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Wählermärkte: Wahlverhalten und Regierungspolitik in der Berliner Republik
Wählermärkte: Wahlverhalten und Regierungspolitik in der Berliner Republik
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eBook363 Seiten3 Stunden

Wählermärkte: Wahlverhalten und Regierungspolitik in der Berliner Republik

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Über dieses E-Book

Wie regiert die Berliner Ampel? Was haben Scholz, Habeck, Baerbock und Lindner aus dem Votum der Wähler gemacht? Was geschieht nach Bundestagswahlen mit unserer abgegebenen Stimme? Nach welchen Kriterien entscheiden die Deutschen überhaupt, wen sie wählen? Und wie stellen sich die politischen Akteure darauf ein? Karl-Rudolf Korte, einer der besten Kenner des politischen Betriebs der Bundesrepublik, geht diesen Fragen anhand der Metapher des Wochenmarktes auf den Grund. Denn Märkte sind Gespräche, sie sind der Grundstoff für die Beziehungen zwischen Wählern und Politikern.

Die pragmatischen Deutschen sind – so Korte in diesem pointiert formulierten Essay – sicherheitsorientiert. Sie wählen mehrheitlich politisch moderat und mittig, sie sind eingebunden in den Westen und lassen sich eher von aufregungsresistenten Amtsinhabern als von Populisten regieren. Wenngleich Wähler extremer Parteien, Nicht-Wähler, Protestbewegungen und autoritäre Versuchungen durch manipulative Unwahrheiten auch in Deutschland zunehmen: Korte plädiert aus seiner langjährigen Wahlforschung heraus, künftigen Wahlen in Deutschland mit Gelassenheit und Zuversicht entgegenzusehen.
SpracheDeutsch
HerausgeberCampus Verlag
Erscheinungsdatum17. Jan. 2024
ISBN9783593456546
Wählermärkte: Wahlverhalten und Regierungspolitik in der Berliner Republik
Autor

Karl-Rudolf Korte

Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und Direktor der NRW School of Governance. Schwerpunkte seiner Arbeit bilden die Regierungs-, Parteien- und die Wahlforschung. Einer breiten Öffentlichkeit ist Korte durch regelmäßige Auftritte und treffende Analysen im ZDF, Deutschlandfunk, WDR, SWR und bei Phoenix bekannt.

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    Buchvorschau

    Wählermärkte - Karl-Rudolf Korte

    Karl-Rudolf Korte

    Wählermärkte

    Wahlverhalten und Regierungspolitik in der Berliner Republik

    Campus Verlag
    Frankfurt/New York
    Über das Buch

    Wie regiert die Berliner Ampel? Was haben Scholz, Habeck, Baerbock und Lindner aus dem Votum der Wähler gemacht? Was geschieht nach Bundestagswahlen mit unserer abgegebenen Stimme? Nach welchen Kriterien entscheiden die Deutschen überhaupt, wen sie wählen? Und wie stellen sich die politischen Akteure darauf ein? Karl-Rudolf Korte, einer der besten Kenner des politischen Betriebs der Bundesrepublik, geht diesen Fragen anhand der Metapher des Wochenmarktes auf den Grund. Denn Märkte sind Gespräche, sie sind der Grundstoff für die Beziehungen zwischen Wählern und Politikern.

    Die pragmatischen Deutschen sind – so Korte in diesem pointiert formulierten Essay – sicherheitsorientiert. Sie wählen mehrheitlich politisch moderat und mittig, sie sind eingebunden in den Westen und lassen sich eher von aufregungsresistenten Amtsinhabern als von Populisten regieren. Wenngleich Wähler extremer Parteien, Nicht-Wähler, Protestbewegungen und autoritäre Versuchungen durch manipulative Unwahrheiten auch in Deutschland zunehmen: Korte plädiert aus seiner langjährigen Wahlforschung heraus, künftigen Wahlen in Deutschland mit Gelassenheit und Zuversicht entgegenzusehen.

