TAWAMAYA - 1.2.: HERMON: Ein historischer Roman
Von Elvira Henning
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Nach dem langen Weg durch die Wildnis an Alex’ Seite hat sich Hermons Welt verändert. Sie muss sich nun nicht mehr als Mann tarnen, sondern darf wieder eine Frau sein.
Und obwohl Alex ihr nichts versprochen hat, hofft sie auf eine Zukunft an seiner Seite auf der Ranch seiner Familie in Montana.
Aber Alex hat ihr nie erzählt, warum er lange vor dem Bürgerkrieg sein Elternhaus verlassen musste und selbst nicht nach Tawamaya zurückkehren kann.
Und so sieht er nur eine Möglichkeit, Hermon das Zuhause zu geben, nach dem sie sich so sehr sehnt.
Er muss sie allein das letzte Stück des Weges durch die Wildnis Montanas nach Tawamaya schicken, ohne sein Geheimnis preiszugeben und darauf vertrauen, dass sie den Weg finden wird...
Tawamaya 1.2: Hermon ist der zweite Teil des Auftaktbandes einer epischen historischen Familien-Saga aus der Feder von Elvira Henning (Jahrgang 1955).
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TAWAMAYA - 1.2. - Elvira Henning
Das Buch
Nach dem langen Weg durch die Wildnis an Alex’ Seite hat sich Hermons Welt verändert. Sie muss sich nun nicht mehr als Mann tarnen, sondern darf wieder eine Frau sein.
Und obwohl Alex ihr nichts versprochen hat, hofft sie auf eine Zukunft an seiner Seite auf der Ranch seiner Familie in Montana.
Aber Alex hat ihr nie erzählt, warum er lange vor dem Bürgerkrieg sein Elternhaus verlassen musste und selbst nicht nach Tawamaya zurückkehren kann.
Und so sieht er nur eine Möglichkeit, Hermon das Zuhause zu geben, nach dem sie sich so sehr sehnt.
Er muss sie allein das letzte Stück des Weges durch die Wildnis Montanas nach Tawamaya schicken, ohne sein Geheimnis preiszugeben und darauf vertrauen, dass sie den Weg finden wird...
Tawamaya 1.2: Hermon ist der zweite Teil des Auftaktbandes einer epischen historischen Familien-Saga aus der Feder von Elvira Henning (Jahrgang 1955).
TAWAMAYA 1.2: HERMON
TAWAMAYA, Oktober 1867
Hermon hatte in seinen Armen geschlafen. Doch als sie aufwachte, war der Platz an ihrer Seite leer. Alex hatte schon Feuer gemacht und Kaffee gekocht.
Der Fluss tief unten im Canyon lag noch im trüben Licht der Morgendämmerung. Sie genoss noch einen Moment das Gefühl der Geborgenheit der letzten Nacht, dann befreite sie sich aus den Decken und legte von hinten voller Erwartung ihre Arme um Alex. Er zuckte zusammen, drehte sich zu ihr um und befreite sich in der Bewegung. Hermon sah erschrocken diesen Schimmer von Eis in seinen Augen. Alle Nähe und Wärme der vergangenen Stunden war dahin. Er reichte ihr wortlos einen gefüllten Kaffeebecher.
Warum? Was war geschehen? Sie starrte ihn an. Er senkte den Blick und sie wusste, dass sie auf ihre Fragen keine Antwort bekommen würde. Sie aß von dem übrig gebliebenen Fleisch nur wenige Bissen, während Alex schon packte. Bis sie das Feuer zugeschüttet hatte, waren die Pferde bereit.
Er wollte schon aufsitzen, aber sie hielt ihn fest. »Alex – so sag doch etwas!«
»Was willst du hören?«
»Es war so schön.«
»Ja, es war schön.« Er bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick. Für einen Moment hatte sie die Hoffnung, er würde sie in die Arme nehmen.
…»Wir müssen los, Chey.« Er wandte sich ab und saß auf. Hermon konnte nichts anderes tun, als ihm zu folgen. Was zum Teufel hatte sie erwartet? Es war nur eine Illusion!
Um sich von ihrer Enttäuschung abzulenken, sah sie sich in dieser eigenwilligen Wunderwelt um. Alex ritt lange Zeit schweigend voraus und Hermon blieb nichts übrig, als es hinzunehmen. Schließlich trieb sie Mooney an Tecs Seite, und sah Alex an. Er wich ihrem Blick nicht aus, aber er wirkte seltsam verstört. Da entdeckte sie die steinerne Mauer zwischen den Wachholderbüschen. »Sieh nur, Alex, da drüben zwischen den Sträuchern steht eine steinerne Hütte. Wer mag dort in dieser Einsamkeit wohnen?«
»Dort wohnt niemand«, entgegnete er, »sie wird im Winter manchmal von Pelztierjägern benutzt. Es wird nicht mehr lange dauern, bis der erste Schnee fällt und das Gesicht der Berge verändert. Auch der Fluss friert zu und es ist, als ob die Zeit still steht und die Welt den Atem anhält.« Immerhin, er redete wenigstens mit ihr.
»Bist du im Winter schon einmal hier gewesen?«
»Ja.« Sie sah ihn erwartungsvoll an, aber er sagte nichts mehr.
»Alex, warum vertraust du mir nicht? Warum redest du nicht über dein Zuhause, deine Familie, das, was dort geschehen ist? Ich habe dir doch auch alles erzählt.« Alex sah sie mit dem gequälten Blick eines verwundeten Tieres an.
»Hermon, das hat nichts mit Vertrauen zu tun. Ich würde dir vorbehaltlos mein Leben anvertrauen, aber ich kann nicht darüber reden!« Er trieb Tec an und ritt wieder voraus
Am Abend fand Alex zum Übernachten eine Felsnische. Er briet ein Rebhuhn, das er auf dem Weg geschossen hatte. Dann saßen sie still beieinander und sahen zu, wie die Dunkelheit hereinbrach.
Am nächsten Morgen verließen sie den Flusslauf und setzten ihren Weg in nordwestlicher Richtung durch die Berge fort.
Alex ritt die meiste Zeit ein Stück voraus. Zwischen ihnen war wieder eine gläserne Wand. Hermon fror. Aber die Kälte war tief in ihr drinnen. Und sie kannte die Ursache. Doch so lange sie den Gedanken nicht zuließ, war es nicht Wirklichkeit. Noch nicht!
Sie zählte die Tage nicht, akzeptierte sein Schweigen, war zufrieden, in seiner Nähe zu sein. Immer wieder erwischte sie sich dabei, dass sie ihn anstarrte. Sie wollte sich sein Bild für immer einprägen, jeden Zug in seinem Gesicht, jede Geste, die Art, wie er im Sattel saß und sein Lächeln. Bis ans Ende ihres Lebens.
Aber er lächelte nicht mehr. Er war ernst und wachsam. Hermon erkannte hinter seiner verschlossenen Miene eine unendliche Traurigkeit.
Der Himmel war strahlend blau bis zum Horizont, die Sonne schien noch einmal warm, und es war einer der seltenen windstillen Tage. Sie waren stundenlang geritten, ohne ein einziges Wort zu wechseln und suchten früh einen Rastplatz. Alex briet einen Hasen und sie warteten gemeinsam, bis er gar war. Dann aßen sie ebenso schweigend. Danach schnitt Alex Zweige und bereitete das Nachtlager. Alles war wie immer, und gleichzeitig war nichts mehr wie immer.
