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Anthropisches Prinzip

philosophischer Ansatz

Das anthropische Prinzip (von griechisch anthropos „Mensch“; kurz AP) besagt, dass das beobachtbare Universum nur deshalb beobachtbar ist, weil es alle Eigenschaften hat, die dem Beobachter ein Leben ermöglichen. Wäre es nicht für die Entwicklung bewusstseinsfähigen Lebens geeignet, so wäre auch niemand da, der es beschreiben könnte.

Entwicklung des Begriffs

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Das Prinzip wurde begrifflich 1973 durch den Kosmologen Brandon Carter (* 1942) während der Feierlichkeiten zu Nicolaus Copernicus’ 500. Geburtstag in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt, obwohl ähnliche Argumentationsstrategien auch vorher gelegentlich verwendet wurden.[1] Es verknüpft die Eigenschaften des beobachtbaren Universums mit der Notwendigkeit der Existenz eines bewussten Beobachters, der dieses Universum auch zu erkennen vermag. Anthropische Prinzipien, so wie sie in der Naturwissenschaft meist diskutiert werden, sollen „natürliche“ Erklärungsmöglichkeiten für Gegebenheiten im Universum bieten, die für einen Beobachter sehr unwahrscheinlich und deswegen nicht durch Zufall erklärbar erscheinen oder einen ziel- bzw. zweckgerichteten (teleologischen) Eindruck machen.

Wegen der mehrdeutigen Definition des anthropischen Prinzips durch Carter gibt es heute Dutzende von verschiedenen Interpretationen. Während die „triviale“ Form, nämlich dass die Notwendigkeit der Existenz eines Beobachters bei der Interpretation astronomischer Daten zu berücksichtigen ist, durchaus anerkannt ist, werden einige weitere Versionen naturwissenschaftlich und philosophisch diskutiert. Die heute vorhandenen verschiedenen Formulierungen des anthropischen Prinzips können nach teleologischen und nichtteleologischen Interpretationen unterschieden werden, welche eine geradezu entgegengesetzte Intention aufweisen. Dabei wird das von Carter formulierte schwache anthropische Prinzip als nichtteleologisch angesehen, da es nur Effekte beschreibt, die durch selektive Beobachtung zustande kommen, während das starke anthropische Prinzip wegen seiner mehrdeutigen Definition auch teleologische Interpretationen zulässt. In der Naturwissenschaft herrschen nichtteleologische Interpretationen vor, oft werden sogar nur nichtteleologische Interpretationen als wissenschaftlich sinnvoll erachtet und dem anthropischen Prinzip sogar eine geradezu antiteleologische Stoßrichtung bescheinigt.

Einige verbreitete Versionen des anthropischen Prinzips

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Brandon Carter

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Als erste konkrete Formulierung des anthropischen Prinzips gelten einige Passagen in Carters Publikation von 1974:[2]

  • Allgemeines AP: ».. was wir zu beobachten erwarten können, muss eingeschränkt sein durch die Bedingungen, welche für unsere Gegenwart als Beobachter notwendig sind.«
  • Schwaches AP (engl. weak anthropic principle, WAP): ».. wir müssen bereit sein, die Tatsache in Betracht zu ziehen, dass unser Ort im Universum in dem Sinne notwendig privilegiert ist, dass er mit unserer Existenz als Beobachter vereinbar ist.«
  • Starkes AP (engl. strong anthropic principle, SAP): ».. das Universum (und deswegen die fundamentalen Parameter, von welchen es abhängt) muss derart sein, dass es die Entstehung von Beobachtern in ihm in manchen Phasen erlaubt.«

Besonders die unsichere Bedeutung des Wortes „muss“ im starken AP ist verantwortlich für die unklare Interpretation dieses Prinzips, da es sowohl als Forderung der schlichten logischen Verträglichkeit der Beobachtungsdaten mit der Beobachterexistenz als auch in einem stärkeren teleologischen Sinn gedeutet werden kann. Wegen dieser teleologischen Deutbarkeit des starken AP in dieser Formulierung wird ihm oftmals ein spekulativer und unwissenschaftlicher Charakter vorgeworfen.

1983 betonte Carter, dass das Prinzip in seiner ursprünglichen Form lediglich dazu dienen sollte, Astrophysiker und Kosmologen vor möglichen Fehlern bei der Interpretation von astronomischen und kosmologischen Daten zu warnen, falls biologische Randbedingungen des Beobachters nicht mit einbezogen würden.

