war es wirklich sehr, sehr warm und ihre Leckerbissen schmelzen zu lassen würde ihr nie in den Sinn kommen, sie zerfließen zu sehen, nein, das würde ihr in der Seele leidtun. Nicht, dass ihr die Schokolade im geschmolzenen Zustand nicht auch gemundet hätte, nein, nein, das nicht, doch mit dem Genuss dieser kleinen runden schneeweißen Trüffeln in ihrer braunbeigefarbenen Mandelkrokantummantelung verband sie ein besonderes Ritual, und wenn ein Mensch ein Ritual pflegt, dann geht der Mensch mit allem, was dazugehört, sehr behutsam um. In Hannahs Fall bedeutete es, dass sie die ›weißen Träume‹ stets sorgsam und wohl temperiert aufbewahrte. Sie wusste, ihre ›Pralinenversessenheit‹ (so bezeichneten Luises Kinder ihre Leidenschaft für diese Delikatessen scherzhaft) war ein Spleen von ihr, doch sie liebte es, sich in aller Seelenruhe ein Kügelchen auszusuchen und es mit Ehrfurcht von allen Seiten zu betrachten, den feinen Schokoladenduft wahrzunehmen und schließlich den Geschmack voll auszukosten und dieses eine, wenn sie sich allein wähnte und ihre Laune es zuließ, sogar anzulächeln und fröhlich zu begrüßen. Obwohl alle ihr immer wieder aufs Neue versicherten, dass all diese Köstlichkeiten gleich aussahen und auch schmeckten, wusste sie, dass sie irrten, jawohl, denn jede von ihnen war besonders und einzigartig und verdiente eine angemessene Behandlung. Respekt eben. Nur Luise machte sich nie lustig über ihre Vorliebe, sondern lächelte verständnisvoll und nannte Hannahs Kult liebevoll ›Hannahs Pralinenmeditation‹. Diese Frau war so wissend, so besonders, nein, sie konnte nicht von dieser Welt sein, dachte Hannah zum millionsten Mal.
Sie wollte sich noch ein Trüffelchen gönnen, dann ihren Laden schließen und nach Hause radeln, wo bereits wie jeden Mittag ein von Luise köstlich und mit viel Liebe zubereitetes Essen auf sie wartete.
Sie nahm eine Kugel und drehte sie zwischen Daumen und Zeigefinger. Die Farbnuancen veränderten sich, wenn sie sie bewegte und das Licht in unterschiedlichen Winkeln auf die Oberfläche fiel. Was würde ein ET von einem fremden Stern denken, wenn sie ihm eine solche Praline vorsetzen würde? Würde er sie zu würdigen wissen? Sie biss behutsam und voller Demut in die kleine Kugel, schloss ihre Augen, vernahm das Knacken der Mandel-Krokant-Kruste, spürte den Geschmack, nahm ungeahnte Geschmacksnuancen wahr, konzentrierte sich auf die Kaubewegung und darauf, wie sich die Praline auf ihrer Zunge auflöste. Doch plötzlich verharrte sie in dieser Bewegung. Unsanft wurde sie aus ihren Träumereien, ihrer Meditation, gerissen, da eine lärmende, offenkundig äußerst aufgeregte Schar ausländischer Touristen die Gasse hoch in ihre Richtung flüchtete. Sie öffnete die Augen und blickte durch das Schaufenster. Diese Menschen, unter ihnen auch die junge chinesische Kundin, würdigten ihr Lädchen keines Blickes, sie blickten panisch um sich und auch ›gen Himmel‹, um unmittelbar vor ihrer Ladentür in die Seitengasse einzubiegen. Ihre Stimmen überschlugen sich, die Absätze auf dem Kopfsteinpflaster knallten wie Schüsse, um mit zunehmender Entfernung immer mehr zu verhallen. Hätte sie ihre Sprache gesprochen, hätte sie verstanden, was geschehen war, doch zu mehr als einem »Herzlich willkommen« und »Danke« reichten ihre Chinesisch-Kenntnisse nicht.
Verwundert und leicht nervös trat sie vor ihre Tür. Und zum ersten Mal in ihrem Leben ließ sie den Rest ihrer angebissenen Kugel achtlos irgendwo auf der Theke liegen.