Als es dämmerte, legten sie sich schlafen. Schon neben ihr unter der Decke richtete er sich noch einmal auf und blickte hinüber zu den Berggipfeln.
»Hermon!«
»Ja!«
»Siehst du da drüben den hohen, schneebedeckten Berg?«
»Ja.«
»Wenn man immer geradeaus darauf zureitet, kommt man an den Yellowstone River. Auf der anderen Flussseite in der Ebene liegt Tawamaya.«
Dann legte er sich zurück und zu ihrer Verwunderung nahm er sie an diesem Abend wieder in den Arm. Sie spürte, wie angespannt er war. Doch sie sagte nichts, weil sie wusste, dass es sinnlos war, kuschelte sich einfach an ihn und schlief ein.
In der Nacht wachte sie auf, weil Alex aufstand. Sie beobachtete ihn, wie er eine ganze Weile herumlief. Aber sie hörte kein Geräusch, nichts, was ihn aufgeschreckt haben konnte.
Erst als er wieder bei ihr lag, schloss sie die Augen. Doch Alex war die ganze Nacht unruhig. Erst gegen Morgen schlief sie noch einmal fest ein.
Als sie erwachte, ging die Sonne auf. Das Feuer brannte schon, und Alex hatte aus dem letzten Rest Maismehl in der Pfanne Brot gebacken.
Sie stand auf und verschwand erst einmal in die Büsche. Als sie zurückkam, hatte er sein Bettzeug schon eingerollt. Sie aßen schweigend. Er hielt den Blick gesenkt, bis sie mit dem Essen fertig waren.
Wollen wir los, wollte sie gerade fragen, als er sich zu ihr umdrehte. Sein Blick ließ ihr die Worte auf den Lippen ersterben. Er nahm sie in den Arm, zog sie an sich und flüsterte heiser: »Ayor anoshi ni, meine Chey.« Und sie begriff plötzlich, was diese Worte bedeuteten.
Im selben Moment sprach er es aus: »Ich liebe dich, meine tapfere, mutige Hermon! Ich liebe dich so sehr, ich will, dass du es weißt. Vergiss es nie! Ich liebe dich!«
Er sah sie mit seinen samtbraunen Augen an und sie fühlte, wie Feuer durch ihre Adern schoss. Dann küsste er sie, erst vorsichtig, zärtlich, dann wild und fordernd, dass sie glaubte, zu ersticken. Sie überließ sich ihm und ertrank in einem feurigen Meer aus Glück.
Sie hatte nicht gewusst, dass Küssen so sein konnte.
Ganz von allein schlangen sich ihre Arme um seinen Nacken, schloss sie die Augen und wollte, dass die Zeit stillstand.
Doch da ließ er sie los und flüsterte noch einmal: »Ich liebe dich, Chey.«
Mit feuchten, halb geöffneten Lippen sah sie ihn an und brachte keinen Ton hervor.
Er griff in die Tasche und holte ein zusammengefaltetes Papier heraus. Bevor sie begriff, was geschah, schob er es in den Ausschnitt ihres Flanellhemdes, und sie spürte etwas Kaltes auf ihrer Haut. »Gib den Brief dem Rancher. Und pass auf dich auf, Chey!«
Dann stand er auf und war mit wenigen Schritten bei Tec.
»Alex!« Hermon sprang auf die Füße und sah erst jetzt, dass der Hengst gesattelt und fertig bepackt war.
Alex sah sich nicht mehr um, war mit einem Satz im Sattel, und Tec schoss aus dem Stand wie der Blitz davon. »Alex! Alex, nein! Du kannst doch jetzt nicht einfach davonrennen! ALEX!!!
Aber sie wusste, dass er sie schon nicht mehr hören konnte. Ebenso wusste sie, dass es sinnlos war, ihm zu folgen. Sie würde ihn niemals einholen, wenn er es nicht wollte. Und sie hatte gewusst, dass er gehen würde. Aber warum so?
»Du verdammter Idiot!«, schrie sie, »warum zum Teufel hast du mir erst gesagt, dass du mich liebst und mich geküsst bis zum Irrewerden, und dann, dann rennst du einfach weg, lässt mich hier stehen! Warum bist du nicht gleich abgehauen. Warum soll ich dir das glauben? Es ist ja auch ganz egal! Du bist weg!«
Sie weinte, warf sich auf den Boden, hämmerte mit den Fäusten auf die Erde, schrie so lange, bis sie keine Kraft mehr hatte und hörte erst auf zu schlagen, als ihre Arme kraftlos und ihre Fäuste blutig waren. Dann blieb sie einfach liegen und spürte, wie die Kälte langsam durch ihren Körper kroch. Am besten wäre es, einfach zu sterben. Was sollte sie noch auf der Welt, ihr Leben war vorbei. Das bisschen Glück, das der Himmel für sie übrig hatte, war aufgebraucht. Alex war fort.
Sie wusste, er würde nicht zurückkommen. Wahrscheinlich würde sie ihn nie wiedersehen.
In der Nacht am Big Horn Canyon hatte sie an ein Wunder geglaubt.
Du musst es nur ganz stark wollen, dann bekommst du es auch!
Kate hatte sich getäuscht. Sie schloss die Augen und wollte nicht mehr denken. Sie wollte schlafen und nie mehr aufwachen. Doch Mooney war anderer Ansicht. Trotz der gefesselten Vorderläufe stand er plötzlich neben ihr und schubste sie mit seiner Nase energisch an.
»Ach Mooney! Du bist alles, was mir geblieben ist«, sie richtete sich auf, streichelte seinen Hals und lehnte ihr Gesicht an sein Fell. »Du hast recht, ich kann dich nicht auch im Stich lassen, aber was machen wir bloß jetzt, wir beiden?«
Das Papier knisterte in ihrem Hemd und sie zog es heraus. Einen Moment zögerte sie, dann faltete sie es auseinander. Die Schrift, die das ganze Blatt füllte, war klein, eigenartig und unleserlich. Sie konnte kein Wort entziffern, faltete es wieder zusammen und schob es in die Hosentasche.
»Wir müssen wohl zu dieser Ranch reiten, Mooney. Wohin sollen wir sonst hier draußen mitten in der Wildnis. Es ist kaum noch was zu essen da und es wird Winter. Also bleibt uns gar nichts anderes übrig. Und das hat dieser verflixte Mistkerl genau gewusst, als er abgehauen ist.«
Mit müden Bewegungen packte sie ihre Sachen zusammen und stülpte den Schlapphut auf. Dann wischte sie sich mit schmutzigen Fingern die Tränen vom Gesicht, stieg in den Sattel und machte sich auf den Weg. Immer auf die weiße Bergspitze zu.
Jetzt wusste sie, warum er ihr das gesagt hatte. Jetzt wusste sie, warum er in der Nacht herumgelaufen war, anstatt zu schlafen.
Aber warum, warum nur hatte er sie verlassen? Sie wäre doch an jeden Ort der Welt mit ihm gegangen. Sie begriff es einfach nicht. Es gab so viele Fragen, auf die sie nie eine Antwort bekommen würde.
Er war fort. Es war vorbei! Auf ihren Lippen brannte noch sein Kuss. Sie wollte ihn mitnehmen. Es war alles, was ihr von ihm blieb, und Mooney.
Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich dir Mooney weggenommen hätte
Sie ritt den ganzen Tag ohne Rast. Der Pfad war oft unwegsam und steil, und sie kam nur langsam voran. Am Nachmittag erreichte sie das Ufer des Yellowstone Rivers.
Er floss ruhig in seinem Bett, aber er war zu tief, um trocken hinüberzukommen. Da sie nicht die geringste Lust auf nasse Hosen hatte, ritt sie ein ganzes Stück am Ufer entlang und dann fand sie eine Felsenbarriere. Hier war der Fluss schmäler und das Wasser ergoss sich in einer silbernen Kaskade über die steinernen Stufen. Hier konnte sie trocken auf die andere Seite gelangen. Aber es war nicht ungefährlich. Auf den glitschigen Steinen fanden Mooneys abgewetzte Hufe kaum Halt. Er rutschte und strauchelte mehrmals, und sie hatte Angst, doch noch im Wasser zu landen. Doch Mooney brachte sie trocken hinüber.
Als sie den Baumgürtel am Ufer durchquert hatte, sah sie die Weiden mit tausenden von Rindern im weiten Flusstal und in den sanft ansteigenden Hügeln. Das musste Tawamaya sein. Sie folgte dem Flusslauf nach Westen, bis sie am Horizont die Silhouette von Gebäuden erkennen konnte. »Also los, Mooney, gehen wir in die Höhle des Löwen!«
Sie hatte es nicht eilig. Wer weiß was sie auf der Ranch erwartete? Vielleicht warf man sie ja gleich wieder hinaus. Obwohl Mooney Schritt ging, kamen sie schließlich doch an.
Es gab eine Reihe Gebäude, die alle solide und ordentlich aussahen. Hermon erkannte die offenen Stallungen, die Paddocks und das Bunkhaus. Es waren Holzhäuser, nur die Bunkhausküche war gemauert. Das Wohnhaus hatte ein steinernes Fundament. Es war zweistöckig und weiß getüncht mit einem ausladenden Vorbau aus massiven Balken. Ein wohl später errichteter Anbau hatte einen Giebel, der alles überragte.
Vor einem Schuppen waren zwei Männer beschäftigt. Sie ritt auf den Stall zu, als ein Mann aus dem Bunkhaus kam. Er war groß, hatte kurz geschnittenes Blondhaar, ein eckiges Kinn und eine Hakennase. Seine Schultern waren breit, und seine Haltung hatte etwas Herrisches.
Er ging mit langen Schritten auf das Wohnhaus zu, dann bemerkte er sie und wandte sich zu ihr um. »Hombre, wo soll’s hingehen?«, fragte er und kam auf sie zu.
»Sind Sie der Rancher von Tawamaya?«, fragte sie. »Nein, ich bin der Vormann«, entgegnete er kühl. »Ich habe einen Brief für ihn!«
»In Ordnung, ich gebe ihn dem Boss. Bring deinen Gaul zur Tränke und geh in die Bunkhausküche, dort bekommst du etwas zu essen.«
»Nein, ich muss den Brief persönlich abgeben.«
Der Vormann sah sie abschätzend an, schob das Kinn ein wenig vor, dann nickte er und ging zum Wohnhaus. Hermon saß ab, brachte Mooney zur Tränke und trödelte ebenfalls zum Haus. Es dauerte nicht lange, bis der Vormann wieder aus der Tür trat und sie heranwinkte. Sie drückte sich den Hut tief in die Stirn und folgte ihm ins Haus. Der Raum, den sie betraten, war groß und hell. In der Mitte standen ein schwerer Tisch und Stühle mit hohen Lehnen. Es gab mehrere Türen und eine Treppe nach oben.
Der Vormann öffnete eine Tür gegenüber dem Eingang und forderte sie mit einer Geste auf, einzutreten. Mit forschem Schritt ging sie hinein und nahm noch wahr, wie die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Dann blieb sie wie vom Donner gerührt stehen. ALEX!
Sie starrte den Mann, der an dem schweren Sekretär saß, mit offenem Mund an.
Es dauerte drei Herzschläge lang, bis sie erkannte, dass dieser Mann nicht Alex war. Er hatte sein Gesicht, seine Augen, seine Haltung. Aber es war nicht Alex!
Seine Haut war blass, sein Gesicht schmäler, die schwarzen Haare kurz geschnitten. Seine Schultern wirkten müde, hatten nicht die stählernen Muskeln. Und – Hermon erkannte es erschrocken und klappte endlich ihren Mund zu, der Stuhl, in dem er saß, hatte Räder.
»Entschuldigung«, murmelte sie verstört, »...ich... ich dachte...«
Ein winziges Lächeln zuckte über sein Gesicht: »Sie dachten, ich bin Jad?«
»Jad?« Hermon verstand gar nichts mehr.
»Jared Alexander Mehegan, mein Zwillingsbruder. Ich vergesse immer wieder, dass er seinen Rufnahmen gewechselt hat.«
»Zw... illing«, stotterte Hermon, »ich wusste nicht... entschuldigen Sie, Mister Mehegan, ich bin eine unhöfliche Gans. – Ich kenne ihn nur als Alex.«
Sie nahm ihren Hut ab, und nun war es der Rancher, der sie anstarrte: »Mein Vormann hat von einem jungen Mann gesprochen, er hat sich offensichtlich geirrt.«
Hermon grinste: »Darauf sind vor ihm schon eine Menge Leute hereingefallen. Die haben es monatelang nicht gemerkt, dass ich eine Frau bin. Alex auch nicht. Mein Name ist Hermon Brinkfield.«
Etwas zögernd reichte sie ihm ihre schmutzige Hand, doch er ergriff sie sofort: »Ich bin Jam Mehegan. Da Sie meinen Bruder kennen, nehme ich an, der Brief, den Sie mir bringen ist von ihm.«
»Ja.« Sie sah das Aufleuchten in seinen Augen. »Ich habe so lange nichts mehr von ihm gehört. Bitte setzen Sie sich doch, Miss Brinkfield!« Er wies auf einen Stuhl.
»Hermon! Einfach nur Hermon. Ich bin nicht an so viel Förmlichkeit gewöhnt.« Sie kam der Aufforderung nach, merkte, wie ihre Knie zitterten. »Gut, einfach nur Hermon! Kann ich Ihnen etwas anbieten?«
Sie schielte zu dem Flaschensortiment, das auf einem kleinen Tischchen stand: »Wenn Sie so fragen, es ist zwar unanständig für eine Frau, aber auf den Schock könnte ich einen Whiskey vertragen.« Er schenkte kommentarlos ein und reichte ihr das Glas.
Hermon hatte inzwischen den zerknitterten Brief aus der Hosentasche gezogen und legte ihn auf den Sekretär. Jam Mehegan faltete ihn auseinander, und nun trat ein warmes Leuchten in seine samtbraunen Augen. Er schien kein Problem mit dieser unleserlichen Schrift zu haben. Während er las, trank sie von dem Whiskey. Dabei fiel ihr ein, dass sie den ganzen Tag nichts gegessen hatte. Sie würde gleich betrunken sein! Aber es war ihr egal. Vielleicht war es genau das, was sie jetzt brauchte.
