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Deine Liebe hält mein Herz: wenn es zu zerbrechen droht
Deine Liebe hält mein Herz: wenn es zu zerbrechen droht
Deine Liebe hält mein Herz: wenn es zu zerbrechen droht
eBook230 Seiten3 Stunden

Deine Liebe hält mein Herz: wenn es zu zerbrechen droht

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Über dieses E-Book

Sheila Walsh, weiß wovon sie redet. Denn sie hat sie erlebt: die starken und heftigen Stürme, die einen im Leben treffen können. Und sie kennt die Begleiterscheinungen und Folgen: Verletzungen, Krisen, Scherben. "Deine Liebe hält mein Herz" ist ein Buch wie ein Erste-Hilfe-Koffer für die Seele – damit aus Rissen und Brüchen keine lebenslangen Wunden werden! Sheila Walsh macht mit ihrem Buch Mut, mit Gottes Kraft eine Persönlichkeit zu werden, die stärker ist als jemals zuvor! Und der es gelingt im Vertrauen auf seine Liebe den Stürmen des Lebens Stand zu halten.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Feb. 2019
ISBN9783765575303
Deine Liebe hält mein Herz: wenn es zu zerbrechen droht

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    Buchvorschau

    Deine Liebe hält mein Herz - Sheila Walsh

    1. Erlösung – täglich neu

    Erst stürzen wir, und dann erholen wir uns wieder von dem Sturz. Beides ist Gnade Gottes.

    Juliana von Norwich³

    Every morning the sun comes up anyway.

    Rich Mullins

    Ein bleiches, müdes Gesicht starrte mich da im Spiegel der Künstlergarderobe an. Ich hatte Gewicht verloren, ohne dass ich es beabsichtigt hatte – ich hatte in jenen Tagen einfach nicht genug Antrieb, um zu essen. Ich fühlte mich krank und fröstelte innerlich. Was war los mit mir?

    Es war Zeit für meine tägliche Fernsehshow, und Gail, unsere Regieassistentin, kam in den Raum. „Fünf Minuten bis zur Sendung", sagte sie. Ich schnappte meine Notizen, ging raus ins Studio und nahm meinen Platz ein am Set von Heart to Heart with Sheila Walsh.

    Die Scheinwerfer gingen an, ich spürte ihre Hitze auf den Wangen. Der Regisseur gab mir das Zeichen, und los ging’s.

    „Hallo, herzlich willkommen. Ich bin sicher, Sie haben Lieder wie „Sing Your Praise to the Lord oder „Awesome God schon von verschiedenen Künstlern gehört – mein heutiger Gast hat diese und andere Lieder geschrieben. Aber er ist nicht nur Singer-Songwriter und veröffentlicht Platten, es ist ihm auch ein Anliegen, echt zu sein, die Wahrheit zu sagen, aufrichtig mit seinem Publikum umzugehen. Das verrät uns auch sein jüngstes Album The world As Best As I Remember It, Volume 2 – darauf denkt er viel über das Leben nach. Begrüßen Sie mit mir: Rich Mullins."

    Das Publikum im Studio spendete einen sparsamen Konservative-Kirchgänger-Applaus, und die Kameras schwenkten auf Rich Mullins am Klavier. Er sang „Oh God, You are my God, and I will ever praise you." Die Art, wie er sang, die Tiefgründigkeit des Textes, der Schmerz, der aus diesem Lied heraus sprach – das hatte etwas Eigentümliches. Es war, als wäre jener Schmerz direkt unter der Oberfläche und würde die Melodie vorantreiben. Es war ein tröstendes und zugleich beunruhigendes Stück, die Art von Lied, die das Gefühl weckt, schutzlos und entblößt zu sein. Der Text drang durch bis zu dem Ort, wo mein Geheimnis wohnte, ein Geheimnis, das ich mit niemandem teilen konnte.

    Nach dieser Eröffnungsnummer stand Rich vom Klavier auf und setzte sich mir gegenüber. Der Applaus flaute ab, und ich stellte Rich meine erste Frage. „Was ist das Wichtigste in Ihrem Leben?"

    Ich erinnere mich noch genau an seine Antwort.

