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TAWAMAYA - 2. DIE ZWILLINGSBRÜDER: Ein historischer Roman
TAWAMAYA - 2. DIE ZWILLINGSBRÜDER: Ein historischer Roman
TAWAMAYA - 2. DIE ZWILLINGSBRÜDER: Ein historischer Roman
eBook782 Seiten11 Stunden

TAWAMAYA - 2. DIE ZWILLINGSBRÜDER: Ein historischer Roman

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Über dieses E-Book

 

Hermon und Alex Mehegan haben nach einem langen Weg endlich ein Zuhause auf der Ranch Tawamaya gefunden. Die Brüder Alex und Jam, der trotz seiner Behinderung wieder fest im Sattel sitzt, bewirtschaften gemeinsam die Ranch.

Hermon allerdings ist nicht zufrieden damit, ihre Zeit nur mit Kindern und Hausarbeit zu verbringen, sie will Pferde züchten, auf ihre eigene Weise, die so gar nicht den im Westen üblichen Methoden entspricht.

In der Familie stößt ihre Arbeit auf Widerstand.

Als jedoch immer mehr Rancher das Land besiedeln und damit beginnen, Zäune zu ziehen, wird Hermons Arbeit endlich anerkannt, denn die Arbeitspferde von Tawamaya sind bald im ganzen Land begehrt.

Die Arbeit mit den Pferden aber lässt ihr wenig Zeit für die Familie. Als sie deshalb nach der dritten Geburt beschließt, kein weiteres Kind mehr zu bekommen, steht ihre Ehe schließlich auf des Messers Schneide.

Mit ihren Pferden beschäftigt kann sie nicht verhindern, dass ihr kleiner Sohn in die Fluten des Yellowstone Rivers stürzt und von feindlichen Crow-Indianern gerettet wird. Alex setzt sein Leben aufs Spiel in der Hoffnung, den Jungen seiner Mutter zurückzubringen...

 

Mit dem Roman Tawamaya - 2. Die Zwillingsbrüder legt die deutsche Schriftstellerin Elvira Henning den zweiten Band ihrer erfolgreichen Tawamaya-Serie vor.

 

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum16. Apr. 2022
ISBN9783755412069
TAWAMAYA - 2. DIE ZWILLINGSBRÜDER: Ein historischer Roman

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    Buchvorschau

    TAWAMAYA - 2. DIE ZWILLINGSBRÜDER - Elvira Henning

    Das Buch

    Hermon und Alex Mehegan haben nach einem langen Weg endlich ein Zuhause auf der Ranch Tawamaya gefunden. Die Brüder Alex und Jam, der trotz seiner Behinderung wieder fest im Sattel sitzt, bewirtschaften gemeinsam die Ranch.

    Hermon allerdings ist nicht zufrieden damit, ihre Zeit nur mit Kindern und Hausarbeit zu verbringen, sie will Pferde züchten, auf ihre eigene Weise, die so gar nicht den im Westen üblichen Methoden entspricht.

    In der Familie stößt ihre Arbeit auf Widerstand.

    Als jedoch immer mehr Rancher das Land besiedeln und damit beginnen, Zäune zu ziehen, wird Hermons Arbeit endlich anerkannt, denn die Arbeitspferde von Tawamaya sind bald im ganzen Land begehrt.

    Die Arbeit mit den Pferden aber lässt ihr wenig Zeit für die Familie. Als sie deshalb nach der dritten Geburt beschließt, kein weiteres Kind mehr zu bekommen, steht ihre Ehe schließlich auf des Messers Schneide.

    Mit ihren Pferden beschäftigt kann sie nicht verhindern, dass ihr kleiner Sohn in die Fluten des Yellowstone Rivers stürzt und von feindlichen Crow-Indianern gerettet wird. Alex setzt sein Leben aufs Spiel in der Hoffnung, den Jungen seiner Mutter zurückzubringen...

    Mit dem Roman Tawamaya - 2. Die Zwillingsbrüder legt die deutsche Schriftstellerin Elvira Henning den zweiten Band ihrer erfolgreichen Tawamaya-Serie vor.

    TAWAMAYA - 2. DIE ZWILLINGSBRÜDER

    JARED. Oktober 1874

    Es hatte endlich aufgehört zu regnen. Nach drei düstern Tagen, in denen die Wolken die Erde zu berühren schienen, brachen sich schüchterne Sonnenstrahlen in den großen Pfützen auf dem Hof vor dem Wohnhaus der Tawamaya Ranch am Fuß der Rocky Mountains.

    Helmer, der Pferdeknecht verschwand mit mürrischer Miene und einer Schubkarre voller Heu im Stall. In den Paddocks standen nur wenige Pferde, denn die Crew der Viehtreiber war mit den Rindern, die verkauft werden sollten, auf dem Weg nach Süden zu der Verladestation.

    Helmer wäre gerne mit ihnen geritten, aber er gehörte auch in diesem Jahr zu den Leuten, die zurückbleiben und den Betrieb auf der Ranch in Schwung halten mussten.

    Chuck Heesley, der Vormann hatte sich nicht überreden lassen, auch die Pferde auf der Ranch mussten versorgt werden.

    Helmer verteilte das Heu in den Paddocks hinter dem Stall. Tatezi, eine freundliche Gallowaystute rieb ihre Nase an seiner Schulter, und er klopfte ihr den Hals. Bei Mooney, dem schwarzweißen Pinto war er achtsam. Er hatte die schlechte Angewohnheit, zu beißen. Doch er war harmlos gegen Tec, den exzentrischen Hengst des Ranchers.

    Miniwatu, Tecs Zwillingsschwester, die zwar wild, aber nicht bösartig war, stand allein in einem der Paddocks, denn der Boss war mit seinem Hengst draußen auf den Weiden. Helmer war froh darüber, denn er mochte Tec nicht, und auch mit seinem Besitzer hatte er so seine Probleme. Dem Pferdeknecht kam zum ersten Mal die eigenartige Kombination in den Sinn.

    Die beiden Pferde waren Zwillinge, wie ihre Besitzer, Jam und Jad Mehegan, die Rancher von Tawamaya.

    Miniwatu bekam eine Extraportion Hafer. Helmer strich ihr über die Flanke und den Bauch. »Wird nicht mehr lange dauern, bis du dein Kleines kriegst«, murmelte er.

    Die übrigen Paddocks waren leer. Er brachte die Schubkarre nach draußen, schob die Hände in die Hosentaschen und trödelte über den Hof am Wohnhaus vorbei. In ihrem Stall hinter dem Gemüsegarten muhte die Milchkuh und übetönte das Gegacker der Hühner.

    Helmer warf einen Blick um die Hausecke. Auf der Gartenbank hinter den Gemüsebeeten im Schatten einer dichten Hecke saß Hermon, Jad Mehegans Frau. Es hatte etwas mit ihr zu tun, dass er den Rancher nicht mochte, denn Hermon mochte er mehr, als gut für ihn war.

    Die ganzen Verhältnisse im Ranchhaus waren ihm ohnehin irgendwie ein Rätsel. Er fragte sich, warum sie ihren Mann im Gegensatz zu allen anderen Leuten auf der Ranch bei seinem zweiten Vornamen Alex nannte.

    Zu Beginn, als sie auf die Ranch kam, mit Männerkleidern und kurz geschorenen Haaren, hatte er sich Hoffnungen gemacht und sich schließlich eine Abfuhr geholt.

    Dann war ihr Kind zur Welt gekommen. Die Kleine musste schon vier gewesen sein, als Jad Mehegan sie endlich geheiratet hatte. Trotzdem konnte Helmer die Augen nicht von ihr lassen. Hier draußen auf der einsam gelegenen Ranch bekam man schließlich nicht allzu oft eine Frau zu sehen.

    Sie war offensichtlich in Gedanken versunken, so wagte er es, sie zu betrachten. Sie trug Hosen und Reitstiefel. Die wilden braunen Locken hatte sie im Nacken zusammen-gebunden.

    Sie war nicht wirklich schön. Die schmale, von Sommersprossen übersäte Nase war einen Hauch zu lang, der sanft geschwungene Mund zu breit.

    Helmer wusste, sie konnte zupacken wie ein Mann, und sie strahlte eine ruhige Entschlossenheit aus. Doch er hatte auch erlebt, wie zornig sie sein konnte.

    Sie strich sich eine widerspenstige Locke aus der Stirn. Die zweite Hand ruhte auf dem runden Bauch, den auch das weite Männerhemd nicht mehr verbergen konnte. Das Kind bewegte sich unter ihrer Hand und zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht.

    »Wird dir langsam zu eng da drinnen, mein Sternenkind«, murmelte sie, »musst aber noch ein bisschen wachsen, bis du den Kampf mit dieser Welt aufnehmen kannst. Montana ist ein weites, wildes Land. Es wird deine Heimat werden und ich hoffe, du wirst es so lieben, wie dein Vater.«

    Über ihr in den Büschen begann ein Vogel sein aufdringliches Lied zu zwitschern. Als sie den Kopf hob und zum Himmel blickte, schlich Helmer davon. Sie hatte ihn nicht bemerkt. Die Wolkendecke war aufgerissen und gab nun ein großes Stück blauen Himmel frei. Die Sonne entfaltete noch einmal ihre ganze Pracht, bevor sie hinter den fernen Berggipfeln der Rockys versank. Als die Schatten sich übers Land legten, wurde die Luft kalt. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die ersten Nachtfröste kommen würden.