Er schien den Brief zwei oder drei Mal zu lesen. Als er sie wieder ansah, hatte sich etwas in seinem Blick verändert. Forschend, neugierig musterte er sie. Dann sagte er einfach: »Willkommen auf Tawamaya! Wenn du bleiben möchtest, Hermon, hast du ab heute hier eine Arbeit und ein Zuhause.«
Hermon starrte ihn sprachlos an. Wie war das möglich, wie konnte plötzlich alles so einfach sein? Keine Fragen, keine Diskussion! Einfach nur willkommen auf Tawamaya.
Eine Träne lief ihr übers Gesicht und hinterließ eine helle Spur auf ihrer schmutzigen Wange. »Ja, Mister Mehegan, ich möchte... ich...«, sie wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht und verschmierte es nur noch mehr.
»Du bist Jad... ich meine, Alex auf dem Oregon Trail begegnet.«
Sie nickte, und plötzlich fühlte sie sich unendlich erschöpft, aber irgendwie auch erleichtert. Alex hatte sie trotz allem wieder einmal aufgefangen!
Der lange Tag mit all seinen Ereignissen und die Wirkung des Whiskeys machten ihre Glieder schwer.
»Du musst mir viel von ihm erzählen. – Nein, nicht jetzt. Ich glaube du brauchst etwas Ruhe und warmes Wasser.«
Es war Alex’ Stimme, die sie hörte. Und er begann für sie zu sorgen. Es war, als nähme er seinen Platz ein. Hermon mochte ihn, weil er war wie Alex. Und sie hasste ihn, weil er nicht Alex war. Verdammt, gleich heule ich los! Hermon, reiß dich zusammen!
Sie stand mit etwas Mühe auf und griff nach ihrem Hut: »Ich muss mich um mein Pferd kümmern.«
»Das kann der Stallbursche machen.«
»Nein, das mache ich selbst. Ich kann Mooney nicht einfach da stehen lassen und abhauen. Und außerdem, Mooney beißt.«
Jam nickte: »In Ordnung.«
Hermon ging zurück durch den Salon. Er strahlte trotz seiner Größe Behaglichkeit aus. Sie registrierte den Kamin und ein Gemälde der blühenden Prärie. Mit großen Schritten lief sie über den Hof zum Stall und sattelte den geduldig warteten Mooney erst einmal ab. Ein sommersprossiger, rothaariger junger Mann, der nicht älter sein mochte, als sie selbst, kam neugierig hinter einem Haufen Stroh hervor.
»Hallo, kann ich helfen?«, fragte er. »Ja, wo kann ich mit Pferd und Sattel hin?«
»Bleibst du länger?«
»Ja, sieht so aus.«
Gib mir den Sattel, ich bringe ihn in die Kammer. Den Gaul kannst du raus ins zweite Paddock bringen.«
»Er verträgt sich nicht mit anderen Pferden.«
»Dann bring ihn hinten in die kleine Box, die ist frei.« Er musterte sie neugierig.
»Ich heiße Hermon. Und um das gleich klarzustellen, ich bin ein Mädchen.«
»Oh!«, er blickte ein zweites Mal hin, »da wird sich Miss Lilian freuen, wenn sie Hilfe bekommt.«
»Ich werde bei den Pferden arbeiten.«
»Was! – Verstehst du denn was von Gäulen?«
»Ja.«
»Wer ist Miss Lilian?«
»Die Cousine vom Boss.«
»Und du, hast du auch einen Namen?«
»Helmer Sicks.«
»Hallo Helmer«, sie reichte ihm die Hand. Dann schnappte sie sich Mooney, brachte ihn nach hinten in die Box. Helmer folgte ihr: »Das kann ich machen.«
»Nein, besser nicht, Mooney beißt.« Als sie den Stall verließ, bemerkte Helmer: »Leck mich am Arsch!«
Als Hermon mit ihren Sachen zurück in Jams Arbeitszimmer kam, war er nicht mehr allein. Die junge Frau mochte etwa so alt sein, wie er. Ihr langes, blondes Haar war zu einem Zopf geflochten. Sie hatte ein rundes, freundliches Gesicht und leuchtend blaue Augen.
Sie reichte ihr mit einem Lächeln die Hand: »Hallo, ich bin Lil Mehegan. Du bist also Hermon. Schön, dass wir Frauen hier etwas Verstärkung bekommen.« »Hallo, Lil«, entgegnete Hermon etwas schüchtern.
»Bist du im Stall zurechtgekommen?«, fragte Jam. »Ja, ich habe Helmer draußen getroffen. »Gut, Lil wird dir jetzt dein Zimmer zeigen. Wir sehen uns zum Essen.«
»Aber ich brauche kein Zimmer. Ich kann draußen im Stall schlafen, ich...«
Lil legte ihr den Arm um die Schultern: »Komm einfach mit!« Hermon warf Jam noch einen Blick zu, dann folgte sie ihr. Sie gingen durch den Salon die Treppe hinauf bis unters Dach. Der Gedanke an eine enge Dachkammer rief unangenehme Erinnerungen hervor, doch als Lil die Tür öffnete, blickte sie in einen freundlichen, weiß getünchten Raum mit einem recht großen Gaubenfenster. Auf dem Boden lag ein bunter Flickenteppich. Unter der Schräge stand ein breites Bett, an der geraden Wand ein Schrank und eine Kommode mit einem ovalen Spiegel. Unter dem Fenster standen ein kleiner, Tisch mit einer Häkeldecke und daneben ein bunt gepolsterter Sessel. Außerdem gab es einen eisernen Ofen.
»Gefällt es dir?«, fragte Lil. »Ja, aber ich kann doch hier nicht...«
»Du kannst nicht im Stall schlafen. Du würdest erfrieren.« Sie öffnete den Schrank, »schau, hier ist Bettwäsche, soll ich dir helfen?« Sie nahm Bezüge heraus.
»Das kann ich schon selbst, Lil.«
»In Ordnung. Aber du willst dich sicher erst einmal waschen? Oder magst du baden?«
»Baden?«, fragte Hermon verwundert und ließ ihr Gepäck neben dem Sessel auf die Erde fallen. »Ja, unten neben der Küche gibt es eine Badestube. Lil betrachtete ihr Gepäck, das sie auf den Boden gelegt hatte.
»Du warst lange unterwegs, du hast sicher keine frischen Kleider mehr. Ich werde dir etwas aushelfen.«
Bevor Hermon etwas erwidern konnte, war Lil verschwunden. Sie stand einfach nur in der Stube und blickte sich sprachlos um. Das war alles so unwirklich. Diese fremde Frau behandelte sie wie eine Schwester. Und Jam Mehegan – was hatte Alex nur in diesen Brief geschrieben?
Lil kam mit einem Arm voll Kleider zurück: »Schau her, denkst du, das wird gehen?«
Sie breitete Unterwäsche, Strümpfe und ein einfaches, blaues Baumwollkleid auf dem Bett aus. »Das Kleid ist mir zu eng geworden, aber dir müsste es passen.«
»Danke, Lil.«
»Ich gehe nach unten und richte das Bad. Wenn du ausgepackt hast, komm herunter. Die Küche findest du gegenüber der Treppe und von dort führt die linke Tür in die Badestube. Ich nehme die Kleider schon mit.« Sie verschwand mit fliegendem Zopf. Hermon ließ sich auf das Bett fallen. War das ein Traum? Wirre Gedanken geisterten durch ihren Kopf. Sie gähnte, hätte am liebsten geschlafen. Doch Lil warteten mit einer Wanne Wasser in der Badestube.
