Giganten: Die größten EM-Spiele aller Zeiten
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Über dieses E-Book
Im Sommer 2024 findet die Fußball-Europameisterschaft der Männer in Deutschland statt. Teams aus 24 Nationen spielen um den "Coupe Henri Delaunay", die Trophäe für die Siegermannschaft. Ganz Deutschland freut sich auf dieses Turnier, das hoffentlich so schön und mitreißend wird wie das "Sommermärchen", die ebenfalls in Deutschland ausgetragene WM 2006.
Im vorliegenden, bildstarken Band erzählt Dietrich Schulze-Marmeling die Geschichte und die Geschichten der legendärsten Spiele des Europameisterschaftsturniers – von 1960 bis heute. Darunter sind natürlich auch solche Begegnungen, die sich ins kollektive Gedächtnis der Fußballfans eingebrannt haben:
• 1972: Deutschland wird mit wunderschönem, begeisternden Fußball erstmals Europameister
• 1976: Hoeneß' Elfmeterschuss in den Himmel von Belgrad – die deutsche Elf verliert das Finale gegen die Tschechoslowakei
• 1980: Horst Hrubeschs Kopfball sichert dem DFB-Team in Rom den zweiten EM-Titel
• 1988: Deutschland scheitert im Halbfinale von Hamburg knapp am späteren Europameister aus den Niederlanden
• 1996: Unvergessen – das dramatische Halbfinale gegen England in Wembley und das "Golden Goal" von Oliver Bierhoff im Endspiel
• 2008: Deutschland unterliegt im Endspiel von Wien der Übermannschaft aus Spanien
… aber auch andere Klassiker des größten Fußballfestes auf dem europäischen Kontinent finden in diesem Buch ihren wohlverdienten Platz.
Mit emotionalen Bildern: ein Muss für jeden Fußball-Fan
"Die legendärsten Spiele EM-Spiele" schürt die Vorfreude auf das größte Sportevent des Jahres in Deutschland. Und: Das Buch ist das ideale Geschenk für alle Fußballfans, die dem Turnier heute schon entgegenfiebern!
Dietrich Schulze-Marmeling
Dietrich Schulze-Marmeling ist freier Publizist. Er hat zu friedenspolitischen Themen und zum Nordirlandkonflikt geschrieben; bekannt geworden ist er vor allem als einer der produktivsten deutschen Autoren zur Geschichte und Gegenwart des Fußballs. U.a. hat er sich um die Rekonstruktion der jüdischen Fußballgeschichte verdient gemacht, die nahezu vollständig verdrängt war.
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Buchvorschau
Giganten - Dietrich Schulze-Marmeling
10. Juli 1960, Stade Vélodrome du Parc des Princes, Paris
Sowjetunion – Jugoslawien 2:1 n. V. (0:1, 1:1, 1:1)
Das Duell der Sozialisten
In Paris wird unter Flutlicht gespielt. Das WM-Turnier wird seine Flutlichtpremiere erst 22 Jahre später feiern, 1982 in Spanien.
1960
Nur knapp 18.000 Zuschauer sind zum Finale in das Stade Vélodrome du Parc des Princes in Paris gekommen. Schuld ist nicht nur der Dauerregen. Das Duell zwischen den beiden sozialistischen Staaten interessiert die Pariser nicht. 1956 standen sich die Sowjetunion und Jugoslawien schon einmal in einem Finale gegenüber. Beim olympischen Fußballturnier in Melbourne gewannen die konditionsstarken und muskelbepackten sowjetischen Staatsamateure mit 1:0. In Paris wird unter Flutlicht gespielt. Das WM-Turnier wird seine Flutlichtpremiere erst 22 Jahre später feiern, 1982 in Spanien.
Die sowjetische Sbornaja sieht sich vor dem Finale einem immensen politischen Druck ausgesetzt. Stürmer Viktor Ponedelnik erzählt viele Jahre später dem Freitag: „Unser Oberbefehlshaber (gemeint ist Chruschtschow, Anm. d. R.) wollte Erfolge sehen. Wir kannten die Schicksale anderer Sportkameraden, die auf der Verliererseite standen: Sie wurden als Soldaten in die hintersten Provinzstädte versetzt. Das war das Schlimmste, was einem leidenschaftlichen Fußballspieler passieren konnte." Während UdSSR-Coach Gawriil Katschalin exakt dieselbe Elf auflaufen lässt, die vier Tage zuvor im Halbfinale die Tschechoslowaken geschlagen hat, hat Jugoslawiens Verbandstrainer Alexandar Tirnanić einige Umstellungen vorgenommen. Anstelle von Milutin Šoškić hütet Blagoje Vidinić das Tor. Und für den verletzten Routinier Branco Zebec kommt Jovan Miladinovic zum Einsatz.
Sowjets und Jugoslawen liefern sich ein temporeiches, turbulentes und hartes (aber nicht unfaires) Spiel, das den englischen Schiedsrichter Arthur Ellis schwer beschäftigt. Insbesondere die sowjetischen Abwehrspieler langen gegen das gefürchtete jugoslawische Innensturmtrio mächtig zu. Im ersten Durchgang hat das junge jugoslawische Team mit dem Publikumsliebling und Ballartisten Dragoslav Šekularac, der der Minderheit der Roma angehört, trotzdem mehr vom Spiel und geht in der 43. Minute durch einen Schuss von Milan Galić völlig verdient in Führung. UdSSR-Kapitän Igor Netto hatte den Ball noch abgefälscht. Die Jugoslawen stellen die feineren Balltechniker, agieren aber zuweilen zu verspielt. Laut L’Équipe hätten die Jugoslawen zum Pausentee gut und gerne 3:0 führen müssen. Dass dem nicht so ist, liegt nicht zuletzt am 31-jährigen sowjetischen Keeper Lew Jaschin von Dynamo Moskau, auch „die schwarze Spinne" genannt. L’Équipe: „Er hält jeden Vergleich mit einem Zamora, Hiden oder Planicka aus. Jaschin hätte vermutlich jeden Angriff der Welt zur Verzweiflung gebracht."