John Leslie

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John Leslie betrachtet das anthropische Prinzip als eine Tautologie, die, genauso wie die logischen Schlussregeln, welche ebenfalls Tautologien sind, benutzt werden kann, um aus empirischen Beobachtungen gültige Schlüsse zu ziehen.

Er formuliert das anthropische Prinzip allgemein:

  • Jedes intelligente Lebewesen, welches ist, kann sich selbst nur dort vorfinden, wo intelligentes Leben möglich ist.

Der Unterschied zwischen schwachem und starkem AP besteht gemäß Leslie nur darin, dass das schwache AP behauptet, dass intelligentes Leben sich nur in solchen Bereichen innerhalb eines gegebenen Universums vorfinden kann, wo Beobachter überhaupt existieren können, während das starke AP sich auf mehrere Universen (oder auch auf ein einzelnes Universum mit kausal unabhängigen Regionen) bezieht und behauptet, dass intelligentes Leben sich nur in solchen Universen vorfinden kann, in denen die Existenz von Beobachtern möglich ist.

Nick Bostrom

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Der Philosoph Nick Bostrom (* 1973) fragte 2002:

„Ist es möglich, die Kerngedanken des Effekts der selektiven Wahrnehmung in einer einfachen Aussage zusammenzufassen? [… Es könnte so sein, dass] viele anthropische Prinzipien einfach verworren sind. Manche, besonders jene, die ihre Inspiration von Brandon Carters grundlegenden Arbeiten beziehen, klingen vernünftig […] aber sie sind zu schwach, um echte wissenschaftliche Arbeit zu leisten. Insbesondere behaupte ich, dass es die bestehende Methodologie nicht erlaubt, irgendwelche beobachtbaren Konsequenzen aus gegenwärtigen kosmologischen Theorien abzuleiten, ungeachtet dessen, dass diese Theorien recht einfach getestet werden können und auch empirisch durch Astronomen getestet werden. Was nötig ist, um diese methodologische Kluft zu überbrücken, ist eine adäquatere Feststellung, wie Effekte selektiver Wahrnehmung einbezogen werden müssen.“

Zur Umsetzung seiner Ansichten definiert er die Selbstauswahl-Hypothesen (Self-Sampling Assumptions):

  • Self Sampling Assumption (SSA): Man sollte schlussfolgern, so als ob man eine zufällige Auswahl aus der Menge aller Beobachter in seiner Referenzklasse wäre.
  • Strong Self Sampling Assumption (SSSA): Man sollte schlussfolgern, so als ob der gegenwärtige Beobachtungszeitpunkt eine zufällige Auswahl aus der Menge aller Beobachterzeitpunkte in seiner Referenzklasse wäre.

Die SSA bzw. SSSA erlauben, anders als andere anthropische Prinzipien, den in beobachtbaren Universen möglichen Beobachtungen eine Wahrscheinlichkeit zuzuordnen; gewöhnlich werden solche Universen, in denen bewusste Beobachter nicht existieren können, von der Beobachtung ausgeschlossen, ohne dies zu berücksichtigen. Es ist deshalb eigentlich kein reines anthropisches Prinzip mehr, sondern hat in dieser Beziehung Ähnlichkeiten mit einer von dem Astrophysiker Richard Gott (* 1947) vorgeschlagenen Synthese aus anthropischem und kopernikanischem Prinzip, dem kopernikanisch-anthropischen Prinzip.[3]

Diese Selbstauswahl-Hypothesen erweitert Bostrom zu einem Modell von „anthropischer Voreingenommenheit“ (anthropic bias) und anthropischem Schließen (anthropic reasoning). Es berücksichtigt die Unsicherheit bezüglich der Bedeutung der Beobachtung zu gegebenem Beobachtungszeitpunkt im Universum. Das Modell versucht durch kognitive menschliche Voreingenommenheit bestehende Grenzen zu überwinden. Da die exakte Bestimmung der Referenzklasse, d. h. der Klasse aller Entitäten, von der sich ein Beobachter vernünftigerweise als zufällig ausgewählt annehmen kann, jedoch in vielen Fällen unsicher ist, hält Bostrom vor allem solche Beweise unter Zuhilfenahme von anthropischen Prinzipien für glaubwürdig, deren Resultate möglichst unabhängig von der Wahl der Referenzklasse sind.

