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Das Grenzerbuch
Das Grenzerbuch
Das Grenzerbuch
eBook747 Seiten10 Stunden

Das Grenzerbuch

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Über dieses E-Book

Für Fans der mitreißenden Serie »Yellowstone« mit Kevin Costner, die die moderne Frontier und ihre Konflikte erkundet, bietet Friedrich von Gagerns »Grenzerbuch« eine faszinierende Rückkehr zu den historischen Wurzeln dieser Kämpfe. In diesem packenden Western entfaltet sich die Geschichte an der Grenze zwischen dem von weißen Siedlern besetzten Land und den unberührten Gebieten des amerikanischen Westens.
Im Mittelpunkt steht Daniel Boone, ein Mann, dessen Leben von der unstillbaren Sehnsucht geprägt ist, neues Land zu entdecken und sich den Lebensweisen der Eingeborenen anzunähern. Boone ist ein Grenzgänger im wahrsten Sinne des Wortes, dessen Abenteuer tief in die Dynamik zwischen den vorrückenden Zivilisationen und den einheimischen Stammeskulturen eintauchen.
»Das Grenzerbuch« erzählt von den tiefgreifenden Konflikten und der dramatischen Interaktion zwischen Eroberern und Ureinwohnern, ähnlich den heutigen Auseinandersetzungen, die in »Yellowstone« dargestellt werden. Diese epische Erzählung fängt die Essenz des amerikanischen Westens ein und beleuchtet die unaufhaltsame Expansion der Siedler und die dadurch entstehenden Spannungen.
Tauchen Sie ein in ein meisterhaftes Werk, das nicht nur die dramatischen Begegnungen an der Frontier einfängt, sondern auch die innere Zerrissenheit eines Mannes, der zwischen zwei Welten steht. »Das Grenzerbuch« ist ein unverzichtbares Leseerlebnis für alle, die durch »Yellowstone« die raue Schönheit und die komplexen Herausforderungen der amerikanischen Grenzgebiete zu schätzen gelernt haben.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum27. Juni 2024
ISBN9783759763921
Das Grenzerbuch
Autor

Friedrich von Gagern

Friedrich Heinrich Karl Gustav Freiherr von Gagern, geboren am 26. Juni 1882 auf Schloss Mokritz in Krain, Slowenien, war ein österreichischer Schriftsteller, der vor allem für seine tiefgründigen Jagd-, Tier- und Abenteuergeschichten bekannt wurde. Als Spross einer adligen Familie, zu deren Verwandtschaft Persönlichkeiten wie Heinrich von Gagern und der Dichter Anastasius Grün gehörten, entwickelte von Gagern schon früh ein ausgeprägtes Interesse für die Natur und das Abenteuer. Nach seinem Studium der Philosophie, Geschichte und Literaturgeschichte in Wien arbeitete er zunächst als Redakteur einer Jagdzeitung, bevor er sich ab 1914 als freier Schriftsteller etablierte. Seine Reisen nach Amerika und Afrika prägten seine literarische Stimme und lieferten den Stoff für seine lebendigen und detailreichen Erzählungen. Von Gagerns Werke, die oft die Dynamik und die Dramatik der Jagd einfingen, spiegeln eine tiefe Verbundenheit und Respekt gegenüber der Natur wider. Sein Buch »Das Grenzerbuch«, eines seiner bedeutendsten Werke, entstand in der Zeit zwischen 1919 und 1929. Dieses Buch ist Teil einer Trilogie, die sich mit der Besiedlung Amerikas durch weiße Siedler auseinandersetzt. In seinen Erzählungen, die sich durch einen expressionistischen Stil auszeichnen, verarbeitete von Gagern seine Abenteuer und brachte dabei eine romantisierte Sicht auf das Einzelgängertum und das Leben in der Wildnis zum Ausdruck. Von Gagerns Werke erreichten besonders zwischen den Weltkriegen hohe Auflagen und blieben auch nach seinem Tod am 15. November 1947 ein fester Bestandteil der österreichischen und deutschen Literaturlandschaft. Seine letzte Ruhestätte fand er in St. Leonhard am Forst, wo ihm zu Ehren ein Jagdzimmer im Gemeindeschloss eingerichtet wurde, das sein Leben und Schaffen dokumentiert. Schloss Mokrice, sein Geburtsort, ist heute ein Hotel mit einer Golfanlage, das die kulturelle Erinnerung an den Autor weiterleben lässt.

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    Buchvorschau

    Das Grenzerbuch - Friedrich von Gagern

    Inhalt

    Vorwort des Autors

    Die Hinterwäldler

    Die rechtmäßigen Herren

    Die großen Kanadier

    Um den Ohio

    Kentucky

    Jean Martin

    Gestalten und Schicksale

    Krämer, Kämpen und fünf Zentner Weltgeschichte

    »Eisenarm«

    Simon Kenton

    Wunden und Wandlungen

    Tecumseh

    Zeittafel

    Literatur

    Der Autor

    Der Herausgeber

    Vorwort des Autors

    Dieses Buch, geschrieben und gegeben in Sinn und Absicht der Taciteischen Germania, dies Buch gehört vor allen der erstarkenden, erwachenden Mannsjugend, dem von hundert Sumpfgiften umlauerten, in verpesteter Atmosphäre heranwachsenden Geschlecht, der Zukunft.

    Ein Lesewerk für junge, unverderbt abenteuerfrohe Menschenkinder, sie aus romantischer Urwalddämmerung der unsterblichen Lederstrumpfgeschichten hinauszuführen ins offene Licht historischer Wirklichkeit; eine Chronik der Wildnis für gesunde ehrliche Mannsnaturen, Lehrer wie Lernende, für Deutsche, die sich noch an rauem, kargem Heldentum zu begeistern, zu stählen, zu trösten vermögen: das etwa sollte es sein. Und mehr noch, Pfadfinder-, Kundschafterbuch in vielfachem Sinn: zwischen nordamerikanischer Völker und Landeskunde, äußerer Entdeckungsgeschichte und politischer Historie liegen weite, fruchtbare, von deutschen Forschern selten betretene Gebiete.

    Indianerschwarte, werden ästhetisch angekränkelte Verächter sagen. Gut; aber in furchtbaren namenlosen Kämpfen mit eben diesen abgedroschenen Indianern wurde das neue keltogermanische Weltreich, wurde das Imperium der neuen Welt, wurde die Vormacht eines transatlantischen Rom dem ermüdeten, zerwühlten europäischen Hellas gegenüber gegründet, erweitert, gesichert, ausgebaut. So sind uns die klassischen Rothäute, sind uns Irokesen und Delawaren, Huronen und Cherokesen von näherem Interesse als all die verschollenen langweiligen Etrusker und Vejenter, Samniter und Karthager oder die am Marterpfahl der Syntax eingebläuten Allobroger und Haeduer des großen Caesar.

    Und das sollte man nicht vergessen, dass der Indianer, unschuldig an seiner späteren Demoralisation durch Enteignung, Entwurzelung, Beschränkung, Handel und Verkehr, Seuche und Branntwein, unschuldig auch an seiner Verkitschung durch kenntnislose Erzähler, dass der Indianer der fremden Erobererrasse heldischen Widerstand geleistet hat wie kein anderes Naturvolk der Erde. Von den Schreckenstagen »König Philipps« um 1675 bis zur »Schlacht an der Rosenknospe«, 1876, volle zweihundert Jahre lang hat er zäh und unbeugsam mit geringen Mitteln gegen eine erstickende, verschlingende Übermacht für Freiheit, Heimat, Recht und Erbe gekämpft. Das allein erhebt ihn hoch über alle anderen »Wilden«; das erzwingt und sichert ihm unsere Teilnahme, unser Mitgefühl, unsere Bewunderung.

    Aber nicht um Wigwam und Skalp handelt es sich in unserem Buche. Um etwas ganz anderes: die Grenze.

    Die Grenze: das langsam oder sprunghaft weiterrückende Vorland, die Westmark der Zivilisation; die Zone der vorgeschobenen Posten, der allgegenwärtigen Gefahr, der unermesslichen Paradiese und Einöden; das Revier der Pioniere, der Wehr- und Jägerbauern, der Hinterwäldler; der »dunkle blutige Grund«, der Schauplatz der amerikanischen Ilias …

    Die Wiege der amerikanischen Volkskraft, könnte man hinzufügen; der tiefe frische Urboden, an dessen gesundem Wildwurzelwuchs der alternde Osten sich je und je verjüngte; die Welt, an deren Geboten und Härten eigentlichstes Amerikanertum, der Nationalcharakter der Nationslosen sich erschult, herausgeschliffen, erzweckt hat … Das ist die Grenze; und ihr Symbol, ihr Wappenzeichen das rodende, bauende, brechende, besitzergreifende, bildende, schildende, mordende Beil: – das Beil mit seinem eisernen Recht.

