Sozialpsychiatrie
Die Sozialpsychiatrie ist eine Arbeitsrichtung innerhalb der Psychiatrie, die sich mit sozialen Ursachen und Folgen psychischer Störungen beschäftigt.[1] Sie kann als sozialmedizinischer Zweig der Psychiatrie verstanden werden[2] und als Antwort auf Fragen der Antipsychiatrie. Schwerpunkt ist die Ursachenforschung, insbesondere die familiären und sozialen Beziehungen und die gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Bedingungen, sowie die daraus ableitbaren Therapien.
Arbeitsgebiete der Sozialpsychiatrie sind die Epidemiologie, die Soziotherapie, Versorgungs- und Rehabilitationseinrichtungen für psychisch Kranke und die sozialpsychiatrischen Dienste.[1]
Als Beginn der Sozialpsychiatrie betrachtet Asmus Finzen die Moralische Behandlung.[3] Damit verbunden ist auch die Frage der sogenannten Armen Irren.
Gemeindepsychiatrie
BearbeitenDie Gemeindepsychiatrie ist die praktische Anwendung der Sozialpsychiatrie im Sinne einer vernetzten psychiatrischen Versorgung in den Gemeinden, um die Ausgrenzung und eine institutionelle Unterbringung psychisch kranker Menschen zu vermeiden.[1] In einigen deutschen Bundesländern und in der Schweiz wird der Begriff Gemeindepsychiatrie als Synonym zu Sozialpsychiatrie verstanden.
Dazu werden gezählt:
- Psychiatrische Stationen an allgemeinen Krankenhäusern
- Psychiatrische Institutsambulanzen (PIA)
- Tageskliniken (teilstationäre Krankenhausbehandlung an psychiatrischen Kliniken oder Institutsambulanzen)
- Sozialpsychiatrische Dienste der Landkreise und Städte
- Tagesstätten (ohne ärztliche Versorgung)
- Home treatment[4][5][6] (ambulante Betreuung der Kliniken)
- Arbeitsangebote wie z. B. Werkstätten für behinderte Menschen
- weitere Arbeits- und Wiedereingliederungsangebote, z. B. Berufliche Integrationsmaßnahmen[7]
- Kontakt- und Beratungsstellen von freien Trägern
- Betreutes Wohnen (BeWo), auch Hilfe zum selbstständigen Wohnen genannt
- ambulante psychiatrische Pflege (APP)
Angebote wie Ergotherapie, Musiktherapie, Tanztherapie, Sport und Gespräche werden in den Tageskliniken und Tagesstätten angeboten. Das Persönliche Budget ist seit 2008 eine neue Form der Finanzierung. Menschen mit Behinderung erhalten Geld, um Hilfe- und Assistenzleistungen einzukaufen.
Die Gemeindepsychiatrie kann, wie auch die Antipsychiatriebewegung, als Antwort auf eine unzureichende Versorgung in großen psychiatrischen Anstalten verstanden werden.
In einigen Landkreisen und Städten haben sich „Gemeindepsychiatrische Zentren“ (GpZ) oder „Sozialpsychiatrische Zentren“ (SPZ) etabliert.[8][9] Gemeindenah werden hier verschiedene ambulante Hilfsangebote unter einem Dach zusammengefasst, zum Beispiel der Sozialpsychiatrische Dienst, Kontakt- und Beratungsstellen, Tagesstätten mit Arbeits- und Beschäftigungsangeboten, Betreutes Wohnen, Ambulante psychiatrische Pflege, Hilfen für Menschen im Alter und Hilfen für Kinder und Jugendliche psychisch kranker Eltern.[10][11]
Literatur
Bearbeiten- Martin Wollschläger (Hrsg.): Sozialpsychiatrie. Entwicklungen – Kontroversen – Perspektiven. Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie, Tübingen 2001, ISBN 3-87159-038-X.
- Jakob Christ: Erlebte Sozialpsychiatrie. Von amerikanischen Anfängen und europäischen Traditionen. Psychiatrie-Verlag, Bonn 2002, ISBN 978-3-88414-302-5.
- Michael Konrad, Sabine Schock, Joachim Jäger: Dezentrale Heimversorgung in der Sozialpsychiatrie. Psychiatrie-Verlag, Bonn 2006, ISBN 978-3-88414-411-4.
- Matthias Krisor: Aufgehoben in der Gemeinde. Entwicklung und Verankerung einer offenen Psychiatrie. Psychiatrie-Verlag, Bonn 2005, ISBN 978-3-88414-387-2.
- Bernhardt Schwarz, Klaus Weise, Achim Thom (Hrsg.): Sozialpsychiatrie in der sozialistischen Gesellschaft. Thieme, Leipzig 1971, DNB 458178942.
- Betroffeneninitiative Durchblick/Sächsische Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (Hrsg.): Von den Rodewischer Thesen zum Gemeindepsychiatrischen Verbund. In: Symptom. Leipziger Beiträge zu Psychiatrie und Verrücktheit. Nr. 5, Leipzig 2000, ISSN 0944-5161 (Zu sozialpsychiatrischen Ansätzen in der DDR).
Siehe auch
BearbeitenWeblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ a b c Pschyrembel (Hrsg.): Klinisches Wörterbuch. 266. Auflage. 2014.
- ↑ Rudolf Degkwitz et al. (Hrsg.): Psychisch krank; Einführung in die Psychiatrie für das klinische Studium. Urban & Schwarzenberg, München 1982, ISBN 3-541-09911-9; S. 431 ff., insbes. S. 441
- ↑ Asmus Finzen: Das Pinelsche Pendel. Die Dimension des Sozialen im Zeitalter der biologischen Psychiatrie. 1. Auflage. Edition Das Narrenschiff im Psychiatrie-Verlag, Bonn 1998, ISBN 3-88414-287-9, S. 11 ff.
- ↑ Folienvortrag Home treatment (PDF; 1,4 MB)
- ↑ Folienvortrag Das mobile Krisenteam in der Psychiatrie (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Mai 2019. Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (PDF)
- ↑ Krisenpension – Außenstationäre Krisenbegleitung
- ↑ Berufliche Integrationsmaßnahme BIMA ( des vom 24. Dezember 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ schwerpunktmäßig im Zuständigkeitsbereich des Landschaftsverbandes Rheinland, siehe Liste der SPZ im Rheinland (PDF; 165 kB)
- ↑ Sozialpsychiatrische Zentren (SPZ). Landschaftsverband Rheinland (LVR), abgerufen am 6. Juni 2015.
- ↑ LVR-Dezernat Klinikverbund und Verbund Heilpädagogischer Hilfen: LVR-Fachbereich Planung, Qualitäts- und Innovationsmanagement: Grundsätze des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) zur Förderung von Sozialpsychiatrischen Zentren (SPZ). Landschaftsverband Rheinland (LVR), abgerufen am 6. Juni 2015.
- ↑ Beispiel Köln: psychiatrie-koeln.de