John Archibald Wheeler

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Vom Physiker John Archibald Wheeler (1911–2008) stammt eine Version des AP, welche oft mit dem subjektiven Idealismus eines George Berkeley (1685–1753) in Verbindung gebracht wird[4].

  • Participatory anthropic principle (PAP): Beobachter sind notwendig, um das Universum zu erzeugen.

Insbesondere wird beim PAP ein quantenmechanisches Phänomen, die sogenannte Reduktion der Wellenfunktion bei der Messung, in Verbindung mit einem Beobachter gebracht. Grob gesprochen wird eine Messung als Beobachtung eines bewussten Wesens interpretiert, und die damit verbundene Reduktion der Wellenfunktion wird als „Realisation“ der Welt in einem definiten Zustand aufgefasst. Der Beobachter wäre demnach ein wesentlicher Bestandteil der physikalischen Beschreibung der Welt; erst durch seine Beobachtung würde die Welt „Realität“ annehmen.

Das PAP hängt eng mit einer Interpretation der Quantenmechanik zusammen, insbesondere mit der sogenannten Kopenhagener Deutung, welche die Reduktion der Wellenfunktion bei der Messung vertritt. So sind neuere Entwicklungen in der Interpretation der Quantenmechanik, die eine objektive Beschreibung des quantenmechanischen Messprozesses in rein quantenmechanischen Begriffen erlauben, also keinen Bezug auf eine klassischen Gesetzen gehorchende Messapparatur wie in der Kopenhagener Deutung nehmen, auch relevant für die Beurteilung des PAPs.

Diesem Prinzip wird oftmals ein unwissenschaftlich teleologischer Charakter vorgeworfen, so z. B. in der kritischen Betrachtung des PAP von J. Earman (* 1947).[5]

Barrow & Tipler

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1986 wurde das kontroverse Buch The Anthropic Cosmological Principle der Physiker John D. Barrow (1952–2020) und Frank J. Tipler (* 1947) veröffentlicht. Darin ebnete der Kosmologe John Barrow einem von ihm so genannten anthropischen Prinzip den Weg. Dabei ging es ihm darum, eine Form des Umgangs mit den schier unglaublichen Zufällen zu finden, die zu unserer Gegenwart in einem Universum führten, das perfekt auf unsere Existenz eingestellt scheint. Alles vom genauen Energiezustand des Elektrons bis hin zur Ausprägung der schwachen Wechselwirkung scheint maßgeschneidert, um unsere Existenz zuzulassen. Wir scheinen in einem Universum zu leben, das von einer Reihe unabhängiger Variablen abhängt, bei denen eine winzige Veränderung ausreichte, es unbewohnbar für jedwede Form von Leben zu machen. Und trotzdem existieren wir. Das anthropische Prinzip behauptet, dass der Grund, warum wir hier sind und diese Fragen überhaupt erwägen, aus der Tatsache folgt, dass genau die richtigen Werte für die Variablen vorliegen.

Die beiden Versionen des schwachen und starken anthropischen Prinzips, wie sie von John Barrow und Frank Tipler formuliert wurden, lauten:

  • schwaches anthropisches Prinzip (engl. weak anthropic principle (WAP)): »Die beobachteten Werte aller physikalischen und kosmologischen Größen sind nicht gleich wahrscheinlich, aber sie nehmen Werte an, die beschränkt sind durch die Erfordernisse für die Existenz von Orten, an denen sich kohlenstoffbasiertes Leben entwickeln kann, und durch das Erfordernis, dass das Universum alt genug sein muss, dass dieser Vorgang bereits eingetreten ist.«
  • starkes anthropisches Prinzip (engl. strong anthropic principle (SAP)): »Das Universum muss so beschaffen sein, dass in ihm die Entwicklung von Leben in einem gewissen Stadium seiner Geschichte ermöglicht wird.«

Darüber hinaus postulierten Barrow und Tipler auch noch ein weiteres, Final Anthropic Principle (FAP) genanntes, Prinzip, wonach das Universum so aufgebaut ist, dass es in Zukunft mit technologischen Mitteln möglich sein soll, ewiges Leben zu erreichen.

