Zwerggalerie
Die Zwerggalerie[1] (fälschlich auch Zwerchgalerie genannt) ist ein Zierelement der mittelalterlichen Baukunst, ganz überwiegend der Romanik, aber vereinzelt auch der Gotik.
Als Zwerggalerie bezeichnet man einen offenen Arkadengang, zumeist knapp unter dem Dachansatz eines (Kirchen-)Gebäudes. Sie zieht sich um Gebäudeteile, zum Beispiel eine Apsis oder ganze Gebäude. Am Speyerer Dom etwa zieht sich eine Zwerggalerie um das gesamte Langhaus. Trotz hauptsächlicher Zierfunktion kann sie auch begehbar sein. Die Zwerggalerie trat zum ersten Mal um 1050 an der Westfassade des Trierer Domes auf [2] und um 1100 am Speyerer Dom als ein Element, das das gesamte Gebäude umläuft.[3]
Unterschiedliche Rückwände
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Die Tiefe von Zwerggalerien, also der Abstand der Rückwand von der Arkade, kann recht unterschiedlich sein. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass im 2. Viertel des 11. Jahrhunderts, also etwa zeitgleich mit den in mittlerer Fassadenhöhe gelegenen Trierer Zwerggalerien die Westapsis der Stiftskirche Gernrode mit einer Blendgalerie gleich unter der Traufe ausgestattet wurde, also dort, wo nach der Jahrhundertmitte am Dom zu Speyer und im folgenden Jahrhundert in Mainz und Worms Zwerggalerien angelegt wurden.
- Bei Zwerggalerien in halber Wandhöhe hatte eine geringe Tiefe den Vorteil, dass ein größerer Teil der Last des oberhalb liegenden Gemäuers von der Rückwand getragen wurde, und nicht von der Arkade.
- In der typischen Position unter der Dachtraufe konnte die Auflast gering sein. Andererseits hatte außen positionierte Auflast den Vorteil, der resultierenden Kraft aus Wandgewicht und Gewölbeschub eine vertikalere Richtung zu geben.
- In einzelnen Fällen wurde sogar auf eine senkrechte Rückwand verzichtet, sodass die Öffnungen zwischen den Säulen den Blick auf die Flanke der dahinter liegenden Gewölbekappe freigeben. In zwei gezeigten Beispielen verdeutlichen die gekrümmten Schatten der Säulen die Wölbung der Apsiskuppeln.
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Mainzer Dom, Ostchor 1100–1106, Sicht auf Apsiskuppel
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San Sigismondo, 12. Jh., in Rivolta d’Adda, Lombardei, Sicht auf Apsiskuppel
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Pisa, Dom, Apsis 1063–1100, untere Galerie mit Rückwand und Quertonnen, obere ungewölbt, Sicht auf Apsiskuppel
Unterschiedliche Gewölbedeckungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Es entwickelten sich zwei Varianten: Bei der oberrheinischen Variante, beispielsweise in Speyer, wird der Laufgang der Galerie durch viele kleine Quertonnen gewölbt, die auf den Säulen der Zwerggalerie aufruhen. Die niederrheinische Version dagegen, die etwa in den Kölner Kirchen verwendet wird, hat hinter der Galeriearkade eine durchgehende Längstonne. Oft wird sie hier mit dem Plattenfries verbunden.
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Speyerer Dom, Schiffserhöhung mit Zwerggalerien 1082–1106, Zeichnung 1610
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Speyerer Dom, Apsis mit Zwerggalerie ebenfalls 1082–1106, Quertonnen, senkrechte Rückwand
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Groß St. Martin, Köln, Drei-Konchen-Chor 1150–1172, Zwerggalerie mit Längstonne, darunter Plattenfries
Am Mainzer Dom treten bemerkenswerterweise beide Typen auf: Die ältere Ostapsis ist nach Speyrer Vorbild mit einer oberrheinischen, der spätromanische Westbau mit einer niederrheinischen Zwerggalerie über einem Plattenfries geschmückt.
Die Zwerggalerie ist in der mitteleuropäischen Architektur sehr schnell als Gestaltungsmittel einer Außenwand aufgegriffen worden, vor allem in Deutschland (Rheinland) und in Nord- und Mittelitalien.
Verschiedene Positionen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Es gibt Kirchen, deren Fassade fast ausschließlich aus übereinander gelagerten Säulengalerien besteht, beispielsweise in der Toskana in Arezzo die Santa Maria della Pieve. Auch am Schiefen Turm von Pisa wurde dieses Prinzip aufgegriffen und in besonders dekorativer Form fortgeführt.
