“Nichts ist gefährlicher als eine Idee, wenn sie unsere einzige ist“
Über Technik und deren Sicherheit wird viel geredet - zuletzt angesichts der tragischen
Ereignisse in Japan. Anlagen, Geräte und technische Prozesse sollen sicher sein. Dazu gibt es
Zertifizierungen, Stresstests, Technikfolgenabschätzungen, Überwachungsvereine und vieles
mehr. Was dabei oft nicht beachtet wird: auch die Menschen in Organisationen müssen sicher
handeln, ganz besonders die in den Führungspositionen. Die reflexartigen Reaktionen auf
katastrophale Ereignisse aber verdeutlichen: es herrscht eine Logik des Misslingens. Die
Triebfedern dieser Logik sind uns gut bekannt. Magische Hypothesen (das geht nur so!)
vermitteln vermeintliche Sicherheit und verengen das Blickfeld. Einzelne Erfahrungen werden
zu schnell generalisiert (das hat im Projekt X auch funktioniert).
In seinem Impulsvortrag zeigt Olaf Hinz
- am Beispiel der Katastrophen in Tschernobyl und Überlingen, wie mächtig die Logik des
Misslingens ist,
- wie Führungskräfte das Unerwartete managen können,
- warum in Krisen Heldentum tapfer aber nicht klug ist und
- welche Haltung ManagerInnen zukünftig brauchen, um auch unter Unsicherheit und Druck
entscheidungsfähig zu bleiben
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Fuehrung in Extremsituationen
1. Wie führt man
in extremen
Situationen?
Lernen vom Management
hochzuverlässiger Organisationen
0 HRO-FÜHRUNG HINZ-WIRKT.DE
2. Hochzuverlässigkeit
Hochzuverlässig nennt man
Organisationen wie z.B.
Atomkraftwerke, Flugzeugträger,
Chemieunternehmen oder
Krankenhäuser also Bereiche in
denen „nichts passieren darf“
Deren Haltung im Umgang mit dem Unerwarteten/ Extremsituationen :
1. Sie sehen sich als komplex-unberechenbares System, und nicht
als kompliziert-beherrschbar.
2. „Mensch“ ist nicht primär eine Quelle für Fehler, sondern seine
Wahrnehmungen sind die wertvollste Information
1 HRO-FÜHRUNG HINZ-WIRKT.DE
4. Verfahrenstechnik
• Verfahrenstechnik (Wikipedia) ist die
Ingenieurwissenschaft, die sich mit der
technischen und wirtschaftlichen Durchführung
aller Prozesse, in denen Stoffe nach Art,
Eigenschaft und Zusammensetzung verändert
werden, beschäftigt.
Ein derart gestalteter Prozess ist berechenbar
und automatisierbar.
• Personen haben die Aufgabe der Überwachung
und des Eingriffes, wenn Abweichungen
auftreten.
Wie führt man Mitarbeiter, z.B. in
einem Kraftwerk oder Raffinerie,
angesichts dieser Rahmenbedingung?
3 HRO-FÜHRUNG HINZ-WIRKT.DE
5. Führen und Hochzuverlässigkeit
Führen = Entscheidung unter Risiko/ Unsicherheit
Ein verändertes Führungsverständnis im Umgang mit
dem Unerwarteten:
• Für Führung besteht die Herausforderung in
„augenblicklicher Sinnstiftung“ und nicht
darin, „richtige“ Entscheidungen zu treffen.
[P.S.: situative Führung ist etwas ganz anderes]
• Typische Führungsthemen wie
Dezentral vs. Zentral,
Standardisierung vs. Innovation,
Effizienz vs. Nachhaltigkeit,
werden balanciert und nicht einseitig
entscheiden.
4 HRO-FÜHRUNG HINZ-WIRKT.DE
7. Das Unerwartete managen
• Menschen können im allgemeinen nicht gut mit
Unerwartetem umgehen.
Dies gilt wohl in besonderem Maße für
Führungskräfte deren fachliche Sozialisierung in
verfahrenstechnisch (= berechenbare und
beschreibbare Prozesse) geprägten
Organisationen stattfindet.
• typische Reaktionen in unerwarteten
Situationen sind (vor)schnelles Agieren,
autoritärer hierarchischer Durchgriff, hektisches
Multitasking oder „Totstellen“.
…aber in einem Kraftwerk oder einer chemischen
Produktionsanlage würden solche typischen Reaktionen
in die „Katastrophe“ führen…
6 HRO-FÜHRUNG HINZ-WIRKT.DE
8. Video
Ausschnitt aus der Dokumentation:
Minuten der Entscheidung
8 HRO-FÜHRUNG HINZ-WIRKT.DE
9. Die letzten Minuten vor Tschernobyl
zeigen typische Reaktionen:
• autoritärer Durchgriff und
Imponiergehabe vom diensthabendem
Chefingenieur gegenüber Schichtleiter und
Reaktorfahrer
• persönliche Zuschreibungen (alle
inkompetent) statt Prozesskontrolle
(Entwicklung der Reaktorleistung)
• magische Hypothesen (ein Reaktor macht
keine Fehler, nur Menschen machen
welche)
• hektisches Multitasking (helfen sie dem
Vollidioten gefälligst) statt
Ursachenanalyse im Team
• …..
9 HRO-FÜHRUNG HINZ-WIRKT.DE
9
10. …denn es herrscht die Logik des Misslingens
(D. Dörner)
• vorgeprägte Einstellungen: es werden die Themen bearbeitet, die man sowieso
schon kennt
• Momentanextrapolation: Es wird von jetzt auf morgen geschlossen.
„Die beste Prognose ist der Trend“
• Die Zentralidee: alles hängt von einer zentralen Variable ab!
• Kurzfristigkeit: Aus der Beobachtung: es tut sich ja nichts wird die
Feststellung: es wird nichts!
• Mächtiger Friktionismus: Das haben wir schon oft versucht – das geht hier
nicht!
• magische Hypothesen: Das muss einfach funktionieren, das kann gar nicht
anders sein!
• Generalisierung lokaler Erfahrung: Wir haben das doch schon mit Erfolg
gemacht!
• ad hoc Aktivität: Es ist genug Arbeit da – lass uns anfangen, statt zu überlegen
... bloß keine Uneindeutigkeit aushalten müssen
10 HRO-FÜHRUNG HINZ-WIRKT.DE
11. Achtsames Management durchbricht Typisches
Unternehmen, die „hochzuverlässig“ sind, d.h.
eine geringe Rate an Missgeschicken und
Unfällen verzeichnen wollen, sind „achtsam“!
Kennzeichen solcher Organisationen und ihrer
Führung ist (siehe Handout):
– Die Konzentration auf (kleine) Fehler
– Die Abneigung gegen vereinfachende
Interpretationen
– Die Sensibilität für betriebliche Abläufe
– Das Streben nach Flexibilität
– Der Respekt vor fachlichem Wissen und
Können
11 HRO-FÜHRUNG HINZ-WIRKT.DE
12. ..statt Managementhelden großzuziehen
• Sie opfern sich zum Wohle der Aufgabe an der
Schnittstelle auf, in dem sie persönlich die
Brücke bilden.
Der Graben bleibt
• Sie versuchen sich durch persönliche
Kommunikation überall direkt abzusichern
bzw. machen fast alles gleich selbst.
Statt das Fehlen von Steuerungs-
einfluss, Unterschriftenbefugnis, oder
Entscheidungsmacht zu thematisieren
• Sie erfinden das Rad neu
Statt nicht funktionale Prozesse und
Tools offenzulegen
Helden „machen“, organisieren, schaffen weg, bringen zu
Ende
12 HRO-FÜHRUNG HINZ-WIRKT.DE
13. Achtsame Führungskräfte brauchen kein Heldentum
• Sie arbeiten ständig mit einer wachen
Selbstbeobachtung, welche Informationen Sie als
unwesentlich abtun und welche Ereignisse sie
immer in eine bestimmte „Schublade“ einordnen
eigene Muster erkennen
• Sie achten genau darauf, wie sich die eigenen
Erwartungen auf die Wahrnehmung auswirken
selbsterfüllende Prophezeiungen
• Sie überprüfen regelmäßig, ob Ihre
Bewertungskriterien und Maßstäbe noch aktuell
sind, um stets sinnvolle Handlungsalternativen
ableiten zu können
wenn man nur einen Hammer hat,
besteht die ganze Welt aus Nägeln
13 HRO-FÜHRUNG HINZ-WIRKT.DE
13
14. ..denn Heldentum denkt in alten Kategorien
• Führung & Management ist keine
Ingenieurskunst, sondern ein sozialer
Prozess.
