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ADB:Angelus Silesius

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Artikel „Angelus Silesius“ von Ludwig Lemcke in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 453–456, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Angelus_Silesius&oldid=- (Version vom 27. November 2024, 00:52 Uhr UTC)
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Angelus Silesius, mit seinem Vaternamen Johann Scheffler, eine der interessantesten Persönlichkeiten unter den mystischen Dichtern und Convertiten, geb. 1624 zu Breslau, wohin sein Vater, Stanislaus Scheffler, Herr zu Borwicze im Königreich Polen, gezogen war, und † 9. Juli 1677. Der Knabe besuchte das St. Elisabeth-Gymnasium, an welchem die litterarisch und poetisch bekannten Lehrer Elias Major und Christoph Coler wirkten. Verschiedene seiner Gelegenheitsgedichte sind aus dieser Zeit erhalten, zeichnen sich aber höchstens durch einen gewissen Fluß der Sprache aus. In der sonderbaren Aufführung von Coler’s „Maienlust“ vom 22. Mai 1642, die Coler selbst in langem Programm [454] beschrieben hat, hatte Scheffler die Nachtigall, Andreas Scultetus die Waldlust übernommen; Andere stellten die Flora, den Garten, die Rose, Lilie u. s. w. dar. 1643 bezog Scheffler als Mediciner die Universität Straßburg. Von den nächsten Jahren verbrachte er seiner eigenen Aussage gemäß zwei Jahre in Leyden. Ob schon von Kindheit an mystische oder sonst sectirerische Einflüsse auf ihn gewirkt haben, steht dahin. Wahrscheinlich ist er erst in Holland durch den schlesischen Theosophen Abraham von Franckenberg zum Studium der von Franckenberg in Abschrift nach Holland gebrachten Werke Jak. Böhme’s und in die mystische Strömung gekommen. Böhme nennt er später „Ursache, daß er zur Erkenntniß der Wahrheit gekommen und sich zur katholischen Kirche bekannt habe“. 1647 ging er der Sitte der schlesischen Mediciner gemäß nach Padua, wo er im nächsten Jahre den Doctorgrad „mit höchsten sonderlichen Ehren“ erlangte. In die Heimath zurückgekehrt, wurde er 1649 Leibarzt bei dem streng lutherischen Herzog Sylvius Nimrod von Würtemberg-Oels zu Oels. Als 1650 Franckenberg nach Schlesien zurückkehrte und in der Nähe von Oels seinen Wohnsitz nahm, entspann sich wieder zwischen den alten Freunden der regste geistige Verkehr. Doch starb Franckenberg schon 1652. Scheffler dichtete ihm das „Ehrengedächtniß“, sein erstes Gedicht, das für die spätere Richtung bedeutsam ist. Ende des Jahres gab er seine Stellung als Oels’scher Leib- und Hof-Medicus auf; im Juni 1653 trat er zur katholischen Kirche über. Dabei nahm er nun den Namen Angelus an und nannte sich in der Folge in seinen Dichtungen Johann Angelus Silesius (der Schlesier). Der Mystiker fühlte sich von dem damals herrschenden starren, harten, dogmatischen Protestantismus in tiefster Seele abgestoßen und erbittert. Er sah in ihm „Abgötterei der Vernunft“, einen Satzglauben, den Jeder sich anders auslegte. Seinem schwärmerischen, zur mystischen Versinnlichung drängenden Wesen kam dagegen in jeder Weise der damalige Neukatholicismus entgegen. In den „Gründlichen Ursachen und Motiven“ 1653 läßt Scheffler uns die wirkenden Beweggründe seines Uebertritts erkennen; nur muß man vielleicht noch dazu die Empörung und den brennenden Eifer eines mystisch „Begnadeten“ rechnen, dem die Censur der protestantischen Geistlichkeit jede ungetrübte Wirkung versagte. Ein Motiv seines Austritts aus der lutherischen Kirche ist „die freventliche Verwerfung der ihnen (den Lehrern insgemein) ganz unerkannten, geheimen, mit Gott gemeinschaft – Kunst (Theologiae mysticae), welche doch der Christen höchste