Tigersturz und Ringerbrücke: Effektive Trainingsmethoden für Kampfkunst und Sport
Von Frank Rudolph und Maik Albrecht
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Über dieses E-Book
Dieses Buch stellt einige der effektivsten Trainingsmethoden aus West und Ost vor. Der Leser lernt Übungen kennen, die eine flexible dynamische Kraft aufbauen. Übungen mit und ohne Hilfsmittel werden in Text und Bild vorgestellt, grundsätzlich jedoch ausschließlich Übungen, die man ohne die technischen Geräte und Maschinen der Fitnessstudios praktizieren kann.
Es geht in diesem Werk um erprobte Trainingsformen, die den Körper so schmieden, dass er die Fähigkeit gewinnt, sich im Kampf oder im Wettkampf effektiv zu bewegen. Vor allem geht es um Methoden, die neben ihrem Trainingseffekt den Körper auch auf Dauer gesund erhalten. Derartige ganzheitliche Trainingsmethoden erfordern Disziplin, Leidenschaft und ein umfangreiches Wissen um unser wertvollstes Gut – den Körper. Aus diesem Grund wird im Buch auch ausführlich auf die physiologischen Grundlagen des Trainings eingegangen, so z. B. auf die Rolle der Faszien – des den ganzen Körper durchziehenden Bindegewebes.
Die in dem Buch dargestellten Trainingsmethoden sind für alle Kampfkünste und Sportarten sinnvoll. Der Kampfkünstler, egal welchen Stils, wird sich in seiner Kunst und seiner Kampfkraft erheblich verbessern. Der Leistungssportler kann seine Leistungsfähigkeit steigern, und der Freizeitsportler bleibt fit und gesund.
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Buchvorschau
Tigersturz und Ringerbrücke - Frank Rudolph
Maik Albrecht und Frank Rudolph
Tigersturz und Ringerbrücke
Effektive Trainingsmethoden für Kampfkunst und Sport
Palisander
Der Verlag dankt Dr. Janett Kühnert und Norbert Wölfel (Chemnitzer Karateverein) für die fachliche Unterstützung bei der Redaktion.
Deutsche Erstausgabe
1. Auflage 2014
© 2014 by Palisander Verlag, Chemnitz
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlaggestaltung: Anja Elstner
Lektorat: Frank Elstner
Redaktion & Layout: Palisander Verlag
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016
ISBN 978-3-938305-78-2
www.palisander-verlag.de
Die Autoren
Maik Albrecht, Jahrgang 1981, praktiziert seit mittlerweile zwei Jahrzehnten die verschiedensten östlichen und westlichen Kampfkünste. Mit 20 Jahren ging er nach China und studierte dort chinesische Kampfkunst bei den letzten noch lebenden Meistern des alten Wushu.
2006 gewann er als einziger Ausländer in der chinesischen Profigruppe eine Goldmedaille bei der Wushu-Weltmeisterschaft in Zhengzhou. Im selben Jahr erhielt er den 4. Meistergrad (Wushu Duan) und war zu dieser Zeit der jüngste Ausländer mit einer solch hohen Graduierung. Albrecht besitzt einen Abschluss in Sinologie von der Universität Wuhan, die zu den besten der Welt gehört.
Maik Albrecht ist heute einer der führenden Chinaexperten und Kenner der chinesischen Kampfkünste weltweit. Er trainierte als einer der ersten Ausländer in China sogar Chinesen, unter anderem Mitglieder chinesischer
SWAT-Einheiten
.
Das ARD hat 2008 einen Dokumentarfilm über sein Leben in China gedreht: »Herr Albrecht macht Wushu – Ein Deutscher kämpft in China.« In China, wo er selbst von den Meistern der alten Generation als Kenner und Könner des Wushu anerkannt wird, gibt es zahlreiche Veröffentlichungen über ihn. 2009 drehte das chinesische Staatsfernsehen eine mehrteilige Dokumentation über sein Leben mit der Kampfkunst.
Maik Albrecht lebt in Wuhan, China. Er ist mit der Tochter seines Shifu (Lehrer-Vater) Li Zhenghua verheiratet.