Gegenläufige Interessen sind zu erwarten!
• Zu leiten bedeutet, „da kommt immer
noch etwas nach“.
Komplexität herrscht, d.h.
Rückkopplungen und nicht vorhersehbare
Ereignisse bestimmen das Feld mit!
• Pläne sind notwendig, um absichtsvolles
Handeln zu strukturieren,
ABER
wer in Unsicherheit wirksam führt, trifft
unentscheidbare Entscheidungen
14 HRO-FÜHRUNG HINZ-WIRKT.DE
15. Management jenseits der Zertifizierung
• Verdacht schöpfen, wenn vermeintlich sichere IT-Lösungen oder
fehlerlose Verfahrenstechnik präsentiert werden.
• Wer in risikoreichen Situationen führen will, hat nur Erfolg, wenn er
Unsicherheit aushält und dafür sorgt, dass die Aufmerksamkeit der
gesamten Organisation durch ständige Konfrontation mit
Grenzerfahrungen hoch bleibt.
• Nur wer genau darauf achtet, wie sich die eigenen Erwartungen auf die
Wahrnehmung auswirken und so seine typischen Muster (Logik des
Misslingens) kontrollieren lernt, kann sich aus der
„Beherrschbarkeitsdenke“ der gängigen Mangementschulen befreien.
• Jeder soll sich über gelungene Heldentaten freuen.
Führungskräfte, denen an einer Organisationsentwicklung gelegen ist,
überprüfen dann aber die Struktur und fragen warum Heldenmut
überhaupt nötig war.
15 HRO-FÜHRUNG HINZ-WIRKT.DE
16. Transformation des Führungsparadigmas
weg vom Pläne exekutieren hin zum Entscheiden des
Unentscheidbaren
Kompliziertes richtig managen Komplexes sinnvoll führen
Motivation durch Motivation durch Sinn & Zusammenhang
Bedürfnisbefriedigung
Arbeitszeit Leistungszeit
durchsetzen (delivering) steuern (enabeling)
Teams entwickeln Gruppendynamik nutzen &
Selbstorganisation ermöglichen
Stellenbeschreibung erfüllen ausgehandelte Rolle ausfüllen
best practice & benchmark unterschiedliche Szenarien entwickeln
Seminare, Training, Coaching kollegiale Beratung, Supervision
16 HRO-FÜHRUNG HINZ-WIRKT.DE
17. Achtsamkeit kann gelernt werden
• durch klare, anerkannte und trainierte Methoden der Abweichungs- und
Fehleranalyse, die immer im internen Team und nie allein oder allein durch
Externe stattfindet
• Wie läuft eigentlich gerade ihr Strategieprozess ?
• durch Belohnung der Führungskräfte & Mitarbeiter, die sich und ihr Verhalten
beständig reflektieren (Simulationen, Workshops, kollegiale Beratungen,
Training, Coaching,…), satt immer nur etwas „wegzuschaffen“.
• Fragt man sie nach der Fortbildung auch: „Wie war der Urlaub?“
• in einem Klima, dass Annahmen und Bewährtes beständig in Zweifel zieht und
das Bekanntwerden von Fehlern lobend hervorhebt.
• Hand auf Herz: bei ihnen auch?
• durch ein Führungs- und Entscheidungsverhalten, dass immer erst
unterschiedliche Hypothesen bildet und mehrere konkrete Alternativen
formuliert, bevor „endlich angefangen wird“
• ..oder doch wieder das lineare Modell: mach mal eben so wie immer!
17 HRO-FÜHRUNG HINZ-WIRKT.DE
19. Kontakt
Olaf Hinz
Hinz. Wirkt!
Poststraße 33, 20354 Hamburg
Telefon: 040/ 35085889
Internet: www.hinz-wirkt.de
Email: oh@hinz-wirkt.de
19 HRO-FÜHRUNG HINZ-WIRKT.DE
20. wirksame Führung
in unerwarteten
Situationen
Achtsame Führungskräfte,
sind sehr konzentriert auf Fehler, vor
allem die „kleinen“. Denn jede Ab-
weichung kann Symptom dafür sein,
dass mit dem gesamten System et-
was nicht in Ordnung ist.
Wer hochzuverlässige Organisationen fördern Grenzgänger, die Vielfalt und
steuern will, für den heißt es, sich auf eine gesunde Skepsis in ihrem Team.
das Unvermeidliche vorzubereiten und Denn Homogenität kann dann fatal
das Nichtbeherrschbare zu beherr- werden, wenn sich vereinfachende
schen. Gefährlich ist der Versuch, im Interpretationen als „feste Tatsache“
Detail vorauszusehen, was passieren in der Gruppe etablieren und so blin-
wird – denn dieser Versuch unterstellt de Flecke und dysfunktionale Wahr-
ein Maß an Verstehen, das man in der nehmungsmuster entstehen.
komplexen Dynamik von Führung unter handeln eher situativ und beobach-
Unsicherheit nicht erreichen kann. Im ten sehr sensibel die täglichen be-
Gegenteil: Es entsteht dann der irrige trieblichen Abläufe. Sie wissen um die
Glaube, man habe – wenn der Plan Macht latenter Muster, wenn sich
nur gut genug sei – alles unter Kontrol- Routine einschleicht.
le.
Stattdessen benötigt die Führungskraft
eine Haltung, in der Flexibilität, gelas-
sene Reaktion, Erfahrung und der struk-
turierte Umgang mit Unvorhergesehe-
nem breiten Raum einnehmen. Nur
dann ist sie in der Lage, das
Unerwartete zu managen. Diese be-
sondere Herausforderung, die sich da-
hinter verbirgt, nennen Karl E. Weick
und Kathleen M. Sutcliffe „Achtsam-
keit“ und sagen: „Wenn Sie den Aus-
druck ‚das Unerwartete managen’ begreifen Fehler als typischen Teil ei-
etwas genauer betrachten, wird Ihnen ner ungewissen Welt. Sie sind doppelt
auffallen, dass sich das Wort ‚unerwar- flexibel, wenn sie diese Fehler einer-
tet’ auf etwas bereits Geschehenes seits frühzeitig entdecken und ande-
bezieht. Wenn Sie das Unerwartete rerseits das System durch improvisier-
managen, befinden Sie sich bereits im te Methoden immer wieder am Lau-
Hintertreffen. Sie sind mit etwas kon- fen halten. Sie simulieren laufend,
frontiert, das Sie nicht vorhergesehen was kommen könnte und üben re-
haben und das sich trotzdem ereignet gelmäßig, um ihre Firefighting Kom-
hat. Und um damit fertig zu werden, petenzen zu erhalten.
braucht man eine andere Grundein- achten fachliches Wissen und Kön-
stellung als für die Planung der Ge- nen höher als hierarchischen Rang.
schehnisse.“ (Weick, Sutcliffe [2007], S. Entscheidungen werden vor Ort ge-
82). troffen und „wandern“ zu dem Mit-
arbeiter mit der größten Kenntnis.
21. Die Logik des Misslingens brechen 1. Zielbildung
2. Hypothesenbildung und Informati-
Führungskräfte stehen besonderen An- onssammlung
forderungen gegenüber, die Ihr Ent- 3. Prognose und Vorausschau
scheidungsverhalten wesentlich er- 4. Planen und Entscheiden sowie
schweren: 5. Effektkontrolle und Reflexion
Komplexität: Als Entscheider müssen
Sie viele Variablen gleichzeitig be- Statt den einsamen, ranghohen Helden
obachten, die zudem noch mitei- zu inszenieren, nutzen wirksame Füh-
nander vernetzt sind. Dadurch ent- rungskräfte lieber die Kraft der Grup-
steht Ungewissheit über die Auswir- pendynamik.
kungen Ihrer Entscheidung. ______________________________________
Eigendynamik: Das Thema und sein
Umfeld entwickeln sich weiter, auch
wenn Sie nicht handeln. Dies zwingt
Sie dazu, die Aufgabe nicht nur in ih-
rem augenblicklichen Zustand, son-
dern auch in ihrer Entwicklungsten-
denz zu beobachten – und erzeugt
Zeitdruck für die Entscheidung, weil
die Situation morgen schon ganz an-
ders sein könnte.
