Location via proxy:   [ UP ]  
[Report a bug]   [Manage cookies]                
Zum Inhalt springen

ADB:Gärtner, Joseph

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Gärtner, Joseph“ von Paul Ascherson in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 377–380, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:G%C3%A4rtner,_Joseph&oldid=- (Version vom 31. Oktober 2024, 10:35 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Gärtner, Corbinian
Band 8 (1878), S. 377–380 (Quelle).
Joseph Gärtner bei Wikisource
Joseph Gärtner in der Wikipedia
Joseph Gärtner in Wikidata
GND-Nummer 116333758
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|8|377|380|Gärtner, Joseph|Paul Ascherson|ADB:Gärtner, Joseph}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116333758}}    

Gärtner: Joseph G., Botaniker, geb. am 12. März 1732 zu Calw in Würtemberg, † ebendaselbst am 14. Juni 1791. Verlor bald nach seiner Geburt seine Eltern (der Vater war herzoglicher Leibarzt) und erhielt seinen ersten Unterricht im Hause eines Oheims, der ihn für den geistlichen Stand bestimmte und später zu seiner weiteren Ausbildung nach Stuttgart brachte. Doch zeigte sich bald, daß seine Neigung der Mathematik und den Naturwissenschaften gehörte, denen er alle seine Mußestunden widmete. 1750 sandte ihn der Oheim auf die Universität zu Tübingen, um die Rechte zu studiren, welches Studium G. indeß bald mit dem der Medicin vertauschte. Nachdem er in Tübingen drei Semester studirt, ging er nach Göttingen, wo er bis 1753 verweilte und besonders in den Vorlesungen des großen Alb. von Haller Anregung fand, dessen Vorbilde folgend er sich gleich eifrig der Anatomie, Physiologie und Botanik widmete. Nach [378] einem kurzen Aufenthalt in Calw und nachdem er in Tübingen nach Vertheidigung der Dissertation „De viis urinae ordinariis et extraordinariis“ den medicinischen Doktorgrad erworben, trat er eine größere wissenschaftliche Reise an, die ihn zwei Jahre von der Heimath entfernt hielt. Er bereiste Italien bis Neapel, Frankreich, wo er sich ein halbes Jahr in Montpellier und ebenso lange in Paris aufhielt, und England, wo er fast ein Jahr verweilte. Ueber Paris, wo er noch einmal mehrere Monate blieb, kehrte er 1756 nach seiner Vaterstadt zurück, wo er sich als Arzt niederließ. Neben der ärztlichen Praxis setzte er indeß seine wissenschaftlichen Arbeiten fort, welche sich nun auch auf Optik und Mechanik erstreckten. Er studirte diese Wissenschaften nicht nur in der Theorie, sondern brachte es dahin, mit eigener Hand ein Fernrohr, ein Mikroskop und ein Sonnen-Mikroskop zu construiren. 1759 hielt er sich von Mai bis September in Holland auf und hörte namentlich die Vorlesungen des berühmten Botanikers van Royen in Leyden, mit dem er eine innige Freundschaft schloß. Von dort ging er zum zweiten Male nach England, wo er bei einem längeren Aufenthalt am Meere einige auf seiner ersten Reise begonnene Untersuchungen über Seethiere und -pflanzen zum Abschluß brachte, von denen eine Abhandlung über Mollusken in den „Philosophical Transactions“, eine über Zoophyten in Pallas’ Spicilegia zoologica veröffentlicht wurde, während eine Schrift über die Fructification der Algen und Farren Manuscript blieb. Nach 1½ jährigem Aufenthalte in England kehrte er 1761 über Amsterdam nach Tübingen zurück, wo er bald darauf zum Professor der Anatomie ernannt wurde. 1768 erhielt er einen Ruf als Akademiker und Professor der Naturgeschichte nach St. Petersburg, wohin er im Juni dieses Jahres übersiedelte. Um seine durch die Strenge des nordischen Winters angegriffene Gesundheit wiederherzustellen, schloß er sich 1769 einer Reise an, die sein akademischer College Graf Orloff im Auftrage der Kaiserin Katharina II. nach der Ukraine unternahm. Die wissenschaftliche Ausbeute Gärtner’s umfaßte eine Anzahl neuer Pflanzenarten, deren Beschreibungen indeß in seinen Handschriften begraben blieben. So glänzend indeß seine Stellung in der nordischen Kaiserstadt war, wo ihm auch die Direction des botanischen Gartens und des Naturaliencabinets übertragen wurde, so wurde er doch derselben bald überdrüssig. Die ausgedehnten Amtsgeschäfte ließen ihm keine Zeit für wissenschaftliche Arbeiten übrig; das geräuschvolle Treiben der großen Stadt sagte seinem bescheidenen Sinne nicht zu und so entsagte er bereits Ende 1770 seinem Amte, das er seinem Freunde und Landsmanne Kölreuter überließ. Eine Pension, die man ihm Seitens der Akademie aussetzen wollte, schlug er in edler Uneigennützigkeit aus und kehrte in die Einsamkeit seiner geliebten Vaterstadt zurück, wo er sich bald darauf verheirathete und in der Fortsetzung seiner Studien sowie in der Erziehung seines einzigen Sohnes, der ein würdiger Erbe seines Namens wurde, die Befriedigung fand, die er im Getümmel der russischen Hauptstadt vermißt hatte. Schon in Petersburg hatte er den Plan gefaßt, ein bis dahin fast gänzlich vernachlässigtes Gebiet des botanischen Wissens, die Lehre von Frucht und Samen der Pflanzen, in einem umfassenden Werke zu behandeln; der Ausführung dieses Planes hat er mit der ihm eigenen Energie, die sich