    Vita

    Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und Direktor der NRW School of Governance. Schwerpunkte seiner Arbeit bilden die Regierungs-, Parteien- und die Wahlforschung. Einer breiten Öffentlichkeit ist Korte durch regelmäßige Auftritte und treffende Analysen im ZDF, Deutschlandfunk, WDR, SWR und bei Phoenix bekannt.

    Inhalt

    1.

    Marktbesuche: Bunte Auswahl

    Die Orte der Begegnung

    Die Metapher des Wochenmarktes

    2.

    Wählermarkt: Dynamik der Unverbindlichkeit

    Wahlrecht als Machtfrage

    Politisch-kulturelle Einordnungen

    Wählermärkte bei der Bundestagswahl 2021

    Das Virus entschied den Ausgang der Bundestagswahl

    Ohne Kanzlerbonus und ohne Wechselstimmung

    Wahlkampf als Achterbahnfahrt und Umfragekampf

    Eine Typologie der wählerischen Wähler

    Durchschnittswähler

    Nicht-Wähler

    Stammwähler

    Früh- und Spätwähler

    Wechselwähler

    Paradoxe Wähler

    Koalitionswähler

    Fans des Erfolgs-Wähler

    Status-quo-Wähler

    Selbstüberschätzende Wähler

    Layout-Wähler

    Protestwähler

    Die wählerischen Wähler auf dem Markt

    3.

    Entscheidungsmarkt: Unberechenbarkeit als Prinzip

    Der Stoff des Politischen

    Die Lageeinschätzung des Akteurs

    Die Komplexität des Geschehens

    Die Arenen des Politikmanagements

    Der Gewissheitsschwund auf dem Entscheidungsmarkt

    4.

    Parteien- und Koalitionsmarkt: Dominante politische Mitte

    Bürgerliche Mitten: moderat, mittig, mittelmäßig

    Die Bundestagwahl 2013: Ein halber Machtwechsel

    Das Überraschende am Wahlergebnis

    Wählertypen und Wahlkampfkommunikation

    Beschleunigung und Gründung der AfD

    Kollaborative Wahlprogrammformulierung

    Das Politisch-Romantische am Wahlergebnis 2013

    Das Richtungspolitische am Wahlergebnis 2013

    Das Europäische am Wahlergebnis

    Das Konservativ-Fortschrittliche am Wahlergebnis 2013

    Das Postheroische am Wahlergebnis

    Die Bundestagswahl 2017: Ein Plebiszit über die Flüchtlingspolitik

    Strukturmuster der Wahlentscheidung

    Personalisierung und Stil-Pluralität

    Thematisierung und Agenda-Setting 2017

    Die Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigkeiten

    Machtwechsel-Typen in Deutschland

    5.

    Medien- und Führungsmarkt: Doppelte Gesprächsstörungen

    Legitimation durch Kommunikation

    Die Zeitenwende-Rede des Bundeskanzlers

    Politische Kommunikation in der Darstellungs- und Entscheidungspolitik

    Politikmanagement und Kommunikation

    Gestörte Resonanzbeziehungen

    Umgang mit Nichtwissen und Wahrheitsmärkten

    Früh-Digitalisierung als Pluralisierung von Öffentlichkeiten

    Zwei Kommunikations- und Führungstypen

    6.

    Erwartungsmarkt: Mehrheiten für Unpopuläres

    Der Modus des Veränderns

    Das Politikmanagement der Transformation

    Die Agenten des Wandels

    Die Resilienz als Ressource des Wandels

    »Lost in Transformation«

    7.

    Markteinkäufe: Pragmatische Sicherheitsdeutsche

    Verdachtsbestimmter Wahlkalender

    Was ist neu am Phänomen der AfD?

    Was ist alt am Phänomen der AfD?

    Was verspricht Auswege?