Intransparenz der Situation: Viele Da-
ten, die für die Entscheidung not-
wendig wären, sind nicht oder nur in
grober Schätzung zugänglich.
Unkenntnis: In komplexen Situationen
ist es schlicht unmöglich zu wissen,
was genau vor sich geht – und wa-
rum die Dinge so passieren, wie man
meint, sie zu beobachten.
Vor diesem Hintergrund leuchtet ein,
dass Entscheidungen nach einem an-
deren Prozess ablaufen sollten als bis-
herige Wenn - Dann Muster es prägen.
Ein solcher Entscheidungsprozess sollte
in fünf Schritten und im Team ablaufen:
22. Seite 18 / Süddeutsche Zeitung Nr. 118
WIRTSCHAFT Montag, 23. Mai 2011
„Es ist unsinnig, drei
Zusteller durch eine
Straße zu schicken“
Post-Chef Frank Appel über seine Lust am
„guten Monopol“, seinen Wunsch nach höherem
Briefporto und die Vorbildwirkung japanischer
Autokonzerne für sein Unternehmen
Aus dem 40. Stock geht der Blick weit das ist unbestritten. Postminister und
über die Stadt, den Rhein und das Sieben- Postmanager anderer Länder kommen
gebirge. Direkt in einem Erker, die Fenster zu uns nach Bonn, um von uns zu lernen.
gehen bis zum Boden, steht eine rote
Lederliege, die Aussicht beeindruckt. Ap- SZ: Na ja, man hört in Deutschland
pel, 49, sagt, er benutze das Möbel fast immer wieder auch Klagen . . .
nie, Dekoration. Das Zimmer ganz oben im Appel: Die Kunden in Deutschland
futuristischen Post-Tower in Bonn hat er können sich auf die Post verlassen. Dafür
vor drei Jahren von Klaus Zumwinkel haben wir in den vergangenen Jahren vie-
übernommen und deutlich verkleinert. Ap- le Maßnahmen ergriffen. Wir haben für
pel hat weitere Büros für Mitarbeiter und Sortierung und Verteilung in modernste
einen Konferenzraum einrichten lassen. Technik investiert. Wir führen heute
Am Teppichboden kann man noch sehen, mehr als 13 000 Postfilialen erfolgreich
wie groß einst das Reich des Vorgängers mit privaten Partnern, wir haben mehr
war. Appel gibt sich betont bescheiden. als 100 000 Briefkästen.
SZ: Noch immer macht die Post mehr
als eine Milliarde Euro Gewinn allein im „Ich gehöre nicht zu den Mana-
Briefgeschäft. Reicht das nicht? gern, die sich selbst loben, wenn wieder sollte die Firma das „iPhone der
Das Montagsinterview Appel: Eine Milliarde Euro Gewinn ha-
ben wir uns mittelfristig zum Ziel ge-
es gut läuft, und alles auf andere
schieben, wenn es schlecht geht“:
Logistik“ sein. Was denn nun?
Appel: Der Toyota-Vergleich zielte
setzt. Diesen Betrag brauchen wir zum ei- Frank Appel, links im Bild mit darauf, dass wir so schlank wie der japa-
SZ: Herr Appel, sind Sie neidisch auf nen für kontinuierliche Investitionen in seinem Vorgänger Klaus Zumwin- nische Autobauer werden wollen. Die
Martin Blessing? Der Commerzbank- unser leistungsfähiges Netzwerk. Wir ha- kel, der nach einer Steueraffäre Voraussetzungen haben wir geschafft.
Chef freut sich, den Bund als Großaktio- ben in den vergangenen Jahren viel ge- zurücktrat und seither die Öffent- Nun wollen wir die vielfältigen Bedürf-
när los zu werden. Bei Ihnen hält der spart. Die Mitarbeiter haben zwei Null- lichkeit meidet. Fotos: ecopix, dpa nisse unserer Kunden aus einer Hand er-
Bund weiter 30 Prozent der Aktien, die runden hingenommen. Der Gewinn im füllen, so wie Apples Smart-Phone es tut.
Übermacht zeigt sich diese Woche wieder Briefgeschäft hat sich in nur drei Jahren
bei der Hauptversammlung. nahezu halbiert. Wenn wir jetzt die Porto- uns wieder voll auf das Geschäft konzen- SZ: Das klingt allgemein.
Appel: Eine solche Frage stellt sich für preise erhöhen würden, dann doch nicht, trieren, Kunde und Service stehen wie- Appel: Ein Beispiel: Wenn die Produk-
die Deutsche Post DHL gar nicht. Wir um den Profit zu maximieren, sondern der im Mittelpunkt. Im ersten Quartal te für einen großen Einzelhändler in
sind in einer anderen Lage: Wir kommen um den Status-quo und eine gute Infra- 2011 sind die Volumina im internationa- Deutschland aus China angeliefert wer-
sehr gut mit unserem Großaktionär aus. struktur zu erhalten. len Expressgeschäft bei uns zum ersten den, dann sollte DHL für die gesamte Ab-
Mal seit langem wieder stärker gewach- wicklung zuständig sein. Heute läuft das
SZ: Warten Sie insgeheim auf Signale, SZ: Die Deutsche Post hat bei Briefen sen als bei den Wettbewerbern. Das moti- noch sehr kompliziert über viele Zwi-
dass der Bund und die Staatsbank KfW in Deutschland einen Marktanteil von viert uns alle sehr. schenstufen. Auf dem Flughafen London-
ihre Anteile verkaufen wollen? 87 Prozent. Ist das ein natürliches, ein gu- Heathrow haben wir etwa die gesamte
Appel: Ich weiß von solchen Plänen tes Monopol? SZ: Die Post profitiert als Logistikkon- Belieferung der Shopping-Malls über-
nichts. Ich spreche mit der Bundesregie- Appel: Zunächst einmal: im Bereich zern mit dem Geschäft von DHL von der nommen. Die Lkw verschiedener Zuliefe-
rung auch nicht darüber. Wenn ich ent- der Geschäftsbriefe haben wir sehr wohl guten Weltkonjunktur. rer fahren nicht mehr ungeordnet die Lä-
sprechende Signale hätte, müsste ich als ernsthaften Wettbewerb und auch bei öf- Appel: Klar. Ich gehöre nicht zu den den an, sondern bringen die Ware zu-
Vorstandsvorsitzender das ja unseren an- fentlichen Ausschreibungen hängen die Managern, die sich selbst loben, wenn es nächst an unsere Sammelstelle beim Air-
deren Investoren sagen. Trauben für uns heute hoch. Dennoch ist gut läuft, und alles auf andere und die port. Wir stellen dann die weiteren Liefe-
es im Prinzip ökologisch und volkswirt- Zahlen geben wir aber – auch aus Wettbe- ren den Mitarbeitern, dass sie stolz auf Konjunktur schieben, wenn es schlecht rungen so zusammen, dass möglichst we-
SZ: Wünschen Sie sich nicht mehr un- schaftlich unsinnig, drei Zusteller jeden werbsgründen – nicht bekannt. sich sein können, weil sie auch mit die- läuft. In früheren Aufschwungzeiten ha- nige Fahrten entstehen. Es geht um mehr
ternehmerischen Freiraum? Tag durch dieselbe Straße zu schicken. sem neuen Produkt das Briefgeheimnis ben wir aber oft unterdurchschnittlich Effizienz, übrigens auch in Mega-Cities.
