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Ein Braver

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: R.
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Titel: Ein Braver
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 751
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[751] Ein Braver. Am 16. April d. J. verbreitete sich bei unserem Regimente die Nachricht, daß die Düppeler Schanzen in der nächsten Nacht gestürmt werden würden. Wir zogen auf Vorposten. „Wirst Du zurückkommen?“ so fragten sich wohl Alle, und die Meisten mögen sich darauf mit Nein geantwortet haben: denn ein Blick auf die Physiognomie der Leute ließ dies leicht ahnen. Da saßen die braven märkischen Jungen, theils mit zusammengepreßten Lippen vor sich hin auf die nahen Dänenwerke schauend, während das Auge des Geistes in der fernen lieben, ach so lieben Heimath bei den Eltern, dem Weibe, den Kindern oder der rosigen Braut weilte, theils mit einander leise plaudernd von alle dem, was den jungen Herzen nun gerade am nächsten lag. Doch einen und denselben Schluß hatten alle Gedanken: „Besser stürmen und siegen oder fallen, als hier auf Vorposten länger alle nur denkbaren Strapazen ertragen.“

Die Nacht zum 17. April verging wider Aller Erwarten ruhig; wir wurden am Abend des genannten Tages vom achtzehnten Regiment abgelöst und marschirten nach Nübel, wo noch spät Nachts die Fleischportion mit der Weisung vertheilt wurde, „bis fünf Uhr das Mittagsbrod abgekocht zu haben.“ Dies sowohl, wie das Zusammenstehen der höheren Officiere, brachte abermals die Idee, daß etwas Wichtiges im Werke sei, in Aller Köpfe. „Diesmal wird’ s doch endlich den Schanzen gelten,“ sagte Der und Jener seinem neben ihm liegenden Schlafcameraden.

„Es wäre Zeit.“

„Gute Nacht.“

Der Morgen des 18. April machte die Idee fast zur Gewißheit; denn der Donner der Batterien war noch niemals so stark gehört worden, wie an diesem Tage; es gab keine Pause unter dem Krachen der einzelnen Schüsse, ein Dröhnen verband sich mit dem andern zum furchtbarsten Donner. Auf der Büffelkoppel, einer mit prachtvollen Buchen bewachsenen Anhöhe, sammelte sich unser Regiment, und hier erst erfuhren wir aus dem Munde des Obersten, daß der Sturmlauf auf die Schanzen eins bis sechs um zehn Uhr beginnen werde. Das Regiment stand, mit Ausnahme von zwei Compagnien, die durch’s Loos zu den Sturmcolonnen gekommen waren, in der ersten Reserve.

Die Uhr zeigte zehn Minuten vor Zehn, als das Commando „an die Gewehre!“ ertönte. In diesem Augenblick sah ich kein rothes Gesicht, keinen lachenden Mund; mir selbst aber drängte sich der Gedanke mit aller Macht auf: „Dies ist dein letzter Gang.“ Ich war überzeugt, wie ich auch gegen diese Ahnung anzukämpfen versuchte, daß ich heute bleiben würde. Ich hatte einen Cameraden, der mir in diesem Feldzuge ein lieber, herziger Freund geworden war, T… ist sein Name, ihn bat ich, sich die Adresse der Meinen aufzuschreiben.

„Weshalb?“

„Ich werde heute bleiben, und sie mögen daheim bald Nachricht haben.“

„Sei kein Thor und fort mit diesen trüben Gedanken!“

„Mir sagt’s aber eine Ahnung, und Ahnungen sind wahr.“

„Nun, wenn Ahnungen nicht trügen, dann sehen wir Beide heute Abend von den Schanzen ganz gemüthlich nach Alsen hinüber. Auch ich habe Gefühle so ganz anderer Art wie sonst, die aber alle sagen: Du und ich, wir werden siegen und leben; wie kann der einfältige Tod nur wagen, Dich von mir zu reißen, die wir ja Eins sind! Ade, mein Junge, ich gehe zu meinem Zuge. Apropos,“ drehte er sich noch einmal um, „meine Cigarren sind alle geworden, Du hast doch noch einige?“

„Etwa dreißig Stück.“

„Ah, sehr gut, wir werden sie heut Abend brauchen. Ade.“

Vorwärts ging’s. Die erste Reserve, also auch wir, kam in’s Gefecht, nicht etwa als ob die Sturmcolonnen geworfen worden waren, sondern um die Schanzen sieben bis zehn und den Brückenkopf anzugreifen. Das Regiment wurde auseinandergerissen und ging theils auf diese, theils auf jene vor, unsere Compagnie gehörte zu der nach dem Brückenkopf dirigirten Colonne. Wir hatten die Schanzen, auf denen der Kampf noch wüthete, im Rücken, vor uns aber nicht allein den Brückenkopf mit seinen Tod und Verderben speienden Geschossen, sondern auch die mit dänischen Schützen dicht besetzten Knicks. Jeder einzelne derselben mußte genommen werden, und das war die leichteste Arbeit nicht; denn die Dänen fochten brav; wenige wurden gefangen genommen, die meisten starben den Heldentod.

