Mitten im Wind
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Über dieses E-Book
»Psychologischer Feinsinn, eine sorgfältige Sprache für Geschichten mit Sogwirkung, dazu das Gesicht einer packenden Landschaft – sie zeichnen Thomas Röthlisbergers Texte aus. Und immer bergen seine Menschen ein Rätsel in sich, das nicht völlig aufgelöst wird.«
Beatrice Eichmann Leutenegger
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Buchvorschau
Mitten im Wind - Röthlisberger Thomas
Pekka
Pekka Savolainen lief in Nacht und Regen durch ein Außenquartier von Lahti, der großen Stadt in Südfinnland. Vor einigen Minuten war er dem Wagen entstiegen, dessen Fahrer ihn als Anhalter mitgenommen hatte auf dem nächtlichen Weg in den Süden. Jetzt ging er zwischen den modernen Wohnbauten, die zu seiner Rechten und Linken viele Stockwerke hochragten. Ganz anders als die kleinen Häuser und Hütten im Dorf, wo er herkam. Da, wo er aufgewachsen war, wo er zur Schule gegangen war und man auf ihn gezeigt hatte, weil er nicht aussah wie die Einheimischen. Zu dunkle Haut, nur eine Spur zwar, aber zu dunkel. Bei diesen Bleichgesichtern bedurfte es auch keiner Anstrengung, ein Indianer, eine Rothaut zu sein. Auch wenn man nicht darum gebeten hatte. Nun, schuld war sein Vater gewesen. Er, dessen Herkunft ganz oben in Lappland lag. Im Grenzgebiet. Sein Vater, den er nie kennengelernt hatte. Von dem es genau eine Fotografie gegeben hatte. In Schwarz-Weiß. In einem silbernen Rahmen stand sie auf der Kommode im Flur. Im Halbdunkel, leicht abgewendet vom Auge des Betrachters. Als hätte der Mann auf dem Foto sich tatsächlich abwenden wollen, zur Wand hin.
Das Foto hatte nicht im Schlafzimmer gestanden. Dort wollte die Mutter es nicht haben. Beziehungsweise ihn, ihren Mann. Angeblich war er bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommen, kurz nach Pekkas Geburt. So hatte die Mutter es erzählt. Und so kannte er seinen Vater nur von dem alten Foto und dem Wenigen, das die Mutter von ihm zu berichten wusste. Oder vielmehr preiszugeben bereit war. Von einer Beziehung zu sprechen, schien jedenfalls übertrieben, wie er es sich in späteren Jahren zusammengereimt hatte. Maßlos übertrieben. Aber es war die Angelegenheit seiner Mutter, und sie musste ertragen, was sie vor ihm geheim hielt.
Jetzt war er wieder da, nach vielen Jahren der Abwesenheit. Seine Mutter war vor Kurzem unerwartet verstorben, das kleine blaue Haus am Dorfrand, in der Nähe des Sees, stand leer. Er war der einzige Erbe. Aber er hatte kein Interesse, zurück ins Dorf zu ziehen, und würde das Haus vermieten. Er hatte keine Lust, von den damaligen Ereignissen aufs Neue überrollt zu werden. Den Weg des alten Nieminen zum Beispiel wollte er nie mehr kreuzen. Zu gefährlich. Der Mann war unberechenbar, nach wie vor. Da zweifelte er keine Sekunde. Aber von wegen alt – sie waren ja beide in dieselbe Schulklasse gegangen. Wenn er den Zustand der eigenen Knochen bedachte, so stand er dem alten Rüpel Matti Nieminen wohl in nichts nach. Auf ihn geschossen hatte der Berserker damals, tobend und in seiner ganzen Männlichkeit gedemütigt, weil er, Pekka, mit Mattis Ehefrau Märta – aber das war eine andere Geschichte.
Es hätte Nieminen nichts ausgemacht, wenn er seinen Gegner dabei tödlich verletzt hätte. Vielleicht hatte er das tatsächlich vorgehabt. Um den Rivalen ein für alle Mal aus dem Weg zu räumen. Immerhin hatte Pekka einen Volltreffer in das linke Schultergelenk abbekommen. Nachts, vor der Tür zum Haus seiner Mutter. Zum Glück hatte man ihn rechtzeitig gefunden und ins Krankenhaus gebracht, sonst wäre er wohl damals verblutet. Was vielleicht gar nicht der schlechteste Weg gewesen wäre, um sich aus den mehrheitlich unwegsamen Schluchten dieses Lebens zu verabschieden.