    „Das kann zwar in einzelnen Momenten etwas unterschiedlich sein, aber ich denke mal, es gibt nichts Wichtigeres, als dass man voll und ganz das wird, wozu man berufen ist. Wie Gott einen gedacht hat. Verstehen Sie, was ich meine? Darum geht es im Kern bei der Erlösung."

    Ich wünschte, ich hätte gewusst, wie wahr diese Antwort war. Ich wünschte, ich hätte damals nachgehakt und ihn gebeten, mehr über sein Verständnis von Erlösung zu sprechen und darüber, wie wir voll und ganz das werden können, wozu wir berufen sind. Ich hatte keine Ahnung, wie sehr ich die Weisheit des Rich Mullins in den folgenden Wochen und Jahren noch benötigen würde – die Weisheit eines sechsunddreißigjährigen Musikers. Stattdessen ging ich über zur nächsten vorbereiteten Frage.

    „Inwiefern sind Sie heute mit sechsunddreißig Jahren anders als noch mit sechsundzwanzig Jahren?"

    „Oh, ich habe mich stark verändert, sagte er. „Ich habe genügend Fehler gemacht, um zu erkennen, dass die Welt nicht untergeht, wenn man Fehler macht … Die Sonne geht trotzdem jeden Morgen auf. Ich denke, wenn man erst mal aufhört, sich vor Fehlern zu fürchten, wird man viel freier.

    Das ganze Interview hin durch sprach Rich über Verantwortung, über Gemeinschaft und über die Einsamkeit, die darin liegt, dass man sich nicht verstanden fühlt. Er sprach über meinen tiefsten Schmerz, meine größten Sehnsüchte, aber das habe ich damals nicht verstanden. Schlimmer noch, ich wusste nicht, wie ich um Hilfe bitten konnte. Frei zu sein, ganz die zu werden, als die mich Gott geschaffen hat – das schien unerreichbar für mich, und die schiere Vorstellung war bitter.

    Ich wusste nicht, dass Gott sich bereits überlegt hatte, wie er mir das Verständnis dafür verschaffen würde. Ich wusste nicht, dass binnen weniger Wochen mein ganzes Lebensgebäude zusammenbrechen würde und dass ich dadurch ein völlig neues Verständnis von Erlösung gewinnen würde. Ich hatte keine Ahnung, dass diese Sorte Erlösung, von der Rich sprach, kein angenehmer Vorgang ist. Manchmal ist es ein kostspieliges, blutiges Durcheinander.

    Ich habe viele Jahre lang nicht mehr an dieses Interview mit Rich Mullins gedacht, aber dann kam in einer Unterhaltung sein Name zur Sprache. So suchte ich auf YouTube, ob das Interview vielleicht dort zu finden war. Ich hatte Erfolg und fragte Barry, meinen Mann, ob er die Aufnahme mit mir anschauen wolle. Die vertraute Melodie erklang, und als die Show begann, wurde ich in jene vergangene Zeit und an jenen Ort zurückversetzt.

    Eine Weile sagte keiner von uns ein Wort. Dann fragte Barry: „Hast gesehen, wann die Show ursprünglich gelaufen ist?"

    „Ja, es war im Mai 1992", sagte ich. Da erst wurde mir die Bedeutung des Datums klar.

    „Wie lange war das, bevor du in der Klinik gelandet bist?"

    „Drei Monate."

    „Aber du siehst gut aus. Wenn ich es nicht wüsste, ich hätte nie geglaubt, dass du damals am Rand des Zusammenbruchs warst."

    Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Er hatte recht. Ich sah in der Fernsehaufnahme sehr gefasst und kontrolliert aus, dabei war ich damals innerlich am Sterben. Jeden Tag war wieder ein wenig mehr von mir verschwunden.

    „So aussehen, als ob alles in Ordnung wäre – darin war ich gut. Das war ja ein Teil des Problems."

    „Es ist nicht nur das. Hör mal auf deinen Akzent, sagte Barry. „Ich habe einige Shows im Ohr, die du in den frühen 90ern gedreht hast. Aber hier klingt auffällig dein Schottisch durch. Ich frage mich, warum?