Wir hatten einen solchen Knick genommen und uns dahinter festgesetzt, ein heftiges Feuer mit einer uns gegenüberliegenden, etwa hundert Schritt entfernten dänischen Abtheilung unterhaltend. Einige Schritt vor uns lagen drei schwer getroffene Dänen. Die armen Kerle jammerten und ächzten ganz schrecklich und mühten sich vergeblich ab, zu ihren Cameraden zu gelangen. Mein Freund T… lag einige Schritte von mir, er rief mich zu sich, ich kroch zu ihm heran.

„Höre,“ sagte er, „ich kann das Schreien und Jammern nicht länger ertragen, ich hole die armen Kerle, sie müssen verbunden werden.“

Ich suchte ihn abzuhalten mit Güte, mit Gewalt; denn ich und jeder Andere wußte, daß ein derartiges Unternehmen sicherer Tod durch die Kugeln der gegenüberliegenden Feinde sein würde. Doch alles Bemühen war vergeblich, er drängte uns von sich und sprang über den Knick. Das Feuer unserer Gegner wurde von diesem Moment an heftiger; über uns hinweg zischten die Kugeln, massenweis schlugen sie klatschend in den Erdwall ein, daß Schmutz und Staub in die Höhe spritzte. Wieviel mochten nach jenem kühnen Jüngling gerichtet sein, wieviel trafen ihn? Mitten unter den Kugeln ging er schleunigen Schrittes zu den drei Verwundeten, keine traf ihn. Er erfaßt den Einen, er schleppt ihn zu uns; noch immer schießen die Dänen, obschon nicht mehr so heftig, er geht zum zweiten Male vor, hebt den zweiten Verwundeten auf, der arme Teufel schreit furchtbar dabei, da jedenfalls durch die Bewegung die im Unterleib sitzende Kugel ihm noch größere Schmerzen verursacht, mit einem Male ist er ganz still – eine Dänenkugel hat ihm, dem Dänen, den Kopf zerschmettert. Hatte sie ihm gegolten oder dem wackern Preußen, der sein Retter werden wollte? Wir hörten ein dänisches Commando, kein Flintenschuß fiel mehr von drüben.

Zum dritten Male geht der Brave vor, den letzten bringt er zu uns heran. Wir ziehen den Dänen behutsam zu uns herüber, ich reiche meinem lieben T… die Hand zur Stütze beim Uebersteigen des Knicks, da schreit’s „Bombe“, im nächsten Augenblick ein Knall, Erde, Dampf, Steine fliegen in die Höhe, ich fühle die Finger des T. eisenfest, bis zum Schmerz, sich um die meinen klammern, dann lassen sie los, der Arm fällt schlaff mit dem Oberkörper zusammen.

Ein Loch hier und dort, ein wilden Hurrah längs des ganzen Walles, und hinüber ging’s mit wildem Ungestüm; kaum eine Minute darauf war der nächste Wall mit dem Bajonnet genommen. Er aber, der vor wenigen Stunden noch so gar nicht an Sterben und Fallen denken wollte, dem das junge Herz so ganz voll von frischer Hoffnung schlug, der arme, arme Junge lag zu einem blutigen Klumpen zusammengebrochen am Boden, eine Hohlkugel, die ganz in seiner Nähe geplatzt, hatte seinen Unterleib buchstäblich auseinandergerissen. Eine halbe Minute noch durfte ich bei dem geliebten Leichnam knieen und in das sonst so schöne treue Auge schauen, das jetzt starr und glanzlos auf mich blickte. Dann kam die Pflicht; einen Kuß noch der bleichen Stirn, und weiter vorwärts.

Wo und mit wie Vielen mag er zusammen ein Grab gefunden haben? Ich weiß es nicht. Als ich am nächsten Morgen ihn zu finden kam, fand ich zwar die von Blut geröthete Stelle, wo er gefallen, sein Leichnam aber war nicht mehr da, jedenfalls ruhte er schon in seiner letzten Wohnung.

Schlaf in Frieden, wackeres deutsches Jünglingsherz!
R.