    Amerikanische Geschichte, wichtiger, wesentlicher als jene der Kreuzzüge oder des Investiturstreites, sollte an jeder höheren Anstalt ausgiebig und eindringlich gelehrt werden. Nicht mit langweiligen Kriegskapiteln von Ticonderoga und Quebec, Saratoga und Yorktown, Vicksburg, Gettysburg und Appomatox-Courthouse allein; damit ist‘s nicht getan, diese sind das Entbehrlichste, solcher Historie gibt es von Cannae bis Tannenberg anderweitig genug. Die urwaldumrauschte, von Dünsten der Ferne umlagerte Geschichte der Grenze ist es vielmehr, in der amerikanisches Werden und Wollen sich am reinsten offenbart. Und sie gibt der Jugend, was der Jugend ist und ewig bleiben sollte: Helden. Packende, prachtexemplarische Helden, Kämpen, Kerle; Streiter wie Achill, Odyß, Diomed; Recken wie Hagen, Dietrich, Hildebrand. Unverkünstelte, raue, grade Tatmenschen mit ihren Schicksalen; Erscheinungen, die zur Parteinahme, zur Wahl eines besonderen Lieblings förmlich herausfordern – immer das stärkste Merkmal echter heroischer Lebensfülle; Gestalten, wie geschaffen zu webender Sagenbildung, in ihren Tagen schon mythisch umwölkt, von Mär, Gerücht, Legende umwittert. All das auf dem Boden gesunder, herber, erziehlicher Wirklichkeit. Was uns und unseren Erben am bittersten nottut: Einschränkung, Kraft und Wille zu überlegenem Verzicht, stolze Unabhängigkeit von verwöhnender Technik, rücksichtslos harte, unbeirrbare Männlichkeit – das lehrt mit fesselnden Beispielen so gut wie die Anekdoten vom strengen Sparta und die Annalen des barbarischen Alt-Rom die handgreiflichere Geschichte der Grenze.

    Daniel Boone, Simon Kenton, James Harrod, Benjamin Logan, Jean Martin, Hugo McGary, William Wells: – wie viele Deutsche, wie viele Europäer kennen noch diese gefeierten, jedem rechten Amerikaner teuren Namen? … Und doch ist jeder von uns dem ernsthaften Boone, dem gewaltigen Kenton, dem wilden William Wells schon einmal, in ein und derselben schwärmerisch verehrten Persönlichkeit begegnet: – aus jenen drei Lebensläufen, zusammen mit einem kleinen Schuss vom »Verräter« Girty, erdichtete Altmeister Cooper, der amerikanische Homer, die ergreifende Gestalt seines Natty Bumppo, den sprichwörtlich gewordenen »Lederstrumpf« und »Pfadfinder«, den großen symbolischen Typus. –

    Unser deutsches Schrifttum ist sehr arm an Nachrichten über die Geschichte der, ich möchte sagen klassischen, Cooperschen, virginisch-kentuckysch-kanadischen »Grenze«. Vor etwa siebzig Jahren bearbeitete der ehrwürdige Dr. Kottenkamp (Franz Kottenkamp, Geschichte der Colonisation Americas nach den Quellen bearbeitet, 2 Bd., Frankfurt 1850 d. Herausgeber) das schwer zugängliche Gebiet. Seine fleißigen aber unsäglich schlecht geschriebenen, unbeholfenen Bücher sind verschollen, für die Rechte des Eingeborenen hatte der brave Gelehrte kein Verständnis, seine Gewissenhaftigkeit verirrte sich gern in Labyrinthe kleiner und kleinster politischer Intrigen. Um jene Zeit war aber schon auch das deutsche Interesse an Amerika mit der »Grenze« selbst über den Mississippi, über den Missouri, nach den Prärien, in die Felsengebirge, nach dem goldenen Kalifornien weitergewandert. Sealsfield-Postel mit seinen grimmigen Zerrbildern, Gerstäcker mit seinen von erlebter Echtheit strotzenden Romanen und Novellen vom arkansischen, der durchaus ernst zu nehmende Möllhausen beherrschten nacheinander die Literatur; am alten Osten bekümmerte bis zu ihrer blutigen Lösung nur noch die Sklavenfrage. So entstand eine Lücke. Die deutschen Veteranen der einstigen »Grenze«, die Graffenried, Mansker, Steiner, Bedinger, Helm schrieben gewiss keine Bücher, englische und französische Werke des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts wurden nur spärlich übersetzt. Der amerikanischen Entwicklung von etwa 1795 an konnte die bedächtige deutsche Feder einfach nicht mehr folgen. Ungeheurer, das Wort noch einmal zu gebrauchen: urheroischer Stoff harrt da kaum berührt der beseelenden Hand. Coopers Meisterwerk, die » Lederstrumpf«-Pentalogie, Roman nicht so sehr des Ansiedlers und seiner Kämpfe als vielmehr des heimat- und ruhelosen, zum Nomaden rückverwilderten Jägers und Spähers, erschließt nur eben, erschöpft nicht annähernd den Schatz. Das Drama der Grenze, der Wildnis, schroff, schlicht, von antiker Härte und Wucht, ist noch nicht geschrieben, das Epos der Hinterwäldler noch nicht gedichtet. Und doch hat der Genius selbst vor hundert Jahren gerade diese Aufgabe als eine der höchsten gestellt, Goethe in seinen Aufsätzen zur Kultur, Theater und Literaturgeschichte:

    »Der Bearbeitende müßte den Stolz haben, mit Cooper zu wetteifern, und deshalb die klarste Einsicht in jene überseeischen Gegenstände zu gewinnen suchen. Von der frühesten Kolonisation an, von der Zeit des Kampfes an, den die Europäer erst mit den Urbewohnern, dann unter sich selbst führten, von dem Vollbesitz an des großen Reiches, das die Engländer sich gewonnen, bis zum Abfall der nachher vereinigten Staaten, bis zu dem Freiheitskriege, dessen Resultat und Folgen – diese Zustände sämtlich müßten ihm überhaupt gegenwärtig und im besonderen klar sein … Was den Personenbestand betrifft, so hat weder ein epischer noch dramatischer Dichter je zur Auswahl einen solchen Reichtum vor sich gesehen. Die Unzufriedenen beider Weltteile stehen ihm zu Gebot …«

    An dieser – vielleicht nur Philologen bekannten – Stelle sind drei oder vier Dichtergenerationen beinahe achtlos vorübergegangen. Goethe selbst, der Allerspäher, kannte übrigens Boones bescheidene Selbstbiographie in Filsons »Discovery of Kentucke« wahrscheinlich ebensogut wie die Oktaven Byrons im Don Juan, wo der Brite den heimgegangenen König der Wälder als glücklichsten aller Menschen nächst Sulla preist.

    Eines der besten Bücher, das je über die alte klassische Grenze geschrieben worden, ist ohne Zweifel Roosevelts »Winning of the West«. Aber um amerikanische Mentalität, und gerade die der Rooseveltschen Generation, ist es ein eigen Ding. Uns Europäern, selbst dem Engländer, bleibt sie fremd und seltsam. Das bewegt sich auf anderer Ebene, sieht unter anderen Winkeln, hat andere Horizonte, Perspektiven, Fluchtlinien. Übersetzen lassen sich amerikanische Gedankengänge, Vergleiche, Schlüsse einfach nicht, oder nur auf Gefahr des Anscheins einer gewissen naiven Barbarei. Zudem: Roosevelt war Parteimann, war Republikaner, war »politician«, war trotz betonter Vorliebe für den gesunden Westen schon zur Zeit der Niederschrift seines Buches keineswegs unabhängig vom tiefverderbten Osten. Für die Tragik eines Coriolan-Schicksals hatte er, der geschickte Stimmungsnutzer, so wenig Sinn wie nur je ein Menenius Agrippa. Landschaften bevölkert er, beseelt, erschaut sie nicht; auch an den stärksten Stellen erhebt sein Vortrag sich nicht über die Niederungen nüchtern bürgerzwecklicher Erwägung; von kosmischer Bewusstheit, Naturfühligkeit, irgendeinem schöpferischen Erlebnis findet sich bei ihm keine Spur. Deutsche, Franzosen oder Skandinavier können aber mit solch einem Buche nicht viel anfangen. Klio und Urania, auch sie sind für uns Musen; Gott, Genien und Geister, Pan und Moira, Odhin, Wala, Urd, Skuld und Werdandi weben und walten für uns auch in der Geschichte der westlichen Wildnis … Genug. – –

    *

    Es ist mir eine liebe und angenehme Pflicht, dem großzügigen Verlage, seinen künstlerischen und technischen Mitarbeitern für die unserem »Grenzerbuche« in reichstem Maße zugewendete Sorgfalt meinen aufrichtigen Dank auszusprechen. Solcher gebührt zumal auch Herrn Dr. Arthur Georgi jun., dessen rastlosen Bemühungen beim Inner Department, beim U. S. Forest Service und bei der Nat. Library in Washington das Werk seinen seltenen, wertvollen Bilderschmuck schuldet, sowie den genannten drei Stellen für freundliche Unterstützung durch Auswahl und Überlassung des Materials.

    Friedrich von Gagern

    Geschrieben 1927.