Weisheit ist“. Die Lehre von der Verwerfung der Askese, des beschaulichen Lebens, der guten Werke etc. widersteht ihm bei den Protestanten. Die katholische Kirche, „die nicht allein mit den Heiligen im Gebet communicirt, sondern auch der persönlichen Erscheinung und Besuchung geneust“, ist ihm „der Leib des heiligen Geistes“, der nur aus seinem eigenen Leibe reden könne. Es war die Blüthezeit der Proselytenmacherei, namentlich in Schlesien, wo sie von Wien aus in jeder Weise durch Anstellungen, Beförderungen etc. der Bekehrten unterstützt wurde. Auch Joh. Scheffler erhielt 1654 zur Entschädigung für seine niedergelegte Leibarzt-Stelle den Titel und die Privilegien eines Hofmedicus des Kaisers. Doch lagen ihm grob-äußerliche Motive fern, wie er denn in dieser Beziehung durch seinen Uebertritt seine Stellung eher verschlechterte, als verbesserte. 1657 erschienen, vielleicht früher von der lutherischen Censur beanstandet, seine Hauptdichtungen, beide mit Erlaubniß der katholischen Censur: „Geistreiche Sinn und Schlußreime“, bekannter unter dem Namen der 2. vermehrten Auflage als „Cherubinischer Wandersmann“ und: „Heilige Seelenlust oder Geistliche Hirtenlieder der in ihren Jesum verliebten Psyche“, Dichtungen, die zum Bedeutendsten in ihrer Art gehören. Dort ist es die theosophische Versenkung der Seele in das göttliche Wesen als Allheit, hier verzückt sich die Seele in Christus hinein. Mit specieller Beziehung auf den Cherubinischen [455] Wandersmann hat schon Leibnitz auf den Parallelismus hingewiesen, der in den Mystikern der Monopsychiten und in Spinoza’s Lehre sich finde. Bei jenen die All-Seele, der Ocean gleichsam des einen göttlichen Wesens, aus dem die Einzelseelen gleich Tropfen kämen, in den sie zurückkehrten und mit dem sie wieder verschmölzen, in jedem Tropfen, dem Theil des Alls, das All sich spiegelnd. Bei Spinoza die eine Weltensubstanz und die individuellen Seelen nur deren vorübergehende Modificationen. Hier die philosophisch mathematische, dort die psychisch-mystisch gefaßte Einheit. Im „Cherubinischen Wandersmann“ fesselt bei überraschend schöner, präciser Sprache dieser Spruchdichtung die Milde, Ruhe und Tiefe des darin zu immer neuen poetisch-krystallinischen Formen wie von selbst zusammenschießenden Pantheismus. Gedanke um Gedanke in Formung um Formung wächst empor, löst sich ab: es giebt kaum Tiefsinnigeres und Interessanteres auf diesem Gebiete. Dagegen herrscht in der Psyche das verzückte Drängen und Sehnen vor, bald inbrünstige, weiblich süße, bang zitternde Verquickung, dann wieder eine jubilirende, in brausendem Sturm gleichsam durch die Himmel reißende Seligkeit, der das Wort kaum genügt und die zu Musik werden will. Neben wunderbar Schönem, wie es nur dem echtesten Dichtergeist entströmen kann, finden sich freilich auch alle Mängel dieses poetischen (italienischen und Jesuiten-) Barockstils. Sie zeigen dann den Dichter so süßlich, widerlich geschmacklos, hysterisch liebesbrünstig, auch schwülstig und hohl wie die Meisten seiner Genossen. Die einfacheren Lieder erinnern in Ton und Bild (auch in Einzelheiten) an Paul Fleming. Selbst die beiden später hinzugefügten Bücher mit ihrem Heiligen- und Maria-Inhalt treten nicht sehr aus dem allgemein christlichen Rahmen und Katholiken und Protestanten konnte die Psyche Gemeingut sein. Letztere behaupteten, daß sie wie der Cherub. Wandersmann noch vor dem Uebertritt zum Katholicismus gedichtet sei. Je nach der herberen oder weicheren Richtung im Protestantismus sind Scheffler’s Lieder der Psyche fortan mißgünstig oder günstig angesehen und aus protestantischen Gesangbüchern entfernt oder für dieselben benützt worden.