durch kein Hinderniß zurückschrecken ließ, den Rest seines Lebens gewidmet. G. hatte auf seinen früheren Reisen schon viel auf diesen Gegenstand Bezügliches gesammelt und beobachtet; doch erkannte er bald, daß seine Materialien noch lange nicht vollständig genug waren und reiste, um dieselben zu ergänzen, 1778 noch einmal nach England und Holland, wo namentlich zwei berühmte Reisende, Sir Joseph Banks und Thunberg, ihm die von ihnen mitgebrachten Früchte mit größter Liberalität zur Verfügung stellten. Ersterer überließ ihm nicht nur alle Duplikate, sondern gestattete ihm auch die unbeschränkte Benutzung, das Zerschneiden etc. der Unica, [379] welche G. an Ort und Stelle beschrieb und zeichnete. In Leyden wurde noch das reiche Naturaliencabinet für seinen Zweck ausgebeutet, und so kehrte G. reich beladen mit wissenschaftlicher Ausbeute zurück. Allein wenig fehlte daran, daß die Früchte seines Fleißes für ihn und die Wissenschaft verloren gegangen wären. Die Ueberanstrengung hatte ihm ein schweres nervöses Leiden zugezogen, das ihn in die äußerste Gefahr brachte, das Augenlicht zu verlieren. Zwanzig Monate mußte er im verdunkelten Zimmer, meist im Bette, zubringen, bis endlich die schwere Heimsuchung vorüberging. Zwar blieb seine Gesundheit von da an angegriffen, indeß die Schärfe des Auges war wieder da und mit größtem Eifer machte sich G. an die Arbeit, bei der ihm die früher erworbene Handgeschicklichkeit und ein hervorragendes Zeichnentalent trefflich zu Statten kamen. Nach zweijähriger rastloser Thätigkeit waren Manuscript und Zeichnungen zum ersten Theile des Werkes: „De fructibus et seminibus plantarum“ vollendet. Indeß genügte ihm die fertige Arbeit noch nicht; um sich volle Unbefangenheit bei der Revision derselben zu wahren, machte er eine Pause von 1½ Jahren, während derer die Tafeln gestochen wurden und G. sich durch andere Arbeiten von den karpologischen Untersuchungen erholte. Er verfertigte eine astronomische Uhr und schrieb eine Monographie der Compositae, von der ein Auszug im zweiten Theile seines Hauptwerkes mitgetheilt ist. 1788 erschien endlich der erste Band seiner Karpologie, den er auf eigene Kosten herausgab und von dem, wie er sich in der Vorrede zum zweiten Bande bitter beklagt, in drei Jahren kaum 200 Exemplare abgesetzt wurden. Entsprach indeß der buchhändlerische Erfolg nicht seinen Erwartungen, so war der wissenschaftliche um so größer. Die Pariser Akademie erklärte das Werk für eins von denen, die die Wissenschaft am meisten gefördert hatten, und von allen Seiten gingen ihm Materialien für die Fortsetzung desselben zu. Er fühlte wohl, daß ihm nicht mehr viele Jahre beschieden seien; deßhalb machte er sich mit fieberhafter Hast an die Arbeit, die ihm gespendeten Schätze zu bearbeiten, nach dem schönen Vergleiche seines französischen Biographen: „Ainsi le voyageur fatigué redouble la vitesse de sa marche lorsqu’il craint d’être surpris par la nuit“. Diese übermäßige Anstrengung und geistige Aufregung verzehrte bald den Rest seiner Lebenskraft; im April 1791 war der zweite Band druckfertig, den er selbst nicht mehr vollendet sehen sollte. Mitten in der angestrengtesten Thätigkeit für einen dritten Supplementband (welchen sein Sohn später herausgab), schied er aus dem Leben. Unter seinen zahlreichen hinterlassenen Handschriften verdient ein Wörterbuch der Pflanzennamen besondere Beachtung, welches er in Petersburg verfaßt hatte, da er sich neben der Kenntniß der gangbaren westeuropäischen Sprachen auch die des Russischen erworben hatte. Indessen von wie vielseitigem Talent und Kenntnissen auch Gärtner’s kleinere Arbeiten zeugen, seine bleibende Bedeutung beruht nur auf seinem karpologischen Werke. Dasselbe enthält eine Fülle von neuen Thatsachen, mit mathematischer Präcision dargestellt und durch ebenso getreue als elegante Abbildungen veranschaulicht, welche noch heute von großem Nutzen für den praktischen Gebrauch sind, da G. wol viele Copisten und Epitomatoren, aber noch keinen ebenbürtigen Nachfolger gefunden hat, so wünschenswerth eine neue Bearbeitung des Gegenstandes auch wäre. Wol ebenso werthvoll als diese neuen Thatsachen sind die neuen Gesichtspunkte, welche der Verfasser in der im ersten Bande enthaltenen Einleitung für das richtige Verständniß von Blüthe, Frucht und Samen eröffnet. Er hat z. B. die irrige Vorstellung von „nackten Samen“ bei Labiaten, Borragineen etc. beseitigt, die von Linné verschuldete Vermengung des Sameneiweißes mit den Kotyledonen berichtigt, obwol er letztere noch nicht klar als Organe des Keimlings dargestellt hat und eine richtigere Eintheilung der Früchte angebahnt. Die Wichtigkeit von Frucht und Samen für die Classification [380] z. B. bei Palmen, Umbelliferen etc. hat er erkannt, sich aber von der Ueberschätzung dieser Charaktere fern gehalten, da er, wie sein großer Zeitgenosse A. L. de Jussieu, klar erkannte, daß ein natürliches System überhaupt nicht auf die Betrachtung eines einzelnen Organs begründet werden könne.

Deleuze in Annales du Muséum National d'hist. nat. (an XI 1802), p. 207–233. Sachs, Geschichte der Botanik, S. 132–135.