Sie rappelte sich mühsam auf und ging nach unten. Es erschien ihr eigenartig, allein durch das fremde Haus zu gehen. Nach all den Monaten unter freiem Himmel kam es ihr unwirklich vor. Sie fand die Tür zur Küche und klopfte an.
»Komm herein!«, antwortete Lil. Die Küche war geräumig, blitzsauber und gut ausgestattet. Auf dem Herd standen zwei große, dampfende Töpfe, und es war herrlich warm.
»Komm mit!« Lil schob sie durch eine schmale Tür und sie betraten einen kleinen Raum mit einem winzigen Fenster. In der Mitte stand ein riesiger Zuber mit dampfendem Wasser. An der Wand gab es einen langen Tisch und auf der anderen Seite eine Bank, auf der Handtücher und die frischen Kleider lagen. An der dritten Wand lehnten ein Waschbrett, zwei Zinkwannen und zwei Körbe neben einem gemauerten Waschtrog.
»Steig ins Wasser, bevor es kalt wird. Hier ist Seife, und wenn du noch heißes Wasser brauchst, rufe einfach, ich bin in der Küche!« Dann ließ sie Hermon allein.
Sie sah sich erst noch einmal um und hatte erneut das Gefühl, in einem Traum zu sein. Doch dann begann sie sich auszukleiden. Als sie die Hose auszog, fiel etwas auf den Boden. Vor ihren Füßen lag Alex’ silbernes Navajoamulett. Sie erinnerte sich, etwas Kaltes auf der Haut gespürt zu haben, als er ihr den Brief ins Hemd steckte. Sie hob es auf und presste es an ihre Wange. Alex hatte ihr etwas zurückgelassen, das ein Teil von ihm gewesen war.
Einen Augenblick überließ sie sich der Erinnerung. Dann legte sie es zu ihren Kleidern und stieg ins heiße Wasser. Es war wundervoll. Sie schloss die Augen und versuchte an nichts zu denken. Es gelang ihr nicht. Alex’ Gesicht tauchte wieder auf. Sie dachte an das Bad im Thermalsee, ihre nackten Körper. Da kamen erneut die Tränen, doch sie wehrte sich nicht mehr dagegen.
Lange saß sie regungslos im heißen Wasser. Ihr Körper entspannte sich und ihr Kopf wurde frei. Als das Wasser abkühlte, griff sie nach der Seife, tauchte den Kopf unter, wusch ihre Haare und schrubbte sich von oben bis unten ab.
»Hermon! Ist alles in Ordnung?« Lil rief sie in die Wirklichkeit zurück. »Ja!«
»Brauchst du noch heißes Wasser?«
»Nein, ist alles gut.« Sie stieg aus dem Bottich, rieb ihren Körper ab und rubbelte ihre Haare. Ihre Haut war nun weich und sauber. Aber sie war schrecklich dünn und ihre Hüften eckig.
Sie zog die frischen Sachen an, Wäsche, Unterrock und Kleid. Es war aus weicher, taubenblauer Wolle mit einer Knopfleiste an der Vorderseite und es passte, ohne sie einzuengen. Hermon fand es hübsch, obwohl es sehr einfach war. Oder vielleicht gerade deshalb. Doch es fühlte sich fremd an. Wie lange hatte sie kein Kleid getragen?
Zuletzt legte sie das Amulett um ihren Hals und schob es unter das Kleid, rollte ihre schmutzigen Kleider zusammen und ging zurück in die Küche.
»Lil, wie bekommt man das Wasser aus dem Zuber?«
»Oh, mach dir keine Gedanken, man muss nur einen Stöpsel herausziehen, es gibt eine Abflussrinne. Und deine schmutzigen Sachen lass einfach da drinnen. Die werden gewaschen.« Sie nahm ihr die Kleider aus der Hand. »Jetzt lass dich anschauen! Hübsch siehst du aus. Das Kleid passt dir gut.«
»Kann ich... kann ich dir etwas helfen?«
»Nein, geh nach oben und ruh dich aus. Ich sage dir Bescheid, wenn es Essen gibt.«
»Wer gehört außer dir und Jam noch zur Familie?«, wollte Hermon wissen.
»Nur meine Mutter, Augusta Mehegan. Sie ist die Schwester von Jams Vater.«
»Lil, ich kann doch auf meinem Zimmer essen.«
»Oh, meine Mutter ist schon ganz neugierig auf dich, und Jam wäre enttäuscht, wenn du nicht zum Essen herunter kämst. Chuck Heesley, der Vormann nimmt auch die Mahlzeit mit uns ein. Er ist schon sehr lange auf der Ranch und gehört praktisch zur Familie.«
»Also gut, dann bis nachher.«
»Warte! Du bist sicher sehr hungrig!« Lil nahm einen Teller, legte Kekse und einen Apfel darauf und drückte ihn ihr in die Hand.
Hermon hockte auf dem großen, weichen Bett, aß den Apfel und knabberte die Kekse. Sie konnte das alles noch nicht fassen. Als sie den letzten Bissen verzehrt hatte, stellte sie den Teller auf die Kommode. Ihr Blick fiel in den Spiegel.
Das Mädchen mit dem sonnenbraunen, sommersprossigen Gesicht, den wilden Locken und dem blauen Kleid, das sie da anblickte, gefiel ihr. Sie wunderte sich darüber, wie hübsch sie aussah. Aber Alex war weg. Es war nicht mehr wichtig.
Sie ließ sich aufs Bett fallen und wäre fast eingeschlafen. Da schaute Lil herein, um sie zum Essen zu holen. Hermon stand auf, strich das Kleid glatt und fuhr sich mit den Fingern durch die inzwischen getrockneten Locken, dann folgte sie Lil nach unten. Ihr war dabei etwas mulmig zu Mute.
Vom oberen Treppenabsatz aus sah sie den gedeckten Tisch. Jam hatte bereits seinen Platz am Ende eingenommen. An der rechten Längsseite saß eine propere ältere Dame mit einem grauen Haarknoten und einem sehr faltigen, aber freundlichen Gesicht. Über dem schmucklosen, braunen Kleid trug sie eine bunte Schürze. Als Hermon die letzten Stufen hinunterging, sprang sie erstaunlich beweglich auf: »Da ist ja die junge Dame. Sie reichte ihr die Hand: »Du bist also Hermon! Herzlich willkommen auf Tawamaya!«
»Danke!«, entgegnete Hermon und hielt der kritischen Musterung stand.
»Ein bisschen dünn bist du. Aber dagegen kann man ja was tun. Ach richtig, ich bin Augusta Mehegan! Komm, setz dich, Mädchen.« Sie schob Hermon zu dem Stuhl neben dem eigenen. Hermons Blick wanderte zu Jam. Er hatte die Szene aufmerksam verfolgt. »Jetzt wird dich niemand mehr für einen Mann halten!«
In diesem Moment wurde nach kurzem Klopfen die Tür geöffnet, und der Vormann trat mit einem Nicken ein. Auch sein Blick blieb sofort an Hermon hängen: »Ich bitte um Verzeihung, Miss, dass ich Sie für einen Mann gehalten habe, aber...«
»Das ist kein Problem«, sagte sie nur. Er setzte sich an das Gedeck und warf Jam einen fragenden Blick zu. Der erwiderte ihn mit einem kurzen Nicken.
