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In einem türkischen Laden

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Dr. K. Rbch.
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Titel: In einem türkischen Laden
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 744–747
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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In einem türkischen Laden.

Von Dr. K. Rbch.

Während meines Aufenthaltes in Smyrna besuchte ich natürlich oft die Bazars aller der verschiedenen Völker, die dort sich finden, um auf diese Weise durch unmittelbare Anschauung ihre Art und Sitte kennen zu lernen. Dabei ergeben sich wesentliche Unterschiede. Am besten ist der türkische Kaufmann. Er plaudert nicht, wie der Perser, er prahlt nicht, wie der Grieche, und spielt nicht den Nachlässigen oder Vornehmen, wie der Armenier. Er sitzt in olympischer Ruhe auf seiner Matte beim Schibuk und spielt keinerlei Rolle, thut sich keine Gewalt an, trägt keine Maske, sondern gibt sich unverhüllt, wie er ist. Er betrügt nicht und wird nicht verdrießlich, wenn der Käufer ihm stundenlang vergebliche Mühe macht und schließlich geht, ohne für einen Piaster zu kaufen.

Daher zog ich es vor, alle meine Einkäufe, so weit dies möglich war, bei den Türken zu machen. Es betraf meistens Gegenstände, die ich nur des Vergnügens halber mitnahm, um sie später als Erinnerungen an die Ferne aufzubewahren. So in Smyrna unter Anderem einen Teppich, wie man sie eben dort in Anatoli verfertigt, und jetzt in Europa, z. B. in Schmiedeberg in Schlesien nachmacht. Zu dem Ende erkundigte ich mich bei meinem Freunde, einem Kaufmann, nach einem Laden, wo ich solche Teppiche finden würde, und zwar echte kleinasiatische, nicht etwa englische oder deutsche Nachahmungen. Denn auch diese gibt es dort in Fülle, weil sie billiger sind, als die an Ort und Stelle verfertigten. Jene, die eingeführten, werden natürlich mit der Maschine gemacht, diese aber, die einheimischen, völlig aus freier Hand. Mein Freund wies mich an einen Türken und dieser gab mir einen jungen Mann aus seinem Geschäft mit, einen Griechen, der sowohl türkisch als italienisch sprach und der also meinen Dolmetscher abgeben sollte, indem ich mich der letztern Sprache bediente.

Wir durchwandelten nur einige von den unzähligen kleinen engen Kreuz- und Quergäßchen und standen bald unweit der großen Moschee vor einem offenen Laden, wie sie im Orient gewöhnlich sind. Man tritt nämlich durch eine niedrige Pforte in eine nach vorn ganz offene, kleine cubische Halle, deren Boden etwa drei bis vier Fuß höher liegt, als die Straße, und welche während der Nacht durch große Läden von oben und unten geschlossen wird. Die obere Hälfte wird, in ihren Angeln sich bewegend, durch Eisenstäbe auf der Seite in die Höhe gestützt und bildet so ein schützendes Vordach gegen Regen und Sonne; die untere fällt in ihren Angeln als Bedeckung der Hausmauer vertical hinab. An den Wänden der kleinen Hallen entlang liegen in allerlei offenen Fächern die Waaren; der Mittelraum ist leer. Hier liegt eine große Matte aus Dattelpalmblättern, und auf derselben sitzt, wenn nicht Käufer kommen, von Morgens bis Abends der Kaufherr und raucht seinen Schibuk (lange Pfeife) oder seine Argille (Wasserpfeife) und trinkt zeitweilig vielleicht zehn oder zwölf Mal des Tages seinen Kaffee. So fand ich auch meinen Türken. Er war ein alter Mann von etwa siebzig bis fünfundsiebzig Jahren mit langem silberweißen Barte und etwas blassem, sehr schönen Antlitz. Ein tiefer Ernst und eine sanfte Ruhe lag über die Züge ausgebreitet. Unter der hohen und breiten Stirn leuchteten ein Paar große hellgraue Augen mit durchdringender Schärfe hervor, und die lange sanft gebogene Nase sprang kühn zwischen ihnen mit scharfen, Rücken heraus und hinab auf die weichen Wellen der Lippen, die von dem glänzenden Silberbarte umschattet wurden. Ein hellrother Kaftan verhüllte ihn. In Mekka war er nie gewesen, denn er trug keinen grünen Turban, sondern einen weißen von untadeliger Reinheit. Das Unterkleid war von buntem Stoff aus gelber und blauer Seide, die Beinkleider von hellblauer Baumwolle, die Socken aus gelbem Leder. Er saß und rauchte seine Pfeife, und als wir vor den Laden traten, und mein Begleiter frug, ob er schöne Teppiche vorräthig habe, sagte er: „Ja wohl! Tretet nur herein!“ Er verbeugte sich sitzend und deutete mir mit der Hand einladend auf einen kleinen Stuhl mit Strohsitz, das einzige derartige Geräth, das der Raum zeigte. Ich ließ mich dann nieder, und mein Gefährte setzte sich halb, und halb lehnte er sich auf den erhöhten Boden des Ladens. Dieser ist nämlich nur eine Reihe von Bretern, welche auf untergestellten Böcken ruhen, indessen der eigentliche Fußboden aus festgestampftem Lehm besteht, wie der offne Streif desselben von der Thür geradeaus bis zur Hinterwand genugsam zeigt. Man steht also da auf der lieben ursprünglichen Erde, und nur selten ist sie mit Fliesen bedeckt.

