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Jean-Philippe Toussaint

belgischer Schriftsteller und Regisseur

Jean-Philippe Toussaint (* 29. November 1957 in Brüssel) ist ein belgischer Schriftsteller und Regisseur.

Jean-Philippe Toussaint, 2010

.

Jean-Philippe Toussaint wurde als Sohn des Journalisten Yvon Toussaint und der Buchhändlerin Monique Lanskoronskis geboren. Ab 1971 lebte er in Paris. 1973 errang er in Cannes den Juniorweltmeistertitel im Scrabble. 1978 erhielt er ein Diplom am Institut d’études politiques de Paris, ein Jahr später sein DEA (Diplome d'études approfondies) in Neuerer Geschichte. Bereits während seiner Studienzeit begann er zu schreiben. Er verfasste ein Theaterstück und in Zusammenarbeit mit einem Freund einen Roman, sowie einen weiteren Roman, den er Alain Robbe-Grillet zukommen ließ, der jedoch nie veröffentlicht wurde.

Um dem Militärdienst zu entgehen, bewarb er sich um eine Stelle als Französischlehrer in Médéa (Algerien) und übte diese Tätigkeit von 1982 bis 1984 aus. 1983 heiratete er Madeleine Santandréa;[1] aus ihrer Ehe gingen ein Sohn und eine Tochter hervor. Während seiner Zeit in Médéa schrieb er den Roman La salle de bain, der zunächst von mehreren Verlagen abgelehnt wurde. Geringe Hoffnung machte Toussaint sich bei den Éditions de Minuit, weil ihm dieser Verlag als „franchement trop intellectuelle“[2] („offen gesagt zu intellektuell“) erschien. Aber gerade der Verleger der Éditions de Minuit, Jérôme Lindon, war es, der sich ein paar Monate nach Einsendung des Manuskripts bei Toussaint meldete und für eine Veröffentlichung von La salle de bain 1985 sorgte.[3] Später wurde dieser und weitere Romane vom Verlag als „romans impassibles“ (unberührte, unbeirrbare Romane) bezeichnet, die eine neue Richtung des Verlagsprogramms begründeten.[4]

1986 folgte der Roman Monsieur. 1987 verfasste er zusammen mit John Lvoff das Drehbuch zu La salle de bain, der bei dessen Verfilmung auch die Regie übernahm. Zwei Jahre später erschien L'appareil-photo, in etwa zeitgleich mit der Verfilmung von Monsieur, bei der Toussaint erstmals selbst Regie führte. 1990 verbrachte er auf Einladung der Villa Médicis Hors les Murs einige Monate in Madrid, wo er an dem Roman La Réticence arbeitete, der 1991 herauskam. 1992 verfilmte er seinen Roman L'appareil-photo unter dem Titel La Sévillane. Im folgenden Jahr wurde er vom DAAD für einen einjährigen Aufenthalt nach Berlin eingeladen, wo er den Film Berlin 10H46 realisierte und die Arbeit an dem Roman La télévision aufnahm. 1995 verfilmte Toussaint sein bis dahin unveröffentlichtes Drehbuch La Patinoire, die Dreharbeiten wurden live im Internet übertragen. 1996 folgte er einer Einladung der Villa Kujoyama nach Kyōto zu einem längeren Aufenthalt, 1997 erschien sein Roman La télévision. Im Jahre 2000 veröffentlichte Toussaint sein „Reisebuch“ Autoportrait (à l'ètranger). Der 2002 erschienene Roman Faire l'Amour wurde in Frankreich ein Bestseller. 2006 erhielt Toussaint für den Roman Fuir einen der wichtigsten Literaturpreise Frankreichs, den „Prix Médicis“. Faire l'Amour, Fuir, La vérité sur Marie und Nue bilden einen vierteiligen Romanzyklus, in dessen Mittelpunkt das Verhältnis des Erzählers zur Modeschöpferin Marie Madeleine Marguerite de Montalte steht. Orte der Handlung sind Paris, Städte in Japan und China sowie die Insel Elba.[5] Einen weiteren Romanzyklus, von dem bisher – Stand: Oktober 2020 – zwei Bände vorliegen, hat Toussaint 2019 mit La clé USB (Der USB-Stick) begonnen. Protagonist ist diesmal der für die Europäische Kommission in Brüssel arbeitende Jean Detrez. 2020 erschien die Fortsetzung Les Émotions (Die Gefühle), wieder mit Jean Detrez.[6]