Das Schultergelenk war seither nur noch eingeschränkt und unter Schmerzen belastbar. Aber wer hatte ursächlich Schuld daran? Märta. Märta Valtonen, die nun bereits seit vier Jahrzehnten Nieminen hieß. Nach ihrem Mann. Nach dem Mann, den sie an seiner statt geheiratet hatte. Weil das Kind in ihrem Bauch einen Vater brauchte. Weil der leibliche Vater zu diesem Zeitpunkt im Gefängnis saß. So kleinmütig hatte sie gehandelt, seine große Liebe. Hatte den Namen Nieminen dem Namen Savolainen vorgezogen. Sie hatte nicht nur ihn verraten, sie hatte auch das Kind verraten. Olli, den Jungen. Ein paar Mal war sie noch heimlich mit ihm vorbeigekommen. Mit seinem Sohn, der nun Nieminen hieß. Mattis Sohn. Alles hätte er in diesen wenigen Monaten dafür gegeben, wenn er das Unglück über Mattis Haus hätte bringen können. Als ob das etwas genützt hätte. Fiel es nicht fast immer letztlich auch über das eigene Haupt?
Und dann war Matti ihnen auf die Schliche gekommen. Dass seine Ehefrau keineswegs zu den Singstunden mit dem Pfarrer ging, sondern zu ihm, zu Pekka, der inzwischen wieder freigekommen war.
Nein, Märta traf keine Schuld, eigentlich wusste er das. Sie wollte nur, dass ihre Familie nicht ins Gerede kam. Der Vater hatte ihr verboten, ihn, den Kleinkriminellen, zu heiraten. Matti stammte erwiesenermaßen aus ehrlichem Haus. Zudem war er ein Bleichgesicht, wie es sich gehörte. Und seine berüchtigten Wutanfälle würde er sich im Lauf der Jahre wohl abgewöhnen. Wie sich vieles abschwächt, wenn man älter wird.
In dem Jahr, in dem Pekka im Gefängnis seine Strafe abgesessen hatte, weil er als Angestellter einer Bank Geld unterschlagen hatte, war ihm eines klar geworden: Wie damals schon bei seinem Vater würde auch für ihn die Zukunft nicht in dieser jämmerlichen Ansammlung von ein paar wenigen Häusern liegen. Es hatte den einen oder anderen gegeben in der Strafanstalt, der ihm auf die Schulter klopfte, ihn ein cleveres Bürschchen nannte und grinste. Nun ja, bei seinem Alter hatte er schon etwas drauf. Und es gab Beispiele genug, dass auch in den oberen Etagen einer Bank Ähnliches geschah. Nur handelte es sich da um ganz andere Summen. Es war eine fieberhafte Welt, in der alles möglich zu sein schien. In der das Faktische und das Imaginäre sich kaum noch unterscheiden ließen. Offensichtlich spielte da das Alter der agierenden Schauspieler keine Rolle. Schauspieler, ja, das waren sie doch, allesamt.
Tja, und dann war der Tag gekommen, als er wieder an der Haltestelle aus dem Bus stieg und mit einem kleinen Koffer in der Hand zu Hause bei seiner Mutter anklopfte.
»Kleingekriegt haben sie dich wohl kaum«, meinte sie, nachdem sie die Tür hinter ihm geschlossen hatte. »Das haben wir ja immerhin gemeinsam, dein Vater, du und ich.«
»Märta war ein-, zweimal bei mir mit dem Kleinen«, sagte sie, als er beharrlich schwieg. »Ein spezielles Kerlchen. Aber ja, er könnte ganz gut dein Junge sein. Schade, dass du es verbockt hast, wirklich schade.«
Sie setzten sich in die Küche. Die Mutter stand noch einmal auf, holte Saft aus dem Eisschrank und stellte zwei Gläser auf den Tisch. Sie füllte beide randvoll, hob das ihre und trank ein paar Schlucke.
»Was hast du nun vor?«, wollte sie wissen.
»Hierbleiben kann ich nicht unter diesen Umständen«, sagte Pekka.
Die Mutter nickte beistimmend.
Und dann blieb er trotzdem. Ein paar Monate zumindest. Jedenfalls zu lange. Bis zu diesem Schuss, der alles veränderte. Natürlich war der Verdacht auf Matti Nieminen gefallen. Wer sonst hätte einen Grund gehabt, ihm nach dem Leben zu trachten?
Aber Matti hatte man nichts nachweisen können. Er musste den Anschlag von langer Hand geplant haben. Und er hatte sein Ziel ja erreicht – der verhasste Nebenbuhler verschwand von der Bildfläche. Von einem Tag auf den anderen. Einfach weg. Ob tot oder verschollen, hatte keine Rolle gespielt.