Der Türke saß oben auf seiner Matte, ich unten auf dem Stuhl, und kaum war ich seiner Einladung gefolgt, als er auch schon die Pfeife aus dem Munde nahm und mir darbot. Das ist die erste Höflichkeit, welche der gute Ton gegen einen geehrten Gast vorschreibt. Ich nahm sie an, und er rief seinen Knaben. Ein kleiner Negerbube von etwa zwölf Jahren erschien, und ich konnte genug Türkisch, um die beiden Worte zu verstehen: Pfeife und Kaffee.

Das schien mir ein weitläufiger Handel zu werden, und ich dachte unwillkürlich an Europa und dann gar an Amerika, wie weit wohl dort die Leute kommen möchten, wenn sie jeden Käufer erst zum Sitzen nöthigen und mit Pfeife und Kaffee tractiren wollten, „Time is money,“ sagen die Amerikaner und zahlen lieber 45 Dollars auf einem Missisippi-Dampfer, der in vier Tagen von New-Orleans nach Louisville fährt, als 25 auf einem, der fünf Tage gebraucht. Denn die 20 Dollars lassen sich vielleicht zwei Mal in dem gewonnenen Tage verdienen.

Nach einiger Zeit bot ich dem Türken die Pfeife wieder zurück und wiederholte meine Frage nach den Teppichen. Er bat mich, den Schibuk zu behalten, sein Knabe werde gleich mehrere bringen, und wegen der Teppiche könne ich sorglos sein, die seien vorhanden. Indessen kam der Bursche zurück und überreichte seinem Herrn zwei andere Pfeifen, die dieser nun aus dem im Gürtel befindlichen Tabaksbeutel füllte, indessen der Knabe ging, Feuer zu holen. Der Herr hatte ihm zu dem Ende die einen Fuß lange Feuerzange oder Pincette mit goldenem Griff gereicht, die in eben solcher Scheide mit schöner erhabener Arbeit im Gürtel steckte. Diese Feuerzange, mehr oder weniger prächtig gearbeitet, ist neben Tabaks- und Geldbeutel das dritte Hauptstück im Gürtel des anständigen Türken und fehlt nie.

Die Pfeifen waren fertig gestopft; der Knabe mit glühender Kohle in der Zange stand vor dem erhöhten Boden und hielt das

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Mein Teppichhändler in Smyrna.

Feuer tupfend auf den Tabak, bis dieser ganz in Brand war; dann überreichte mir der Alte die Pfeife mit der Bitte, die andere zurückzugeben, was ich auch, wenn ich ihn nicht beleidigen wollte, thun mußte. Denn eine frische Pfeife gehört zu den orientalischen Leckerbissen, weil sie rein und wohlschmeckend ist. Während der Italiener sagt: „rein wie die heilige Jungfrau,“ sagt der Türke: „rein wie eine Pfeife“, um den Inbegriff alles Süßen und Schönen in ein Wort zusammenzupressen, es sei nun von körperlicher oder seelischer Vollkommenheit die Rede.