Augusta sah die Männer mit einem ungeduldig mahnenden Blick an, dann senkte sie das Haupt über den Teller und sprach ein Tischgebet. Hermon warf einen Blick in die verlockend dampfenden Schüsseln. In einer schwammen Fleischstücke in einer dicken Soße, in der anderen waren gekochte Rüben. Dazu gab es duftendes, frisch gebackenes Brot. Und bevor sie begriff, wie ihr geschah, hatte Augusta schon eine ordentliche Portion Fleisch und Rüben auf ihren Teller geladen und reichte ihr den Korb mit dem Brot.
Hermon machte sich mit Heißhunger über die Mahlzeit her. Sie war die erste, die den Teller geleert hatte. Augusta gab ihr geschwind nach.
Während Jam und der Vormann sich über irgendwelche Viehverkäufe unterhielten, aß sie auch die zweite Portion auf und hatte das Gefühl, gleich zu platzen. Als sich Augusta Mehegan erhob und die Mahlzeit beendete, sagte Jam zu Hermon: »Chuck wird dir morgen die Ranch zeigen.« Dann verschwand er mit seinem Vormann im Arbeitszimmer. Die Bodendielen knarrten unter den metallischen Rädern.
Hermon wollte beim Abräumen helfen, doch Lil hielt sie zurück: »Geh ruhig in dein Zimmer, du bist sicher todmüde.« Doch Hermon ging noch einmal auf den Hof, atmete die kühle Abendluft ein und fragte sich, wo Alex nun war.
Als sie zurück ins Haus kam, war Lil noch im Salon beschäftigt. Hermon verharrte einen Moment an der Tür. Ihr kam das Wort Zuhause in den Sinn.
»Gute Nacht, Lil. Und danke für alles!«
Chuck Heesley machte die Tür hinter sich zu. »Also was ist mit diesem Mädchen? Warum soll ich ihr die Ranch zeigen?«
»Jad hat sie hergeschickt. Sie wird auf der Ranch arbeiten.«
»Schön für Lilian«, bemerkte er trocken.
»Sie wird sich um die Pferde kümmern, als Saddlegirl.«
»Das ist nicht dein Ernst, Jam!«
»Doch, ist es!«
»Wie stellst du dir das vor? Ein Mädchen und eine hübsches noch dazu, unter lauter Männern! Ich bin Vormann, kein Kindermädchen, Jam!« Heesley war wütend. Ein Mädchen in seiner Mannschaft, das war einfach absurd.
»Hermon Brinkfield ist mit Jad als Treckbegleiter den Oregon Trail heraufgekommen, und sie kennt sich gut mit Pferden aus.«
»Als Treckbegleiter? Wie meinst du das?«
»Du hast sie doch auch für einen Jungen gehalten. Die Leute des Trecks haben monatelang nicht gemerkt, dass sie ein Mädchen ist. Jad übrigens auch nicht.«
Chuck schüttelte den Kopf und rannte ungeduldig in dem kleinen Raum herum.
»Jam, ich weiß nicht, was deinem Bruder das Hirn vernebelt hat, aber das Mädchen gehört nicht in die Mannschaft, ich will sie hier nicht haben!« Er hieb mit der Faust auf den Sekretär, »das ist die idiotischste Idee, von der ich je gehört habe!«
»Chuck, du weißt, wie viel ich auf deine Meinung gebe. Aber diesmal diskutier ich nicht!«
Der Vormann zog die Brauen hoch und schwieg. Er kannte Jam lange genug, um zu wissen, dass es in diesem Moment sinnlos war, ihm weiter zu widersprechen.
»Morgen früh nimmst du sie mit und zeigst ihr die Ranch.«
»Na schön! Aber ich garantiere nicht für das Benehmen meiner Männer. Gute Nacht!« Er ging und schlug die Tür ziemlich unsanft hinter sich zu. Jam sah ihm nach und seine Selbstsicherheit war verschwunden.
Er mochte dieses Mädchen, aber ob es sich in einer Welt von Männern behaupten konnte, ohne dass es Ärger gab? Hatte Jad das bedacht? Bei diesem Treck, von dem er berichtet hatte, wussten die Leute nicht, dass sie ein Mädchen ist. Das war etwas anderes. Aber Jad hatte sie ihm anvertraut. Es war das erste Mal in all den Jahren, die er von zu Hause fort war, dass er ihn um etwas bat. Und er würde seine Bitte verdammt nochmal auf irgendeine Weise erfüllen!
Hermon lag warm und entspannt in einem Flanellnachthemd unter dem Federbett und weinte. Es war gut, wieder in einem Bett zu liegen. Doch sie hätte es ohne zu überlegen gegen jedes harte, kalte Nachtlager im Freien getauscht, wenn sie dafür in Alex’ Arm hätte liegen können. Alex – Jad! Jared Alexander Mehegan! Sie erinnerte sich, dass er von einem Freund Namens Jad erzählt hatte. Plötzlich wurde ihr klar, er hatte von sich selbst, seinem Leben auf Tawamaya gesprochen, seinem verlorenen Leben! Aber was war geschehen? Hatte es etwas mit Jam zu tun, damit, dass er in diesem Stuhl mit Rädern saß?
Sie dachte wieder an diese eigenartigen Worte: Ayor anoshi ni. Er hatte es oft zu ihr gesagt, aber erst jetzt war ihr die Bedeutung klar geworden. Warum nur hatte er das getan, ihr seine Liebe gestanden und sie dann verlassen? –
Sie hatte gewusst, dass er gehen würde, die ganze Zeit. Warum so! – Doch hätte es einen Unterschied gemacht, hätte er sich anders verabschiedet?
Vielleicht war es für ihn die einzige Möglichkeit gewesen, zu gehen. Schließlich hätte er schon in Sweatwater gehen können, mit einem mach’s gut und alles Gute.
Er hatte es nicht getan, hatte sie bis hierher gebracht und ihr das gegeben, was sie am meisten brauchte, einen Platz an dem sie bleiben konnte, wo sie nichts mehr verbergen musste. Ein Zuhause.
Ich darf nicht undankbar sein, ich könnte jetzt allein in Salt Lake sitzen. Stattdessen liege ich unter einem warmen Federbett und weiß, dass ich die Chance hab, ein neues Leben zu beginnen. Alex war gegangen, aber er hatte für sie gesorgt.
Am Morgen erst hatten sie Abschied genommen, doch es erschien ihr bereits wie in einem anderen Leben. Sie dachte an Jam, sah sein Gesicht vor sich, oder war es Alex’ Gesicht? Bevor sie es entschieden hatte, war sie eingeschlafen.
Sie erwachte vor dem ersten Tagelicht. Für einen Moment hatte sie unter dem warmen Federbett die Illusion, in Alex’ Armen zu liegen. Doch als sie sich bewegte und weder seinen Geruch noch seine Nähe wahrnahm, kam schlagartig die Erinnerung zurück.
Augenblicklich sprang sie aus dem Bett und stand etwas hilflos im Zimmer. Alex war fort! Am liebsten hätte sie laut geschrien oder auf etwas eingeschlagen.