Pekka hatte nun die neuen Wohnblocks hinter sich gelassen und das Ende der Straße erreicht. Da standen noch zwei, drei Häuser älteren Jahrgangs, Backsteinbauten mit zerschlissenen Sonnenstoren, die im Nachtwind flatterten. In einzelnen Wohnungen brannte noch Licht. Er stieg eine Treppe hinunter und klopfte an das abgedunkelte Fenster neben dem Eingang. Es dauerte eine Weile, bis im Treppenhaus das Licht anging und die Tür aufgeschlossen wurde.
»Ich dachte schon, du kämst heute nicht mehr«, sagte die Frau, die öffnete. Ihr Gesicht lag im Dunkeln. Aber er wusste trotzdem, wie ihr Mund in diesem Augenblick aussah: zusammengepresste Lippen, zur linken Seite heruntergezogen zu einer Schnute, wie sie besser zu einem Teenager gepasst hätte als zu einer erwachsenen Frau von Mitte siebzig.
»Ja«, sagte er, »hat ein bisschen gedauert.«
»Du hättest immerhin anrufen können«, meinte sie.
»Ja, hätte ich«, pflichtete er ihr bei. »Aber der Akku war leer.« Er hörte, wie sie verächtlich schnaubte. Immer dieselbe Ausrede, er wusste es selber. Er klopfte sich die Nässe von Jacke und Hose und schob sich an ihr vorbei in das Treppenhaus.
Henrik
»Wer will schon von sich behaupten, er wüsste, wo und wann eine Geschichte tatsächlich begonnen hat«, sagte Henrik Nyström.
Er ließ den Schreibstift zwischen den Fingern kreisen, so rasch, dass die metallene Hülse im Licht blitzte. Niskanen, der ihm den Rücken zukehrte, drehte sich um, gab aber keine Antwort. Er räusperte sich nur vernehmlich. Wenn der Vorgesetzte zu philosophieren begann, hatte das seiner Meinung nach nicht mehr viel mit polizeilicher Ermittlungsarbeit zu tun. Das behielt er jedoch besser für sich. Und wie zu erwarten gewesen war, fiel Nyströms Stift ein paar Augenblicke später scheppernd zu Boden.
»Verdammt …«, murmelte Henrik.
Auch das gehörte zum Ritual. Niskanen seufzte. Seit der Sache mit dem alten Nieminen war sein Chef nicht mehr derselbe. Seltsam. Sie hatten doch gewiss schlimmere Fälle zu bearbeiten gehabt. Zum Beispiel das Drama um Leena, die Tochter der Familie Strömberg. Tod durch Erfrieren, nachdem der Vater sie mitten im Winter aus dem Haus geworfen hatte. Ursache: ihr Verhältnis zu einem Russen, der auf Strömbergs Hof angestellt war. Nicht dass der alte Nieminen erträglicher gewesen wäre. Aber immerhin war niemand dabei zu Tode gekommen.
Irgendwie erinnerte ihn Henriks Zustand an die Zeit vor dessen Heirat, dachte Niskanen. Henriks zweiter Heirat, mit Annika. Auch da schien er unschlüssig, zögernd und hörte nur mit halbem Ohr, was Niskanen gerade sagte. Und der hatte nicht gewusst, ob er Nyström darauf ansprechen sollte.
»Sorgen mit Frau und Kindern?«, fragte er schließlich.
Nyström hob den Kopf und blickte ihn verständnislos an.
»Na, leg schon los«, forderte ihn Niskanen auf.
»Blödsinn«, sagte Henrik und knüllte die vor ihm liegenden Zettel zu einer Kugel, die er zu den vielen anderen Kugeln in den Papierkorb warf. Helmi, die Putzfrau, eine Perle wie ihr Name, würde wieder den Kopf schütteln ob so viel Abfall.
»Mehr denken, weniger schreiben – wenn das Geschriebene ja doch nur in den Kübel wandert«, war einer ihrer Lieblingssätze. »Ich seh schon, hier fehlt eine Frau.«
Nun ja, vielleicht hatte sie ja recht. Aber er konnte das jeweils trotzdem nicht einfach so im Raum stehen lassen.
»Man fährt am besten, wenn einfach jeder seinen Job macht«, brummte er dann.
Und Helmi, eine robuste Frau von vierzig Jahren, rollte die Augen und machte sich an die Arbeit.