    Soziale Infrastruktur und Zumutungsmut

    Dank

    Anmerkungen

    Nachweis der Erstveröffentlichungen

    Literatur

    Personenregister

    Sachregister

    1. Marktbesuche: Bunte Auswahl

    Der Markt ist kein Modellgeber der Demokratie. Märkte regeln nichts. Wenn überhaupt, dann gehört die soziale Marktwirtschaft zum konstitutiven Teil des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Die für das Buch leitende Metapher des Marktes bezieht sich nicht generell auf den Markt, sondern auf den Wochenmarkt, wie man ihn aus vielen Städten und Dörfern unseres Gemeinwesens kennt. Solche Märkte haben durchaus Demokratiequalität. Dort wird nicht nur gekauft, sondern auch gesprochen. Der Markt ist in meinem Erklärmuster ein Forum der Begegnung und des Austauschs.¹

    Wo existieren – vergleichbar dicht – Vielfalt und Auswahl, die Begegnungen möglich machen? Aus dem Miteinander beim Handeln und Sprechen entsteht politische Macht. Sie ist eine Frage der Beziehung, stets relational. Demokratie ist organisierte Freiheit. Auf dem Markt leben wir organisierte und zufällige Praktiken der Einbeziehung des Anderen. Aus der Begegnung und der sozialen Energie entwickelt sich der Grundstoff von Gemeinschaftsbildungen. Nur die Differenz im Einzelnen kann Quelle sein für kollektive Identität im Ganzen, für Zugehörigkeiten. Und die ist erforderlich, wenn mit legitimierter Macht kollektive Mehrheitsentscheidungen zu treffen sind, die wiederum alle akzeptieren.

    Die Orte der Begegnung

    Im Lockdown der Coronazeit fehlten auch Marktstände. Die »Coronakratie« war eine Distanzdemokratie, ein politisches System ohne Begegnung. Das gefährdete unsere Freiheit. Es förderte Vereinsamung und Gereiztheit ebenso wie schlechte Laune. Die Öffentlichkeit war extrem fragmentiert. Vieles davon ist weiterhin wirkungsmächtig.

    Orte der Begegnung, urbane Marktplätze, öffentliche Räume enthalten durch Zusammenkunft den Schlüssel unseres Zusammenlebens. Ortsmomente entstehen dort durch wechselseitige Zumutungen, durch lebhafte und kontroverse Diskurse, durch lebendigen Vokabelüberschuss, durch verbindliche Vereinbarungen. Marktplätze sind Ausdruck einer Bewegungsdemokratie. Sie enthalten ein Versprechen. Hier existieren Räume der Überschneidung, wo sich sehr unterschiedliche Bürger² absichtsvoll oder beiläufig austauschen können – ein sozialer Raum als Demokratieerlebnis. Idealerweise befriedigt eine derartige öffentliche Infrastruktur auch paradoxe Bedürfnisse wie das Verlangen nach Nähe und Fernsucht zugleich. Es sind Orte des Verweilens ebenso wie des Vorbeilaufens.³

    Märkte sind Orte für Gespräche. Und um sie soll es im vorliegenden Buch gehen. Denn sie sind der Grundstoff für Wählerbeziehungen. Durch sie entstehen Wählermärkte und Regierungen. Deshalb eignet sich der Wochenmarkt sowohl als Anschauungsort der Demokratie wie auch als Metapher für Beziehungsspiele und Resonanzräume.

    Flanieren kommt auf dem Wochenmarkt vor. Doch meistens steuern die Besucher gezielt die Ware an, die man kaufen möchte. Man kennt den Stand und man kennt sich. Neben den Standard-Einkäufen bietet der Markt durch Buntheit, Enge und Vielfalt auch Chancen, neue Produkte einzukaufen. Neben Auswahldichte stehen der persönliche Kontakt, die Beratung und eine Chance auf gemeinschaftliche Erfahrungen. Natürlich sind das Vorstellungen eines idealen Marktes, leicht romantisch verklärt. Es gibt auch oft Tristesse, Fremdheit, Rivalität und asozial anmutende Praktiken des Marktgeschehens. Online-Shoppen ist zudem wetterunabhängiger und umfassender. Es gibt insofern auch eine offensive Marktvermeidung.