    Die Hinterwäldler

    Familie Shanks – Harrods Sprung – McGarys Flug – Ray der Renner – Die Matronen – Weiber im Feuer – Frau Bozarth und Frau Merrill – Der Widerspenstigen Zähmung – Henry Slover – Virginien – Die Grenze – Heim und Hof – Vom Alltag der Wildnis – Unser täglich Brot – Wild und Waffe – Die Jugend – Liebe und Ehe – Enoch Arden – Die Forts – Braddocks Untergang – Holzzelle und Stahlwabe

    In jener Frühlingsnacht, der Nacht vom neunten auf den zehnten April des Jahres 1787, saß Rebecca Shanks noch spät am knarrenden Webstuhl. Das Waldhaus atmete in Schlummer. Neben[an] in der Kammer schliefen Beß und die kleine achtjährige Maggy, die jüngeren Schwestern; auch drüben im anderen Quartier der geräumigen Blockhütte waren alle zur Ruhe gegangen, Mutter Sarah, Judith, die älteste früh verwitwete Schwester mit ihrem vaterlosen Kleinen an der Brust, David und Benjamin, die beiden wehrmannbaren Brüder. Unterm trüben Strahl der knisternden Hirschtalgkerze funkelte das Messer, das der einsamen Weberin als Schiff diente; die Strähne rauschten, der Tritt knackte, draußen im Wälderbraus unter Vogelzug und sturmgejagtem Ostermond riefen die großen Eulen.

    Rebecca Shanks webte an ihrem Brautschatz. Im Sommer auf Sankt Johannis wollte sie gefreit werden. Tom Flinder hieß er, war mit seinen sechsundzwanzig Jahren längst ein gestandener Grenzmann, ein sicherer Schütze, ein schneller Läufer, stark, hart, furchtlos, fleißig und enthaltsam; mit Boone hatte er das tödliche Gefecht bei den Blauen Lecken bestanden, mit Whitley und Christian manchen siegreichen Rachezug unternommen, mit Craigh Bryans Fort gegen McKee, Girty und ihre Horden verteidigt. Nun würden sie sich zusammengeben und gemeinsam den Kampf mit der Wildnis fortsetzen – mit der Wildnis, die so viele schon gefordert und geraubt, der Mutter den Gatten, ihr selbst den Vater, der Schwester den Mann … Die Eulen riefen, die Kerze knisterte, fahl glitt der Mond durch düsterzerrissenes Westgewölk; draußen in der Hürde schnaubten und stampften die Pferde.

    Auch Benjamin Shanks, der jüngere der Brüder, war noch wach. Das irrende Geschrei der Eulen, das Prusten und dumpfe, schreckhafte Sprengen der Pferde ließ ihn nicht ruhen. Mehrmals war er daran, den arglos schlafenden David zu wecken; Scheu vor dem Spott des Älteren hielt ihn immer wieder zurück. So lag er mit gespannten Sinnen auf seinem Bette von Hirschdecken und lauschte. Jetzt nahten hastige Schritte über den Hof heran; eine Hand pochte gegen die bohlene Tür, eine fremde, wie unterdrückte Stimme fragte in gutem Englisch: »Wer wohnt hier? … Hello the house! … Wer wohnt hier?«

    Das konnte nur ein Verirrter sein, ein neuer Ansiedler vielleicht, der sich auf weitem Jagdzuge verspätet. Ben sprang erleichtert auf und tastete nach dem Riegel. Da legte sich im Dunkel eine harte Hand auf die seine, die der erfahrenen Mutter. »Junge! … Das sind Indianer!«

    Nun erwachte auch David. Gleich hatte er die geladene Büchse im Griff. Durch Luken der nach Grenzbrauch vorgebälkten Ecke, der Bastion des Hauses, konnten die Brüder eine der Langseiten beobachten und bestreichen. Die Alte hatte schon recht gehört und gewarnt. Natürlich, dort standen so ein paar befiederte Teufel dunkel zuhauf in der Monddämmerung und bearbeiteten mit stillen Beilen die Tür. Der erste Schuss mitten hinein in die Bande warf einen hin; die anderen verschwanden lautlos im Schatten eilends hinschauernden Gewölks.

    Allein die beiden Quartiere des Doppelhauses hatten unter sich keine innere Verbindung. Tür und Eckbastion der anderen Hälfte lagen auf der entgegengesetzten Seite, so dass die Befestigungen einander ergänzten und jeder der Verteidiger den bequemeren Schuss nach links hatte. Aber drüben gab es keinen Mann und keine Büchse; die Mädchen, die Schwestern! Öffnen, Hinaustreten, Hinübergehen, der gewisse und überdies ganz nutzlose Tod; unmöglich, die starke bohlene Zwischenwand in solcher Eile zu durchbrechen. Die Eingeschlossenen starrten ratlos. Schreckliches musste kommen. Und schon war es da. Ein erstickter Schrei, noch einer, dann kurze Stille.

    Die Indianer hatten die zweite Tür entdeckt. Rebecca, vom Schuss aufgeschreckt, begriff augenblicklich und riss das Messer an sich; so stand sie in Erwartung der Angreifer. Schlaftrunken kamen Beß und Maggy aus der Kammer, verwirrt, verstört, geblendet. Jetzt gaben Riegel und Balken nach. Herein drängten die Wilden, düster im flackrigen Kerzenschein, zwölf furchtbare Beilmänner gegen drei Mädchen und eine einzige schwache Waffe. Einer von ihnen griff nach Rebecca; hochauf blinkte der Tomahawk; gleichzeitig mit dem Schmetterhiebe blitzte die Klinge, von seinem eigenen Opfer in den Tod mitgerissen brach der rote Krieger zusammen. Beß wurde gepackt und festgehalten; Maggy entschlüpfte in der Verwirrung.

    Wäre sie nur hinaus in die dunklen Wälder gerannt; aber schreiend lief sie ums Haus, ihre gellende Klage verkündete das Schicksal der Schwestern. Das war mehr als die Brüder vertragen konnten. Maggy, die kleine Maggy, ihr Liebling! Sie stürzten nach der Tür. Es entspann sich ein förmlicher Ringkampf, Blut gegen Blut. Mutter Sarah, die alte graue Grenzerin war es, die ihre Söhne gegen ihren eigenen verzweifelten Opfermut, den waffenfähigen Mann gegen das Weib mit Zahn und Kralle verteidigte. Dem armen Kinde da draußen würde mit dem Untergang aller doch nicht geholfen; es müsse geopfert werden. Da! … Ein schrilles Aufkreischen entsetzlicher Angst, ein dumpfer Schlag, ein verlöschendes Stöhnen, und auch das war vorüber.

    Alles blieb still. Nicht lange. Ein neuer Feind bedrohte das Haus, ein unbesieglicher, das Element. Beißender Qualm quoll durch die Fugen der Zwischenwand, Sparren knisterten und knackten, düstrer Rotschein überflog Hürde und Hof. Die Indianer hatten die Kerze ins aufgehäufte Spinnwerg geworfen. Das Haus brannte. Bald ergriff die Flamme auch die Mittelwand, das ganze Dach. Das war nicht auszuhalten. Keine Wahl außer der zwischen gewissem Feuertod und den Tomahawks. Der Ausfall musste nun doch gewagt werden. Man teilte sich in Schicksal und letzte Hoffnung: David sollte die Mutter decken, Ben die älteste Schwester mit ihrem Kleinling. Von den Wilden war zwar nichts mehr zu sehen; aber natürlich lagen sie irgendwo im Versteck und harrten ruhig der ausgeräucherten Opfer. Durch das Zauntor durfte man sich schon deshalb nicht wagen; dorthin zielten Blicke, Büchsen und Beile. Es galt, die Palisaden zu überklettern, und zwar an verschiedenen Punkten. Dann hatte vielleicht wenigstens eine Partie schwache Aussicht auf Rettung.

    Das brennende Dach erleuchtete schaurig den Hof und mit fahlem Schein den Abgrund der Waldnacht jenseits der Felder. Da und dort dämmerten geduckte Gestalten, funkelten die Waffen der Feinde. David half der Mutter über die Pfähle; als sie auf den Palisaden saß, erhielt sie mehrere Kugeln und stürzte ab. Der Sohn konnte sich hinüberschwingen und retten. Ben und Judith auf der anderen Seite wurden von einem ganzen Hauf axtschwingender Indianer angefallen. Den Nächsten schoss der junge Mann nieder; dann verteidigte er sich und die Flucht der Schwester mit wütendem Kolben, bis er erlag und sein funkenversengter Skalp als vierter den Würgern zur Beute fiel. Von den acht Bewohnern des in hochaufstiebenden Gluten zusammenbrechenden Hauses waren nur drei entkommen. –

    Im Grauen des nächsten Morgens sammelten sich die Nachbarn zur Verfolgung der Mordbrenner. Der Sturm, von den Höhen der westlichen Berge gekühlt, hatte einen leichten Spätschnee über die Landschaft geworfen. So fiel es nicht schwer, die Spur ohne Verzug zu halten. Aber die Grenzer hatten einen Hund mitgenommen, der auf der indianischen Fährte Laut gab und so dem Wilde die Nähe der Jäger verriet. Die Folge zeigte sich bald. Auf einer Schneehalde fand man den noch atmenden Körper der armen entführten Beß. Die Roten hatten sich ihrer mit einem Beilschlag entledigt und sie dann skalpiert. David blieb bei der Sterbenden, die anderen setzten dem Erzfeinde mit verdreifachter Wut nach. Endlich glaubte man die Bande eingeholt und gestellt zu haben. Dunkle Gestalten sprangen von Baum zu Baum, der Schlachtruf schrillte, gellte, heulte in allen Lagen. Unter äußerster Vorsicht wurde die Rotte überflügelt und von schussbereiten Büchsen eingekreist. Vergeudete Zeit und Anstrengung: es waren nur zwei – Indianer, die sich dem Abzug der Ihren geopfert und ihn verschleiert, die Weißen mit großem Geschick aufgehalten hatten. Im erwärmenden Mittag schmolz der flüchtige Frühlingsschnee. Die Fährte verlor sich in den Weiten der Wildnis.

