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Publicly Available Published by De Gruyter Saur May 3, 2016

SUMA-Kongress 2016: Die offene Web-Gesellschaft 4.0

Europäische Netzstrategien – Demokraten – Technokraten

  • Friederike Kerkmann EMAIL logo

Der Hintergrund

Einmal im Jahr bildet der SUMA-Kongress den Treffpunkt für alle, die sich über Suchmaschinen austauschen wollen. Das Themenspektrum reicht von technischen Aspekten über juristische, politische oder wirtschaftliche Fragestellungen bis hin zur gesellschaftlichen Relevanz. Organisiert wird die Veranstaltung vom SUMA e. V., dem Verein für freien Wissenszugang, sowie jetzt zum zweiten Mal von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg, Department Information. Rund 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer trafen sich am 2. März 2016 auf dem Kunst- und Mediencampus Finkenau, um unter dem Titel „Die offene Web-Gesellschaft 4.0 – Europäische Netzstrategien – Demokraten – Technokraten“ entsprechende Ideen und Konzepte zu diskutieren.

Abbildung 1: SUMA-Kongress 2016 auf dem Kunst- und Mediencampus Finkenau der HAW Hamburg (Foto: HAW Hamburg).
Abbildung 1:

SUMA-Kongress 2016 auf dem Kunst- und Mediencampus Finkenau der HAW Hamburg (Foto: HAW Hamburg).

Die Keynote: Technische Regeln für Digitalisierung und Vernetzung

Dr. Christian Grugel (Ministerialdirektor a. D. im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz), nahm in seiner Keynote „Digitalisierung und Vernetzung – Was können technische Regeln leisten?“ weniger die (Suchmaschinen-)Technik in den Blick, sondern sprach aus einer allgemeinen, übergeordneten Perspektive auf Technik, Wirtschaft und Gesellschaft heraus. Er beschrieb die Entwicklungen von der Entstehung der Sprache und Schrift bis hin zur digitalen Revolution, machte die Bedeutung von IT-Dienstleistungen als systemrelevante Infrastruktur deutlich und leitete daraus resultierende Risiken ab. Um diese Risiken des Datenmissbrauchs zu minimieren und einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen, forderte er neben allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen auch die Entwicklung verbindlicher technischer Regeln für Digitalisierung und Vernetzung, wie sie z. B, im Umwelt- oder Strahlenschutz bereits seit langem parallel wirken. Auch für Suchmaschinen als handelnde Akteure bzw. ihre Indexe als Infrastruktur müssten solche technischen Regeln bspw. in Form von DIN-Normen formuliert werden. Anders als abstrakte rechtliche Vorgaben seien diese leichter umzusetzen bzw. zu kontrollieren, weil zwischen den verschiedenen Beteiligten ohnehin naturgemäß Bedarf an Kompatibilität und technischer Übereinstimmung bestünde. Unterstützt werden müsse dieser Prozess durch die Entwicklung von wissenschaftlichen Methoden und Teststellungen für die Evaluation komplexer Systeme, mit Hilfe derer sich insbesondere Personalisierungsmaßnahmen in Suchmaschinen, sozialen Netzwerken oder im E-Commerce messen lassen könnten. Die Fremdbestimmung durch personalisierte Informationen und die Gefahren des Datenmissbrauchs hätten andernfalls das Potential, Bürger zu entsolidarisieren und den Zusammenhalt einer Gesellschaft zu gefährden.