Frank Rudolph, Jahrgang 1969. Nach mehreren Ausbildungen absolvierte er von 1993 bis 1996 ein Journalistikstudium. Tätigkeit als freier Mitarbeiter bei verschiedenen Zeitungen und Magazinen. Seit 1992 Veröffentlichungen über Philosophie, Geschichte, Kampfkunst und Kultur mit den Schwerpunkten Asien und vergleichende Geschichte. Mehrere Studienreisen führten ihn nach China. Er verfasst Belletristik, Lyrik und Essays, des weiteren Biographien und Fachtexte zu den unterschiedlichsten Themen. Er lebt in Wolfsburg.
Frank Rudolph praktiziert verschiedene europäische und asiatische Kampfkünste. Gemeinsam mit Maik Albrecht gründete er das Albrecht-Rudolph Institute of Martial Arts Research (ARIOMAR).
Maik Albrecht (links) und Frank Rudolph.
Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
Impressum
Die Autoren
Widmung
Vorbemerkung
Die Ziele dieses Buches
I. Dehnung
Westliche und östliche Dehnungskonzepte
Übungen zur chinesischen Dehnung
Brückentraining
Die Ringerbrücke
Der Ring
Die Brücke im »Boxen des Betrunkenen«
Der Spagat
Kraftausgabe nach der Dehnung
In die Luft treten
Wechselseitiges Drehen der Beine und Schleudern der Arme
Ausgleichsdehnung nach hinten
Weitere Lockerungsübungen
Beine drehen
Beine werfen
Die große Welle
Das System der Faszien
Anmerkungen zum Muskelkater
II. Übungen zum Kraftaufbau
Einleitung
Vorbemerkung
Von den Urahnen lernen
Training mit Geräten und ohne Geräte
Den Körper verstehen
Übungen ohne Hilfsmittel – der Körper als Hantel
Der Handstand
Ziele und Wirkung
Training des Handstands
Das Strecken des Körpers im Handstand
Auf den Händen laufen
Zusammenfassung
Die Embryonalhaltung
Der herabfallende Zapfen
Der Entengang
Der Liegestütz
Einfache Varianten
Der Pfau
Brückenliegestütz
Hockstreck-Liegestütz
Stützübungen im Handstand
Sit-up-Training aus Ost und West
Die chinesische Methode
Das Klappmesser
Zugübungen
Klettern
Klimmzüge
Shàiyī – »Die Wäsche im Freien trocknen«
Isometrisches Krafttraining
Individuelles isometrisches Training
Kraftausgabe
Isometrische Partnerübungen aus West und Ost
Training mit Hilfsmitteln
Vorbemerkung
Trainingsgeräte für die Geschicklichkeit und die Schlagkraft
Pfahltraining
Puppen und Schlagpfosten
Sandsäcke und Schlagpolster
Krafttraining
Gǔntǒng
Gewichtsmanschetten
Bänder
Der Medizinball
Gewichte
Ostasiatische Hantelvarianten
Stöcke und Keulen
Springen mit und ohne Seil
Übungswaffen
Schwere Übungswaffen
Das chinesische dāo
Vorbemerkung
Einfache Übungen
Akrobatiktraining – Übungen für das Anwenden einer einheitlichen Körperkraft
III. Das Training der inneren Kraft
Was sind Gōng-Übungen?
Stehen wie ein Pfahl
Vorbemerkung
Die Übung
Einige Anmerkungen zum Training der inneren Kraft
Gibt es Gōng-Übungen in den westlichen Kampfkünsten?
Eine linguistische Anmerkung
IV. Grundprinzipien des Trainings für Kampfkünste
Die einheitliche Bewegung des Körpers
Das richtige Gehen
Fünf Linien, sechs Punkte
Einheitlichkeit und Koordination
Kraftlinien
Die Kraftübertragung im zuìbāxiān quán und im wing chun
Die Bedeutung des Körperschwerpunktes
Das Gleichgewicht bewahren
Die Atmung
V. Das Ausnutzen der Schwerkraft
Die unterschiedlichen Zielsetzungen im Leistungssport und in der Kampfkunst
Schwerkraft und Kampfkunst
Geborgte Kraft
Wie man die Schlagenergie erhöht
Der fallende Stern
Kraft von der Erde leihen
Der drop step
Der Ausfallschritt
Die Fersen anheben
Tritt- und Sprungtechniken in der Kampfkunst
VI. Training durch geistige Vorstellung
Die Kraft des Geistes
Den Felsen schieben
VII. Das Training und seine Wirkung
Die Beweglichkeit der Hüften
Lebendigkeit
Weichheit
Ein Wort zur Kraft
Innenspannung
Erkennungszeichen
Modernes Kampfkunsttraining
Gesundheitliche Aspekte
Erste Hilfe bei Tritt oder Schlag in den Unterleib
VIII. Rahmenbedingungen für ein gutes Training
Zìrán – das Prinzip der Natürlichkeit
Gesunder Schlaf
Essen und Trinken
Ergänzungen zum Training
Parkour
Schwimmen
Musik
Wie finde ich einen guten Lehrer?