    Die Marktteilnehmer beeinflussen durch Nachfragen das Angebot der Markttreiber. In der Kundendemokratie steuern durchaus auch Angebot und Nachfrage das politische Programm. Wahlen sind oft Ausdruck eines Tagesplebiszits. Gleichzeitig existiert aber auch eine Stammkundschaft, die sich durch Treue zu den Produkten und zum politischen Personal auszeichnet. Insofern passt die Metapher von Märkten gut, um einige wahlbedingte Interaktionsmuster zwischen den Bürgern und der Politik in unserer Demokratie zu erklären. Auf den Märkten versammeln sich Bürger in einem Kommunikationsraum um Waren. Kommunikation ist unverzichtbar, nicht nur beim Marktbesuch. Interpersonale Kommunikation löst etwas aus. Sie kann überredend daherkommen. Man weiß mittlerweile, dass von dieser Art der Gespräche politische Einstellungen, mithin auch Wahlentscheidungen abhängen. Es ist häufig nicht das, was man sieht, hört, liest, wischt, was die Einstellungen prägt, sondern eher das, was man aus dem Gesehenen, dem Gehörten, dem Gelesenen, dem Weggewischten der sozialen Medien in interpersonaler Kommunikation macht. Was man daraus macht, verfestigt Einstellungen. In der Wahlforschung nennt man das »interpersonale Anschlusskommunikation«⁴. Was aus den Gesprächen auf dem Markt wird, ist vielschichtig bedeutend. Es kann Wissen erweitern, Engagement fördern, moralisch aufladen, Bedeutungen und Relevanzen von Informationen zuordnen und darüber hinaus Wirklichkeiten formen. Kundenkommunikation ist dabei ebenso wichtig wie die Aufenthaltsqualität auf dem Markt generell. Denn nur so kommt es potenziell zum Gespräch miteinander und übereinander. Die Wirkungskraft dieser interpersonalen Kommunikation hängt vor allem mit der weniger zweckgerichteten Glaubwürdigkeit im vertrauten, persönlichen Umfeld zusammen.

    Die Metapher des Wochenmarktes

    Märkte können als eine Form der Kommunikation und Interaktion zwischen den Teilnehmern verstanden werden, bei denen Angebot und Nachfrage über den Preis eines Gutes oder einer Dienstleistung verhandelt werden. Auf Wählermärkten können politische Parteien und Wähler über politische Überzeugungen und Vorlieben kommunizieren und interagieren.⁵ Dies kann durch direkte Kommunikation, Meinungsumfragen, Abstimmungen oder Wahlen geschehen. Die Art und Weise, wie die politische Kommunikation stattfindet, kann das Verständnis und die Einschätzung der politischen Landschaft und der Wählermärkte beeinflussen. Bürger können in so einem Modell Konsumenten sein, müssen es aber nicht. Denn auch Wochenmärkten kann man problemlos seine Teilnahme verweigern, wie es millionenfach praktiziert wird, wenn man sie nicht aufsucht und online einkauft – oder einen Bogen darum macht. Nicht-Wähler agieren so. Kunden sind seit einigen Jahren grundsätzlich bereiter zum Wechseln der Produkte, die sie kaufen. Das kann auch an beiden Seiten des Verkaufsprozesses liegen, bei den Marktbeschickern ebenso wie bei den Käufern. Viele Kunden fühlen sich oft schlecht behandelt, werden übersehen, nicht ernstgenommen. Nicht-Wahl hat insofern viele Gründe. Das kann ursächlich mit Nicht-Verstehen und Nicht-Bemühen auf beiden Seiten des Verkaufstresens zusammenhängen.