2
Luise pflanzte soeben kleine junge Salatpflänzchen in dem an das Haus angrenzenden Garten ein, sie nannte sie zärtlich »Babys«, und mit ihren Gedanken war sie bei Hannah. Seit geraumer Zeit fiel ihr auf, dass ihre Partnerin an Gewicht zulegte und manchmal traurig wirkte. Sie kannte den Grund. Hannah war schon lange keine glückliche Ladenbesitzerin mehr. Die Geschäfte liefen nicht besonders gut, selbst nicht in der Hauptsaison, im Sommer. Dabei gab sich Hannah die allergrößte Mühe. Sie hatte den Laden in ein Schmuckkästchen verwandelt und kümmerte sich liebevoll um jeden Touristen, der ihr Geschäft betrat, und dennoch. Mit ihrem Angebot an Souvenirs erzielte sie längst keine Gewinne mehr. Touristen kamen in diese Gegend der Uckermark, um die lieblichen sanften grünen Hügel zu erklimmen und um sich nach einer solchen Wanderung in einem der zahlreichen Seen abzukühlen; die Dörfer dieser so dünn besiedelten Region besichtigten anders als zu früheren Zeiten inzwischen nur noch die wenigsten.
Die Gedanken an Hannah zerstoben augenblicklich in ihrem Kopf. Auf dem lehmigen Boden hockend, die Sonne im Rücken, starrte sie auf die Pflanze in ihren Händen.
Etwas Sonderbares, Unerklärliches überzog zu ihrer Rechten das Kräuterbeet. Sie sah dieses Etwas, verstand es aber nicht.
Ein unnatürlich großer Schatten wanderte über die Petersilienblätter, die Thymiankräuter und die Rosmarinpflanzen, bedeckte sie und wuchs weiter. Nun lagen auch ihre älteren Salatpflanzen sowie die Erbsen in dieser gespenstischen Dunkelheit.
Nahezu über ihrem gesamten Garten herrschte plötzlich Finsternis.
Das war unmöglich, sie kannte die Landschaft in ihrem Rücken zu gut, um zu wissen, dass dieser Schatten nicht natürlichen Ursprunges sein konnte. Wiesen, Hügel und ein See. Mehr gab es hier nicht.
Sie starrte noch immer auf das Salatpflänzchen in ihren kaltnassen Händen und eine Art lähmendes Entsetzen packte sie, alle Klarheit wich aus ihrem Kopf. Ihr Herz raste, es trommelte gegen ihre Brust. Mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft zwang sie sich, ihren Kopf zu drehen und nach oben zu blicken!
Sie sah es! Ein riesiges schwarzes rundes Objekt hatte sich über unsere Sonne geschoben, es hatte fast exakt deren Größe. Nur noch eine kleine Sonnensichel war erkennbar. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der es sich Millimeter um Millimeter weiter fortbewegte, verharrte es und blieb in dieser Position, komplett vor der Sonne, unserer Sonne, von der nun nur noch ein Lichtkranz zu erkennen war.
Luise sprang mit einem entsetzten Schrei auf. Ohne den Blick abzuwenden, rannte sie ins Haus und schrie den Namen ihres Sohnes. Sie rief ihn wiederholt, wobei ihr ihre Stimme fremd erschien. Das war nicht mehr ihre Stimme, und die Beine, die sie trugen, waren auch nicht mehr ihre Beine. Sie rief ihn und stürzte in sein Zimmer, ohne – wie sonst immer – anzuklopfen oder zu horchen, ob er überhaupt wach sei. Sie stürmte hinein und stolperte über seine auf dem Boden zerstreut liegenden Kleidungsstücke und Schuhe, und zum ersten Mal in ihrem Leben störte sie sich weder an seiner Unordnung noch an der schlechten verbrauchten Luft in seinem Zimmer, an den Ausdünstungen, die seinem Alkohol- und nur der Himmel weiß, was sonst noch -konsum geschuldet waren. Sie störte sich nicht nur nicht daran, sie nahm es auch überhaupt nicht wahr. Sie hastete zu ihm und rüttelte ihn: »Konstantin, werde wach!«
Der junge Mann blinzelte und zog sich reflexartig die Decke über den Kopf – so wie früher, tagein, tagaus, wenn sie morgens in sein Zimmer kam und ihn weckte, weil das Frühstück und die Schule auf ihn warteten. ›Warum weckst du mich, es ist doch noch dunkel draußen, es ist doch noch gar nicht Tag‹, wollte er beleidigt entgegnen, schließlich drang durch seine geschlossenen Fensterläden kein Lichtschimmer. Doch irgendetwas in ihrer Stimme und an ihrer Haltung ließ ihn diesen Satz nicht aussprechen, sondern alarmiert aufhorchen. Von einem Augenblick auf den nächsten war er hellwach.