    *

    Die Ansiedler von Harrodsburg, einem der altkentuckyschen Festungsdörfer, litten bös unter häufigem Viehdiebstahl. Ihre besten Pferde, ihre edlen virginischen Zuchtstuten, ihre Milch- und Mutterkühe wurden nächtlich, ja am heißen hellen Mittag von den Weideplätzen und sogar aus den Umhürdungen weggeholt. Nicht immer gelang es den Verfolgern, dem schnellen und schlauen und ausdauernden Feinde seinen Raub wieder abzujagen. Oft kehrten sie mit leeren Händen, oft wund und wütend heim. Zum Verlust blutnotwendiger Lebensgüter kam noch der an Blut selbst, an Männern, Händen und Köpfen.

    Auf solch einem zornigen Zuge hatten James Harrod, der gewaltige Hinterwäldlerhauptmann, und Jean Martin, der listige kleine Kanadier, mit einigen zwölf oder vierzehn anderen Grenzern den schönen Ohio erreicht. Die breite Stromflut gebot ihrer Erbitterung nicht Halt. Auf schnell gehöhlten Einbäumen setzten sie über; jenseits nahmen sie die Spur des roten Raubwildes wieder auf. Am zweiten Tage wurde die Bande eingeholt und überrascht, wie sie gerade zum Frühmahl um das entfachte Morgenfeuer hockte. Unweit stampften die gestohlenen Pferde.

    Der kleine Kanadier, tief erfahren in allen Kunden und Künsten der Wildnis, warnte vor Übereilung. Erst wollte er die Umgebung genau abspüren; die scheinbare Sorglosigkeit und Säumigkeit der paar bemalten Halunken dort, die helle Flamme, ihre geringe Anzahl, das alles sei ihm dringend verdächtig.

    Allein die virginischen Grenzer, unbändig, ungestüm, entzündet von Hass und vom Anblick ihrer mißhandelten abgehetzten Tiere, ließen sich nicht halten, auch von Harrod selbst, ihrem freigewählten Führer, nicht. Sie gingen vor, strichen mit ihren schweren Büchsen an die Bäume an und nahmen ihr Ziel.

    Aber bevor der erste Feuerstein gegen den Stahl schlug, der erste Splitterfunken ins Pulver auf der Pfanne blitzte, knallte es hinter ihnen im Morgendunkel der Wälder. Statt am Feinde war man mitten darin. Von allen Seiten gellte das schaurige Whoowhoop, fauchten Kugeln, spritzten Moos und Mulm, funkelten Augen, Messer und Beile. Zwei oder drei Grenzmänner brachen verlöschend zusammen. Harrod selbst wurde der zum Nahkampf erhobene Tomahawk aus der Faust geschossen. Nichts blieb übrig als die Flucht. In verzweifeltem Ansturm durchbrach der umzingelte Trupp die Schützenlinie der siegesgewissen Indianer.

    Harrod, ein ausgezeichneter Läufer, flog blindlings auf eine kleine Schlucht zu, in deren Tiefe die nagenden Wasser eines Bächleins gurgelten. Die Indianer kannten oder erkannten ihn als den Anführer und vereinigten sich zu seiner Verfolgung. So entkamen die Gefährten fast unbeachtet, während er selbst, von Dutzenden gehetzt, den kalten Tod im Nacken, sich verloren gab.

    Jetzt klaffte vor ihm der Schrund, einige fünfzehn Fuß breit, sechzig oder siebzig lotrecht hinab zum Grunde, einer jener in der ganzen Ohiolandschaft so häufigen Talstollen. Hinter ihm drein keuchte die Meute, heulte der Triumph, gleißten die gezückten wirbelnden Äxte. Genick oder Skalp, auf Gedeih oder Verderb! … Er spannte sich an, und mit übermenschlichem Satze schoss er über den Spalt hinweg, in voller Jagdrüstung, die Büchse in der Faust; weit jenseits des hohlbrüchigen Randes landeten seine Mokassins. Sogleich begann er, noch schwer atmend, die Waffe wieder zu laden. Die vordersten seiner Verfolger prallten und starrten vor der Kluft zurück. Dann trat der Nächste heran, grüßte den entronnenen Feind mit allen Zeichen indianischer Hochachtung und rief ihm zu: »Weißer Mann guten Sprung machen!« Harrod war, seinem eigenen Bekenntnis nach, nicht imstande, einen so ritterlichen und höflichen Gegner niederzuschießen. Die Roten wendeten und zogen sich zurück; unbehelligt erreichten die Grenzer den Ohio und ihre im Ufergebüsch versteckten Einbaumkähne. »Harrods Sprung« aber blieb noch lange Zeit das Kron-

    *

    Und doch war der unverbesserlich leidenschaftliche, tollkühne McGary vielleicht noch der bessere Springer, der junge Ray der schnellere Renner.

    Mit Tom Brooks, dem ausgezeichneten Späher, und noch acht oder neun anderen Grenzern war McGary einst auf Kundschaft ausgezogen; es war in den heroischen Tagen Kentuckys, im Frühling 1775. Gegen Mittag stieß die Schar auf vereinzelte Indianer. McGary in heißem Unbedacht schoss den nächsten ohne Anruf und Ursache nieder und ließ sich gleich darauf ins Ried fallen, seine Büchse neu zu laden. So sah er nicht, was geschah. Sein Schuss hatte eine starke Bande von Roten hochgemacht; vor ihrer Überzahl mussten die in Schwarmlinie streifenden Grenzer sich zurückziehen. McGary in seinem Rohrversteck, mit seiner Waffe beschäftigt, merkte es noch immer nicht; aber warum in aller Welt putzten seine Kameraden die anderen paar farbigen Schufte, die er da bemerkt, nicht auch weg? … Da rief ihm der fliehende Brooks zu: »McGary, Mann, McGary! … Lauft, lauft, ihr seid ja verloren!« Jetzt erst sprang der überraschte McGary auf mit noch unfertiger Büchse, und da starrte er einer Rotte von Indianern, die den anderen nachrannten, auf keine vier Schritt in die bemalten Gesichter, während die Gefährten schon büchsenschussweit voraus und beinahe außer Gefahr waren. Und nun ging die Jagd los.

    McGary lies ums Leben. Wiederholt schossen Indianer, die in der Verfolgung der übrigen vorangeeilt und sich dann niedergeworfen, dicht vor ihm empor, eine der beliebtesten und verderblichsten unter den Kriegslisten der Wildnis. Aber McGary schlug Haken um Haken und schüttelte wirklich die ganze heulende Meute ab. Ein einziger Indianer blieb ihm immerzu dicht auf den Hessen; ihm konnte er trotz größter Anstrengung keinen Zoll abgewinnen. So beschloss er, sich ihm zu stellen und ihn mit dem Tomahawk abzutun. Tödlicher Schreck: die Hand griff ins Leere. Die Waffe war nicht mehr da, im Rennen oder vorhin im Rohr aus dem Gürtel geglitten. Und jetzt erst lernte McGary, was wirklich Laufen heißt. Seine verzweifelte Kraft, sein Lebenstrieb war stärker als die Beutegier des Feindes. Der Abstand begann sich zu spannen, der Verfolger fiel merklich ab. Auch senkte sich das Gelände allmählich zu endlichem Steilsturz in ein Tal; gewann er erst den Grund, so war McGary gerettet. Und da: neues Entsetzen, neue Todesgefahr: quer über die Bahn lag acht oder neun Fuß hoch ein gestürzter Baumstamm mit all seinem Gezweig und niedergerissenem Unterwuchs, ein unüberwindliches Hindernis.

    Der Indianer stieß den blutigen Siegesruf aus. Schon fühlte er den lebenswarmen Skalp zwischen seinen Zähnen. McGary vernahm den Schrei, sah das erhobene Beil, setzte an und flog wie ein Hirsch, wie der Löwe über die Hürde, über Stamm, Strauch und Knick hinweg. Hinter ihm drein johlte Bewunderung, Enttäuschung, Wut; aber den ungeheuren Sprung ins Ungewisse wagte keiner der nachkommenden Verfolger. McGary, sonst frech und vermessen, gönnte sich diesmal keine Zeit zu genießendem Triumph; er hatte genug. An dornigem Gerank glitt er zum Flussbett hinab, eilte unter der steilen Böschung stromauf bis über das nächste Talknie hinaus, watete und schwamm ans andere Ufer und war noch einmal geborgen. –