    Mein Bild des Marktes nutze ich zum besseren Verständnis und zur modellhaften Vereinfachung des komplexen Wahlvorgangs, der viele Einstellungs- und Verhaltensvariablen der Wählerschaft umfasst. Die Marktmetapher ist nicht neu und kann auch missverstanden werden. In ihren Demokratietheorien betrachten Joseph Schumpeter und Anthony Downs Demokratie als Markt.⁶ Auf diesem Markt werben politische Unternehmer um Wählerstimmen. Dort werden Wählerstimmen getauscht durch Unterstützung und Förderungen gegen Angebote der Politik. Dieses Modell ist umstritten, da es eine sehr eingeschränkte Sicht auf die politischen Prozesse und die komplexen Interaktionen in Gesellschaft und Wirtschaft bietet. So beschreibt das Modell dieses politisch-ökonomischen Ansatzes in der Politik und beim Wählen die Überlegung, dass ein freier Markt – ähnlich wie in der Wirtschaft – in politischen Entscheidungen zu einer optimalen Allokation von Ressourcen führt. Diese Überlegung stützt sich auf die Annahme, dass Individuen rational handeln und ihre Interessen auf dem Markt durch den Kauf, den Tausch und Verkauf von Gütern und Dienstleistungen ausdrücken. In der Politik bedeutet dies, dass politische Entscheidungen auf dem Prinzip des Angebots und der Nachfrage basieren sollten und dass staatliche Eingriffe in den Markt nur dann gerechtfertigt sind, wenn ein externer Effekt oder ein Marktversagen vorliegt. Demokratie ist aber keineswegs nur Handel und Tausch. Bürger sind nicht nur Konsumenten. Und ebenso wenig sind Wähler wie ein nutzenmaximierender, rationaler homo oeconomicus unterwegs. Wählerschaften sind, wie noch zu zeigen sein wird, eben auch irrational, emotional, unwissend und situativ. Die Handlungsfreiheit gleicht eher einem homo sociologicus, der durch die Gesellschaft geprägt ist und daraus Normen des individuellen und interessengeleiteten Verhaltens ableitet.

    Der Wochenmarkt dient insofern nur als vereinfachter Erklärungsansatz. Er ist ein heuristisches Hilfsmittel, eine Metapher und ein Ort der Begegnung. Komplexe Wählermärkte sind keineswegs nur mit individuellem Kalkül und Präferenzen erklärbar. Wichtig bleibt für Politiker und für Parteien, auf dem Wochenmarkt präsent zu sein. Ebenso entscheidend kann sein, aus Laufkundschaft eine Stammkundschaft zu machen oder diese möglichst lange zu bedienen. Dazu ist ein ausgefeiltes Kundenbeziehungsmanagement erforderlich, was sich nicht in Wahlkämpfen erschöpfen sollte. Wer baut Kundenliebe auf? Wer beherrscht die Königsdisziplin, die Kundenbindung aus Zuneigung? Wer punktet mit Fachlichkeit und Problemlösungskompetenz? Wer versteht Kunden, begeistert sie, lädt zum Staunen ein? Das sind naheliegende Analogien, wenn man sich mit komplexen politischen Märkten auseinandersetzt.

    Als Metapher tauchen Marktplätze auch in der Tradition von sogenannten kommunitaristischen Ansätzen einer sozialphilosophischen Lehre auf. Dabei werden Anbieter und Käufer in einem Interaktionskontext gesehen, der fast automatisch dazu führt, die Bedeutung von Gemeinschaftsstandards zu erhöhen. Der Austausch fördert demnach Netzwerke, soziale Beziehungen, stärkt die Gemeinschaft, schwächt individuelle Egoismen. Für die Demokratie ist das eine nützliche Perspektive. Doch auch so ein verklärend-harmonisches Bild des Zusammenlebens passt zur politischen Realität nur bedingt. Aber für die dahinterliegende Idee, durch persönliche Begegnungen die für politische Entscheidungen und Mehrheitssuche notwendigen Diskurse auf dem Forum zu vitalisieren, eignet sich auch dieser sozialphilosophische Ansatz. Grundsätzlich soll zudem die Marktmetapher nicht davon ablenken, dass ein steuernd-lenkender Staat, abseits des Marktmechanismus, Gemeinwohl sichert. Politische Handlungsmöglichkeiten gerade in unsicheren Zeiten setzen nicht nur auf Marktlogik, sondern auch immer auf staatliche Regulierung.

    Nachfolgend nehme ich diese vieldimensionale Spur auf und thematisiere fünf unterschiedliche Märkte, die ich jeweils mit einer Orientierungsthese pointiere:

    Wählermarkt: Wählerische Wähler prägen die Dynamik der Unverbindlichkeit. In Kapitel 2 wird gezeigt, wie Einstellungen zu Wahlhandlungen führen. Typologien der Wähler entlarven traditionelle Muster des Wählens in Deutschland. Die Volatilität des Wählens nimmt zu. Was wird wie für Kunden angeboten?