Nachwort
Quellen
Weitere Titel
Anmerkungen
In memoriam
Klemens Neumann (18. 11. 1932 - 25. 02. 2013)
58 Jahre Fechtlehrer beim VFL Wolfsburg
Gōng huì zìrán dào
Die Fähigkeiten kommen bei ausdauerndem Training von ganz allein.
Vorbemerkung
Viele Lehrer und Meister der Kampfkünste betonen gern, dass es in der Kampfkunst keine Geheimnisse gibt. Doch ist dies nicht die ganze Wahrheit. Solange man nicht weiß, wie man etwas so ausführen muss, dass das Ergebnis ein Höchstmaß an Effektivität und Effizienz ergibt, bleibt der beste Weg ungenutzt. Letztendlich ist es aber gleich, ob man den besten Weg nicht geht, weil man ihn nicht kennt oder weil er zu beschwerlich erscheint. Es gibt diese Mysterien in der Kampfkunst daher nur, weil sie aus dem einen oder anderen Grund nicht entschlüsselt werden. Dieses Buch soll Ihnen Schlüssel für einige der tiefsten Geheimnisse der Kampfkünste in die Hand geben.
Das Buch ist jedoch keineswegs nur für Kampfkünstler oder Kampfsportler gedacht. Die darin dargestellten Trainingsmethoden sind für alle Sportarten sinnvoll, sei es Leichtathletik oder seien es Mannschaftssportarten wie Fußball usw. Der Kampfkünstler, egal welchen Stils, wird sich in seiner Kunst und seiner Kampfkraft erheblich verbessern. Der Leistungssportler kann seine Leistungsfähigkeit steigern, ohne dabei – langfristig gesehen – seinen Körper durch schädliche Übungen zu zerstören, und der Freizeitsportler bleibt gesund und fit.
Wenn auch die Ziele von Kampfkunst und Sport teilweise recht verschieden sind, so gibt es doch eine entscheidende Gemeinsamkeit: Wenn es darauf ankommt, muss der Kampfkünstler wie der Sportler in der Lage sein, alles zu geben. Es gibt heute für jede Sportart spezielle Trainingsmethoden, die auf extreme Leistungssteigerung auf einem bestimmten Gebiet ausgerichtet sind. Das Training, vor allem im Leistungssport, verschleißt jedoch häufig den Körper, so dass es nach dem Leistungshöhepunkt oft rasch mit der Leistungsfähigkeit bergab geht. Wir bieten in diesem Buch Kampfkünstlern und Sportlern bewährte Trainingsmethoden an, die die Leistungsfähigkeit umfassend und nachhaltig steigern, ohne den Körper zu verschleißen.
Dieses Buch ist als west-östliches Trainingsbuch konzipiert, das heißt, wir wollen einige der besten Trainingsmethoden aus West und Ost vorstellen. Interessant ist hierbei, dass sich die Grundlagen oft wenig unterscheiden. Dennoch wird der Leser feststellen, dass der Trainingswissen-
schaft der Chinesen ein besonders großer Stellenwert eingeräumt wird. Der Grund hierfür besteht einzig und allein darin, dass wir nach langjähriger Beschäftigung mit den verschiedensten Trainingssystemen aus den unterschiedlichsten Weltgegenden zu dem Schluss gekommen sind, dass die chinesischen Trainingsmethoden oft tatsächlich die effektivsten sind.
Sie werden hochwirksame Übungen kennenlernen, mit deren Hilfe Sie ein hervorragendes Körpergefühl gewinnen, eine flexible Kraft aufbauen und zudem kampfstark und nicht zuletzt auch nachhaltig gesund werden können. Alle hier beschrieben Übungen können Sie allein oder mit einem gleichgesinnten Partner ausführen, mit und ohne Hilfsmittel; die Trainingsmaschinen eines Fitnessstudios werden Sie hierfür jedoch nicht benötigen.