In seinem Essayband Die Dringlichkeit und die Geduld schildert Toussaint seine Entwicklung als Schriftsteller und seine Lektüre. Das Buch stand auf Platz 1 der SWR-Bestenliste und erhielt in Deutschland überwiegend sehr positive Kritiken.[7]

Neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller und Regisseur hat Toussaint mittlerweile auch in mehreren Ausstellungen (vor allem in Japan und Frankreich) sein fotografisches Werk präsentiert. Er lebt in seiner Geburtsstadt und auf der Insel Korsika. Die Filmproduzentin Anne-Dominique Toussaint ist seine Schwester, die in mehreren seiner Filme die Produktion übernahm.[8]

Alle Originalausgaben sind, wenn nicht in Einzelfällen anders angegeben, erschienen bei den Éditions de Minuit, Paris.

  • La salle de bain. Roman, 1985.
  • Monsieur. Roman, 1986.
  • L'appareil-photo. Roman, 1988.
    • Der Photoapparat. Übers. Joachim Unseld, Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-627-00128-1
  • La réticence. Roman, 1991.
  • La télévision. Roman, 1997.
  • Autoportrait (à l´Étranger). Reiseberichte, 1999.
    • Selbstporträt (in der Fremde). Übers. Bernd Schwibs. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-627-00083-8.
  • Faire l'amour. Roman, 2002.
    • Sich lieben. Übers. Bernd Schwibs. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-627-00107-9
  • Fuir. Roman, 2005.
  • La mélancolie de Zidane. Essay, 2006.
    • Zidanes Melancholie. Übers. Joachim Unseld. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-627-00141-4
  • La vérité sur Marie. Roman, 2009.
    • Die Wahrheit über Marie. Übers. Joachim Unseld. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-627-00167-4
  • L'urgence et la patience. Essays, 2012.
    • Die Dringlichkeit und die Geduld. Übers. Joachim Unseld. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2012, ISBN 978-3-627-00186-5
  • La Main et le Regard. Essay und Fotografien zur Ausstellung Livre/Louvre im Louvre, Éditions Le Passage, Paris 2012.
  • Nue. Roman, 2013.
  • Football. Essays, 2015.
  • M.M.M.M. Romantetralogie, mit Faire l’amour, Fuir, La vérité sur Marie und Nue in einem Band. Die deutsche Fassung mit den gleichen Übersetzern. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2017
  • Made in China. Reisebericht, 2017.
  • La clé USB. Roman, 2019.
    • Der USB-Stick. Übers. Joachim Unseld. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2020, ISBN 978-3-627-00273-2
  • Les Émotions. Roman, 2020.
    • Die Gefühle. Übers. Joachim Unseld. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2021, ISBN 978-3-627-00287-9
  • C'est vous l'écrivain. Le Robert, Paris 2022, ISBN 978-2-321-01678-6
  • L'Échiquier. Autobiographische Aufzeichnungen, 2023.
    • Das Schachbrett. Übers. Joachim Unseld. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2024, ISBN 978-3-627-00318-0

Kurzprosa

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Als Übersetzer

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  • Stefan Zweig: Échecs. Les Éditions de Minuit, Paris 2023
  • 1989: La salle de bain (Drehbuch)
  • 1990: Monsieur (Drehbuch und Regie)
  • 1992: La Sevillane (Drehbuch und Regie)
  • 1994: Berlin, 10:46 (Drehbuch, Regie – gemeinsam mit Torsten C. Fischer – und Darsteller)
  • 1998: La Patinoire (Drehbuch und Regie)
  • 2008: Trois fragments de Fuir (Louvre, Chine, Elbe) (Drehbuch und Regie)
  • 2015: The Honey Dress (Drehbuch und Regie)