    Ich muss das letzte Gemüse ernten, nahm sie sich vor. Die Kohlköpfe und die Kürbisse mussten noch verarbeitet werden.

    Aus dem Haus waren Kinderstimmen zu hören, die lauter wurden und schließlich in grelles Geschrei umschlugen. Die Ruhe war vorbei. Hermon stieß die Luft verärgert durch die Nase. Warum mussten sie immer streiten! Der kleine Monty war im Grunde ein sanftes, friedliches Kind. Doch mit seinen drei Jahren war er nicht mehr bereit, hinzunehmen, dass seine ältere Cousine, Hermons Tochter Erin immer den Ton angab. Die Ermahnungen ihrer Mutter schlug Erin in den Wind.

    »Du verwöhnst das Kind zu sehr«, warf Alex seiner Frau vor. Doch sie verteidigte ihre Tochter: »Sie ist noch so klein. Du bist so hart zu ihr.«

    Sie hatten deswegen gestritten, im Grunde jedoch wusste Hermon, dass er recht hatte.

    Während sie noch darüber nachdachte, ob sie hineingehen und die Streithähne trennen sollte, vernahm sie eine laute, ärgerliche Männerstimme. Es war Jam, Alex’ Zwillingsbruder, der diesen Part übernommen hatte. Es irritierte Hermon, dass auch er in letzter Zeit die Kinder so hart anpackte, denn er liebte die Kleinen und hatte stets eine Engelsgeduld mit ihnen gehabt. Bei ihm hatte Erin oft Schutz und Trost gesucht, wenn sie traurig war.

    Jam hatte sich in den letzten Monaten verändert. Er war häufig gereizt, und die Kinder schienen ihn plötzlich zu stören.

    Die Tür zur Küche wurde geöffnet, und die Kinder kamen in den Garten, Monty zerknirscht, Erin mit aufsässiger Miene. Sie rannte zu ihrer Mutter: »Monty ist doof!«

    Hermon nahm ihre Tochter in den Arm: »Warum habt ihr schon wieder gestritten?«

    Es war Monty, der antwortete: »Immer will sie Indianer spielen. Dann spricht sie so komisch und schreit und schubst mich, wenn ich nicht mitspiele.«

    »Was kann ich dafür, wenn du so dumm bist!«, verteidigte sich Erin, schüttelte ihr unordentliches Haar aus dem Gesicht und versuchte sich ihrer Mutter zu entwinden. Doch Hermon hielt sie fest: »Hör zu, Erin! Nein, hör auf, herumzuzappeln! Monty ist nicht dumm. Er ist noch nie im Indianerdorf gewesen. Er kennt ihre Sprache nicht. Du bist unfair. So geht das nicht! Wenn ihr euch nicht vertragen könnt, dürft ihr nicht mehr zusammen spielen!«

    Sie ließ Erin los und stand auf. »Ich werde Monty nach Hause bringen, dann hast du Zeit, nachzudenken.«

    »Ich will aber mitkommen zu Tante Lil und zu Marilyn«, maulte Erin. Hermon griff nach Montys Hand und sagte in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete: »Du bleibst hier!«

    Monty trottete schweigend neben ihr her. Es war nur eine kurze Wegstrecke zum Haus auf dem Hügel, wo Lil und Chuck Heesley, der Vormann der Ranch wohnten.

    Lil war dabei, hinter dem Haus die Wäsche aufzuhängen. Als sie Montys Miene sah, fragte sie sofort: »Haben sie wieder gestritten?«

    »Ja. Ich weiß nicht, was ich mit Erin falsch gemacht habe. Sie will immer den Ton angeben.« »Sie ist einfach ein etwas dickköpfiges kleines Wesen. Und das ist kein Wunder bei den Eltern«, meinte Lil mit einem Lächeln, »das gibt sich, wenn euer Kleines erst da ist.«

    »Ich hoffe, du hast recht«, schnaufte Hermon und machte sich auf den Heimweg.

    Als sie das Ranchhaus erreichte, kam ein Reiter auf den Hof galoppiert. Sie drehte sich um und sah ihm zu, wie er absaß und absattelte. Er trug ein abgewetztes, fransenbesetztes Wildlederhemd. Das schwarze Haar reichte ihm fast bis auf die breiten Schultern.

    Helmer kam aus dem Bunkhaus und nahm ihm den Hengst ab. Hermon ging ihm entgegen. Er begrüßte sie mit einem Lächeln und legte ihr den Arm um die Schultern.

    »Alles gut, Chey?«, benutzte er ihren Kosenamen.

    »Ja, alles in Ordnung, Alex.«

    Er bedachte sie mit einem fragenden Blick, sagte aber nichts. Sie gingen zum Wohnhaus. Hermon fand ihre Tochter bei Granny Augusta in der Küche. Sie unterdrückte den Impuls, sich Erin noch einmal vorzunehmen, denn sie war erschöpft und der Diskussionen müde. Eigentlich hatte sie sich vor Einbruch des Winters noch so viel Arbeit mit den Pferden vorgenommen. Doch die Schwangerschaft wurde nun beschwerlich, und sie musste ständig gegen Alex kämpfen, der nicht damit einverstanden war, dass sie immer noch auf der Range arbeitete.

    Granny Augusta reichte ihr einen Becher Kräutertee. »Setz dich, Mädel, du bist blass.«

    »Ist schon in Ordnung, Tante Augusta. Ich helfe dir beim Kochen. Ich sehe dir doch an, dass dein Rücken wieder schmerzt.«

    »Ja, ist halt so. Kümmere du dich um dein Kind. Du darfst dir nicht mehr so viel zumuten.« Hermon reagierte ungeduldig: »Bitte, Tante Augusta, du nicht auch noch! Ich kann es nicht mehr hören.«

    Augusta sagte nichts mehr, doch ihr Blick sprach Bände. Sie bereiteten schweigend die Mahlzeit zu. Als das Essen auf dem Tisch in der Küche stand, tauchte Alex auf, und Jam folgte ihm in seinem Rollstuhl. Während der Mahlzeit unterhielten sie sich über den Viehtrieb. Die Frauen aßen schweigend. Erin kleckerte still und schlecht gelaunt auf dem Tisch herum. Hermon bemerkte, dass Jam kaum etwas aß. Er war schmal geworden, und um seine Mundwinkel hatten sich zwei Falten eingegraben. Auch seine Beweglichkeit hatte nachgelassen. Obwohl er nie ein Wort darüber verlor, war ihr nicht entgangen, dass es ihm nicht gut ging. Seine Rückenverletzung, die ihn dazu verurteilte, einen Rollstuhl zu benutzen, schien ihm Probleme zu bereiten. Er machte kaum Versuche, aus diesem Stuhl herauszukommen, und er stieg kaum noch in den Sattel.

    Ihr war schon der Gedanke gekommen, es könne etwas mit Meghan Potter zu tun haben. Jam wich allen Fragen aus. Doch sie musste sich eingestehen, dass sie enttäuscht von ihrer Freundin war. Nach der großen Hochzeitsfeier auf Tawamaya hatte sie nur noch einen einzigen Brief geschrieben. Das war im Mai. Auf Hermons Briefe war bis heute keine Antwort gekommen.

    Sie schreckte aus ihren Gedanken auf, als die Brüder den Tisch verließen und Granny Augusta abzuräumen begann. Sie stand auf und erwischte Erin noch am Arm, bevor sie aus der Küche flüchten konnte. Das Kind erfand tausend Ausreden, um noch nicht ins Bett zu müssen. Der Kampf endete mit Gebrüll.

    Hermon war heilfroh, als ihre Kleine endlich schlief. Die Küche war aufgeräumt. Granny Augusta hatte sich bereits hingelegt. Aus Jams Zimmer hörte sie leise Männerstimmen. Der Kamin im Salon war kalt. Hermon fröstelte, warf dem vollen Flickkorb einen verdrossenen Blick zu, dann zog sie sich in die Schlafstube zurück, setzte sich aufs Bett und plötzlich kamen die Tränen.

    Was ist los mit mir? fragte sie sich, ich habe doch schon ganz andere Probleme gelöst. Warum heule ich bei jeder Kleinigkeit? Sie strich sich eine Locke aus der Stirn, wischte die Tränen ab und legte die Hand auf ihren Bauch. Das Kind strampelte. Die zarten Bewegungen hatten etwas Beruhigendes. Doch sie fror. Es war kalt in der Stube. Sie kleidete sich hastig aus und schlüpfte in ein langes Flanellnachthemd.

    Draußen knarrten die Dielen unter einem Stiefelpaar, dann trat Alex ein. Wie an jedem Abend wenn sie allein waren, nahm er sie in die Arme: »Wie geht es dir, Chey?«

    »Ach...«, murmelte sie, dann brach sie erneut in Tränen aus.