    Der junge Ray hatte sein Leben schon wiederholt auf den Beinen aus dichtem Kugel- und Pfeilregen hundertfacher indianischer Übermacht hinausgetragen. Er galt den roten Stämmen für sagenhaft schussfest und schlechthin unerreichbar. Im Frühling des Jahres 1777 übte er sich mit einem Gefährten namens McConnel draußen vor dem festen Harrodsburg in harmlosem Scheibenschießen. Ray machte den Zieler, indem er die Scheibe der Einfachheit halber gleich zwischen den gespreizten Beinen hielt – eine unter Grenzern ganz geläufige Verwegenheit –, der andere feuerte. Plötzlich mischte sich ein ungerufener Dritter in den vergnügten Sport. Es knallte von der Seite her im Dickicht, und McConnel, die Büchse an der Backe, brach zusammen. Ray verstand, welche Stunde es geschlagen. Schnell wie die Antilope des Westens, von bleiernen Bremsen umschwirrt und umsirrt, jagte er aufs Fort zu. Aber das Tor war schon geschlossen, die Nähe des starken Feindes verbot jede Schwäche. So warf sich Ray hinter einem Baumstorren der Lichtung flach zur Erde, und in dieser Lage harrte er volle vier Stunden aus. Rechts und links um ihn her spritzten die Kugeln; der Stumpf, der ihm zur Deckung diente, wurde mit der Zeit auf Splitter zerfetzt. An ihn selbst wagten sich die Roten aus Furcht vor den Büchsen des Forts natürlich nicht heran. Endlich hatte Rays alte Mutter mit noch ein paar handfesten Frauen einen Stollen unter der doppelten Stockade durchgeschlagen, und durch diese Röhre fuhr der junge Held in den sicheren Bau ein. –

    Im selben Frühling wurde das Fort Logans von indianischen Horden hartnäckig belagert. Noch am Morgen des 20. Mai gingen mehrere Frauen unter Bedeckung gewaffneter Grenzer hinaus, die im grünen Rohr frei weidenden Kühe zu melken. Da blitzte und hagelte es aus dem hochwüchsigen Ried; einer der Männer blieb auf der Stelle, ein zweiter war tödlich, ein dritter schwer verwundet. Er taumelte ein paar Schritte weit mit den Fliehenden und sank dann stöhnend zusammen. Die Weiber und die anderen Männer konnten sich mit genauer Not ins Fort retten, dessen Tor sogleich sorglich verriegelt ward. Da lag nun der Schwerwunde, ächzte, klagte und wartete auf Bergung oder irgendeine Erlösung, und war es der Tod von roter Beilhand. Aber die Indianer hockten ruhig in ihrer Deckung, sahen der Unmännlichkeit des Bleichgesichtes zu und versparten sich ihre nächste Salve für die Weißen, die ihren Bruder endlich doch wohl hereinholen würden. Dazu mochte sich lange niemand verstehen: der da draußen war ohnehin verloren, jeder Rettungsversuch noch für andere der sichere Tod. Nur Benjamin Logan, der Befehliger des Forts, einer der vornehmsten, fähigsten und kühnsten unter allen Grenzerführern, erbot sich zum Christenwerk und stellte es seinen Leuten anheim, ihn zu begleiten. Keiner rührte sich, einzig Jean Martin, der kleine schlaue Kanadier, ließ sich endlich bereit finden; aber als er mit Logan einige Schritte hinaus getan, prallte er erbleichend wieder zurück. So tat Logan ganz allein den schweren Gang. Im indianischen Kugelregen lud er den Wunden auf seine Schultern, in wütend gesteigertem Kugelschauer trug er die Bürde ins Fort hinein. Kein Haar ward ihm gekrümmt, und schon in der folgenden Nacht unternahm er ein noch gefährlicheres Wagnis. –

    *

    Zwischen Boones und Harrods Weiler bestand freundnachbarlicher Verkehr. Man unterstützte einander bei den wichtigsten Arbeiten und pflegte so eine Art urländischer Hilfsgeselligkeit. Im Sommer 1776 war es, als zwei Frauen von Harrodsburg zu den Muhmen von Boones Station hinüberwanderten, mit ihnen den Flachs zu rupfen; ungeahnt üppig geriet die anspruchsvolle Spinnfrucht auf der uralttiefen Dammerde der Wildnis. Eine der beiden Frauen, jünger und schwächer, trug ihren jüngsten Nestling auf dem Arm. Plötzlich vernahmen die Gevatterinnen leichte, verstohlene Schritte hinter sich, sahen sich um und erkannten die indianischen Verfolger. Sie flohen so gut und schnell es ging; aber die junge Mutter mit ihrer Last konnte mit der geübten Alten nicht Schritt halten. Schon war diese weit voran; da blieb sie stehen und wartete, ihren Vorsprung opfernd, die keuchende Freundin ab, ihr das Kind abzunehmen und damit weiterzueilen. Jetzt erst schossen die Indianer. Wie vom Mantel göttlicher Wundergnade umfangen, wie vom Talisman des jungen Lebens beschützt, entging die Retterin dem Verderben; die Jüngere dagegen wurde verwundet und schleppte sich nur noch mühsam vorwärts. So ging die Jagd bis vor Boones Fort; sehr ernst konnten die Roten es jedenfalls nicht meinen, sonst hätten sie die wehrlosen Weiber zehnmal mühelos überholt und bewältigt. Ein Tomahawk wirbelte am Kopfe der Matrone vorüber und verfehlte sein Ziel. Gleich darauf schlug das Tor hinter der Geborgenen zusammen. Aber die jüngere Frau, von Angst und Blutverlust erschöpft, war keine fünfzig Ellen vor der Stockade in die Knie gebrochen. Ein Roter warf sich über sie, zog sein Messer, wand ihr Haar um seinen Arm und setzte zum furchtbaren Kreisschnitt an. Da flammte es aus einer Luke der Palisaden und der Indianer sank kraftlos von seinem Opfer weg. Eine Schar von Wehrmännern brachte das ohnmächtige Weib in Sicherheit. –

    Noch im Jahre 1792, nach langen grimmigen Kämpfen, wurde Kentucky von den rechtmäßigen Herren des Landes, Indianern von den Nationen der Lenápen, Miamis und Schawanesen blutig heimgesucht. Eines Frühsommertages überfielen sie die Ansiedlungen in der Umgebung des wenige Jahre zuvor gegründeten Francfort, der heutigen Hauptstadt des Staates. Mehrere Männer wurden auf den Feldern getötet oder tödlich verwundet, unter ihnen die beiden Brüder Cook, die zusammen mit ihren Frauen ein gemeinsames Blockhaus bewohnten. Der eine Cook blieb gleich draußen in seiner Aussaat liegen; der sterbende Bruder erreichte mit Not gerade noch den Hof, schwankte lallend über die Schwelle und schlug hin, während die beiden handfesten Weiber sogleich Tor und Tür verrammelten. Nachprellende Indianer fanden keinen Einlaß mehr; ihre Listen verfingen nicht; die starken Bohlen widerstanden ihren Beilen. Sie zogen sich zurück und hielten in Schussweite des Zaunes Beratung. Derweilen der Todwunde auf dem Estrich noch röchelte, gingen die Frauen mit geladenen Büchsen an die Luken und knallten aus dem Hauf der zusammenstehenden Roten die erstbesten weg. Nun kannten die Wilden schon gar kein Erbarmen. Einer der Krieger trat vor und tomahawkschwingend rief er den Schützinnen in seinem Grenzwelsch zu, das Haus selbst solle seinen Bewohnern zum Marterpfahl werden. Wirklich erstiegen einige Kerle von der anderen Seite her das Dach und legten auf den ausgedörrten, frühlingstrockenen Schindeln ein starkes Feuer an. Aber das lähmte den Mut der harten Weiber noch lange nicht. Unbekümmert um zischende Kugeln schwang sich die Kräftigere durch ein schnell gehauenes Loch hinaus, während die andere ihr immerfort das Wasser aus dem Löschbottich der Bodenkammer zureichen musste. Der Brand wurde erstickt; sogleich fachten die Belagerer an anderer Ecke einen neuen an. Sie schossen mit Pechpfeilen, sie warfen mit Kien- und Grasfackeln; so ging das hin und her, und schließlich war der Wasservorrat des ganzen Hauses bis auf den kleinsten Tropfen erschöpft. Nun ließ sich die Grenzerin von der Gefährtin Milch, endlich Eier hinausreichen, deren Gallert sie über die allgegenwärtig aufzüngelnden Flämmchen vergoß. Aber auch dies hielt nicht vor, und jetzt forderte das kühne Weib im Feuer das Letzte, das blutdurchnäßte Jagdhemd ihres eben gestorbenen Mannes … Mit dieser heroischen Waffe kämpfte sie noch eine Weile gegen die tausendfältig lodernde, prasselnde, sprühende Übermacht, gebräunt von Ranch, wie gefeit gegen Blei und Eisen. Doch lange konnte das so nicht fortgehen; dann war man eben am Ende. Da brachen die Indianer in jäher Eile auf; ein Trupp von siebzig rüstigen Nachbarn nahte. Am Ohio wurden die Roten eingeholt; sie mussten die gestohlenen Pferde zurücklassen und erlitten außerdem schwere blutige Verluste. –

    Eines Frühlingstages wurde das Dreifamilienhaus der Gebrüder Bozarth von Eingeborenen überfallen. Draußen im Hofe spielten die Kinder; plötzlich kreischten sie auf, und wie einer der beiden daheimgebliebenen Männer an die Tür sprang, brach er sofort im Strahl eines Schusses zusammen. Im nächsten Augenblick stürzte ein Roter herein und packte den zweiten der Männer, bevor er irgendeine Waffe hatte ergreifen können. An wehrfähigen Menschen war nur noch eine Frau im Hause. Während der Ringende nach einem Messer brüllte, raffte sie eine Axt und schlug den Wilden auf der Stelle tot. Gleich darauf erschien ein zweiter Indianer; von der Schwelle her schoss er den eben erst befreiten Mann nieder. Als er noch mit rauchender Büchse dastand, schlitzte die Frau ihm mit einem Beilhieb den Leib auf. Sein Sterbegeheul rief mehrere Krieger herein; die Reckin stand da wie Hagen im blutdampfenden Mordsaal und spaltete drei Angreifern die Schädel. Die anderen flohen vor dem furchtbaren Weibe; aber die Kinder auf dem Hofe hatten sie schon vorher umgebracht. –