Unser Körper ist unser wichtigstes Werkzeug. Wir haben nur diesen einen, und er begleitet uns unser gesamtes Leben – wir sind der Körper. Um ein angenehmes und erfülltes Leben führen zu können, sind nicht Geld oder materieller Luxus die Grundlage, sondern einzig und allein ein gesunder, gut funktionierender Körper, dessen Fähigkeiten wir vollkommen zu nutzen in der Lage sind. »Erst kommt der Körper, dann das Gut«, lautet ein altes Sprichwort, dem wir nichts hinzufügen müssen.
Maik Albrecht und Frank Rudolph, 2014
Die Ziele dieses Buches
Jeder Mensch hat seine eigenen Gründe für sein Training. Die einen wollen sich gesunderhalten, die anderen möchten stärker werden – für Kampfspiele, für reale Auseinandersetzungen, für den Wettkampf oder nur zum Selbstzweck, das ist individuell sehr verschieden. Manche Menschen wollen einfach nur herausfinden, wie belastbar ihr Körper ist und wo die eigenen Grenzen liegen. Doch nur sehr wenigen Trainierenden gelingt es, ihre Fähigkeiten wirklich erschöpfend zu entwickeln, da ihnen das Wissen darüber fehlt, wie dies zu bewerkstelligen sei. Bis zur Erschöpfung zu trainieren oder den Körper während der Übungen von Apparaten überwachen zu lassen, führt in der Regel nicht zu diesem Ziel. Genauso wenig helfen diverse Nahrungsergänzungsmittel oder gar Hormonpräparate.
In den Kampfkünsten ist das körperliche Training die eigentliche Essenz, nicht die Techniken. Im Gegenteil, Formen und Techniken entwickelten sich erst im Laufe der Zeit als Medium der Wissensübermittlung. Heute stellen sie auch ein Mittel dar, die Massen in den großen Verbänden kanalisieren, unterhalten und finanziell ausbeuten zu können. In den authentischen, auf kämpferische Effizienz ausgerichteten Kampfkünsten lernen die Praktizierenden nach wie vor die Techniken als Mittel zum Zweck und nicht als Selbstzweck. Die Ausbildung schärft den Geist, stärkt den Willen und formt den Körper der Schüler. Den Körper so zu schmieden, dass wir die Fähigkeit erlangen, die erlernten Prinzipien und Techniken in realen Kampfsituationen anzuwenden, uns also im Kampf effektiv zu bewegen, war zu allen Zeiten oberstes Ziel jedes Meisters der Kampfkunst, sei es in Europa oder in Asien. Und als ebenso wichtig galt es, durch das Training den Körper gesundzuerhalten. Die entsprechenden Trainingsmethoden erfordern Disziplin, Leidenschaft und das notwendige Verständnis und Wissen um unser wertvollstes Gut – unseren Körper.
Wir haben von der Natur jede Fähigkeit mitbekommen, um effektiv kämpfen zu können. Der menschliche Körper gibt uns alles, was wir brauchen. Wir haben vier Gliedmaßen, mit denen wir zerstörerische Schläge austeilen können, wir haben Zähne zum Beißen und Finger zum Kratzen und Stechen … Die Kampfkunst dient uns dazu, unsere natürlichen Körperwaffen zu stählen und sie effektiv einsetzen zu können. Sie sorgt
dafür, dass wir unsere natürlichen Anlagen schneller und gezielter umzusetzen vermögen, sie erhöht unsere Kraftreserven. Sie lehrt uns, wie wir uns fokussieren können. Hier geht es nicht um Techniken, es geht darum, unseren Körper gesundzuerhalten und ihn zu »schärfen«. Dies muss einheitlich geschehen, das heißt, der Körper als Ganzes muss trainiert werden, ohne dass bestimmte Körperteile bevorzugt oder vernachlässigt werden. Nach der chinesischen Kampfkunst-Trainingslehre müssen beispielsweise die Beine genauso flexibel sein wie die Arme. Umgekehrt sollen die Arme genauso viel Kraft haben wie die Beine. Dieses Prinzip galt übrigens auch im deutschen Turnen des 19. Jahrhunderts. Wie das alles zu erreichen ist, erfahren Sie in diesem Buch.