Vier Minuten nach dem Wiederanpfiff lässt Jaschins Gegenüber Vidinić einen überraschenden Schuss von Bubukin nur abprallen. Rechtsaußen Metreweli ist zur Stelle und gleicht für die Sowjets aus.
Erst jetzt findet die UdSSR zu ihrem kraftvollen und geradlinig durchdachten Spiel und kann auf dem regendurchtränkten und völlig aufgeweichten Boden ihre physischen Vorteile ausspielen. Tore fallen in der regulären Spielzeit allerdings nicht mehr, sodass das erste EM-Finale in die Verlängerung geht.
Der sowjetische Keeper Lew Jaschin hält den Sieg fest.
Sechs Minuten vor dem Abpfiff dieser gelingt Ponedelnik per Kopf der Siegtreffer für die konditionsstärkere UdSSR. Der Torschütze beschreibt seinen Treffer so: „Die Kombination, die zum goldenen Tor führte, fing bei Lew Jaschin an. Der Torwart nahm den Ball auf und schoss ihn fast bis zur Feldmitte. Juri Woinow überspielte den Gegner und schickte den Ball auf die linke Flanke zu Micheil Meschi. Meschi konnte es sich nicht verkneifen, zwei Täuschungsmanöver vorzuführen, entging dem Abwehrspieler und schlug einen hohen Pass in den Strafraum. Dahin spurtete ich bereits mit vollem Dampf …"
„Jaschin hätte vermutlich jeden Angriff der Welt zur Verzweiflung gebracht."
Den Rest der Spielzeit begnügt sich die Sbornaja mit Querpässen und Ballhalten. Lew Jaschin: „Unsere Leute waren sehr müde. Es fiel ein Nieselregen. Es war sehr feucht. Aber trotzdem hörten unsere Spieler keinen Augenblick auf, daran zu denken, dass sie dieses Spiel gewinnen müssen, koste es, was es wolle. Viktor Ponedelnik über den Schlusspfiff: „Wir lagen da, völlig kraftlos, und weinten vor Freude. Irgendwie konnten wir uns aufraffen und für die Zeremonie mit der Übergabe des Pokals aufstehen. Es folgte die Ehrenrunde mit dem Pokal durchs Stadion. Einige konnten dem Kapitän noch im Laufen folgen, andere trotteten nur schlapp hinterher.
Lew Jaschin wird seine berühmte Mütze geklaut. Jaschins Ehefrau Valentina: „Tausende von Leuten rannten auf den Platz. In dem Chaos nahm ein Fan die Mütze von Lews Kopf und lief weg. Die Menge war so riesig, dass man ihn unmöglich finden konnte."
Angeführt von Kapitän Igor Netto (mit Pokal) und Torhüter Lew Jaschin lässt sich die Mannschaft der Sowjetunion 1960 für ihren Titel feiern.
In Moskau ist es aufgrund der Zeitverschiebung bereits nach Mitternacht. Ponedelnik: „In Moskau schlief niemand in jener Nacht. Man erzählte uns, dass die ganze Stadt erleuchtet war. Die Leute gingen auf die Straße, fielen einander in die Arme und tanzten." Im Mittelpunkt der Kommentare und Bewertungen des Spiels steht Lew Jaschin, der in Paris zum ersten EM-Helden avanciert. Für France Football haben die Sowjets dank „dem Feuer Jaschins und dem Kopf Ponedelniks gewonnen. Jaschin habe bewiesen, „dass er auf jeden Fall der beste Torwart der Welt ist
. L’Équipe lobt Jaschins „Klasse und Übersicht" beim Parieren zweier Chancen von Bora Kostic. Jaschin sei nicht nur ein Meister des Strafraums, sondern zeige auch überragende Reflexe auf der Linie. Gleichwohl sei ihm seine verwegene Spielweise beinahe teuer zu stehen gekommen. In der zweiten Halbzeit war Jaschin von einem Heber Dragoslav Sekularacs überrascht worden. Der Keeper eilte schnell genug zurück, um den Ball noch zu parieren.
„In Moskau schlief niemand in jener Nacht. Man erzählte uns, dass die ganze Stadt erleuchtet war. Die Leute gingen auf die Straße, fielen einander in die Arme und tanzten."
L’Équipe ist vom ersten EM-Finale sehr angetan: „Beide Mannschaften verblüfften das Publikum durch ihre Vitalität, Hartnäckigkeit und dauernden Rhythmuswechsel." Die in der DDR erscheinende Fußball-Woche stößt ins gleiche Horn und blickt optimistisch in die Zukunft: „Dieser Pokalwettbewerb, dessen darf man sich ganz sicher sein, wird nach dem dramatischen Pariser Finale ebenso seinen Weg machen wie der Pokal der Meister, den ebenfalls die UEFA vor fünf Jahren ins Leben rief." In Deutschland widmet der Kicker dem Finale von Paris nicht einmal eine ganze Seite. Unter der Überschrift „Paris sah keinen Europameister" steht zu lesen: „Abzulehnen ist die Bezeichnung Europameisterschaft, da immerhin Länder von fußballerischer Bedeutung