Appel: Der Staat hat bei der Deut- Wenn ein Markt schnell wächst, ist Wett- SZ: Läuft es so schleppend? schützen. Das ist eine wichtige Voraus- profitiert. Das ist jetzt endlich anders,
schen Post DHL zwei Rollen. Einerseits bewerb gut und sorgt für Innovationen. Appel: Wir haben hier in einem Pio- setzung für die Demokratie. Mangel an denn wir haben alle unsere Hausaufga- SZ: Was meinen Sie damit?
als Großaktionär, da gibt es keine Proble- Der Briefmarkt aber schrumpft, nirgend- niermarkt einen Brückenkopf gebildet. Vertraulichkeit durch das Verschicken ben gemacht. Wir sind stolz, dass wir im Appel: Schon heute ersticken große
me. Da fühlen wir uns sehr wohl. Zum an- wo auf der Welt gibt es hier großen Fort- Jetzt etabliert sich der E-Postbrief stetig von E-Mails ist eine Gefahr für uns alle. Ausland so gut dastehen Wir wachsen Metropolen im Verkehr. Warum sollen
deren setzt der Staat uns einen Rahmen. schritt durch Wettbewerb. Und das ganz als sicheres Kommunikations-Instru- weltweit schnell, gewinnen Marktantei- da weiter halbleere Lkw Waren anlie-
Die Regulierung des Postwesens hat Aus- sicher nicht etwa weil alle Post-Chefs die- ment für das digitale Zeitalter. Die Reso- SZ: Sie meinen, mit dem E-Postbrief le und sind überall dort präsent, wo das fern? Wir reden intensiv mit Stadtverwal-
wirkungen auf den Konzern, von der ser Welt ihren Job nicht richtig machen... nanz der Geschäftskunden auf den wären die Wikileaks-Enthüllungen zu Wachstum stark ist: in Asien, Lateiname- tungen und Regierungen, um den Trans-
Mehrwertsteuer auf Postdienstleistun- E-Postbrief ist gut. 62 Prozent der Deut- den US-Depeschen nicht passiert? rika, Afrika, im Mittlerer Osten. port zu bündeln, etwa in Kuala Lumpur,
gen über den Mindestlohn bis zur Libera- SZ: In Österreich wurde das Porto von schen kennen bereits das neue Produkt. Appel: Der Staat, Privatpersonen und Istanbul und Singapur. Da könnten wir
lisierung der Märkte. 55 Cent auf 62 Cent erhöht. Ein Vorbild? Dieses innovative Produkt tut auch unse- Firmen müssen Geheimnisse bewahren SZ: Warum sind Sie dann so zurückhal- mit unseren Konkurrenten unter wech-
Appel: Ich habe in den vergangenen rem Image gut. dürfen, solange sie nach den rechtlichen tend und erhöhen nicht die Prognose? selnder Verantwortung kooperieren.
SZ: Da haben Sie wenig Handlungs- Jahren ja auch ein bisschen was gelernt: Regeln spielen. In Washington höre ich Appel: Das DHL-Geschäft wird nach
spielraum. Wegen der staatlichen Regu- Solche Dinge unterliegen nach einem SZ: Entschuldigung, das klingt nicht immer wieder, dass Mitarbeiter der Re- unserer Planung in den kommenden Jah- Interview: Caspar Busse und
lierung können Sie zum Beispiel die Prei- festgelegten Verfahren der Entscheidung nach Euphorie. Es heißt, es seien nicht gierung ihren Job verloren haben, weil ren den Gewinn jedes Jahr um durch- Hans-Jürgen Jakobs
se für Briefporto nicht erhöhen. der Bundesnetzagentur und werden einmal 100 000 Kunden. vertrauliche E-Mails bekannt wurden. schnittlich 13 bis 15 Prozent erhöhen.
Appel: Das Porto für einen normalen nicht vorab über die Presse diskutiert. Appel: Bereits ein halbes Jahr nach Das ist schon sehr ehrgeizig.
Brief ist seit 14 Jahren nicht erhöht wor- Vom Ergebnis dieser Diskussion hängt dem Marktstart hatten sich mehr als eine SZ: Wäre es eigentlich eine gute Idee, Steckbrief
den. Es gibt auch derzeit kaum Spiel- tatsächlich viel ab. Die Bundesnetzagen- Million Deutsche als Kunden für den das Briefgeschäft abzuspalten, so wie es SZ: Wollen Sie mit DHL in großem
raum, den Preis zu erhöhen und wenn tur entscheidet mit über die Frage, ob E-Postbrief registrieren lassen. Jetzt der Konkurrent TNT praktiziert? Stil Unternehmen kaufen? Frank Appel, 49, studierte Chemie
das Preisfestsetzungsverfahren nicht ge- Deutschland auch in 20 Jahren noch ein schließen wir nach und nach Unterneh- Appel: Sie meinen, nachdem wir unse- Appel: Nein. Erstens brauchen wir das und promovierte in Neurobiologie.
ändert wird, auch 2012 nicht. Die Bun- modernes und leistungsfähiges Postnetz men an, die den E-Postbrief dann in ih- re Baustellen abgearbeitet und die Krise strategisch nicht. Zweitens: Selbst wenn Von 1993 bis 2000 war er bei der Be-
desnetzagentur müsste die Regelungen hat. Das ist ebenso wichtig wie der Schie- rer Kundenkommunikation einsetzen. erfolgreich bewältigt haben, sollten wir wir wollten, gibt es derzeit nichts auf ratungsfirma McKinsey. Dann wech-
ändern. Wir wissen nicht, ob sie das tut. nenverkehr, die Telekommunikation Der Erfolg kommt nicht über Nacht, den Konzern aufspalten und die Teile ver- dem Markt. Wir haben es im Expressge- selte er zur Deutschen Post, betreute
oder das Energienetz und lässt sich ange- aber der elektronische Brief wird als Teil kaufen? Nein, das machen wir nicht. Wir schäft nur noch mit UPS, Fedex und dort unter anderem dem Kauf von
SZ: Der Bund ist doch Ihr Großaktio- sichts des sinkenden Sendungsvolumens unseres digitalen Geschäfts künftig ein wollen das Briefgeschäft behalten, um TNT zu tun, da wäre eine Akquisition DHL und die Integration in den Kon-
när. Rechnen Sie intern nicht längst nicht alleine über den Wettbewerb lösen. Eckpfeiler des Brief-Bereichs sein. Wir nicht Unternehmenswert zu zerstören. nicht nur zu teuer, sondern kartellrecht- zern. Auch an den Vorbereitungen
durch, was eine Portoerhöhung bringt? investieren bis 2015 eine halbe Milliarde Würden wir den Konzern so umbauen, lich unmöglich. Im Frachtgeschäft sieht zum Börsengang war Appel beteiligt.
Appel: Es werden weniger Briefe ver- SZ: Seit einigen Monaten setzen Sie Euro in dieses Produkt. Und das Projekt wären wir auf Jahre mit uns selbst be- es kaum anders aus. Wir haben in den ver- Ende 2002 stieg er zum Vorstands-
schickt als früher, und der Wettbewerb auf das neue Produkt E-Postbrief, eine hat auch intern positive Auswirkungen. schäftigt, würden die Kunden aus dem gangenen Jahren auch nicht immer die mitglied auf, unter anderem zustän-
ist hart. Da ist doch klar, dass wir dar- Art versiegelte elektronische Mail. Wie Blick verlieren. Das hat uns in der Ver- besten Erfahrungen mit Großakquisitio- dig für Logistik. Als Klaus Zumwinkel
über nachdenken, ob die Art und Weise, fällt die erste Bilanz aus? SZ: Ein Aufmunterungsprogramm gangenheit genug aufgehalten. nen gemacht. Kleinere Zukäufe sind wei- im Februar 2008 nach Ermittlungen
wie die Preise festgelegt werden, noch Appel: Wir sind insgesamt zufrieden. fürs Personal? terhin denkbar, um unsere Fähigkeiten wegen Steuerhinterziehung zurück-
zeitgemäß ist. Unsere Portopreise sind Das Geschäft läuft an, da kann man Appel: Die Mitarbeiter sind motiviert SZ: Sie meinen die Aufräumarbeiten in Spezialgebieten auszubauen. trat, wurde Appel Vorstandschef. Er
im europäischen Vergleich niedrig – und nicht sofort große Umsätze erwarten. und sagen: Das Management, das wartet nach der Amtszeit Ihres Vorgängers ist verheiratet, hat zwei Kinder und
das bei der höchsten Qualität. Wir sind Die Anzahl der Privat- und Geschäfts- nicht, bis der letzte physische Brief ver- Klaus Zumwinkel. SZ: Öffentlich redeten Sie mal davon, fährt gerne mit dem Mountainbike im
die Schnellsten und die Zuverlässigsten, kunden steigt jedoch stetig an. Genaue schickt ist, sondern agiert. Und wir erklä- Appel: Seit Sommer 2009 können wir DHL sei der „Toyota der Logistik“, dann Siebengebirge. SZ
Seite 18 - Süddeutsche Zeitung Nr. 118 Montag 23.Mai 2011
D Forum
ie Katastrophe in Japan hat eine von der verführerischen Einfachheit ver- meldet. Sie wandern zum Mitarbeiter das ist wie die Weigerung, schlechtes
Debatte um die Sicherheit von leiten lassen, sondern muss diese Misslin- mit der besten aktuellen Kenntnis und Wetter hinzunehmen und statt dessen ge-
Atomkraftwerken ausgelöst. Die genslogik durchbrechen. So wird der nicht entlang der Statusmacht. gen den Sturm zu kämpfen. Der Versuch,
Führen in
Rede ist vor allem von der Technik; wie Chef-Operateur darauf achten, durch eine eigene Realität durchzusetzen –
so oft bei Unfällen und Schwierigkeiten routinierte Prozesse (Schere, Tupfer, …) Der Wunsch, der komplexen Welt mit „was geplant ist, muss auch eintreten“ –
werden Sicherheitsrisiken auf techni- die Zusammenarbeit im Operationssaal einer unfehlbaren Technik zu begegnen, kann nur enden wie Don Quijotes Kampf
scher Ebene gesucht und diskutiert. Da-
bei ist aus der Forschung längst bekannt,
dass die Sicherheitsverantwortung über-
extremen Situationen zu bestimmen, damit der Kopf frei und
das Team wach sind, um kleinste Andeu-
tungen von Ungewöhnlichem wahrzu-
ist zum Scheitern verurteilt – genau wie
der Versuch, bis ins Detail zu planen,
was geschehen wird. Denn dieses mecha-
gegen Windmühlen. Eine solche „Plan-
wirtschaft“ kann im Management nicht
aufgehen. Es gilt also, unbedingt Ver-
wiegend beim Menschen liegt, und zwar nehmen und darauf zu reagieren. nistische Verständnis wird der Wirklich- dacht zu schöpfen, wenn vermeintlich si-
insbesondere bei den Führungskräften. Warum in Hochrisiko-Organisationen nicht keit nicht gerecht. Und trotzdem ist chere IT-Lösungen oder fehlerlose Ver-
nur die Technik sicher sein muss Führungskräfte, die auch in extremen „planwirtschaftliches“ Denken weit ver- fahrenstechnik präsentiert werden.