  • endgültiges anthropisches Prinzip (Final Anthropic Principle): »Intelligente Informationsverarbeitung muss im Universum entstehen, und, wenn sie einmal entstanden ist, wird sie niemals aussterben«.

Tipler erweiterte 1994 dieses Konzept in seinem Buch Die Physik der Unsterblichkeit um die Omegapunkttheorie. Sowohl das Buch als auch die Theorie stoßen allerdings in der Fachwelt im Allgemeinen wegen der vielen äußerst fragwürdigen und hochspekulativen Annahmen auf heftige Kritik und Ablehnung.

Teleologische Interpretation

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Die teleologische Interpretation der Natur taucht seit den 1970er Jahren wieder vereinzelt in einigen wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Publikationen auf, wird aber vor allem im eher religiösen Umfeld propagiert. Teleologische Erklärungsweisen versuchen das Universum durch ziel- bzw. zweckgerichtete Prinzipien oder Mechanismen geleitet oder auch durch ein göttliches Wesen geplant und geleitet darzustellen. Als Beispiel für ein teleologisches anthropisches Prinzip wird oft das kontrovers diskutierte Partizipatorische Anthropische Prinzip von John Archibald Wheeler genannt.

Manchmal werden heutzutage auch in einigen populärwissenschaftlichen Publikationen, eigentlich unkorrekt und entgegen der ursprünglichen Intention dieses Prinzips, anthropisches Prinzip und teleologische Erklärungsweise gleichgesetzt. Besonders in kreationistischen Kreisen wird das anthropische Prinzip meist unzulässigerweise auf die teleologische Interpretation verengt. In seiner teleologischen Interpretation, wie sie etwa auch von John D. Barrow und Frank J. Tipler verbreitet wurde, geht das Prinzip auf tiefe historische Wurzeln zurück. So war die Welt vor Darwin für die meisten Philosophen und Theologen auf den Menschen ausgerichtet. Erst durch Charles Darwins Evolutionstheorie setzte sich die heute vorherrschende nicht-teleologische Sichtweise durch.

Kritik und Verteidigung des anthropischen Prinzips

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Kritisiert wurde das anthropische Prinzip für seinen tautologischen Charakter, da es nach den Regeln der Logik immer wahr sein muss. Hierauf wird meist entgegnet, dass der Zweck des anthropischen Prinzips auch nicht darin besteht, einen eigenen Gehalt auszudrücken, sondern nur darin, dass es zur Beweisführung benutzt wird, wozu auch Tautologien zulässig und nützlich sind. Trotz seiner ursprünglich antiteleologischen Intention wurde dem anthropischen Prinzip besonders in seiner starken Form ein teleologischer Charakter und Unwissenschaftlichkeit vorgeworfen. Auch wird die Namensgebung „anthropisch“ kritisiert, da „bewusster Beobachter“ nicht nur menschliche Beobachter umfasst, sondern jegliche Art von intelligenten Beobachtern.

Verfechter des anthropischen Prinzips weisen darauf hin, dass das Universum dermaßen fein darauf abgestimmt erscheint, die Existenz von Leben, wie wir es kennen, zu ermöglichen, und dass – würde auch nur eine der grundlegenden physikalischen Konstanten von ihrem Wert abweichen – dieses Leben nicht möglich wäre. Es wurden Arbeiten verfasst, die die Ansicht vertreten, das anthropische Prinzip sei in der Lage, physikalische Konstanten wie die Feinstrukturkonstante, die Anzahl der Dimensionen des Universums und die kosmologische Konstante zu erklären. Die Verfechter stellen heraus, dass diese Konstanten keine »offensichtlichen« Werte besitzen. Das Universum, das wir beobachten, muss für die Entwicklung intelligenten Lebens geeignet sein, denn andernfalls könnten wir nicht hier sein und es beobachten. Ob diese Feinabstimmung und damit das anthropische Prinzip wirklich notwendig zur Erklärung des Lebens ist, ist allerdings umstritten. Gegner argumentieren, dass diese Feinabstimmung nur notwendig sei, wenn man annimmt, dass mit Bewusstsein ausgestattetes Leben nur so, wie wir es kennen, möglich ist. Lässt man diese bisher nicht begründbare Beschränkung fallen, wäre demnach auch die Feinabstimmung nicht notwendig.