    »Chey, geht es dir nicht gut?«

    »Doch... es ist nur,... wahrscheinlich bin ich im Augenblick nur überempfindlich.«

    »Du bist eisig kalt, geh ins Bett.« Hermon kroch unter die Decke, während Alex sich auskleidete. Auch das Bettzeug war kalt, und sie fror noch mehr. Alex löschte das Licht, kam zu ihr unter die Decke und nahm sie in den Arm. Hermon genoss die Wärme seines Körpers und begann sich langsam zu entspannen, während seine Hand sanft über ihren Rücken strich.

    »Und jetzt erzähl mir, was dich wirklich bedrückt.«

    »Es ist wegen Erin. Sie streitet sich nur noch mit Monty.«

    »Es ist normal, dass Kinder streiten.«

    »Es liegt an ihr. Sie will immer alles bestimmen. Du hast recht, Alex, ich habe sie wohl schrecklich verzogen. Und wenn wir nun noch ein Kind haben...«

    »Chey, hör auf, das ist Unsinn. Erin ist eben genauso stur und eigensinnig wie ihre Eltern. Was erwartest du also?«

    »Du denkst, das ist alles in Ordnung so?«

    »Ja, ist es. Frierst du immer noch?«

    »Nur noch ein bisschen.«

    »Ist das alles, was dir Sorgen bereitet?«

    »Ich mache mir auch Sorgen wegen Jam. Was ist mit ihm? Redet er mit dir darüber?«

    »Nein. Aber ich weiß es auch so.«

    »Ist etwas mit seinem Rücken?«

    »Ich denke, es ist etwas mit seiner Seele. Er ist enttäuscht und fühlt sich wohl an der Nase herumgeführt. Aus den Augen, aus dem Sinn. Als Meghan Potter fort war, ist ihr wahrscheinlich klar geworden, auf was sie sich da eingelassen hatte. Sie wären sich besser nie begegnet.«

    Hermon presste ihr Gesicht an seine Brust. »Du kannst nichts dafür, Chey.«

    »Ich hätte das nie von ihr gedacht. Und irgendwie kann ich das immer noch nicht glauben.«

    »Er muss damit klar kommen. So ist eben das Leben.«

    »Für ihn ist es besonders schlimm.«

    »Schlaf jetzt, denk nicht mehr daran. Wir können es nicht ändern.«

    »Bist du so hart geworden, dass es dich nicht mehr berührt?«

    »Du weißt, dass das nicht so ist. Aber ich kann ihm nicht helfen.«

    Es war mitten in der Nacht, als Alex hochschreckte. »Was ist?«, fragt Hermon verschlafen.

    »Geräusche im Hof!« Er sprang aus dem Bett und schlüpfte im Dunkeln in seine Hose.

    Hermon meinte: »Ich kann nichts hören, das hast du dir eingebildet. Sicher hast du geträumt.«

    »Nein, hab ich nicht.«

    Alex war seit Tagen unruhig und gereizt, denn die Rückkehr der Crew vom Viehtrieb nach Süden war längst überfällig. Ohne ein weiteres Wort ging er nach draußen.

    Durch die offene Tür hörte Hermon nun auch Stimmen vom Hof. Sie schloss für einen Moment noch einmal die Augen und kuschelte sich in die warmen Decken. Doch dann stand sie ebenfalls auf und kleidete sich an. Im Salon, der nur durch das Mondlicht erleuchtet war, das durch die Fenster fiel, kam Alex ihr mit gehetztem Schritt entgegen. Sie wusste sofort, dass etwas geschehen war.

    »Die Crew ist zurück! Es hat einen Überfall gegeben mit Toten und Verletzten!«

    Seine Stimme war panisch. »Wo ist die Verbandskiste? Die Wunden müssen ordentlich versorgt werden!« Hermon nahm die Holzkiste aus der Kommode. »Wer ist tot, Alex?«

    »Gary Franklin und Old Abe«, entgegnete er kurz.

    »Oh, nein!« Sie starrte Alex erschrocken an. Dann fragte sie: »Soll ich Lil holen?«

    »Ja. – Kannst du dann ins Bunkhaus kommen und helfen?« Er nahm ihr die Holzkiste ab. »Schaffst du das?«

    »Ja, ich komme.« Hermon fragte nicht weiter. Sie sah, dass Alex sehr verstört war.

    Er ging zum Bunkhaus, und Hermon lief, so schnell es in ihrem Zustand möglich war, zum Haus auf dem Hügel. Es dauerte eine Weile, bis Lil öffnete. Sie stand schlaftrunken im Nachthemd an der Tür, aber sie fragte sofort: »Was ist passiert?«

    Hermon berichtete, was Alex ihr erzählt hatte. Lil schlug erschrocken die Hand vor den Mund. »Was ist mit Chuck, ist er verletzt?«

    »Ich weiß es nicht.«

    Lil kleidete sich mit fliegenden Händen an, dann liefen sie zurück zum Ranchhof. Das Bunkhaus war hell erleuchtet. Als die Frauen eintraten, schlug ihnen der Geruch nach Schweiß, Blut und Eiter entgegen. Im Schlafraum herrschte ein eigenartiges Chaos. Auf mehreren Pritschen lagen Verletzte. Die Männer, die unverletzt waren, machten einen verwirrten und etwas hilflosen Eindruck. Nur Alex und Black Abe Corman waren damit beschäftigt, sich um die Verletzten zu kümmern.

    Lil sah sich nach Chuck um. Er lag auf einer der Pritschen, und sie registrierte erschrocken, dass er zwei Schussverletzungen hatte. Sein Oberkörper war nackt, die Schulter verbunden, seine Hose war über dem linken Oberschenkel blutdurchtränkt.

    Hermon und Lil kümmerten sich sofort um Chuck. Black Abe hatte die Kugeln zwar entfernt, doch die Wunden sahen nicht gut aus. Jimmy, der Mannschaftskoch brachte heißes Wasser, und Hermon machte sich an die Arbeit. Sie wusch die Wunden gründlich aus. Chuck war hart im Nehmen. Er knirschte zwar mit den Zähnen, gab jedoch keinen Ton von sich. Nachdem er versorgt war, überließ sie ihn Lil und ging Black Abe zur Hand.

    Als alle Arbeit getan war, graute der Morgen. Doch im Schlafsaal herrschte nun nächtliche Stille, denn die Leute waren völlig erschöpft. Keiner der Männer hatte von dem Überfall geredet. Alle waren eigenartig schweigsam.

    Auch Hermon war am Endet. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und sehnte sich nach ihrem Bett. Alex, der es ihr ansah, wollte sie zum Haus begleiten. Als sie das Bunkhaus verließen, war Jam vor der Tür.

    »Was ist los?«, fragte er besorgt. Alex erklärte es mit kurzen Worten, griff nach dem Stuhl und schob Jam, obwohl er sich wehrte, zum Haus zurück.

    »Lass die Männer schlafen, wir können im Augenblick nichts mehr für sie tun. Verdammt, nimm die Finger aus den Speichen, oder soll ich sie dir brechen!«

    Er brachte Jam ins Haus, dann sagte er: »Ich lege mich noch eine Stunde hin. Wir reden später, mir ist jetzt nicht danach.« Ohne auf Jams Protest zu achten, verschwand er in der Schlafkammer. Jam sah Hermon fragend an.

    »Ich weiß nur, dass sie überfallen wurden. Old Abe und Gary sind tot.«

    Dann folgte sie ihrem Mann. Alex stand verloren vor sich hinstarrend in der Schlafkammer. Hermon schlang die Arme um seinen Hals: »Es ist schrecklich, dass zwei Männer tot sind. Ich weiß, was Old Abe dir bedeutet hat. Und Chuck und die anderen...«

    »Wenn ich dabei gewesen wäre, hätte ich es vielleicht verhindern können.«

    »Das ist Unfug, und das weißt du! Vielleicht wärst du dann jetzt auch tot.«

    »Ich habe dir noch nicht alles gesagt. Das Ganze ist noch viel schlimmer. Die Banditen haben die Hälfte unserer Jahreseinnahmen erbeutet. Chuck hatte die eine Hälfte des Geldes bei sich, Old Abe die andere. Wir haben das Geld immer so aufgeteilt. Sie haben Old Abe ausgeplündert. Ich weiß nicht, wie wir das Jahr überstehen sollen. Bis zum Frühjahrsroundup ist das verbliebene Geld längst aufgebraucht, für Löhne, Lebensmittel und was sonst noch so anfällt. Kurz und gut, unsere gesamte Existenz steht auf dem Spiel, denn wir haben so gut wie keine Reserve. Gott nochmal, so lange ich nicht da war, ist es gelaufen, und jetzt passiert sowas.« Er wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht.

    »Alex, jetzt hör mal zu, das ist schlimm, aber wir schaffen das. Wir haben eine gute Kernmannschaft. Alle anderen müssen wir eben entlassen. Außerdem können wir noch ein paar von unseren Pferden verkaufen. Mister Kohrs hat Interesse gezeigt. Wir finden einen Weg. Hauptsache, die Männer werden alle gesund. Also jetzt lass den Kopf nicht hängen.«

    Alex zog sie in die Arme: »Ich hab dich gar nicht verdient, Chey! Du bist so mutig, jammerst nicht, obwohl du schwanger bist und die Geburt kurz bevor steht.« Er verbarg sein Gesicht in ihren Locken. »Ja, du hast recht, wir schaffen das, irgendwie. Jetzt leg dich schlafen, du musst völlig erledigt sein. Ich glaube, ich kann jetzt nicht schlafen. Ich geh noch mal rüber ins Bunkhaus, es gibt noch einiges zu regeln. Du brauchst Ruhe, du musst auf unser Kind aufpassen.«

    Er küsste sie, bevor er ging. Hermon ließ sich erschöpft auf das Bett fallen.