Die zweite, ebenfalls angezündete Pfeife erhielt mein Begleiter, und dann bereitete sich unser Wirth selbst die dritte. Indessen war der Knabe abermals gegangen und wiedergekommen, und bot nun Jedem von uns den unentbehrlichen Kaffee. Das war für mich an dem Tage schon der dritte außergewöhnliche, und es war erst elf Uhr Morgens. Die sehr kleinen Obertassen in höchst einfacher, stets gleicher Form fassen einen guten Eßlöffel voll und stehen neben den metallenen Untertassen, die die Form unserer Eierbecher haben. Letztere sind aus Messing, in vornehmen Häusern aus Gold, in reichen mit Diamanten besetzt. Die Obertasse aber bleibt stets aus Porzellan und zwar nicht sehr feinem. Beim Zugreifen setzt der Gast die Obertasse in den daneben stehenden Untersatz und ergreift dann diesen, um ihn gleich auszutrinken, was natürlich keine große Schwierigkeit macht. Dann geht der Diener in derselben Reihe wieder herum und sammelt die Tassen auf dem Präsentirteller wieder ein, die eben so zurückgegeben werden, indem man die Untertasse hinstellt, und dann die Obertasse davon abhebt und daneben setzt. Vom Kaffeetisch und dergleichen ist also keine Rede, daher kann auch der Türke überall Kaffee trinken, weil er dazu nur einer Hand bedarf, und daher enthält ein türkisches Kaffeehaus in Bezug auf Möbel nur einige Matten oder, wenn es vornehm hergeht, Teppiche.

Mit dem Kaffee war aber nun zwischen dem Wirth und uns das richtige Verhältniß eingetreten, was sich sogleich durch die Anknüpfung eines langen Gesprächs kund that. Er frug nämlich zunächst nach meinem Vaterlande und wie lange ich schon in Smyrna sei? Nachdem er darüber die genügende Auskunft erhalten, ging er auf die persönlichen Verhältnisse ein:

„Wie geht es Deinem Vater?“

„Er ist lange todt,“ war die Antwort.

„Das thut mir leid. Er muß ein tüchtiger Mann gewesen sein, denn den Vater erkennt man an den Kindern.“

Ich dankte ihm für die Höflichkeit, und er fuhr fort:

„Lebte er mit Dir in derselben Stadt?“

„Nein, ich kam schon früh von der Heimath fort.“

[746] „Warst Du bei ihm, als er starb?“

„Leider nicht, denn der Tod trat plötzlich ein.“

„Aber war doch nicht allein damals?“

„Keineswegs, meine Geschwister und meine Mutter waren bei ihm,“ – Als ich meine Mutter nannte, verneigte sich der Alte sehr höflich und frug dann:

„Wie geht es Deinen Brüdern?“

„Es lebt nur noch Einer, und ihm geht es gut.“

„Wohnt Ihr zusammen in derselben Stadt?“

„Ja wohl.“

„Wie beschäftigt er sich?“

„Er ist Künstler.“

„Und Deine Kinder, wie geht es ihnen?“ (Jetzt kam also die dritte Generation zur Sprache.)

