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Die erste deutsche Radlerin

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: unbekannt
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Titel: Die erste deutsche Radlerin
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Entstehungsdatum: 21. August 1908
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Quelle: Staatsbibliothek zu Berlin: Berliner Tageblatt, 21.8.1908, 1. Beiblatt, S. 3, Morgenausgabe
Kurzbeschreibung: Artikel über die erste deutsche Radlerin, 1883 in Neisse
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Die erste deutsche Radlerin. Ein seltenes Sportjubiläum begeht dieses Jahr Frau Choralist Schneider in Neisse. Die noch rüstige Dame, die bereits ihre goldene Hochzeit gefeiert hat, ist 73 Jahre alt und seit 25 Jahren eine treue Freundin des Rades. Es gebührt ihr, wie schlesische Blätter schreiben, das Verdienst, die erste radfahrende Dame Deutschlands gewesen zu sein und somit auch zugleich die erste Radlerin Deutschlands, die ihr 25jähriges Sportjubiläum feiert. Noch heute begegnet man ihr auf größeren Radtouren und sie stellt trotz ihrer 73 Jahre stets „ihren Mann“. In ihren Aufzeichnungen erzählt die Jubilarin, die zuerst mit ihrem Gatten ein doppelsitziges Dreirad, später aber ein einsitziges Dreirad benutzte, von den vielen Anfeindungen, die sie als radfahrende Dame in den ersten Jahren zu erleiden hatte. Im Jahre 1883 bestieg sie im Alter von 48 Jahren zum ersten Male ein Rad zum großen Entsetzen ihrer Anverwandten und Bekannten. „Unsere Todfeinde waren“, so heißt es in den Aufzeichnungen, „die Lohnkutscher, und es schien als ob diese im Rade ihren Untergang witterten. Sie fuhren hohnlachend direkt in uns hinein, und wir mussten wohl oder übel recht oft mit dem Straßengraben Bekanntschaft machen. Und wie der Herr, so’s Gescherr. Pferde und selbst die braven Kühe gerieten in Aufregung bei unserem Anblick. Die Hunde, recht oft von liebenswürdigen Menschen gehetzt, verfolgten uns bis ans Ende des Dorfes und schnappten so lange nach unseren Waden, bis sie von den Speichen unserer Räder oder von unseren Peitschen eines besseren belehrt wurden. Aber das war noch lange nicht das Schlimmste, wenigstens für mich als Frau. Eine Frau auf dem Rade! Grinsend standen sie da in Stadt und Land, sahen mir nach, und höhnische Redensarten, gemeine Schimpfworte, wenn nicht Schlimmeres, trafen mein Ohr und ließen mich trotz meines Alters vor Scham erröten. Die Kutscher schlugen mit der Peitsche nach mir und trafen leider oft genug, und die Kinder hatten, von den Großen angestiftet, ganze Batterien von Schmutzlumpen aufgehäuft, um mich damit möglichst gründlich bombardieren zu können. Meine Verwandten sagten mir Fehde an, wenn ich das Radeln nicht ließe. Ich verzichtete auf den Verkehr mit ihnen und blieb meinem Rade treu. Der Kreisphysikus, ein langjähriger Freund von mir, schrie mich in Gegenwart mehrerer Damen auf der Straße an: „Aber Frau Schneider, sind Sie denn schon ganz verrrückt, daß Sie sich auf so ein Ding setzen?“ All dieser Aerger und schließlich auch der Umstand, dass ich durch Wagen wiederholt in Lebensgefahr geriet, was ich natürlich niemanden erzählen durfte, ohne einen ganzen Sprichwörterschatz, wie „Wenn dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis“ usw. gegen mich mobil zu machen, hätten mich vielleicht doch bewogen, das Radeln aufzugeben, wenn nicht damals mein 91jähriger Vater dreiviertel Meilen von Neisse krank lag. Mit Hilfe des Rades konnte ich ihn besuchen. Er war immer sehr erfreut darüber, und einmal ließ er sich sogar ans Fenster tragen, um mich auf dem Rade sehen zu können. „Lasse die dummen Menschen reden“, sagte er dann, „und harre aus! Das Ding hat eine große Zukunft.“ Und der alte Mann hat recht gehabt!“