    Als sie aufwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Sie fand Erin in der Küche bei Granny Augusta. Die alte Frau kam zu ihr und nahm sie in den Arm: »Ich habe gehört, was geschehen ist.«

    Hermon entgegnete: »Mach dir keine Sorgen, wir schaffen das schon. Ich werde gleich rüber ins Bunkhaus gehen und nach den Männern sehen.«

    »Zuerst wirst du dich hinsetzen und ordentlich frühstücken. Du darfst dich jetzt nicht übernehmen, Mädel, sonst kommt es womöglich zu einer frühzeitigen Niederkunft.«

    Hermon nahm den Kaffeebecher, den Granny Augusta ihr reichte und setzte sich.

    »Ich passe schon auf.« Sie nahm Erin in den Arm, die auf ihren Schoß geklettert war und aß ihren Haferbrei.

    »Ich will mit, Mummy«, forderte Erin, als Hermon aufstand. Sie schüttelte den Kopf: »Nein, mein Sonnenkind. Im Bunkhaus haben kleine Mädchen nichts verloren.«

    Erin blieb schmollend bei ihrer Granny zurück. Hermon fand im Bunkhaus nur Jimmy und die verletzten Männer vor. Die übrige Crew war bereits draußen bei der Arbeit. Sie sah sich die Wunden an, machte neue Verbände und hoffte, dass alle Männer über den Berg kommen würden. Sie wechselte noch ein paar Worte mit dem Koch und gab ihm Anweisung, die Männer gut zu versorgen. Dann ging sie hinüber zum Haus auf dem Hügel, um nach Chuck zu sehen, den es wohl am schlimmsten erwischt hatte. Lil sah sie durch das Küchenfenster kommen und lief ihr entgegen: »Alles in Ordnung mit dir, Hermon?«

    »Ja, wie geht es Chuck?« Lil verzog das Gesicht: »Du weißt ja, wie er ist, hart wie Stein. Er klagt nicht, ist nur wütend. Ich glaube, er macht sich große Vorwürfe, was natürlich Unsinn ist. Er fiebert. Ich bin sicher, er hat große Schmerzen.«

    »Hast du ihn schon frisch verbunden?«

    »Nein. Ich dachte mir, dass du kommst. Du kannst das besser als ich.«

    Sie gingen hinein und machten sich an die Arbeit. Lil brachte abgekochtes Wasser und Hermon löste die Verbände. Die Schulterwunde sah gut aus, doch das Bein machte ihr Sorgen. Die Wundränder waren stark gerötet. Sie reinigte die Wunde noch einmal gründlich. Der Vormann hielt sich am Bettrahmen fest und gab keinen Ton von sich. Aber seine Muskeln waren angespannt wie Bogensehnen. Nur als Hermon Alkohol über die Wunde goss, kam ein zorniges Stöhnen über seine Lippen.

    Etwas später in der Küche nahm Lil, die die schreiende Marilyn wiegte, Hermon in den Arm: »Ich bin so froh, dass du da bist. Ich mache mir solche Sorgen um ihn.«

    »Chuck ist stark. Er schafft das. Soll ich Monty mit rüber nehmen?«

    »Wenn es dir nicht zu viel wird.«

    Hermon nahm den Jungen bei der Hand und ging mit ihm zurück zum Ranchhaus. Erin war begeistert, doch Hermon mahnte: »Vertragt euch, ich will kein Geschrei hören!«

    »Ja, ja!«, versprach Erin, packte Montys Hand und zog ihn hinter sich her hinaus in den Garten. In der Küche fand sie Alex, der noch nicht gefrühstückt hatte und den Rest Haferbrei aus dem Topf löffelte. Sie schenkte ihm den letzten Kaffee aus der Blechkanne ein und erzählte von Chuck. Alex schob den leeren Topf zurück. »Geht es dir wenigstens gut, Chey?« »Ja, alles in Ordnung.« Sie nahm seine Hand und legte sie auf ihre Wange.

    In der folgenden Woche saßen Alex und Jam Stunde um Stunde über den Büchern und rechneten, wie sie das Jahr überstehen konnten. Hermon kümmerte sich um die Verletzten und vor allem um Chuck, dem es schlecht ging. Er hatte hohes Fieber, und Lil war außer sich vor Sorge. Am Ende gewann er den Kampf. Das Bein wurde besser, und damit fiel auch das Fieber.

    Hermon stieg wider alle Vernunft noch einmal in den Sattel und ritt hinaus auf die Pferdeweide, um zu sehen, welche Tiere verkauft werden konnten. Doch sie wusste, es würde nicht annähernd reichen, das Loch, das in die Geldkasse gerissen war, zu stopfen.

    Eigentlich brauchten sie ein Wunder, um aus den Schwierigkeiten herauszukommen. Und Hermon war überzeugt, dass es Wunder gab. Dass sie mit Alex verheiratet war und mit ihm auf Tawamaya lebte, zählte zu ihren ganz persönlichen Wundern.

    Mit Chucks Genesung wuchs ihr Optimismus. Sie kehrte zur Ranch zurück und erledigte die letzten Arbeiten im Gemüsegarten. Es fiel ihr schwer, sich zu bücken und sie wünschte sich das Ende der Schwangerschaft herbei. Doch das Kind würde wohl erst Anfang November, etwa in vier Wochen geboren werden.

    Die Sonne versank hinter den Bergen und die Luft wurde kalt, als Hermon das Werkzeug wegräumte. Ihr Rücken schmerzte, und sie begann zu frieren. Granny Augusta hielt heißes Wasser bereit. Als sie sich gründlich gewaschen und ihre Fingernägel von der Erde befreit hatte, fühlte sie sich besser. Granny Augusta gab ihr eine Tasse mit Brühe: »Trink etwas Heißes, damit dir warm wird. Du solltest nicht mehr so schwer arbeiten, Mädel.«

    Hermon entgegnete: »Einer muss es ja machen.« Sie ruhte sich einen Moment am warmen Herd aus, dann deckte sie den Küchentisch für die Abendmahlzeit.

    Alex kam nicht rechtzeitig nach Hause, und als Hermon einen Blick in Jams Stube warf, fand sie sie leer. So setzte sie sich mit Granny Augusta und Erin zum Essen.

    Die Brüder kamen, als sie die Mahlzeit fast beendet hatten. Hermon rümpfte ihre durch die Schwangerschaft empfindliche Nase: »Ihr stinkt entsetzlich nach Stall!«

    »Wir waren im Stall bei Miniwatu«, erklärte Alex, »es sieht so aus, als ob sie heute Nacht ihr Fohlen bekommen wird. Aber sie gefällt mir nicht. Sie ist unruhig. Etwas ist diesmal anders. Kannst du vor dem Schlafengehen noch einmal nach ihr sehen, Chey?«

    »Ja, mach ich. Doch jetzt ab mit euch in die Badestube.«

    Jam folgte seinem Bruder schweigend. Seiner Miene war anzusehen, wie besorgt er um seine Stute war, an der sein Herz hing.

    »Mum, darf ich zugucken, wenn Miniwatu ihr Fohlen kriegt?«, fragte Erin. Alex drehte sich noch einmal um: »Du wirst schön brav in dein Bett gehen, wo kleine Mädchen um diese Zeit hingehören.« Erin zog eine Flunsch, aber sie gab kein Widerwort, denn sie wusste, in solchen Dingen war ihr Vater unerbittlich. Granny Augusta wärmte das Essen für die Männer und Hermon brachte ihr Kind zu Bett. Als sie zurück in die Küche kam, waren Alex und Jam mit dem Essen fertig und unterhielten sich.

    »...das ist Unfug, Jam. Es genügt, wenn ich mir die Nacht um die Ohren schlage. Ich kümmere mich um Miniwatu. Geh schlafen.«

    Jam zögerte noch, wechselte einen beredten Blick mit Alex, dann wünschte er gute Nacht.

    Hermon und Alex gingen gemeinsam in den Stall. Sie beschäftigte sich mit der Stute, sprach mit ihr, und Alex wartete ab.

    »Es könnte sein, das Fohlen liegt verkehrt herum«, vermutete sie schließlich. Alex stimmte ihr zu: »Das befürchte ich auch, und ich glaube, es ist sehr groß.«

    »Ich werde hierbleiben.«

    »Nein, Chey, das kann die ganze Nacht dauern. Du musst schlafen.« Er legte eine Hand auf ihren Bauch, »ich hole dich, wenn es notwendig ist.«

    »Also gut.« Sie klopfte Miniwatu sanft den Hals, küsste Alex flüchtig auf den Mund und ging zurück ins Haus. Nachdem sie noch einen Blick ins Kinderzimmer geworfen hatte, legte sie sich ins Bett, zog die Decke fest um sich und lauschte noch eine Weile auf den Wind, der ums Haus pfiff.

