ADB:Reinbot von Dorn
Otto II. von Baiern und seiner Gemahlin Agnes zu Wörth (an der Donau zwischen Regensburg und Straubing?) die Legende des heil. Georg poetisch. Dabei bediente er sich einer bisher nicht ermittelten französischen Vorlage: sie, so erklärt er, getreu wiederzugeben sei ihm seitens der Herzogin ausdrücklich anbefohlen worden, er würde sonst den Stoff haben verrer baz getihten und gezieren und mit lügen geflôrieren können. Bekunden diese Worte die hohen Meinung, welche R. von seinen dichterischen Fähigkeiten hegte, so äußert sich dieselbe nicht minder darin, daß er die Erwartung ausdrückt, in allen deutschen Landen von Preßburg bis Metz, von Tirol bis Bremen werde sein Werk Leser finden. Er setzt es in Parallele mit der Leistung eines Mannes, dem er manche Motive abgeborgt und den er auch stilistisch vielfach nachgeahmt hat, mit dem Wilehalm Wolfram’s von Eschenbach, und wünscht es an diesem gemessen zu sehen. In der That läßt sich nicht leugnen, daß Reinbot’s Gedicht durch lebhafte und gewandte Diction, durch Reichthum des Wortschatzes, durch wirkungsvolle Führung des Dialogs (denn die Martern des Heiligen treten gegenüber der Beredsamkeit, welche er zu Bekehrungszwecken entfaltet, stark in den Hintergrund), durch hübsche, dem Leben der Natur entlehnte Bilder sich auszeichnet. Daneben stehen freilich deutliche Anzeichen mangelnden Kunstgefühls. Dahin gehört die Connivenz gegen rohe oder dialektische Reime; dahin der Hang zur Allegorie, welcher in der Schilderung der Tugendburg, deren Herrscher Georg ist, V. 5716 ff., hervortritt und welcher von Reinbot’s Nachahmer, Hugo v. Langenstein (s. A. D. B. Bd XVII, 673), auf die Spitze getrieben wurde; dahin die Vorliebe für naturwissenschaftliche Fabeleien in der Art der spätern Spruchdichter; dahin endlich der Gebrauch von Vergleichen nicht gerade erlesener Natur. Hält man hierzu die Scene V. 4125 ff., wo Alexandrina ihren kaiserlichen Gemahl mit einer Fluth von Schimpfworten überschüttet, die gleichfalls an die Scheltstrophen fahrender Leute gemahnt, so wird man R., der V. 1919 ff. seiner Armuth gedenkt, am wahrscheinlichsten für einen Angehörigen dieser Kreise erachten dürfen. Denn die reichlich eingestreuten lateinischen Citate sprechen (ebenso wie der Nominativ Saturnô V. 4463) eher wider als für ausgebreitete Gelehrsamkeit und geistlichen Stand, da sie sammt und sonders solchen Bibelstellen entnommen sind, welche in den kirchlichen Officien häufig vorkamen. Ob hingegen an einem andern wesentlichen Mangel des Gedichtes, an seiner sehr ungleichmäßigen Composition, R. die Schuld trägt, oder ob diese Inconcinnität der Quelle zur Last fällt, vermögen wir nicht zu controliren. Jedenfalls eilt der Poet ganz abrupt dem Schlusse zu. Dadurch, wie es scheint, sah sich der Compilator des in zahlreichen Handschriften und Drucken des 15. Jahrhunderts überlieferten „Heiligenlebens“, als er Reinbot’s Gedicht, in Prosa aufgelöst, dieser umfänglichen, in Winter- und in Sommertheil zerfallenden deutschen Legendensammlung einverleibte, veranlaßt, diejenige Sagengestalt, welche die Legenda aurea enthält, mit den erforderlichen Modificationen in excerpirender Uebersetzung anzuhängen.
Reinbot: R. v. Dorn (ohne zureichenden Grund pflegt man den Ort mit Wildthurn bei Landau a. d. Isar zu identificiren), deutscher Dichter, behandelte zwischen 1236 und 1253 auf Wunsch HerzogsEinzige Ausgabe nach einem späten und schlechten Codex in v. d. Hagen’s u. Büsching’s Deutschen Gedichten des Mittelalters, Bd. 1, Berlin 1808. Aufzählung des handschriftlichen Apparats Germania 27, 144 ff.; dazu kommt noch ein Münchner Bruchstück, abgedruckt Germania 31, 83. – Ueber das Biographische [6] vgl. F. Pfeiffer in der Neuen Jenaer Litteraturzeitung 1842, S. 1002 und meine Bemerkungen im Anzeiger f. d. Alterthum 14, 145 ff. – Das Verhältniß zu den altfranzösischen Gedichten vom heil. Georg behandelte C. Weber in der Zeitschrift f. rom Phil. 5, 506; vergl. auch R. Heinzel im Anzeiger f. d. Alterthum 9, 259 ff.