Eine Neuerung gegenüber mitteleuropäischen Gepflogenheiten findet sich in der lombardischen Romanik und der anschließenden lombardischen Gotik: Hier können Zwerggalerien auch unter der Giebelschräge angelegt sein und mit dieser ansteigen.
In Frankreich gibt es nur wenige Zwerggalerien in der romanischen Architektur.
Gotische Zwerggalerien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelne Zwerggalerien wurden auch in der Gotik noch errichtet. Allerdings ging man zunehmend zu Balustraden über. Der Hochchor der Kathedrale von Reims hatte im Originalzustand eine Galerie mit offenen Arkaden und Laufgang, aber ohne Gewölbe. Hinter dem Laufgang verlief vor der Dachtraufe die Regenrinne.[4]
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Kathedrale von Laon, um 1200, frühgotisch
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Dekagon von St. Gereon (Köln), 1219–1227, frühgotisch
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Magdeburger Dom: Umgang und Empore frühgotisch, Hochchor ab 1230, hochgotisch
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Kathedrale von Ferrara, gotische Zwerggalerien um 1250
Zwerggalerien als Skulpturengalerien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]An zahlreichen romanischen und gotischen Kirchen in Frankreich gibt es Galerien mit Statuen. Viele dieser Galerien sind von der Konstruktion her Blendgalerien, die Skulpturen stehen also zwischen wandständigen Pfeilern. Aber ein paar der Skulpturengalerien sind von der Konstruktion her Zwerggalerien mit Abstand zwischen Arkade und Rückwand. Beispiele sind die Heiligengalerie der Kirche Ste-Croix in Bordeaux und die Königsgalerien der Kathedralen von Paris und von Amiens.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Günther Binding: Architektonische Formenlehre. 4., überarbeitete und ergänzte Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1998, ISBN 3-534-14084-2.
- Wilfried Koch: Baustilkunde. Das große Standardwerk zur europäischen Baukunst von der Antike bis zur Gegenwart. Sonderausgabe, erweitert und völlig neubearbeitet. Orbis Verlag für Publizistik, München 1994, ISBN 3-572-00689-9. Europäische Baukunst von der Antike bis zur Gegenwart, mit 50 Verbreitungskarten und fünfsprachigem Glossar.
- Günther Kahl: Die Zwerggalerie. Herkunft, Entwicklung und Verbreitung einer architektonischen Einzelform der Romanik (= Beiträge zur Kunstgeschichte und Archäologie. H. 3, ZDB-ID 526677-4). Triltsch, Würzburg 1939 (Zugleich: Bonn, Universität, phil. Dissertation, 1936), (Nachdruck. s. n., s. l. 2000, ISBN 3-00-006122-3).
- Hans Erich Kubach: Zur Entstehung der Zwerggalerie. In: Joachim Glatz, Norbert Suhr (Hrsg.): Kunst und Kultur am Mittelrhein. Festschrift für Fritz Arens zum 70. Geburtstag. Werner, Worms 1982, ISBN 3-88462-016-9, S. 21–26.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Erstmals nachweisbar ist der Begriff bei Heinrich Otte: Archäologisches Wörterbuch zur Erklärung der in den Schriften über mittelalterliche Kunst vorkommenden Kunstausdrücke. Weigel, Leipzig 1857, S. 141 (online), dort abgeleitet von „Zwergsäulen“ im Sinne von „Kleinsäulen“. Entsprechende Formen im Englischen: „dwarf gallery“ und im Niederländischen: „Dwerggalerie“. Die französische Form ist „galerie naine“ („nain“ – Zwerg), im Italienischen wird die Bauform einfach als „galleria“ bezeichnet. Dagegen ist die etymologischen Ableitung von zwerch, einer alten Nebenform von quer, (z. B. bei Fachausdrücke Architektur (Uni Kiel) ( vom 18. Februar 2011 im Internet Archive)) und die daraus entwickelte Schreibung „Zwerchgalerie“ falsch.
- ↑ Koch: Baustilkunde. 1994, S. 92.
- ↑ Binding: Architektonische Formenlehre. 1998, S. 133 ff.
- ↑ Henri Deneux: Des modifications apportées à la cathédrale de Reims au cours de sa construction du XIIIe au XVe siècle. In: Société Française d’Archéologie (Hrsg.): Bulletin Monumentale. Band 106, Paris 1948, S. 121–140, hier S. 137 (Abbildung 19: Coupe Transversale). Auf Persee.fr (französisch), abgerufen am 27. Mai 2022.