    Ich dachte einen Moment nach, versuchte mich an jene dunklen Tage zu erinnern. „Ich denke, ich fiel durch ein Loch dahin, wo alles begonnen hatte", sagte ich.

    Mein Interview mit Rich Mullins fand nur wenige Wochen vor meinem Zusammenbruch statt, aber man sah es mir nicht an.

    Tag für Tag saß ich damals vor einem Studiopublikum und erzählte den Leuten, dass Gott sie liebt und am Ende alles gut ausgeht. Und ich habe das alles von ganzem Herzen geglaubt – zumindest kam es dem Publikum so vor. Dabei war ich zutiefst davon überzeugt, dass ich viel zu weit weg war von der Guten Nachricht, innerlich allzu verloren, als dass sie an meinen eigentlichen Schmerz heranreichen könnte. Da waren Orte des Zerbruchs, die ich vor dem Licht verbarg, sodass es mich nicht so sehr schmerzte, aber diese Orte wurden immer tiefer in meine Seele getrieben, weit weg von jeder Heilung.

    Vielleicht habe ich den Schmerz begraben, weil er sich auf die Vergangenheit bezog und weil ich hoffte, dass ich eines Tages zu Hause bei Jesus sein würde, und dann wären alle meine Kämpfe ausgestanden. Bis dahin müsste ich nur durchhalten. Ich glaubte daran, dass für meine Vergangenheit gesorgt und dass meine Zukunft sicher sei. Aber ich wusste nicht, wie ich in der Gegenwart ganz ich selbst sein und befreit und erlöst leben konnte. Ich hatte nicht begriffen, was Rich meinte, als er von Erlösung sprach: nämlich im Vollsinn der Mensch zu werden, der zu sein man berufen ist – hier und jetzt, in der Gegenwart.

    Ich frage mich, wie viele Menschen wohl so leben wie ich damals. Wie viele von unseren Freunden? Von unseren Angehörigen? Von den Mitgliedern unserer Kirchengemeinden? Ich frage mich, wie viele Pastoren sonntags auf die Kanzel steigen und anderen Worte des Lebens und der Hoffnung zusprechen, während sie selbst tief im Verborgenen ihren Schmerz hüten?

    Frederick Buechner hat davon geschrieben: „Der Prediger zieht an der kleinen Kordel, die das Licht auf der Kanzel anschaltet, und breitet seine Notizen auf dem Pult aus wie ein Spieler seine Karten. Der Einsatz war noch nie höher. Schon zwei Minuten später wird er seine Zuhörer vollständig an ihre eigenen Gedanken verloren haben, aber in diesem Augenblick hat er sie in der Hand."

    Wird er die Wahrheit sagen? Wird er uns mit seinem eigenen Kampf bekannt machen? Das ist umso schwerer, wenn alle zu einem aufschauen und Hilfe erwarten. Die Versuchung ist schier unerträglich, in dieser Situation das Richtige zu sagen.

    Gott ist gütig.

    Gott liebt Sie.

    Er ist allmächtig.

    Seine Kraft erweist sich gerade in Ihrer Schwachheit.

    Wohlklingende Worte, die da von der Kanzel erschallen. Das Problem ist nur – so war es jedenfalls bei mir in all den zurückliegenden Jahren: Viele von uns beherrschen bereits den Zungenschlag des Richtigen, es geht uns allzu leicht über die Lippen. Wenn wir allerdings innehalten und gründlich überlegen, werden wir möglicherweise entdecken, dass die eigentlich hilfreiche Gedächtnisstütze zu einem bedrohlichen Gefängnis wird. Solche Worte können uns auch das Gefühl vermitteln, dass bei uns etwas nicht stimmt.

    Wie viele meiner frommen Freunde befürchten wohl, dass es sie von der Kirche und vom Glauben entfremden würde, wenn sie sich offen zum Zerbruch in ihrem Leben bekennen? Wie viele stellen sich die Frage: „Wenn Gott gut ist, warum fühle ich mich dann innen drin so schlecht? Wenn Gott mich liebt, warum fühle ich mich so einsam, so ungeliebt?"