Das wirklich Traditionelle und Essentielle in der Kampfkunst wie im Sport ist das systematische harte körperliche Training. Das war zu allen Zeiten und in allen Kulturen so. Über die Jahrhunderte haben sich die Meister außerordentlich viele Gedanken zum Training gemacht. Im antiken Griechenland experimentierten die Paidotriben (Trainer von Athleten) und die Aleipten (»Einsalber« von Athleten, die aber auch als Trainer fungierten) mit verschiedenen Trainingsmethoden, Diäten und Massagen. In Rom waren es die Doctores und die Lanista, welche sich um die Gladiatoren bemühten. Sie alle erschufen Trainingstheorien, die zum Teil bis heute gültig sind. Die Athleten wurden dadurch in die Lage versetzt, sich flexibel an die Wettkampfbedingungen anzupassen und automatisch optimale Bewegungen auszuführen. Um Techniken in dem Sinne, wie wir das heute verstehen, ging es beim antiken Training eher weniger.
Trainieren Sie Ihren Körper, bis er seine bestmögliche Gesundheit erreicht hat und jederzeit in der Lage ist, diese zu schützen. Ein optimal trainierter Körper wird sowohl starke Abwehrkräfte gegen Krankheiten besitzen als auch die Fähigkeit, Angriffe von Gewalttätern abzuwehren – selbst, wenn Sie keine Kampfkunst praktizieren. Sie werden auf diese Weise Ihre Lebensqualität erhöhen. Darum geht es uns in diesem Werk.
Bereits an der Körperhaltung kann man oft erkennen, ob jemand einen gesunden Bewegungsapparat besitzt oder nicht. Letzteres betrifft zu einem großen Teil alte Menschen, bei denen man oftmals entschuldigend sagt: Naja, die sind eben alt. Allerdings trifft es auch auf viele Sportler bereits in jungen Jahren zu, nicht zuletzt auf Kampfsportler. Menschen wie Uehara
Seikichi ¹ oder Max Schmeling ² , um nur zwei zu nennen, zeigen aber, dass auch Kampfkünstler und Sportler bis ins höchste Alter in guter körperlicher (und geistiger) Verfassung bleiben können, einschließlich intakter Gelenke. Gesundheit ist keine Frage des Alters, jedenfalls keine ausschließliche.
Das Training, das in diesem Buch beschrieben wird, ist grundsätzlich auf Nachhaltigkeit ausgelegt. Es stellt Übungen vor, die Sie bis ins hohe Alter ausführen und bei denen Sie zu jeder Zeit Fortschritte machen können. Hier liegt auch einer der gravierenden Unterschiede zwischen (Kampf-) Sport und Kampfkunst. Kampfsportler und Leistungssportler trainieren allzu häufig auf eine Weise, die zwar ihre Leistung für eine gewisse Zeit ins Extreme steigert, jedoch den Körper dabei verschleißt. Was nutzt es, einen Kampf- oder Leistungssport zu betreiben, ein paar Medaillen zu gewinnen und dafür mit 35 Jahren bereits zum alten Eisen gezählt zu werden, mit 40 an chronischen Knie- und Rückenbeschwerden zu leiden und mit 50 oder 60 Kandidat für ein künstliches Hüftgelenk zu sein? In der Kampfkunst bedeutet Alter nicht Stillstand und nicht Krankheit. Das gleiche gilt für Sport, der nicht auf kurzfristige Spitzenleistungen ausgerichtet ist. Solange der Mensch lebt und atmet, kann er sich entwickeln und verbessern, sowohl körperlich als auch geistig. Der griechische Philosoph Diogenes verglich das Leben mit einem Wettlauf und sagte: »Kurz bevor man das Ziel erreicht, wird man nicht langsamer, sondern erhöht seine Geschwindigkeit, bis zum Schluss.« Aus diesem Grund sah man die alten Meister auch bis ins hohe Alter trainieren, sei es in China, auf Okinawa oder in der westlichen Kultur. Sie konnten sich ständig verbessern, bis zu dem Moment, in dem sie ihre Augen schlossen und aufhörten zu atmen.