Dies wird in der Diskussion um Stress- Situationen gut handeln, achten daher breitet, Überraschungen werden eher
tests, Genehmigungsverfahren und Erd- auf ein paar Prinzipien: Sie sind sehr kon- einem schlechten Plan zugeordnet denn Wer in risikoreichen Situationen füh-
Von Olaf Hinz
bebenwahrscheinlichkeiten nahezu aus- zentriert auf Abweichungen, auch mini- als übliches Lebensphänomen begriffen: ren will, hat nur Erfolg, wenn er Unsi-
geblendet. Die Führung einer hoch zuver- male. Denn jede noch so kleine Abwei- Jedes Quartal ist zu beobachten, wie Un- cherheit aushält und dafür sorgt, dass
lässigen Organisation – sei es ein Kraft- In einem hoch riskanten Umfeld wie Daneben vermitteln magische Hypo- chung kann Symptom dafür sein, dass ternehmen, die ihre Pläne korrigieren, die Aufmerksamkeit der Organisation
werk, eine Notaufnahme oder eine Che- diesem ist es wichtig zu erkennen, wel- thesen vermeintliche Sicherheit und ver- mit dem gesamten System etwas nicht in mit Kursabschlägen bestraft werden, durch ständige Konfrontation mit Grenz-
mieproduktion – stellt also ganz spezifi- che Ursachen ein Misslingen haben engen das Blickfeld. Etwa die Aussage Ordnung ist. Zudem fördern sie Minder- weil sie die Erwartungen nicht erfüllen. erfahrungen hoch bleibt. Der Weg dort-
sche Anforderungen an das Führungsver- kann. Grundlage dafür kann zum Bei- des Nobelpreisträgers Linus Pauling, täg- heiten, Vielfalt, Widerspruch und eine ge- hin führt nur über ständiges Hinterfra-
halten. Schon kleinste Fehler können spiel die „Logik des Misslingens“ sein, liche Vitamin C-Einnahme besiege Erkäl- sunde Skepsis im Team. Denn Homogeni- Ungewissheit nicht zu akzeptieren gen: Welche Verhaltensmuster rufe ich
hier Katastrophen auslösen. wie sie Dietrich Dörner beschreibt: So ist tungen, beuge Krebs vor und verlängere tät wird dann fatal, wenn sich vereinfa- und mit aller Kraft gegen sie vorzugehen, immer wieder ab, wenn ich es mit Uner-
immer wieder zu beobachten, wie einzel- sogar das Leben. „So muss es sein, so chende Interpretationen als Kaderden- wartetem zu tun habe? Welche typischen
So zum Beispiel der Chefarzt, der sich ne Erfahrungen zu schnell generalisiert funktioniert es“, andere Wege werden ken in der Gruppe etablieren. Schritte unternehme ich, wenn ich eine
auf einen komplexen chirurgischen Ein- werden. Die Aussage des Operateurs, gar nicht mehr untersucht, mögliche Olaf Hinz berät Situation nicht gut einschätzen kann?
griff vorbereitet: Er ist auf diese Aufgabe „diese Operation haben wir schon hun- Nachteile nicht hinterfragt. Ganz ähn- Bedachte Führungskräfte simulieren, Führungskräfte. Wie führe ich Mitarbeiter, wenn ich
durch lange Ausbildung und Operations- derte Male mit Erfolg durchgeführt“, lich verhält es sich mit vorgeprägten Ein- was kommen könnte und üben undenkba- Davor war er selbst den Weg nicht kenne?
erfahrung vorbereitet. Dadurch hat er mag dem Patienten Vertrauen geben. stellungen, die dazu verleiten, nur die re Situationen, um ihre Krisenreaktions- Büroleiter des
ein Niveau an Professionalität und Sou- Doch schon rein statistisch betrachtet Themen zu bearbeiten, die man ohnehin Kompetenz zu erhalten. In diesen Übun- früheren Wirt- Nur wer genau darauf achtet, wie sich
veränität erreicht, mit dem er auch müsste sie eher Besorgnis auslösen, denn kennt. Wer als einziges Werkzeug einen gen begrüßen sie Überforderung und schaftsministers die eigenen Erwartungen auf die Wahr-
schwierige Situationen bewältigt. Ge- das Risiko, dass der nächste Eingriff pro- Hammer besitzt, für den besteht die gan- Scheitern, weil sie so achtsam und neu- von Schleswig- nehmung auswirken und so die Logik des
fahr besteht dennoch, nämlich gerade in blematisch verläuft, steigt rein rechne- ze Welt aus Nägeln: dieses bekannte Bei- gierig bleiben. Und sie wertschätzen Holstein, Peer Misslingens kontrollieren lernt, kann
der unbewussten Routine, in der er viel- risch mit jeder gelungenen Operation. spiel verdeutlicht, wie Erfahrung schnell fachliches Wissen und Können und be- Steinbrück, und sich aus der Planwirtschaft der „Ma-
leicht ein Detail übersieht, was für den Und jede Routine verbirgt leicht den zum Abschottungsmechanismus wird. werten es höher als Rang und Status. Personal-Mana- cher“ befreien. Statt also einfach schnell
Patienten auch tödlich enden kann. Wie Blick auf Abweichungen, die womöglich Störfall-Entscheidungen in Kraftwer- ger bei der Lan- etwas wegzuschaffen, ist es an der Zeit,
kann der Chefarzt dieser Gefahr begeg- gerade bei diesem Patienten eine speziel- Wer in risikoreichen Situationen nun ken werden vor Ort auf der Warte getrof- desbank Kiel. Haltung zu entwickeln, um auch bei Unsi-
nen und seine Kompetenz erhalten? le Behandlung erfordern. wirksam führen will, der darf sich nicht fen und nicht die Hierarchie hinauf ge- Foto: privat cherheit entscheidungsfähig zu bleiben.