Die Vorträge: OWI, Cliqz, LiquidFeedback und mehr

Den Auftakt bildete der Vortrag „Grundlagen, Strukturen und Entwicklungen des offenen Web-Index“ von Prof. Dr. Dirk Lewandowski, in dem er den offenen Web-Index (OWI)[1] vorstellte, der als freie Infrastruktur im Web fungieren soll, auf der Suchmaschinen und andere Web-Anwendungen aufsetzen können. Die algorithmische Interpretation der Suchanfragen durch die Suchmaschinen zusammen mit der starken Marktmacht von Google, insbesondere in Deutschland, ergebe aktuell eine in dreifacher Hinsicht problematische Situation: Nutzer erhielten nur eine von vielen möglichen algorithmischen Sichten auf die Inhalte im Web, zudem würden Google-eigene Angebote bevorzugt positioniert und damit auch verstärkt frequentiert. Hinzukämen die – mitunter erheblichen – Effekte der Suchmaschinenoptimierung, die ebenfalls zu Verzerrung in der Ergebnispräsentation führten. Somit bestehe dringender Bedarf, die Voraussetzungen für echte Vielfalt in der Suchmaschinenlandschaft zu schaffen. Dafür skizzierte Lewandowski mögliche Lösungsansätze. Während Vorschläge wie die Zerschlagung Googles jedoch juristisch kaum durchsetzbar oder der Aufbau einer alternativen Suchmaschine wenig erfolgversprechend seien, könne nur ein für alle zu fairen Konditionen zugänglicher Web-Index die Situation ändern. Ziel müsse es sein, Index und die einzelnen darauf basierenden Dienste voneinander zu entkoppeln. Nur so könne eine attraktive technologische Basis für europäische Digitalunternehmen geschaffen werden, was wiederum zur Sicherung der informationellen Selbstbestimmung betrage und Wettbewerb, Innovation und Unternehmertum in diesem Bereich ermögliche (vgl. hierzu auch Dirk Lewandowski: Perspektiven eines Open Web Index, in IWP 67(2016)1, S. 15–21).

Dr. Marc Al-Hames (Cliqz GmbH/Hubert Burda Media) präsentierte in seinem Beitrag „Mobile Betriebssysteme, Browser, Suche – Konsequenzen des derzeitigen Ecosystems für den Nutzer, und Entwicklung einer innovativen Kombination aus Browser und Suchmaschine“, sein Produkt Cliqz[2] und die dahinterstehende Konzeptidee. Hinter Cliqz verbirgt sich keine traditionelle Suchmaschine, sondern ein Browser mit integrierter Schnell-Suche. Die Suchanfrage wird direkt in die Browserzeile eingegeben; statt einer traditionellen Suchergebnisseite erhält der Nutzer

Abbildung 2: Prof. Dr. Dirk Lewandowski beschreibt die Entkopplung von Index und Diensten (Foto: HAW Hamburg).
Abbildung 2:

Prof. Dr. Dirk Lewandowski beschreibt die Entkopplung von Index und Diensten (Foto: HAW Hamburg).

drei personalisierte Ergebnisse zurück. Die profilbildenden Daten für diese Personalisierung verbleiben ausschließlich auf dem Endgerät des Nutzers, bei dem Unternehmen laufen keine sensiblen Daten auf. Dahinter stehen zwei Gedankengänge: Zum einen sei die klassische Suchergebnisseite in vielen Fällen für den Nutzer überflüssig und würde anbieterseitig lediglich aus ökonomischen Gründen für die Platzierung von Werbung angezeigt. Zum anderen würden Suchmaschinen massenhaft Daten ihrer Nutzer sammeln und unkontrolliert miteinander in Verbindung bringen. Bisher seien Werbung und Daten die Treiber der traditionellen Internet-Ökonomie. Eine echte Innovation könne daher nur entstehen, wenn künftig (europäische) Werte wie Transparenz, Privatsphäre und (Daten-)Sicherheit in der Entwicklung berücksichtigt und dem schnellen wirtschaftlichen Gewinn bewusst vorangestellt würden. Nur auf diese Weise könnten europäische Unternehmen echte Alternativen zu den großen Playern bieten und Schlüsselpositionen in der Digitalwirtschaft einnehmen.

Axel Kistner von Interaktive Demokratie e. V. stellte in seinem Vortrag „Wie LiquidFeedback die Demokratie lebendiger macht“ die freie Software LiquidFeedback[3] vor, die 2011 zu den Gewinnern des SUMA-Awards zählte, und gab einen Fortschrittsbericht über die Weiterentwicklung seit der Auszeichnung. Das Open Source Tool dient der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung, auch und insbesondere bei einer hohen Zahl Beteiligter. Vor allem im Rahmen von Verfahren zur Bürger- oder Mitarbeiterbeteiligung, in politischen Parteien, NGO oder Vereinen, kurz: überall da, wo gemeinsame Entscheidungen getroffen werden müssen, soll es helfen, den Liquid-Democracy-Ansatz zu etablieren. Jeder Benutzer kann Textvorschläge einbringen, über die nach einem bestimmten Verfahren abgestimmt wird. Zwei wesentliche Funktionsmerkmale sind für LiquidFeedback charakteristisch: Der Minderheitenschutz sowie das sog. Proxy Voting. Eine bestimmte Form der Sortierung stellt sicher, dass eine proportionale Repräsentation von Minoritäten mit ihren Initiativen in der Anzeige gewährleistet ist; das Proxy Voting ermöglicht das Vergeben von weisungsfreien, übertragbaren Vollmachten, um so das eigene Stimmgewicht an andere Teilnehmer zu delegieren, will man nicht selbst aktiv werden. Für die Zukunft plant die Initiative u. a. die Entwicklung einer API sowie die weitere Etablierung in europäischen Bürgerbeteiligungsverfahren.