Auszeichnungen

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Literatur

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  • Ulrike Schneider: „Fluchtpunkte des Erzählens. Medialität und Narration in Jean-Philippe Toussaints Roman Fuir“, in: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 118 (2008), S. 141–161.
  • Ulrike Schneider: „'Basta avec moi maintenant': Konstruktionen eines Ich-Erzählers in der Tétralogie de Marie von Jean-Philippe Toussaint“, in: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 124 (2014), S. 22–41.
  • Olivier Bessard-Banquy: Le roman ludique. Jean Echenoz, Jean-Philippe Toussaint, Éric Chevillard. Presses Univ. de Septentrion, Lille 2003, ISBN 2-85939-782-5
  • Oliver Eberlen: Roman impassible. Der subversive und undogmatische Umgang mit Narration, Sprache, Realität und Zeit in den Romanen Jean-Philippe Toussaints und Patrick Devilles. Kovac, Hamburg 2002. (= Schriftenreihe Poetica, 64), ISBN 3-8300-0541-5
  • Kai Nonnenmacher: Zwei Betrachtungsweisen von Jean-Philippe Toussaint: Minimale Revisionen in ›Autoportrait (à l’étranger)‹. In: Mirko F. Schmidt (Hrsg.): Entre parenthèses: Beiträge zum Werk von Jean-Philippe Toussaint. Ed. Vigilia, Paderborn ISBN 3-8311-4767-1, S. 127–148
  • Kai Nonnenmacher: „Stillstand und Vollendung: Jean-Philippe Toussaint“, über „La disparition du paysage“ und „L’instant précis où Monet entre dans l’atelier“, Rentrée littéraire: französische Literatur der Gegenwart, 5. September 2022.
  • Mirko Schmidt: Jean-Philippe Toussaint – Erzählen und Verschweigen. Books on Demand, Paderborn 2001, ISBN 3-8311-1565-6
  • Mirko Schmidt (Hg.): Entre parenthèses. Beiträge zum Werk von Jean-Philippe Toussaint. Edition Vigilia, Paderborn 2003
  • Klaus Semsch: Die Selbstbildnisse Jean-Philippe Toussaints, in ders., Diskrete Helden. Strategien der Weltbegegnung in der romanischen Erzählliteratur ab 1980. Meidenbauer, München 2006, ISBN 3-89975-062-4, S. 137–178
  • Christian von Tschilschke: Roman und Film. Filmisches Schreiben im französischen Roman der Postavantgarde. Narr, Tübingen 2000 (= Mannheimer Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft; 46), ISBN 3-8233-5646-1
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Commons: Jean-Philippe Toussaint – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Uwe Lindemann: Jean-Philippe Toussaint – Biogramm. In: de.scribd.com. 1. März 2005, abgerufen am 9. Juni 2024.
  2. So die Formulierung von Toussaint im Gespräch mit Michèle Ammouche-Kremers, abgedruckt in: Jeunes Auteurs de Minuit, Editions Rodopi, Amsterdam 1994, ISBN 90-5183-544-2, S. 28.
  3. Siehe hierzu Toussaints Text Der Tag, an dem ich Jérôme Lindon begegnet bin; in: Die Dringlichkeit und die Geduld (s. Werke).
  4. Fieke Schoots: Das Zitat im Französischen Minuit-Roman der Achtziger Jahre. In: Klaus Beekmann, Ralf Grüttemeier (Hrsg.): Instrument Zitat. Brill, Leiden (NL) 2000, ISBN 978-90-420-0749-9, S. 188.
  5. Vierte Umschlagseite von Nue.
  6. Jean-Philippe Toussaint stellt seinen neuen Roman "Die Gefühle" (Les Émotions) vor. Institut français Frankfurt, 26. Oktober 2021, abgerufen am 22. November 2022.
  7. Dina Netz: Entspannte Miniaturen. In: Deutschlandfunk Kultur. 31. Januar 2013, abgerufen am 5. Juni 2024.
  8. Anne-Dominique Toussaint. In: IMDb. 2023, abgerufen am 19. November 2023 (englisch).
  9. Joachim Unseld: Urlaub vom Leben - eine französisch-österreichische «Parallelaktion». In: Neue Zürcher Zeitung. 24. September 2005, abgerufen am 8. Juni 2024. (Text des Übersetzers Joachim Unseld über die Bezüge von Toussaints Das Badezimmer zu Musils Der Mann ohne Eigenschaften.)
  10. Jean-Philippe Toussaint: L’île des anamorphoses. In: jptoussaint.com. Abgerufen am 20. Juni 2024. – Erster Text des „Projekt Borges“, das sich beruft auf eine angeblich apokryphe gleichnamige Novelle von Jorge Luis Borges; in dem Projekt sind zahlreiche Erzählungen (in einigen Fällen zusätzlich in Übersetzungen) versammelt, die nur den Titel gemeinsam haben: Gesamtübersicht der Autoren (abgerufen am 20. Juni 2024).
  11. Jean-Philippe Toussaint (Übersetzung: Tobias Wildner): Die Insel der Anamorphosen. In: jptoussaint.com. Abgerufen am 20. Juni 2024. – Als Print erschienen in: die horen, No. 267, 2017, Den gegenwärtigen Zustand der Dinge festhalten – Zeitgenössische Literatur aus Frankreich, ISBN 978-3-8353-3121-1, S. 14–18.