Seine Mutter schaltete das Licht ein und Konstantin erschrak. Noch nie in seinem Leben hatte er diese starke Frau so aufgewühlt und verstört gesehen, und er fühlte, wie ihm sein Blut in den Adern gefror. Er begann zu zittern, er spürte, dass etwas Furchtbares geschehen sein musste. Er wollte es nicht wissen, er wollte es nicht hören, es wird doch nicht seiner großen Schwester Sophie etwas zugestoßen sein? Sein hübsches jungenhaftes Gesicht wurde kreidebleich, und seine Mutter zog ihn aus dem Bett. Diesen großen sportlichen jungen Mann zog sie mit einer Leichtigkeit hoch, als wäre er noch ein Schuljunge, und führte ihn zum Fenster, und er ließ sich führen und sich das Unaussprechbare zeigen. Luise sagte nichts, ihre Kehle war viel zu trocken, um auch nur einen verständlichen Laut von sich geben zu können. Sie öffnete die Fensterläden und beide schauten hinaus. Und sie sahen Finsternis.
Das kleine unschuldige Salatpflänzchen entglitt Luises Hand.
»Ich hatte einen Traum, der keiner war.
Die Sonne war erloschen, und die Sterne,
verdunkelt, schweiften weglos durch den Raum,
kein Mond, die Erde schwang im Äther, blind
und eisig sich verfinsternd; kam der Morgen
und ging und kam – er brachte keinen Tag …«
Aus: »Finsternis« von Lord Byron
3
Panik ergriff sie, sie schnappte sich ihr Rad und radelte los. ›Nach Hause, nach Hause‹ waren ihre einzigen Gedanken, und sie trat in die Pedalen wie noch nie zuvor. Dunkelheit herrschte um sie herum, die Natur schien stumm, kein Vogelgezwitscher war zu vernehmen, dafür durchbrachen Sirenen und aufgeregtes, vielstimmiges und sich überschlagendes Hundegebell in den Gärten die Stille.
›Was ist das, um Himmels willen?‹ Ihr Herz hämmerte. Sie spürte, wie ganze Schweißbäche über ihren Nacken und ihr Gesicht rannen, schwindelig fühlte sie sich, nicht nur vor Furcht, sondern auch von dem ungewohnten Tempo, das sie vorlegte. Später würde sie sich an die zurückgelegte Strecke, an die Menschen, die panisch ihren Weg kreuzten, an deren Schreie und an die stetig zunehmende Kälte nicht mehr erinnern, lediglich das Chaos in ihrem Kopf würde sich in ihr Hirn einbrennen. ›Den Laden nicht abgeschlossen, fahr schneller, Hannah! HANNAH, fahr! Alles im Laden vergessen, Tasche, Rucksack, alles … Laden nicht abgeschlossen! Was ist das? Kommen sie?‹ Und immer wieder: ›Heut ist nicht mein Tag!‹
Sie erreichte das Haus, warf ihr Rad von sich und fühlte sich einer Ohnmacht nah. Ihr war speiübel, sie konnte keinen Schritt mehr tun, ihre Beine waren bleischwer und ihr Kopf auch. Das Letzte, was sie sah, waren zwei schemenhafte Gestalten, die ihr entgegeneilten. Sie waren nur vage zu erkennen, sie wirkten geisterhaft. »Ich sterbe, Luise …«, flüsterte sie. Und plötzlich, wie von Zauberhand – Stille. Keine Regung. Kein Gedanke. Nichts.
»Sie wird schon wieder zu sich kommen, Mama, mach dir keine Sorgen, sie ist vor Überlastung kollabiert und ich habe sie rechtzeitig aufgefangen, sie ist nicht verletzt.« Luise ergriff Konstantins Arm und drückte ihn. Stolz war sie auf ihren Sohn, sehr stolz. Diese Geste war ihm wohlbekannt und er spürte ihre Verbundenheit. Trotz dieses ganzen Wirrwarrs hatte sie an ihn gedacht, seine Mutter war wirklich einzigartig. Und er war ihr dankbar, denn sie war es, die ihn stets zum Training fuhr, die dafür sorgte, dass er seinen geliebten Sport ausüben konnte, und die ihn unzählige Male zum Durchhalten motiviert hatte und die an ihn glaubte, oft als Einzige. Ohne sie hätte er nicht so viel Kraft entwickelt und hätte die arme Hannah nicht auffangen können. Sie hätte sich sicher schlimm wehgetan. In diesem Augenblick spürte er in seinem Rücken ein Ziehen. ›Hannah ist nicht so leicht wie die Mädchen, mit denen ich ausgehe‹, dachte er bei sich und ein Grinsen machte sich breit.