    Entscheidungsmarkt: Die Unberechenbarkeit bleibt als Prinzip des Regierens und überführt Politik in den Modus des Nachbesserns. Wie lässt sich auf dem Markt etwas verkaufen und wie binde ich Kunden? Wie bringe ich Kunden dazu, etwas zu kaufen? Dazu ist es notwendig zu wissen, welche Heuristik politischer Entscheidungen vorliegt und wie sich Kaufabsichten aufbauen. Der Stoff des Politischen und die Rationalitäten des Politischen sind zu berücksichtigen. Die wechselseitige Antizipation – vor und hinter dem Marktstand – ist wichtig. Dabei ist unter den Bedingungen von Komplexität Politik heute überfordert, Probleme abschließend zu lösen. Diese Überlegungen finden sich in Kapitel 3.

    Parteien- und Koalitionsmarkt: Auf dem bunten Parteien- und Koalitionsmarkt dominiert die politische Mittigkeit als Sehnsuchtsort der Deutschen. Der Parteienwettbewerb in Deutschland unterscheidet sich deutlich vom europäischen Ausland. Die Wertschätzung der politischen Mitte ragt heraus. Als Fallbeispiele dienen in Kapitel 4 die Bundestagswahlen 2013 und 2017, die gleichermaßen zu Großen Koalitionen führten. Die Parteien und Koalitionen agieren in einer Trägheitsdemokratie. Aber die Buntheit der Marktangebote hat zugenommen und die Vielfalt von Koalitionen erscheint unbegrenzt – in der politischen Mitte. Wie stabil bleibt dieses Muster des mittigen Wählens, wenn sich der Debattenraum nach rechts verlagert?

    Medien- und Führungsmarkt: Die doppelten Gesprächsstörungen – zwischen Regierten und Regierenden sowie zwischen Medien und ihren Konsumenten – schaffen neue Wirklichkeiten der politischen Kommunikation. Märkte sind Kommunikationsräume, die sich stetig wandeln. Das nutzen Anbieter und Käufer. Aber es macht das Geschäft weder einfacher noch übersichtlicher. Die Deregulierung von Wahrheitsmärkten greift um sich. Desinformation verändert die Qualität unserer Freiheit. Das von den Wählern favorisierte politische Personal kommt unspektakulär, kaufmännisch-kühl daher. Amtsinhaber werden eher gewählt als populistische Volksbelauscher. Diese Aspekte werden in Kapitel 5 behandelt.

    Erwartungsmarkt: Um Mehrheiten für Unpopuläres geht es in Kapitel 6. Denn Zukunft gewinnt an Resonanz. Die Erzählung der Zukunft hat Auswirkungen auf die Qualitätssicherung der freiheitlichen Demokratie. Zukunft ist politisch durch Transformation markiert. Welche Spielarten des Regierens nutzt die Berliner Ampel, um den Erwartungsmarkt zu bespielen, um mehrheitsfähig zu bleiben, um notwendigerweise Mehrheiten für Unpopuläres zu organisieren? Wie organisiert die Berliner Ampel, abseits des Krisenmodus und der Reparaturarbeiten, eine inklusive Gestaltungspolitik?

    Am Ende des Marktspaziergangs zum Thema Wählen und Regieren steht die Bilanz der Markteinkäufe (Kapitel 7). Was wurde gezielt gekauft, was eher mit Überredungskunst »angedreht«? Was kann man gebrauchen und was verliert schnell an Wert? Scheuen die pragmatischen Sicherheitsdeutschen die Risiken? Meine Kernargumente drehen sich um die Muster des Wählens in Deutschland. Sie sollen sichtbar werden, nicht tagesaktuelle Einschätzungen zum Parteienwettbewerb vor der Bundestagswahl 2025. Der Wochenmarkt leistet dabei zur Veranschaulichung potenziell einen demokratienotwendigen Abgleich und Ausgleich von Interessen und Meinungen. Er ist ein öffentlicher Raum der Unterschiedlichen, die wir als freie Bürger wählen können. Dabei bleibt immer zu berücksichtigen, dass Wählen eine Entscheidung darstellt – als Auswahl zwischen Personen und Parteien. Ihre politische Rationalität gilt es auch nachfolgend im Blick zu behalten.