    Eines Nachts horchte John Merrill in das Dunkel der Wälder hinaus, wo die Eulen so verdächtig laut und unstet juchten. Plötzlich erhielt er, in der offenen Tür vor düster erdämmertem Herdflur stehend, mehrere Kugeln, davon zwei ihm Arm und Schenkel zerschmetterten. Er taumelte in die Diele zurück und hatte gerade noch die Kraft, seiner Frau hinzustöhnen, sie möge die Tür verriegeln. Das geschah; aber die Indianer hieben sich mit den Tomahawks ein Schlupfloch in die Bohlenwand. Das kam der Frau gerade zupaß. Das Beil in der Hand, ließ sie die Feinde ruhig gewähren; als aber der erste Kopf erschien, wurde er gespalten. So fielen hintereinander drei Indianer. Voll Wut versuchten ihre Genossen es mit einem anderen Mittel. Man hörte sie das Schindeldach erkriechen; zwei Rote wollten durch den Schornstein ins Haus einspringen. Auf dem offenen Herde glimmten die Kohlen. Frau Merrill griff rasch nach einem Federbett, zerriss es und warf es über die Glut. In Qualm und hochschlagenden Flammen kamen die Indianer versengt, geblendet, halberstickt herabgepoltert und wurden mit der Axt ohne Umstände abgetan. Die anderen zogen betroffen und betrübt davon; dieses Haus war ihnen zu »böse Medizin«.

    Unter allen Helden der Grenze war John Sevier unbestritten der stattlichste, der schönste, der vornehmste, ein strahlender Dietrich von Bern unter den Hinterwäldlern. Prachtvolle blaue Augen leuchteten aus seinem kühnen, von goldschimmernd braunem Gelock gekrönten Antlitz; schlank und schmeidig, sehnig und ausdauernd, hoch und heiter, fein und feurig, ein Meisterschütze, ein hinreißender Führer, schnell wie der Hirsch, stark wie der Berglöwe, war er schon in den Tagen seiner Mannesjugend der erklärte Liebling aller Lager, aller Kaminrunden, aller Sänger und Sager der alleghanischen Wildnis. Als Sohn eines Hugenotten hatte er gründlichere Bildung empfangen als die meisten seiner Waffengefährten; mit Madison und Franklin wechselte er geistvolle Briefe; aber lieber als die Feder blieb ihm zeitlebens die Büchse, lieber als das tote Buch der allebendige, unergründliche Urwald. Nachdem er einige Jahre hindurch Grenzhandel mit den Indianern getrieben, kam er 1772 an den Watauga in den cherokesischen Bergen, wo eben damals eine junge Ansiedlung kräftig emporblühte. Hier wurde Sevier Witwer; kein Mädchen an der Grenze, das sich dem berühmten Jäger nicht freudig und stolz zum Weibe gegeben hätte. Allein der soeben ausbrechende Freiheitskrieg mit seinen Vorspielen und seinem Gefolg stellte die Männer vor andere Wahlen; von den Engländern gewonnen und gerüstet gingen die ohnedem unversöhnlichen Cherokesen gegen die Niederlassungen vor, und da galt es andre Blumen zu pflücken als Rosen und Nägelein der Minne.

    Fort Watauga wurde belagert; der finstre aufrechte James Robertson führte den Oberbefehl, Sevier war sein Stellvertreter. Wie immer im indianischen Kriege hatten die Grenzer ihre Häuser und Felder dem Feinde preisgegeben und sich mit ihren Familien hinter die Palisaden der hölzernen Waldfestung geflüchtet. Da wimmelte es von hungernden Weibern und Kindern; die Zehrung wurde knapp; aber mit den vierzig oder fünfzig Mann wehrfähiger Besatzung war gegen die Aberhunderte von farbigen Teufeln ein wirksamer Ausfall nicht zu wagen. Die Langeweile mürbte, das Geflenn der Darbenden ermüdete; die Schützen gähnten auf ihren Posten, aber hinaus in die gewohnte Wildnis konnten sie deshalb doch nicht.

    Beim Ausbruch des Sturmes hatte eine ganze Anzahl von Siedlern das Fort gar nicht mehr erreicht. In den Bergdörfern und Lagern der Cherokesen brannten die Freudenfeuer der Marterpfähle. Eine einzige Person konnte durch die Bemühungen, Überredungskünste und Listen einer den Weißen von jeher treu ergebenen cherokesischen Späherin gerettet und wiedergewonnen werden – und diese Person war natürlich ein Weib, und dieses Weib war das schönste Mädel die ganze Grenze auf und nieder: Kate Sherill.

    Kate Sherill, braun wie eine Nuss, vollblütig und feurig wie eine junge virginische Stute, geschmeidig wie ein Hickoryheister, Kate Sherill kam mit der Cherokesin nach Fort Watauga, und jetzt war es um John Sevier geschehen. Einander sehen und lieben, das war für dieses ausgesuchte Menschenpaar eins. Allein Kate hatte ihren Stolz und ihr Teil kleiner weiblicher Grausamkeit, und während Sevier sich die Langeweile der Blockade mit den zärtlichen Schwachheiten gezähmter Halbgötter vertrieb, vergnügte sie sich an all den uralten Spielen der Sprödigkeit und Neckerei, ja selbst Seviers Ruhm musste Stiche und Kniffe koketten Spottes ertragen, Adlerfedern und Löwenmähnenhaar lassen.

    Aber eines Tages trat ein unerhoffter Freiwerber für den geschmähten und gefolterten Helden ein. Die Indianer waren scheinbar abgezogen oder hatten sich zerstreut; doch die Erfahrung verbot noch Rückkehr zum Alltag und zu den gewohnten Freiheiten des Hinterwäldlerlebens. Nun zeigte Kate Sherill die unbezwingliche Laune, draußen vor dem Fort Licht und Luft zu schöpfen. Sevier warnte und bat. Zur Antwort wurde ihm ein schnippisches Lachen und der Vorwurf der Mutlosigkeit. Er machte den starken Mann und befahl. Nun gerade! Schön! Scheinbar gekränkt und erkaltet ließ er sie laufen; aber durch die Luke der Stockade beobachtete er jeden ihrer Schritte, und auch die anderen Schießscharten waren mit ausgesuchten Büchsen besetzt.

    Dieser trotzige Leichtsinn! Da ging nun das junge Frauenzimmer hin und war schon aus dem sicheren Bereich der schützenden Kugeln. Eben überlegte Sevier, ob er nicht doch folgen solle – vielleicht wartete sie darauf, Weiberart! In diesem Augenblicke kam es schon. Na ja, natürlich; da hatte man‘s.

    Ein paar Cherokesen wurden aus dem Hinterhalt hoch und stürmten mit Messern, Beilen und Geheul auf ihr begehrenswertes und vermeintlich gewisses Opfer los. Kate warf herum und stob heran wie die gehetzte Hindin, ahnungslos gerade auf den unsichtbaren Getreuen zu. Dem brannte der Finger am Drücker, glomm der Blick zusammenschmelzend im Visier. Jetzt drohte der vorderste Indianer aufzurücken; hundertzwanzig Ellen, hundert, neunzig, achtzig – fünfundsiebzig – siebzig. Da wurde er frei. Wurfbereit wirbelte der Tomahawk über seinem Kopfe. Es galt genaues Zielen. Das lange Rohr, eingeschraubt in Wille, Faust und Auflage, knallte wie eine Fuhrmannspeitsche; der Wilde überschlug sich im Strahl. Aber die Gejagte in ihrer Angst achtete gar nicht der Hilfe. Keuchend kam sie angeflogen, sprang hoch und erhaschte gerade noch die Oberkante der Palisaden. Da faßten von innen her zwei andere Hände zu, ihnen folgten zwei riesenstarke Arme, und diese Arme zogen ein an allen Gliedern bebendes, gezähmtes Mädel an ein ebenso starkes Herz. Wenige Tage später war die schöne braune Kate Sherill des schönen berühmten John Sevier junge und glückliche Frau.

    *

    Henry Slover war noch im alten Virginien, an den Quellen des großen Kanawha geboren worden. Acht Jahre zählte er, da kamen die Indianer, Miamis und Schawanesen. Den Vater erschlugen sie, raubten Kinder und Mutter, das Blockhaus wurde verbrannt; nur ein Bruder entkam in die Wälder. Slovers Schwestern starben auf dem beschwerlichen Zuge nach den fernen Dörfern; die Mutter kaufte später ein fahrender Händler frei. Henry wuchs unter den Roten auf, machte ihre Jagden, Fehden und Beutezüge mit und vergaß seine Rasse.

