Ausbruch ins Leben: Ein spiritueller Roman
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Über dieses E-Book
Ein spiritueller Roman mit einem tieferen Hintergrund. Über Angst und Zweifel, Hoffnung und Durchhalten, über Bangen und Warten und die Rettung, die immer in letzter Sekunde kommt.
Waltraud Gauglitz
Waltraud Gauglitz arbeitet als Heilpraktiker für Psychotherapie und ist spezialisiert auf Angsterkrankungen und Panikattacken. Sie hat zwei Bücher geschrieben "Der Weg aus der Angst" und "Angst ist die andere Seite von Liebe". Beide Bücher befassen sich mit Angst, dem Leben, dem Schicksal und der Integration von Erfahrungen in das Schicksal und sind Selbsthilfebücher. Das Buch "Ausbruch ins Leben" ist ihr erster Roman, der aber mit den Themen, mit denen sie sich beruflich beschäftigt, verwandt ist. Auch der Roman ist, wie bereits ihre Sachbücher, ein Plädoyer fürs Leben.
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Buchvorschau
Ausbruch ins Leben - Waltraud Gauglitz
Alle Personen, Handlungen und Orte
sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit
lebenden oder nicht mehr lebenden
Personen sind reiner Zufall.
Sie schlug die Haustür hinter sich zu, warf den Rucksack über die Schulter und hob die beiden schweren Reisetaschen an, um die wenigen Stufen hinunter zum geschlungenen Eingangsweg zu gehen, an dessen Ende das Taxi bereits wartete. Als der Fahrer sie kommen sah, stieg er aus und öffnete den Kofferraum. Mit einem freundlichen „Hallo" nahm er ihr die schweren Taschen ab und verstaute sie im Auto.
„Den Rucksack auch?" fragte er.
„Nein, den behalte ich bei mir", antwortete sie, öffnete die Beifahrertür und ließ sich in den Sitz fallen. Den dick gepackten, grünen Rucksack verstaute sie zwischen ihren Beinen auf dem Boden.
„Wohin geht’s?" fragte der ältere Fahrer freundlich.
„Zum Bahnhof nach T.", antwortete sie.
Während er anfuhr, warf sie noch einen Blick zurück auf das große Haus mit der schneeweißen Fassade und dem roten Ziegeldach, in dessen Erdgeschoss ihre Mutter gerade ihr Mittagsschläfchen hielt, in dessen Obergeschoss ihre beiden kleinen Hunde in ihrem Körbchen lagen und schliefen und das sie nie wiedersehen würde. Abschied. Endgültig. Keine Wehmut aufkommen lassen, die Entscheidung war gefallen.
„Wohin geht die Reise?" fragte der Fahrer neugierig, um ein Gespräch in Gang zu bringen, immerhin dauerte die Fahrt zum Bahnhof fast eine halbe Stunde. Aber ihr war nicht nach Reden zumute. Irgendwie fühlte sie sich wie in Trance.
„Ich besuche eine Freundin in München", log sie. Bloß nichts verraten, nicht, dass nachher noch jemand herausfinden konnte, wo sie war, indem man den Taxifahrer ausfindig machen würde. Das würde grade noch fehlen. Sie war auf der Flucht.
Sie dachte zurück an den gestrigen Abend, an die Wochen zuvor, an ihr Leben. Mit grade mal achtzehn hatte sie geheiratet, da war sie sogar ein Jahr jünger als ihr Sohn jetzt. Wie konnte man nur so dumm sein? Liebe war es nicht, sie wollte endlich jemanden haben, der für sie da war. War das nicht dasselbe wie Liebe? Aber die Ehe war schon nach vier Jahren vorbei, gerade da, als sie schwanger wurde. Sie war ihrem Mann gefolgt, 200 km weit weg in eine Kleinstadt, in der er als Berufssoldat stationiert war. Sie hatte ihren Job aufgegeben, um für ihn da zu sein, um sich um ein gemütliches Zuhause zu kümmern, sie träumte von einer Familie, von Zusammenhalt und Glück, von Füreinander-Da-Sein und Wärme und Nähe, davon sich fallenzulassen in ein Nest der Geborgenheit. Genau das war es, was sie sich so sehr wünschte, was sie ihr Leben lang vermisst hatte.