Eine weitere Kritik am anthropischen Prinzip ist, dass Theorien, die das anthropische Prinzip als Argumentation zulassen, oftmals nicht falsifizierbar seien. Beispielsweise würden in einem unendlichen Universum, das quantenmechanischen Gesetzen gehorcht, alle möglichen Vorgänge auch tatsächlich irgendwo vorkommen, so selten sie auch sein mögen. Speziell wäre aufgrund quantenmechanischer Fluktuationen das plötzliche Entstehen sogenannter „Freak-Observer“, die alle möglichen tatsächlichen oder auch nur halluzinierten Beobachtungen erfahren könnten, unausweichlich. Im Prinzip könnten wir demnach nicht mal sicher sein, dass wir selbst nicht so ein Freak-Observer sind. Es gäbe demnach also keine mögliche Beobachtung, mit der man solch eine Theorie widerlegen könnte. Dieser Problematik kann man jedoch entkommen, indem man zu einer statistischen Beweisführung übergeht, wie es in der naturwissenschaftlichen Praxis sowieso üblich ist. Zwar sind alle Beobachtungen möglich, aber nicht alle sind gleich häufig, und manche Ereignisse, wie etwa die Entstehung eines Freak-Observers, sind so extrem selten, dass man sie praktisch ausschließen kann.

Obwohl eigentlich keine fundamentale Kritik an der Gültigkeit des anthropischen Prinzips, wird dennoch oft eingewendet, dass es oftmals eher eine Lückenbüßer-Rolle einnimmt, indem es eine mögliche Erklärung für Gegebenheiten bietet, bei denen der Wissenschaft bisher stärkere Erklärungen fehlen.

Anthropisches und kopernikanisches Prinzip

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Interessant ist es, die Beziehung des anthropischen Prinzips zum kopernikanischen Prinzip zu betrachten, das eine ausgezeichnete Stellung des Menschen im Kosmos verneint.

In seiner nichtteleologischen Interpretation steht das anthropische Prinzip nicht notwendig im Widerspruch zum kopernikanischen Prinzip, da es hier auch Anwendungen des anthropischen Prinzips geben kann, die ein Universum voraussetzen, das im ganzen homogen ist und dem kopernikanischen Prinzip entspricht. Das schwache anthropische Prinzip kann aber z. B. auch auf Universen angewendet werden, die überwiegend lebensfeindlich sind und nur in kleinen lebensfreundlichen „Inseln“ die Existenz intelligenter Lebensformen wie den Menschen zulassen. Hier kann das schwache anthropische Prinzip dazu herangezogen werden, um den Fakt, dass intelligente Beobachter nur lebensfreundliche Inseln innerhalb des Universums beobachten können, als selektive Beobachtung zu erklären. Da Menschen nur solche speziellen Bereiche beobachten könnten, hätten sie in einem solchen Universum also eine epistemologische Sonderstellung. Sie wären also entgegen dem kopernikanischen Prinzip zumindest ausgezeichnete Beobachter, auch wenn der Mensch hier keine Sonderstellung in dem Sinne einnimmt, dass das Universum speziell auf seine Existenz hin ausgerichtet wäre. Der Astrophysiker John Richard Gott hat im Rahmen seiner Darlegung des Doomsday-Arguments das anthropisch-kopernikanische Prinzip vorgeschlagen, das eine Synthese beider Prinzipien bildet.[3]

Anders ist es bei teleologischen Interpretationen des anthropischen Prinzips. Hier wird letztlich ein „Mechanismus“ oder ein Prinzip angenommen, die das Universum auf ein bestimmtes Ziel hin ausrichten. Je nachdem, wie stark dieses Ziel speziell auf die Existenz des Menschen hin ausgerichtet ist, stehen solche anthropische Prinzipien deswegen auch im Widerspruch zum kopernikanischen Prinzip, sofern dieses streng antiteleologisch interpretiert wird. Wird das kopernikanische Prinzip „nur“ im epistemologischen Sinne definiert, d. h., wird nur eine Sonderstellung des Menschen als Beobachter im existierenden Universum verneint, müssen die Prinzipien auch hier durchaus nicht grundsätzlich im Widerspruch zueinander stehen.