    Aber eines Tages kam er nach Fort Pitt, dem heutigen Pittsburg, seine Felle gegen Pulver, Decken und womöglich Feuerwasser einzutauschen. Hier begegneten ihm zufällig seine alte Mutter und der gerettete Bruder. Lange trotzte er ihrem unverständlichen Zuspruch; die Freiheit der Wildnis schien ihm köstlicher als Liebe, Glaube, Sprache und alle weißen Güter. Aber dann trieb der widerwillig aufgenommene Same doch Wurzeln in seiner erwachenden Seele; verborgene Kammern des Bewusstseins taten sich auf; er gab zögernd nach, wusch die Bemalung aus seinem Antlitz, löste die Federn aus seinem Haarknoten und ward wieder ein Bleichgesicht, ein braver Bürger und ein guter Christ.

    Im Jahre 1782 begleitete er Oberst Crawford auf seinem unglücklichen Zuge gegen die furchtbar gereizten »Sandusky-Stämme«, Lenapen, Schawanesen und Wyandots. Er selbst geriet in die Gewalt seiner einstigen Genossen und Wahlverwandten, und als eines Abtrünnigen, eines undankbaren Verräters harrte seiner ein schreckliches Gericht. Er wurde in verschiedenen Indianerdörfern herumgeführt, von den Ratshäuptlingen, die sich seiner Sprachkenntnisse wohl erinnerten, aufs schärfste verhört und musste der schauerlichen Marterung mehrerer seiner weißen Waffengefährten beiwohnen. Die Wyandots oder Huronen, stets ausgezeichnet durch hohe Menschlichkeit, schlugen ihre Gefangenen wenigstens kurzerhand tot; die grimmigen Schawanesen dagegen bestanden auf dem Genusse der Schaufolterung, und wer den Lenapen in die Hände fiel, für den war nicht Gnade genug in allen Himmeln. Sie hatten alle Ursache zu ihrer grausamen Rachewut: nachdem man sie ihres Landes, ihrer Heimat, ihrer Jagdgründe, ja ihrer wahren Seele beraubt, überfiel wüster Grenzerpöbel ihre getauften Stammesbrüder, die vollkommen harmlosen, friedlichen »betenden Indianer« der mährischen Mission und metzelte sie erbarmungslos im sogenannten »christlichen« Gotteshause nieder.

    Endlich schlug auch Slowers Stunde. Er wurde zum Feuertode verdammt, schwarz bemalt und an den Pfahl gebunden. Schon fauchten ihm die Flammen gegen das nackte Fleisch, da ging ein schwerer Regenschauer nieder und verlöschte die Brände. Die Häuptlinge verschoben die Hinrichtung auf den nächsten Tag. So hatte ihr Zögling noch einmal Frist zur Bewährung seiner Schule. Lange quälten ihn die Wächter mit behaglicher Schilderung seiner kommenden Leiden. Endlich nickten sie ein. Slover machte sich an die stille Arbeit. Kurz vor Tagesanbruch war er frei.

    Er stahl sich aus dem Dorfe, fing ein Pferd und sprengte davon, waffenlos, splitternackt auf einer alten morschen Decke. Gegen Abend, nach einer unbarmherzigen Hetzjagd von einigen siebzig englischen Meilen, brach der arme Gaul tot unter ihm zusammen. Und doch waren die Verfolger schon in Hörweite. Der nackte sterbensmüde Mann durchlief die ganze Nacht und mit geringen Rasten den ganzen folgenden Tag, bar und bloß in der grenzenlosen Wildnis. Am dritten Tage erst verloren die Jäger endgültig seine Fährte. Aber damit war die furchtbare Strapaze noch nicht zu Ende. Indianische Banden schweiften überall. Offene Pfade, freies Grasland, bequeme Furten mussten vermieden werden. Den wunden Sohlen wurde jeder Tritt zur Qual. Der Hunger wühlte. Mit rohen Bachkrebsen und herben Beeren, magere und kalte Nahrung für einen erschöpften Körper, erhielt Slover sich schwach bei Kräften. Dornen zerfetzten seine Haut, Schnaken störten seinen fiebrigen Schlaf. Am siebenten Tage endlich erreichte er Wheeling am Ohio, nachdem Wolken und Winde, Vogelflug, das Moos der Bäume und die Sterne moskitoschwüler Nächte seine Führer gewesen.

    Ein hohles Gespenst, struppig, mit Schwären bedeckt, trat er in den Herdflur der ersten Blockhütte. Man erschauderte nicht seines Anblicks. Man war es schon gewohnt.

    Das waren die Hinterwäldler.

    *

    Hinterwäldler hat es zu allen Zeiten und überall gegeben, im australischen Busch, in Sibirien, im mittelalterlichen Ostdeutschland, wo immer ausdehnungsbedürftige und landhungrige Menschheit mit der Wildnis rang und die Härtesten, die Ärmsten, die Anspruchslosesten im Dienste irgendeiner Macht um den Preis eigener Herde den verbissenen Kampf mit Urforst und Sumpf, Fremde und Einöde auf Gedeih und Verderb unternahmen.

    Die klassische Heimat des Hinterwäldlers und seines aus dem englischen backwoodsman nicht sehr glücklich verdeutschten Namens ist Nordamerika und unter dessen Landschaften vorzüglich das berühmte Virginien mit seiner eigenartigen Bodenstaffelung und seiner vorzeiten fast aristokratisch gegliederten Gesellschaft. Wie der Kosak mit der südrussischen Steppe und der Gaucho mit der Pampa, so ist der echte Hinterwäldler verwachsen mit den Vorhöhen und Langtälern der alleghanischen Grenzberge und ihrer Geschichte. –

    Ein paar Sätze zunächst aus dem Schicksalsbuche jener Welt, die für das Europa des achtzehnten Jahrhunderts immer noch eine neue und unbegrenzte war.

    Wir wollen nicht bis zu den Normannen zurückschweifen, die das heutige Neu-Braunschweig, Neu-Schottland, die Küsten von Massachusetts und Virginien schon um das Jahr 1000 entdeckten und fest besiedelten; auch nicht bis zu Cartier und Champlain, den Begründern Französischen Kanadas, nicht einmal bis zum alten tapferen Hudson oder den puritanischen Pilgervätern, den Jüngern William Penns und den Katholiken des Lord Baltimore. Aber die eine Unterscheidung ist wichtig: das ganze französische Kanada, von der Mündung des St. Lorenz bis zu den großen Seen, bis zum Mississippi und diesen hinunter bis zum Golf, bildet eine einheitliche Domäne, der königliche Gouverneur ist ihr Herr, der unerschrockene unermüdliche Jesuit ihr Pionier – und alle englischen Niederlassungen an der amerikanischen Küste sind fürs erste Sonderbildungen, religiöse und politische Freistätten mit ihren Sondergesetzen und ihrem ausgeprägten Sondercharakter, teilweise ohne jeden Zusammenhang, ja selbst einander feind und unversöhnlich.

    In Massachusetts und Connecticut, wo im 17. Jahrhundert die schwersten Indianerkämpfe wüteten – so der Krieg gegen den furchtbaren Häuptling der Wampanoaq, Metacomet, in der Geschichte als »König Philipp« bekannt – saßen strenge, starre, düstere Puritaner; sie hatten aus dem Mutterlande das damals noch verfolgte demokratische Ideal mitgebracht.

    In Pennsylvanien breiteten sich die milden Quäker aus, den anderen Ansiedlern verhasst wegen ihres freundschaftlichen Verhältnisses zu den Indianern und ihrer vorsichtigen Lauheit in anderen Dingen.

    New York, einst Neu-Amsterdam, war erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts von Karl II. den Holländern abgenommen worden; aber die niederländische Grundlage durchdrang die neue englische Oberschicht, und die hudsonische Landschaft, mit dem mystisch starren Basalttal des gewaltigen Stromsees eine der majestätischsten der Welt, ist noch heute voll klingender Erinnerungen an den tapferen alten Stelzfuß Stuyvesant und die ersten Ansiedler.

    In Maryland saßen Katholiken, vielfach untermischt mit Deutschen, die besonders zu Beginn des 18. Jahrhunderts in großen Schüben nach der neuen Welt ausgewandert oder vielmehr verschickt worden waren und erst nach unsäglichen Leiden und Entbehrungen hier und im Shenandoah- und Schoharie-Tal zu leidlichem Dasein und friedlichen Heimstätten gelangten.

    Ganz anders und eigenartig lagen die Verhältnisse in Virginien und den beiden Carolinas, den wertvollsten und blühendsten unter den englischen Besitzungen, den eigentlichen Kronkolonien. Hier gab es ähnlich wie im alten Europa drei Klassen der weißen Bevölkerung, und diese Klassen waren ganz undemokratisch und unamerikanisch scharf voneinander gesondert und abgestuft.

    Virginien und die beiden Carolinas bilden zusammen eine einzige große Landschaft von durchgehendem Profil.

    Ungesunde Sümpfe begleiten die Meeresküste; warmes, zum Teil äußerst fruchtbares Tafelland steigt dann in zwei gestaffelten Ebenen gegen das ferne westliche Gebirge hinan, aus dessen einförmigen Dämmen und langen Tälern die Flüsse in jähen Schnellen gegen die Niederung hervorbrechen, jeder für sich ein kleiner Nil an Freigebigkeit und segensreicher Schöpferkraft. Diese Ströme mit ihrem Schlamm und Schutt haben das virginische Fruchtland gebaut.