    Regen prasselte gegen die Fensterscheiben und schwere Wolken hingen über den Bergen, als der Morgen graute. Hermon erwachte, weil sie fror. Sie wollte sich in Alex’ Arme flüchten, doch sein Bett war leer, unberührt. Sie erinnerte sich und vermutete, dass er immer noch im Stall war. Etwas schwerfällig kroch sie aus dem Bett, zog Hosen, Stiefel, ein Flanellhemd und einen dicken Pullover an. Sie hörte Schritte im Flur, und dann stand Alex in der Tür.

    »Gut, dass du wach bist, Chey.«

    »Ist das Fohlen da?«

    »Nein. Es sieht nicht gut aus. Es ist zu groß. Ich habe versucht, es zu drehen, aber da ist nichts zu machen. Es sieht verdammt nicht gut aus.«

    »Ich komme!« Sie griff nach der Bürste, kämmte die Locken zurück und band sie im Nacken zusammen. Dann versuchte sie sich zu strecken, den Rücken zu dehnen. Sie hatte nicht gut geschlafen. Ihr Körper war verkrampft, die Bauchmuskeln schienen zu kurz zu sein. Sie hätte gerne in der Küche noch einen Kaffee getrunken, doch sie wollte Alex, der zurück in den Stall gegangen war, nicht warten lassen. Sie lief durch den Regen über den Hof, versuchte den großen Pfützen auszuweichen, die sich überall gebildet hatten und war froh, als sie den Stall erreichte.

    Hermon erkannte auf den ersten Blick, in welchem Zustand die Stute war. Sie lag im Stroh, zitternd und völlig erschöpft. Alex hockte bei ihr. Sie kniete sich neben Miniwatus Kopf, legte die Arme um ihren Hals und redete mit ihr. Dabei spürte sie die Angst und die Schmerzen der gepeinigten Stute, doch sie merkte auch, dass ihre Stimme sie erreichte und dass sie ruhiger wurde. Hermon war jedoch sicher, der Stute blieb nicht mehr viel Zeit. Sie hatte sich die ganze Nacht gequält, ihre Kraft ging zu Ende.

    Ihre Hände lagen fest auf dem Pferdekörper. Sie spürte jede Wehe, die Anspannung, das Zittern der Muskeln. Sie ließ sich ganz darauf ein, redete mit dem Tier, ohne sich ihrer Worte bewusst zu sein, litt mit ihm, spürte seinen Schmerz, hörte Alex’ Stimme, ohne wahrzunehmen, was er sagte.

    Hermon verlor jedes Zeitgefühl, war ganz bei Miniwatu. Sie hörte Alex fluchen. Ihre Hände strichen über das schweißnasse Fell, und auch die eigene Kraft schien zu schwinden. Die Zeit dehnte sich endlos. Der Regen prasselte auf das Stalldach. Miniwatu streckte sich, ließ den Kopf in Hermons Schoß sinken.

    »Nein! – Du darfst jetzt nicht aufgeben, du kannst das, du schaffst das!« Hermon wusste nicht, ob sie laut geredet oder nur gedacht hatte. Die Stute lag völlig regungslos. Sie zitterte nicht mehr. Dann bäumte sie sich noch einmal auf. Alex stieß einen Triumphschrei aus: »Ja! Ja, so ist gut! Weiter so!«

    Hermon blickte auf. Das Fohlen war geboren, lag als nasses Bündel im Stroh. Es war ein großes, kräftiges Tier, deshalb hatte es seiner Mutter solche Scherereien gemacht.

    Alex, selber klatschnass geschwitzt, begann es abzureiben. Miniwatu hob den Kopf. Da kam das Fohlen auch schon auf die Beine.

    Hermon richtete sich auf, wollte aufstehen. Da fuhr ein Schmerz wie ein Blitzschlag durch ihren Körper. Sie stieß einen Schrei aus und sank auf den Pferdehals.

    »Chey! Um Himmelswillen, was ist denn?« Alex stürzte zu ihr. Sie versuchte sich aufzurichten. Da kam der Schmerz wieder, nicht mehr so unverhofft, aber noch heftiger und sie biss in Alex’ Arm, den er um sie gelegt hatte.

    »Autsch! Verdammt!«, brüllte er, »Chey! Was ist los? Du kannst doch das Kind jetzt nicht kriegen! Es ist viel zu früh!«

    Als die nächste Wehe wie ein Messerstich durch ihren Leib fuhr, spürte sie das Wasser an ihren Beinen herabrinnen. Alex rang um Fassung. »Ich bringe dich ins Haus, Chey!«

    Er wollte sie aufheben, doch sie stieß ihn zurück. »Die Decke, Alex!«

    Er zog die Pferdedecke vom Balken und legte sie auf den Boden. Hermon wälzte sich auf den Rücken, stieß einen unflätigen Fluch aus. Als die nächste Wehe einsetzte, presste sie mit einem wütenden Knurren. Alex hockte neben ihr und fühlte sich so hilflos wie noch nie im Leben. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte.

    »Alex! Verdammt noch mal, so hilf mir doch! Die Hose! Soll es zwischen meinen Beinen ersticken!« Er kniete sich neben sie, riss sämtliche Knöpfe von der Hose und zerrte sie bis zu ihren Knien, als auch schon die nächste Wehe folgte und ein kleiner Kopf zwischen ihren Beinen hervortrat. Alex starrte sprachlos auf das Geschehen, und er zitterte.

    Zwei, dreimal konnte sie atmen, dann stieß sie das Kind vollständig aus. Endlich setzte sein Verstand wieder ein. Er nahm das kleine, blutverschmierte Menschlein hoch, hielt es ungläubig in seinen Händen. Hermon holte tief Luft und hob den Kopf. Das Kind gab einen ärgerlichen Protestlaut von sich.

    »Leg es auf meinen Bauch und zieh dein Hemd aus.«

    »Mein Hemd?«

    »Ja, gib es her.«

    Er legte das Kind vorsichtig auf ihr ab, und sie umfasste es sanft mit ihren Händen. Alex reichte ihr das Hemd und dann sagte er: »Es ist ein Junge, Chey!«

    »Natürlich! Männer machen nichts als Ärger.« Sie betrachtete das Kind. »Du hast dich da ziemlich unverschämt in die Welt gedrängt. Du bekommst den Namen Jared, nach deinem Vater. Das passt!« Sie wickelte das Baby in das Hemd.

    Mit der nächsten Wehe stieß sie die Nachgeburt aus. Alex sah einfach nur zu.

    »Jetzt stell dich nicht so blöd an, verflixt! Soll ich hier denn alles allein machen! Schneide Miniwatu drei Haare ab und knote sie um die Nabelschnur, dann trenn sie durch.«

    Sie drehte das Kind auf den Rücken und sah Alex‘ Bemühungen zu.

    »Soll ich schneiden?«

    »Ja, mach schon.«

    Alex tat es. Dann wickelte sie Jared sorgfältig ein. »Er ist so winzig«, bemerkte er.

    »Ja, er ist viel kleiner als Erin bei ihrer Geburt. Er ist zu früh. Aber er wird schon wachsen. Da, nimm ihn.«

    Alex legte das kleine Köpfchen an seine Wange und flüsterte zärtliche Worte. Hermon rollte sich zur Seite und zog die durchnässte Hose hoch. Dann nahm sie ihr Kind schützend in den Arm und ließ sich von Alex durch den strömenden Regen ins Haus tragen, wo Granny Augusta eben aus der Küche kam.

    »Potz Blitz! Da haben wir die Bescherung«, rief sie aus, »dass du deine Kinder aber auch nie wie andere Frauen anständig im Bett bekommen kannst!«

    Im selben Moment kam Erin aus dem Kinderzimmer geflitzt: »Mummy, Mummy, was...«

    »Du hast gerade einen kleinen Bruder bekommen«, erklärte ihr Vater, »lauf hinüber zu Tante Lil, sie soll gleich kommen.«

    »Alex, du kannst sie nicht allein...«

    »Doch, sie kann das, sie ist alt genug. Geh, Erin, und trödle nicht. Verdammt, du wirst schwer, Chey! Ich habe gerade einem Fohlen auf die Welt geholfen und die ganze Nacht nicht geschlafen.« Er trug Hermon in die Schlafkammer. Granny Augusta legte schnell eine Decke aufs Bett, bevor er sie ablegte. Hermon ließ sich erleichtert in die Kissen sinken. Die Welt um sie herum schien sich aufzulösen. Granny Augusta nahm ihr den Säugling aus dem Arm und schlug das Hemd auseinander. Ihr Blick ruhte einen Augenblick auf dem Kind, dann sah sie Alex an. Ihr Blick sprach Bände. Doch sie sagte nur: »Geh in die Küche. Hol heißes Wasser und die große Waschschüssel.«

    Als er mit den Sachen zurückkam, stürmten Erin und Lil herein. Granny Augusta wusch das Kind, und Lil kümmerte sich um Hermon. Erin sah fasziniert zu, wie Granny Augusta ihren kleinen Bruder wickelte. Alex kam sich nun überflüssig vor. Er verließ die Schlafkammer und ging hinüber zu Jam.

    »Ist das Fohlen geboren? Wie geht es Miniwatu, Jad?«, bestürmte er seinen Bruder.