Eine internationale Perspektive brachte Arkady Borkovsky, Mitbegründer der vorwiegend in Russland aktiven Suchmaschine Yandex[4] ein. In seinem Vortrag „Is there a choice? The role of national Search Engines in 2017“ stellte er zunächst den Einfluss von Wissen auf die Evolution und menschliche Entwicklung dar, gab einen Abriss über die Historie der Suchmaschinen und beschrieb dann den Markteintritt von Yandex in der Türkei sowie die Lernerfolge und Erfolgsfaktoren, die das Unternehmen in diesem Zusammenhang für sich identifizieren konnte. Unverzichtbare Voraussetzungen für den Erfolg einer (neuen) Suchmaschine seien demnach ein starker lokaler Partner, eine ausgereifte B2B-Distribution sowie mehrere Millionen Nutzer und nicht zuletzt ein tragfähiges Monetarisierungskonzept, mit dem sich zuverlässig Geld verdienen lässt. Als künftige Trends, denen sich Yandex wird stellen müssen, benannte er die mobile Suche, Dialogfähigkeit sowie die Ansprache unterschiedlicher Sinneskanäle.

Die Vorträge endeten mit einer Zusammenfassung von Wolfgang Sander-Beuermann zum Zwischenstand der Klage „Recht auf Vergessen bei ähnlichen Namen“ gegen die Metasuchmaschine Metager[5]. Eine Juristin hatte vom Betreiber gefordert, Suchergebnisse zu löschen, die ihrem Namen ähnlich sind. Das Landgericht Hannover hatte zwar die Eilbedürftigkeit des Anliegens abgewiesen; eine Entscheidung in der Sache steht jedoch noch aus. Das Stimmungsbild im Hinblick auf das weitere Vorgehen war im Publikum geteilt: Die Empfehlungen reichten vom Vorschlag, einen Vergleich anzustreben hin zum expliziten Aufruf, einen Vergleich zu vermeiden und stattdessen Rechtssicherheit zu erkämpfen, notfalls auch durch den Gang in höhere Instanzen.

Verleihung der SUMA-Awards

Die SUMA-Awards[6], die jährlich im Rahmen des SUMA-Kongresses vergeben werden, prämieren Arbeiten oder Projekte, die „Wesentliches für ein gutes Leben in der digitalen Welt leisten“. Drei Preise mit insgesamt 5.000 Euro dotiert werden vergeben.

Der 3., mit 500 Euro dotierte Platz ging an das Projekt PRISM Break[7], eine Verzeichnisseite, die freie Software-Alternativen zu proprietären Programmen, Betriebssystemen und Anwendungen sammelt und durch ihre Verbreitung Massenüberwachung unwirtschaftlich machen will. Mit dem 2. Platz und 1.500 Euro ausgezeichnet wurde das noch in Beta-Version befindliche Projekt „pretty Easy privacy“[8], das eine Verschlüsselungslösung zur Verfügung stellt, die text-basierten Nachrichten standardmäßig verschlüsselt und einfacher zu bedienen ist als alternative Angebote. Der 1. Preis wurde – überraschend – an Edward Snowden vergeben, der kein konkretes Projekt repräsentiert, sondern für seinen Einsatz als Whistleblower mit dem symbolischen Preis gegen das Vergessen und die Bequemlichkeit ausgezeichnet wurde. Wie er die Prämie von 3.000 Euro erhalten wird, ist noch unklar.

Podiums- und Plenumsdiskussion

Der SUMA-Kongress 2016 schloss mit einer Podiums- und Plenumsdiskussion. Unter der Moderation von Dr. Christian Stöcker, derzeit noch Ressortleiter Netzwelt bei Spiegel Online, und ab September 2016 Professor an der HAW Hamburg, diskutierten Marc Al-Hames, Christian Grugel und Wolfgang Sander-Beuermann die Frage nach einem möglichen europäischen Weg in Sachen Datenschutz und (digitale) Bürgerrechte.