„Ich habe keine, ich lebe noch allein.“

„Aber Deines Bruders Kinder, sind sie wohl?“

„Vollkommen, so viel ich weiß.“

„Hast Du kürzlich Briefe von Haus empfangen?“

„Vor vierzehn Tagen in Istambul die letzten.“

Es half mir nichts, daß ich meine Antworten möglichst kurz und trocken gab, der Alte war viel zu höflich, als daß er sich nicht nach Allem, ausgenommen die Frauen, erkundigt hätte. Nur nach der Mutter frug er einmal indirect. Er wollte dadurch zeigen, einen wie innigen Antheil er an mir und meinem Schicksal nähme. Nach den Familien-Angelegenheiten kam meine Reise an die Reihe, und er erkundigte sich auf’s Genaueste nach Constantinopel, wo er vor fünfzig Jahren einmal gewesen war, frug dann, wohin ich später ginge, und als er hörte: Egypten, schwieg er eine Weile still, als erinnere ihn der Name an etwas. Ich erkundigte mich, ob er etwa dort gewesen sei, was er verneinte, und dann, da er hörte, daß ich in Unruhe sei, etwa traurige Erinnerungen in ihm geweckt zu haben, fügte er hinzu, sein ältester Bruder sei dort vor einigen Jahren gestorben. Nun war ich aus Höflichkeit verpflichtet, mich nach seiner Familie zu erkundigen und alle die Fragen, die er vorhin an mich gethan, jetzt in ähnlicher Weise auch an ihn zu richten. So verstrich wohl fast eine Stunde, und ich wurde nachgerade ungeduldig, so sehr ich auch meine Vorrathskammern der Geduld an jedem Morgen anzufüllen pflegte. Ich sah ein, daß ich für die Zukunft dieselben noch erweitern und vergrößern müsse, wenn ich auskommen wollte. Das ist denn auch in Egypten im größten Maßstäbe geschehen. – Ich benutzte also später eine Pause, als eben der Alte geantwortet hatte, um ihn nun zum dritten Male nach den Teppichen zu fragen. „O, das hat ja Zeit, mein Bester!“ erwiderte er. Ich war aber andrer Meinung und äußerte dies dahin, daß ich sie jetzt zu sehen wünschte. Als der Türke dies hörte, sah er mir scharf und forschend in’s Gesicht, als wolle er aus meinen Augen lesen, ob das mein Ernst sei. Seine Beobachtung mochte wohl herausgefunden haben, daß ich nicht länger warten wolle, denn er legte die Pfeife weg, stand auf, schlüpfte im Herabsteigen mit den Füßen in die am Boden stehenden rothen Schuhe und öffnete eine kleine Thür, die in ein Hintergemach führte. Wir folgten. Hier waren die Wände ringsum auch mit Fächern versehen und enthielten, außer an der vierten, nichts als Teppiche von allen Größen, Farben und Arten. Er legte uns zuerst einen vor ohne Plüsch, als ich ihn aber entschieden abwies und sagte, ich wolle einen sogenannten Challie-Teppich, d. h. der auf der einen Seite einen dichten Plüsch hat, lächelte der Alte sehr freundlich und erwiderte: „Ganz, wie Du willst! Ich gebe Dir, was ich irgend habe. Du sollst mit mir zufrieden sein!“

Nun ging er zu der linken Seitenwand, hob einen Packen herab und breitete den Teppich auf dem Boden aus. „Der ist mir zu grob; ich will von den feinsten, die Du hast! Und zwar einen von mittlerer Größe.“ Denn ich sah, daß er eben einen solchen wie ich wünschte, aber nur sehr kleinen auf den schon am Boden liegenden ausbreitete. „Gut, wie Du willst!“ und dabei nahm er aus einem andern Fach einen heraus und ließ ihn auf die frühern fallen.

Dieser war mir in Größe und Feinheit recht, aber Farbe und Muster gefiel mir nicht ganz. Ich ließ dies dem Kaufherren deutlich machen, und er sah mich dann freundlich an und nickte beifällig mit dem Kopfe, indem er sagte: „Du wirst schon einen finden, der Dir gefällt.“ Nun nahm er ein Stück nach dem andern von dem Lager herab und legte es auf das vorhergehende. Er wurde gar nicht ungeduldig, daß ich so lange und sorgsam wählte; es schien, als werde er mit größtem Gleichmuth sein ganzes Lager vor mir ausbreiten. Es lag bereits ein ziemlich hoher Haufen von Teppichen vor mir, was freilich bei der großen Dicke jedes einzelnen kein Wunder war. Doch da man ein solches Stück für Lebenszeit kauft, so hatte ich mir vorgenommen, nicht voreilig zu wählen. Als ich nun einen fand, der mir sehr gut gefiel, und dies dem Alten sagte mit dem Bedeuten, inne zu halten mit den übrigen, erwiderte er: „O nein! Sieh sie doch alle an, vielleicht gefällt Dir ein anderer noch besser!“ Er warf dann noch zwei oder drei darüber, aber ich erneuerte meine Bitte, es lassen, da mir der bezeichnete ausnehmend wohlgefiel. Er zog ihn mit Hülfe des Knaben hervor und legte ihn obenauf.

„Also dieser gefällt Dir?“

„Ja wohl! Ist er nach Deinem Urtheil gut gearbeitet?“

„Das ist er. Er gehört zu meiner besten Sorte.“

„Dieser aber ist doch noch dichter,“ sagte ich und wies ihm einen andern, sonst sehr ähnlichen.