    »Ja. Es war schwer. Das Fohlen lag falsch herum und es ist sehr groß. Doch Miniwatu hat es geschafft. Und dann hat Hermon im Stall ihr Kind bekommen.«

    »Was!«

    »Es geschah ganz plötzlich.«

    »Ist es nicht viel zu früh.«

    »Ja«, Alex ließ sich in den Sessel fallen, »es ist ein Junge. Er ist sehr klein. Ich glaube nicht, dass er große Chancen hat, zu überleben. Das Fohlen ist besser dran.«

    Jam sagte nichts. Er nahm die Whiskeyflasche aus dem Regal und schenkte ein. Alex trank. Seine Hand zitterte. Sie schwiegen, es bedurfte keiner Worte.

    Hermon wusste nicht, ob sie geschlafen hatte. Lil saß bei ihr. Sie strich ihr eine Locke aus dem Gesicht: »Du musst trinken, Hermon.« Sie setzte ihr einen Becher an die Lippen.

    Hermon trank. Dann fragte sie: »Wo ist mein Kind?« Lil legte ihr das winzige Bündel in den Arm. Hermon strich über das kleine Kinderköpfchen und versuchte, wach zu bleiben. Sie öffnete die Knöpfe von ihrem Hemd, das sie noch immer anhatte, entblößte ihre Brüste und bemühte sich, ihre Brustwarze in Jareds winzigen Mund zu schieben. Die Mühe war vergebens. Er reagierte nicht, machte keinen Versuch, zu saugen.

    »Jared, du musst lernen zu trinken! Hörst du mich, ich bin deine Mama. Ich will, dass du lebst. Du schaffst das, mein Kleiner.«

    Sein Köpfchen rollte zur Seite. Hermon hüllte ihn in ihre Decke. Sie war so müde. Mit dem Kind im Arm schlief sie ein.

    Als sie die Augen wieder öffnete, saß Alex bei ihr und hatte die Hand schützend über Jareds Köpfchen gelegt, der regungslos in ihrem Arm lag und kaum zu atmen schien.

    »Wie geht es dir, Hermon?« Sie sah ihn an und in ihrem Blick war ein Schimmer von Zorn: »Ich weiß, was ihr alle denkt! Aber ich gebe ihn nicht einfach her. Ich werde um ihn kämpfen!«

    »Ich weiß.« Mehr sagte er nicht, dann schwiegen sie lange. Alex rührte sich nicht, sah einfach nur sein Kind an. Dann nahm er Hermons Hand: »Ganz gleich, was geschieht, wir haben uns. Er küsste sie. »Ich muss los, Micante.«

    »Ja«, sie nickte, »ist in Ordnung.« Mit einem letzten Blick auf seinen Sohn ging er hinaus.

    Gleich darauf kam Granny Augusta mit Erin und einem Frühstück herein. Das kleine Mädchen kam mit verdrossener Miene an ihr Bett und betrachtete den Bruder.

    »Der ist doof! Der ist ja viel zu klein.«

    »Er wird wachsen, Erin.«

    »Tu ihn weg, ich will zu dir«, verlangte sie. »Das geht nicht, Erin, es ist wichtig, dass ich ihn warmhalte.« Erin drehte sich um und rannte schreiend hinaus.

    »Ich kümmere mich um sie«, versprach Granny Augusta, »ich werde Lil bitten, sie erst einmal mitzunehmen. Und nun iss etwas, Mädel.« Sie folgte der brüllenden Erin. Hermon schenkte ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Sohn, der schlaff in ihrem Arm lag. Sie redete mit ihm und sang ihm vor, nahm seine winzigen Fingerchen in die Hand und streichelte ihn. Dann kam Granny Augusta zurück. Gemeinsam bemühten sie sich, Jared zum Saugen zu bringen, doch alle Mühe war vergebens. Die alte Frau schüttelte sorgenvoll den Kopf, ging in die Küche und kam mit einem dünnen Kräutertee zurück.

    »Es ist zum Verrücktwerden! Es gibt im ganzen Haus keine Babyflasche mehr.«

    Sie setzte sich auf die Bettkante und ließ mit einem kleinen Löffel ein paar Tropfen in Jareds Mund laufen. Es dauerte einen Augenblick, doch dann schluckte er.

    »Immerhin«, murmelte Granny Augusta.

    In den nächsten Stunden verbrachte Hermon viel Zeit damit, ihrem Kind immer wieder ein paar Tropfen einzuflößen. Jeder weitere Versuch, ihn zum Saugen zu bewegen, war vergebens. Seine Windel wurde kaum nass. Sie wickelte ihn frisch, streichelte seinen kleinen Körper und nahm die Füße mit den winzigen Zehen in die Hand. »Du bist so schön, Jared, du bist ein so perfekter kleiner Junge. Bleib bei uns. Die Welt da draußen ist so aufregend.«

    Die Stunden vergingen. Hermons Brüste begannen zu spannen. Sie ließ keinen Blick von ihrem Kind, hatte Angst, dass es aufhören würde zu atmen. Sie massierte ihre Brüste, fing die Milchtropfen auf und ließ sie mit dem Löffel in den kleinen Mund rinnen.

    Granny Augusta kam von Zeit zu Zeit herein und überredete sie zum Essen. Hermon entgingen nicht ihre sorgenvollen Blicke. Es dämmerte bereits. Jareds Atem war so flach, dass sie ihn kaum wahrnahm. Plötzlich begann er leise zu wimmern. Hermon öffnete erneut ihr Hemd. Ihre Brüste waren nun so prall, dass sie bei leichtem Druck zu tropfen begannen. Sie schob ihre Warze in Jareds Mund. Er schluckte und schmatzte ein wenig.

    »Jared, du musst saugen, sonst wird das nichts!« Und dann hielt sie ihm das Näschen zu. Da schloss sich sein Mund um die Warze, und sie spürte ein ganz leichtes Saugen. Sie ließ seine Nase los. Jared schmatzte. Ein paar Tropfen liefen aus seinem Mund. Sie widerholte den Versuch und er saugte zwei, drei mal. »Ja, ja, so ist es gut.«

    Jared bewegte seine Zunge, dann schlief er ein. Hermon sang leise für ihn. Sobald er blinzelte und die Äuglein öffnete, legte sie ihn wieder an die Brust. Und er saugte, nur sehr schwach und nur ein paar Mal, aber immerhin. Dann schlief er wieder.

    Sie zündete eine Kerze an, denn es war dunkel geworden. Nach einer halben Stunde machte sie den nächsten Versuch. Jared trank wieder ein paar Tropfen. Er saugte nun etwas kräftiger. Hermon streichelte ihm übers Köpfchen und sie fand, dass er zufrieden aussah.

    Wahrscheinlich bilde ich mir das ein, sagte sie sich.

    »Du schaffst das, mein kleines Löwenkind«, flüsterte sie ihm zu, dann schlief sie ein.

    Eine Hand auf ihrer Wange weckte sie. Granny Augusta war über sie gebeugt: »Du musst essen, Mädel! So geht das nicht.« In Gedanken fügte sie hinzu, es ist schlimm genug, wenn der Kleine stirbt.

    Jared bewegte seine Finger und jammerte leise. Hermon richtete sich ein wenig auf und legte ihn wieder an die Brust. Granny Augusta sah verwundert, wie der kleine Mund zupackte und er zu saugen begann. Hermon strich mit den Fingern über ihre Brust, um die Milch besser zum Fließen zu bringen. Jared schluckte. Sie strahlte Granny Augusta an.

    »Das ist ein kleines Wunder. Ich hätte keinen Cent für sein Leben gegeben.«

    Hermon betrachtete ihr saugendes Baby: »Wir werden es der Welt schon zeigen, mein Sohn!«

    Er trank diesmal mehrere Minuten. Dann öffnete er seine Augen ganz weit und schien seine Mutter anzusehen. Hermon wischte die Milch von seinem Bäckchen und küsste ihn. Dann legte sie ihn an die Schulter und er gab einen kleinen Rülpser von sich.

    »Oh, deine Windel ist nass, mein Löwenkind!«, stellte sie zufrieden fest. Granny Augusta reichte ihr frische Wickeltücher und setzte sich zu ihnen.

    »Ich will dir keine Angst machen, Mädel, aber die Schlacht ist noch nicht gewonnen. Er ist etwa vier Wochen zu früh geboren. Kein Mensch weiß, ob in seinem kleinen Körperchen schon alles richtig entwickelt ist. Meist haben solche Kinder eine schwache Lunge.«

    »Jared schafft das, er ist mein Sohn!«, sagte Hermon bestimmt.

    »Jetzt iss die Suppe, die ich dir mitgebracht habe. Du musst zu Kräften kommen.«

    Sie nahm ihr den Säugling aus dem Arm. Hermon setzte sich auf, schob die Beine über die Bettkannte und begann zu essen, dabei stellte sie etwas erschrocken fest, wie erschöpft sie war. »Wir sollten ihn in sein Körbchen legen, damit du richtig schlafen kannst«, schlug Granny Augusta vor. »Nein! Er braucht mich. Er muss spüren, dass ich da bin.«

    Sie nahm ihn wieder in den Arm, deckte ihn zu und schloss die Augen. Granny Augusta ließ sie allein. Im Salon traf sie auf Jam, der sie fragend ansah. Sie lächelte traurig: »Vielleicht hat der Liebe Gott ja doch ein Einsehen.«

    Die Nacht war pechschwarz, als Alex zurückkam. Er sattelte Tec ab. Dann stand er unschlüssig vor dem Stall und sah hinüber zum dunklen Wohnhaus, dessen Umrisse nur vage zu erkennen waren.