Abbildung 3: Teilnehmer der Podiumsdiskussion (v. l. n. r. Dr. Marc Al-Hames, Dr. Christian Grugel, Dr. Wolfgang Sander-Beuermann und Moderator Dr. Christian Stöcker) (Foto: HAW Hamburg).
Abbildung 3:

Teilnehmer der Podiumsdiskussion (v. l. n. r. Dr. Marc Al-Hames, Dr. Christian Grugel, Dr. Wolfgang Sander-Beuermann und Moderator Dr. Christian Stöcker) (Foto: HAW Hamburg).

Einig waren sich alle Referenten, dass politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Handlungsbedarf gleichermaßen bestehe, um ein europäisches Gegengewicht zu Google und anderen dominanten Netz-Strukturen zu schaffen. Dabei könne es nicht ausreichen, schlicht nachzuahmen, was andere bereits tun, so lasse sich die Entwicklung nicht aufholen. Vielmehr müssten die Rahmenbedingungen für einen fairen Marktzugang und eine innovationsfreundliche Atmosphäre geschaffen und gesellschaftlicher Wandel angestoßen werden. Das europäische Verständnis von Datenschutz sei ein hoher kultureller Wert, der eine eigene Marktdynamik einbringen könne. Zudem seien derzeitige Gesetze noch zu schwer verständlich, selbst für Experten in dem Bereich. Benötigt würden stark vereinfachte, auf konkrete Situationen bezogene Erklärungen und Antworten auf die Fragen der Bevölkerung.

Den offenen Web-Index sahen alle Referenten als eine von vielen möglichen Maßnahmen, die es zu ergreifen gilt. Allerdings reiche eine reine Kopie des Web nicht aus; vielmehr müssten anonymisierte Nutzerdaten in ausreichender Menge eingebunden werden, um einen tatsächlichen Mehrwert zu erzielen.

Einigkeit bestand auch dahingehend, sich nicht durch die „German Angst“, der typisch deutschen Zögerlichkeit aus Angst vor Risiken einschränken lassen zu dürfen. Statt 100 Prozent perfekt machen zu wollen, würde es schon reichen, 95 Prozent endlich besser als bisher umzusetzen – ein gelungenes Schlusswort.

Fazit

Der SUMA-Kongress 2016 überzeugte auf organisatorischer, örtlicher und inhaltlicher Ebene:

Die Zusammenstellung der Vorträge kann – mit einem Abstrich – als gelungen bezeichnet werden: Eine umfassende Mischung aus Theorie und Praxis, konkreter Produktvorstellung und allgemeiner Situationsbeschreibung sowie Nutzer- und Systemorientierung; das Ganze aus nationaler, europäischer und internationaler Perspektive heraus. Für diejenigen, die nicht dabei waren oder die Vorträge in der Nachschau noch einmal in Ruhe hören möchten, werden die Videoaufzeichnungen auf der Veranstaltungswebsite[9] zur Verfügung gestellt werden. Der Neubau auf dem Kunst- und Mediencampus Finkenau in Hamburg bildete den passenden Rahmen für ein solches Format und für die professionelle Organisation und Vor-Ort-Betreuung bleibt lediglich „Danke“ zu sagen. Wir freuen uns auf SUMA-Kongress 2017, hoffentlich zum dritten Mal in Folge in Hamburg.

Mit Blick auf die Programmgestaltung und die Planung des nächsten SUMA-Kongresses muss jedoch ein zentraler Kritikpunkt angesprochen werden: Wieder fand sich weder im Kreis der Referenten noch bei den Teilnehmern der Podiumsdiskussion oder in der Moderation eine Frau. Diese so deutliche Unterrepräsentation blieb auch den Initiatorinnen von „50 Prozent“[10] nicht verborgen, die die Veranstaltung auf ihrer Plattform entsprechend dokumentierten.

Für eine Veranstaltung, die sich den Kampf für Diversität, Offenheit und faire Zugangsbedingungen auf die Fahnen geschrieben hat, kein wünschenswertes Bild. Wir hoffen, dass es beim SUMA-Kongress 2017 ein anderes sein wird.

Deskriptoren: Tagung, Suchmaschine, Wettbewerb

Online erschienen: 2016-5-3
Erschienen im Druck: 2016-5-1

© 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 20.10.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/iwp-2016-0024/html
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