Anwendung von anthropischen Prinzipien

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Entstehung des Lebens

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Nimmt man die Entstehung des Lebens auf einem vorgegebenen Planeten als sehr unwahrscheinlich an, so wird oft das schwache anthropische Prinzip mit der Annahme eines unendlichen (oder sehr großen) Universums als Möglichkeit betrachtet, die Entstehung des Lebens trotz einiger eventuell lokal unwahrscheinlicher Evolutionsschritte zu erklären. In einem solchen unendlichen (oder sehr großen) Universum würde die pure Anzahl der geeigneten Planeten die Unwahrscheinlichkeit der Entwicklung des Lebens auf einem individuell betrachteten Planeten aufwiegen und Leben müsste demnach praktisch zwangsläufig entstehen.[6] Dies ist insbesondere interessant, da gegenwärtige astronomische Beobachtungsdaten sich mit einem unendlichen, oder wenigstens sehr großen, Universum interpretieren lassen.

Umgekehrt lassen sich aus dem Faktum des irdischen intelligenten Lebens und dem anthropischen Prinzip auch Rückschlüsse auf einige Eigenschaften der Evolution schließen. So schloss B. Carter 1983, dass bei der Interpretation der Evolutionsgeschichte gleichfalls astrophysikalische Beschränkungen des Prozesses zu beachten seien.[7] Carter geht davon aus, dass das irdische Leben gemäß Evolutionstheorie entstanden ist, und weiterhin von dem bemerkenswerten Zusammentreffen, dass die Dauer von der Entstehung des Lebens bis zur Entwicklung irdischen intelligenten Lebens (≈ 4 Milliarden Jahre) in der gleichen Größenordnung liegt wie die Lebensdauer der sonnenähnlichen Sterne. Dies wäre nach Carter ein sehr großer Zufall, falls die typische Entwicklungszeit intelligenten Lebens sehr viel kürzer als die Lebensdauer der Sonne (≈ 10 Milliarden Jahre) wäre. Es ließe sich aber über das schwache anthropische Prinzip (Selbstauswahlprinzip) einfach erklären, falls die typische Entwicklungszeit intelligenten Lebens (viel) größer als die Sonnenlebensdauer wäre. Um die lange Entwicklungszeit zu erklären, müsse es mindestens einen unwahrscheinlichen Evolutionsschritt in der Entwicklung intelligenten Lebens geben. Weiter weist Carter darauf hin, dass die Entwicklungszeit irdischen intelligenten Lebens zwar in der gleichen Größenordnung wie die Lebensdauer der Sonne liegt, andererseits aber auch eine Differenz aufweist. Aus dieser Differenz schätzt Carter eine Obergrenze von höchstens etwa zwei unwahrscheinlichen Evolutionsschritten ab. Dieses Ergebnis wird oft benutzt, um die Möglichkeit extraterrestrischer Intelligenz im sichtbaren Universum abzuschätzen. Antonio Feoli und Salvatore Rampone führten an[8], dass, falls die geschätzte Größe unseres sichtbaren Universums und die Anzahl der Planeten darin miteinbezogen wird, eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung extraterrestrischer Intelligenz in diesem sichtbaren Universum möglich sei, als es das Ergebnis Carters impliziere.

Naturgesetze und Naturkonstanten

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Auch die Tatsache, dass die Naturgesetze und die Naturkonstanten des beobachtbaren Universums überhaupt die notwendigen Eigenschaften und Werte besitzen, um Leben zuzulassen, wird oft mit dem anthropischen Prinzip begründet. Dabei werden allerdings starke anthropische Prinzipien und Vielweltentheorien herangezogen, sodass die Argumentationen überwiegend spekulativeren Charakter haben. Auch hier erhebt sich die Frage, inwieweit die Möglichkeit von Leben nicht in den meisten logisch möglichen Universen von vornherein gegeben sein muss. Es ist also nicht klar, ob letztlich überhaupt ein Erklärungsbedarf und deswegen ein Grund für die Anwendung des anthropischen Prinzips besteht.

Barrow und Tipler schreiben über die Feinabstimmung, d. h., dass die Naturkonstanten im Universum exakt so aufeinander abgestimmt scheinen, dass sie Leben ermöglichen:

Nicht nur, dass der Mensch in das Universum hineinpasst. Das Universum passt auch zum Menschen. Man stelle sich ein Universum vor, in dem sich irgendeine der grundlegenden dimensionslosen physikalischen Konstanten in die eine oder andere Richtung um wenige Prozent verändern würde? In einem solchen Universum hätte der Mensch nie ins Dasein kommen können. Das ist der Dreh- und Angelpunkt des anthropischen Prinzips. Gemäß diesem Prinzip liegt dem gesamten Mechanismus und dem Aufbau der Welt ein die Existenz von Leben ermöglichender Faktor zugrunde.
(John Barrow und Frank Tipler, The Anthropic Cosmological Principle, Seite 7).