Ihre Kindheit war nicht grade schön gewesen. Ihre Eltern waren nicht böse, sie waren bettelarm und beide krank und so mit sich selbst beschäftigt, dass für sie als Kind überhaupt kein Platz in deren Leben war. Immer hatte sie das Gefühl gehabt, sie war eben da, weil sie da war, nicht deshalb, weil man sie wollte, brauchte oder liebte, sie war einfach nur da, vielleicht zufällig oder aus gar keinem Grund oder weil es einfach so sein sollte, dass Eltern Kinder bekamen. Nie hatte sich jemand um sie gekümmert, nicht in der Schule, nicht als sie ins Berufsleben startete, nie hatte jemand gefragt, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte oder in welche Richtung sie gehen wollte, alles war immer vollkommen ihr selbst überlassen gewesen. Das war ihr Schicksal. Sie kam sich vor wie ein herrenloses Boot, das auf dem Ozean trieb und keinen Hafen fand. Hier hatte sie ihren Hafen gehabt, zumindest würden andere es so sehen – ein großes, eigenes Haus, einen Mann, der viel Geld verdiente, einen wohlgeratenen Sohn, Friede, Freude, Eierkuchen. Aber das war nur der äußere Schein. Unter der Oberfläche brodelte und kochte es, in diesem Haus war das Glück niemals eingezogen, es war ein Haus ohne Zuhause, es war nicht warm und nicht geborgen, es war nicht gemütlich, es war kalt und einsam.
Vierundzwanzig Jahre war sie nun verheiratet, hielt aus in dieser Ehe, in der man aneinander vorbei lebte wie zwei Seifenblasen, die sich niemals berühren durften und in denen jeder von ihnen eingeschlossen war, unantastbar, unberührbar, allein mit sich und für sich. Sie konnte es nicht mehr ertragen und nach dem gestrigen Abend war ihr klar, sie musste dieses Leben beenden.
„Schönes Wetter", riss der Taxifahrer sie aus ihren Gedanken.
„Ja, entgegnete sie, „vor allem noch so warm
.
Es war ein herrlicher Spätsommertag Mitte September. Das Thermometer zeigte fast dreißig Grad. Die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel. Ein gutes Zeichen, dachte sie, ein sehr gutes Zeichen für einen Neuanfang, für einen Start in ein neues Leben, in dem sie vielleicht mal das finden würde, was für sie Glück bedeutet. Jemanden haben, der zu ihr steht, nicht mehr allein sein, die Erfüllung finden, einen Sinn im Leben, wissen, wofür man da ist.
Ein halbes Jahr zuvor war sie beim Anwalt gewesen und hatte sich erkundigen wollen, was bei einer Scheidung auf sie zukam. Sie hatte dem Anwalt erzählt, dass die Situation für sie unerträglich geworden war. Nichts verband sie mehr mit ihrem Mann, das einzige, was zwischen ihnen stand, war Hass und Ablehnung. Er war cholerisch, rechthaberisch und besitzergreifend. Was immer sie interessierte, lehnte er ab, oft einfach aus Prinzip. Er hatte immer Recht, keine andere Meinung galt als seine eigene und wo er konnte, machte er sie nieder. Jähzorn und oft auch Gewalt bestimmten den Alltag. Der Anwalt hörte sich ihre Geschichte an und meinte:
„Ich sage es Ihnen ganz ehrlich. Wenn sie mit zweiundvierzig von vorne anfangen wollen, ohne Job, ohne eigenes Geld, landen Sie bei der Sozialhilfe, Sie kommen niemals mehr auf die Füße. Beißen Sie die Zähne zusammen und bleiben Sie, wo sie sind."