Worüber hatte Matti geredet, als Henrik wieder einmal wegen eines nachbarlichen Zwists bei dem Alten anrücken musste? Es ging um das illegale Verbrennen von Hausabfällen. Ein erster obligater Wutanfall betraf Ukkonen, den Nachbarn, weil es diesen wohl einen feuchten Dreck anging, was Matti auf seinem eigenen Grundstück tat. Und man wohnte ja weiß Gott nicht gerade in einem Reihenhaus, sondern in Abständen von mindestens einem halben Kilometer dichten Waldes. Was also sollte das Geschrei? Dass sich die Polizei einmal mehr als Vermittlerin bemühen sollte, im Wissen darum, dass sie spätestens in einem halben Jahr erneut an derselben Stelle stehen würden, die Streithähne wie die Ordnungshüter?
Matti hatte aber noch von etwas anderem berichtet. Von der Sache mit dem Fuchsfell. Ans Hühnerhaus soll es genagelt worden sein. Vor ein paar Tagen habe er es entdeckt. Noch blutig soll es gewesen sein. Ein Jux? Ein Fingerzeig? Oder gar eine Drohung?
»Sicher kein Zufall«, hatte Matti gesagt. »Da will mir wieder einer schlecht.«
»Nun ja«, meinte Henrik, »Ukkonen wird es diesmal wohl kaum gewesen sein.«
»Nee«, schüttelte der Alte den Kopf. »Nee … Aber wer dann?«
»Ein Bubenstreich«, vermutete Henrik. »Und seither war Ruhe?«
Der Alte nickte. Nachdenklich, wie es Henrik schien.
»Gib Bescheid, falls sich ein ähnlicher Vorfall wiederholen sollte«, sagte er. »Und verbrenn dein Zeug nicht mehr, sonst riskierst du eine Buße.«
Auch wenn er Matti gegenüber die Sache mit dem Fuchsfell abgewiegelt hatte, so glaubte Henrik doch keinen Augenblick an einen puren Zufall, wenn er an jene Ereignisse auf dem Hof des Alten dachte, nachdem dieser von seiner Frau Märta verlassen worden war, Henrik den auf dem Boden Liegenden gefunden hatte und Matti den Namen Pekka erwähnt hatte. Und vielleicht hing es auch irgendwie zusammen mit dem überzähligen Stein, den Marja bei ihrer Schwester Märta gefunden hatte und von dem diese behauptete, dass Pekka ihn ihr gebracht hätte. Marja hatte Henrik deswegen angerufen. Ach ja, Märta und ihre Steine … Die Wege des Herrn sind verschlungen und für den einfachen Irdischen undurchschaubar. Das waren jeweils die Worte seines Großvaters gewesen, wenn er keinen Sinn mehr sah, über etwas weiterzudiskutieren. Und so gab es durchaus Momente, in denen sein Enkel sich fragte, ob es nicht erstrebenswert wäre, vorzeitig in den Ruhestand zu treten. Unbewusst griff Henrik zur Zigarettenpackung.
»Könntest du nicht …?«, fragte Helmi und zeigte auf die Tür.
»Och, ja«, sagte er und schob die herausgezogene Zigarette zurück in die Packung.
Helmi blickte demonstrativ auf ihre Uhr.
»Täusche ich mich oder solltet ihr nicht vor einer halben Stunde Feierabend gemacht haben?«
Niskanen hob die Schultern und deutete auf Nyström. Der war gerade im Begriff, den Raum zu verlassen und nach draußen zu gehen.
»Na, geh ihm nach«, forderte Helmi ihn auf. »Wie soll ich sonst meine Arbeit machen?«
Henrik stand unter dem Vordach und rauchte. Er hielt Niskanen die Zigarettenpackung hin. Der fischte sich eine heraus und ließ sich von Henrik Feuer geben. Eine Weile standen sie schweigend nebeneinander.
»Solltest du nicht längst zu Hause sein?«, fragte Nyström plötzlich.
Niskanen sah ihn erstaunt an.
»Auf mich wartet niemand«, sagte er.
Henrik hob die Schultern.
»Das weiß man nie.«
Niskanen schüttelte den Kopf. Schweigend rauchten sie, bis die Glut den Filter erreicht hatte. Die Kippen warfen sie in den Aschebehälter neben dem Eingang. Ganz nach Helmis Anweisung. Jetzt grinsten sie, wie Schuljungen, die sich nicht immer an die Regeln halten.