Das anthropische Prinzip ist in der Lage, zusammen mit Vielweltentheorien (Multiversen) eine Erklärung für die von einigen Kosmologen behauptete Feinabstimmung des Universums – welches Leben demnach erst möglich macht – zu geben. Damit widerspricht das anthropische Prinzip der Notwendigkeit einer intelligenten, planerischen Schöpfung zur Erklärung dieser Feinabstimmung, wie sie zum Beispiel von Verfechtern der Intelligent-Design-Hypothese, etwa dem Religionsphilosophen Richard Swinburne, vorgeschlagen wird. Andererseits wird die Existenz von praktisch unendlich vielen Paralleluniversen aus anderen Gründen vorgeschlagen, und das anthropische Prinzip verleiht dieser Theorie zusätzliche Unterstützung. Unter der Annahme, dass einige mögliche Universen in der Lage wären, intelligentes Leben hervorzubringen, muss es tatsächliche Universen geben, die dies tatsächlich tun, und unseres gehört offensichtlich zu ihnen.

Die behauptete Feinabstimmung wurde als »Argument aus Mangel an Vorstellungskraft« kritisiert für die Annahme, dass keine anderen Formen von Leben möglich seien. Es könnte möglich sein, dass der Bereich der Naturkonstanten, der die Evolution kohlenstoffbasierten Lebens zulässt, weitaus weniger Beschränkungen unterliegt, als behauptet worden ist (vgl. Stenger, „Timeless Reality“).

Es wären aber auch Universen vorstellbar, die dem uns bekannten Universum so unähnlich sind, dass sie nicht nur von unserem Universum leicht verschiedene Konstanten besitzen, sondern sogar komplett verschiedene Teilchen (und damit auch Wechselwirkungen zwischen diesen Teilchen), die aber dennoch komplexe Strukturen bilden, die der Selbstreferenz fähig sind. Diese Strukturen würden kaum Ähnlichkeiten mit dem Leben, wie wir es kennen, aufweisen, sie würden aber ebenso wie der (selbstbewusste) Mensch selbst-referenzielle Systeme darstellen.

Anthropisches Prinzip und unendliche Universen

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Ist das Universum unendlich, oder gibt es unendlich viele Universen, vielleicht auch mit anderen Naturkonstanten oder gar anderen Naturgesetzen, dann muss jeder physikalisch mögliche Vorgang unendlich oft vorkommen, sei seine Wahrscheinlichkeit bezogen auf das sichtbare Universum auch noch so gering. Beispielsweise wäre die Entstehung von (intelligentem) Leben zwangsläufig, egal wie unwahrscheinlich einige Entwicklungsstufen gewesen wären.

Kritisiert wird, dass diese Argumentation spekulativ sei; von einem radikalen positivistischen Standpunkt aus ist es nicht sinnvoll, aus einer nichtverifizierbaren Eigenschaft des Universums wie „Unendlichkeit“ Schlussfolgerungen zu ziehen, da solche Eigenschaften als metaphysisch und transzendent abgelehnt werden. In der heutigen analytischen Philosophie hingegen sind solche transzendenten Größen durchaus erlaubt, solange sie in einer empirischen Theorie eine Rolle spielen, die insgesamt prüfbare (falsifizierbare) Voraussagen liefert. Theistische Welterklärungsversuche, die unauflöslich spekulativ-transzendente Vorstellungen beinhalten, können die obige Argumentation ohnehin nicht aus diesem Grund ablehnen, ohne inkonsistent zu sein.