Sie müssen ausbrechen aus steifen Trainingsmustern, wie sie in so vielen Kampfsport- und anderen Sportarten gelehrt werden. Das ist pures Gift für Sie als Individuum. Ein Mensch braucht freie Trainingsmethoden, die auf natürlichen Prinzipien und den Gegebenheiten der menschlichen Anatomie aufgebaut sind. Sie müssen lebhaft trainieren, bis ihr Körper ebenfalls lebhaft ist. Dies ist ein Grundprinzip der chinesischen Trainingslehre.
Wir sagen hier klipp und klar: Ohne Anstrengung und ohne zu schwitzen erreicht man keine nützlichen Ergebnisse. Ihre körperliche Leistungsfähigkeit zu erhöhen geht nur über ein an Ihre persönlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse angepasstes Übungsprogramm. Suchen Sie sich einige der in den folgenden Kapiteln vorgestellten Übungen heraus, die Sie bewältigen können und bauen Sie diese in Ihr tägliches Training ein. Einige Elemente werden vielleicht anfangs zu schwer sein. Setzen Sie sich realistische Ziele, dann wird dank der sich allmählich verbessernden körperlichen Verfassung und mit der nötigen Willensstärke fast alles möglich sein.
Die Dauer des Trainings ist nicht entscheidend. Mehrere kleine Intervalle über den Tag verteilt sind für manche Menschen besser geeignet als große Blöcke. Wenn Sie verschiedene Übungen (zum Beispiel Dehnung oder Gleichgewichtstraining) in Ihren Tagesablauf integrieren, haben Sie bedeutend mehr davon, als wenn Sie nach der langen Büroarbeit zwei Stunden auf dem Hometrainer fahren oder ins Fitnessstudio gehen, um an Maschinen zu trainieren.
I. Dehnung
Westliche und östliche Dehnungskonzepte
Für die Chinesen galt die umfassenden Dehnung des Körpers stets als ein vorzügliches Element in den Kampfkünsten und als die erste Grundlage des körperlichen Trainings überhaupt. Die Dehnung ist ebenfalls eine der wichtigsten Behandlungsmethoden der chinesischen Medizin. ³ Ein gründlich gedehnter Körper ist weniger anfällig für Krankheiten und Verletzungen. Hier erkennt man einen der wichtigsten Unterschiede zur westlichen Kampf- und Heilkunst. In vielen – wenn auch nicht in allen – westlichen Kampfkünsten dehnt man den Körper nur soweit, wie es als Grundlage für die Techniken notwendig ist. Fechter beispielsweise dehnen ihre Beine für den Ausfall, so dass die meisten von ihnen problemlos einen Spagat schaffen. In dieser Sichtweise liegt schon eines der großen Missverständnisse. Der Spagat – der freilich seine Berechtigung hat, wie wir noch sehen werden –, ist nicht gleichzusetzen mit einer guten Dehnung, da er passiv ausgeführt werden kann und den Körper kräftemäßig nicht sonderlich fordert. Ringer haben allgemein einen geschmeidigen Oberkörper, der für die Belange ihrer Kunst ausreichend flexibel ist. Aber die Dehnung in dieser Disziplin geht selten darüber hinaus. Die europäischen Fußfaustkampf-Schulen, wie das französische savate oder das deutsche Hand- und Fußboxen, ⁴ lehren ein umfangreiches Repertoire an hohen Fußtritten (siehe Abbildungen 1 und 2). Die Geschmeidigkeit und die Kraft dieser Tritte nehmen hierbei durch das ständige Üben im Laufe der Zeit zu. Je eher man damit beginnt, desto gründlicher ist die Dehnung. Doch auch bei diesen Disziplinen ist die Dehnung selten Selbstzweck und bleibt innerhalb des notwendigen Maßes.
Abb. 1: Hochtritt (Luerssen 1914).
Abb. 2: Tritt gegen den Kopf (Happel 1896).
Ähnliches könnte man über die meisten anderen westlichen Schulen sagen. Es gab zwar Lehrer, die ihre Schüler dazu anhielten, ihren Körper zusätzlich mittels turnerischen oder gymnastischen Elementen zu stärken, aber das war eine individuelle Vorgehensweise und sprach mehr für den jeweiligen Lehrer und weniger für die Lehre an sich. ⁵
Etwas anders verhält es sich bei den Kontorsionisten ⁶ und auch bei den Ballerinen und Balletttänzern. Diese dehnen ihren Körper sehr einseitig und manchmal über das gesunde Maß