    Er hatte ein schlechtes Gewissen. Wie hatte er weggehen können an diesem Tag? Er war sicher, dass sein kleiner Sohn diese Welt wieder verlassen hatte. Wieso war er nicht geblieben und hatte ihn wenigstens auf seinem kurzen Lebensweg begleitet?

    Natürlich, im Wegrennen warst du schon immer gut, Alex Mehegan!

    Während der Arbeit hatte er die Gedanken verdrängt. Jetzt schämte er sich. Wie sollte er Hermon unter die Augen treten und ihr sagen, dass die Welt nicht untergehen würde.Für Hermon würde es die Hölle sein, ihr Kind zu verlieren.

    Es fiel ihm schwer, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Das Haus war totenstill, der Salon dunkel. Er machte kein Licht. Die Dielen knarrten unter seinen Stiefeln. Vor der Tür zur Schlafstube blieb er stehen. Kein Laut. Sein Herz hämmerte gegen die Rippen. Er fühlte sich wie ein kleiner Junge, der etwas Verbotenes getan hatte. Langsam drückte er die Klinke herunter. Neben dem Bett brannte eine Kerze. Hermon war allein. Sie schlief, hielt das Kind im Arm. Lautlos trat er ans Bett, und er sah, dass Jared im Schlaf an seiner kleinen Faust nuckelte. Er war so erleichtert, dass er sich setzen musste. Hermons entspanntes Gesicht trieb ihm die Tränen in die Augen. Unser Kind lebt! Oh, Gott, Hermon, wie sehr ich dich liebe!

    Als hätte sie seinen Blick gespürt, schlug sie die Augen auf: »Alex!« Er nahm ihre Hand und legte sie an seine Wange: »Verzeih mir, Chey, dass ich so ein Feigling bin.«

    »Alex! Was ist denn los?«, fragte sie verwundert, »alles ist gut, Jared und ich schaffen das schon. Er trinkt jetzt. Was hast du?«

    »Ich hätte dich nicht allein lassen dürfen. Ich hatte so erbärmliche Angst, mit ansehen zu müssen, wie unser Sohn stirbt. Ich bin wieder einmal davongelaufen.«

    Hermon setzte sich kerzengerade auf: »Nein, Alex, es ist in Ordnung. Ich habe dir gesagt, dass du gehen kannst. Diese Schlacht mussten wir zwei allein schlagen. Du hättest nichts tun können.« Sie legte ihm das Kind in den Arm. »Schau nur, wie süß er ist.«

    Aber Alex hatte nur Augen für Hermon, die ihm eine Haarsträhne aus der Stirn strich und ihm ein Lächeln schenkte. »Du meinst das wirklich?«

    »Ja.« Er legte seinen freien Arm um sie: »Ich habe kein Wort dafür, wie sehr ich dich liebe.«

    »Ich weiß«, sie legte ihren Kopf auf seine Schulter, zwischen ihnen das Kind. Sie wussten beide, es war einer der kostbaren Augenblicke, in denen sie sich ganz nahe waren.

    Alex und Hermon schliefen in dieser Nacht kaum. Immer wenn sie ihr Kind stillte, was sie nahezu jede Stunde tat, war auch er wach und hielt beide im Arm.

    Gegen Morgen, als sie erschöpft in einen kurzen Tiefschlaf fielen, forderte Jared zum ersten Mal mit einem schwachen, aber dennoch aggressiven Weinen sein Recht.

    Während Hermon ihn stillte, ging Alex in die Küche und machte ein Frühstück für sie. Als er zurückkam, war Jared schon wieder eingeschlafen. Doch im Licht des neuen Tages war erkennbar, dass das kleine Gesichtchen sich geglättet und Farbe bekommen hatte. Alex nahm ihr seinen Sohn ab und sah ihr beim Essen zu. »Soll ich bei euch bleiben, Chey?«

    »Nein, Alex! Mach deine Arbeit, und nimm dir eine Decke mit. Vielleicht kannst du da draußen an einem verborgenen Plätzchen ein bisschen schlafen. Wir kommen schon klar.«

    Er nahm sie in den Arm und küsste sie zärtlich. Dann küsste er auch Jared und gab ihn seiner Mutter zurück.

    Etwas später erschien Granny Augusta. Sie war zufrieden mit dem, was sie vorfand und sie lächelte: »Du hast gegessen, und der Kleine sieht wirklich besser aus.«

    Sie sah nach dem Rechten, räumte ein bisschen auf, brachte Hermon eine Kanne Tee und warmes Waschwasser, und legte ihr ein frisches Hemd zurecht.

    Gewaschen und frisch angezogen kuschelte Hermon sich zufrieden in die Kissen, um bis zum nächsten Stillen zu schlafen.

    Am Nachmittag machte endlich auch Jam einen Besuch. »Darf ich reinkommen?«, fragte er von der Tür aus. »Ja, natürlich, Jared ist gerade wach geworden.«

    Er steuerte seinen Stuhl dich neben ihr Bett. Hermon nahm ihren Sohn hoch: »Schau, mein Löwenkind, das ist dein Onkel Jam.« Sie legte ihm das Baby auf den Schoß.

    »Er ist wirklich sehr klein. Doch er wird schon wachsen«, sagte er zuversichtlich und legte seine große Hand um das kleine Köpfchen, »entschuldige, Hermon, dass ich erst jetzt komme, aber... ich...«

    »Ja, ich weiß, Jam, wenn man selbst Kummer hat, ist es schwer, auch noch den Kummer der anderen zu ertragen. Jetzt bist du ja da.«

    Jam betrachtete das Baby und wiegte es auf den Knien. Hermon sah ihm zu, dabei fiel ihr auf, wie dünn er geworden war, und wie müde er wirkte.

    »Wie geht es Miniwatu und dem Fohlen, Jam?« Er lächelte: »Miniwatu hat sich gut erholt und das Fohlen ist ein prächtiges Tier, aber...«

    »Was?«

    »Ich fürchte, Miniwatu ist schuld daran, dass dein Kind zu früh geboren ist und... «

    »Unsinn!«, fiel Hermon ihm ins Wort. Sie wollte nicht, dass Jam sich womöglich Vorwürfe machen würde. »Er wollte einfach auf die Welt. Und jetzt muss er eben ein bisschen kämpfen, dass er auch bleiben darf.«

    Jared begann zu plärren. Seine Stimme war noch immer dünn und kraftlos, doch Hermon lächelte: »Er hat schon wieder Hunger.«

    Drei Tage lang tat Hermon Tag und Nacht nichts anderes, als ihr Kind zu versorgen und zwischendurch ein bisschen zu schlafen. Auch Alex fand in den Nächten keine Ruhe, denn er wollte nicht in einem anderen Zimmer schlafen. Wenigstens in den Nächten wollte er bei Hermon und seinem Sohn sein. Inzwischen war auch er zuversichtlich, dass Jared eine Chance hatte, zu überleben. Doch der Winter stand vor der Tür, und so klein und schwach, wie das Kind war, konnte schon ein Schnupfen sein Tod sein. Deshalb war Alex sehr zurückhaltend mit der Illusion, seinen Sohn aufwachsen zu sehen. Und er machte sich Sorgen um Hermon, ihr ging es nicht gut, obwohl sie Alex mit einem Lächeln zu täuschen versuchte.

    Am vierten Tag nach der Geburt bekam sie Fieber. Nun war auch ihr Leben in Gefahr.

    Und wenn sie Jared nicht mehr stillen konnte, würde er sterben. So zart und empfindlich wie er war, würde er wohl die Kuhmilch nicht vertragen. Und er brauchte den Körperkontakt zu seiner Mutter. Hermon hatte so sehr um sein kleines Leben gekämpft, doch ihre Kraft war aufgebraucht.

    Als Alex sie in Tränen aufgelöst fand, war ihm klar, dass auch sie es wusste. Nein, heute konnte er nicht hinausreiten. Da war auch noch Erin, bei ihrer Tante Lil völlig in Vergessenheit geraten. Sie hatte ihren Bruder nur ein einziges Mal gesehen. Alex ging zu Jam ins Arbeitszimmer: »Hör zu, Bruder, ich muss heute zu Hause bleiben. Also heb deinen Hintern in den Sattel, und kümmere dich um den Kram da draußen.«

    »Es geht ihr nicht gut?«

    »Nein. Sie braucht mich.« Jam nickte.

    Alex ging im Laufschritt zum Haus auf dem Hügel. Er fand ein ziemliches Chaos vor. Marilyn war am Brüllen, und Erin und Monty schrien sich gegenseitig an.

    »Gib das her, Erin! Das ist mir! Alles nimmst du mir weg!«

    Erin knallte sein Spielzeug auf den Boden: »Da hast du es! Ich will deine Sachen überhaupt nicht, du Blödmann! Spiel doch mit deiner doofen kleinen Schwester!« Sie gab ihm einen Stoß, dass er gegen die Wand schlug und ebenfalls zu brüllen begann.