Im Febr. 1661 wurde Scheffler Minorit; im Mai erhielt er die Priesterweihe. 1664 wurde er von seinem Gönner, dem Fürstbischof von Breslau und Neiße Sebastian von Rostock (einem Bürgerssohn aus Grottkau) zum fürstbischöflichen Marschall oder obersten Hofmeister und Rath ernannt. Aus dem tiefsinnigen, weihevollen Mystiker ward nun der fanatische, wie von innerlicher Streit- und Bekehrungs-Gluth und Wuth umgetriebene Feind des Protestantismus, der weitgehendste Eiferer und sophistische Vertreter des Papstthums der jesuitischen Auffassung, dessen Art und Folgerungen einige in heutiger Zeit vielleicht interessante Sätze zeigen mögen:

„Daß aber der Papst ein Gott sei und mit Recht so genannt werde, bezeugt die Schrift, welche die Obrigkeit Götter nennt … Weil dann nicht erwiesen worden, daß sich ein einiger Papst einen Gott genannt hat, ob er zwar einer ist und auch von Kaiser und Königen dafür gehalten worden etc.“

Gleich seine erste große Streitschrift „Türkenschrift“ 1663 zog ihm durch den Reichsfiscal eine Anklage beim römischen Reich als Meutemacher, Friedensstörer, Majestät-Lästerer, blutdürstiger Geist etc. zu (auf Leib und Leben, wie er an einer Stelle sagt). Seine Hauptbeschäftigung blieb fortan die litterarische Fehde, sodaß er in 12 Jahren 55 zum Theil sehr umfangreiche Streitschriften herausgab, von denen er später auf des Abts Bernhard Rosa Antrieb 39 auswählte, die 1677 gesammelt in der „Ecclesiologia“ erschienen und uns einen tiefen Einblick in Scheffler, den Fanatiker und zelotischen Proselyten, wie in die ganze, nach diesen Richtungen bewegte Zeit geben. Wunderbarer Weise ist in den vermehrten Ausgaben des „Cherubinischen Wandersmanns“ und der „Psyche“, [456] so wie in der „Evangelischen Perle“ 1675, einer Uebersetzung der „Margarita evangelica“ der alte Geist dieser Dichtungen rein erhalten. Anders freilich ist die „Sinnliche Beschreibung der 4 letzten Dinge“ 1675, ein so rohes, geschmackloses, bis zum Ekelhaften gehendes poetisches Machwerk, daß man den früheren Dichter darin nicht wiedererkennen kann. Doch ward dieser rohsinnliche Bänkelsängerstil in der Jesuitendichtung augenscheinlich oft mit Vorbedacht angewandt, wo man auf die Wirkung bei der großen, stumpfen und dumpfen Masse speculirte.

Wenn Scheffler in den Streitschriften oft die tiefen Gegensätze trifft und für seine Glaubens- und Weltanschauung in der rhetorischen und sophistischen Weise jener Zeit oder mit populärer Geschicklichkeit in einer Weise kämpft, daß sein Wissen wie seine brennende Ueberzeugung ihn auch hierin höchst bedeutend erscheinen lassen, so zeigt er sich andererseits wieder so unduldsam gefährlich, so krankhaft verrannt, so bis zum Unbegreiflichen läppisch (z. B. in der „Christenschrift“), daß es nicht Wunder nimmt, daß seiner eigenen Aussage gemäß die gemäßigten Katholiken selbst ihn scheel ansahen und er „durch eine ganze Völkerschaft als der ärgste Schelm und Bube ausgetragen und durchgezogen“ wurde, auch der Spott und die Grobheit und Gemeinheit der groben Zeit sich über ihn als „Phantasten, Mamelucken, Idioten und Narren“ ergoß.

Scheffler zog sich, nachdem er seine Stelle als Hofmeister und Rath niedergelegt hatte, in den letzten Jahren seines Lebens ganz ins Stift der Kreuzherren zu Mathias zurück. Nach jahrelangen Leiden starb er daselbst 9. Juli 1677. (Die beste Satire gegen ihn, die reine Mephistopheles-Scene Scheffler’s mit einem Schüler, ist wohl der „Gülden-Griff.“)

Die Identität von Scheffler und Ang. Silesius war weder seiner Zeit noch später Allen bekannt. Die geistige Verschiedenheit in den Streitschriften und den schönen Poesien ist in der That oft kaum zusammenzureimen. Darauf hin suchte Dr. W. Schrader 1853 („Ang. Silesius und seine Mystik“) den Beweis anzutreten, daß Ang. Silesius und Scheffler nicht identisch sein. Sonderbarer Weise übersah er wie des Ang. Silesius Biograph Kahlert in der Widerlegung das eigene Zeugniß Scheffler’s: „Daß ich auch … mit großer Gewalt aus der anmuthigen Innigkeit (von welcher die in ihren Jesum verliebte Psyche und der Cherubinische Wandersmann sambt andren Zeugen) habe herausziehn müssen und wirken können …“

C. Fr. Gaupp: Die römische Kirche etc. 1840. Dr. Patricius Wittmann: Ang. Sil. als mystischer Dichter und Polemiker 1842. A. Kahlert: Angelus Silesius. Eine litterarhistorische Untersuchung 1853. Dazu als Ergänzung: Hoffmann v. F. Weimarsche Jahrb. I. Das Verzeichniß der Werke, Auflagen, Ausgaben etc.: Goedeke, Grundriß, Buch V. §. 188.