„Wenn Du den vorziehst, so nimm ihn. Er ist gut, aber dieser ist besser und wird länger halten.“

„Warum? Er ist doch weicher und dünner.“

„Eben darum. Jene Wolle ist härter und straffer und nutzt sich schneller ab. Deine erste Wahl war die beste und zeugt für Deine kundigen Augen.“

„Ich bin weder Fabrikant noch Kaufmann, ich zog ihn nur vor, weil die Wolle sanfter war.“

„Du thust ganz recht. Auch ich halte ihn für besser.“

„Wohl, so nehme ich ihn. Was kostet er?“

„Fünfhundert Piaster.“

„Das ist mir viel zu theuer. So viel habe ich für diesen Kauf nicht bestimmt. Willst Du ihn billiger lassen, gut. Sage mir also Deinen genausten Preis!“

Hier muß ich bemerken, daß man im Orient gewöhnt ist, in den Bazars nur die Hälfte von dem zu geben, was gefordert wird. Denn die Händler verlangen dem Fremden oft unverschämte Preise ab. So sah ich z. B. unter Andern in Constantinopel einem Europäer für ein Paar gestickte Schuh 3 Pfd. Sterling (20 Thaler) abfordern, und er war im Begriff 2 Pfd. dafür zu geben, als er zufällig, da ich neben ihm stand, sich meine Meinung ausbat. Ich sagte ihm deutsch: „Die Schuhe sind höchstens 3–4 Thaler werth, denn das Gold an der Stickerei ist sehr dünn und das Andere, was Sie bewundern, sind Fischzähne, also fast werthlos. Bieten Sie höchstens ½ Pfd. Sterling.“ Er that’s, und der Grieche, der den Laden hielt, lachte mit seinen Genossen ihn darüber aus und bemerkte, er verstehe nichts von der Kostbarkeit der Waare. Der Fremde wurde dadurch irre, blieb aber auf mein Zureden bei seinem Gebot, trotzdem er noch verschiedene Male ausgelacht wurde und wollte eben den Händler verlassen, als dieser aufsprang und uns nachrannte mit den Worten:

„Signor, Monsieur, hier sind die Schuhe – da! für ein halbes Pfund, weil Sie doch einmal so viel nur geben wollen!“ Er hatte uns eingeholt und hielt den fraglichen Artikel in der Linken. Dann griff er mit der Rechten gierig nach dem dargebotenen Gold und eilte zurück. – Der Dolmetscher des Fremden stand seitab und scheute meine Augen, da er wohl längst gemerkt hatte, woher der Wind wehte. Dies nur eins der unzähligen Beispiele, wie es im Orient beim Kauf und Verkauf im gewöhnlichen Bazar für die Fremden hergeht. Der Eingeborne natürlich wird weniger betrogen; wer aber einen einheimischen Führer hat, der sehe sich vor.

Nun war mein Dolmetscher mir zwar unbekannt und ein Grieche, aber er hatte edle Züge, wie man sie in Kleinasien, besonders unter den Frauen, noch häufig findet, denn nicht alle Griechen sind entartet; ich habe unter ihnen höchst ehrwürdige, edle Menschen kennen gelernt, hüben wie drüben am Archipelagus. Zudem war er mir von einem Freunde mitgegeben – und mein Kaufmann war ein Türke. Ich hatte also die Sicherheit nicht betrogen zu werden, doch handeln muß man im Orient immer, und wenn auch nicht die Hälfte, so wird doch stets etwas nachgelassen.

Auf die Frage nach seinem genausten Preis antwortete mein Alter: „480 Piaster“ (= 4 Pfd. Sterling oder 5 Napoleonsd’or).

„Das ist mir immer noch zu theuer,“ erwiderte ich.

„Aber der Teppich ist den Preis werth, und Du wirst Dich später freuen, ihn dafür erlangt zu haben.“

„Nein, denn ich werde soviel nicht zahlen.“

„Doch, Du wirst, denn Du wirst einsehen, daß er dies werth [747] ist. Wenn Du mein Bruder wärst, Du. könntest ihn nicht billiger verlangen.“

„Ich glaube Dir, aber soviel will ich nicht ausgeben, da ich ihn blos zum Vergnügen, als Andenken an Smyrna, mitnehmen wollte.“

„Du hast soviel für die Reise bis hierher ausgegeben, und wirst gewiß auch noch 480 Piaster an den Teppich wenden, um an die schöne Stadt zurückzudenken. Und dann denkst Du auch an mich, weiß ich, und lobst mich im Stillen dafür, wie gut ich Dich bedient habe.“