    2. Wählermarkt : Dynamik der Unverbindlichkeit

    Wie wählen die Deutschen? Um das zu beantworten, liefert die Wahl- oder Wahlverhaltensforschung verlässliche Antworten. Die Metapher des Marktes zeigt auch hier, dass die Bürger als Konsumenten nicht nur auswählen können, welche Partei oder welche Politiker sie wählen. Vielmehr liegen auch konstante Rahmenbedingungen vor – die Anordnung der Marktstände etc. –, wie das Wahlsystem, welche die Wahlentscheidung mitprägen können. Wähler begegnen sich, soweit sie keine Briefwähler sind, zur Stimmabgabe konkret im Wahllokal an der Wahlurne. So wird aus dem Einzelnen ein kollektives Geschehen.

    Nachfolgend sollen einige Besonderheiten des deutschen Wählermarktes bei Bundestagswahlen vorgestellt werden. Wo wirkt er unverwechselbar? Was sind Konstanten im Wahlverhalten der Bürger? Welche Muster zeigen sich?

    In Deutschland sind Wählermärkte von politischen Parteien und Wählergruppen geprägt, die politische Vorlieben und Überzeugungen teilen.⁷ Die Parteien organisieren sich in politischen Lagern, die sich, wie noch zu zeigen sein wird, weniger polarisiert in Deutschland ausdifferenzieren. Wählermärkte in Deutschland können auch nach sozialen und demografischen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Bildungsniveau, Einkommen und Wohnort segmentiert werden. Diese Segmentierungen können Parteien bei der Identifizierung und Ansprache ihrer Zielgruppen helfen. Die politische Landschaft in Deutschland ist auch von Regierungsbündnissen und Koalitionsverhandlungen geprägt, die die politische Ausrichtung und das politische Handeln beeinflussen können. Die Wählermärkte können daher von den politischen Entscheidungen und den politischen Prioritäten der Regierungen beeinflusst werden.

    Wahlentscheidungen sind somit komplex. Und sie unterliegen einer hohen Dynamik. Die Wahlforschung entwickelt entsprechend neue Methoden und Instrumente, um das Mysterium der Motive bei der geheimen Wahl transparent zu machen. Vereinfacht gesagt, folgen die Wahlentscheidungen dem gesellschaftlichen und dem sozio-ökonomischen Wandel. Je mehr sich unsere Wohlfahrts- und Wachstumsgesellschaft pluralisierte, fragmentierte und individualisierte, umso mehr stieg das Angebot im Parteienwettbewerb und gleichzeitig die Volatilität der Wähler. Sozialstruktur und Wahlverhalten haben sich über die Jahrzehnte weitgehend entkoppelt. Aus bindungsorientierten Stammwählern, die relativ berechenbar, gruppenorientiert, entlang von Bildung, Einkommen, Geschlecht und Milieu wählten, wurden zunehmend Wechsel- oder Nichtwähler, aber auch Orientierungsnomaden. Sie wählen situativer, nutzenorientierter, flexibler, wählerischer. Dennoch sind Wähler kein unkalkulierbarer Treibsand für die Parteien. Auch die Orientierungsnomaden folgen bestimmten Mustern bei der Wahlentscheidung. Und sogar Stammwählerzuordnungen sind immer noch für Teilbereiche aussagekräftig.

    Die Wahlforschung untersucht alle individuellen und gruppenspezifischen Faktoren, die Einfluss auf die Herausbildung der Wahlentscheidung nehmen. Da das geltende Wahlrecht (unter anderem Grundsatz der geheimen Wahl) eine direkte Beobachtung der persönlichen Stimmabgabe ausschließt, ist die Wahlforschung methodisch auf das Instrumentarium des wissenschaftlichen Indizienbeweises angewiesen. Tragfähige theoretische Erklärungsmodelle leiten das jeweils konkrete Wahlergebnis aus einer Anzahl ursächlich vorgelagerter Faktoren ab.