23. 18 | management
Fahrplan für flexible
Führung
MANAGEMENT DES UNGEWISSEN
Märkte brechen weg, Kunden wandern ab, Mitarbeiter gehen – im
Managementalltag ist nichts mehr sicher. Management bedeutet
heute: Führung in der Unsicherheit. Führungskräfte müssen ständig
mit Unkalkuliertem umgehen, alte Strategien über Bord werfen,
neue Pläne machen und dabei noch Sicherheit ausstrahlen. Geht das
überhaupt mit System? Olaf Hinz behauptet: Ja! managerSeminare
über die Frage, wie sich das Ungewisse planvoll managen lässt.*
* In der nächsten Ausgabe von managerSeminare lernen Sie im Artikel „Sicher ist sicher“ einen Ansatz kennen, mit dem Unternehmen das Unplanbare planen:
das HRO-Konzept.
managerSeminare | Heft 160 | Juli 2011
24. management | 19
Foto: iStockphoto.de
Preview: AIPläne aufgeben nach Plan: Wieso die chende Maß … Genauso hatte der Internet- dadurch, dass sich im Tagesgeschäft ein Kun-
zentrale Devise beim Management des Ungewissen Versandhändler Amazon sein Weihnachts- denwunsch ändert. Was sich viele Manager
nur scheinbar paradox ist AIFall aus der Praxis: Wie geschäft 2010 sicher anders vorgesehen und jedoch nicht ausreichend klarmachen: Die
ein Handelsunternehmen nach einem neuen Modell nicht damit gerechnet, durch koordinierte Unwägbarkeiten und plötzlichen Änderun-
Pläne macht AIUnentscheidbares entscheiden: Angriffe von Unterstützern eines ehemali- gen in ihrem Umfeld erfordern ein neues
Warum die Kategorien „richtig“ und „falsch“ für Füh- gen Geschäftspartners lahmgelegt zu wer- Verständnis von Planung. Von bisherigen
rungskräfte nicht mehr gelten AIOffenheit sticht den … Und sicher ging der Projektmanager Planungsmethoden, die auf Wiederholbar-
Starrheit: Wie erfolgreiche Manager des Ungewissen eines deutschen Anlagenbauers von einem keit, Skalierung und gesichertem Wissen
Ambiguitätstoleranz zeigen AIDas Unwägbare wäg- anderen Tagesablauf aus, als er eines Mor- beruhen, müssen sich Führungskräfte ver-
bar machen: Vier Regeln für Management und Füh- gens die Mitarbeiter seines wichtigsten abschieden.
rung in ungewissem Fahrwasser AIEine Frage der Unterlieferanten nicht mehr auf der Bau-
Haltung: Wie Führung in uneindeutigen Situationen stelle antraf. Erst nach zwei Tage dauernden Nur scheinbar paradox: Einen Plan
geübt werden kann Telefonaten stellte er fest: Die Firma war aufgeben per Plan
übers Wochenende in die Abwicklung
gegangen … Das bedeutet keineswegs, dass Manager
C Im Herbst 2010 hatte der irische Premier- Daraus wird ersichtlich: Allein auf die gleich ganz auf sorgfältige Pläne verzichten
minister seinen Auftritt beim Treffen der Effizienz und Produktivität geplanter Vor- können. Im Gegenteil: Erst eine gute Pla-
EU-Regierungschefs zur Rettung des Euro haben kann sich das Management heutzu- nung versetzt sie in die Lage, Unvorherge-
sicher anders geplant. Er musste über die tage nicht mehr konzentrieren. Vielmehr sehenes zu managen. Denn dann:
Liquidität seines Landes Auskunft geben müssen Manager heute mit Unkalkulierba- A kennen sie erstens den aktuellen Stand,
und ging ursprünglich davon aus: Eine rem umgehen, sich spontan auf neue Kon- A und haben zweitens ein Ziel festgelegt,
Angabe für die nächsten Monate würde rei- stellationen einstellen und – wenn es sein A sodass sie auf der Grundlage von erstens
chen. Auf Druck der Märkte aber war die muss – bisherige Pläne über Bord werfen. und zweitens beurteilen können, welche
Liquiditätsberechnung drastisch zu verkür- Unerwartetes begegnet ihnen überall, sei es Konsequenzen die überraschend eingetre-
zen – von Monaten auf das für Tage ausrei- durch besondere Vorfälle oder sei es nur tene Veränderung hat. A
managerSeminare | Heft 160 | Juli 2011
25. 20 | management
Mit anderen Worten: Planung nungsverantwortlichen klar, wie diese Ver- re Haltung. Erfolgreiche Manager des
ist notwendig, um eine Verände- änderung in den verabschiedeten Plankor- Ungewissen sehen der Komplexität ins Auge
rung überhaupt beurteilen zu ridor eingearbeitet wird. Das Unternehmen und machen sich klar, dass sie Änderungen
können und Reaktionen hierauf hat so die strukturellen Voraussetzungen als das annehmen können, was sie sind: eine
nicht der Beliebigkeit anheim- für das Management des Unsicheren Chance, besser zu werden. Sie haben sich
fallen zu lassen. Auch im schwers- geschaffen. vom starren „Geplant ist geplant“-Denken
ten Sturm wird ein Kapitän die Der strukturelle Rahmen allein reicht verabschiedet und wissen: Die alten Katego-
Steuerung und den Betrieb sei- indes nicht – die geschaffene Architektur rien „richtig“ und „falsch“ haben ihre Gül-
nes Schiffes nicht dem freien muss sich im Verhalten der Führungskräfte tigkeit verloren. Denn wie schon der Kon-
Spiel der Kräfte überlassen, denn und in ihrem Umgang mit den Mitarbeitern struktivist Heinz von Förster hervorhob:
sonst droht Chaos und – wenn widerspiegeln. Das Handelsunternehmen Führungskräfte haben es mit Fragen zu tun,
die Mannschaft emotional auf- verschreibt daher auch den Prozess des Füh- die keine eindeutigen Antworten haben, sie
geladen ist – vielleicht sogar rens mit Zielen dem Umgang mit dem Unge- müssen entscheiden, was eigentlich nicht zu
Anarchie. Der Kapitän wird sein plantem. Konkret: Es bezieht individuelle entscheiden ist. Somit können sie auch nicht
Unternehmensschiff deshalb Zielvereinbarungen nicht etwa auf die Plan- wissen, was wirklich richtig ist und was
immer genau in der Mitte der zahlen des Korridors, wie es viele andere falsch. Denn alles, was entscheidbar und
Fahrrinne zwischen unverrück- Unternehmen tun, sondern es fokussiert ein somit eindeutig richtig ist, wurde ja schon
baren Plänen und kontextloser Prozessziel – nämlich das Einhalten der entschieden – und zwar in Form von Stel-
Beliebigkeit halten. unterjährigen Planrevision. Das Unterneh- lenbeschreibungen, Schnittstellenpapieren,
Genauso machen Führungs- men belohnt also nicht die Erreichung einer Anweisungen, Spielregeln usw.
kräfte, die erfolgreich das Unge- einmal geplanten Zahl, sondern das ange- Effektive Führungskräfte müssen sich
wisse managen, Pläne, um damit messene Reagieren seiner Mitarbeiter auf daher den komplexeren, schwierigeren
eine Orientierung zu geben: Sie Unerwartetes, Ungeplantes und Neues. Zusammenhängen zuwenden, sich den
stecken den Korridor ab, inner- Unklarheiten und dem Ungewissen widmen
halb dessen das Unternehmen in Tatsächlich paradox: Manager müssen – und hier gelten neue Maßstäbe. Genauer:
der nächsten Phase mit hoher Unentscheidbares entscheiden Es bietet sich an, die Kategorien „richtig“
Wahrscheinlichkeit tätig ist. und „falsch“ zu ersetzen durch „angemes-
Diese Pläne sind greifbar und Um wiederum als Führungskraft den Mit- sen“ und „unnütz“. Das bringt Führungs-
beschreiben konkrete Hand- arbeitern im unsicheren Fahrwasser Orien- kräfte dazu, immer in konkreten Alternati-
lungsabsichten. Sie sind aber tierung zu bieten, braucht es eine besonde- ven zu denken, anstatt lange und aufwendig
nicht in allen Einzelheiten heilig.
Heilig ist nur das: Für den Fall
Festen Boden gewinnen im Ungewissen
einer Planänderung muss ein
verbindlicher Prozess existieren.