Völlig niedergeschlagen war sie nach diesem Gespräch nach Hause geschlichen. Das war also der Rest ihres Lebens? Zähne zusammenbeißen und in dieser Situation aushalten? Der Gedanke schien ihr unerträglich. Nicht, dass sie nicht auch Schönes gehabt hätte. Sie hatte keine finanziellen Sorgen, materiell ging es ihr sehr gut, ihre Familie war sehr angesehen in dem kleinen Ort, in dem sie wohnten. Sie hatten zehn Jahre zuvor das große Haus gebaut, in dem ihre Mutter mit eingezogen war und ein Wohnrecht auf Lebenszeit hatte. Sie hatte eine große Terrasse, einen großen Balkon, einen riesigen Garten, ihren Sohn, der ebenfalls unter seinem Vater litt, ein eigenes Auto, zwei süße Hunde, an Materiellem fehlte es ihr nicht. Aber eines hatte sie nicht – ihr Herz war leer, es fehlte das Gefühl und was an Gefühl da war, war negativ.
Am Abend zuvor war er nach Hause gekommen und hatte einen Tobsuchtsanfall bekommen. Irgendwie hatte er von dem Anwaltstermin, der schon sechs Monate zurücklag, erfahren. Woher, konnte sie sich nicht erklären, denn niemand außer ihr und dem Anwalt, wusste davon. Er hatte sie am Kragen gepackt, mit dem Rücken gegen den Küchenschrank gedrückt und sich wutentbrannt vor ihr aufgebaut. Sein Gesicht war rot angelaufen, während die Adern am Hals dick hervorgetreten waren. Mit zusammengekniffenen Augen hatte er die Faust vor ihr Gesicht gehalten und durch die zusammengepressten Zähne gezischt:
„Wenn Du mich verlässt, bringe ich Dich um, das schwöre ich Dir, so wahr ich hier stehe. Niemals wirst Du das überleben. Also überleg Dir gut, was Du tust."
Sie war vor Angst fast erstarrt, denn sie kannte seine Wutausbrüche. Mehr als einmal hatte er Möbel zerschlagen, Geschirr an die Wand geschmissen, nach ihr getreten oder sonstige Affekthandlungen begangen. Kurz vor Weihnachten, ein Jahr zuvor, sammelte er ohne ersichtlichen Grund ihr Scheckkarten ein, ihren Führerschein, nahm alle Papiere mit, die wichtig waren, Bankunterlagen etc. und sagte, er würde sich scheiden lassen und das Haus verkaufen. Sie selbst, aber auch ihre Mutter, waren zu Tode erschrocken und befürchteten, das Zuhause zu verlieren, das Dach über dem Kopf. Corinna war klar geworden, wie abhängig sie war. Sie war nicht berufstätig, sie hatte kein eigenes Geld, sie konnte nichts vorweisen als ihr Hausfrauendasein und damit hatte er sie vollkommen in der Hand. Was immer ihm auch in den Sinn kam, sie war hilflos und konnte sich nicht wehren und sie litt furchtbar unter dieser Tatsache. Mehrmals hatte sie versucht, einen Job zu finden, aber er hatte ihr diese Bemühungen immer und immer wieder zerstört mit seiner krankhaften und grundlosen Eifersucht. Sobald sie aus dem Haus ging, verdächtigte er sie, ihn zu betrügen, fühlte sich hintergangen und beschuldigte sie, Dinge getan zu haben, nach denen ihr nicht mal in Gedanken der Sinn stand, geschweige denn in der Realität. Nie hätte sie sich unterstanden, sich mit einem anderen Mann, sei es auch nur ein Arbeitskollege, zu unterhalten, alleine auszugehen oder ähnliches. Sie hatte lange erkannt, dass sie eine Gefangene war, eine Sklavin, die keinen eigenen Willen haben durfte und