»Reiß dich zusammen, verdammt!«, sagte sie laut. In der Dunkelheit suchte sie nach ihren Kleidern, die Lil noch nicht in die Wäsche befördert hatte. Sie zog Hosen, Stiefel und das einzige Hemd an, das sie fand, schlüpfte in Pullover und Felljacke und stülpte sich den Hut auf den Kopf. Dann verließ sie ihr Zimmer und tastete sich durch das dunkle Haus. Als sie den Hof betrat, erhellte der erste Schimmer des neuen Tages die Nacht. Sie lief zum Stall, um nach Mooney zu sehen, der sie freudig begrüßte. Als es langsam hell wurde, ging sie an den Boxen entlang und zu den Paddocks und unterhielt sich mit den Pferden. Hier ging es ihr gut, hier fühlte sie sich zu Hause.
Inzwischen war es auch im Ranchhaus lebendig geworden. Augusta und Lil richteten das Frühstück. Der Tisch war in der Küche gedeckt, und der Kaffee dampfte in der Kanne auf dem Herd. Jam kam hereingerollt und nahm seinen Platz ein. Augusta stellte Haferbrei und eine Pfanne mit Eiern auf den Tisch. Es klopfte kurz, und dann trat Chuck Heesley mit stürmischem Schritt ein, nickte zum Gruß und sah sich suchend um. »Die junge Dame schläft wohl noch!«, bemerkte er sarkastisch.
»Nein«, entgegnete Lil, »ich weiß nicht, wo sie ist, aber im Bett liegt sie nicht mehr.«
Sie hatten eben zu essen begonnen, als Hermon mit fragendem Blick eintrat. »Guten Morgen, ich bin schon mal im Stall gewesen«, erklärte sie.
»Dann setz dich und iss«, forderte Augusta sie auf und tat Eier auf ihren Teller. Hermon nahm den Hut ab, zog die Jacke aus und setzte sich neben Lil, die ihr Kaffee eingoss und Brot und Butter hinschob. Als sie aufsah, begegnete sie dem abschätzenden Blick des Vormanns. Der mag mich nicht, stellte sie fest. Trotzdem ließ sie sich den Appetit nicht verderben. Augusta sorgte dafür, dass ihr Teller nicht so schnell leer wurde. Der Vormann stand als erster auf und blickte Hermon auffordernd an: »Gehen wir!«
»Ja.« Sie nahm Jacke und Hut und folgte ihm nach draußen.
Chuck Heesley lief mit großen Schritten vor ihr her, führte sie durch Vorratsschuppen, Geräteschuppen, Scheune, Stall, Paddocks und Sattelkammer und gab mit kühler Stimme kurze Erklärungen. Und er machte einige Bemerkungen zu den Eigenarten der Pferde. Als letztes zeigte er ihr die Remise und die Schmiede, die etwas abseits hinter der Reihe der Gebäude lag. Dort befanden sich auch der Abort der Männer, das Windrad und der Brunnen.
Heesley forderte Hermon auf, ihr Pferd zu satteln. Sie legte Mooney den abgewetzten Sattel auf, zog den Riemen mit flinken Fingern durch die Metallringe, schloss die Schnalle und wartete schon draußen, als Heesley mit seinem riesigen Wallach herauskam. Er gab ihm die Sporen und legte ein ziemliches Tempo vor. Hermon hielt mit.
Sie ritten nach Süden Richtung Flussufer. Als die Sonne aufging, hatten sie den Yellowstone River erreicht. Im hohen Gras sah Hermon die Pferde stehen.
»Die Cavvy«, bemerkte Chuck knapp, »das sind alle Tiere, die im Augenblick nicht zum Arbeiten benutzt werden.«
Die Talsenke war grüner als die höher gelegenen Weiden in den Hügeln und wohl deshalb für die Pferde ausgewählt. Es gab keine Zäune, und sie waren weit verstreut. Hermons Augen leuchteten. Es waren prachtvolle Tiere.
Der Vormann beobachtete sie. Er musste zugeben, dass sie perfekt im Sattel saß. Ihr Körper und der dieses gefleckten Gauls mit der grotesken Zeichnung waren eine Einheit. An dem tückischen Blick erkannte er, dass Mooney kein braver Schaukelgaul war.
Hermon war völlig in den Anblick der Pferde vertieft. Auch das fiel Chuck Heesley auf. »Eine Menge Quarterhorses«, bemerkte sie und der Vormann nickte. »Sind widerstandsfähige Tiere, am besten geeignet für das harte Klima und die Arbeit«, brummte er, »und sie sind gehorsam.«
Sie ritten in die Talsenke hinein und Hermon konnte sich die Pferde näher ansehen. »Es sind einige Jährlinge dabei«, stellte sie fest, »gibt es Zureiter in der Crew?«
»Ja.«
Obwohl der Vormann nur einsilbig und unwillig antwortete, stellte sie weitere Fragen. Schließlich bemerkte er: »Du verstehst also tatsächlich etwas von Gäulen!«
»Ja!«
»Wo hast du das gelernt? Du kommst doch aus den Südstaaten! Dort können die Ladys gewöhnlich einen Gaul nicht von einem Maulesel unterscheiden.«
»Das ist nicht wahr!«, entgegnete Hermon gereizt, »die Leute im Süden sind nicht blöd, auch wenn sie den Krieg verloren haben!«
»Also, wo hast du es gelernt?«, überging er ihre Bemerkung. »Ich habe auf einer Pferderanch in Kentucky gearbeitet!«
»So, gearbeitet«, bemerkte er herablassend, »hast du dort einen reichen Onkel, der es sich leisten kann, ein Mädchen sein Unwesen zwischen den Kerlen treiben zu lassen? Und warum bist du nicht dort geblieben?«
»Ich habe dort als ganz gewöhnlicher Stallbursche gearbeitet!« Das Schimpfwort, das ihr auf der Zunge lag, verschluckte sie.
»Aha, Stallbursche!«
»Ja, niemand hat gemerkt, dass ich ein Mädchen bin. Aber Sie brauchen mir ja nicht zu glauben!« Sie trieb Mooney an und ließ Heesley ein Stück hinter sich zurück. Der Vormann verkniff sich ein Grinsen und stellte fest: Die Kleine scheint eine harte Nuss zu sein! Dann tauchten die ersten Kühe am Horizont auf. »Hier beginnen die Weidegründe der Rinder«, erklärte Chuck, »der Viehtrieb ist vorbei, deshalb ist die Herde klein, etwa zehntausend. »Wie groß sind die Weidegründe der Ranch?«, wollte Hermon wissen.
»Hier gibt es keine Zäune und keine Grenzen. Das Land ist weit und offen. Und es ist leer. Die wenigen Anwesen, die es gibt, liegen hunderte von Meilen voneinander entfernt«, beantwortete er ihre Frage, dann schlug er den Rückweg ein. Sie ritten nun nicht mehr am Fluss entlang, sondern durch die Hügel. Hermon hörte das Pfeifen der Präriehunde, die das Gelände bevölkerten und hin und wieder erschien ein Kopf in einem der unzähligen Erdlöcher. Als sie die Hügel hinter sich ließen und wieder an der Pferdeweide vorbeikamen, wies Heesley auf ein abseits stehendes Tier mit rötlich verwaschenem Fell: »Der Fuchs da drüben ist Gap. Am besten gehst du ihm aus dem Weg, er ist ein miserables, hinterlistiges Mistvieh. Die Leute machen sich einen Spaß daraus, jeden Neuen darauf zu setzen und lachen sich tot, wenn er im Dreck landet. Und der Gaul macht sich einen Spaß daraus, dann auch noch zu treten und zu beißen.«
Hermon sagte nichts, sie fragte sich nur, was sie mit dem armen Pferd angestellt hatten. Aber sie erwähnte nicht, dass sie mit solchen Mistviechern so ihre Erfahrung hatte.