Gemeint ist eine Richtschnur für
ein Vorgehen, wie diese Ände-
rung berücksichtigt wird. Weit
weniger wichtig sind hingegen Manager können das Unwägbare handhaben und ständig wechselnde Herausforderungen bewältigen,
die Planzahlen und das Ergebnis indem sie im Führungsalltag vier Grundsätze beherzigen:
selbst. Anders gesagt: In unsiche-
ren Zeiten kommt es darauf an, 1. Gemeinsam lernen. Wer im Team mit den Mitarbeitern lernt, gemeinsam Fehler analysiert und Lösun-
dass es verbindliche Prozesse der gen erarbeitet, erhält viele Perspektiven – und kann daraus einen guten Weg für das weitere Vorgehen
Planung gibt – die Pläne selbst ableiten. Gut beraten ist, wer sich nicht auf eine einzige, „richtige“ Lösung fokussiert, sondern unter meh-
werden sich häufig ändern reren Alternativen abwägt und auswählt. Die Devise lautet: Die Zwangsläufigkeit starrer Planung wird
(müssen). ersetzt durch die Offenheit sinnvoller Alternativen.
Hierzu ein Beispiel aus einem
Handelsunternehmen: Die ein- 2. Achtsamkeit fördern. Mitarbeiter sind nicht nur dazu da, Arbeit wegzuschaffen. Sie müssen dabei
zelnen Produktbereiche planen auch Vorsicht und Umsicht walten lassen, persönliche Annahmen infrage stellen und Bewährtes in Zweifel
ihre Einkaufs- und Verkaufs- ziehen. Nur wer ein Organisationsklima der Achtsamkeit herstellt und eine Umgebung gestaltet, in der
vorhaben in drei Szenarien: Mitarbeiter reflektieren und dabei auch einmal langsamer arbeiten dürfen, versetzt seine Mannschaft in die
maximaler Margenertrag, nor- Lage, rechtzeitig und mit Gespür auf Neues zu reagieren.
maler Margenertrag und denk-
bar schlechtester Ertrag. So 3. Gelassenheit wahren. Eine kluge Haltung nimmt ein, wer über Planabweichungen und Ungewiss-
spannen die Manager einen heiten nicht lamentiert, sondern sich sagt: Risiken sind ein normales Führungsphänomen, Unsicherheit
Korridor der Erwartungen für gehört zum Management. Wer Überraschungen von vornherein einbezieht und nicht versucht, sie wegzu-
das nächste Jahr auf. Das Unter- kalkulieren, nimmt ihnen den Schrecken und kann gelassen auf sie reagieren.
nehmen hat sich ferner einen
verbindlichen und klar beschrie- 4. Sich beobachten. Wer wirksam unter Unsicherheit handeln will, muss sich selber gut kennen und
benen Prozess der unterjähri- aufpassen, dass er in seinem Verhalten nicht immer die gleiche Schublade zieht. In regelmäßigen Abstän-
gen Planrevision gegeben. Soll- den sollten sich Führungskräfte also fragen: Was sind meine individuellen Muster? Was ist meine persön-
ten also neue Zahlen, Daten und liche Logik des Misslingens? Welchen Annahmen sitze ich immer wieder auf?
Fakten auftreten, ist jedem Pla-
managerSeminare | Heft 160 | Juli 2011
26. management | 21
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27. 22 | management
Zehn Fragen für mehr Flexibilität
nach eindeutigen Lösungen zu
suchen. Ein Manager des Unge-
wissen denkt also weniger über
richtige und falsche Ergebnisse
nach, sondern überlegt: Welche
Alternativen tragen in einer Auf ungeplante Ereignisse reagieren, für jede neue Situation eine passende Lösung erarbeiten – das ver-
bestimmten Situation zur Ziel- langt geistige Beweglichkeit. Wirksame Manager des Ungewissen hinterfragen daher ständig ihre Hand-
erreichung bei? lungsmuster. Sie untersuchen zum Beispiel:
Selbstverständlich spielen
Zahlen, Daten und Fakten auch 1. Welche Verhaltensmuster rufe ich immer wieder in Situationen ab, in denen ich es mit Unerwartetem zu
in uneindeutigen Situationen tun habe?
eine sehr wichtige Rolle. Auch 2. Welche Schritte unternehme ich, wenn ich eine Situation teilweise oder gar nicht einschätzen kann?
hier stützen sich Entscheidun- 3. Welche Kriterien und Maßstäbe nutze ich, wenn Planänderungen anstehen?
gen auf eine solide Informati- 4. Wann habe ich meine Maßstäbe zuletzt auf Aktualität und strategische Passung überprüft?
onsgrundlage, die Hypothesen, 5. Wie führe ich meine Mitarbeiter, wenn ich selbst den Weg zum Ziel nicht kenne?
Kausalitäten und Wahrschein- 6. Welche Informationen tue ich meistens als unwesentlich ab?
lichkeiten einbezieht. Am Ende 7. Welche Ereignisse ordne ich immer in eine bestimmte Schublade?
aber steht die Führungskraft vor 8. Wie wirken sich meine Erwartungen auf meine Wahrnehmung aus?
mehreren Alternativen und nicht 9. Welche Beobachtungen machen auch andere – und welche Dinge finden vielleicht nur in meinem
nur vor einer. Unter den beste- Kopf statt?
henden Alternativen wählt sie 10. Welche selbsterfüllenden Prophezeiungen sind typisch für mich?
die aus ihrer Sicht Passende aus.
Es ist vielleicht nicht die beste
Alternative, aber der Manager
hält sie für die beste. Das Risiko, allein durch externe Benchmark-Berater gerügt, sondern für sein anschließendes
das entsteht, weil einerseits ent- abwickeln lässt, verhindert die Gefahr, im achtsames Verhalten besonders gelobt.
schieden werden muss (sonst Zweifel wieder nur ein einziges, „richtiges“
herrscht Stillstand) und anderer- Vorgehensmodell präsentiert zu bekom- Grund zur Beunruhigung: Wenn alles
seits jede Entscheidung eigent- men. Es gilt, misstrauisch zu sein gegenüber nach Plan läuft
lich unentscheidbar ist, muss die schnellen Lösungen und Dingen, die bisher
Führungskraft alleine tragen. immer funktioniert haben. Und es gilt, die 3. Gelassenheit wahren und ausstrahlen.
Mitarbeiter konsequent einzubeziehen, Der Umgang mit Ungewissheit braucht
Vier Regeln helfen beim denn nur ein solches Vorgehen sichert zudem eine Führungshaltung, die Risiken
Umgang mit dem Ungewissen Ergebnisse, die auch etwas mit der Realität als normales Führungsphänomen begreift
zu tun haben. und ihnen mit einer gelassenen Haltung
Wer diese Haltung einnehmen begegnet. Eigentlich sollte es gar nicht so
und das Ungewisse erfolgreich 2. Achtsamkeit fördern. schwer sein, gelassen auf Ungewisses zu rea-
managen will, sollte im Füh- Wichtig: ein Organisationsklima der Acht- gieren: Denn wenn man sich vor Augen
rungsalltag vier zentrale Vorge- samkeit. Ein solches Klima schaffen Mana- führt, dass Unsicherheit ein permanenter
hensweisen etablieren. Sie hel- ger, wenn sie und ihre Mitarbeiter allgemei- Bestandteil von Management ist, dann ist
fen, Mitarbeitern in der Unsi- ne und persönliche Annahmen infrage nicht das Auftreten von Ungeplantem, son-
cherheit Orientierung zu geben stellen, Bewährtes in Zweifel ziehen sowie dern dessen Abwesenheit ein Grund zur
und insgesamt im Unternehmen eigenes Verhalten ständig reflektieren. Es Beunruhigung.
die Einstellung zu fördern: Es ist geht nicht nur darum, dass Mitarbeiter Gelassenheit zu wahren fällt auch dem-
zwar alles offen, aber dennoch „Arbeit wegschaffen“. Es geht auch darum, jenigen leichter, der erkennt: Die Verursa-
beherrschbar, packen wir`s an. dass sie Vorsicht und Umsicht walten lassen. cher von Planänderungen sind nicht als
Im Einzelnen gilt: Und es muss ihnen erlaubt sein, Fehler zu Schuldige einer Abweichung abzustempeln.