„Ja! das will ich, wenn Du ihn mir zu 4½ Napoleonsd’or gibst.“

„Allah ist mein Zeuge, das kann ich nicht, und wenn Du mein Vater wärst. Sieh, ich habe Dich lieb, Du gefällst mir gar gut, und ich möchte Dir lieber etwas verkaufen, als vielen Andern, aber auch nur darum, weil ich weiß, daß Du viel zu gerecht bist, um zu wollen, daß ich Schaden leide.“

„Das ist auch mein Wille nicht. Höre also: Kannst Du mir den Teppich für 450 Piaster geben? Das ist die höchste Summe, die ich daran wenden will. Kannst Du mir ihn dafür geben, ohne Schaden zu haben, gut! Wo nicht, muß ich den ganzen Kauf lassen, oder einen kleineren Teppich wählen.“

„Du bist sehr genau, gern möchte ich Dir zu Willen sein, aber auch 450 Piaster ist zu wenig. Dann hätte ich keinen Para Verdienst. Doch laß uns noch eine Pfeife rauchen und Kaffee nehmen. Wir werden schon Handels einig werden. Du wirst zufrieden sein.“

Der Alte war die Liebenswürdigkeit selbst. Mit großer Grazie geleitete er uns zurück, bereitete neue Pfeifen, die der Knabe geholt hatte, da der Orientale nicht gern zwei Mal aus derselben Pfeife nacheinander raucht, ohne daß sie zuvor gänzlich gereinigt wird, und auch Kaffee wurde abermals dargeboten. Mir war das nun gar nicht recht, aber mein Begleiter hatte, als ich bei dem Herausgehen aus dem Hintergemach ihm dies sagte und hinzufügte, daß ich gesonnen sei, lieber fortzugehen, zugeflüstert: „Bleiben Sie nur! Er will sich blos die Sache reiflich überlegen und wenn Sie ihm Zeit lassen, geht er auf Ihre letzte Forderung ein.“ – Die letzte Antwort des Türken hatte mir auch so geschienen, als werde er nachgeben, aber daß er dazu erst langen Nachdenkens bei der Pfeife bedürfe, hatte ich nicht geahnt. Doch fügte ich mich, schon aus Theilnahme, wie die Sache zuletzt werden würde. Denn ich war bereits anderthalb Stunden hier, und noch war kein Resultat erreicht.

Wir saßen also abermals auf den alten Plätzen, rauchten in Ruhe und Beschaulichkeit unsern Schibuk, und der Kaufmann erkundigte sich, ob ich nicht nach Manissa (Magnesia) wolle oder nach Sarves. Ich bejahte das, lenkte dann aber gleich wieder auf unsern Handel zurück, um die Sache zu Ende zu führen, jedoch der Alte meinte, das habe ja noch Zeit und er sei überzeugt, er werde den Teppich nicht behalten. Dann schwieg er, und ich auch, bis ich nach etwa fünf Minuten mit meinem Gefährten in ein Gespräch kam über dies und das, indessen der Türke ruhig eine blaue Wolke nach der andern sanft vor sich hin blies. Als unser Thema erschöpft war, und abermals Stille eintrat, äußerte ich meinem Dolmetscher, daß es wohl Zeit sei, den Handel zu beendigen. Er ging darauf ein und sagte also unserm Wirth, ich wolle fort, denn meine Zeit sei gemessen – ein reichliches Maß, denn es war indessen 1 Uhr geworden, also hatten wir bereits zwei Stunden auf den Handel verwendet. Er winkte dem Knaben, den Teppich hereinzuholen, und dieser brachte ihn zusammengelegt herein und legte ihn zwischen mir und seinem Herrn auf die Matte.

„Nun, nicht wahr, Du gibst 480 Piaster dafür?“

„Keineswegs, sondern wie ich sagte, 450 nur.“

„Aber das wäre unter dem Werth verkauft.“

„Mag sein; ich will aber nicht mehr daran wenden.“

Hier hob mein Gefährte das Packet in die Höhe, legte es auf die rechte Hand und streckte diese aus, um den Pack zu wiegen, ließ ihn dann verächtlich auf die Matte fallen, hob ihn abermals auf die andere Hand und warf ihn ebenso wieder hin, indem er sagte: „Ach! geh doch! Ist viel zu leicht! Ist nicht einmal 450 Piaster Werth. Ist ja viel zu leicht für 450 Piaster!“

Der Alte belächelte diesen Vorgang, sah mich mit seinen hellen, scharfen Augen an und sagte: „Meint mein Freund das auch? Sagst Du auch, er sei zu leicht?“

Er hatte also wohl gemerkt, daß der Grieche das nur für sich und aus sich heraus gethan hatte. Nun wartete er ruhig, aber sehr aufmerksam auf meine Antwort, welche natürlich verneinend ausfiel.