Es war später Nachmittag, als sie auf die Ranch zurückkamen. Hermon knurrte der Magen. Doch sie beklagte sich nicht über die ausgefallene Mahlzeit. Darauf wartete Heesley wahrscheinlich nur!
»So, Schluss für heute«, bemerkte er gnädig, morgen kannst du dich im Stall betätigen.« Er wendete sein Pferd und galoppierte davon. Die Ranch schien verlassen, die Männer waren wohl alle irgendwo draußen, und so entschied sie sich, noch einmal auszureiten.
Es war nicht schwer, die Pferdeweide wiederzufinden. Sie sah sich nun etwas genauer um und entdeckte im Schutz einer Hecke die Corrals zum Zureiten der Pferde. Und sie fand auch sofort den zerzausten, blassroten Gaul mit dem Namen Gap wieder. Sie saß ab und ließ Mooney grasen. »Naja, eine Schönheit bist du wahrhaftig nicht«, redete sie mit ihm, »bist wohl das Gespött von Tawamaya.« Langsam ging sie näher heran und redete weiter. Gap beobachtete sie, legte die Ohren an und sein Blick war nicht freundlich. Dann widmete er sich wieder dem Gras unter seiner Nase. Hermon blieb eine Weile regungslos vor sich hin summend stehen. Dann ging sie zurück zu Mooney und machte sich auf den Rückweg. Im Stall traf sie auf Helmer. Sie sagte: »Hallo!« und nahm den Pinto den Sattel ab.
Der Stalljunge verdrehte sich den Hals nach ihr. Er war dabei, Heu und Hafer für die Arbeitstiere zu verteilen. Hermon räumte den Sattel weg, gab Mooney auch eine Portion Hafer, dann machte sie sich wortlos daran, ihm zu helfen. Er grinste sie etwas irritiert an, sagte aber nichts. Als sie sah, dass die Viehtreiber auf den Hof ritten, verschwand sie lautlos. Sie wusste nicht, was der Vormann ihnen gesagt hatte, und sie wollte keinen Aufruhr verursachen.
Beim Betreten des Hauses überkam sie ein eigenartiges Gefühl. Es war erst ihr zweiter Tag auf Tawamaya, doch irgendwie fühlte sie sich bereits zu Hause. Sie wüsste nur zu gerne, was in diesem verflixten Brief stand?
Aus der Küche hörte sie Geräusche und Stimmen. Augusta Mehegan und Lil waren wohl beim Zubereiten der Abendmahlzeit. Im Kamin im Salon prasselte ein Feuer. Lil stürmte aus der Küche: »Da bist du ja endlich! Wo hat Chuck dich nur überall herumgeschleift? Du musst doch halb erfroren und verhungert sein!«
Doch Hermon strahlte: »Es war gar nicht so schlimm. Weißt du, ich habe viele Monate mein ganzes Leben im Freien verbracht.«
»Es gefällt dir hier?«, fragte Lil verwundert. »Ja, es ist ein wundervoller Flecken Erde.«
»Es ist einsam hier. Wir sind von der Welt abgeschnitten. Im Süden, wo du herkommst, gibt es doch eine Menge große Städte, und es war sicher immer etwas los. Hier ist man nur von Männern umgeben. Sicher, meine Mum ist noch da, aber ich habe mir immer eine Schwester oder Freundin gewünscht. Und jetzt habe ich Angst, dass du wieder fortgehst.«
»Ach Lil, ich möchte so gerne bleiben.«
»Ist das wahr?«
Sie kam auf Hermon zu und nahm sie einfach in den Arm. Hermon biss sich auf die Lippen, um nicht loszuheulen. »Komm mit!« Lil schob sie in die Küche.
»Da ist ja das Mädel!«, freute sich Augusta, die mit hochrotem Kopf am Herd stand. Ohne lange zu fragen, schenkte sie ihr einen Becher Kaffee ein. Als Hermon ausgetrunken hatte, gab Lil ihr den Wasserkessel: »Hier, nimm ihn mit in deine Kammer, damit du warmes Wasser zum Waschen hast.«
Hermon machte sich auf den Weg nach oben, doch auf der Treppe blieb sie stehen und sah sich um. Alles erschien ihr so unwirklich. Sie kam in ein Haus, in dem fremde Menschen sie mit einer unglaublichen Herzlichkeit aufnahmen, wo im Kamin ein Feuer brannte, sie ein eigenes Zimmer bewohnte und ein gedeckter Tisch auf sie wartete. Dieses Haus war das Zuhause, das sie sich immer gewünscht hatte. Und Alex hatte das gewusst!
Sie wusch sich mit dem warmen Wasser, dann zog sie das blaue Kleid wieder an und bürstete ihre Locken, die sich über Ohren und Nacken zu ringeln begannen und lächelte ihrem Spiegelbild zu. Dann ging sie nach unten und half Lil beim Tischdecken.
Die Räder von Jams Stuhl verursachten ein mahlendes Geräusch, als er zu Tisch kam. Hermons Blick fiel auf seine Hände, die in die Speichen griffen. Sie waren groß und schlank, wie die seines Bruders, aber sie hatten keine Narben.
»Wie war dein Tag, Hermon?«, fragte er sie, und sie blickte etwas erschrocken auf. Dann ging ein Leuchten über ihr Gesicht: »Gut!« Sie setzte sich zu Jam und erzählte. Nur Chuck Heesleys unfreundlichen Ton erwähnte sie nicht. Augusta Mehegan kam mit einer großen, dampfenden Schüssel herein: »So, nun lang aber zu, Mädel! Du musst doch hungrig sein wie ein Wolf nach dem langen Tag!«
Das ließ Hermon sich nicht zweimal sagen. Als sie zu essen begann, bemerkte sie den leeren Platz gegenüber: »Wo ist Mister Heesley? Ist er wegen mir nicht hier?«
»Nein, er nimmt die Mahlzeiten nicht regelmäßig mit uns ein«, entgegnete Jam, »wenn er noch draußen zu tun hat, isst er im Bunkhaus. Hast du Ärger mit ihm gehabt?«
»Nein, er war nur nicht besonders gut gelaunt. Kein Wunder, wenn er nicht begeistert ist, dass plötzlich eine Frau ihr Unwesen in seiner Crew treibt.«
»Er wird sich daran gewöhnen«, entgegnete Jam. Hermon beobachtete ihn und sah Alex. Gewaltsam wandte sie den Blick ab. Nach der Mahlzeit verschwand er wortlos im Arbeitszimmer. Hermon half beim Abwasch. Dann ging sie gemeinsam mit Lil nach oben.
»Bist du sehr müde, Hermon?«
»Nein.«
»Magst du mit in mein Zimmer kommen, wir können noch eine Weile plaudern.« Sie zögerte, doch dann nickte sie: »Einverstanden.«
Das Zimmer lag im ersten Stock. Es war nicht groß, aber behaglich eingerichtet. Das Fenster zeigte zum Hof. Rechts an der Wand stand ein eisernes Bett, auf dem eine bunte Decke lag, auf der linken Seite standen eine zierliche Couch und ein Sessel,