machen. Vielmehr liefern sie neue und wichtige
1. Gemeinsam lernen. Die Berater Karl. E. Weick und Kathleen Informationen über das, was sich draußen
Erfolgreiche Manager des Unge- M. Sutcliff beschreiben in ihrem Buch „Das verändert. Und schließlich verhilft es zur
wissen verankern die Idee der Unerwartete managen“ (vgl. Servicekasten, nötigen seemännischen Gelassenheit zu
lernenden Organisation syste- S. 24) einen Fall, in dem das umsichtige wissen: Natürlich wäre es perfekt für die
matisch. Dazu gehört, dass sie Zugeben eines Fehlers nicht nur toleriert, Zielerreichung, wenn man zu hundert Pro-
die Mitarbeiter in die Verant- sondern sogar belohnt worden ist. Ein Flug- zent richtig auf das Neue reagierte. Eine
wortung nehmen. Förderlich ist zeugmechaniker vermisste ein Werkzeug solche Reaktion aber braucht meist so viele
beispielsweise, im Team eine und zeigte dies an. Denn das Werkzeug hätte Informationen, dass diese „richtige“ Reak-
anerkannte und gelernte Metho- sich noch an oder in einem Flugzeug befin- tion oft zu spät käme – und somit nicht
de der Abweichungs- und Feh- den und dort unabsehbaren Schaden anrich- mehr richtig wäre. Es macht also Sinn, dass
leranalyse vorzunehmen. Wer ten können. Tags darauf wurde der Mecha- Manager in unerwarteten Situationen die
solche Analysen intern unter niker nicht für das zugegebenermaßen wirksame und sinnvolle Lösung der perfek-
Kollegen durchführt und nicht unachtsame Verschusseln des Werkzeugs ten vorziehen. A
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28. management | 23
LEA LEADERSHIP EQUITY ASSOCIATION GmbH
leadership-branding.de
DIE PIONIERE
managerSeminare | Heft 160 | Juli 2011
29. 24 | management
Wach und kooperationsbereit bilden
gelassene und flexible Manager Koalitionen,
jonglieren mit unterschiedlichen Interessen
und kümmern sich um den Fortgang. Diese Der Autor: Olaf Hinz ist Inhaber des Beratungsunter-
Führungskräfte handeln wie der Kapitän nehmens „Hinz.Wirkt!“ in Hamburg. Er berät und
eines Schiffes: Sie wissen, dass sie aufkom- coacht erfahrene Führungskräfte und Projektleiter.
mende Probleme aus der Situation selbst Vor seiner Selbstständigkeit war Olaf Hinz Büroleiter
heraus lösen und nicht alles vorab regeln von Peer Steinbrück, damals Wirtschaftsminister in
Schleswig-Holstein. Zudem arbeitete er als Personal-
können. Ein erfahrener Kapitän redet seiner manager und Projektfinanzierer der Landesbank Kiel.
Mannschaft niemals einen aufziehenden Über zentrale Aspekte seiner Beratungsthemen publi-
Sturm schön – er beordert aber auch nicht ziert er regelmäßig. Kontakt: www.hinz-wirkt.de
gleich alle Mann an Deck und verteilt vor-
sorglich Schwimmwesten. Vielmehr rechnet
er mit schlechtem wie gutem Wetter und
hat die Lage und Funktionsfähigkeit der
Schwimmwesten bereits vorab überprüft. sind: Methoden der Unterstützung. Opera- muster rufe ich immer wieder in Situatio-
Entsprechend handelt ein seemännisch tive Hektik, Berichte auf den letzten Drücker nen ab, in denen ich es mit Unerwartetem
gelassener Manager hellwach, konzentriert, und sinnloses Multitasking verschwinden, zu tun habe? Welche Schritte unternehme
gut vorbereitet und unter Einsatz all seines wenn diese Art der Führung Einzug hält. ich, wenn ich eine Situation teilweise oder
Erfahrungs- und Methodenwissens – aber Diese Führungskräfte spielen alternative gar nicht einschätzen kann? Welche Infor-
stets als Mensch und nicht als Funktionär Szenarien bereits im Vorfeld und nicht erst mationen tue ich meistens als unwesentlich
einer Managementschule. Wer Überra- ad hoc durch. Sie bewahren in der schwie- ab? Welche Kriterien und Maßstäbe nutze
schungen von vornherein einbezieht statt zu rigen Situation Ruhe, weil sie wissen, dass ich, wenn Planänderungen anstehen? (Zu
versuchen, sie durch Planungsprozesse weg- sie einen Plan B und C in der Tasche haben, weiteren Fragen vgl. Kasten S. 22).
zukalkulieren, nimmt ihnen den Schrecken strahlen deshalb Gelassenheit aus und sta-
und stellt sicher, dass er sinnvoll auf solche bilisieren so die Lage. Das Management des Ungewissen lässt
Überraschungen reagieren kann. Und genau sich üben
dafür werden Führungskräfte schließlich 4. Sich selber beobachten.
gebraucht. Last but not least: Wirksames Handeln unter All das zeigt: Das Management des Unge-
Unsicherheit gelingt denjenigen Führungs- wissen ist keine Frage des Wissens, sondern
Plan B und Plan C verhelfen zur Ruhe kräften besser, die ständig mit einer wachen eine Frage der Haltung und des Könnens.
Selbstbeobachtung arbeiten, um individu- Das bedeutet: Führung in uneindeutigen
Kernelement der Führung unter Ungewiss- elle Muster bzw. ihre persönliche Logik des Situationen kann nicht per theoretischem
heit ist das Verhalten der Führungskraft Misslingens zu erkennen. In regelmäßigen Input erlernt werden, sie kann aber prak-
selbst und nicht die Methoden und Techni- Abständen legen sich umsichtige Führungs- tisch geübt und trainiert werden. Im Bereich
ken, die sie anwendet. Die bleiben, was sie kräfte Fragen vor wie: Welche Verhaltens- des Führungskräftetrainings können Füh-
rungssimulationen einen guten Beitrag lie-
fern – vorausgesetzt, die EDV steht nicht im
Service
Zentrum der Simulation. Denn spielt sich
die Simulation rein am Computer ab, rich-
tet sich das Augenmerk der Trainingsgruppe
zu häufig auf die Eingabe der „richtigen“
Antworten. Besser sind Ansätze, die die per-
Literaturtipps sönliche Interaktion in den Mittelpunkt
A Dietrich Dörner: Die Logik des Misslingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen. stellen und Situationen schaffen, in denen
Rowohlt, Hamburg 2008, 9,95 Euro. die Teilnehmer sich in die Augen sehen.
In vernetzten und dynamischen Handlungssituationen macht unser Gehirn Fehler, so die These des Autors: Daneben sind regelmäßige Lessons-lear-
Wir beschäftigen uns mit dem ärgerlichen Knoten und sehen nicht das Netz. Dörner zeigt, wie wir daran ned-Workshops und kollegiale Beratungs-
etwas ändern können. Ein aufschlussreiches Buch, das die FAZ als „Glücksfall“ bezeichnet. gruppen ein wirksames Mittel, die notwen-
A Olaf Hinz: Sicher durch den Sturm. So halten Sie als Projektmanager den Kurs. Orell Füssli, digen Fähigkeiten laufend hochzuhalten.
Zürich 2009, 24,90 Euro. Und nicht zuletzt ist Coaching ein nützli-
Mit dem Bild vom Kapitän auf hoher See veranschaulicht der Autor, wie eine ideale Projektleitung aussieht. ches Mittel, um die notwendige Haltung zu
Seine These: Projektmanager müssen variantenreich führen und souverän auf Überraschungen reagieren. etablieren und das Verhaltensrepertoire in
Wie das gelingen kann, wird präzise ausgeführt. Lesenswert nicht nur für Projektmanager, sondern für jede ungewissen Managementsituationen zu ver-
Führungskraft. breitern.
A Karl E. Weick, Kathleen M. Sutcliffe: Das Unerwartete managen. Wie Unternehmen aus Welche Methode auch immer gewählt
Extremsituationen lernen. 2. Aufl., Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2010, 29,95 Euro. wird: Entscheidend ist der Wille der Füh-
Wie können Unternehmen mit unerwarteten Situationen umgehen? Um diese Frage zu beantworten, unter- rungskraft, sich wirklich zu neuen Ufern
suchen die Autoren sogenannte High Reliability Organizations (HROs) – Organisationen, die absolut zuver- aufzumachen. Wie aber diese Ufer im Ein-
lässig arbeiten müssen, wie z.B. die Feuerwehr. Die Autoren zeigen, wie sich die Methoden der HROs auf zelnen aussehen – das ist naturgemäß unge-
andere Unternehmen übertragen lassen. Mit vielen Beispielen sehr spannend zu lesen. wiss.
Olaf Hinz C
managerSeminare | Heft 160 | Juli 2011