    Über Jahre bin ich im Fernsehen aufgetreten oder auf Bühnen gestanden und habe über die Liebe und die Barmherzigkeit Gottes gesprochen. Aber ich habe nicht wirklich verstanden, wie weit und tief diese Barmherzigkeit tatsächlich ist. Ich habe nicht verstanden, dass ich immer noch erlösungsbedürftig war – ich brauchte Erlösung von dem Schmerz, von den Geheimnissen und von den Lügen, die mich quälten.

    Es fällt mir nicht leicht, von meinem inneren Schmerz zu sprechen, weil die Sache unaussprechlich kompliziert ist. Nichts daran lässt sich schönreden. Fast mein ganzes Leben hindurch haben mich Gedanken an Suizid beschäftigt – erst an den meines Vaters, dann habe ich selbst mit dem Gedanken gespielt, meinem Leben ein Ende zu machen. Ein schockierendes Geständnis? Das ist es wohl für die meisten Menschen, und das soll es auch sein. Aber wenn jemand, den Sie lieben, sich das Leben nimmt, wenn Selbsttötung aus dem Bereich des Undenkbaren in die eigene Familiengeschichte einbricht, dann werden sich die Geister jener Wirklichkeit immer wieder melden.

    Als ich noch sehr klein war, habe ich nicht darüber nachgedacht, mein Leben zu beenden. Als Kind hat mich dafür etwas anderes verfolgt – ein immer wiederkehrender Albtraum: Ich sollte hingerichtet werden für ein Verbrechen, das ich nicht begangen hatte. Ich wurde einen langen Gang hinuntergeführt in eine Hinrichtungskammer mit Steinwänden ringsum, nur auf einer Seite war eine Glaswand. Dahinter konnte ich meine Familie sehen, aber sie sahen mich nicht. Sie redeten miteinander und lachten und konnten meine Hilfeschreie nicht hören. Jede Nacht wachte ich schweißgebadet und mit Herzklopfen immer dann auf, wenn ich die Kammer erreicht hatte. Ich kletterte dann aus dem Bett und versteckte mich im Spielzeugschrank inmitten meiner Kuscheltiere. Nie habe ich jemand davon erzählt. Es war mein schambesetztes kleines Geheimnis.

    Die Träume verfolgten mich unablässig, und als ich neunzehn war, wurde mir das alles zu viel. Ich war Studentin am London Theological Seminary und ließ mich ausbilden, um als Missionarin nach Indien zu gehen. Es war mir damals nicht klar, aber ich hatte mir selbst weisgemacht, dass ich etwas tun müsste, was ich eigentlich gar nicht wollte – nämlich Missionarin werden. Gott zuliebe. Dann würde Gott erkennen, wie sehr ich ihn liebe. Und dann würde er vielleicht den Schmerz, die Qualen, die Albträume wegnehmen. Aber ganz gleich, was ich versuchte oder wie sehr ich mich anstrengte – es schien nie genug zu sein. Der Schmerz und die Furcht gingen nicht weg. Ich kam zu der Überzeugung, dass ich niemals den Ansprüchen genügen würde; ich würde nie die Schuld abtragen können für das, was ich meiner Familie angetan hatte. Die Albträume würden niemals enden. Und so nahm ich an einem trüben englischen Abend einen Zug ins Herz von London. Ich lief einige Zeit durch den Regen und war schließlich nass bis auf die Haut.

    Mein Leben kam mir sinnlos vor. Ich liebte Gott und glaubte, dass er mich liebt, aber ich fühlte mich verloren und traurig. Nach Stunden hastete ich zur Bahnstation, um den letzten Zug zu erwischen, und da geschah es. Als ich die Brücke über den Gleisen passieren wollte, warf ich einen Blick nach unten, und da kamen die Stimmen: Spring! Spring einfach. Ein Augenblick nur, dann ist es vorbei.

    Die Stimmen gellten mir in den Ohren, aber da wurde mir die fürchterliche Dunkelheit der Situation bewusst. Ich nahm allen Mut zusammen und rief den einzigen Namen, von dem ich wusste, dass er mir helfen konnte: „Jesus!"