Henrik fuhr noch hinaus an den See. Der Abend versprach Regen, da bissen die Fische vor den Niederschlägen sicher gut. Er hatte zwar kein Boot zur Verfügung, aber an der kleinen Landzunge zog er trotzdem meist ein paar gute Stücke an Land. Manchmal warf er sie auch zurück, Größe hin oder her, und kam mit leeren Händen nach Hause. Aber der stille Ort, von dem man weit über den See hin sah, versprach auch einfach Ruhe. Und die hatte er, je älter er wurde, umso nötiger. Er schrieb Annika eine kurze Nachricht, dass es etwas später würde.
An diesem Abend zappelten nur drei, vier aufgeregte Barsche an seiner Angel. Und nachdem er ihnen gesagt hatte, wie Leichtsinn leicht zum Tode führen konnte, ließ er sie wieder ins Wasser gleiten, wo sie wie betäubt einen Augenblick reglos an der Stelle verharrten, bevor sie wie auf Kommando alle pfeilschnell im dunklen Wasser verschwanden.
Pekka, dachte Henrik, während er nach Hause fuhr. Das war der Name, den Märta Nieminen mehrmals erwähnt hatte bei den Ermittlungen zu den Schüssen bei Mattis Haus. Märtas Liebhaber, den sie nicht hatte heiraten dürfen. Pekka. Aber seitdem waren doch nun schon eine Handvoll Jahre vergangen. Warum tauchte gerade dieser Name nun auf? Sollte diese Geschichte in irgendeiner Form, mit neuen Vorzeichen, von vorn beginnen? Was mochte das räudige Fuchsfell an Mattis Hühnerhaus bedeuten? Fragen über Fragen. Er würde das Ermittlungsdossier nochmals hervorsuchen müssen. Wobei über Fuchsfelle sicher nichts darin zu finden war.
Märta
Sie wog den Stein in der Hand. Täglich. Er wurde nicht leichter. Obschon er nicht sehr groß war, wurde er nicht leichter. Sie betrachtete die silbernen Einsprengsel. Es war ihr Stein. Der Wichtigste vielleicht. Ja, das war keine Frage. Pekka hatte ihn zurückgebracht. An jenem Abend, als sie in ihrem Zimmer saß. Sie hatte ihn gesehen. Ihn, Pekka. Es hatte nur ganz kurz gedauert, aber sie wusste, dass er es war. Auch nach den vielen Jahren, die sein Gesicht inzwischen gezeichnet hatten. Aber die Augen, die waren noch dieselben. Etwas müde, schien ihr. Aber dieselben.
Wie war er denn überhaupt zu dem Stein gekommen? Sie hatte immer gedacht, er sei bei denen, die Matti einst in einem seiner Anfälle in den Wald hinausgeworfen hatte. Aber wenn er es herauszufinden geschafft hatte, wo sie sich aufhielt, so war es doch auch möglich, dass er den Stein wiedergefunden hatte. Oder hatte er ihn schon längst mit sich herumgetragen, ohne dass sie etwas davon wusste?
Für Märta war klar: Pekka war zurück, Pekka war wieder da. Nur hatte Marja ihr das nicht glauben wollen. Weder sie noch Arto wollten ihn gesehen haben. Dabei war er doch ins Haus gekommen, in Märtas Zimmer, das sie bewohnte, seitdem ihr die Schwester und der Schwager Unterschlupf boten. Ein Zurück in das alte Haus, zu Matti, war nicht mehr infrage gekommen. Und wo sonst sollte sie hin?
Jedenfalls war Pekka da gewesen, er hatte hier im Zimmer gestanden, vor ihr, und hatte ihr den Stein in die Hand gelegt. Den Stein vom Wasserturm in Tampere. Den Stein des ersten Abends. Und einer verbotenen Reise. Hätte sie heute den Mut, noch einmal so zu handeln, wie sie es damals tat? In den Augen der anderen musste alles falsch gewesen sein, was sich daraus ergeben hatte. Nun war Pekka zurückgekommen. Er hatte ihren Namen geflüstert, und sie hatte ihre Hand über dem Stein verschlossen. Diesmal würde sie besser auf ihn achtgeben.
Aber dann war Marja ins Zimmer gekommen und hatte gefragt, mit wem sie denn gesprochen habe.
»Mit dir«, wollte Märta sagen. Erst als sie aufblickte, nahm sie wahr, dass die Schwester vor ihr stand. Nicht Pekka. Nein, Marja wollte Pekka nicht gesehen haben. Wie auch? Außer ihnen war doch niemand da.
Aber der Stein – war er nicht das Beweisstück? Vom Himmel gefallen war er jedenfalls nicht.
Ach ja, Pekka, dachte Märta. Der Unglücksheld geisterte immer noch durch ihre Träume. Stein