    Die wertvollsten Ländereien gehörten fast durchwegs üppigen Kavalieren aus altenglischem Adel, die hier das Leben ihres fröhlichen Mutterlandes in breitestem Stil fortsetzten und bisweilen über drei- bis fünfhundert Negersklaven geboten. Das Leben auf diesen paradiesischen Herrensitzen unterschied sich in nichts oder höchstens vorteilhaft von dem auf einem herzoglichen Schlosse. Es wurden Rennen geritten, eingeführte Füchse gehetzt, die Speisesäle spiegelten von schwerem Silberprunk, reichhaltige Büchereien legten selbst von der geistigen Bildung dieser Lord-Pflanzer beredtes Zeugnis ab. Viele der ersten amerikanischen Familien leiten sich mit mehr oder weniger Recht, jedenfalls mit leicht begreiflicher Vorliebe von jenen altvirginischen Grandseigneurs her.

    Die zweite Klasse der Pflanzer entsprach unseren Rittergutsbesitzern oder Großbauern. Man hatte da seinen Hausstand von 12–30 Negersklaven, man hielt seine zwei- bis dreihundert Morgen Scholle unterm Pfluge, soweit ein solcher überhaupt vonnöten, man trieb nebenher noch ein wenig Pferdezucht und lebte im großen ganzen vornehmlich vom Tabak, von dem damals ein Pfund etwa 4 Mark unserer alten Währung galt, ein schöner und schon ganz neuzeitlicher Preis. Der Tabak spielte in Virginien überhaupt die führende Rolle; Tabak war geradezu Bargeld. Die ersten frauenlosen Ansiedler kauften sich aus einer Schiffsladung »anständiger Mädchen«, wie die Chronik vorsichtshalber bemerkt, eine Lebensgefährtin für 100–120 Pfund Tabak das Stück; viele amerikanischen Familien stammen von diesen Importen ab.

    Behäbiger Wohlstand und eine den damaligen europäischen Durchschnitt überragende Bildung zeichneten auch die zweite Klasse der Ansiedler aus. Es befanden sich unter ihnen nicht wenige zweitgeborene Söhne jener Majoratskavaliere, die eben dem geltenden Erbrecht hatten weichen und einen Stand tiefer steigen müssen. Doch war das bei weitem keine Unehre, denn auch die Rittergutsbesitzer und Vollmeier lieferten dem Lande seine Rechtsgelehrten, nicht selten gerade die brauchbarsten Offiziere, Parteiführer und Großkaufleute.

    Die erste und zweite Klasse der virginischen und carolinischen Landbevölkerung nahmen mehr als neun Zehntel des wertvollsten, des erschlossenen Fruchtbodens für sich in Anspruch; der dritten gehörte, was davon etwa noch übrig blieb und – die unbegrenzte Wildnis.

    Diese dritte Klasse, ganz im Sinne der französischen Revolution und ihres Wortführers Sieyès der »dritte Stand«: das sind die Hinterwäldler, die Grenzer.

    *

    Hinterwäldler oder Grenzer, es kommt auf dasselbe heraus. Denn wo die Hinterwäldler wohnten, da war eben die Grenze: die Grenze der Zivilisation gegen die schreckenstarrende Wildnis.

    An ihnen lag es, diese Front weiter und weiter nach Westen vorzutreiben, Indianern, Wölfen, Bären, Hirschen und Büffeln mit Büchse und Beil das Land abzuringen, die oft unter schwersten Blutsopfern erkämpfte Scholle zu behaupten. Und hatten sie sich endlich gesichert und um die teuer bezahlte Heimstatt behaglich ausgebreitet, so wurden sie von neuen Nachschüben heimatloser Einwanderer gleichsam überholt und zurückgelassen oder, ein ungleich tragischeres Geschick, ganz einfach wieder entrechtet und enteignet, weil sie ihren Besitztitel durch kein – Papier, kein Patent zu erweisen vermochten.

    Dann warfen sie eben noch einmal die schwere Büchse über die Schulter, rückten Pulverhorn und Kugelbeutel am Riemen zurecht, rüsteten sich mit dem langschäftigen Beil und etwa der Bibel im fellenen Zwerchsack, und zogen finster hinaus in die dunstige Urwaldferne, in neue Fremde, in ungewiss dämmernde Zukunft.

    Büchse, Beil, Bibel und Blut, das war der stehende Stabreim im Lebenslied dieser Männer, und ein finsteres Volk waren sie, wortkarg, eisenhart, argwöhnisch, starr, enthaltsam, selbstgerecht, düster-fromm bis zum Tiefsinn oder zur rohen Unduldsamkeit.

    Diese bezeichnenden Züge nahm das virginische Grenzertum an, als um das Jahr 1730 ein starker Zuzug presbyterischer Iro-Schotten stattfand und diese puritanischen Eiferer sich in den zum größten Teil noch unbewohnten Tälern des Hinterlandes ausbreiteten und festsetzten. Dank ihrer Genügsamkeit und ihrer geradezu unzerstörbaren, granitnen Sittlichkeit gewannen diese herben verschlossenen Leute bald Oberhand und Übergewicht über alle anderen Ansiedler vom dritten Stande, Engländer wie Deutsche. Sich selbst bezeichneten die presbyterischen Schotten gerne als die Nachkommen und Erben der zehn verlorenen Stämme Israels, und in gewissem Sinne trifft ihre phantastische Behauptung zu.

    Von den Lebensbedingungen dieser Jägerbauern kann man sich heute, im Zeitalter der Schnelligkeit und des allgegenwärtigen Komforts, kaum eine deutliche Vorstellung machen.

    Die »Grenze« lag viele Tagesritte ab von der Küste, von den Hafenstädten und ihren bescheidenen Behelfen. Jeder, auch der einfachste und bescheidenste Artikel kostete unerschwinglich viel Geld; jedes Stück Eisen, jeder Scherben Glas, jede Elle Band, jeder Scheffel Salz musste mit Dutzenden und Aberdutzenden schöner Biberfelle oder mit hartem Talersilber aufgewogen werden. Das lehrte Verzicht und Findigkeit. Ganz unerlässlich waren überhaupt nur drei Dinge: die Waffe, der Schießbedarf und das Beil mit dem lange federnden Hickoryschaft. Mit Büchse, Beil und Blei baute der Hinterwäldler sich seine in aller Kargheit wahrhaft königliche Welt.

    Das berühmte Blockhaus der Grenze darf man sich allerdings nicht als Inbegriff der Gemütlichkeit und Inbild der Raumkunst denken. Weder aus sorgfältig abgelagertem noch aus ästhetisch gepflegtem Holze wurde es errichtet; nur auf die Auswahl der Stämme selbst legte man erhebliches Gewicht, und nicht selten rief man erfahrene Nachbarn zu Rate, dass auch sie über die zum Bau dienlichen Bäume abstimmten und jeden einzelnen auf seine hervorragende Eignung gründlich untersuchten. Alles übrige war das Werk weniger Tage, ja fast Stunden. In der Zurichtung von Starkhölzern ist der amerikanische lumberman jedem europäischen Holzfäller oder Zimmermeister noch heute lächerlich überlegen.

    Gewöhnlich taten sich alle Nachbarn zusammen, dem meist frischverheirateten, oft erst achtzehnjährigen Bauherrn zu Heim und Herdstatt zu helfen. Eine Partie behaute die Bohlen, eine andere fugte schon das Dachgerüst vor, ein dritte spaltete Schindeln, eine vierte spitzte die Pfahlblöcke zum Fußboden. So griff alles ineinander wie Nuten und Falze des Hauses selbst. Mit echt amerikanischer Schnelligkeit wuchs die kleine Familienfestung – und eine Festung musste jede noch so bescheidene Hütte sein – über den stillen Urwaldboden empor. Stand sie dann fertig da mit ihren Fliesen aus eingerammten, von oben her roh abgeglichenen Pfählen, mit dem breiten Kaminherd aus formgetrockneten Lehm, mit den offenen Fensterscharten und dem spärlichen eingebauten Mobiliar, so konnte sie wie jedes Holzhaus gefahrlos sogleich bezogen werden. Auf Glaser, Tüncher, Installateure, Tapezierer und andere Innenarchitekten brauchte man nicht zu warten. All das besorgte der Grenzer selbst mit seiner treuen Büchse und seinem selbständigen Beil. Daunen lieferte der Wildschwan, Teppiche und linde Decken der silberbraune Berglöwe, der Luchs, der Biber, der Bär. Es galt schon als bedenkliche Verwöhnung, wenn ein hinterwäldlerischer Raumkünstler die offene Nordfensterluke mit dünngeschabter Hirschblase überspannte. Wer sich gar den Luxus eines einfachen Tür- oder Truhenschlosses leisten konnte, stand im Geruche geradezu sündhaften Reichtums. Tatsächlich war am ganzen Grenzerhaus in der Regel auch nicht ein halber Zoll Eisen außer dem des gezogenen Rohres und der Klingen; sonst nicht als Nagel oder Schlüssel, nicht als Angel oder Gerät. Trotzdem haben manche dieser schlichten Blockfesten, wo sie nicht dem Feuer oder indianischem Überfall erlagen, anderthalb Jahrhunderte gesund überdauert.

    Wild und Wald lieferten nicht allein Fleisch und Fell, Haus und Holz, sondern unmittelbar

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