    Im Wesentlichen lassen sich drei verschiedene Betrachtungen unterscheiden:

    Der soziologische Erklärungsansatz konzentriert sich in seiner Analyse der individuellen Stimmabgabe in erster Linie auf diejenigen Einflüsse, die dem sozialen Umfeld der Wähler zugeschrieben werden können: familiäre, berufliche oder auch gesellschaftliche Loyalitäten. Der Blick richtet sich auf die Gruppe und die soziale Herkunft. Längerfristige Bindungen der Wähler sind zu berücksichtigen.

    Der individualpsychologische Erklärungsansatz untersucht den persönlichen Entscheidungsprozess in Abhängigkeit von vorhandenen längerfristigen Parteineigungen. Diese wirken dann wie ein Filter, durch den das politische Geschehen wahrgenommen und bewertet wird. Der Blick richtet sich insofern auf äußerst individuelle und oftmals kurzfristige Faktoren. Dabei steht die langfristige Parteipräferenz der Wähler – Parteibindung als Parteiidentifikation, jedoch ohne Mitgliedschaft – in einem Zusammenhang mit kurzfristig veränderbaren Bedingungen. Das können Einstellungen zu politischen Sachfragen und zu den Kandidaten sein.

    Das Modell des rationalen Wahlverhaltens wiederum bezieht sich auf die Analyse individueller Kosten-Nutzen-Abwägungen. Hierbei wird unterstellt, das politische und wirtschaftliche Entscheidungsprozesse prinzipiell nach vergleichbaren Regeln ablaufen. Rational kalkulierende Wähler entscheiden sich für die Partei oder die Kandidaten, die sie persönlich als vorteilhafteste bewerten.

    Man sieht, wie sich politische Einstellungen und sozioökonomische Faktoren als wichtige Erklärungsvariablen des Wahlverhaltens herausgebildet haben. Ergänzt wurden diese Variablen in den vergangenen Jahren durch Erklärungen aus dem Bereich der politischen Psychologie. So hat sich die politikwissenschaftliche Einstellungs- und Verhaltensforschung breiter sozialwissenschaftlich verortet und zunehmend kognitionspsychologische Perspektiven eingebracht.⁸ Auch das Feld der politischen Kommunikation ist enger an die Wahlforschung angedockt worden. So spielen Formen der Informationsbeschaffung und Informationsverarbeitung sowie der Urteilsbildung eine größere Rolle, um Wahlentscheidungen zu analysieren und zu interpretieren. Das kann so weit gehen, dass sich neue Gruppenzugehörigkeiten über Meinungszugehörigkeiten – »Echokammern«, »Meinungsblasen« – bestimmen und somit auch Wahlverhalten als Gruppenerlebnis prägen können.

    In der Psychologie des Wählers in Deutschland werden unterschiedliche psychologische Faktoren untersucht, die die Wahlentscheidung beeinflussen können. Dazu gehören:

    Überzeugungen und Vorlieben: Die politischen Überzeugungen und Vorlieben eines Wählers können seine Wahlentscheidung beeinflussen. Viele Wähler wählen eine Partei, die ihre politischen Überzeugungen am besten widerspiegelt.

    Persönliche Erfahrungen: Die persönlichen Erfahrungen eines Wählers, beispielsweise seine Familie, Freunde und Arbeitskollegen, können seine politischen Überzeugungen beeinflussen.

    Emotionen: Gefühle, etwa Angst, Wut, Hoffnung oder Freude, können die Wahrnehmung und Bewertung von politischen Parteien und Themen beeinflussen.

    Identität: Die politische Identität eines Wählers, einschließlich seiner Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen, kann seine Wahlentscheidung beeinflussen.

    Informationsverarbeitung: Die Art und Weise, wie ein Wähler Informationen

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