    Die Stimmen verstummten, und ich ging weg vom Geländer, weg von der Hinrichtungskammer, zurück in die sichere Mitte der Brücke. Mein Herz klopfte, Tränen strömten über mein Gesicht, ich fühlte mich beschämt und verängstigt. Ich habe dort zum ersten Mal etwas erlebt, das mir in meinem Erwachsenenleben sehr vertraut werden würde: Ich hatte Angst vor mir selbst.

    Diese Geschichte wäre leichter zu erzählen, wenn es ein einmaliger Vorfall geblieben wäre. Aber so war es nicht. In manchen Nächten starrte ich auf ein Pillendöschen und überlegte, wie einfach es wäre, alle auf einmal zu schlucken. Ich habe auch an andere Methoden gedacht: Springen. Die Pulsadern aufschneiden.

    Dreißig Jahre nach jener Nacht auf der Bahnbrücke waren die Suizidgedanken immer noch da. Manchmal war es nur eine flüchtige Anwandlung, aber dann kam eine Nacht, da wusste ich: Es ging um einen Kampf auf Leben und Tod. Ich erinnere mich nicht mehr, was eigentlich an dem Tag los war, aber als es Abend wurde, spürte ich ein solches dunkles Gewicht auf meiner Seele. Fünfzehn Jahre vorher hatte man mir eine klinische Depression bescheinigt, aber in jener Nacht begann ich erst den höllischen Tanz von Depression und geistlicher Anfechtung zu verstehen.

    Christian war schnell eingeschlafen. Barry merkte, dass es mir nicht gut ging, und schlug vor, ich solle ein Bad nehmen und entspannen. Das wollte und konnte ich nicht. Ich sagte ihm, es ginge mir gut, ich müsse nur ein wenig allein sein. Mit Fortschreiten der Nacht wurde es kalt und still im Haus, und es kam mir so vor, als sickerte das Böse durch die Ritzen des Hauses. Es breitete sich über die Dielen aus, erreichte meine Zehen, wanderte meine Schienbeine hoch, über meinen Leib, saß mir schließlich im Nacken. Und blieb dort.

    Die Waffe in jener Nacht war ein großes Messer. Ich sah es auf dem Abtropfgitter in der Küche liegen, und die Stimmen brüllten.

    Nimm es in die Hand. Es wird nicht wehtun. Es geht ganz schnell. Du musst so nicht weiterleben.

    Ich ging ins Wohnzimmer und legte mich bäuchlings auf den Teppich. Ich konnte nur noch eines tun: wieder und wieder den einen Namen sagen. „Jesus! Jesus! Jesus!"

    Die Stunden verrannen – ein Uhr, zwei Uhr. Um drei Uhr früh veränderte sich etwas in mir. Ich war mir auf einmal bewusst, wem ich gehöre. Ich stand auf und rief „Nein!"

    Ich rief mir einen Bibelvers in Erinnerung, den ich kannte, seit ich ein Kind war, und schwang ihn wie eine Waffe: „Wer den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden" (Römer 13,10).

    Ich sprach den Vers laut aus, und ich glaubte, was ich sagte. Ich rief den Namen Gottes an, denn ich vertraute ihm. Vor der Hölle gerettet und für die Ewigkeit bestimmt war ich bereits, seit ich als elfjähriges Mädchen Jesus als meinen Erlöser angenommen hatte. Aber in jener Nacht brauchte ich Erlösung im Präsens, und das war mir bewusst.

    Ich musste nicht noch einmal Christin werden, das nicht. Aber ich brauchte die Kraft des lebendigen Wortes Gottes, um von den gegenwärtigen Peinigern frei zu werden. Und als ich in jener Nacht den Namen des Herrn anrief, erlebte ich, wie er die Dunkelheit und das Böse zurückdrängte – damit auch all die Suizidgedanken. Er hat mich gerettet. Das spürte ich.

    Und das ist die Wahrheit, die ich in jener Nacht erkannt habe: Christus kam, um uns in diesem gegenwärtigen Augenblick zu retten. Mitten aus dem Schmerz. Das Geschenk der Erlösung ist Gottes aktives, gegenwärtiges Geschenk an uns, egal wo wir uns gerade

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