    Alex blieb erst einmal sprachlos in der Tür stehen. Da kam Lil aus der Küche hereingerauscht: »Geht das schon wieder los! Hab ich nicht gesagt, ihr sollt euch nicht dauernd streiten!«

    »Die lässt mich nicht spielen, Mum!«, plärrte Monty und Erin schrie: »Ich will nach Hause zu meiner Mum!« Alex trat in die Stube: »Geht das hier immer so zu, Lil?«

    »Ja, Alex, die meiste Zeit. Erin ist im Moment unausstehlich.«

    »Und wir dachten, sie würde gerne bei Monty bleiben. Kannst du herüberkommen? Es geht Hermon nicht gut. Sie hat Fieber.«

    »Ja. Natürlich, ich komme.«

    Erin war auf ihren Vater aufmerksam geworden. Sie kam nicht zu ihm, starrte ihn nur wütend an. Alex nahm seine Tochter auf den Arm, während Lil Marilyn holte. Als Erin zu strampeln begann, drohte er: »Wenn ihr nicht brav seid, werdet ihr gefesselt und geknebelt. Es geht deiner Mama nicht gut. Sie braucht ihre Kraft für das Baby.«

    Erin begann wieder zornig zu strampeln: »Lass mich runter!« Alex stellte sie resigniert auf den Boden. Sie verschränkte die Arme, funkelte ihn wütend an und sagte: »Von mir aus kann das doofe Baby sterben!«

    Alex hatte seine Tochter noch nie geschlagen, doch nun gab er ihr eine Ohrfeige. Erin begann zu brüllen, und Lil sah ihn vorwurfsvoll an.

    »Gehen wir«, sagte Alex nur und griff sich Erins Hand. Monty trottete hinter seiner Mutter her. Erin riss sich los und lief noch immer schluchzend ein Stück voraus.

    »Es war nicht richtig, dass du sie geschlagen hast, Alex«, warf Lil ihm vor.

    »Nicht richtig? Soll ich ihr eine solche Unverschämtheit durchgehen lassen?«

    »Sie ist fünf, Alex, und ziemlich daneben. Ihre Mutter bekommt ein Kind, und sie wird weggeschickt. Sie ist halb wahnsinnig vor Eifersucht.«

    »Was hätte ich denn tun sollen? Du weißt selbst, wie die Dinge stehen.«

    »Natürlich weiß ich das. Trotzdem kannst du nicht erwarten, dass eine Fünfjährige das begreift. Also pack sie nicht so hart an.«

    Als sie das Haus betraten, wollte Erin sofort zu ihrer Mutter in die Schlafkammer rennen, doch Alex hielt sie fest: »Halt, hier geblieben! Hör auf zu schreien und hör mir zu, Erin, sonst gehst du gar nicht zu deiner Mum!« Er ging in die Hocke. Sie sah ihn mit Schmollmiene an.

    »Jetzt hör mir genau zu, deiner Mum geht es sehr schlecht. Sie braucht ihre ganze Kraft, das Baby am Leben zu halten. Und du wirst nie wieder so etwas Hässliches über deinen Bruder sagen. Du darfst jetzt einen Augenblick zu deiner Mum, wenn du versprichst, dass du brav bist und sie nicht aufregst.«

    Erin nickte. Alex stand auf, nahm sie an der Hand und ging mit ihr in die Schlafkammer. Ein müdes Lächeln erhellte Hermons Gesicht, als sie ihre Tochter sah.

    »Komm her, mein Sonnenkind, ich hab dich so sehr vermisst.« Sie legte einen Arm um Erin, die sich verdächtig steif machte und dem Baby neben ihr einen bösen Blick zuwarf.

    »Willst du deinen Bruder streicheln?« Erin biss sich auf die Lippe, schüttelte den Kopf und rannte hinaus. Alex setzte sich zu Hermon ans Bett: »Sei ihr nicht böse, sie ist ziemlich durcheinander.«

    Hermon war viel zu erschöpft, um sich über Erins Verhalten Gedanken zu machen. Sie schlief wieder ein. Alex ging zurück zu Lil und den Kindern. Immerhin bewirkte seine Anwesenheit, dass Erin aufhörte, Monty zu tyrannisieren.

    Granny Augusta kochte einen Fiebertee, Fleischbrühe und einen besonders nahrhaften Brei für Hermon. Lil hatte in dem Kamin in der Schlafkammer, der eigentlich nie benutzt wurde, ein Feuer gemacht. Sie half Hermon mit dem Baby, nahm ihr das Wickeln und Waschen ab, und sie zeigte ihr, wie sie durch Massieren der Brüste den Milchfluss in Gang bringen und einen Vorrat auffangen konnte. Alex kam herein und nahm ihr das Kind aus dem Arm, und als sie protestierte, erklärte er: »Du wirst jetzt schlafen, damit du gesund wirst, und ich werde mich ein bisschen mit meinem Sohn unterhalten.«

    Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sie eingeschlafen war. Alex brachte Jared in die Küche. Mit Hilfe der Muttermilch gelang es Lil, ihn eine ganze Weile ruhig zu halten.

    Lil und Granny Augusta diskutierten darüber, ob sie es mit verdünnter Kuhmilch versuchen sollten. Doch das Risiko, dass er Durchfall bekommen würde, war zu groß. Solange Hermon Milch hatte, war es besser, ihn zu stillen.

    Hermons Zustand verschlechterte sich, obwohl sie den halben Nachmittag ungestört schlafen konnte. Die nächsten beiden Tage kämpfte ihr Körper verzweifelt gegen das ansteigende Fieber. Alex wich kaum von ihrer Seite. Sobald sie halbwegs bei sich war, bemühte er sich, sie zum Trinken zu bewegen. Ihre Milch ging immer mehr zurück. Sie war kaum noch imstande, das Kind zum Stillen zu halten. Alex setzte sich hinter sie, legte die Arme um ihren Körper und hielt auch das Kind beim Trinken.

    Am zweiten Abend wurde Jared nicht mehr satt und hörte nicht auf zu weinen. Granny Augusta entschied, es nun doch mit Kuhmilch zu versuchen. Hermon war nicht mehr ansprechbar. Sie glühte vor Fieber. Für Alex wurde es die schlimmste Nacht seines Lebens. In der Angst, Hermon zu verlieren, wich er keinen Moment mehr von ihrer Seite, hielt ihre Hand, redete mit ihr und versuchte sie zum Trinken zu bewegen. Auch die kalten Umschläge, die Lil machte, vermochten das Fieber nicht zu senken. Hermons Körper schien von innen zu verbrennen.

    In dieser Nacht fand im Haus niemand Ruhe. Granny Augusta fütterte Jared immer wieder mit Kuhmilch. Er trank nur wenig, er mochte sie nicht.

    Auch Jam, der allein in seinem Zimmer saß, weil es für ihn nichts zu tun gab, brachte es nicht fertig, schlafen zu gehen, während Hermon um ihr Leben kämpfte.

    Alex erwartete ungeduldig den ersten Schimmer des neuen Morgens, denn er hatte die irrsinnige Hoffnung, wenn Hermon die Nacht überstehen würde, dann hätte sie eine Chance. Die Nacht wollte kein Ende nehmen, und er konnte selbst die Augen kaum noch offen halten.

    Endlich wurde es hell. Das Fieber war wohl etwas gesunken, doch Hermon blieb völlig apathisch. Die einzige gute Nachricht an diesem Morgen war, dass Jared die Kuhmilch vertrug. Immerhin bekam er davon keinen Durchfall.

    Dennoch war Alex verzweifelt. Er verließ nur das Zimmer, um zum Abtritt zu gehen und Feuerholz zu holen. Als er zurückkam, war Lil dabei, Hermon von Kopf bis Fuß zu waschen und ihr erneut kalte Wickel zu machen. Granny Augusta hatte frischen Tee gekocht und ein Frühstück für Alex bereitet. Er rührte außer dem Kaffee, von dem er nicht genug bekommen konnte, nichts an. Stattdessen beschäftigte er sich geduldig damit, Hermon zum Trinken zu bewegen. Als Granny Augusta, die auch jetzt wie immer die Ruhe bewahrte, hereinkam, um das Geschirr zu holen, schimpfte sie mit ihm: »Herrschaftszeiten! Reiß dich zusammen, Junge! Du wirst auch noch schlapp machen, wenn du nichts isst!«

    Alex sagte nichts dazu. Er brauchte seine ganze Selbstbeherrschung, um nicht in Tränen auszubrechen.

    In der Küche plärrte Jared. Seine Stimme war kräftiger geworden. Erin hockte im Kinder-zimmer, wollte nicht spielen, nicht essen und mit niemand reden. In der Nacht hatte sie ins Bett gemacht, und ihre Wutausbrüche hatten sich in Schweigen verwandelt.

    Jam, der sich in dem ganzen Dilemma sehr überflüssig vorkam, verließ das Haus und schwang sich in den Sattel.

    Als Hermon so gut wie möglich versorgt war und einen Becher Tee getrunken hatte, ohne ihre Umwelt wahrzunehmen, fiel sie

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