„Das wußte ich, daß Du meine Waare nicht verachten würdest, denn sonst würdest Du sie doch nicht kaufen. Ich weiß, Du kommst zu mir, wenn Du wieder irgend etwas von Sachen dieser Art bedarfst.“

Ich glaube, wenn ich vorhin Ja gesagt hätte, er hätte den Teppich behalten, und wenn ich auch 500 Piaster gezahlt hätte, denn sein Ehrgefühl schien größer zu sein, als der Drang nach Erwerb. Und was seine Prophezeiung anlang, so ging sie wirklich in Erfüllung. Denn als ich einige Tage hernach eines Morgens nach Sardes reiten wollte, und schon nach einigen Stunden umkehren mußte, weil das Gepäck auf den Pferden zu schlecht befestigt war, um in Trab und Galopp fest zu halten, so ging ich zu meinem alten Freunde und holte mir dort ein Paar Reisetaschen, wie sie im Orient hinter und unter dem Sattel quer über den Rücken des Pferdes gelegt werden und alles Nöthige fassen. Wie freundlich empfing er mich mit den Worten: „Sagt’ ich Dir nicht, Du würdest wiederkommen? Ich wußte, daß Du mit Deinem alten Freunde Selim zufrieden sein würdest; ich wußte es.“ Und dann dauerte unser Handel um die Taschen auch wieder eine gute Zeit, wenn gleich nicht so lange, als der um den Teppich, da wir uns nun schon kannten. Auch noch jetzt denke ich wirklich mit Freuden an den ehrlichen Alten zurück und noch immer höre ich seinen treuherzigen Ton: „Ich weiß, Du wirst zufrieden sein.“ Er hob, nachdem der Grieche den Teppich hingeworfen hatte, denselben in die Höhe, legte ihn auf seine Kniee und frug: „Nun sage mir, ist er nicht 480 Piaster Werth?“

„Ganz gewiß, aber ich gebe Dir nur 450 dafür.“

„Geben Sie ihm das Geld,“ flüsterte mein Gefährte.

Rasch legte ich dem Alten 41/2 Napoleonsd’or und 1 Medjidie (türkischen Thaler zu 22 Piaster) in die Hand und er zählte sie neben einander auf seine ausgestreckte Linke, strich sie zusammen, zählte sie abermals auf, sah sie lange an, dann mich, strich sie zusammen und faßte sie zwischen Daumen und Zeigefinger der Rechten, zeigte sie mir, schüttelte leise das schöne Haupt und sagte dann: „Es ist sehr wenig!“ Dann legte er mit der Linken den Teppich vor mich hin und sagte: „Wohl, nimm ihn!“ zog dann seine Börse aus dem Gürtel, that das Geld hinein, und gab mir die überschüssigen 4 Piaster pünktlich zurück, die ich dann gleich seinem Knaben einhändigte, der bereits die Last auf den Kopf genommen hatte, um sie mir in’s Haus nachzutragen. Sein Herr sah das und dankte mir mit freundlicher Miene: „Du bist mein Freund, und ich freue mich Deiner! Bleibe noch, wenn Du kannst!“

Ich entschuldigte mich mit einem Besuch, den ich zu machen hatte, und ging. Der Alte stand auf, reichte mir die Hand und nahm vor der Thür nochmals zärtlichen Abschied. Dann sah ich, wie er sich in das Hintergemach begab, wahrscheinlich um dort wieder Alles in Ordnung zu bringen.

Nach meiner Rückkehr aus Magnesia kam ich nur noch einmal an seinem Laden vorbei und grüßte ihn. Er war erfreut, wie ein Kind, als er mich gesund aus dem Innern des Landes zurück sah. Ich hatte ihm noch einen längeren Besuch zugedacht, kam aber leider nicht dazu. Aber noch jetzt sehe ich ihn im Geiste vor mir, mit seinem Silberbarte und den schönen klaren Augen, und höre noch deutlich sein zuversichtliches: „Du wirst zufrieden sein.“ Und das bin ich denn auch wirklich.