Anthropisches Prinzip und Stringtheorie

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Die Stringtheorie besagt, dass es eine große Anzahl von möglichen Universen mit verschiedenen Bedingungen geben könnte: Multiversum-Hypothese. Einige Physiker sehen in dieser Erkenntnis das anthropische Prinzip bestätigt, da somit mehrere Universen möglich sind, in denen kein intelligentes Leben existieren kann und daher nie bewusste Beobachter sich Fragen über deren Eigenschaften stellen werden. Andere Physiker sehen in der Multiversum-Hypothese eine Alternative zur teleologischen Interpretation des anthropischen Prinzips, aus der religiöse Fundamentalisten die Notwendigkeit eines Schöpferwesens ableiten. Dabei gibt es die Intention, als Unwahrscheinlichkeiten empfundene Gegebenheiten in der Kosmologie durch Selektionseffekte zu erklären. Beispielsweise kann in einem unendlichen Universum mit räumlich variierenden physikalischen Konstanten ein Beobachter nur in solchen Bereichen existieren, und deshalb lokal nur solche Bereiche beobachten, in welchen diese Konstanten bewusstes Leben zulassen.

Der Entwicklungsstand der Stringtheorie bis 2013 beinhaltet die Möglichkeit bis Wahrscheinlichkeit des Nebeneinander-Existierens sehr vieler naturgesetzlich verschiedener Universen (typische Schätzungen nennen die astronomische Zahl von ca. 10500). Sollte sich diese noch spekulative Möglichkeit erhärten, wäre dies ein starkes Argument für die Aussage, eine dieser vielen Welten sei zufällig „lebensfreundlich“.[9]

Siehe auch

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Literatur

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Wiktionary: Anthropisch – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Es wurde jedoch bereits früher angewandt, so schrieb z. B. 1957 Robert Henry Dicke: »Das ›momentane‹ Alter des Universums ist nicht zufällig, sondern wird bestimmt durch biologische Faktoren … [Veränderungen an den Werten fundamentaler physikalischer Konstanten] würden von vornherein die Existenz von Menschen ausschließen, die über das Problem nachdenken könnten.« (R. H. Dicke, Principle of Equivalence and Weak Interactions, Rev. Mod. Phys. 29, S. 355, 1957.) Als einer der bedeutendsten Vordenker des teleologisch interpretierten anthropischen Prinzips gilt Lawrence J. Henderson mit seinen Büchern The Fitness of the Environment (1913) (dt. Titel Die Umwelt des Lebens, 1914) und The Order of Nature (1917). Der Agnostiker Henderson, der religiöse Betrachtungen generell ablehnte, schlussfolgerte 1913 aus seiner biochemischen Analyse, dass das Universum in seinem eigentlichen Wesen biozentrisch sei. Seiner Meinung sind die Naturgesetze so beschaffen, dass das Universum praktisch auf die Entwicklung von Leben hin ausgerichtet ist. Noch frühere Darstellungen des Prinzips können in Alfred Russel Wallaces Buch Man's Place in the Universe gefunden werden, welches erstmals 1903 veröffentlicht wurde. Zum Beispiel: »Ein derart gewaltiges und komplexes Universum wie das, von dem wir wissen, dass es um uns herum existiert, könnte unbedingt notwendig sein … um eine Welt hervorzubringen, die genauestens an jedes Detail zur ordentlichen Entwicklung des im Menschen gipfelnden Lebens angepasst sein sollte.« (S. 256–257 in der Ausgabe von 1912).
  2. aus B. Carter: „Large Number Coincidences and the Anthropic Principle in Cosmology“ IAUS 63 (1974) 291 übersetzt
  3. a b Richard J. Gott: Implications of the Copernican principle for our future prospects, Nature, vol. 363, S. 315 (1993), online (Memento vom 18. April 2013 im Internet Archive) (PDF; 668 kB)
  4. J. Wheeler in The nature of scientific discovery. Owen Gingerich (editor) Washington Smithsonian Press, 1975; J. Wheeler in Foundational Problems in special Sciences R. E. Butts, J. Hintikka (editors) Dordrecht, Reidel
  5. J. Earman: The SAP also rises: a critical examination of the anthropic principle, Philosophical Quarterly 24(4), 307 (1987)
  6. George F. R. Ellis, Geoffrey Brian Brundrit: Life in the infinite universe. Royal Astronomical Society, Quarterly Journal, 20, 37–41 (1979), bibcode:1979QJRAS..20...37E.
  7. B. Carter: The anthropic principle and its implications for biological evolution. Phil. Trans. R. Soc. Lond. A 310, 347–363 (1983)
  8. A. Feoli, S. Rampone: Is the Strong Anthropic Principle Too Weak, 1999
  9. Rüdiger Vaas: in Bild der Wissenschaft, Heft 5/2013, S. 54.