In diesem Augenblick schlug Hannah die Augen auf. »Warum grinst du so, Konstantin?«, gab sie gedehnt von sich. »Ach, ich sehe sicher lustig aus!« Hannah nahm im Halbdunkel wahr, wie sich nun auch Luise über sie beugte und ihr Gesicht mit Küssen bedeckte. Sie kam langsam wieder zu sich und fragte: »Luise? Luise, was ist passiert?«
»Du bist so schnell nach Haus geradelt, WELTREKORDVERDÄCHTIG«, scherzte Konstantin, »ich melde deine Leistung dem Guinness-Buch.«
»Die Telefonleitungen sind tot. Wir haben versucht, dich im Laden und Sophie auf ihrer Arbeit zu erreichen, nichts geht mehr«, sprach Luise. »Fernseher ist auch hinüber«, warf Konstantin ein. »Kein Minecraft mehr, kein Game of Thrones«, und verzog gespielt bekümmert sein Gesicht. Konstantin war wohl bemüht, die Stimmung aufzulockern, doch die beiden Frauen nahmen keine Kenntnis davon.
Sie waren inzwischen ins Haus getreten. »Meinst du, sie kommen?«, fragte Hannah leise und bemerkte, dass im Wohnzimmer zwei Kerzen entzündet waren und etwas Licht spendeten.
»Ich weiß es nicht! Aber ich weiß, alles wird gut!«, lächelte Luise, seit Stunden wohl zum ersten Mal, und schaute zum Fenster. Konstantin und Hannah folgten ihrem Blick und sahen nur Nacht.
»Nichts wird gut, Mama! Die Erde geht unter, wir werden alle sterben, das Ganze hier ist schlimmer als jeder Katastrophenfilm, den ich kenne!« Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit. Luise musste lediglich in seine Richtung abwinken und schon verstummte der junge Mann.
»Strom haben wir auch keinen mehr, aber Wasser, wir zwei haben bereits alle unsere Wasserkanister, Schüsseln, Waschbecken und die Badewanne gefüllt. So, wie wir es besprochen haben, für solch einen Fall. Konstantin, sei so gut und gehe in den Keller und schau nach unseren Vorräten.«
»Oh, das ist ja Wahnsinn, im tiefsten Inneren hätte ich nie gedacht, dass es wirklich zu so einem Fall kommen wird, oh, Luise, aber es ist jetzt so weit, oh, was wird passieren? Wie gut, dass wir uns auf eine solche Situation vorbereitet haben, hoffentlich haben wir an alles gedacht, oh, Luise, ich habe Angst!« Luise nahm sie in ihre Arme. »Ich habe auch Angst, aber auch eine gottverdammte Zuversicht, dass alles gut wird. Hannah, alles wird gut, sogar besser, ich fühle es und du doch auch, oder nicht?« »Doch, ja, das tue ich, das weißt du. Verstehst du das Ganze? Was ist das? Was wird geschehen? Was meinst du?« Das war typisch für Hannah, sie bombardierte ihre Frau gern mit Fragen; zahllosen Fragen, die gleichzeitig auf Luise einprasselten und diese somit vor große Herausforderungen stellten, weil sie nicht wusste, welche sie zuerst beantworten sollte. Und bevor sie überhaupt zu einer Antwort ansetzen konnte, hagelte es weitere Fragen: »Es kann doch keine Sonnenfinsternis sein, oder? So lange doch nicht, oder? Aber es sieht genauso aus, oder? Aber der Mond müsste sich doch weiter bewegen, oder? Oder die Sonne? Ach, ich bin so nervös, ich kann nicht mehr denken, vielleicht hat mein Gehirn durch meine Ohnmacht Schaden genommen? Ach, was rede ich, Luise, nun sag doch endlich etwas! Was denkst du? Kann es der Mond sein, der sich direkt vor die Sonne geschoben hat? Ist das möglich? Oder ist es ein Ufo? Ist es ein Planet? Meine Güte! Hast du Sophie erreicht? Was sagt sie? Wie kommt sie zu uns? Luise, ich habe den Laden nicht abgeschlossen, soll ich schnell hinfahren und zuschließen? Luise!?« Sie warf die Decke, die ihr Luise umgelegt hatte, von sich, sprang auf, ihre Übelkeit kehrte zurück, doch tapfer, wie sie sein konnte, ließ sie sich davon nicht abhalten und rannte in die Diele, zur Haustür hinaus und verschwand in der Dunkelheit. Luise holte sie nach etwa einhundert Metern ein. Sie war um einiges fitter als Hannah. »Wo willst du denn um Himmels willen hin? Deinen Laden wird niemand plündern, niemand vermutet, dass die Türen nicht zugeschlossen sind, und außerdem sind darin keine Dinge, für die sich die Menschen JETZT interessieren! Hannah, besinn dich bitte! Dreh nicht durch!« Hannah war zu kurzatmig, um zu antworten. Sie schnappte nach Luft und ließ sich auf die Erde fallen. Luise setzte sich neben sie und die beiden Frauen schauten gemeinsam nach oben. Von der Sonne war nur ein Lichtkranz übrig geblieben und dieser veränderte sich um keinen Deut. »Gespenstisch«, flüsterte Luise und schaltete für einen Moment ihre mitgebrachte